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NomosFormulare<br />
Eiding | Hofmann-Hoeppel [Hrsg.]<br />
Verwaltungsrecht<br />
Schriftsatzmuster und Erläuterungen |<br />
Materielles Recht | Verfahrensrecht<br />
Nomos
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NomosFormulare<br />
Prof. Dr. Lutz Eiding |<br />
Dr. iur. utr. Jochen Hofmann-Hoeppel [Hrsg.]<br />
Verwaltungsrecht<br />
Schriftsatzmuster und Erläuterungen |<br />
Materielles Recht | Verfahrensrecht<br />
RA Prof. Dr. Ralf B. Abel, Datenschutzbeauftragter, Hamburg | RA Dr. Eberhard Ba<strong>de</strong>n, FAVerwR,<br />
FABauArchR, Bonn | RA Dr. Jochen Bernhard, Stuttgart, Lehrbeauftragter an <strong>de</strong>r Universität<br />
Hei<strong>de</strong>lberg | RA Prof. Dr. Lutz Eiding, FAVerwR, Honorarprofessor für öffentliches Recht, Hanau |<br />
RA Dr. David Elshorst, FAVerwR, Frankfurt/Main | RAin Dr. Beatrice Fabry, Stuttgart | RA Dr. Till<br />
Fischer, Mannheim | RA Dr. Matthias H. Francois, Dipl.-Agr.-Ing. (FH), Bitburg/Kusel, Lehrbeauftragter<br />
an <strong>de</strong>r Fachhochschule Bingen | RA Dr. Andreas Geiger, München, Lehrbeauftragter an<br />
<strong>de</strong>r Universität München | RA Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Gutmann, FAVerwR, Stuttgart, Lehrbeauftragter<br />
an <strong>de</strong>r Universität Istanbul/Türkei | Matthias Heck, Dipl.-Verwaltungswirt (FH), Ludwigsburg/Hanau<br />
| Prof. Dr. Christian Heitsch, Brunel Law School, London | RA Jürgen Herrlein, FAStR,<br />
FAMietWEGR, Frankfurt/Main | RA Dr. iur. utr. Jochen Hofmann-Hoeppel, FAVerwR, Höchberg |<br />
RA Hans Wolfram Kessler, FAVerwR, Leipzig/Malta | Dr. Michael Luber, LL.M.Eur, Oberregierungsrat,<br />
Bayerisches Staatsministerium <strong>de</strong>r Finanzen | Dr. Saskia Lukasch, Regierungsrätin, Bun<strong>de</strong>sministerium<br />
für Bildung und Forschung | RA Dr. Stefan Meßmer, Stuttgart | RA Dr. Martin Ott,<br />
Stuttgart | RAin Ursula Philipp-Gerlach, FAVerwR, Frankfurt/Main | Prof. Dr. Ralf Roßkopf,<br />
Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt | RAin Verena Rösner,<br />
Dipl.-Verwaltungswirtin (FH), Stuttgart | RA Karl-Heinz Ru<strong>de</strong>r, Stadtrechtsdirektor i.R., Emmendingen<br />
| RA Dr. Matthias Schrö<strong>de</strong>r, Stuttgart | RA Dr. Frank-Florian Seifert, FAVerwR, Berlin | RAin<br />
Anna Seulen, Bonn | RA Frank Wieland, FAVerwR, Bonn<br />
Nomos
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Die Formulierungsbeispiele in diesem Buch wur<strong>de</strong>n mit Sorgfalt und nach bestem Wissen<br />
erstellt. Sie stellen jedoch lediglich Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen dar.<br />
Autoren und Verlag übernehmen keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit <strong>de</strong>r<br />
in <strong>de</strong>m Buch und auf <strong>de</strong>r CD-ROM enthaltenen Ausführungen und Formulierungsmuster.<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in<br />
<strong>de</strong>r Deutschen Nationalbibliografie; <strong>de</strong>taillierte bibliografische<br />
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.<strong>de</strong> abrufbar.<br />
ISBN 978-3-8329-2229-0<br />
1. Auflage 2013<br />
© Nomos Verlagsgesellschaft, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die<br />
<strong>de</strong>s Nachdrucks von Auszügen, <strong>de</strong>r fotomechanischen Wie<strong>de</strong>rgabe und <strong>de</strong>r Übersetzung,<br />
vorbehalten.
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Vorwort<br />
In <strong>de</strong>n letzten Jahren musste je<strong>de</strong>r im Verwaltungsrecht tätige Praktiker die zunehmen<strong>de</strong> Ausdifferenzierung<br />
<strong>de</strong>r zahlreichen Teilgebiete <strong>de</strong>s Beson<strong>de</strong>ren Verwaltungsrechts und das damit<br />
einhergehen<strong>de</strong> anwaltliche Bedürfnis einer weiteren Spezialisierung feststellen. Niemand kann<br />
daher guten Gewissens behaupten, in allen Einzelbereichen <strong>de</strong>s Öffentlichen Rechts über tiefgehen<strong>de</strong><br />
Fachkenntnisse zu verfügen, wie sie oftmals vom Mandanten erwartet wer<strong>de</strong>n.<br />
Das veranlasst uns zur Herausgabe dieses neuen Formularbuchs. Anliegen <strong>de</strong>s Werkes ist es,<br />
<strong>de</strong>m im Verwaltungsrecht tätigen Anwalt eine zielorientierte Handreichung für die konkrete<br />
Mandatsbearbeitung zu geben. Das Formularbuch bietet dazu in 65 Spezialgebieten 900 praxiserprobte<br />
Muster für alle wichtigen Bereiche <strong>de</strong>s Verfahrens- und materiellen Verwaltungsrechts.<br />
Im Verfahrensrecht wer<strong>de</strong>n u.a. das Akteneinsichtsrecht in Verwaltungsverfahren, Informationsansprüche<br />
nach IFG, VIG und UIG, das Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren, außergerichtlicher wie gerichtlicher<br />
einstweiliger Rechtsschutz, Klage, Berufung, Revision, Anhörungsrüge, das Normenkontrollverfahren,<br />
die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> nach Bun<strong>de</strong>s- und Lan<strong>de</strong>srecht und <strong>de</strong>r<br />
Rechtsschutz vor <strong>de</strong>n Europäischen Gerichten behan<strong>de</strong>lt.<br />
Im materiellen Recht dominieren neben Öffentlichem Bau- und Fachplanungsrecht (nach AEG,<br />
LuftVG, FStrG, PBefG), Kommunal- und Kommunalabgabenrecht, Umweltrecht und <strong>de</strong>n klassischen<br />
Gebieten <strong>de</strong>s Wirtschaftsverwaltungsrechts die Kapitel zum nationalen Subventions-,<br />
Europäischen Beilhilfen- und Vergaberecht sowie im Bereich <strong>de</strong>s Öffentlichen Dienstrechts das<br />
Beamten-, Beamtenversorgungs- und Disziplinarrecht. Der zunehmen<strong>de</strong>n Relevanz <strong>de</strong>r Ressource<br />
„Bildung“ geschul<strong>de</strong>t sind die Kapitel zum Hochschulzulassungs- und Prüfungsrecht.<br />
Den Kanon <strong>de</strong>s Beson<strong>de</strong>ren Verwaltungsrechts beschließen die Abschnitte zum Auslän<strong>de</strong>r- und<br />
Statusrecht einerseits, zum Polizei-/Ordnungsrecht und Datenschutzrecht an<strong>de</strong>rerseits.<br />
Die ausführlichen und umfangreichen Musterinhalte wur<strong>de</strong>n danach ausgewählt, welche Fallkonstellationen<br />
in <strong>de</strong>r Praxis erfahrungsgemäß am häufigsten anzutreffen sind. Sie verknüpfen<br />
durchgängig materielles Recht mit Verfahrensrecht und sind damit ein Spiegelbild <strong>de</strong>r Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
in <strong>de</strong>r Rechtspraxis. Sämtliche Mustertexte basieren auf <strong>de</strong>r aktuellen Rechtsprechung<br />
und Gesetzgebung. So sind die mit <strong>de</strong>m Gesetz zur Neuregelung <strong>de</strong>s Wasserrechts verbun<strong>de</strong>ne<br />
Novellierung <strong>de</strong>s WHG, das zum 1.6.2012 in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz<br />
nebst einer Fülle weiterer Gesetzesän<strong>de</strong>rungen sowie die ab 1.9.2012 gelten<strong>de</strong> Neufassung<br />
<strong>de</strong>s VIG berücksichtigt.<br />
Die Mustertexte sind mit ergänzen<strong>de</strong>n Erläuterungen versehen. Sie beziehen sich im Wesentlichen<br />
auf <strong>de</strong>n im Muster zugrun<strong>de</strong> gelegten Sachverhalt und informieren über die Einordnung<br />
und die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r dort aufgegriffenen und abgehan<strong>de</strong>lten Rechtsfragen. Auf diese<br />
Weise wird ein schnelles Erfassen <strong>de</strong>s näheren rechtlichen Umfelds <strong>de</strong>r praxisrelevanten Streitstän<strong>de</strong><br />
ermöglicht.<br />
Mit diesem konzeptionellen Ansatz ist das Werk nicht nur für <strong>de</strong>njenigen Anwalt interessant,<br />
<strong>de</strong>r nur gelegentlich verwaltungsrechtliche Mandate bearbeitet. Mit seiner hohen Detaildichte<br />
und <strong>de</strong>r Vielzahl an Rechtsthemen ist die Darstellung auch für <strong>de</strong>njenigen (Fach-)Anwalt von<br />
Nutzen, <strong>de</strong>r regelmäßig im Verwaltungsrecht agiert und <strong>de</strong>shalb weiß, dass er gelegentlich auch<br />
einen Fall zu bearbeiten hat, <strong>de</strong>r nicht in seinen Kernbereich fällt. Zahlreiche Praxishinweise –<br />
unter an<strong>de</strong>rem auch taktischer Natur – ergänzen zu<strong>de</strong>m die Rechtsausführungen und weisen<br />
explizit auf die <strong>de</strong>m jeweiligen Rechtsgebiet immanenten Beson<strong>de</strong>rheiten hin. Dadurch gewinnt<br />
auch <strong>de</strong>r „Profi“ neue Erkenntnisse.<br />
Unser Dank gilt allen Personen, die an <strong>de</strong>r Entstehung dieses Werkes beteiligt waren. Zuvor<strong>de</strong>rst<br />
danken wir allen Autoren für die hervorragen<strong>de</strong> Arbeit. Beson<strong>de</strong>rer Dank gilt Frau<br />
Rechtsanwältin Gertrud Vorbuchner für ihre ausgezeichnete lektoratsseitige Unterstützung.<br />
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Vorwort<br />
Dank gebührt schließlich – stellvertretend für die weiteren Mitwirken<strong>de</strong>n – <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Kanzlei<br />
Nickel Eiding Rechtsanwälte, Hanau, langjährig tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn<br />
Dipl.-Verwaltungswirt Matthias Heck für die akribische Zuarbeit zu etlichen von Herrn Eiding<br />
als Autor verfassten 14 Kapiteln, auf Seiten <strong>de</strong>s Mitherausgebers Dr. Hofmann-Hoeppel <strong>de</strong>ssen<br />
Sekretärin, Frau Öz<strong>de</strong>s Göger, die ihre ausgezeichneten Qualitäten bei je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r 16 Kapitel<br />
hingebungsvoll unter Beweis stellte.<br />
Herausgeber und Autoren freuen sich auf Resonanz aus <strong>de</strong>m Nutzerkreis <strong>de</strong>s Formularbuchs.<br />
Hanau, im Oktober 2012 Höchberg, im Oktober 2012<br />
Lutz Eiding<br />
Jochen Hofmann-Hoeppel<br />
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Inhaltsübersicht<br />
Vorwort .................................................................................................... 5<br />
Autorenverzeichnis ...................................................................................... 11<br />
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. 15<br />
Allgemeines Literaturverzeichnis ..................................................................... 27<br />
Abschnitt 1: Akteneinsicht und Informationszugang ......................................... 29<br />
§ 1 Akteneinsichtsrecht in Verwaltungsverfahren <strong>de</strong>s VwVfG (Hofmann-Hoeppel) .. 29<br />
§ 2 Informationszugang nach IFG (Hofmann-Hoeppel) .................................... 62<br />
§ 3 Informationszugang nach VIG (Hofmann-Hoeppel) .................................... 106<br />
§ 4 Informationszugang nach UIG (Hofmann-Hoeppel) ................................... 141<br />
Abschnitt 2: Verwaltungsverfahren ............................................................... 187<br />
§ 5 Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren (Hofmann-Hoeppel) ............................................. 187<br />
§ 6 Außergerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz (Hofmann-Hoeppel) .................. 234<br />
§ 7 Kosten und Vergütung in Verwaltungssachen (Hofmann-Hoeppel) ................ 253<br />
Abschnitt 3: Verwaltungsprozess und Vollstreckung ......................................... 277<br />
§ 8 Klageverfahren (Heitsch) ...................................................................... 277<br />
§ 9 Berufung (Heitsch) .............................................................................. 345<br />
§ 10 Revision und Anhörungsrüge (Heitsch) .................................................... 372<br />
§ 11<br />
Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz gem. §§ 80 Abs. 5–8, 80 a VwGO<br />
(Hofmann-Hoeppel) ............................................................................<br />
406<br />
§ 12 Einstweilige Anordnungen gem. § 123 VwGO (Hofmann-Hoeppel) ................ 441<br />
§ 13 Normenkontrollverfahren (Heitsch) ........................................................ 480<br />
§ 14 Vollstreckung aus rechtlichen Titeln (Herrlein) .......................................... 495<br />
Abschnitt 4: Verfassungsprozessrechtliche Rechtsbehelfe .................................... 507<br />
§ 15 Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> nach Bun<strong>de</strong>s- und Lan<strong>de</strong>srecht (Hofmann-Hoeppel) .... 507<br />
§ 16 Rechtsschutz vor <strong>de</strong>n Europäischen Gerichten (Gutmann) ............................ 574<br />
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Inhaltsübersicht<br />
Abschnitt 5: Recht <strong>de</strong>r öffentlich-rechtlichen Ersatzleistung ................................ 611<br />
§ 17 Amtshaftungsrecht (Luber) ................................................................... 611<br />
§ 18 Ansprüche aus Enteignung (Eiding) ........................................................ 630<br />
§ 19 Entschädigungsrecht (Eiding) ................................................................ 648<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht ................................................................ 667<br />
