dräum | ausgabe 2 | 06/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
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Bellende Geister streunen durch Straßen und Gassen<br />
und lassen die Träume im Gellen zerreißen,<br />
bellende<br />
zerfleischen die ruhigen Herzen der räudigen Hunde<br />
und laden die Teufel von gestern zum Tanz.<br />
Am Morgen fliehen sie die polierten Pflaster<br />
und starren aus den Schatten hinein in die glanzvollen Paläste,<br />
die feine Nase voll von stinkender Erinnerung,<br />
von schimmligen Fährten wohl verscharrter Fundamente.<br />
Bestens versteckt hinter<br />
Vorzeigedingen<br />
und sich blind und blöd<br />
gebenden Wohlgesinnten,<br />
da feiern die Fürsten in schimmernder Rüstung ihren allseits vergessenen Sieg –<br />
sprühen‘s prunkvollste Lärmen gegen‘s mergelnde Knurren.<br />
Nimmersatt erhebt es sich dann im Grauen der Nacht<br />
geister<br />
und schlägt schallende Hauer in dunkelbraune Wohlstandsbäuche –<br />
wühlt frenetisch im feisten Eingeweid' wohl verschluckter Geständnisse<br />
und zeigt sich erbarmungslos gegen beschwichtigende Worte –<br />
nimmersatt, bis die Monstren da endlich im Schäumen der Tollwut<br />
zergeh‘n und für immer ersaufen.
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH RAUSCH<br />
Im ungebremsten Rausch der Worte taumelt‘s<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
durch das Unbekannte, bricht mit jedem Punkt ein<br />
neues Bild vom Schädel auf das Blatt und sucht im<br />
trüben Geistesnebel bisher ungeahnte Kreaturen.<br />
Kein einziges Wort verstanden, man würde doch meinen, in dieser Zug war längst abgefahren, gen Süden, wo es warm ist<br />
Zeiten von Dolby Digital und allem, was uns heilig ist, sollte und man sowieso nichts versteht, wo es aber auch egal ist, weil<br />
eine Durchsage mehr Erhellung in die Köpfe bringen, mehr es eh bloß ums Fressen, ums Saufen, ums Ficken und ums<br />
Erhellung als weißes Rauschen, mehr Erhellung als blanke Schwimmen geht, die Luftmatratzen befeuern sich schließlich<br />
nicht von alleine, und was Nutzloseres als einen unauf-<br />
Ahnungslosigkeit oder düstere Vermutungen – achchun ib<br />
ffgeste, fgrun ssundichen Schterng kn as inie U-schs dezt n geklappten Sonnenschirm hat es sowieso noch nirgends auf<br />
bei richt nu unrglmeig frn ... – ich meine, ja, früher oder später der Welt gegeben – gut, da möge mancher dagegen halten,<br />
kommt man schon drauf, was die meinen könnten – allerspätestens<br />
dann, wenn man vor verschlossenen Zügen und toten eins zu nennen seien, tut aber keiner, denn das Bild von auf-<br />
dass künstliche Fingernägel mindestens ex aequo auf Platz<br />
Gleisen, vor verpassten Gelegenheiten und leeren Gesichtern gebrachten Jüngerinnen der aufgeklebten Krallen, die sich<br />
steht – sorry, heut nicht, haben wir doch durchgesagt – mein zum hasserfüllten Augenauskratzen auf der Straße sammeln,<br />
lieber Herr Gesangsverein, was ist, wenn's ausnahmsweis' um schreckt wohl jeden Kritiker von vornherein hinter’n Schrank.<br />
wirklich was gegangen wär‘?, wenn die Durchsage Tod von Am Montag, ja am Montag, am Montag gehen wir alle heim<br />
Leben trennte?, wenn der Zufall rein zufällig will, dass eben zu unsern Kindern, tätscheln, füttern, hoppern, aber am<br />
jene kryptischen Lappalien Schicksale verändern könnten?, Wochenende, ja am Wochenende, am Wochenende trinken<br />
sollten wir nicht endlich in Betracht ziehen, die Hörenden hörend<br />
zu machen?, High Fidelity dort und da, Lichtfaserkabel, rungen und betreiben Massenmord an Schamgefühlen und<br />
wir Spiritus aus Gummistiefeln, grölen Tiraden gegen Regie-<br />
High End Lautsprecher, Rauschunterdrückung und all der Hirngewinden, das hat man sich verdient, nachdem man<br />
Schnickschnack, könnten wir nicht langsam auch im Öffentlichen<br />
aus den Siebzigern ins audiophile Heute schreiten?, Schicksalsberg versenkt, nachdem man Magister Ludi Josef<br />
siegreich aus Ilion heimgekehrt, nachdem man den Ring im<br />
führt die Nicht-Verstehenden doch endlich heraus aus ihrer Knecht aus dem Bergsee gezogen hat; heilige Maria, da wird<br />
nicht selbst verschuldeten Unmündigkeit, gebt ihnen die man sich wohl noch n’ kleines bisschen amüsieren dürfen.<br />
Möglichkeit, sich vorzubereiten und im unwahrscheinlichen, Am Ende sind wir alle gleich, nur manche sind halt etwas gleicher.<br />
Die Weisheiten des Eisverkäufers gab es immer noch als<br />
aber nicht unmöglichen Falle auf ihr Schicksal, das an euren<br />
kümmerlichen Worten hängt, Einfluss zu nehmen!; veflucht, Extra-Kugel zum Kauf dazu. Serviette zum Einreißen gefällig?<br />
das seid ihr uns schuldig, ihr Nuschler, ihr Stammler, ihr Rauscher,<br />
oh, ihr Krüppel des gesprochenen Wortes! – jaja, so und über’m Kopf einreißt, Versicherung ist überflüssig, mit dem<br />
Nein Danke, da soll mal einer kommen, der mir mein Dach<br />
anders wetterte der Junge am Bahnsteig, sein Pappschild Wind hab ich Kontrakt, mit dem Hagel bin ich Freund, der<br />
und seine Mahnung hochhaltend, versuchend, durchs weiße<br />
Rauschen in den Köpfen der Passanten zu dringen, aber winen trifft man beim Einkaufen und nickt sich zu,<br />
Blitz ist alter Schulkollege, mit der Mure geh ich golfen, La-<br />
Tornados<br />
gibt’s bei uns nicht – hervorragende Ausländerpolitik – und<br />
