dräum | ausgabe 2 | 06/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
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RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH RAUSCH<br />
gegen die Pest, ja, die gibt’s wieder, weiß nur noch keiner,<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
aber die Welt wird’s früh genug erfahren; da tropft Eiter aus<br />
Beulen, aber wir wollen hier ja keinen auf Camus machen,<br />
fehlt auch die Geduld, ein Neuzeit-Pestdrama so ergreifend<br />
auszugestalten, jedenfalls stirbt das Kind, nachdem es still<br />
Ja, wär da nicht die Krebserkrankung, die ohne Zutun und schweigend mehrere hundert Todesurteile ausgestellt hatte,<br />
an innerer Überhitzung, verbrannt, gekocht. So sind die<br />
ganz im Stillen sich langsam in dein Hirn rein frisst, dir lange<br />
vormacht, dass außer eitel Sonnenschein nichts ist, dich Garnelen definitiv am besten, in Chili-Safran-Sud gekocht,<br />
dann zerbricht und ohne Rücksicht in die Stille wirft – das da kannst gleich noch einen Teller bringen. Nö, Nudeln hab<br />
kann man doch nicht wissen, und wenn is auch egal, das Hier ich reichlich sagte der Nudelverkäufer zum Nudelvertreter,<br />
und Jetzt ist wichtig, nicht das Bald und Morgen, mit diesen der steht auf der Hydraulik-Rampe seines Trucks und deutet<br />
Sorgen möchte ich ein Ende machen, lasst mich fliegen, liebe auffordernd auf die 2 Tonnen Teigwaren, die er heut noch an<br />
Sachen, ich geh jetzt mal Urlaub machen. Da kommt auch den Mann bringen muss; morgen soll er Reifen verkaufen,<br />
schon der Eiswagen, dingelingelingeling, dingelingeling, da braucht er sicher keine Nudeln mehr an Bord; aber der<br />
finster schaut der Typ drein, wie ein Häf’n Bruder, tätowiert Nudelverkäufer stellt sich etwas störrisch, macht bald abfällige<br />
Bemerkungen über die Nudel des Vertreters, das Ziel: ihn<br />
von oben bis unten, dem kauf ich kein Eis ab, aber heiß is’<br />
so, vielleicht nur ein kleines, Vanille, ja, Vanille, gute Vanille, los werden, man hat ja nicht ewig Zeit, da blöd rumzustreiten;<br />
echte Bourbon, vielleicht auch ein Stück Erdbeer dazu; was der Vertreter muss kurz telefonieren, in seiner Sprache, die<br />
soll’s sein, gnä Frau, Alsoooo, Vanille, Erdbeer, Schoko, Heidelbeer,<br />
Giotto, Zitrone, Red Bull, Malaga, Stracciatella, Tiramisu, bald ins Haus steht. Lollipop, Lollipop, Lollilollilollipop singt<br />
der Verkäufer nicht versteht, drum ahnt der gar nicht, was ihm<br />
Baileys, Nougat, Cookie, Bubble Gum, dazu noch Pfirsich, Honigmelone,<br />
Himbeer, Haselnuss und – huiuiui – ne Waffel, ordentlich zu ver<strong>ausgabe</strong>n für ihre Karriere, 23 und schon<br />
das Starlet am kleinen Fernseher hinten im Eck, scheint sich<br />
zum gleich essen?, was sonst?, schon gut schon gut, braucht solche Tränensäcke?, kommt vom vielen Weinen, merkte der<br />
n Zeitl, vielleicht wollen Sie währenddessen Zeitung lesen? Hundetrainer an, schon beim vierten Bier, den Beagle zwischen<br />
den Beinen schlafend, ja, so verbrachte er die Nachmit-<br />
Mord und Totschlag, große und kleine Lügen, Skandale, Enten,<br />
Jahrhundertkatastrophe – ah, da ist die Society, von A bis tage immer hier, speziell nachdem die Frau entfleucht war,<br />
Z alle Promis aufgelistet, schön schön, schön zu sehn, dass mit dem Sporttrainer, eine soziale Stufe höher also, trainiert<br />
auch das Geld vom Schwachsinn nicht kuriert, hässliches Menschen und nicht Viecher, da verdient man ja auch zwei<br />
Kleid, die Nase ist gemacht, hätt auch gern so’n Busen, was, Euro mehr die Stunde, und mit diesen zwei Euro mehr pro<br />
die Schlampe mit dem Schnuckel?, meine Güte, die hat aber Stunde stehen sie am Wochenmarkt und kaufen ordentlich<br />
ne Wampe gekriegt, sollte da dringend was machen lassen, ein, ein paar Artischocken hier, ne Paprika oder zwei da, eine<br />
Zwillinge sind noch lange keine Ausrede, sich anderthalb Wochen<br />
so gehen zu lassen, immerhin schulden die uns was, so schön, und unser Geld können die auch gut brauchen, ein<br />
Handvoll griechischer Oliven, dort scheint die Sonne immer<br />
wir haben sie berühmt gemacht, wir sind sozusagen deren Kilo Hummus, dazu Fladen und Antipasti, multikulti will man<br />
Chefs. Am anderen Ende der Welt kämpft ein kleiner Junge schließlich sein, von Welt, wie man so schön sagt, und wie<br />
ginge das leichter, als die ganze Welt kulinarisch an einem<br />
Tisch zu versammeln; währenddessen trägt das Rinnsal Wien<br />
ein paar Tropfen aus der Stadt, wohin, das weiß ich jetzt nicht,<br />
dazu müsste ich nachsehen, aber das ist auch nicht der springende<br />
Punkt, raus, raus ist die Devise, raus aus der Stadt, aus<br />
dem Autolärm und Menschendreck, aufs Land, wo’s schön<br />
ist, wo die Bauern noch mit giftiger Chemie düngen, wo Existenzen<br />
im Keller aufgehoben werden, wo Menschen einfach<br />
noch genauso sein dürfen, wie sie sein wollen, außer sie sind<br />
schwul oder schlau oder agnostisch oder sonst irgendwie<br />
anders als der Rest, der sich am Stammtisch und bei der<br />
Feuerwehr, am Beichtstuhl und beim Kaffeekränzchen trifft,<br />
allesamt spielen mindestens ein Blasinstrument, falls in der<br />
Kapelle mal ein Platz vakant wird, ja, da am Land, da hat das<br />
Leben halt noch seine Qualitäten.<br />
An der Treppe steht Marie, blickt zu Georg, der blinzelt<br />
durch die Dunkelheit, sieht sie erst nicht, fragt Marie?, sie bleibt<br />
stumm, wartet ab, was nun geschieht; Marie?, kein Mucks, Ah,<br />
Marie!, heiß ist’s heut, kann ich ein Glas Wasser haben?, immer<br />
noch kein Wort; er geht langsam auf sie zu, versucht sich zu erklären,<br />
was sein Antrieb war und was er dachte und dass er bereue,<br />
sie aber blieb stumm, bohrte durch ihn durch, er umarmte<br />
sie, Marie zerfiel zu Staub, vorher war Sie noch ein Häufchen<br />
Elend, jetzt bloß noch ein Häufchen, das zögerlich durch Ritzen<br />
im Parkett rieselte; er, der Georg, der Betrüger, Lügner, Mörder,<br />
sah sich als verantwortlich, sah sich als das Monster, das er im<br />
Blick Maries vorhin erkannt hatte, das ihm jeder Spiegel bis<br />
heute im Verborgnen behalten hatte; er warf sich auf die Knie,<br />
schaufelte mit beiden Händen Marie in seinen Mund, schluckte<br />
Pfund um Pfund, unterbrach sich um zu schluchzen, würgte,<br />
fraß weiter und weiter, ging in den Keller um die Axt, riss mit<br />
hartem Hieb Diele um Diele vom Estrich, leckte Staub von allen<br />
Kanten, ging auf die Brust und saugte mit gespitzten Lippen<br />
das, was unten lag, selbst der Staub schien noch zu trauern,<br />
er schmeckte nach Schwermut und Depression; dann begann<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
das Warten, das lange, schmerzliche Warten, das Warten auf<br />
die tödliche Wirkung des bitteren Gifts, dass das Granulat der<br />
grässlichen und grauenhaften Gram ihm das Innerste zerätzen<br />
würde, dass er am selben Schmerz zu Grunde ginge, der ihm<br />
die Liebe seines Lebens zu Staub gemacht hatte; er wartete, bis<br />
er tot war, in der Zwischenzeit brachen andernorts die Kriege<br />
aus, die ihn schließlich im Flammenmeer zu Staub zerfallen<br />
ließen. Leere Lagerhallen, loser Putz, ein Schlagzeug mitten im<br />
Raum, Tropfen von oben schlagen gleichmäßig im Takt, auf den<br />
Einsatz der Gitarre wartet man vergebens; draußen stehen karge<br />
Bäume, lange keine Blätter mehr gesehn, in der Erde rührt<br />
sich nichts, das Bienennest verdorrt, Kinderschaukeln vom Rost<br />
zerfressen, kilometerlange Kolonnen, kein Hupen in der Stille;<br />
Rolltreppen seit langem bloß noch Treppen, mit spitzen Krallen<br />
jeden Sturz bestrafend, keiner stürzt, alle sind bereits gefallen,<br />
die Läden leer und voll mit Andenken, die Zeit scheint still zu<br />
stehen, wäre da nicht der immergleiche Takt des Schlagzeugs,<br />
der durch die zerborstenen Scheiben auf die Höfe dringt; tropfender<br />
Leichensaft.<br />
Noch schnell eine Runde Darts gespielt, dann geht’s<br />
wieder heim. Am Weg liegt eine Kugel, eine Melone auf, sieht<br />
adrett aus. Im Kern der Erde glimmen die Elemente, ein Feuergnom<br />
steht unter Druck, da quatscht ihn der Falsche von der<br />
Seite an. Viele Zahnstocher feiern ne Orgie, machen Koks und<br />
Ecstasy, borgen Fröhlichkeit vom nächsten Tag. Eine silberne<br />
Uhr liegt auf dem Tisch, Schinkenfleckerl waren gut, aber zu<br />
viel, das Notebook nimmt bereitwillig eigenartige Sachen auf,<br />
im Börserl ist nicht viel, der Pfefferstreuer denkt drüber nach,<br />
wie er endlich, nach so langen Jahren, das Herz seiner salzigen<br />
Liebsten gewinnen könnte; auf der Speisekarte steht Zander<br />
mit Augäpfeln, Braten vom Satan, Würschtel mit Mumu-Saft,<br />
ein Reißverschluss verheddert sich, fühlt sich hin und her gerissen,<br />
beißt sich die Zähne an dem anspruchsvollen Stoff aus,<br />
vorbei die Zeit vom erhobenen Kopf, nun bleibt er für immer<br />
geknickt und entsorgt.