Stereoplay Generation Hochbit
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FOTOS: Sony<br />
kOnzERT<br />
AUDIOPHILE SACD<br />
OPER<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
Liszt:Totentanz u.a.; Tschaikowsky: klavierkonzert nr.1 Tiempo, Orchestra della Svizzera Italiana, Marin u.a. (2004/05)<br />
Der heute 39-jährige Venezolaner Sergio Tiempo ist ein<br />
heißblütiger Virtuose und ein intelligenter Vollblutmusiker,<br />
der den Zuhörer direkt erreichen und mitreißen<br />
möchte. Im Booklet seiner neuen, bekenntnishaft persönlichen<br />
und in jeder Beziehung extremen Stereo-SACD<br />
gemahnt er an die „Visionen“ großer Komponisten, die<br />
Interpreten nie erfüllen könnten. Zugleich entschuldigt<br />
er sich für den „Wahnsinn“, der ihn und den Dirigenten<br />
des Tschaikowsky-Konzerts, Alexandre Rabinovitch,<br />
bei ihrem Live-Konzert in Lugano im Sommer 2005 angetrieben<br />
hätte. „Damals“, beim Progetto Martha Argerich,<br />
verwandelten die beiden das berühmteste Schlachtross<br />
des Konzertrepertoires in einen raubtierartigen Dialog,<br />
in ein einziges Donnergrollen zwischen dem entfesselt<br />
virtuosen Pianisten und dem kompakt und scharf<br />
dagegenhaltenden Orchester. So erlebte das Schweizer<br />
Publikum die verrückteste, dämonischste, gefährlichste,<br />
Avanticlassic / Codaex 5414706 10382 (SACD, 66:21) Attila Csampai<br />
kOnzERT<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
KLANGTIPP<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
KlangdeTails:<br />
Räumlichkeit:<br />
Bass:<br />
Transparenz:<br />
KLANGTIPP<br />
Wie nirgendwo sonst verbanden sich<br />
in Lateinamerika die musikalischen<br />
Einflüsse verschiedener Völker und<br />
Kulturen zu etwas vollkommen Neuem.<br />
Diesem immensen Reichtum<br />
geht die österreichische Lautenistin<br />
und Harfenistin Christina Pluhar mit<br />
ihrem neuen Album auf den Grund,<br />
das den Titel eines berühmtes Liedes<br />
von Astor Piazzola trägt: „Los<br />
Pájaros Perdidos“ („Die verlorenen<br />
Vögel“).<br />
Und wie nicht anders zu erwarten,<br />
klingt das bei der Leiterin von<br />
L’Arpeggiata alles andere als akade-<br />
Les Héroïnes romantiques Vol. 3: Arien von Gluck, Meyerbeer, Saint-Saëns u. a. Gens; Les Talens Lyriques, Rousset (2011)<br />
Nach den beiden ersten Folgen ihrer<br />
„Tragédiennes“-Anthologie französischer<br />
Opernarien – 2006 und<br />
2009 – spannen die Sopranistin Véronique<br />
Gens und ihr Landsmann<br />
Christophe Rousset mit seinen – wie<br />
immer überragenden – Talens Lyriques<br />
den historischen Bogen diesmal<br />
bis zu Meyerbeers „Prophète“,<br />
Massenets „Hérodiade“, Saint-Saëns‘<br />
„Henry VIII“ und Verdis Pariser<br />
„Don Carlos“. Arien aus Glucks<br />
„Iphigénie en Tauride“ und Berlioz‘<br />
„Troyens“ sind dabei, aber auch<br />
überraschende Raritäten aus Opern<br />
Dämonische Dialoge<br />
misch. Zusammen mit ihrem Ensemble,<br />
Countertenor-Star Philippe Jaroussky<br />
und einem internationalen<br />
Team von Musikern präsentiert sie<br />
spanische und lateinamerikanische<br />
Volks- und Kunstmusik auf historischen<br />
Instrumenten.<br />
In Pluhars intelligenter Bearbeitung<br />
klingt beispielsweise eine Barockmusik<br />
vom Madrider Hof genau so feurig<br />
wie der unsterbliche Bolero „Besame<br />
mucho“ von Consuelo Velázquez.<br />
Ob Jaroussky ein Stück von<br />
Pancho Cabral singt („¡Ay! Este<br />
azul“), die italienische Folksängerin<br />
von François-Joseph Gossec, Étienne-<br />
Nicolas Méhul, Rodolphe Kreutzer<br />
oder Auguste Mermet, die wieder<br />
