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August 2009 - Der Neusser

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14<br />

Wir sind Familie<br />

Patsch, da hat er eine sitzen. Jungs raufen halt<br />

gern. Rums, da wird einer umgemäht. Was nicht<br />

verletzt, härtet ab. Irgendwie muss man sich<br />

durchs Leben kämpfen. „Hey Alter, mach Platz.“<br />

Unter Seinesgleichen ist man nicht zimperlich.<br />

„Haste Probleme oder was glotzte?“ Da mögen<br />

Mädchen nicht unbedingt dazwischen stehen.<br />

Und fällt ein Knabe doch versehentlich vom<br />

Klettergerüst, vom Trampolin oder der Skater-<br />

Halfpipe, heißt es, abwarten, ob er sich berappelt<br />

oder tatsächlich Hilfe braucht. Schließlich sind<br />

Jungen wild, dominant und deftig im Nehmen.<br />

Auch im Austeilen. Lange diskutieren ist nicht ihr<br />

Ding. Mit Worten haben sie es nicht so, eher mit<br />

Taten. Sind halt bei weitem angriffslustiger als<br />

Mädchen. Müssen sie aber auch, schließlich kommen<br />

sie später mit Mitleid nicht weit. Da sollten<br />

sie früh lernen, ihren Mann zu stehen, kühl und<br />

zielstrebig sein und sich nicht von Gefühlsduseleien<br />

beirren lassen. Durchboxen statt jammern,<br />

oder? Wie muss ein Junge bitte sein, damit er vorwärts<br />

kommt? Andererseits, hat man überhaupt<br />

eine Chance, was herumzulenken? Vielleicht hat<br />

die Natur schon alle Weichen gestellt?<br />

Biologische Vorgabe oder soziale Prägung, hier<br />

wird seit jeher debattiert, was zum kleinen<br />

Unterschied zwischen Bub und Mädel führt.<br />

Hirnforschungen belegen, dass rein physisch<br />

abweichende Anlagen vorhanden sind und die<br />

Hirnhälften je Geschlecht unterschiedlich beansprucht<br />

werden. Erforscht ist, dass Jungen<br />

bei der Geburt weniger reif sind und anfälliger<br />

auf Krankheiten und Entwicklungsstörungen<br />

Menschen | StattBlatt 08.<strong>2009</strong><br />

reagieren. Sie gelten tendenziell als aktiver,<br />

auch nervöser und aggressiver. Aber entscheidend<br />

ist der Entwicklungsverlauf. Zwar zeigen<br />

Kinder schon von klein auf geschlechtsspezifische<br />

Eigenschaften und entwickeln sich<br />

in diesen unterschiedlich fort, aber mit zunehmendem<br />

Alter gleichen sich die Level an.<br />

Eine amerikanische Studie belegte kürzlich,<br />

dass Mädchen frühkindlich bereits Fürsorge<br />

und Einfühlungsvermögen zeigen, Jungen<br />

mehr durch Freiheitsdrang und Abenteuerlust<br />

auffallen. Feinmotorische und künstlerische<br />

Neigungen sind bei Mädchen deutlich früher<br />

ausgebildet, bei Jungen sind es die sportlichen<br />

und naturwissenschaftlichen Aktivitäten. Mit<br />

rund 19 Jahren befinden sich die Geschlechter<br />

allerdings auf ähnlichem Niveau.<br />

Gefühle sind für Schwächlinge,<br />

Fragen für Idioten?<br />

Also biologische Ausstattung ist vorhanden,<br />

aber begleitet uns nicht zwangsläufig lebenslang.<br />

Und dennoch handeln Mann und Frau so<br />

verschieden, Mädchen und Junge auch. Denn die<br />

Einflüsse, unter denen sie ihr Rollenverständnis<br />

entwickeln, sind mannigfaltig: Vorbild der Eltern,<br />

Konzept der Erziehung, Gruppenverhalten<br />

und nicht zuletzt die Medien – allesamt formen<br />

ein geschlechtsspezifisches Bild, das jedes Kind<br />

erfährt, nachahmt und schließlich verinnerlicht.<br />

Sorgt die Mutter sich um die Tochter, wird diese<br />

ängstlicher. Erwartet sie, dass der Sohn sich im<br />

Sandkasten durchsetzt, lernt er schnell, für seine<br />

Rechte einzutreten. Na und, wo ist das Problem?<br />

Ganz einfach: Jungen und Mädchen werden nach<br />

gesellschaftlich vorgeformten Vorstellungen in<br />

Rollen gepresst, so Entwicklungspsychologen,<br />

die nicht die Vielfalt ihres Wesens widerspiegeln.<br />

Im Gegenteil, beachtliche Charakterzüge werden<br />

unterdrückt, gar als anormal negiert, was zu seelischen<br />

Störungen führt. „Was weinst du, bist ’ne<br />

Memme?“ Aber Jungen sind nicht von<br />

Geburt an stark. „Spring<br />

schon ins Wass<br />

e r ,<br />

was bist<br />

du für ein Feigling?“<br />

Gefühle sind was für Schwächlinge,<br />

Fragen was für Idioten und Hilfe sucht<br />

nur der, der ein Angsthase ist. Die Liste der Anforderungen<br />

an einen tauglichen Knaben ist lang –<br />

und in ihrer korsettartigen Einfältigkeit nicht aus<br />

den Köpfen verbannt. Schnell erfahren Jungen<br />

einen Erwartungsdruck und sehen sich einem<br />

geschlechtlichen Selbstbild gegenüber, das ihrem<br />

Wesen nicht entspricht. Alarmierend dazu<br />

Ergebnisse wie: 95 Prozent verhaltensgestörter<br />

Kinder sind männlich. Von 100 Schulabgängern<br />

ohne Hauptschulabschluss sind 72 Prozent Jungen.<br />

Jungen sind eher in kriminellen Handlungen<br />

verstrickt und häufiger krank.<br />

Also ist „Männlichkeit“ nicht nur ein Privileg.<br />

„Jungen, die ständig hart und selbstbewusst zu<br />

sein haben, können sich Fehler nicht eingestehen,<br />

geschweige denn sie korrigieren“, so der Soziologe<br />

und Familientherapeut Paul Suer. Verzicht<br />

auf emotionale Nähe, Körperbewusstsein und<br />

Solidarität können eine große Last sein. Wer stets<br />

funktionieren muss und Unsicherheit als Schwäche<br />

definiert, rangiert sich schnell ins Aus. „Wenn<br />

ein Junge sich weich zeigt, so ist das ein gutes<br />

Zeichen dafür, dass er mit sich im Einklang steht.“<br />

Cool oder uncool, männlich, androgyn oder rollenkonform?<br />

Das sind nicht die Fragen. Die Anforderungen<br />

an die Geschlechter sind nicht mehr<br />

so deutlich wie zu Uropas Zeiten. Antiquierte<br />

Rollenbilder verursachen ambivalente Persönlichkeiten.<br />

Wann ist ein Mann ein Mann? Was ein<br />

echter Kerl? – Ein Mensch, ein agierendes, reflektierendes<br />

und fühlendes Individuum. Stärke ist,<br />

zu Schwächen stehen. Schwach, wer mit Muskeln<br />

protzt, um Unzulänglichkeit zu kaschieren.<br />

Denken wir mal drüber nach…<br />

Litt le Rambo in der Puppenecke<br />

Echter Kerl oder hilf os? Wie wird ein Knabe ein Mann?<br />

Marion Stuckstätte

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