das Erdbeben, ja, das Erdbeben hat bei uns soviel zu melden<br />
wie unser Bundespräsident; ich mach mir da keine Sorgen.<br />
Das Haus stand also lichterloh in Flammen, als Meier, Maier,<br />
Mayr und Mayer – und wie sie alle heißen bei der freiwilligen<br />
Feuerwehr – beim nächtlichen Grillfest eintrafen – so viel Hitze,<br />
Mann, das brennt vielleicht, besser, wir gehen wieder und<br />
lassen das Profis machen. Alles Gute zum Geburtstag schrie<br />
fünf Minuten vorher Klein-Hannes, sprang mit der kerzenbeladenen<br />
Torte unbedacht durch das Sesselmeer im noch<br />
leeren Gastraum; bald würden sie alle kommen, die Meiers,<br />
die Maiers, die Mayrs und die Mayers – und wie sie alle heißen<br />
vom Stammtisch –, gleich würde die Festgesellschaft das<br />
kleine Familienfest mit Lärmen und Gelächter zur ausladenden<br />
Party-Hölle ausufern; Hannes Senior hatte Tränen in den<br />
Augen, als er das erste Stück vom Kuchen aß, Wasabi?, gewagte<br />
Zutat, aber schmeckt!, doch ja, kann man lassen; jetzt aber erst<br />
mal die Glotze an – Funkenflug zu klassischer Musik, ein herrliches<br />
Schauspiel, selbst für den verwöhnten Schaulustigen.<br />
Zum Frühstück kam der Freier angekrochen, ganz schön harte<br />
Nacht, zwinkerzwinker, die Hure verzog die Winkel zum<br />
gestellten Grinsen, immerhin hatte er bezahlt, da muss man<br />
ihm die Freude lassen; in der Kaffeekanne waren Katzen,<br />
in der Stulle alte Socken, die Butter war aus Kindern, der<br />
Tisch war hyperaktiv, hielt nicht still, Geldverschwendung, er<br />
prügelte ihr das Gesicht vom Kopf, ging scheißen, kam wieder,<br />
nahm sein Geld, zündete die Zigarette an, atmete ein,<br />
atmete aus, atmete ein, atmete aus, durchwühlte alte Hurenfotos,<br />
ging noch mal scheißen, zur Sicherheit, packte seine<br />
Sachen und verschwand.<br />
In. Der. Nacht. Kam der Arzt zum aufgewühlten<br />
Patienten, der machte sich Sorgen noch und nöcher, hätte er<br />
aber gar nicht gebraucht, ist schließlich alles bestens, alles in<br />
Ordnung, wirklich alles gut, sogar das Krankenhausessen –<br />
Moment, das kann doch nicht stimmen, das muss ein Traum<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
sein, bin ich durch die Dimension gefallen?, Du fällst noch,<br />
siehst du nicht das Fallen, das Fallen, das dich umringt?, bist<br />
du zu blind, um das Fallen zu erkennen?, aber dann fällst du<br />
ja auch, oder? – nope, bei uns, in meiner Dimension, ist Fallen<br />
aus der Mode, hier sieht man nur den anderen beim Fallen zu,<br />
das ist viel bequemer und schmerzt nicht so, vor allem beim<br />
Aufprall, naja, wirst schon sehen – Tüdelü, ich muss los! War es<br />
nicht morgens vorhin?, wendet der aufmerksame Zuhörer/Leser/Seher<br />
ein – da kann doch nicht erst Früh und dann wieder<br />
Nacht sein – wissen Sie denn, wie dieser Text Früh und Nacht zu<br />
definieren pflegt?, oder welche Zeit dort gilt, woher all das berichtet<br />
wird? Die Zeit prickelt wie Mokka-Schaum in allen Dingen,<br />
nicht glatt und geschmeidig, rau und wabernd vermuten<br />
sie die Leute, die, die sich damit beschäftigen, die sich Experten<br />
nennen und viele schlaue Gedankengänge zu Zeit und kleinsten<br />
Teilen spinnen; das kleinste aller Teile?, na die Antwort ist<br />
einfach: dein Penis! Hahahahahahahahahahahahahahahaha<br />
hahahHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA HA HA HA HA HA<br />
HA. HA. HA. HA. HA. HA. HA. HA. HA. HA 207 ET – genau so<br />
lautet das Kennzeichen desjenigen Unholds, der heute Nacht<br />
meine Himbeersträucher durch einen gezielten und sicherlich<br />
böswilligen Drift dem Erdboden gleich gemacht hat – sehen<br />
Sie doch, SEHEN SIE DOCH DEN SIRUP!, ÜBERALL SIRUP!,<br />
WELCH EIN MONSTER KANN SO VIEL HIMBEER AUSSIRUPEN<br />
LASSEN!, BITTE, JESUS!; nu ma mit der Ruhe, Señor, der Sirup-Vergießer<br />
hat also das Kennzeichen HA 207 ET, welches<br />
Auto?, ein Antimaterie-Traktor, gut, Farbe?, schwarzes Loch, und<br />
konnten Sie den Fahrer erkennen?, bin mir nicht sicher, sah aus<br />
wie ein weißer Zwerg – Katsching, Katsching, Katsching spielte<br />
die Band, extra fürn Fasching bestellt, hatten sie die vergangenen<br />
drei Wochen alle noch schnell ein Instrument gelernt.<br />
Besonders beliebt: die Triangel – das Klavier durfte schließlich<br />
keiner anrühren, das Schlagzeug auch nicht, die Gitarre gehörte<br />
dem Lehrer, das Tamburin war in ner Vitrine, die Mundharmonika<br />
war eklig, da hatten schon so viele reingeblasen.
Ein Elefant als Hut ist sicher schick,<br />
mehr noch: schwer zu finden,<br />
edel und teuer und viel wert,<br />
einen Elefant zu tragen, das ist schick.<br />
(Finden Sie Ihr feinstes Leder<br />
in allen Farben und Größen,<br />
träumen Sie nicht länger ihr elefantenloses Leid,<br />
kaufen Sie Ihr Leder, extra dick und extra breit!)<br />
Im Club: der Neid – oh, der Neid! –<br />
ob solch schickem neuen Kleid!! – !!! –<br />
Jubel, Freude und Geschrei,<br />
sehen Sie, Sie sind ja doch was wert!<br />
Zuhause in den Kasten, Elefantenmörder!<br />
Ziehst dich aus und bist bloß du,<br />
ohne Rast und ohne Seelenheil.<br />
Trägst andere, weilst dich selber nicht erträgst.<br />
Steh nicht da wie abgestellt,<br />
so mager, dürr und wild entstellt,<br />
bist Krüppel, Wrack, Ekel,<br />
geh bitte schlafen, ich kann dich nicht mehr tragen.