§ 20 Bauplanungsrecht (Eiding) .................................................................... 667<br />
§ 21 Städtebauliche Verträge (Eiding) ............................................................ 765<br />
§ 22 Umlegungsrecht (Eiding) ...................................................................... 801<br />
§ 23 Bauordnungsrecht (Eiding) ................................................................... 832<br />
§ 24 Baunachbarrecht (Elshorst/Heck) ........................................................... 920<br />
§ 25 Denkmalschutzrecht (Fischer) ................................................................ 976<br />
Abschnitt 7: Fachplanungsrecht ................................................................... 991<br />
§ 26 Raumordnungs- und Lan<strong>de</strong>splanungsrecht (Eiding) .................................... 991<br />
§ 27 Fernstraßenrecht und Straßenrecht (Geiger) .............................................. 1022<br />
§ 28 Eisenbahnrecht (Geiger) ....................................................................... 1048<br />
§ 29 Luftverkehrsrecht (Eiding) .................................................................... 1085<br />
§ 30 Flurbereinigungsrecht (Francois) ............................................................ 1116<br />
§ 31 Planfeststellungsrecht (Eiding) ............................................................... 1164<br />
§ 32 Personenbeför<strong>de</strong>rungsrecht (Geiger) ........................................................ 1198<br />
Abschnitt 8:<br />
Kommunal- und Kommunalabgabenrecht, wirtschaftliche Betätigung<br />
von Kommunen .......................................................................<br />
1231<br />
§ 33 Kommunalrecht (Eiding) ...................................................................... 1231<br />
§ 34 Erschließungsbeitragsrecht (Eiding) ........................................................ 1275<br />
§ 35 Straßenausbaubeitragsrecht (Eiding) ....................................................... 1324<br />
§ 36 Anschlussbeitragsrecht (Eiding) ............................................................. 1349<br />
§ 37 Kommunale wirtschaftliche Betätigung und Wettbewerbsrecht (Schrö<strong>de</strong>r) ....... 1366<br />
§ 38 Kommunale Unternehmen (Fabry) .......................................................... 1412<br />
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Inhaltsübersicht<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht ....................................................... 1431<br />
§ 39 Gewerberecht (Seifert) ......................................................................... 1431<br />
§ 40 Handwerksrecht (Seifert) ...................................................................... 1441<br />
§ 41 Gaststättenrecht (Seifert) ...................................................................... 1453<br />
§ 42 Nationales Subventionsrecht (Rösner/Bernhard) ........................................ 1465<br />
§ 43 Europäisches Beihilfenrecht (Meßmer/Bernhard) ........................................ 1488<br />
§ 44 Vergaberecht (Fabry/Ott) ..................................................................... 1526<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht ........................................................................... 1565<br />
§ 45 Immissionsschutzrecht .......................................................................... 1565<br />
§ 46 Naturschutzrecht (Philipp-Gerlach) ........................................................ 1783<br />
§ 47 Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht (Hofmann-Hoeppel) ........................... 1812<br />
§ 48 Bo<strong>de</strong>nschutzrecht (Eiding) .................................................................... 1890<br />
§ 49 Gewässerschutzrecht (Seifert) ................................................................ 1927<br />
§ 50 Bergrecht (Kessler/Lukasch) .................................................................. 1987<br />
Abschnitt 11: Öffentliches Dienstrecht ............................................................ 2017<br />
§ 51 Beamtenrecht (Wieland/Seulen) .............................................................. 2017<br />
§ 52 Personalvertretungsrecht (Ba<strong>de</strong>n) ........................................................... 2071<br />
§ 53 Beamtenversorgungsrecht (Ba<strong>de</strong>n) .......................................................... 2103<br />
§ 54 Disziplinarrecht (Ba<strong>de</strong>n/Wieland) ........................................................... 2134<br />
Abschnitt 12: Schul-, Ausbildungs- und Prüfungsrecht ........................................ 2171<br />
§ 55 Schulrecht (Wieland) ........................................................................... 2171<br />
§ 56 Hochschulzulassungsrecht (Hofmann-Hoeppel) ......................................... 2216<br />
§ 57 Prüfungsrecht (Hofmann-Hoeppel) ......................................................... 2274<br />
Abschnitt 13: Auslän<strong>de</strong>r- und Statusrecht ......................................................... 2323<br />
§ 58 Aufenthaltsrecht (Roßkopf) .................................................................. 2323<br />
§ 59 Asylrecht (Roßkopf) ............................................................................ 2368<br />
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Inhaltsübersicht<br />
§ 60 Staatsangehörigkeitsrecht (Roßkopf) ....................................................... 2395<br />
§ 61 Spätaussiedlerrecht (Roßkopf) ............................................................... 2414<br />
Abschnitt 14: Polizei- und Sicherheitsrecht, Datenschutzrecht ............................... 2429<br />
§ 62 Polizei- und Ordnungsrecht (Ru<strong>de</strong>r) ........................................................ 2429<br />
§ 63 Versammlungsrecht (Hofmann-Hoeppel) ................................................. 2469<br />
§ 64 Öffentliches Vereinsrecht (Hofmann-Hoeppel) .......................................... 2524<br />
§ 65 Datenschutzrecht (Abel) ....................................................................... 2552<br />
Stichwortverzeichnis .................................................................................... 2567<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht<br />
Literatur: Boeddinghaus, Abstandsflächen im Bauordnungsrecht Bayern, Kommentierung, 2. Aufl. 2007;<br />
Boeddinghaus, Abstandsflächen im Bauordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentierung, 3. Aufl.<br />
2007; Büchner/Schlotterbeck, Baurecht, Band 1: Städtebaurecht einschließlich örtlicher Bauvorschriften,<br />
2008; Büchner/Schlotterbeck, Baurecht, Band 2: Bauordnungsrecht einschließlich Baunachbarrecht,<br />
4. Aufl. 2010; Dirnberger, Abstandsflächenrecht in Bayern, Systematische Darstellung, 2. Aufl. 2011; Eiding/Ruf/Herrlein,<br />
Öffentliches Baurecht in Hessen, 2. Aufl. 2007; Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht,<br />
4. Aufl. 2011; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Loseblatt, 98. Aufl.<br />
2011; Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, Handkommentar – VwVfG, VwGO, Nebengesetze, 2. Aufl.<br />
2010; Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen und gemeinschaftlichen<br />
Umweltschutzes mit ergänzen<strong>de</strong>n Rechts- und Verwaltungsvorschriften, 11. Aufl. 2008;<br />
Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Band II, Bauordnungsrecht, Nachbarschutz, Rechtsschutz,<br />
6. Aufl. 2010; Fischer, Zur Novelle 2010 <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sbauordnung Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, VBlBW 2010, 213;<br />
Fricke/Krumstroh, Die neue Nie<strong>de</strong>rsächsische Bauordnung, NordÖR 2011, 108; Hoppe/Bönker/Grotefels,<br />
Öffentliches Baurecht – Raumordnungsrecht, Städtebaurecht, Bauordnungsrecht, 4. Aufl. 2010;<br />
Hornmann, Hessische Bauordnung 2011, NVwZ 2011, 212; Jä<strong>de</strong>, Bauaufsichtliche Maßnahmen – Beseitigungsanordnung<br />
– Nutzungsuntersagung – Einstellung von Arbeiten, 3. Aufl. 2009; Niere, Neuerlass <strong>de</strong>r<br />
Lan<strong>de</strong>sbauordnung für das Land Schleswig-Holstein, NordÖR 2009, 273; Reichel/Schulte, Handbuch<br />
Bauordnungsrecht, 2004; Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, 20. Aufl. 2010; Stelkens/Bonk/Sachs,<br />
VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. II,<br />
7. Aufl. 2010.<br />
A. Vorgehen <strong>de</strong>s Bauherrn, <strong>de</strong>r eine Baugenehmigung,<br />
eine Teilbaugenehmigung o<strong>de</strong>r einen<br />
Vorbescheid begehrt .......................... 1<br />
I. Baugenehmigung, § 72 MBO .............. 1<br />
1. Bauantrag und Bauvorlagen, § 68<br />
MBO ................................... 1<br />
a) Form und Funktion <strong>de</strong>s Bauantrags 1<br />
b) Bauvorlagen ........................ 3<br />
2. Genehmigungsverfahren ............... 8<br />
a) Vereinfachtes Genehmigungsverfahren,<br />
§ 63 MBO ................. 9<br />
aa) Voraussetzungen für die<br />
Anwendbarkeit <strong>de</strong>s vereinfachten<br />
Verfahrens .......... 9<br />
bb) Prüfungsgegenstand im vereinfachten<br />
Verfahren ........ 13<br />
cc) Genehmigungsfiktion im vereinfachten<br />
Verfahren ........ 17<br />
b) „Großes“ Genehmigungsverfahren,<br />
§ 64 MBO – Umfassen<strong>de</strong><br />
öffentlich-rechtliche Unbe<strong>de</strong>nklichkeitsbescheinigung<br />
................. 20<br />
c) (Fehlen<strong>de</strong>) Wahlmöglichkeit <strong>de</strong>s<br />
Genehmigungsverfahrens .......... 21<br />
d) Abweichungen, § 67 MBO ........ 22<br />
3. Prozessuales ............................ 28<br />
a) Verpflichtungsrechtsbehelf ........ 28<br />
b) Maßgeblicher Zeitpunkt ........... 29<br />
c) Fortsetzungsfeststellungsklage ..... 31<br />
d) Kosten .............................. 35<br />
II. (Bau-)Vorbescheid, § 75 MBO ............ 38<br />
1. Gegenstand und Anwendungsbereich 38<br />
2. Konkrete Fragestellung ................ 40<br />
3. Der Klärung im Vorbescheidsverfahren<br />
zugängliche Fragen .................... 44<br />
4. Mangeln<strong>de</strong> Bescheidungsfähigkeit .... 47<br />
III. Teilbaugenehmigung, § 74 MBO .......... 48<br />
1. Gegenstand und Anwendungsbereich 48<br />
2. Voraussetzungen <strong>de</strong>r Genehmigungserteilung<br />
................................ 49<br />
IV. Versagung und Ersetzung <strong>de</strong>s gemeindlichen<br />
Einvernehmens, § 71 MBO .......... 52<br />
1. Einvernehmenserfor<strong>de</strong>rnis und Entscheidung<br />
<strong>de</strong>r Bau- o<strong>de</strong>r Kommunalaufsichtsbehör<strong>de</strong><br />
über die Ersetzung<br />
<strong>de</strong>s Einvernehmens .................... 52<br />
2. Amtshaftung bei rechtswidrig versagtem<br />
Einvernehmen ..................... 57<br />
B. Vorgehen <strong>de</strong>s Bauherrn gegen Nebenbestimmungen<br />
und Inhaltsbestimmungen einer Baugenehmigung<br />
................................. 58<br />
I. Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen 58<br />
II. Selbständig anfechtbare Nebenbestimmungen<br />
......................................... 61<br />
1. Auflage ................................. 61<br />
a) Inhalt und Gegenstand ............. 61<br />
b) Richtiger Rechtsbehelf: Anfechtungswi<strong>de</strong>rspruch/-klage<br />
........... 63<br />
2. Auflagenvorbehalt ..................... 67<br />
a) Inhalt und Gegenstand ............. 67<br />
b) Richtiger Rechtsbehelf: Anfechtungswi<strong>de</strong>rspruch/-klage<br />
........... 69<br />
III. Nicht selbständig anfechtbare „Nebenbestimmungen“<br />
............................ 70<br />
1. Genehmigungsinhaltsbestimmungen –<br />
modifizieren<strong>de</strong> Auflagen ............... 70<br />
a) Inhalt und Gegenstand ............. 70<br />
b) Abgrenzung zu selbständig anfechtbaren<br />
Nebenbestimmungen ........ 72<br />
c) Richtiger Rechtsbehelf: Verpflichtungswi<strong>de</strong>rspruch/-klage<br />
........... 73<br />
2. Befristung .............................. 76<br />
a) Inhalt und Gegenstand ............. 76<br />
832 Eiding
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
b) Richtiger Rechtsbehelf Verpflichtungswi<strong>de</strong>rspruch/-klage<br />
........... 78<br />
3. Bedingung .............................. 79<br />
a) Inhalt und Gegenstand ............. 79<br />
b) Richtiger Rechtsbehelf: Verpflichtungswi<strong>de</strong>rspruch/-klage<br />
........... 81<br />
4. Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt .................... 84<br />
a) Inhalt und Gegenstand ............. 84<br />
b) Richtiger Rechtsbehelf: Verpflichtungswi<strong>de</strong>rspruch/-klage<br />
........... 86<br />
C. Vorgehen <strong>de</strong>s Bauherrn, wenn die Baugenehmigung<br />
im Rechtsmittelverfahren durch<br />
Drittanfechtung aufgehoben wird –<br />
Baunachbarstreit ............................. 87<br />
I. Wi<strong>de</strong>rspruchsbehör<strong>de</strong> gibt <strong>de</strong>m Wi<strong>de</strong>rspruch<br />
<strong>de</strong>s Nachbarn gegen die <strong>de</strong>m Bauherrn<br />
erteilte Baugenehmigung statt –<br />
isolierte Anfechtung <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchsbescheids<br />
...................................... 87<br />
1. Klagegegenstand, Klagegegner, notwendige<br />
Beiladung <strong>de</strong>s Nachbarn ..... 87<br />
2. Abstandsflächenrelevanz von Nutzungsän<strong>de</strong>rungen<br />
...................... 94<br />
II. Antrag auf Zulassung <strong>de</strong>r Berufung nach<br />
erstinstanzlich erfolgreicher Nachbarklage<br />
gegen die Baugenehmigung ................ 96<br />
1. Berufungszulassungsantrag ............ 96<br />
2. Berufungszulassungsgrün<strong>de</strong>, § 124<br />
Abs. 2 VwGO .......................... 98<br />
3. Darlegungserfor<strong>de</strong>rnis ................. 99<br />
4. Baunachbar ............................ 102<br />
D. Vorgehen gegen bauaufsichtliche Verfügungen<br />
............................................ 104<br />
I. Ermächtigungsgrundlagen ................. 104<br />
II. Baueinstellung, § 79 MBO ................ 105<br />
1. Voraussetzungen/Formelle Illegalität .. 105<br />
2. Ermessen ............................... 110<br />
3. Bestandsschutz ......................... 111<br />
III. Abbruchanordnung/Baubeseitigungsverfügung,<br />
§ 80 S. 1 MBO ................. 116<br />
1. Voraussetzungen ....................... 116<br />
2. Ermessen bei einer Abbruchanordnung<br />
.................................... 121<br />
a) Grundsatz .......................... 121<br />
b) Gleichheitssatz ..................... 123<br />
c) Weitere Aspekte bei <strong>de</strong>r Ermessensausübung<br />
........................... 124<br />
3. Abstandsflächenvorschriften .......... 125<br />
4. Vollstreckung einer Abbruchanordnung<br />
.................................... 126<br />
a) Wahl <strong>de</strong>s Zwangsmittels und<br />
Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />
................................. 126<br />
b) Im Rahmen <strong>de</strong>r Vollstreckung<br />
beachtliche Einwän<strong>de</strong> .............. 128<br />
IV. Nutzungsuntersagung, § 80 S. 2 MBO .... 132<br />
1. Voraussetzungen ....................... 132<br />
2. „Präventive“ Nutzungsuntersagungen 136<br />
3. Ermessen/Anfor<strong>de</strong>rungen an die<br />
Begründung ............................ 139<br />
V. Bauordnungsrechtliche Generalklausel,<br />
§ 58 Abs. 2 MBO .......................... 143<br />
1. Anwendungsbereich und Voraussetzungen<br />
................................. 143<br />
2. Adressatenregelung .................... 149<br />
VI. Nachträgliche Anordnung/Anfor<strong>de</strong>rung .. 152<br />
VII. Eilrechtsschutz <strong>de</strong>s Bauherrn gegen bauaufsichtliche<br />
Verfügungen ................. 157<br />
1. Anwendungsbereich und Voraussetzungen<br />
................................. 157<br />
2. Maßstab im verwaltungsgerichtlichen<br />
Eilverfahren im Streit um eine ordnungsrechtliche<br />
Verfügung ............ 163<br />
3. Abän<strong>de</strong>rungsverfahren gem. § 80<br />
Abs. 7 VwGO .......................... 166<br />
a) Voraussetzungen ................... 166<br />
b) Entscheidung im Abän<strong>de</strong>rungsverfahren<br />
.............................. 169<br />
c) Abän<strong>de</strong>rungsverfahren nach vorangegangener<br />
OVG-Entscheidung ... 170<br />
E. Genehmigungsfreie Vorhaben/Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnis<br />
.............................. 172<br />
I. Antrag auf isolierte Abweichungsentscheidung<br />
........................................ 172<br />
1. Genehmigungsfreistellung und isolierte<br />
Abweichung ............................ 172<br />
2. Gesetzliche Ausnahmen vom<br />
Abstandsflächenerfor<strong>de</strong>rnis ........... 175<br />
3. Umfang einer ggf benötigten Abweichung<br />
.................................. 176<br />
II. Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnis einer Nutzungsän<strong>de</strong>rung<br />
................................... 178<br />
1. Nutzung und Nutzungsän<strong>de</strong>rung ..... 178<br />
2. Abgrenzung zwischen Nutzungsunterbrechung<br />
und (endgültiger) Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r Nutzung ........................... 180<br />
F. Vorgehen gegen Bescheid über Ablöse von<br />
Stellplätzen ................................... 185<br />
I. Stellplatzverpflichtung ..................... 185<br />
II. Stellplatzablösung .......................... 188<br />
III. Konkretisierung <strong>de</strong>r Stellplatzpflicht und<br />
<strong>de</strong>s Ablösebetrages ......................... 189<br />
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23<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
A.<br />
Vorgehen <strong>de</strong>s Bauherrn, <strong>de</strong>r eine Baugenehmigung, eine Teilbaugenehmigung o<strong>de</strong>r<br />
einen Vorbescheid begehrt<br />
I. Baugenehmigung, § 72 MBO 1<br />
1. Bauantrag und Bauvorlagen, § 68 MBO<br />
a) Form und Funktion <strong>de</strong>s Bauantrags<br />
Der Bauantrag ist idR schriftlich über die Gemein<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> einzureichen;<br />
das vormals zwingen<strong>de</strong> Schriftformerfor<strong>de</strong>rnis (§ 68 Abs. 1 MBO) ist durch die Möglichkeiten<br />
zur Verwendung elektronischer Signaturen erweitert wor<strong>de</strong>n.<br />
Dem Bauantrag sind die erfor<strong>de</strong>rlichen Bauvorlagen beizufügen. Dies sind alle Unterlagen, die<br />
benötigt wer<strong>de</strong>n, um das Vorhaben in <strong>de</strong>m dafür vorgesehenen Verfahren beurteilen zu können.<br />
Hinweis: Mit <strong>de</strong>n Antragsunterlagen wird u.a. das Vorhaben <strong>de</strong>finiert, das Gegenstand <strong>de</strong>s<br />
Verfahrens ist. Die Bauvorlagen bestimmen damit – im Sinne einer Obergrenze – Inhalt und<br />
Umfang <strong>de</strong>r Baugenehmigung. Was nicht beantragt ist, kann auch nicht genehmigt wer<strong>de</strong>n.<br />
Dies folgt auch aus <strong>de</strong>m Charakter <strong>de</strong>r Baugenehmigung als einem mitwirkungsbedürftigen<br />
Verwaltungsakt.<br />
b) Bauvorlagen<br />
Die Anfor<strong>de</strong>rungen, die inhaltlich an die Bauvorlagen zu stellen sind, ergeben sich im Einzelnen<br />
aus <strong>de</strong>n jeweiligen Bauvorlagenverordnungen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r. Zu <strong>de</strong>n Bauvorlagen gehören etwa<br />
technische Nachweise, Bauzeichnungen (Grundrisse, Schnitte, Ansichten) sowie Nachweise<br />
über die Bauvorlagenberechtigung bzw die Berechtigung zur Erstellung <strong>de</strong>r technischen Nachweise.<br />
Ergänzen<strong>de</strong> Regelungen können sich aus speziellen Rechtsvorschriften ergeben (zB Versammlungsstättenverordnung,<br />
2 Garagenverordnung).<br />
Die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> kann zulassen, dass einzelne Bauvorlagen nachgereicht wer<strong>de</strong>n. Die<br />
Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> ist berechtigt, ergänzen<strong>de</strong> Unterlagen zu for<strong>de</strong>rn, wenn sie diese zur Beurteilung<br />
<strong>de</strong>r Genehmigungsfähigkeit benötigt (zB Gutachten über „Altlastenfreiheit“ nach abgeschlossener<br />
Sanierung o<strong>de</strong>r orientieren<strong>de</strong> Untersuchung bei <strong>de</strong>r Bebauung eines Grundstücks,<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>ssen ein Altlastenverdacht besteht). Wird ein mangelhafter Bauantrag nach entsprechen<strong>de</strong>r<br />
behördlicher For<strong>de</strong>rung nicht ergänzt, kann die Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Bauantrag ablehnen,<br />
<strong>de</strong>nn es ist Sache <strong>de</strong>s Antragstellers, prüffähige Bauvorlagen einzureichen.<br />
Sind die Bauvorlagen und die Genehmigung nicht hinreichend <strong>de</strong>utlich, kann es im Nachhinein<br />
Streit über <strong>de</strong>n Inhalt einer Genehmigung geben. Antragsteller fassen <strong>de</strong>n Umfang <strong>de</strong>s Antrags<br />
gelegentlich unscharf, um sich Nutzungsoptionen offenzuhalten. Geht es um Nutzungen, die<br />
sich qualitativ unterschei<strong>de</strong>n, ergibt sich hieraus regelmäßig Konfliktpotenzial. Es bestehen<br />
nachbarliche Abwehrrechte, wenn die angefochtene Baugenehmigung im Hinblick auf nachbarrechtsrelevante<br />
Merkmale unbestimmt o<strong>de</strong>r sonst diffus ist. Verbleiben – wegen <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n<br />
Bestimmtheit <strong>de</strong>r Bauvorlagen bzw <strong>de</strong>r Baugenehmigung – Unklarheiten im Hinblick<br />
auf die Reichweite und die Art <strong>de</strong>r zugelassenen Nutzung, ist im Zweifel ein nachbarlicher<br />
Abwehranspruch gegeben. Dies ist vor allem unter <strong>de</strong>m Blickwinkel <strong>de</strong>s sog. „Etikettenschwin<strong>de</strong>ls“<br />
anzunehmen, bei <strong>de</strong>m das zur Genehmigung gestellte bzw. schon genehmigte Bauvorhaben<br />
nur vorgeschoben wird, um <strong>de</strong>r eigentlich beabsichtigten – unzulässigen – Nutzung einen<br />
genehmigungsfähigen Anschein zu verleihen. 3 Es ist Aufgabe <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>, im Rahmen <strong>de</strong>s Ge-<br />
1 Bauordnungsrecht ist Län<strong>de</strong>rrecht. Die Lan<strong>de</strong>sbauordnungen enthalten im Detail zT erheblich unterschiedliche<br />
Regelungen. Die Grundstruktur orientiert sich an <strong>de</strong>r Musterbauordnung (Musterbauordnung ARGE Bau Fassung<br />
November 2002 – MBO 2002), auf die die nachfolgen<strong>de</strong>n Ausführungen überwiegend abstellen. Soweit län<strong>de</strong>rspezifische<br />
Beson<strong>de</strong>rheiten eine Rolle spielen, wer<strong>de</strong>n die Regelungen <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sbauordnung zitiert.<br />
2 Vgl Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättV) 06/2005, <strong>de</strong>r die Län<strong>de</strong>rregelungen weitgehend nachgebil<strong>de</strong>t<br />
sind.<br />
3 OVG Münster, U. v. 19.7.2010 – 7 A 3199/08, BauR 2011, 248; U. v. 25.8.2011 – 2 A 38/10, juris.<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
nehmigungsverfahrens durch die Nachfor<strong>de</strong>rung von Unterlagen, eine Auffor<strong>de</strong>rung an <strong>de</strong>n<br />
Bauherrn zur Konkretisierung o<strong>de</strong>r ggf durch entsprechen<strong>de</strong> Tenorierung in <strong>de</strong>r Baugenehmigung<br />
Klarheit zu schaffen. Im Zweifelsfall ist davon auszugehen, dass ein zwar beabsichtigtes,<br />
aber nicht hinreichend <strong>de</strong>utlich gemachtes entsprechen<strong>de</strong>s Vorhaben nicht von <strong>de</strong>r Baugenehmigung<br />
umfasst wird. 4<br />
Typische Fallkonstellation: Der Antragsteller hat einen Bauantrag gestellt, <strong>de</strong>r – bewusst o<strong>de</strong>r<br />
unbewusst – „Unschärfen“ enthält. Die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> beabsichtigt, die aus ihrer Sicht<br />
ungenehmigte, weil nicht von <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Genehmigung umfasste, Nutzung zu untersagen<br />
und gibt <strong>de</strong>m Bauherrn Gelegenheit zur Stellungnahme. Dieser vertritt die Auffassung, er sei im<br />
Besitz <strong>de</strong>r für die ausgeübte Nutzung erfor<strong>de</strong>rlichen Genehmigung.<br />
u Muster: Streit über <strong>de</strong>n Inhalt und Umfang einer Baugenehmigung – Stellungnahme gegenüber<br />
<strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> zu einer angekündigten Nutzungsuntersagung wegen (vermeintlich)<br />
genehmigungsabweichen<strong>de</strong>r Nutzung<br />
6<br />
7<br />
346<br />
An die Stadt •••<br />
– Untere Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> –<br />
Grundstück •••, Flst. Nr. ••• in •••<br />
Nutzung als Gaststätte, auch zu Veranstaltungen mit „Eventcharakter“<br />
Ihr Anhörungsschreiben gem. § 28 VwVfG vom •••<br />
Az •••<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
wir zeigen an, dass uns Herr ••• mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat.<br />
Eine Vollmacht ist in <strong>de</strong>r Anlage beigefügt.<br />
Mit Schreiben vom ••• haben Sie gegenüber unserem Mandanten <strong>de</strong>n Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung<br />
angekündigt und gem. § 28 VwVfG Gelegenheit zur Stellungnahme bis ••• gegeben.<br />
Zur Erläuterung haben Sie ausgeführt, Herr ••• betreibe ohne die hierfür erfor<strong>de</strong>rliche Baugenehmigung<br />
eine Vergnügungsstätte. Eine solche Nutzung sei von <strong>de</strong>r Baugenehmigung vom ••• nicht ge<strong>de</strong>ckt.<br />
A. Sachverhalt<br />
Unser Mandant ist Eigentümer <strong>de</strong>s Grundstücks Flst. Nr. ••• in •••. Er betreibt eine Gaststätte mit<br />
Nebenräumen und führt dort auch Veranstaltungen größeren Umfangs („Partys“ für unterschiedliche<br />
Personengruppen; sog. Mottoveranstaltungen), auch mit Live-Musik-Darbietungen, durch.<br />
Er hat das Grundstück im Jahre ••• erworben. Dort war bereits zuvor eine „Gaststätte mit Nebenräumen<br />
und Festsaal“ vorhan<strong>de</strong>n und baurechtlich genehmigt (vgl Genehmigungsurkun<strong>de</strong> vom •••, Az<br />
•••).<br />