einmal zeigen, wie wenig von diesem<br />
Repertoire heute einem größeren Publikum<br />
bekannt ist.<br />
Dabei grenzt sich die Eigenständigkeit<br />
und Originalität des Orchesters<br />
ebenso deutlich von italienischen Vorbildern<br />
ab, wie die vokale Prosodie<br />
sich von deutschen Opern der Romantik<br />
unterscheidet. Die etwas<br />
nachgedunkelte, aber immer noch<br />
souveräne und auch in der Höhe<br />
strahlende Stimme von Véronique<br />
zugleich auch rhetorisch zwingendste und elektrisierendste<br />
Aufführung dieses Evergreens seit Langem: ein einziger,<br />
unendlicher Kometenschweif der Leidenschaft, der<br />
dramatischen Zuspitzung, der Ausdrucksbesessenheit.<br />
Das künstlerische Credo seiner langjährigen Förderin<br />
Martha Argerich trieb Tiempo mit wahrhaft vulkanischem<br />
Temperament weiter und wies so den im Grunde<br />
braven Tschaikowsky als dämonischen Nachfahren<br />
Franz Liszts aus.<br />
Durch zwei ähnlich extreme Liszt-Stücke, die Tiempo<br />
diesem „Highlight“ seines Albums voranstellt, wird der<br />
Hörer auch entsprechend eingestimmt: Die konzertante<br />
Paraphrase über „Dies irae“ wurde bereits 2004 in<br />
Lugano mitgeschnitten und zeigt sich in Tiempos Lesart<br />
als unterschätztes Schlüsselwerk von Liszts komplexer<br />
musikalischer Philosophie. Hier leitet Ion Marin das<br />
schlanke, aber schlagkräftige Orchestra della Svizzera<br />
Italiana. Diese raffinierte Synthese aus Todesnähe und<br />
strukturellem Experiment kontrastiert Tiempo dann mit<br />
einer aktuellen Studioeinspielung der drei lyrischen Petrarca-Sonette,<br />
in denen er seine Kantabilität und seine<br />
große, suggestive Erzählkraft ausspielt.<br />
Ein Extralob verdient auch der Tonmeister der drei unterschiedlichen,<br />
aber sehr homogen aufeinander abgestimmten<br />
Quellen. Die beiden konzertanten Mitschnitte transportieren<br />
im Zweikanal-SACD-Modus die knisternde Spannung<br />
eines solchen besonderen Live-Acts, und auf einen<br />
künstlichen 5.0-Transfer hat man ganz verzichtet.<br />
Vom künstlerischen Credo seiner Mentorin Martha Argerich<br />
angetrieben: Pianist Sergio Tiempo (Jg. 1972).<br />
Los Pájaros Perdidos Jaroussky, Galeazzi, Mancini, Capezzuto, Andueza u. a., L’Arpeggiata, Pluhar (2011)<br />
Lucilla Galeazzi mit Herzschmerz eine<br />
Zamba hinlegt oder ein rhythmisch<br />
pointierter Golpe aus Venezuela<br />
erklingt – die musikalischen Traditionen<br />
erscheinen auf „„Los pájaros<br />
perdidos“ so eng verzahnt und<br />
verflochten, dass einzelne Stile und<br />
Epochen kaum noch auseinanderzuhalten<br />
sind.<br />
Alles klingt so aktuell und mitreißend,<br />
als wäre es erst gestern komponiert<br />
worden: Dieses Album ist kein historisches<br />
Panorama, sondern eine funkensprühende<br />
Hommage an die lebendige<br />
Musikwelt Lateinamerikas.<br />
Virgin / EMI 67851621 (75:22) Miquel Cabruja<br />
KLANGTIPP<br />
Gens hat an dramatischer Ausdruckskraft<br />
noch gewonnen, ohne dabei je<br />
in aufgesetzte Exaltiertheit zu verfallen.<br />
Und das gegenüber früher etwas<br />
prononciertere Vibrato passt durchaus<br />
gut zu diesem hochdramatischen<br />
und expressiven Repertoire der<br />
„Héroïnes romantiques“.<br />
Fortsetzung ausdrücklich erwünscht:<br />
Dieser dritte Teil der „Tragédiennes“-<br />
Anthologie ist eine spannende Entdeckungsreise<br />
durch die Geschichte der<br />
französischen Oper des 18. und 19.<br />
Jahrhunderts – und großartig gesungen<br />
und musiziert.<br />
Virgin / EMI 50999 070927 2 5 (67:49) Michael Stegemann<br />
2/12 stereoplay.de 115