AU-GUS-TIN<br />
Friedrich Augustin Dienstag staunte nicht schlecht, als ihm Doppler auf und prostete zum Karl im Herrgottswinkel, trank<br />
der Notar verkündete, dass der Onkel Karl – Gott hab ihn fleißig auf den Herrn Notar und rieb sich dermaßen energisch<br />
seine dicken Hände, dass beinah ein Wohnungsbrand<br />
selig – ihn, den kleinen Friedrich, als Alleinerben hat einsetzen<br />
lassen. Auf Nachfrage gab der Herr Notar, hinter entstanden wär. Endlich, endlich konnte er die verhasste<br />
vorgehaltener Hand und vermutlich nur, weil der Spritzer<br />
beim Mittagstisch ein bisschen gar zu süffig war, den während der ersten Flasche Wein rief Fritz die Hausverwal-<br />
Hack'n schmeißn und das Leben seiner Träume leben. Noch<br />
Hinweis, dass der Onkel Karl, den der Friedrich zum letzten tung, kündigte die Wohnung und der netten Dame seinen<br />
Mal vor gut einem Vierteljahrhundert über ein Familienfest Auszug an – den er dann auch gleich mit den erstbesten<br />
hat stolpern sehen, der Mitzi, seiner vierten Gemahlin und 2-Mann-plus-LKW für so schnell als möglich veranschlagen<br />
notorischen Intrigenstrickerin, einen dicken Strich durch die konnt‘. Noch die gleiche Woche saß er am Balkon, ein Jahrhundertwendeschlösschen<br />
hinter und die ganze Hauptstadt<br />
Rechnung hat machen wollen, indem er sie komplett aus<br />
dem Testament hat streichen lassen. Der Herr Notar, von unter sich. Wieder und wieder prostete er zum Karl, wieder<br />
Anfang an in den Plan seines Wirtshausbruders Karl gut und wieder und wieder und – wieder und wieder und wieder.<br />
eingeweiht, konnte sich jetzt das leichte Schmunzeln nicht Des nächsten Tags – in Wahrheit anderthalb Wochen<br />
verkneifen, als er das Zettelwerk mit einer exakten Auflistung<br />
der gesamten Erbmasse zum Fritz herüber schob.<br />
leichten Schädels und starken Brands) daran, sich seinen<br />
später – machte sich der Friedrich Augustin Dienstag (trotz<br />
Der war bass erstaunt und plötzlich froh, sich trotz Lebenstraum real zu machen. Der erste Weg ging hin ins<br />
der prekären Lage zwischen sich und seinem Vorarbeiter Handyland am Brunnenmarkt, wo man sich mit Händ‘ und<br />
einen Urlaubstag gezupft und in die 41er Richtung Pötzleinsdorf<br />
gesetzt zu haben. Ein Herrenhaus im Neunzehnten und Wert von 1.000 Euro nimmt – jedes versehen mit ein biss-<br />
Füß‘ darauf verständigte, dass man mobile Siemens im<br />
ein ganzer Batzen Geld – so viel, wie ein Mann in Friedrichs chen Sprechguthaben und einem Schutztascherl, das man<br />
Alter kaum noch auszugeben fähig sein wird – ja, jetzt war er sich an den Gürtel klippst. Der zweite Weg ging hin zum<br />
was, dachte Fritz, und griff sich an die wallende Brust, fürchtend,<br />
hier und jetzt tot umzufallen. Nachdem der erste Schock den und diversen Nicht-Lokalrunden feierte.<br />
Heurigen, bei dem man diesen Teilerfolg mit zwei Lokalrun-<br />
vorüber war, hob er seinen Blick zum hochrot grinsenden Berufs-Schnitzel-Esser<br />
und bat um den Mont Blanc.<br />
nagelneuen Siemens und rügte sie schließlich, sie sollten es<br />
Weitere anderthalb Wochen später suchte Fritz die<br />
In seiner GarÇonnière gut angekommen, riss sich der Fritz den sich bitte abgewöhnen, unter haufenweise Unrat Versteck<br />
mit ihm zu spielen. Ein Stamperl auf den kleinen Schock<br />
und die Angst, er müsse glatt noch mal zum Brunnenmarkt,<br />
dann packte Fritz die Tasche voll und fuhr mit Bim und Bahn<br />
hinunter zum – na, wohin sonst – zum Karlsplatz, um sich<br />
dort dem ersten Augustin-Verkäufer vorzustellen.<br />
Er erwarb von ihm das aktuelle Heft, gab dem verdutzten<br />
Herrn drei große Scheine und machte ihn sich zum<br />
Komplizen. Er reichte ihm ein Handy und empfahl sich, in<br />
den nächsten Tagen würde er sich mit Genau‘rem melden,<br />
bis dahin solle der junge Herr die Arbeit ruhen und die Füße<br />
rasten lassen. So verfuhr der Fritz den Rest der Woche mit<br />
jedem Zeitungstandler den er fand, gab allen einen Lohn,<br />
von dem sie sonst nur träumen hätten können, und verteilte<br />
fleißig Telefone – binnen kürzester Zeit hatte er sich so ein<br />
Netz von Mitarbeitern zugelegt, das sonstigen Organisationen<br />
leicht die feuchten Träum‘ ins Hoserl trieben hätt. In all<br />
der Zeit trug Friedrich ausschließlich seinen feinsten Zwirn<br />
– das war: ein weißes Ober- samt weißem Unterhemd, ein<br />
braun kariertes Altherrnjackett, die immer gleiche Unterflak<br />
und natürlich die geliebte, aus der Erbmasse gefischte, olivgrün-glänzende<br />
Schnürlsamthose des Onkel Karl, die er<br />
angeblich noch beim Baumeln vom Querbalken getragen<br />
haben soll. Als all das endlich anfing, aus eigener Kraft im<br />
Eck zu stehen und sich über 8 Meter bei jedem Mensch mit<br />
Nase anzumelden – als also das Weiß des Oberhemds bloß<br />
noch gelblich-beige Erinnerung war – da sah Fritz nun endlich<br />
seinen ersten Arbeitstag gekommen. Er schlüpfte in den<br />
gut kopierten Straßenzeitungsverkäuferausweis, rief die zum<br />
Rayonsleiter bestimmten Kollegen an und gab Befehl, an<br />
alle übrigen das GO! zu geben. Dann griff er sich einen satten<br />
Stapel Augustins, fuhr – von Vorfreude vibrierend – zum<br />
Schottentor und bezog dort seinen neuen Arbeitsplatz. Am<br />
Dienstagmorgen, um exakt sieben Uhr sechzehn, hallte zum<br />
ersten Mal die gepfiffene Version von „Oh du lieber Augustin“<br />
durch das berstend volle Stationsgebäude, durch den<br />
Lichthof hinauf zur Votivkirche und zur Hauptuni, zum Cafe<br />
Stein und zum Gericht. Wo Friedrichs Pfeifen im Berufstumult<br />
zu verstummen drohte, dort griff es nahtlos in das der<br />
Kollegen über, wurde so zum Rathaus und zum Burgtheater,<br />
zum Michaeler- und zum Stephansplatz getragen, klang<br />
zur Angewandten und zum Donauturm, stach bis hinauf<br />
zum Kahlenberg – und verseuchte langsam Kopf um Kopf,<br />
pflanzte Wurm um Wurm in fremde Ohren, wo sie mit dem<br />
Nervenfraß begannen. Es dauerte ein, zwei Wochen, ehe die<br />
ersten Erfolge von Friedrichs großem Plan bemerkbar wurden.<br />
Die Stimmung in der Stadt war spürbar angespannt,<br />
der Grant der Menschen zunehmend entzündlich – während<br />
die immer gleiche Melodie auf grausamste Art in jedes Gässchen<br />
floss, in alle Fasern Reibung streute und stetig die Wut<br />
der Menschen nährte.<br />
Bester. Job. Ever. dachte Friedrich noch und nöcher,<br />
während sein innerliches Grinsen durch jede wortlose Morddrohung,<br />
die er von entnervten Augenpaaren zugeschanzt<br />
bekam, noch größer und zufriedener wurde. Trotzdem<br />
– und das überraschte ihn dann doch – dauerte es ganze<br />
zweieinhalb Monate, ehe einer der Passanten ihn mit weiß<br />
gespannter Faust um Unterlassung bat, da ansonsten was<br />
passieren würde. Fritz verstummte (im Hintergrund hörte<br />
man „Oh du lieber Augustin“ aus allen Himmelsrichtungen<br />
hallen), blickte dem Herren in die Augen und fragte in gebrochenem<br />
Deutsch: „Augustin?“<br />
Jeden Abend legte Fritz dann seine verquollenen<br />
Füße zufrieden auf das Balkongeländer und freute sich<br />
seines neuen Lebens – alles lief ausgezeichnet und er überlegte,<br />
wie er mit seinem Geschäft in andere Städte expandieren<br />
könnte. Die Erfolge sprachen nämlich Bände: Was man<br />
erst nur aus den Gratiszeitungen, später dann aus Krone,<br />
Standard, Falter, schließlich auch aus Wien Heute und der ZiB<br />
erfuhr, stieg die Zahl der Handgreiflichkeiten in der Hauptstadt<br />
nun beinahe täglich an – und immer seltener konnte<br />
ein triftiger Grund dafür gegeben werden. Im Rathaus diskutierte<br />
man die möglichen Mittel und Wege zur Entschärfung<br />
der Situation, eine Untersuchungskommission mit Namen<br />
„SoKo Friedensstifter“ wurde eingesetzt, man erwog, ob<br />
wohl grüne anstatt roter Fahrradspuren für die nötige Entspannung<br />
sorgen könnten, ob man mehr Begegnungszonen<br />
oder Grünflächen bräuchte, aber lange noch, bevor die<br />
Politik sich auf die ersten Projekte einigen konnte, da kippte<br />
die Stimmung in den Straßen in ein Meer aus Chaos und<br />
Gewalt. Friedrich Augustin Dienstag riss sich seinen Doppler<br />
auf und prostete zur Stadt hinab – und begann vollends<br />
begeistert: „Oh du lieber Augustin, alles ist hin.“
AUF FEUERSCHWINGEN<br />
BRENNT DIE MENSCHHEIT<br />
OHNE RÜCKHALT<br />
WELTEN NIEDER<br />
UND FINDET SICH<br />
AM NÄCHSTEN TAG<br />
– GANZ ENTSETZT –<br />
IN ZELTEN WIEDER.