Die Stadt ••• hat die für die nach <strong>de</strong>r Übernahme <strong>de</strong>s Betriebes erfor<strong>de</strong>rlichen Umbau- und Mo<strong>de</strong>rnisierungsarbeiten<br />
eine Baugenehmigung erteilt. In <strong>de</strong>n Bauvorlagen war dargestellt („Baubeschreibung“),<br />
dass auch Festveranstaltungen größeren Umfangs und Live-Musik-Darbietungen stattfin<strong>de</strong>n<br />
sollten.<br />
Bauplanungsrechtlich ist das Vorhabengrundstück nach § 30 BauGB iVm § 6 BauNVO zu charakterisieren,<br />
<strong>de</strong>nn es liegt in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen Mischgebiet.<br />
4 ZB umfasst die Genehmigung einer gewerblichen Zimmervermietung nicht <strong>de</strong>n Betrieb eines Bor<strong>de</strong>lls, VGH Kassel, B.<br />
v. 7.2.2008 – 3 UZ 473/07, BRS 73 Nr. 153.<br />
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23<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
Mit Schreiben vom ••• haben Sie angekündigt, die Nutzung untersagen zu wollen, soweit Veranstaltungen<br />
mit diskothekenähnlichem Charakter und/o<strong>de</strong>r mehr als 200 Gästen durchgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
B. Rechtliche Würdigung<br />
Zwingen<strong>de</strong> Voraussetzung einer Nutzungsuntersagung (§ 80 S. 2 MBO) ist, dass eine Anlage im Wi<strong>de</strong>rspruch<br />
zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird. Ein Vorhaben muss also zumin<strong>de</strong>st<br />
formell rechtswidrig sein, wenn seine Nutzung untersagt wer<strong>de</strong>n soll. Daran fehlt es hier. Denn mit<br />
Entscheidung vom ••• wur<strong>de</strong> das Vorhaben genehmigt.<br />
I. Aus § 68 MBO folgt, dass die Baugenehmigung auf Antrag erteilt wird. Bei <strong>de</strong>r Baugenehmigung<br />
han<strong>de</strong>lt es sich somit um einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt. Der Antragsteller bestimmt<br />
selbst, was Gegenstand <strong>de</strong>s Baugenehmigungsverfahrens ist, und es ist daher seine Sache, <strong>de</strong>n Verfahrensgegenstand<br />
durch Bauantrag festzulegen.<br />
II. Zur Genehmigung gestellt waren hier Umbauarbeiten und die künftige Nutzung als Gaststätte, in<br />
<strong>de</strong>r auch größere Veranstaltungen durchgeführt wer<strong>de</strong>n sollen. In <strong>de</strong>r Baubeschreibung ist dies genauer<br />
ausgeführt. Dort ist dargestellt, dass gelegentlich auch Veranstaltungen größeren Umfangs<br />
(„Mottoveranstaltungen“) 5 durchgeführt wer<strong>de</strong>n sollen, einschließlich Live-Musik-Darbietungen. Der<br />
Schwerpunkt <strong>de</strong>r Nutzung liegt aber – auch bei <strong>de</strong>n genannten „Events“ – auf <strong>de</strong>r Verabreichung von<br />
Speisen und Getränken.<br />
Nach hiesiger Einschätzung liegt keine Nutzungsän<strong>de</strong>rung vor. Denn eine solche ist (erst) dann anzunehmen,<br />
wenn sich die neue Nutzung von <strong>de</strong>r bisherigen (legalen) <strong>de</strong>rgestalt unterschei<strong>de</strong>t, dass<br />
sie an<strong>de</strong>ren o<strong>de</strong>r weitergehen<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen bauordnungs- o<strong>de</strong>r bauplanungsrechtlicher Art unterworfen<br />
ist o<strong>de</strong>r unterworfen wer<strong>de</strong>n kann, dh wenn die Möglichkeit besteht, dass die Zulässigkeit<br />
<strong>de</strong>s geän<strong>de</strong>rten Vorhabens nach <strong>de</strong>n Bauvorschriften an<strong>de</strong>rs beurteilt wer<strong>de</strong>n muss. Insoweit macht<br />
<strong>de</strong>r Bauherr aber darauf aufmerksam, dass <strong>de</strong>r Festsaal schon seit vielen Jahren zur Gaststätte gehörte<br />
und dort regelmäßig Festveranstaltungen (Hochzeiten, Kommunionsfeiern usw) stattgefun<strong>de</strong>n haben,<br />
die ebenfalls mit Musikdarbietungen einhergingen. Dies spricht gegen das Vorliegen einer Nutzungsän<strong>de</strong>rung.<br />
III. Hilfsweise ist darauf hinzuweisen, dass das Vorhaben selbst dann materiell rechtmäßig ist, wenn<br />
von einer Nutzungsän<strong>de</strong>rung auszugehen wäre. Denn eine Gaststätte, auch „mit Eventcharakter“,<br />
wäre in einem Mischgebiet gem. § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO als Schank- und Speisewirtschaft bauplanungsrechtlich<br />
zulässig. 6<br />
Die in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> Gaststätte stellt – entgegen <strong>de</strong>r Einschätzung <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> – keine<br />
Vergnügungsstätte dar, selbst wenn man berücksichtigt, dass sie sich von einer Schank- und Speisewirtschaft<br />
unterschei<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>r vorwiegend Speisen und Getränke verabreicht wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r<br />
Geselligkeit dient.<br />
Sogar unter <strong>de</strong>r Annahme, das Vorhaben sei als Vergnügungsstätte aufzufassen, was diesseits bestritten<br />
wird, läge allenfalls eine nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätte vor. Denn <strong>de</strong>r Betrieb<br />
ist nicht auf einen größeren Einzugsbereich ausgerichtet. Eine solche Vergnügungsstätte ist gem.<br />
§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO in <strong>de</strong>m Teil eines Mischgebietes zulässig, <strong>de</strong>r gewerblich geprägt ist. So liegt<br />
<strong>de</strong>r Fall hier. •••<br />
5 Sind solche Betriebe auf einen größeren Einzugsbereich ausgerichtet, han<strong>de</strong>lt es sich um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte,<br />
OVG Koblenz, B. v. 9.3.2007 – 8 A 10066/07, LKRZ 2007, 202.<br />
6 Zur Abgrenzung zwischen Schank- und Speisewirtschaft, Vergnügungsstätte und Anlagen für kulturelle Zwecke: Fickert/<br />
Fieseler, BauNVO, Rn 22.5 ff.<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
IV. Unter <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>r materiellen Rechtmäßigkeit – wie gezeigt – wäre eine Nutzungsuntersagung<br />
unverhältnismäßig, weil mittels Durchführung <strong>de</strong>s (ggf erfor<strong>de</strong>rlichen) Genehmigungsverfahrens<br />
rechtmäßige Zustän<strong>de</strong> hergestellt wer<strong>de</strong>n können.<br />
V. Für eine Beschränkung <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Gäste fehlt es offenkundig an einer Rechtsgrundlage. Es gibt<br />
keine „200-Personen-Grenze“, 7 wenn – wie hier – das Vorhaben <strong>de</strong>n baurechtlichen Bestimmungen<br />
genügt. We<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Bauvorlagen noch aus <strong>de</strong>r Baugenehmigung ergibt sich eine Begrenzung <strong>de</strong>r<br />
Besucherzahl. 8<br />
Eine solche Begrenzung erscheint mithin willkürlich, was die Ermessensfehlerhaftigkeit und damit<br />
die Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>r Entscheidung zur Folge hätte. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass<br />
die Gaststätte (mit Festsaal) schon seit vielen Jahren rechtmäßig bestand. Weitergehen<strong>de</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
können auch gegenüber unserem Mandanten nicht gestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
2. Genehmigungsverfahren<br />
Die Bauordnungen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r sehen eine Differenzierung vor, ob ein Vorhaben im sog. vereinfachten<br />
Verfahren o<strong>de</strong>r in einem umfassen<strong>de</strong>n („großen“) Verfahren zu genehmigen sind.<br />
Die Einführung <strong>de</strong>s vereinfachten Verfahrens entsprang <strong>de</strong>m Wunsch nach Deregulierung und<br />
Verfahrensbeschleunigung. Ist ein Vorhaben genehmigungsbedürftig, ist danach zu entschei<strong>de</strong>n,<br />
ob es im<br />
• vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 MBO o<strong>de</strong>r<br />
• „herkömmlichen“ Genehmigungsverfahren nach § 64 MBO<br />
zu genehmigen ist.<br />
a) Vereinfachtes Genehmigungsverfahren, § 63 MBO 9<br />
aa) Voraussetzungen für die Anwendbarkeit <strong>de</strong>s vereinfachten Verfahrens<br />
Das vereinfachte Verfahren gilt für die Mehrzahl <strong>de</strong>r Vorhaben. Gekennzeichnet ist es durch<br />
<strong>de</strong>n nur noch eingeschränkten Prüfungsumfang im Genehmigungsverfahren.<br />
Zunächst ist zu prüfen, ob ein Vorhaben tatsächlich in <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>s vereinfachten Verfahrens<br />
kommen kann. Die Bauordnungen knüpfen diesbezüglich an bestimmte Vorhabenstypen an<br />
und greifen hierzu auf die allgemeinen Begriffs<strong>de</strong>finitionen über „Gebäu<strong>de</strong>klassen“ zurück, vgl<br />
§ 2 Abs. 3 MBO. „Son<strong>de</strong>rbauten“ (vgl § 2 Abs. 4 MBO) unterliegen nach wie vor <strong>de</strong>m „großen<br />
Verfahren“ mit umfassen<strong>de</strong>r öffentlich-rechtlicher Unbe<strong>de</strong>nklichkeitsbescheinigung. Demgegenüber<br />
unterfallen Wohngebäu<strong>de</strong> und gewerblich genutzte Gebäu<strong>de</strong> geringer Höhe regelmäßig<br />
<strong>de</strong>m vereinfachten Verfahren.<br />
Typische Fallkonstellation: Die untere Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> bestreitet <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion<br />
unter Hinweis darauf, dass das in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> Vorhaben nicht im vereinfachten<br />
Verfahren zu genehmigen sei und daher gar kein Fall vorliegt, in <strong>de</strong>m eine Genehmigungsfiktion<br />
eintreten kann.<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
7 Die „200-Personen-Grenze“ ergibt sich etwa aus <strong>de</strong>r Muster-Versammlungsstättenverordnung <strong>de</strong>r ARGEBAU (Fassung<br />
Juni 2005). Eine Einrichtung <strong>de</strong>r in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Art gilt als „Son<strong>de</strong>rbau“, vgl § 2 Abs. 4 Nr. 7 a, 8 MBO. An eine solche<br />
können zur Gefahrenabwehr beson<strong>de</strong>re Anfor<strong>de</strong>rungen gestellt wer<strong>de</strong>n, vgl § 51 MBO.<br />
8 Vgl hierzu OVG Münster, B. v. 12.1.2001 – 10 B 1827/00, NVwZ-RR 2001, 430.<br />
9 In Ba<strong>de</strong>n-Württemberg: „Kenntnisgabeverfahren“; Übersicht über die Ausgestaltung <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>rregelungen bei<br />
Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht II, S. 92–99; zum Prüfprogramm gem. Art. 59 BayBO 2008: Jä<strong>de</strong>/Famers, BayVBl.<br />
2008, 33, 34.<br />
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23<br />
12<br />
347<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
u Muster: Formlose Auffor<strong>de</strong>rung an die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>, nach Ablauf <strong>de</strong>r hierfür vorgesehenen<br />
Frist <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion zu bestätigen<br />
An das Landratsamt •••<br />
– Untere Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> –<br />
Bauvoranfrage <strong>de</strong>r Frau •••<br />
Bauvorhaben: Errichtung •••<br />
Baugrundstück: in •••, Flst. Nr. •••<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
wir zeigen an, dass uns Frau ••• mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat.<br />
Eine Vollmacht ist in <strong>de</strong>r Anlage beigefügt.<br />
Einer ersten Bitte unserer Mandantin mit Schreiben vom •••, <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion<br />
zu bestätigen, ist die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> mit Schreiben vom ••• unter Hinweis auf die vermeintliche<br />
Eigenschaft <strong>de</strong>s Vorhabens als Son<strong>de</strong>rbau iSd § 2 Abs. 8 Nr. ••• HBO entgegengetreten, die einer<br />
Behandlung <strong>de</strong>s Bauantrags im vereinfachten Verfahren nach § 57 HBO und damit auch <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />
<strong>de</strong>s Eintritts <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion entgegenstün<strong>de</strong>.<br />
Diese Einschätzung <strong>de</strong>r Sach- und Rechtslage teilen wir nicht. Im Einzelnen legen wir dies nachfolgend<br />
dar:<br />
1. Der o.g. Bauantrag vom ••• ist ausweislich <strong>de</strong>r Eingangsbestätigung <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> am<br />
••• dort eingegangen. Das Vorhaben unterliegt <strong>de</strong>m vereinfachten Genehmigungsverfahren gem.<br />
§ 57 HBO. Diese Regelung ist gem. § 66 Abs. 2 HBO auch auf Bauvoranfragen anzuwen<strong>de</strong>n. Gemäß<br />
§ 57 Abs. 2 S. 3 HBO gilt das Vorhaben mit Ablauf <strong>de</strong>r Dreimonatsfrist, dh mit Ablauf <strong>de</strong>s •••, als<br />
genehmigt.<br />
2. Zu Unrecht unterstellt die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>, das Vorhaben unterliege nicht <strong>de</strong>m vereinfachten<br />
Verfahren, weil es einen „Son<strong>de</strong>rbau“ darstelle.<br />
a) Das Vorhaben fällt unter § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 HBO. Demnach gehören zur Gebäu<strong>de</strong>klasse 3 „sonstige<br />
Gebäu<strong>de</strong> bis zu 7 m Höhe“. Dies ist unstreitig.<br />
Die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> bemüht zur Begründung <strong>de</strong>r vermeintlichen Son<strong>de</strong>rbaueigenschaft <strong>de</strong>n in<br />
§ 2 Abs. 8 Nr. 18 HBO enthaltenen Auffangtatbestand, weil das Vorhaben wegen <strong>de</strong>r Unterschreitung<br />
<strong>de</strong>r dort genannten (Größen-)Schwellen <strong>de</strong>n Tatbestand einer spezielleren Regelung, insb. <strong>de</strong>s § 2<br />
Abs. 8 Nr. ••• HBO, nicht erfülle. Aber auch dieser „Umweg“ über <strong>de</strong>n Auffangtatbestand rechtfertigt<br />
nicht die Annahme, das Vorhaben sei <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rbauten zuzurechnen.<br />
b) Angesichts <strong>de</strong>r Spezialregelung, die in § 2 Abs. 8 Nr. ••• HBO enthalten ist, besteht von vornherein<br />
kein Raum für die Anwendung <strong>de</strong>s Auffangtatbestan<strong>de</strong>s. § 2 Abs. 8 HBO ist – an<strong>de</strong>rs noch als die<br />
„insbeson<strong>de</strong>re-Aufzählung“ in <strong>de</strong>r Vorgängerregelung <strong>de</strong>s § 53 Abs. 5 HBO (1993) – als abschließen<strong>de</strong>r<br />
Katalog konzipiert. 10<br />
Die in § 2 Abs. 8 Nr. 18 HBO enthaltene Auffangregelung ist aufgrund <strong>de</strong>s Ausnahmecharakters <strong>de</strong>r<br />
Regelung eng auszulegen (Hornmann, HBO, § 2 Rn 131). Die Auffangregelung erlaubt es nicht, die<br />
Son<strong>de</strong>rbautatbestän<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n spezielleren Regelungen zu erweitern und Anlagen auch unterhalb<br />
<strong>de</strong>r dort genannten „Einstiegsschwellen“ als Son<strong>de</strong>rbauten einzustufen. Unter <strong>de</strong>m in § 2 Abs. 8<br />
Nr. ••• HBO genannten Maß liegen<strong>de</strong> Vorhaben gehören daher nicht zu <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rbauten (LT-Drucks.<br />
15/3635, S. 90; ebenso: Nr. 2.8.1.4 <strong>de</strong>s Erlasses zur HBO 2002, StAnz. v. 9.2.2004, S. 746).<br />
10 So ausdr. LT-Drucks. 15/3635, S. 90.<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
c) Es war gera<strong>de</strong> Sinn und Zweck <strong>de</strong>r nun in § 2 Abs. 8 Nr. ••• HBO enthaltenen Regelung, Vorhaben<br />
unterhalb <strong>de</strong>r dort genannten Größenschwelle nicht mehr zu <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rbauten zu rechnen und damit<br />
strengeren Anfor<strong>de</strong>rungen zu unterwerfen. Dem liegt die Überlegung zugrun<strong>de</strong>, dass Vorhaben dieser<br />
Art (erst) ab einer Min<strong>de</strong>stgröße ein beson<strong>de</strong>res Gefahrenpotenzial aufweisen. •••. Hinzu kommt,<br />
dass die Einführung <strong>de</strong>r sog. Einstiegsschwellen auch <strong>de</strong>r Rechtssicherheit dient, um klarzustellen,<br />
welche Anlagen <strong>de</strong>m Recht <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rbauten unterworfen wer<strong>de</strong>n sollen und welche diesen Son<strong>de</strong>rregelungen<br />
gera<strong>de</strong> nicht genügen müssen.<br />
Es gibt daher keinen sachlichen Grund, das Vorhaben – ausnahmsweise und abweichend vom gesetzlichen<br />
Regelfall – <strong>de</strong>n Vorschriften über Son<strong>de</strong>rbauten zu unterstellen.<br />
d) Den beson<strong>de</strong>ren Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 45 HBO 11 sollen nur solche Anlagen unterworfen sein, die<br />
ein beson<strong>de</strong>rs hohes Gefahrenpotenzial aufweisen.<br />
Angesichts <strong>de</strong>s Grundsatzes <strong>de</strong>r Baufreiheit bedarf es einer speziellen Rechtfertigung, um an Son<strong>de</strong>rbauten<br />
verschärfte Anfor<strong>de</strong>rungen zu stellen. Ist es zur Gefahrenabwehr nicht erfor<strong>de</strong>rlich, höhere<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen zu stellen als diejenigen, die sich aus <strong>de</strong>n §§ 25 ff HBO ohnehin ergeben, ist es nicht<br />
gerechtfertigt, solche Anlagen einem strengeren Regime zu unterwerfen. Ein solches Vorgehen wäre<br />
unverhältnismäßig und mit <strong>de</strong>m Grundsatz <strong>de</strong>r Baufreiheit unvereinbar.<br />
e) Aus <strong>de</strong>m vorstehend Gesagten ergibt sich, dass die von <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> angeführten<br />
Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Brandschutzes eine Charakterisierung als Son<strong>de</strong>rbau nicht rechtfertigen. Sonstige Grün<strong>de</strong>,<br />
aus <strong>de</strong>nen sich ein beson<strong>de</strong>res Gefahrenpotenzial ableiten ließe, sind von <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong><br />
we<strong>de</strong>r genannt wor<strong>de</strong>n noch ersichtlich.<br />
Die beabsichtigte Einstufung als Son<strong>de</strong>rbau iSd § 2 Abs. 8 Nr. 18 HBO wird nicht von sachlich begrün<strong>de</strong>ten<br />
Erwägungen getragen und erscheint willkürlich. Sie steht im Wi<strong>de</strong>rspruch zur Regelungssystematik<br />
<strong>de</strong>s § 2 Abs. 8 HBO.<br />
Eine Auslegung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck <strong>de</strong>r Regelung lässt nur<br />
<strong>de</strong>n Schluss zu, dass das verfahrensgegenständliche Vorhaben nicht zu <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rbauten iSd § 2<br />
Abs. 8 HBO zu rechnen ist.<br />
3. Da das Vorhaben nicht zu <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rbauten gehört, unterliegt es somit <strong>de</strong>m vereinfachten Genehmigungsverfahren<br />
gem. § 57 HBO; eine solche Genehmigung im vereinfachten Verfahren war auch<br />
ausdrücklich beantragt.<br />
4. Wir for<strong>de</strong>rn Sie daher auf, eine Bestätigung auszustellen, dass <strong>de</strong>r o.g. Bauvorbescheid gem.<br />
§ 57 Abs. 2 S. 3 HBO als erteilt gilt. Diese wird zur Vorlage bei einem Kreditinstitut und zur Ausübung<br />
einer Kaufoption von unserer Mandantin dringend benötigt.<br />
Unsere Mandantin wird in Kürze einen Bauantrag vorlegen. Grundlage <strong>de</strong>r bauplanungsrechtlichen<br />
Zulässigkeit ist <strong>de</strong>r im Wege <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion erlangte Bauvorbescheid, <strong>de</strong>r im anstehen<strong>de</strong>n<br />
Baugenehmigungsverfahren Bindungswirkung entfaltet.<br />
Wir erinnern vorsorglich daran, dass wir bereits mehrfach die schleppen<strong>de</strong> Bearbeitung durch die<br />
Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> gerügt haben. Unsere Mandantin ist nicht bereit, im anstehen<strong>de</strong>n Verfahren<br />
weitere Verzögerungen hinzunehmen. Wir sind beauftragt, künftig alle Möglichkeiten zu nutzen,<br />
Ersatzansprüche gegenüber <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> ••• geltend zu machen. In<br />
diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass unsere Mandantin nach Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion<br />
bereits mit <strong>de</strong>n Planungen begonnen hat und Verhandlungen über Bauverträge laufen.<br />
11 Vgl § 51 MBO.<br />
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23<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
Soweit durch weiterhin amtspflichtwidriges Verhalten <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n Zeitverzug entsteht, wer<strong>de</strong>n wir<br />
Verzögerungsschä<strong>de</strong>n geltend machen.<br />
Dem Eingang <strong>de</strong>r Bestätigung über <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion sehen wir bis zum ••• entgegen.<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
348<br />
Die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin begehrt eine Baugenehmigung für •••. Ihren Bauantrag, über <strong>de</strong>n im vereinfachten<br />
Baugenehmigungsverfahren zu entschei<strong>de</strong>n war, hat die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> mit Entbb)<br />
Prüfungsgegenstand im vereinfachten Verfahren<br />
Die bauaufsichtliche Prüfung beschränkt sich im vereinfachten Verfahren gem. § 63 S. 1 MBO<br />
auf die Zulässigkeit<br />
• nach <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>s BauGB,<br />
• von Abweichungen nach § 67 MBO,<br />
• nach an<strong>de</strong>ren öffentlich-rechtlichen Vorschriften, soweit wegen <strong>de</strong>r Baugenehmigung eine<br />
Entscheidung nach diesen Vorschriften entfällt o<strong>de</strong>r ersetzt wird.<br />
Folge <strong>de</strong>r eingeschränkten Prüfungskompetenz ist, dass ein Baugesuch nicht aus Grün<strong>de</strong>n abgelehnt<br />
wer<strong>de</strong>n darf, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind. Von wesentlicher<br />
Be<strong>de</strong>utung ist <strong>de</strong>r Gesichtspunkt <strong>de</strong>s eingeschränkten Prüfprogramms im vereinfachten Verfahren<br />
für die Möglichkeiten <strong>de</strong>r Drittanfechtung einer Baugenehmigung durch <strong>de</strong>n Nachbarn.<br />
12<br />
Typische Fallkonstellation: Der Bauwerber stellt ein Vorhaben zur Genehmigung, das bauplanungsrechtlich<br />
nicht zu beanstan<strong>de</strong>n ist. Das Vorhaben kann aber nicht alle bauordnungsrechtlichen<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen erfüllen. Unterlässt es <strong>de</strong>r Bauwerber, einen Abweichungsantrag zu<br />
stellen, darf die Baugenehmigungsbehör<strong>de</strong> idR das Baugesuch nicht wegen eines Verstoßes gegen<br />
Bauordnungsrecht ablehnen. 13<br />
u Muster: Verpflichtungswi<strong>de</strong>rspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, die im vereinfachten<br />
Baugenehmigungsverfahren zu behan<strong>de</strong>ln ist<br />
An das Regierungspräsidium •••<br />
Bauvorhaben <strong>de</strong>r Fa. •••, Vorhabengrundstück ••• in •••, Flst. Nr. •••<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch vom ••• gegen die Versagung <strong>de</strong>r Baugenehmigung<br />
Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren, Az •••<br />
Nachstehend begrün<strong>de</strong>n wir namens <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin <strong>de</strong>n mit Schriftsatz vom ••• eingelegten<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch und beantragen:<br />
1. Die Entscheidung <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> wird aufgehoben. Auf <strong>de</strong>n Antrag <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchführerin<br />
vom ••• wird die Baugenehmigung erteilt.<br />
2. Die Kosten <strong>de</strong>s Verfahrens trägt die Wi<strong>de</strong>rspruchsgegnerin.<br />
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.<br />
Begründung:<br />
A. Sachverhalt<br />
12 ZB OVG Mag<strong>de</strong>burg, B. v. 16.3.2006 – 2 M 83.06, juris; OVG Saarlouis, U. v. 3.4.2008 – 2 A 387/07, NVwZ-RR 2008,<br />
770; einschränkend allerdings für einen offenkundigen Verstoß gegen Brandschutzvorschriften: OVG Münster, U.<br />
v. 28.1.2009 – 10 A 1075/08, BauR 2009, 802; BVerwG, B. v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58.<br />
13 OVG Koblenz, B. v. 22.10.2008 – 8 A 10942/08, BauR 2009, 799; VGH Kassel, B. v. 28.11.2005 – 3 TG 2774/05, HGZ<br />
2006, 22.<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
scheidung vom ••• abgelehnt. Die ablehnen<strong>de</strong> Entscheidung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin am<br />
••• zugestellt.<br />
Die Ablehnung wur<strong>de</strong> damit begrün<strong>de</strong>t, dass das Vorhaben <strong>de</strong>n bauordnungsrechtlichen Vorschriften<br />
nicht genüge. ••• Ein Abweichungsantrag sei nicht gestellt wor<strong>de</strong>n, eine Abweichung hätte auch<br />
nicht erteilt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Gegen die Versagung <strong>de</strong>r Baugenehmigung hat die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin mit Schreiben vom •••<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch erhoben.<br />
B. Rechtliche Würdigung<br />
I. Zulässigkeit •••<br />
II. Der Wi<strong>de</strong>rspruch ist begrün<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn die Versagung <strong>de</strong>r Baugenehmigung ist rechtswidrig und<br />
verletzt die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO analog. Sie hat einen<br />
Anspruch auf Erteilung <strong>de</strong>r begehrten Baugenehmigung, weil im Genehmigungsverfahren zu prüfen<strong>de</strong><br />
Vorschriften <strong>de</strong>m Vorhaben nicht entgegenstehen.<br />
1. Ob das Vorhaben <strong>de</strong>n bauordnungsrechtlichen Anfor<strong>de</strong>rungen entspricht, ist im vereinfachten<br />
Verfahren, das hier Anwendung fin<strong>de</strong>t, nicht zu prüfen, § 63 MBO.<br />
Mit <strong>de</strong>m vereinfachten Baugenehmigungsverfahren hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber <strong>de</strong>n Umfang <strong>de</strong>r präventiven<br />
bauaufsichtlichen Kontrolle zur Beschleunigung <strong>de</strong>r Baugenehmigungsverfahren sowie <strong>de</strong>s Abbaus<br />
präventiver staatlicher Kontrolltätigkeit unter gleichzeitiger Stärkung <strong>de</strong>r Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r<br />
Bauherrschaft und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren am Bau Beteiligten reduziert. Das Prüfprogramm ist auf diejenigen<br />
Prüfungspunkte beschränkt wor<strong>de</strong>n, die in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Gesetzgebers wegen <strong>de</strong>r gefahrenrechtlichen<br />
Komplexität einer baulichen Anlage unverzichtbar sind. Die Herausnahme <strong>de</strong>s Bauordnungsrechts<br />
aus <strong>de</strong>m Prüf- und Entscheidungsprogramm <strong>de</strong>s vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens<br />
ist somit eine bewusste und gewollte gesetzgeberische Entscheidung.<br />
Die von <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsgegnerin angeführte Regelung, mit <strong>de</strong>m das Vorhaben nicht vereinbar sei,<br />
ist <strong>de</strong>m Bauordnungsrecht zuzurechnen und gehört daher nicht zum Prüfprogramm im hier anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
vereinfachten Verfahren. Daher kann die Genehmigung nicht mit <strong>de</strong>r Begründung versagt<br />
wer<strong>de</strong>n, das Vorhaben verstoße gegen diese – nicht zu prüfen<strong>de</strong> – Norm.<br />
2. Der Anspruch <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin auf Erteilung <strong>de</strong>r bauaufsichtlichen Genehmigung scheitert<br />
auch nicht an <strong>de</strong>m etwa fehlen<strong>de</strong>n Sachbescheidungsinteresse. Es ist in <strong>de</strong>r Rspr zwar anerkannt,<br />
dass die Prüfung <strong>de</strong>s Sachbescheidungsinteresses allgemeine Antragsvoraussetzung ist und die Ablehnung<br />
eines Bauantrags aus diesem Grund auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht<br />
von vornherein ausgeschlossen ist. 14 Die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> braucht dann nicht in die sachliche<br />
Prüfung eines Antrags einzutreten, wenn <strong>de</strong>r Antragsteller die erstrebte Erlaubnis zwar (möglicherweise)<br />
formal beanspruchen kann, zugleich aber klar ist, dass er aus an<strong>de</strong>rweitigen Grün<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>ren<br />
Verwertung gehin<strong>de</strong>rt und die Erteilung daher ersichtlich nutzlos wäre. Dem Bauantrag <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin<br />
könnte aber nur dann das Fehlen <strong>de</strong>s grds. anzunehmen<strong>de</strong>n Sachbescheidungsinteresses<br />
entgegengehalten wer<strong>de</strong>n, wenn feststeht, dass sie an einer Verwertung <strong>de</strong>r begehrten Genehmigung<br />
gehin<strong>de</strong>rt und die Genehmigung daher für sie ersichtlich nutzlos wäre. Dies wäre nur<br />
dann <strong>de</strong>r Fall, wenn ein offensichtliches und nicht ausräumbares Hin<strong>de</strong>rnis gegen die Verwertung<br />
14 VGH München, U. v. 23.3.2006 – 26 ZB 05.555, BayVBl. 2006, 537; OVG Koblenz, U. v. 22.10.2008 – 8 A 10942/08,<br />
BauR 2009, 799; VGH München, U. v. 19.1.2009 – 2 BV 08.2567, BRS 74, Nr. 157; U. v. 1.7.2009 – 2 BV 08.2465,<br />
BRS 74 Nr. 158; instruktiv zum Sachbescheidungsinteresse auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r HBO 2011 Hornmann, NVwZ 2011,<br />
212.<br />
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23<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
<strong>de</strong>r Genehmigung bestün<strong>de</strong> (VGH München, U. v. 23.3.2006 – 26 B 05.555, BayVBl. 2006, 537). Davon<br />
kann hier keine Re<strong>de</strong> sein, auch die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> hat dies nicht behauptet.<br />
3. Bauplanungsrechtlich ist das Vorhaben nicht zu beanstan<strong>de</strong>n. Dies ist unstreitig.<br />
4. Stehen mithin <strong>de</strong>m Vorhaben im Genehmigungsverfahren zu prüfen<strong>de</strong> öffentlich-rechtliche Vorschriften<br />
nicht entgegen, ist die Baugenehmigung zu erteilen. Daraus folgt, dass die Ablehnung <strong>de</strong>s<br />
Baugesuchs rechtswidrig ist und die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin in ihren Rechten verletzt.<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
17<br />
18<br />
19<br />
349<br />
cc) Genehmigungsfiktion im vereinfachten Verfahren<br />
Wesentliche Be<strong>de</strong>utung hat die Möglichkeit <strong>de</strong>s Eintritts <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion, sofern nicht<br />
innerhalb einer bestimmten Frist 15 über <strong>de</strong>n (vollständigen) Antrag entschie<strong>de</strong>n ist. Die Län<strong>de</strong>rregelungen<br />
sind allerdings unterschiedlich ausgestaltet, so dass im Einzelfall – auf <strong>de</strong>r<br />
Grundlage <strong>de</strong>s jeweils gelten<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>srechts – zu prüfen ist, welche Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n<br />
Beginn <strong>de</strong>s Fristlaufs zu stellen sind (zB Vollständigkeit <strong>de</strong>s Antrags, Bestätigung <strong>de</strong>r Vollständigkeit).<br />
16<br />
Typische Fallkonstellation: Die untere Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> bestreitet das Vorliegen <strong>de</strong>r Voraussetzungen,<br />
unter <strong>de</strong>nen eine Genehmigungsfiktion eintreten kann. Streitpunkte können dabei<br />
die Art <strong>de</strong>s in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Vorhabens o<strong>de</strong>r die Fristberechnung sein, insb. <strong>de</strong>r Zeitpunkt,<br />
zu <strong>de</strong>m die Entscheidungsfrist <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> zu laufen beginnt.<br />
u Muster: Wi<strong>de</strong>rspruchsbegründung unter Berufung auf <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion<br />
vor Erlass <strong>de</strong>s eine Baugenehmigung ablehnen<strong>de</strong>n Bescheids <strong>de</strong>r unteren Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong><br />
An das Regierungspräsidium •••<br />
Bauvoranfrage <strong>de</strong>r Fa. •••<br />
Bauvorhaben: Errichtung •••<br />
Baugrundstück: ••• in •••, Flst. Nr. •••<br />
Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren, Az •••<br />
Namens und in Vollmacht <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin begrün<strong>de</strong>n wir <strong>de</strong>n mit Schreiben vom ••• eingelegten<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch gegen <strong>de</strong>n Bescheid <strong>de</strong>s Bauaufsichtsamtes ••• vom ••• und beantragen:<br />
1. Der Bescheid <strong>de</strong>s Bauaufsichtsamtes vom •••, Az •••, wird aufgehoben.<br />
2. Es wird festgestellt, dass das Vorhaben <strong>de</strong>m vereinfachten Verfahren nach § 57 HBO unterliegt<br />
und mit Ablauf <strong>de</strong>s ••• Genehmigungsfiktion eingetreten ist.<br />
Hilfsweise: Die beantragte Baugenehmigung wird erteilt.<br />
3. Die Kosten <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahrens trägt die Wi<strong>de</strong>rspruchsgegnerin.<br />
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.<br />
Begründung:<br />
A. Sachverhalt<br />
I. Die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin hat am ••• einen Antrag auf Erteilung <strong>de</strong>r Baugenehmigung gestellt. Die<br />
Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> hat mit Schreiben vom ••• gegenüber <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin <strong>de</strong>n Eingang<br />
<strong>de</strong>s Baugesuchs bestätigt.<br />
15 Vgl § 57 Abs. 2 S. 3 HBO: innerhalb von drei Monaten.<br />
16 So in Rheinland-Pfalz: OVG Koblenz, U. v. 10.7.2007 – 8 A 10160/07, NVwZ-RR 2007, 743; ebenso im Saarland: VG<br />
Saarlouis, U. v. 23.4.2008 – 5 K 360/07, LKRZ 2008, 379; zum Beginn <strong>de</strong>s Fristlaufs nach Bln-BauO: OVG Berlin-<br />
Bran<strong>de</strong>nburg, B. v. 28.3.2011 – OVG 2 S 79.10, NVwZ-RR 2011, 469.<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
Gegenstand <strong>de</strong>s Baugesuchs ist •••.<br />
II. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich <strong>de</strong>s seit ••• rechtsverbindlichen Bebauungsplans<br />
•••. Dieser enthält für das Baugrundstück Festsetzungen hinsichtlich <strong>de</strong>r Art und <strong>de</strong>s Maßes <strong>de</strong>r<br />
baulichen Nutzung sowie <strong>de</strong>r Grundstücksfläche, die überbaut wer<strong>de</strong>n darf. Im Einzelnen: •••<br />
III. Die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> hat <strong>de</strong>n Eingang <strong>de</strong>s o.g. Antrags auf Erteilung <strong>de</strong>r Baugenehmigung<br />
mit Schreiben vom ••• bestätigt. Der Antrag war vollständig und bescheidungsfähig.<br />
Mit Bescheid vom •••, Az •••, hat die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Bauantrag abgelehnt. Ausschlaggebend<br />
waren ausweislich <strong>de</strong>r Begründung <strong>de</strong>s Bescheids die (vermeintlich) bauplanungsrechtliche<br />
Unzulässigkeit und das versagte Einvernehmen <strong>de</strong>r Stadt •••.<br />
B. Rechtliche Würdigung<br />
Die Ablehnung <strong>de</strong>s Bauantrags ist rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid verletzt die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin<br />
in ihren Rechten.<br />
Für die Ablehnung <strong>de</strong>r begehrten Baugenehmigung ist inzwischen kein Raum mehr. Die Genehmigung<br />
galt zu diesem Zeitpunkt gem. § 57 Abs. 2 S. 3 HBO bereits als erteilt, <strong>de</strong>nn es war Genehmigungsfiktion<br />
eingetreten.<br />
Die Ablehnung <strong>de</strong>r beantragten Baugenehmigung verletzt die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin selbst dann in<br />
ihren Rechten, wenn man mit <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> annähme, dass die Genehmigungsfiktion<br />
nicht eingetreten sei und im Zeitpunkt <strong>de</strong>r ablehnen<strong>de</strong>n Entscheidung die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> noch<br />
befugt war, <strong>de</strong>n Antrag sachlich zu beschei<strong>de</strong>n. Denn die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin hat einen Anspruch<br />
auf Erteilung <strong>de</strong>r begehrten Baugenehmigung, weil im Verfahren zu prüfen<strong>de</strong> öffentlich-rechtliche<br />
Vorschriften <strong>de</strong>m Vorhaben nicht entgegenstehen, § 64 Abs. 1 HBO.<br />
Zur Begründung <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchs verweisen wir ergänzend auf die Stellungnahme vom •••, mit <strong>de</strong>r<br />
wir die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> zur Abgabe einer Erklärung über <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion<br />
aufgefor<strong>de</strong>rt hatten.<br />
I. Genehmigungsfiktion<br />
Eine Ablehnung <strong>de</strong>s Antrags auf Erteilung <strong>de</strong>r Baugenehmigung durfte nicht mehr ergehen, weil die<br />
Baugenehmigung zu diesem Zeitpunkt gem. § 57 Abs. 2 S. 3 HBO bereits als erteilt galt (Genehmigungsfiktion).<br />
Mit Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion hat die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin eine Rechtsposition<br />
erlangt, die <strong>de</strong>rjenigen im Falle <strong>de</strong>r Erteilung einer förmlichen Baugenehmigung entspricht.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re kann nach Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion <strong>de</strong>r Antrag nicht mehr ablehnend beschie<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
1. Das streitgegenständliche Vorhaben unterliegt <strong>de</strong>n Vorschriften über die Anwendung <strong>de</strong>s vereinfachten<br />
Verfahrens. ••• Dies ist unstreitig.<br />
2. Da über die Zulässigkeit <strong>de</strong>s Vorhabens im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren iSd § 57 HBO<br />
zu entschei<strong>de</strong>n ist, ergeben sich die Zulässigkeitsvoraussetzungen aus § 57 Abs. 2 BauGB. Außer<strong>de</strong>m<br />
sind die weiteren Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s vereinfachten Verfahrens zu berücksichtigen.<br />
Bei Behandlung im vereinfachten Genehmigungsverfahren gilt gem. § 57 Abs. 2 S. 3 HBO die Genehmigung<br />
als erteilt, wenn nicht innerhalb von drei Monaten nach Eingang <strong>de</strong>s (vollständigen) Antrags<br />
über diesen entschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n ist; aus wichtigem Grund kann die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> die Frist<br />
um (bis zu) zwei Monate verlängern. Mit Fristablauf tritt (automatisch) Genehmigungsfiktion ein,<br />
ohne dass es hierzu weiterer Handlungen <strong>de</strong>s Bauaufsichtsamtes, insb. einer entsprechen<strong>de</strong>n Erklärung<br />
o<strong>de</strong>r Bestätigung, erst recht keiner förmlichen Entscheidung, bedarf.<br />
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23<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
Fristbeginn ist <strong>de</strong>r Eingang <strong>de</strong>s vollständigen Antrags. Die Fristenberechnung erfolgt gem. § 31<br />
HessVwVfG iVm §§ 177 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB.<br />
Wie sich aus <strong>de</strong>r Eingangsbestätigung vom ••• ergibt, ist <strong>de</strong>r Antrag am ••• bei <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong><br />
eingegangen. Eine etwaige Unvollständigkeit <strong>de</strong>s Antrags hat die Wi<strong>de</strong>rspruchsgegnerin zu<br />
keinem Zeitpunkt behauptet. Mit Einreichung war <strong>de</strong>r Bauantrag vollständig und bescheidungsfähig.<br />
Damit en<strong>de</strong>te die Entscheidungsfrist mit Ablauf <strong>de</strong>s •••; eine Fristverlängerung erfolgte nicht. Mit<br />
diesem Zeitpunkt ist daher Genehmigungsfiktion eingetreten.<br />
3. Die Genehmigungsfiktion umfasst ebenfalls beantragte Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen.<br />
Die Baugenehmigung für das Vorhaben, wie es sich aus <strong>de</strong>m Antrag vom ••• ergibt, gilt somit als<br />
einschränkungslos erteilt. Das Fehlen <strong>de</strong>s Einvernehmens hin<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion<br />
nicht. Die nachträgliche Verweigerung <strong>de</strong>s Einvernehmens <strong>de</strong>r Stadt ••• lässt <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r<br />
im Wege <strong>de</strong>r Genehmigungsfiktion erlangten Baugenehmigung unberührt.<br />
II. Hilfsweise: Genehmigungsanspruch<br />
Unter <strong>de</strong>r Annahme, es sei – entgegen <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin vertretenen Auffassung –<br />
über <strong>de</strong>n Antrag noch sachlich zu beschei<strong>de</strong>n, weil keine Genehmigungsfiktion eingetreten sei, besteht<br />
ein Anspruch auf Erteilung <strong>de</strong>r begehrten Baugenehmigung.<br />
1. •••<br />
2. Die Versagung <strong>de</strong>s Einvernehmens kann <strong>de</strong>r Erteilung <strong>de</strong>r Baugenehmigung nicht entgegengehalten<br />
wer<strong>de</strong>n. Denn das Einvernehmen <strong>de</strong>r Stadt ••• wur<strong>de</strong> rechtswidrig versagt.<br />
a) Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig. Die von <strong>de</strong>r Stadt geltend gemachten Grün<strong>de</strong> sind<br />
nicht bauplanungsrechtlicher Natur, dh sie können die Versagung <strong>de</strong>s Einvernehmens nicht rechtfertigen.<br />
b) Die Wi<strong>de</strong>rspruchsgegnerin hätte gem. § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB das Einvernehmen ersetzen müssen.<br />
Zwar steht nach <strong>de</strong>r genannten Vorschrift die Ersetzung <strong>de</strong>s gemeindlichen Einvernehmens im Ermessen<br />
<strong>de</strong>r unteren Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>. Vorliegend ist dieses Ermessen auf Null reduziert, weil die<br />
Versagung offenkundig rechtswidrig ist. Denn die geltend gemachten Versagungsgrün<strong>de</strong> liegen jenseits<br />
planungsrechtlicher Erwägungen und können daher von vornherein die Versagung <strong>de</strong>s Einvernehmens<br />
nicht tragen. •••<br />
III. Kostenentscheidung<br />
1. Im Wi<strong>de</strong>rspruchsbescheid ist gem. § 73 Abs. 3 S. 2 VwGO, § 80 Abs. 3 S. 2 HessVwVfG eine Kostenentscheidung<br />
zu treffen, die bei erfolgreichem Abschluss <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahrens zu einem<br />
Anspruch <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin auf Erstattung <strong>de</strong>r zur zweckentsprechen<strong>de</strong>n Rechtsverfolgung<br />
o<strong>de</strong>r -verteidigung notwendigen Aufwendungen führt, § 80 Abs. 1 S. 1 HessVwVfG. Dies gilt gem.<br />
§ 80 Abs. 1 S. 2 HessVwVfG selbst dann, wenn <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruch nach Auffassung <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchsbehör<strong>de</strong><br />
nur <strong>de</strong>shalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- o<strong>de</strong>r Formvorschrift<br />
nach § 45 HessVwVfG unbeachtlich ist.<br />
2. Die Gebühren und Auslagen eines im Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren beauftragten Rechtsanwalts sind nach<br />
§ 80 Abs. 2 HessVwVfG notwendige Aufwendungen, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig<br />
war. „Notwendig“ ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts nach <strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>r Rspr zu<br />
§ 162 Abs. 2 S. 2 VwGO bzw § 80 Abs. 2 HessVwVfG dann, wenn sie vom Standpunkt einer verständigen,<br />
nicht rechtskundigen Partei zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Bestellung für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten wer<strong>de</strong>n<br />
durfte und es <strong>de</strong>m Beteiligten nach seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
Umstän<strong>de</strong>n nicht zumutbar war, das Verfahren selbst zu führen. Eine „notwendige Zuziehung“ ist<br />
nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, son<strong>de</strong>rn entspricht <strong>de</strong>r Regel, da<br />
<strong>de</strong>r Bürger nur in Ausnahmefällen in <strong>de</strong>r Lage ist, selbst seine Rechte gegenüber <strong>de</strong>r Verwaltung<br />
ausreichend zu wahren (vgl Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 162 Rn 18).<br />
3. Die Wi<strong>de</strong>rspruchsführerin war nach diesen Maßstäben nicht in <strong>de</strong>r Lage, das Vorverfahren entsprechend<br />
selbst zu führen, so dass eine Zuziehung eines Rechtsanwalts vom Standpunkt einer verständigen,<br />
nicht rechtskundigen Partei für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten wer<strong>de</strong>n durfte.<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
b)<br />
„Großes“ Genehmigungsverfahren, § 64 MBO – Umfassen<strong>de</strong> öffentlich-rechtliche Unbe<strong>de</strong>nklichkeitsbescheinigung<br />
Das „große“ Baugenehmigungsverfahren (vormals „herkömmliches“ Baugenehmigungsverfahren)<br />
ist in weiten Bereichen vom „vereinfachten Verfahren“ verdrängt wor<strong>de</strong>n. In Hessen<br />
etwa wer<strong>de</strong>n kraft Gesetzes nur noch Son<strong>de</strong>rbauten iSd § 2 Abs. 8 HBO im („großen“) Verfahren<br />
gem § 58 HBO geprüft; <strong>de</strong>r Bauherr hat gem § 54 Abs. 3 HBO allerdings die Möglichkeit,<br />
auch bei Vorhaben, die nicht <strong>de</strong>m Verfahren nach § 58 HBO unterliegen, die Durchführung<br />
eines solchen zu verlangen. Die „große“ Baugenehmigung hat <strong>de</strong>n Charakter einer umfassen<strong>de</strong>n<br />
öffentlich-rechtlichen Unbe<strong>de</strong>nklichkeitsbestätigung. Um größtmögliche Rechtssicherheit<br />
bei drohen<strong>de</strong>n Nachbarwi<strong>de</strong>rsprüchen zu erlangen, kann es daher im Interesse <strong>de</strong>s<br />
Bauherrn sein, trotz höheren Verfahrensaufwan<strong>de</strong>s eine „große“ Baugenehmigung zu erstreben.<br />
Im „großen“ Verfahren erfolgt neben <strong>de</strong>r Prüfung bauplanungsrechtlicher Vorschriften<br />
auch die Prüfung <strong>de</strong>s Vorhabens gemessen an <strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>s Bauordnungsrechts sowie<br />
sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften, sofern diese nicht Gegenstand eines geson<strong>de</strong>rten<br />
Genehmigungsverfahrens sind.<br />
c) (Fehlen<strong>de</strong>) Wahlmöglichkeit <strong>de</strong>s Genehmigungsverfahrens<br />
Grundsätzlich besteht keine Wahlmöglichkeit zwischen bei<strong>de</strong>n Verfahrensarten. Es ist vielmehr<br />
das für das konkrete Vorhaben vom Gesetz vorgesehene Verfahren durchzuführen, sofern eine<br />
solche Wahlmöglichkeit nicht ausdrücklich eingeräumt ist. § 53 Abs. 3 HBO enthält für Hessen<br />
zB eine entsprechen<strong>de</strong> Wahlmöglichkeit. Demnach kann <strong>de</strong>r Bauherr bei Vorhaben, die <strong>de</strong>r<br />
Genehmigungsfreistellung unterfallen, die Durchführung eines vereinfachten o<strong>de</strong>r eines „großen“<br />
Baugenehmigungsverfahrens o<strong>de</strong>r bei Vorhaben, die <strong>de</strong>m vereinfachten Verfahren unterliegen,<br />
die Durchführung eines „großen“ Baugenehmigungsverfahrens verlangen.<br />
d) Abweichungen, § 67 MBO<br />
Die Zulassung einer Abweichung nach § 67 MBO setzt voraus, dass sie<br />
• unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s Zwecks <strong>de</strong>r jeweiligen Anfor<strong>de</strong>rung und<br />
• unter Würdigung <strong>de</strong>r öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange<br />
• mit <strong>de</strong>n öffentlichen Belangen, insb. <strong>de</strong>n allgemeinen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 3 Abs. 1 MBO,<br />
vereinbar ist.<br />
Eine Abweichung darf nur zugelassen wer<strong>de</strong>n, wenn ausreichend gewichtige Grün<strong>de</strong> vorliegen,<br />
durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterschei<strong>de</strong>t. Es muss sich um eine atypische, von<br />
<strong>de</strong>r gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste o<strong>de</strong>r bedachte Fallgestaltung han<strong>de</strong>ln. 17 Dabei<br />
müssen die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Vorschrift, von <strong>de</strong>r eine Abweichung erteilt wer<strong>de</strong>n soll, (<strong>de</strong>nnoch)<br />
„sinngemäß“ erfüllt wer<strong>de</strong>n.<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
17 OVG Weimar, U. v. 26.2.2002 – 1 KO 305/99, BRS 65 Nr. 130; Erfor<strong>de</strong>rnis <strong>de</strong>r grundstücksbezogenen Atypik bei Abweichung<br />
von Abstandsvorschriften: OVG Münster, B. v. 17.7.2008 – 7 B 195/08, NVwZ-RR 2008, 760; B.<br />
v. 17.11.2009 – 7 B 1350/09, NVwZ-RR 2010, 749.<br />
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23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
27<br />
350<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
Mit <strong>de</strong>r Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz eine Abwägung<br />
zwischen <strong>de</strong>n für das Vorhaben sprechen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Belangen <strong>de</strong>s Nachbarn.<br />
Es ist zu prüfen, ob die Schmälerung <strong>de</strong>r nachbarlichen Interessen durch überwiegen<strong>de</strong> Interessen<br />
<strong>de</strong>s Bauherrn o<strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong> öffentliche Belange gerechtfertigt ist. 18<br />
Mit <strong>de</strong>r Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber die Abweichung<br />
unter das Gebot <strong>de</strong>r Rücksichtnahme gestellt, auf <strong>de</strong>ssen Grundsätze bei <strong>de</strong>r Anwendung<br />
<strong>de</strong>s § 67 MBO zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n kann. Soll von nachbarschützen<strong>de</strong>n Vorschriften<br />
<strong>de</strong>s Abstandsflächenrechts abgewichen wer<strong>de</strong>n, bedarf es <strong>de</strong>s Vorliegens von privaten<br />
o<strong>de</strong>r öffentlichen Belangen von herausgehobener Be<strong>de</strong>utung, um sich gegen die Nachbarinteressen<br />
durchzusetzen. 19<br />
Hinweis: Bei Abweichungen von nachbarschützen<strong>de</strong>n Normen – praktisch am be<strong>de</strong>utsamsten<br />
sind die Abstandsvorschriften – ist beson<strong>de</strong>re Sorgfalt <strong>de</strong>s Bauwerbers geboten. Denn solche<br />
sind häufig Gegenstand von Drittanfechtungsrechtsbehelfen. Es kann daher zweckmäßig sein,<br />
im Vorfeld die Nachbarn, <strong>de</strong>ren Belange betroffen sind, einzubeziehen und über das Vorhaben<br />
zu informieren, evtl sogar <strong>de</strong>ren Zustimmung (in Form <strong>de</strong>r Unterzeichnung <strong>de</strong>r Bauvorlagen)<br />
zu erreichen. Ziel <strong>de</strong>s aktiven Zugehens auf die Nachbarn ist, etwaige Hin<strong>de</strong>rnisse zu erkennen<br />
und Möglichkeiten zu suchen, diese im Konsens auszuräumen.<br />
Typische Fallkonstellation: Die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> lehnt einen Bauantrag ab, weil das Vorhaben<br />
gegen bauordnungsrechtliche Regelungen verstößt und (vermeintlich) die Voraussetzungen<br />
für die Erteilung einer Abweichung nicht vorliegen.<br />
u Muster: Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung mit Erfor<strong>de</strong>rnis einer Abweichungsentscheidung<br />
betr. Abstandsflächen<br />
An das Verwaltungsgericht •••<br />
In <strong>de</strong>m Verwaltungsstreitverfahren<br />
Fa. Hausbau ••• GmbH<br />
– Klägerin –<br />
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte •••<br />
gegen<br />
Landratsamt •••, vertreten durch •••<br />
wegen: Versagung einer Baugenehmigung<br />
Az noch nicht bekannt<br />
erheben wir namens und im Auftrag <strong>de</strong>r Klägerin<br />
und beantragen:<br />
Klage<br />
– Beklagter –<br />
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung <strong>de</strong>s ablehnen<strong>de</strong>n Bescheids vom ••• in Gestalt <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchsbescheids<br />
vom ••• verpflichtet, entsprechend <strong>de</strong>m Bauantrag <strong>de</strong>r Klägerin vom ••• eine<br />
Baugenehmigung zu erteilen.<br />
2. Die Kosten <strong>de</strong>s Verfahrens trägt <strong>de</strong>r Beklagte.<br />
18 VGH München, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340, NVwZ-RR 2008, 84.<br />
19 VGH Kassel, B. v. 24.2.2003 – 4 UZ 195/03, BRS 66 Nr. 132; B. v. 5.2.2009 – 3 B 2218/08, BauR 2010, 751: Abweichung<br />
für Schutzzaun zugelassen im Fall <strong>de</strong>r Gefährdungslage für Konsulat; OVG Koblenz, U. v. 2.8.2007 – 1 A 10230/07,<br />
BauR 2007, 1936; zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen: Schulte, BauR 2007, 1514.<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
Begründung:<br />
A. Sachverhalt<br />
Gegenstand <strong>de</strong>s Baugesuchs ist ein Umbauvorhaben auf <strong>de</strong>m Grundstück ••• in •••. Dort besteht ein<br />
dreigeschossiges Wohnhaus mit vier Wohneinheiten. Das Dachgeschoss ist nicht ausgebaut und wird<br />
bisher nicht zu Wohnzwecken genutzt.<br />
Die <strong>de</strong>n Wohnungen zugeordneten vier Stellplätze sind im südlich angrenzen<strong>de</strong>n Hofbereich untergebracht.<br />
Die Zufahrt über das Nachbargrundstück ist durch Baulast gesichert.<br />
Das Grundstück befin<strong>de</strong>t sich im unbeplanten Innenbereich <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> ••• in einem überwiegend<br />
zu Wohnzwecken genutzten Quartier, § 34 Abs. 1 BauGB.<br />
Das Bauvorhaben umfasst die Aufstockung um ein Vollgeschoss, <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>s Dachgeschosses,<br />
die Errichtung eines zusätzlichen Stellplatzes sowie die Neuordnung <strong>de</strong>r Stellplätze. Ein weiterer<br />
Stellplatz soll abgelöst wer<strong>de</strong>n.<br />
Das Vorhaben fügt sich nach Art und Maß <strong>de</strong>r baulichen Nutzung in die Eigenart <strong>de</strong>r näheren Umgebung<br />
iSv § 34 BauGB ein. Auch nach <strong>de</strong>r Aufstockung hält es sich nach seiner Höhe, Geschossigkeit<br />
und Kubatur sowie <strong>de</strong>r Fläche, die überbaut wer<strong>de</strong>n soll, im Rahmen <strong>de</strong>r Umgebungsbebauung.<br />
Die Bauherrin hat in Ausübung <strong>de</strong>r ihr zustehen<strong>de</strong>n Wahlmöglichkeit gem § 54 Abs. 3 HBO beantragt,<br />
das Vorhaben im „großen“ Baugenehmigungsverfahren gem. § 58 HBO zu prüfen, dh, das vereinfachte<br />
Baugenehmigungsverfahren iSd § 57 HBO soll nicht zur Anwendung kommen.<br />
Mit Entscheidung vom •••, Az •••, hat die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> die Baugenehmigung versagt. Zur<br />
Begründung hat sie vorgetragen, das Vorhaben halte die Abstandsflächen nicht ein, <strong>de</strong>nn es sei eine<br />
Grenzbebauung vorgesehen. Das Absehen von <strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>r Abstandsflächen aus planungsrechtlichen<br />
Grün<strong>de</strong>n schei<strong>de</strong> vorliegend aus. Auch die Erteilung einer Abweichung (iSd § 67 MBO)<br />
komme vorliegend nicht in Betracht, diese sei unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht<br />
mit öffentlich-rechtlichen Belangen vereinbar. Im Übrigen könnten Stellplätze nicht in <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
Zahl nachgewiesen wer<strong>de</strong>n. Hinzu komme, dass die Bauherrin nicht <strong>de</strong>n Nachweis habe<br />
führen können, dass die Grenzwand zum grenzständigen Nachbargebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>n brandschutzrechtlichen<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen genügt. Das vorgelegte Brandschutzkonzept sei nicht ausreichend.<br />
Den gegen <strong>de</strong>n versagen<strong>de</strong>n Bescheid eingelegten Wi<strong>de</strong>rspruch vom ••• hat die Wi<strong>de</strong>rspruchsbehör<strong>de</strong><br />
••• mit Entscheidung vom ••• zurückgewiesen. Der Wi<strong>de</strong>rspruchsbescheid wur<strong>de</strong> am ••• zugestellt.<br />
B. Rechtliche Würdigung<br />
I. Die Klage ist zulässig. Sie richtet sich gegen die Versagung einer Baugenehmigung. Die Klägerin<br />
ist klagebefugt, die Klage ist form- und fristgerecht eingereicht wor<strong>de</strong>n. Zweifel an <strong>de</strong>r Zulässigkeit<br />
sind nicht ersichtlich.<br />
II. Die Klage ist auch begrün<strong>de</strong>t. Denn die Versagung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in<br />
ihren Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.<br />
1. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig, <strong>de</strong>nn es fügt sich nach Art und Maß seiner baulichen<br />
Nutzung in die Umgebungsbebauung ein.<br />
2. Das vermeintliche Fehlen eines Grenzabstan<strong>de</strong>s kann <strong>de</strong>m Vorhaben nicht entgegengehalten wer<strong>de</strong>n.<br />
Erstens begegnet bereits die Einschätzung <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>nken, es liege keine planungsrechtliche<br />
Ausnahme vor. Zum einen sind in <strong>de</strong>r näheren Umgebung mehrfach Grenzbauten<br />
vorhan<strong>de</strong>n (beidseitige Grenzbebauung unter Wahrung <strong>de</strong>r Obergrenze von 50 m, vgl § 22 Abs. 2<br />
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23<br />
Abschnitt 6: Öffentliches Baurecht<br />
BauNVO). Zum an<strong>de</strong>ren bestand auf <strong>de</strong>m Baugrundstück bereits bisher Grenzbebauung, dh, auch das<br />
vorhan<strong>de</strong>ne Gebäu<strong>de</strong> ist ohne Einhaltung eines Grenzabstands auf <strong>de</strong>r Grenze unmittelbar an das auf<br />
<strong>de</strong>m Nachbargebäu<strong>de</strong> bestehen<strong>de</strong> Wohnhaus angebaut. Lediglich höhenmäßig wird künftige das Vorhaben<br />
geringfügig (0,5 m) höher sein als das Nachbargebäu<strong>de</strong>. Wegen <strong>de</strong>r Aufstockung wird die<br />
gemeinsame Wandfläche größer sein als zuvor. Eine Abstandsfläche ist nicht erfor<strong>de</strong>rlich, weil nach<br />
planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut wer<strong>de</strong>n muss bzw darf, § 6 Abs. 1 S. 3 MBO.<br />
Diese Voraussetzungen liegen hier mit <strong>de</strong>n o.g. Überlegungen vor. •••<br />
Zweitens – dies macht die Klägerin hilfsweise geltend – liegen die Voraussetzungen für die Erteilung<br />
einer Abweichung (iSd § 67 MBO) vor. Demnach kann die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> Abweichungen von<br />
<strong>de</strong>n bauordnungsrechtlichen Anfor<strong>de</strong>rungen zulassen, wenn sie<br />
– unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s Zwecks <strong>de</strong>r jeweiligen Anfor<strong>de</strong>rung,<br />
– unter Würdigung <strong>de</strong>r öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange<br />
– mit <strong>de</strong>n öffentlichen Belangen, insb. <strong>de</strong>n allgemeinen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 3 Abs. 1 MBO, vereinbar<br />
sind.<br />
Dies ist hier <strong>de</strong>r Fall. ••• Insbeson<strong>de</strong>re weist das Grundstück einen atypischen Zuschnitt auf, in<strong>de</strong>m<br />
es – im Vergleich zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Grundstücken <strong>de</strong>s Quartiers – straßenseitig außergewöhnlich schmal<br />
und tief ist. Dies war auch <strong>de</strong>r Grund dafür, dass auf <strong>de</strong>m Baugrundstück bereits bisher eine Grenzbebauung<br />
zugelassen wur<strong>de</strong>.<br />
3. Der vermeintlich „fehlen<strong>de</strong>“ Stellplatz kann <strong>de</strong>m Vorhaben nicht entgegengehalten wer<strong>de</strong>n. Die<br />
Klägerin ist bereit, <strong>de</strong>n Stellplatz entsprechend <strong>de</strong>r Stellplatz- und Ablösesatzung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> •••<br />
abzulösen.<br />
4. Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s Beklagten wer<strong>de</strong>n auch die Brandschutzanfor<strong>de</strong>rungen eingehalten,<br />
§§ 14, 30 MBO. Die Klägerin hat hierzu im Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren das Gutachten eines Brandschutzsachverständigen<br />
vorgelegt, wonach die grenzständige Gebäu<strong>de</strong>abschlusswand <strong>de</strong>n brandschutzrechtlichen<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen genügt. Die Behör<strong>de</strong>n würdigen Inhalt und Ergebnis dieses Gutachtens<br />
unzutreffend •••.<br />
5. Da <strong>de</strong>m Vorhaben we<strong>de</strong>r bauplanungs- noch bauordnungsrechtliche Vorschriften und auch sonst<br />
keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, ist die Baugenehmigung zu erteilen. Die<br />
Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Genehmigung, <strong>de</strong>nn das Vorhaben verstößt nicht gegen<br />
im Genehmigungsverfahren zu prüfen<strong>de</strong> öffentlich-rechtliche Vorschriften, § 72 Abs. 1 MBO.<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
28<br />
29<br />
3. Prozessuales<br />
a) Verpflichtungsrechtsbehelf<br />
Will <strong>de</strong>r Bauwerber auf die Ablehnung seines Baugesuchs Wi<strong>de</strong>rspruch und erfor<strong>de</strong>rlichenfalls<br />
Klage erheben, ist ein Verpflichtungsrechtsbehelf die „richtige“ Klageart. Es geht nicht primär<br />
um die Aufhebung <strong>de</strong>r ablehnen<strong>de</strong>n Entscheidung, son<strong>de</strong>rn um die Verpflichtung <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>,<br />
die Baugenehmigung zu erteilen wie beantragt. Wird auf <strong>de</strong>n Rechtsbehelf die<br />
Baugenehmigung erteilt, ist die zunächst ablehnen<strong>de</strong> Entscheidung (konklu<strong>de</strong>nt) „vom Tisch“.<br />
b) Maßgeblicher Zeitpunkt<br />
Für eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung kommt es grds. darauf an,<br />
ob im Zeitpunkt <strong>de</strong>r (letzten) gerichtlichen Entscheidung ein Rechtsanspruch auf die begehrte<br />
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§ 23 Bauordnungsrecht 23<br />
Baugenehmigung besteht. 20 Än<strong>de</strong>rt sich nach Klageerhebung die Sach- o<strong>de</strong>r Rechtslage, ist dies<br />
im Berufungsverfahren – auch zu Ungunsten <strong>de</strong>s Bauwerbers – zu berücksichtigen. Er hat dann<br />
nur die Möglichkeit, seine Klage umzustellen und sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren<br />
als Fortsetzungsfeststellungsklage weiterzuführen.<br />
Auch im Revisionsverfahren ist entschei<strong>de</strong>nd, ob im Zeitpunkt <strong>de</strong>r Entscheidung ein Rechtsanspruch<br />
auf die Genehmigung besteht. Das gilt jedoch nur für Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Rechtslage.<br />
Neue Tatsachen, die erst während <strong>de</strong>s Revisionsverfahrens entstan<strong>de</strong>n sind, können dagegen<br />
keine Berücksichtigung mehr fin<strong>de</strong>n. 21<br />
c) Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
Eine Fortsetzungsfeststellungsklage liegt nur vor, wenn mit <strong>de</strong>r beantragten Feststellung <strong>de</strong>r<br />
Streitgegenstand nicht ausgewechselt wird. 22 Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag wechselt <strong>de</strong>n<br />
ursprünglichen Streitgegenstand (Baugenehmigung) nicht aus, son<strong>de</strong>rn stellt lediglich von <strong>de</strong>m<br />
Verpflichtungsbegehren auf ein Feststellungsbegehren um.<br />
Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO<br />
setzt voraus, 23 dass<br />
• die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig war,<br />
• nach Rechtshängigkeit ein erledigen<strong>de</strong>s Ereignis eingetreten ist,<br />
• ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und<br />
• ein Feststellungsinteresse gegeben ist.<br />
Typische Fallkonstellation: Nach Erhebung <strong>de</strong>r Klage erlässt die Gemein<strong>de</strong> einen Bebauungsplan.<br />
Die ursprünglich begrün<strong>de</strong>te Verpflichtungsklage hat nach Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtslage<br />
durch Erlass <strong>de</strong>s Bebauungsplans keine Aussicht auf Erfolg mehr.<br />
u Muster: Begründung einer Verpflichtungsklage mit hilfsweiser Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
An das Verwaltungsgericht •••<br />
In <strong>de</strong>m Verwaltungsstreitverfahren<br />
Klage<br />
30<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
351<br />
Herr •••<br />
– Kläger –<br />
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte •••<br />
gegen<br />
das Landratsamt •••, vertreten durch •••<br />
wegen: Versagung einer Baugenehmigung<br />
– Beklagter –<br />
Az •••<br />
begrün<strong>de</strong>n wir nachstehend die Klage und stellen namens <strong>de</strong>s Klägers folgen<strong>de</strong><br />
20 Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn 217.<br />
21 BVerwG, U. v. 13.3.2003 – 4 C 3.02, NVwZ 2003, 1261.<br />
22 BVerwG, U. v. 28.8.1987 – 4 C 31.86, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 173; U. v. 24.1.1992 – 7 C 24.91, NVwZ 1992,<br />
563; OVG Lüneburg, U. v. 15.5.2009 – 12 LC 51/07, juris.<br />
23 BVerwG, U. v. 28.4.1999 – 4 C 4.98, NVwZ 1999, 1105.<br />
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht<br />
Literatur: Deutscher Landkreistag, Rundschreiben 686/2007, Hinweise für die Kreiskrankenhäuser zur<br />
Anwendung <strong>de</strong>s Monti-Pakets; Duschner/Lang-Hefferle/Scharpf, Das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>shauptstadt München<br />
für die Umsetzung <strong>de</strong>r Freistellungsentscheidung <strong>de</strong>r EU-Kommission für Beihilfen, BayVBl. 2010,<br />
364; Jennert/Manz, EU-beihilfenrechtliche Risiken in <strong>de</strong>r kommunalen Praxis (Teil 2), KommJur 2009,<br />
367; Jennert/Manz, Kommunalbürgschaften und EU-Beihilferecht, ZKF 2009, 217; Jennert/Pauka, EUbeihilfenrechtliche<br />
Risiken in <strong>de</strong>r kommunalen Praxis (Teil 1), KommJur 2009, 321; Kamann/Gey/Kreuzer,<br />
Europäische Beihilfenkontrolle im Kultursektor, KommJur 2009, 132; Koenig/Hellstern, Unterlassungs-<br />
und Beseitigungsansprüche nach <strong>de</strong>m UWG gegen Empfänger von EU-rechtswidrigen Beihilfen, EWS<br />
2011, 216; Koenig/Scholz, Öffentliche Infrastrukturför<strong>de</strong>rung durch Bau- und Betriebsgesellschaften im<br />
EG-beihilfenrechtlichen Kontrollraster <strong>de</strong>r EG-Kommission, EuZW 2003, 133; Kuhla/Hüttenbrink/Endler,<br />
Der Verwaltungsprozess, 3. Aufl. 2002; Linn, