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produzierenden Tuchfabrik, „Becker & Führen<br />
Tuche“, ermöglicht durch die Margarete Lorenz<br />
Stiftung, eröffneten sich neue Perspektiven. Da nun<br />
auf die im Rahmen der EuRegionale-Planungen<br />
vorgesehene Wohnbebauung verzichtet werden<br />
konnte, entschied der Verein, mit dem gesamten<br />
Bestand an größeren Objekten den Teil der Anlage<br />
zu beziehen, der sich für eine kompakte Aufstellung<br />
unserer Maschinen am ehesten eignete, auch wenn<br />
ihm der Charme alter Backsteinbauten fehlt.<br />
Die Gründung der Margarete Lorenz Stiftung geht<br />
auf den Versuch zurück, ein im Eigentum der Stifterin<br />
befindliches Wohnhaus in Glauchau zu einem<br />
Zuhause für eine Pflegefamilie zu machen, die sich<br />
um zu betreuende Jugendliche kümmern sollte. Nach<br />
dem Tode der Stifterin im Februar 2012 wurde mit<br />
der Familie überlegt, wie man der Stiftung im Sinne<br />
der Verstorbenen eine neue aktivere Richtung geben<br />
könnte. Da der Kapitalstock angesichts der niedrigen<br />
Zinsen keine nennenswerten Erträge erwarten ließ,<br />
wurde beschlossen, dass das Stiftungsvermögen<br />
nicht mehr als Barvermögen gehalten werden,<br />
sondern inflationsgesichert in Immobilien angelegt<br />
werden sollte.<br />
Mit der Stockheider Mühle wurde eine ideal<br />
geeignete Immobilie (ca. 12.000 qm Außenfläche<br />
mit Teich und ca 5.000 qm Gebäudeflächen incl.<br />
2 Wohnhäuser) gefunden. Zwar wurde die Stiftung<br />
beim Kauf mit der von der Stadt Aachen gewünschten<br />
kulturellen Nutzung in Form der Beheimatung der<br />
Sammlung des Tuchwerks Aachen belastet. Diese<br />
Belastung aber hat im Sinne der Stiftungsarbeit den<br />
Vorteil, dass mit Sammlungs- und Vereinsarbeit ein<br />
substantieller Einstieg in eine aktive Jugendarbeit<br />
im Sinne der Stifterin gegeben ist. Die Immobilie<br />
bietet in Verbindung mit der begleitenden Arbeit<br />
des Sozialwerks Aachener Christen e.V. umfangreiche<br />
Möglichkeiten, Jugendliche auf ihren Weg in<br />
den Beruf erfolgreich zu begleiten. So konnte ein<br />
bedeutender Teil von Herrichtungsarbeiten durch<br />
Auftragsvergabe an soziale Träger vorgenommen<br />
werden, was wiederum dem Stiftungszweck dient.<br />
Sicherlich ist es ein weiter Weg, aus der vorgefundenen<br />
Industriebrache mit teilweise maroden<br />
Gebäudeteilen einen Standort zu entwickeln, der<br />
einerseits dem sozialen Anliegen der Stiftung<br />
Rechnung trägt und andererseits ein entsprechendes<br />
kulturelles Angebot bietet. Erfolgreich gelang es<br />
aber in den ersten Monaten, die erhaltenswerten<br />
Gebäudeteile zu sichern und dem Verein Tuchwerk<br />
Aachen eine neue Heimat zu geben.<br />
Bei dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten<br />
übernahmen wir die in der Rütscherstraße entwickelte<br />
Idee eines begehbaren Depots. Nach der<br />
Herrichtung einer rd. 1.000 m 2 großen Werkhalle<br />
konnte man behutsam mit dem Umzug und dem<br />
Aufbau unserer Maschinen und Kleinobjekte<br />
beginnen, um zukünftigen Besuchern den Weg<br />
der Wolle von der Flocke zum Garn und vom Garn<br />
zum Tuch anschaulich mit teilweise aktivierten<br />
Maschinen vor Augen zu führen. Durch die tägliche<br />
Präsenz von zwei bis drei Mitarbeitern, einer davon<br />
als Repräsentant der Stiftung, ergaben sich völlig<br />
neue Arbeitsmöglichkeiten für die Aktiven, die nun<br />
täglich kommen können.<br />
Daneben fand unsere Sammlung an wertvollen<br />
Archivalien – der Museumsfachmann spricht hier<br />
lakonisch von der Flachware – im ehemaligen<br />
Verwaltungstrakt der Färberei – einen geeigneten<br />
Raum. Das Archiv wird seit mehr als einem Jahr, mit<br />
finanzieller und beratender Unterstützung durch den<br />
LVR, in einer Datenbank erfasst und fachgerecht<br />
eingelagert, um anderen Institutionen, Forschern und<br />
Privatpersonen Zugang zum textilgeschichtlichen<br />
Gedächtnis unserer Stadt zu ermöglichen.<br />
Zudem fanden Gesprächskreise zu einzelnen Aspekten<br />
der Textilgeschichte statt, wie beispielsweise zur<br />
Geschichte der Aachener Modefirma Elegance.<br />
Um auch junge Menschen an das Thema heranzuführen,<br />
engagierte sich der Verein mehrfach im Kontext<br />
des Schulprojekts „denkmal-aktiv“ der Deutschen<br />
Stiftung Denkmalschutz. Schülergruppen zweier<br />
Aachener Gymnasien waren eingebunden in Aufbau<br />
und Restaurierung historischer Textilmaschinen sowie<br />
bei der Erarbeitung kleinerer Ausstellungen.<br />
Mit der Webseite www.textilmuseum-tuchwerkaachen.de<br />
und inzwischen sieben Newslettern, die<br />
jeweils die aktuellen Aktivitäten dokumentieren,<br />
und neuerdings einer Präsenz bei Facebook<br />
(www.facebook.com/tuchwerk.aachen), die neue<br />
Interessenten auf das Anliegen unserer Bemühungen<br />
aufmerksam macht, etablierte sich der Standort mit<br />
seinen Akteuren zunehmend auch in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung.<br />
Wie geht es weiter? Die angestrebten Ziele des<br />
Vereins sind: Ausbau des Depots, die Fortsetzung<br />
der Inventarisierung der Archiv-Sammlung und<br />
schließlich die Realisierung der nun schon lange<br />
gehegten Idee von Ausstellungen im vorderen<br />
Teil des Geländes, zu denen es bereits einen<br />
Gestalterwettbewerb gab. Neben der bereits<br />
in der Vergangenheit fruchtbaren euregionalen<br />
Verflechtung der einstigen Industriestadt Aachen<br />
geht es darum, die Entwicklung traditioneller<br />
Techniken der Textilverarbeitung hin zu hochmodernen<br />
Anwendungen am hiesigen Wissensstandort<br />
zu vermitteln, also das, woran die drei renommierten<br />
textilen Aachener Forschungsinstitute der<br />
RWTH arbeiten und was innovative Unternehmen<br />
der Region heute leisten.<br />
Insgesamt geht es Verein und Stiftung um die<br />
Entwicklung des gesamten Geländes, hin zu einem<br />
Kultur- und Wissensstandort. Gespräche mit der<br />
Hochschule führten inzwischen zu einem „letter of<br />
intend“, und zwar in der Weise, dass TH-Institute<br />
hier auf dem Gelände in Zukunft Teile ihrer<br />
Sammlungen unterbringen wollen. Erste Schritte<br />
einer kulturellen Belebung fanden bereits statt:<br />
praktische Seminare von Architekturstudenten;<br />
Schülerprojekte wie die Ausstellung „world.wide.<br />
wool.net“ und aktuell Aufführungen des Theater K<br />
zu Arbeiteraufständen in der Tuchregion Aachen-<br />
Eupen-Verviers im Verlauf des 19. Jahrhunderts.<br />
Anstehende weitere Gespräche mit RWTH-<br />
Instituten, die Konzeptvertiefung für eine zukünftige<br />
Nutzung der einzelnen Gebäude sowie neue<br />
Kooperationen mit dem Sozialwerk Aachener<br />
Christen lassen auf eine insgesamt gedeihliche<br />
Entwicklung des Wissensstandortes schließen.<br />
Autor: Jochen Buhren<br />
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