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
gewesen sein dürften, seltene Momente, möglicherweise gar<br />
RAUSCH<br />
nicht existent, ähnlich wie Nessie, der Yeti, das Wolpertinger<br />
(oder ist das ein Er?) oder der Eros nach griechischem Schöp-<br />
RAUSCH RAUSCH<br />
fungsmythos. Ein Berg von Ameisen schiebt sich Richtung<br />
Supermarkt, Milch haben wir vergessen, extra aufgeschrieben,<br />
und dann vergisst man’s erst wieder; noch mal blöd mit<br />
der Kassiererin schäkern, noch mal alles heimschleppen, ach,<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
n’ Kakao nehmen wir noch, ein paar Gramm Hüftspeck mehr<br />
für’n Winter sind nie verkehrt, bevor die Bikini-Saison kommt,<br />
Das Xylophon schrieb sich mit X und war jedem aus dem kriegen wir das schon wieder runter, kollektives Bewusstsein,<br />
Deutschunterricht verhasst, Flöten verschwanden laufend in ein lustiger Gedanke, ich weiß, was meine Vorfahren wussten,<br />
Schritt um Schritt, die Pauken und Trompeten lagen nach wie ich weiß, was mein Nachbar weiß, ich weiß, was ein Chinese<br />
vor bei Paul und Peter – ja, und der Bass, der wurde permanent<br />
gedropped – Katsching, Katsching, Katsching hallten die miteinander verbunden, manche nennen es Instinkt, andere<br />
im Kindergarten weiß, irgendwie sind wir angeblich doch alle<br />
leeren Patronenhülsen durch die kalt leuchtende Leichenhalle Reflexe, andere nennen es Überlieferung – ich habe mich<br />
– so trifft man sich also immer zweimal im Leben, das sollst du schon manchmal gefragt, welche armen Tropfe für unsere<br />
mir büßen, du Schuft. Vielleicht heute mal einen Rostbraten, Liste der tödlichen und fast-tödlichen Lebensmittel verantwortlich<br />
waren; jedes dieser Exemplare wird vermutlich eines<br />
mit Knödel und mächtig Saft, oder panierte Champignons<br />
mit Sauce Tartar, ein paar Kalorien dürfen es schon sein, oder Tages von irgendwem gekostet worden sein, daneben stand<br />
doch ein Cordon Bleu mit Pommes und Ketchup und 80er einer und notierte: führt zum Tod, nicht zum Verzehr empfohlen<br />
– schon lustig. Ohne Umschweife sag ich’s heraus: Es<br />
Mayo, zu blöd, dass ich im Wachkoma lieg, vielleicht kann ich<br />
per Telepathie bestellen, müsste nur noch die Schwester vorkauen,<br />
von der würd’ ichs nehmen, wie ein junger Vogel von egal, was wir investieren, früher oder später wird Physis und<br />
gibt keine andere Richtung als jene Richtung Tod, so oder so,<br />
seiner Mama, würg’s mir in den Hals, Baby, nur mal nicht so Psyche getrennt; ob Psyche eine Zukunft hat, nun, das gehört<br />
schüchtern, ach verdammt, wieder nur Nährstoffe aus’n Tropf, der Metaphysik, der Religion, dem Aberglauben – wir, die wir<br />
was für eine Enttäuschung, zu blöd, wenn nur man selbst, nicht gewillt und in der Lage sind, uns an derlei Hokuspokus<br />
zu verschenken, wir bleiben zurück mit einer Ahnung von<br />
aber nicht die anderen der Telepathie mächtig sind, da kann<br />
man gleich mit einer Wand flirten. Nach dem Essen sollst du Dunkelheit. Fröhliche Dinge, ja, fröhliche Dinge sollst du denken;<br />
von Ponys und Zirkuszelten, mach putzige Tierchen mit<br />
rauchen oder eine Frau missbrauchen, hast du beides nicht<br />
zur Hand, bohr ein Loch und fick die Wand – derlei Sprüche deinen Gedankenstrichen, mal Süßigkeiten in die Wolken,<br />
schwirrten durch meine Jugend, an jeder Ecke konnte man beschwöre Niedliches, denke an die schattenfreie Liebe, sei<br />
Weisheiten solcher Natur zum Besten kriegen, auch Neger, ein unbändiger Romantiker, setz dich in Wiesen, ohne gleich<br />
putz ma d’ Schuach oder Bring di um, du schwule Sau waren<br />
einige der jugendlichen Glanzstücke, die man zu hö-<br />
entert und in Besitz nimmt; steig ins Flugzeug und träume<br />
an Ameisenurin und krabbelndes Getier zu denken, das dich<br />
ren bekam; da muss man erst raus aus dem angeborenen von fernen Zielen, von wunderschönen Stränden und fremden<br />
Kulturen, ohne daran zu denken, dass dein nächstes Ziel<br />
Sprachraum, um das Ausmaß der verbalen Verdorbenheit zu<br />
verstehen; wo das Leben anfängt, hört die Leichtigkeit auf, ein Flugzeugwrack im Atlantik sein könnte; denke nicht an<br />
bloß mit viel Glück kann man Momente der gedanklichen den Eisbären, ja, vermeide ihn – so lebt es sich doch gleich<br />
Schwerelosigkeit erleben, wie sie einem vor der Geburt Alltag um Hausecken schöner, nicht wahr? Mit Poltern und Krachen<br />
drangen die Gedankenpolizisten in das besetzte Haus ein,<br />
Francis – du geht’s mit Marc in den ersten Stock, Sutcliffe und<br />
Merryweather – ihr nehmt euch den Keller vor, wenn ihr wen<br />
trefft, der nicht ins Denkschema passt, trefft ihn noch mal, und<br />
vielleicht noch mal zur Sicherheit – und denkt dran, anfangs<br />
auf die Brust zielen, dann erst auf den Kopf; man muss da auf<br />
Nummer sicher gehen, sonst entfleuchen die rebellischen<br />
Gedanken gar noch Richtung Notizblock oder Twitter oder<br />
Blog oder sonst noch so nen Freidenkerquatsch – auf auf, ins<br />
Gefecht Jungs, sind ja nicht zum Spaß hier. Im ersten Stock<br />
tanzten die Feigenbäume Lambada, zwei Ostereier machten<br />
Limbo; im dunklen Eck sprach Morrison mit Warhol, Félicien<br />
Rops kreierte Gestalten, die den DJ unterstützen sollten;<br />
an manchen Wänden saß Schimmel, der sich amüsierte,<br />
aus der Nebelmaschine kamen Gespenster, allesamt Mitglieder<br />
in der Geschreckschaft Wiener Neudorf, organisiern,<br />
organisiern, organisiern, vor allem, wenn man keine Organe<br />
mehr hat, eine Lektion, die mir mein Großvater eines Tages<br />
vom Sterbebett aus mitgegeben hat – mehr hat leider nicht<br />
rausgeschaut, das großzügige Erbe ging an seine sechzehn<br />
Katzen, derer fünfzehn nach und nach aus ungeklärten Umständen<br />
verstorben sind – Nr. 16 hat sich dann mit dem Geld<br />
ins Ausland abgesetzt, verbringt, soweit ich weiß, die meiste<br />
Zeit auf einer Yacht in unbekannten Gewässern und pratzelt<br />
nach den golden schimmernden Fischen.<br />
Kostbare Geschmeide<br />
Von blendender Erhabenheit<br />
Am rauen, bittern Hals<br />
Der fehlenden Erbaulichkeit<br />
Stein um Stein verliert sich<br />
Im strauchelnden Gespräch<br />
Neue Perspektiven wenig<br />
Alte Laster immerlich<br />
Gib Preis was dich zerreißt<br />
Friss auf was dich zersetzt<br />
Geh hinein<br />
Mach auf<br />
Sag ja<br />
Gut<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
Ein Trichter führt in die Ewigkeit, oben hinein gegossen alles<br />
Licht und aller Schall und alles, was das All so hat – am<br />
andren Ende ein Ding, das wir nicht kennen, nicht verstehen,<br />
auch leider nie verstehen werden, denn wenn dort die Zeit<br />
so dicht gepresst, dass Licht sie nicht durchdringen kann, wie<br />
es vorm Urknall mal gewesen ist, wenn absolute Dunkelheit<br />
in absolutem Stillstand schwebt, was können dort Gedanken<br />
wirken?, wie soll da ein Mensch, wo das Universum machtlos<br />
scheint, mit seinen Mitteln punkten? Also nicht so viel geschwafelt<br />
und mehr dafür gelacht, Trübsal blasen macht weniger<br />
Spaß als Seifenblasen blasen, denn auch wenn Trübsal<br />
schimmern mag, so sind es doch die dunklern Farben, die<br />
das Licht der Schwermut strahlen lassen – hinaus in die blitzblaue<br />
Welt, die grundlegenden Fragen ins Magazin geschoben<br />
und sauber zugesperrt, den Schlüssel fein säuberlich<br />
beim Therapeuten des Vertrauens deponiert, mit Skateboard<br />
und Erektion die Frühlingsluft gesogen, Vertretern des begehrten<br />
Geschlechts ein wenig nachgepfiffen, gelegentlich<br />
in Geldbeutel gegriffen, hier was kaufen, da was kaufen, im<br />
Pub mal einen saufen, ne ordentliche Schlägerei vom Zaun<br />
gebrochen und noch saftig nachgelangt, dann heim und<br />
unters Bett gelegt, dem Staub zur guten Nacht erzählt, den<br />
Wecker an die Wand geschmissen, Notizen von vorhin fein<br />
säuberlich zerrissen, Megaphon gepackt und ordentlich laut<br />
durchgekackt, damit’s auch jeder mitbekommen hat, dann<br />
Sachen packen, Gas abdreh’n, mit Tschick und Koffer an<br />
der Haltestelle stehn, den Postler freundlich auf dem Fahrrad<br />
grüßen, mit Schwung in den Müll gegriffen, Frühstück<br />
muss ja sein, in die Bahnhofshalle und den Zug hinein, der<br />
Landschaft freundlich durch die Scheibe winken, schläfrig in<br />
den Sitz rein sinken, gen Abend wieder aufgewacht, im Radio<br />
wird nix mehr deutsch gequatscht, die Reise läuft ganz angemessen,<br />
die Hose ist zwar abgesessen, aber noch ist nichts<br />
gerissen, endlich da, man glaubt es kaum, los gerannt und<br />
raus gesprungen, freudig alles angeschaut, dem Taxler fremdes<br />
Geld gegeben, vom Fluchen checkt man eh kein Wort,<br />
mit neuem Mut ins Hostel rein, nachts alles klauen was liegt<br />
so fein, so geht das eine Woche dann, der Hehler zahlt, der<br />
Heller glänzt, langsam geht’s, langsam kann man leben ...
DIE<br />
EINEN<br />
WOLLEN<br />
SO VIEL<br />
WIE<br />
MÖG-<br />
LICH<br />
DIE<br />
ANDEREN<br />
SO VIEL<br />
WIE<br />
MÖGLICH<br />
FÜR SICH<br />
BEHALTEN
MACHT<br />
BEWEIS<br />
Die knöcheldicke Schraube ächzte mit viel Widerwillen in die<br />
Verankerung, die man zuvor haushoch in den knochenharten<br />
Grund getrieben hatte. Ein Arbeiter kniete und drehte, kniete<br />
und drehte, kniete und drehte, ein anderer stabilisierte das<br />
gut anderthalb Meter lange Stahlrohr in Richtung wolkenlosem<br />
Wüstenhimmel. Hinten, da beim Truck, da lagen noch<br />
zwei von den Exemplaren, dösten im Schatten und warteten<br />
auf Befehl, die anderen zwei Stahlstangen zu bringen. Zusammen<br />
würden die drei Streben – einmal im Boden fixiert<br />
– einen stabilen Tripod bilden, an dessen Spitze schließlich<br />
eine majestätische Kugel aus gelbem Verbundstoff thronen<br />
würde. Neben dem Truck stand der Offizier und unterhielt sich<br />
mit dem Pyrotechniker. Hin und wieder unterbrachen sie ihr<br />
monotones Rauschen und besahen sich den Fortschritt der<br />
Lakaien. „Zwölf Minuten, Jungs, dann sind wir live. Falls ihr es<br />
nicht hinkriegen solltet – ihr wisst ja – dann wartet der Kübel<br />
auf euch! Also, wischt euch gefälligst den verschissenen<br />
Staub aus der Arschritze, setzt euer unhässlichstes Grinsen auf<br />
und kommt endlich in die Gänge, wir machen hier immerhin<br />
Staatsfernsehen, verdammt noch eins!“ Endlich sahen auch<br />
die Schattenhocker ihre Pause als beendet an und huschten<br />
mit dem zweiten Stahlrohr unter der zufrieden grinsenden<br />
Schnute des Kommandanten davon. Währenddessen zündete<br />
der sich geistesabwesend die Nächste am Rest der Vorigen<br />
an. Der Pyrotechniker lehnte dankend ab – er würde später,<br />
nach der großen Show, eine fette Illegale inhalieren.<br />
Mit einem breiten Grinsen besiegelten die beiden ihre<br />
lausbübische Komplizenschaft – das Handelsembargo zu<br />
brechen, geziemte sich besonders unter Staatsbediensteten<br />
so ganz und gar nicht, war den beiden allerdings in den<br />
vergangenen Jahren zum gemeinsamen, wohl behüteten<br />
Ritual geworden –, dann berührte der Techniker seinen Kappenschirm<br />
und drehte sich auf der Hacke um hundertachtzig<br />
Grad. In übertrieben militärischem Schritt marschierte er, sich<br />
und seine ganze Zunft parodierend, zur gigantischen Kanone,<br />
die da selbstbewusst im brüllenden Sonnenschein blinzelte.<br />
Er tätschelte ihr den Arsch und schritt das 5 Meter 78 lange<br />
Stahlrohr entlang, blickte vorne in den nachtschwarzen, gut<br />
einen dreiviertel Meter messenden Schlund und gestand<br />
dem riesigen Gerät im Flüsterton seine grenzenlose Zuneigung.<br />
Nachdem sie ihm das Bekenntnis hallend zurückversichert<br />
hatte, schritt er die 5 Meter 78 auf der anderen Seite<br />
wieder zurück zum Hinterteil des mächtigen Bombers, strich<br />
sachte mit seinen heißen Fingern über den glühenden Lack<br />
und folgte den Kabeln bis zum Zündkoffer.<br />
2 - 9 - 5 -1 - 6 – access granted.<br />
Die Steuereinheit meldete keine Auffälligkeiten.<br />
Technisch war also alles startklar, jetzt müssten nur noch die<br />
Menschen ihren Job machen. Ein Blick auf die Uhr, dann<br />
zum Tripod – 7 Minuten und das dritte Rohr ist so gut wie<br />
aufrecht. Jaja, der Kübel ist halt immer ein abschreckend<br />
guter Motivator, ging es dem Techniker durch den Kopf, ehe<br />
er den Blick zum Kommandanten schob. Die beiden nickten<br />
sich zu, der Kommandant kommandierte etwas ans Ende<br />
des Trucks, keine zehn Sekunden später rumpelte es mächtig<br />
im Frachtraum. Vier Mann, bisher im Inneren des Trucks<br />
Karten spielend, hievten eine enorme Transportkiste von<br />
der Ladefläche, ließen sie in den Staub plumpsen und verschnauften<br />
kurz. „Küüübeeeel ...“, ließ der Kommandant verspielt<br />
in ihre Richtung klingen, dann spannten sich wieder<br />
die Oberarme und die Kiste machte sich auf den Weg zum<br />
Kanonenschlund. Man traf sich dort, der Kommandant, der<br />
Pyrotechniker und die Kiste. Man nickte den Lakaien, den<br />
anderen beim Montieren der Kugel zu helfen, dann lauschte<br />
man genüsslich den Klängen der aufgebrachten Kiste.<br />
Genauer: dem panischen Geschrei des eingepferchten<br />
Ebers, der sich seiner letzten Minuten irgendwie bewusst zu<br />
werden schien. „Du kommst gleich dran“, lachte der Offizier,<br />
„nur keine Eile, du fettes Schwein!“ Gemeinsam lachte man,<br />
teils übertönte man das arme Tier, dann wurde man wieder<br />
ernst. „Zwo dreißig, Männer. Seid ihr fertig? Ich will nicht telefonieren<br />
müssen, um uns mehr Zeit herauszubetteln. Ich<br />
hoffe, das ist euch bewusst.“ Sieben der Männer machten<br />
ein paar Schritte rückwärts von der Konstruktion weg, drehten<br />
sich dann und kamen im leichten Galopp zur Kanone.<br />
Der achte polierte ein letztes Mal über die strahlend gelbe<br />
Kugel auf ihrem glänzenden Thron. „Alles montiert und<br />
überprüft, Sir, von unserer Seite kann‘s losgehen, Sir!“ „Gut“,<br />
hob der Kommandant an und blickte erwartungsvoll zum<br />
Pyrotechniker, „dein Auftritt.“<br />
„Na dann, Jungs, wenn ich bitten darf: Durchladen<br />
und entsichern! In fünfundvierzig möchte ich startklar<br />
sein.“ Noch im Umdrehen vernahm er das „Jawohl, Sir!“<br />
und machte sich auf den Weg zum Zündkoffer. Vier der Lakaien<br />
begaben sich zur Kamera und der angeschlossenen<br />
Sendestation, die vier übrigen brachen die Transportkiste<br />
auf und schreckten kurz vom bestialischen Gestank zurück,<br />
der ihnen entgegen schlug. Nachdem man den Brechreiz<br />
wieder hinunter geschluckt hatte – man war schließlich Profi<br />
und wollte sich vor den Umgebungskameras, die wie immer<br />
alles genau dokumentierten, nicht zum Idioten machen<br />
(und schon gar nicht den Kübel riskieren ...) –, packte >>>
man den Eber an allen vieren und lagerte ihn im Wüsten-<br />
dingungsloser Kampfbereitschaft ––– mit überwältigender<br />
sand zwischen. Zur besseren Handhabung klebte man je<br />
Heereskraft und dem unbedingten Segen Gottes ––– in<br />
die vorderen und die hinteren Läufe mit silbernem Tape<br />
voller Härte ––– ohne Rücksicht ––– um jeden Preis –––<br />
aneinander (dabei wurde das panisch quiekende Maul be-<br />
und ohne Umweg vergelten.“ Wieder brüllt die Halle vor<br />
wusst ausgespart, denn mehr Lärm heißt immer auch mehr<br />
Begeisterung. „Und um ganz klar zu machen, mit wem<br />
Sex, heißt es immer und immer wieder im Medientraining)<br />
sich unsere Widersacher anzulegen drohen, habe ich von<br />
und hob das sich windende Tier zur gierigen Öffnung. Arsch<br />
meinen engsten Vertrauten eine kleine Demonstration in<br />
zuerst verfrachtete man das Vieh in die Kanone, schob ein-<br />
die Wege leiten lassen, eine Demonstration unserer mili-<br />
mal fest an und gab dann das Zeichen für die Hydraulik.<br />
tärischen Stärke. Kommandant, können Sie mich hören? “<br />
Überraschend agil richtete sich das metallische Ungetüm<br />
nach oben, bis das Schwein von selbst ans hintere Ende<br />
Auf riesigen LCD-Monitoren, die die opulente<br />
glitt. Dann nahm man das strahlend gelbe Ziel ins Visier<br />
Bühne halbkreisförmig umstanden, wechselte das Bild von<br />
und ging auf Standby: „Jetzt gilt es, meine Herren, Kamera<br />
einer wehenden Flagge hin zum Wüstenschauplatz, mittig<br />
geht auf Übertragung! Sobald ich über Funk das Signal be-<br />
die Überblickskamera, rechts die Kanonenmündung und<br />
komme, solltet ihr eure von Inzucht deformierten Schädel<br />
links die strahlend gelbe Verbundstoffkugel im Close-Up.<br />
einziehen! Zehn Sekunden!“<br />
Über die haushohen Lautsprecher drang die Stimme des<br />
Kommandanten: „Einen gesegneten Nachmittag, Sir! Ich<br />
„... diese gotteslästerlichen Barbaren glauben doch<br />
höre Sie klar und deutlich, Sir!“ – „Gut, dann spannen Sie<br />
allen Ernstes, liebe Wählerinnen und Wähler, sie könnten<br />
uns nicht länger auf die Folter, erhellen Sie uns.“ –“Sehr<br />
uns, ja, UNS einfach so überrennen! Uns und unsere Kultur<br />
wohl, Sir!“ Kurz froren alle Beteiligten zu Statuetten, sowohl<br />
der ihren unterwerfen, uns vom Antlitz dieser Welt löschen<br />
auf den Monitoren als auch im Saal, dann machte der Kom-<br />
wie eine nicht geglückte Gleichung – eine Krankheit! Aber,<br />
mandant erst mit seinen Lakaien an der Kamera, dann mit<br />
liebe Wählerinnen und Wähler, liebe Buben und Mädchen,<br />
dem Chef der Pyrotechnik Blickkontakt. Man vernahm das<br />
punkts zu werden: Dank Laserzielerfassung und computer-<br />
meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Saal und<br />
gegenseitige Nicken, dann krachte wieder der Funk in die<br />
gesteuertem Hydraulikrückstoßausgleich traf das Projektil<br />
zu Hause vor den Bildschirmen: Gott ist mein Zeuge, dass<br />
Halle: „T minus fünf Sekunden - (immer stiller wird es) - vier<br />
exakt mit seiner Schnauze auf das angepeilte Ziel. Der träge<br />
wir uns niemals diesen grausamen Schlächtern unterwer-<br />
- (stiller und stiller) - drei - (ein Kind schreit) - zwei - (seine<br />
Rest, der hinten folgte, schob sich mit der Geschwindigkeit<br />
begann, dass die kanariengelbe Kugel völlig unbeeindruckt<br />
fen werden. Dass wir uns niemals, ich wiederhole, dass wir<br />
Mama sagt ‚Shhh!‘) - FEUER!“<br />
eines Kampfflugzeuges weiter vor, zwang also Fleisch und<br />
immer noch am Tripod thronte (dank Antihaftbeschichtung<br />
uns NIEMALS aus unseren Städten und unseren Häusern<br />
Knochen und andere biologische Materie, sich den Gege-<br />
sogar lupensauber und wie neu) da gab es im Publikum<br />
und unseren Kirchen werden vertreiben lassen. Denn wer<br />
In einem gigantischen Mündungsblitz schiebt sich<br />
benheiten anzupassen – kurz: das ärmste aller Schweine<br />
kein Halten mehr, man fiel sich in die Arme, küsste sich<br />
auf unseren gesegneten Feldern Blasphemie und Gewalt<br />
eine Feuerwand aus dem schwarzen Maul der dicken Betty,<br />
zerbarst zu einem Meer von Blut und Brei und Splittern, um<br />
voller Begeister- und Erleichterung und dankte Gott im<br />
sät, der wird Gotteszorn ernten!“ Zehntausende schweißnas-<br />
zuvorderst tanzt das Schwein mit weit aufgerissenen Äuglein<br />
sich dann wie glitzerndes Konfetti über die öde Landschaft zu<br />
Himmel, dankte ihm für diesen seinen Machtbeweis, der<br />
se Handflächen zollten den Worten frenetischen Beifall.<br />
und brutzelnder Haut, die Ohren flackern in Überschall und<br />
verteilen.<br />
nun, da der oberste Befehlshaber der Nation auf Händen<br />
„Jeden Schlag, der gegen uns getan wird, meine Mitbürge-<br />
das Fett wirft nach hinten Wellen, der Druck lässt Wüsten-<br />
durch die Halle getragen wurde, in Dauerschleife über die<br />
rinnen und Mitbürger ––– den werden wir tausendfach und<br />
sand zu Wänden werden, die links und rechts die Flucht<br />
Als sich schließlich – nach Momenten des Bangens<br />
Monitore lief, um wieder und wieder in Zeitlupe zu zeigen,<br />
abertausendfach ––– mit modernster Kriegstechnik und be-<br />
antreten, vermutlich, um nicht Zeuge des nahenden Höhe-<br />
– durch den Nebel der Körpersäfte langsam abzuzeichnen<br />
zu welch glorreichen Taten man in solchen Zeiten fähig sei.
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH RAUSCH<br />
gegen die Pest, ja, die gibt’s wieder, weiß nur noch keiner,<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
aber die Welt wird’s früh genug erfahren; da tropft Eiter aus<br />
Beulen, aber wir wollen hier ja keinen auf Camus machen,<br />
fehlt auch die Geduld, ein Neuzeit-Pestdrama so ergreifend<br />
auszugestalten, jedenfalls stirbt das Kind, nachdem es still<br />
Ja, wär da nicht die Krebserkrankung, die ohne Zutun und schweigend mehrere hundert Todesurteile ausgestellt hatte,<br />
an innerer Überhitzung, verbrannt, gekocht. So sind die<br />
ganz im Stillen sich langsam in dein Hirn rein frisst, dir lange<br />
vormacht, dass außer eitel Sonnenschein nichts ist, dich Garnelen definitiv am besten, in Chili-Safran-Sud gekocht,<br />
dann zerbricht und ohne Rücksicht in die Stille wirft – das da kannst gleich noch einen Teller bringen. Nö, Nudeln hab<br />
kann man doch nicht wissen, und wenn is auch egal, das Hier ich reichlich sagte der Nudelverkäufer zum Nudelvertreter,<br />
und Jetzt ist wichtig, nicht das Bald und Morgen, mit diesen der steht auf der Hydraulik-Rampe seines Trucks und deutet<br />
Sorgen möchte ich ein Ende machen, lasst mich fliegen, liebe auffordernd auf die 2 Tonnen Teigwaren, die er heut noch an<br />
Sachen, ich geh jetzt mal Urlaub machen. Da kommt auch den Mann bringen muss; morgen soll er Reifen verkaufen,<br />
schon der Eiswagen, dingelingelingeling, dingelingeling, da braucht er sicher keine Nudeln mehr an Bord; aber der<br />
finster schaut der Typ drein, wie ein Häf’n Bruder, tätowiert Nudelverkäufer stellt sich etwas störrisch, macht bald abfällige<br />
Bemerkungen über die Nudel des Vertreters, das Ziel: ihn<br />
von oben bis unten, dem kauf ich kein Eis ab, aber heiß is’<br />
so, vielleicht nur ein kleines, Vanille, ja, Vanille, gute Vanille, los werden, man hat ja nicht ewig Zeit, da blöd rumzustreiten;<br />
echte Bourbon, vielleicht auch ein Stück Erdbeer dazu; was der Vertreter muss kurz telefonieren, in seiner Sprache, die<br />
soll’s sein, gnä Frau, Alsoooo, Vanille, Erdbeer, Schoko, Heidelbeer,<br />
Giotto, Zitrone, Red Bull, Malaga, Stracciatella, Tiramisu, bald ins Haus steht. Lollipop, Lollipop, Lollilollilollipop singt<br />
der Verkäufer nicht versteht, drum ahnt der gar nicht, was ihm<br />
Baileys, Nougat, Cookie, Bubble Gum, dazu noch Pfirsich, Honigmelone,<br />
Himbeer, Haselnuss und – huiuiui – ne Waffel, ordentlich zu ver<strong>ausgabe</strong>n für ihre Karriere, 23 und schon<br />
das Starlet am kleinen Fernseher hinten im Eck, scheint sich<br />
zum gleich essen?, was sonst?, schon gut schon gut, braucht solche Tränensäcke?, kommt vom vielen Weinen, merkte der<br />
n Zeitl, vielleicht wollen Sie währenddessen Zeitung lesen? Hundetrainer an, schon beim vierten Bier, den Beagle zwischen<br />
den Beinen schlafend, ja, so verbrachte er die Nachmit-<br />
Mord und Totschlag, große und kleine Lügen, Skandale, Enten,<br />
Jahrhundertkatastrophe – ah, da ist die Society, von A bis tage immer hier, speziell nachdem die Frau entfleucht war,<br />
Z alle Promis aufgelistet, schön schön, schön zu sehn, dass mit dem Sporttrainer, eine soziale Stufe höher also, trainiert<br />
auch das Geld vom Schwachsinn nicht kuriert, hässliches Menschen und nicht Viecher, da verdient man ja auch zwei<br />
Kleid, die Nase ist gemacht, hätt auch gern so’n Busen, was, Euro mehr die Stunde, und mit diesen zwei Euro mehr pro<br />
die Schlampe mit dem Schnuckel?, meine Güte, die hat aber Stunde stehen sie am Wochenmarkt und kaufen ordentlich<br />
ne Wampe gekriegt, sollte da dringend was machen lassen, ein, ein paar Artischocken hier, ne Paprika oder zwei da, eine<br />
Zwillinge sind noch lange keine Ausrede, sich anderthalb Wochen<br />
so gehen zu lassen, immerhin schulden die uns was, so schön, und unser Geld können die auch gut brauchen, ein<br />
Handvoll griechischer Oliven, dort scheint die Sonne immer<br />
wir haben sie berühmt gemacht, wir sind sozusagen deren Kilo Hummus, dazu Fladen und Antipasti, multikulti will man<br />
Chefs. Am anderen Ende der Welt kämpft ein kleiner Junge schließlich sein, von Welt, wie man so schön sagt, und wie<br />
ginge das leichter, als die ganze Welt kulinarisch an einem<br />
Tisch zu versammeln; währenddessen trägt das Rinnsal Wien<br />
ein paar Tropfen aus der Stadt, wohin, das weiß ich jetzt nicht,<br />
dazu müsste ich nachsehen, aber das ist auch nicht der springende<br />
Punkt, raus, raus ist die Devise, raus aus der Stadt, aus<br />
dem Autolärm und Menschendreck, aufs Land, wo’s schön<br />
ist, wo die Bauern noch mit giftiger Chemie düngen, wo Existenzen<br />
im Keller aufgehoben werden, wo Menschen einfach<br />
noch genauso sein dürfen, wie sie sein wollen, außer sie sind<br />
schwul oder schlau oder agnostisch oder sonst irgendwie<br />
anders als der Rest, der sich am Stammtisch und bei der<br />
Feuerwehr, am Beichtstuhl und beim Kaffeekränzchen trifft,<br />
allesamt spielen mindestens ein Blasinstrument, falls in der<br />
Kapelle mal ein Platz vakant wird, ja, da am Land, da hat das<br />
Leben halt noch seine Qualitäten.<br />
An der Treppe steht Marie, blickt zu Georg, der blinzelt<br />
durch die Dunkelheit, sieht sie erst nicht, fragt Marie?, sie bleibt<br />
stumm, wartet ab, was nun geschieht; Marie?, kein Mucks, Ah,<br />
Marie!, heiß ist’s heut, kann ich ein Glas Wasser haben?, immer<br />
noch kein Wort; er geht langsam auf sie zu, versucht sich zu erklären,<br />
was sein Antrieb war und was er dachte und dass er bereue,<br />
sie aber blieb stumm, bohrte durch ihn durch, er umarmte<br />
sie, Marie zerfiel zu Staub, vorher war Sie noch ein Häufchen<br />
Elend, jetzt bloß noch ein Häufchen, das zögerlich durch Ritzen<br />
im Parkett rieselte; er, der Georg, der Betrüger, Lügner, Mörder,<br />
sah sich als verantwortlich, sah sich als das Monster, das er im<br />
Blick Maries vorhin erkannt hatte, das ihm jeder Spiegel bis<br />
heute im Verborgnen behalten hatte; er warf sich auf die Knie,<br />
schaufelte mit beiden Händen Marie in seinen Mund, schluckte<br />
Pfund um Pfund, unterbrach sich um zu schluchzen, würgte,<br />
fraß weiter und weiter, ging in den Keller um die Axt, riss mit<br />
hartem Hieb Diele um Diele vom Estrich, leckte Staub von allen<br />
Kanten, ging auf die Brust und saugte mit gespitzten Lippen<br />
das, was unten lag, selbst der Staub schien noch zu trauern,<br />
er schmeckte nach Schwermut und Depression; dann begann<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
das Warten, das lange, schmerzliche Warten, das Warten auf<br />
die tödliche Wirkung des bitteren Gifts, dass das Granulat der<br />
grässlichen und grauenhaften Gram ihm das Innerste zerätzen<br />
würde, dass er am selben Schmerz zu Grunde ginge, der ihm<br />
die Liebe seines Lebens zu Staub gemacht hatte; er wartete, bis<br />
er tot war, in der Zwischenzeit brachen andernorts die Kriege<br />
aus, die ihn schließlich im Flammenmeer zu Staub zerfallen<br />
ließen. Leere Lagerhallen, loser Putz, ein Schlagzeug mitten im<br />
Raum, Tropfen von oben schlagen gleichmäßig im Takt, auf den<br />
Einsatz der Gitarre wartet man vergebens; draußen stehen karge<br />
Bäume, lange keine Blätter mehr gesehn, in der Erde rührt<br />
sich nichts, das Bienennest verdorrt, Kinderschaukeln vom Rost<br />
zerfressen, kilometerlange Kolonnen, kein Hupen in der Stille;<br />
Rolltreppen seit langem bloß noch Treppen, mit spitzen Krallen<br />
jeden Sturz bestrafend, keiner stürzt, alle sind bereits gefallen,<br />
die Läden leer und voll mit Andenken, die Zeit scheint still zu<br />
stehen, wäre da nicht der immergleiche Takt des Schlagzeugs,<br />
der durch die zerborstenen Scheiben auf die Höfe dringt; tropfender<br />
Leichensaft.<br />
Noch schnell eine Runde Darts gespielt, dann geht’s<br />
wieder heim. Am Weg liegt eine Kugel, eine Melone auf, sieht<br />
adrett aus. Im Kern der Erde glimmen die Elemente, ein Feuergnom<br />
steht unter Druck, da quatscht ihn der Falsche von der<br />
Seite an. Viele Zahnstocher feiern ne Orgie, machen Koks und<br />
Ecstasy, borgen Fröhlichkeit vom nächsten Tag. Eine silberne<br />
Uhr liegt auf dem Tisch, Schinkenfleckerl waren gut, aber zu<br />
viel, das Notebook nimmt bereitwillig eigenartige Sachen auf,<br />
im Börserl ist nicht viel, der Pfefferstreuer denkt drüber nach,<br />
wie er endlich, nach so langen Jahren, das Herz seiner salzigen<br />
Liebsten gewinnen könnte; auf der Speisekarte steht Zander<br />
mit Augäpfeln, Braten vom Satan, Würschtel mit Mumu-Saft,<br />
ein Reißverschluss verheddert sich, fühlt sich hin und her gerissen,<br />
beißt sich die Zähne an dem anspruchsvollen Stoff aus,<br />
vorbei die Zeit vom erhobenen Kopf, nun bleibt er für immer<br />
geknickt und entsorgt.
ücken<br />
brand<br />
Die Brücken die brennen lichterloh in alle<br />
Richtungen der Himmel und ertränken die<br />
falschen Freunde in bitterschwarzem Rauch<br />
– die keifen und schimpfen und lecken sich<br />
lauthals ihre angesengten Egos, die brüllen<br />
ob der abgebrannten Güterwege, über die<br />
sie – so köstlich – ihre leeren Leben füllten,<br />
und wünschen nun dem Ausweglosen auf<br />
seiner Insel alles Schlechte – der hockt mitten<br />
drin im reinigenden Knistern und genießt<br />
die unendliche Erleichterung. Später, wenn<br />
das Feuer gelöscht hat, was jahrelang ganz<br />
fürchterlich gebrannt, dann baut er sich aus<br />
heißer Asche Flügel, die ihn zu Neuem tragen.
<strong>dräum</strong> – ein periodikum<br />
Medieninhaber, Verleger, Herausgeber und Redaktion: Andreas Leonhard Hilzensauer<br />
Ausgabe 2 | Erscheinungsdatum: Juni <strong>2015</strong> | 1. Auflage<br />
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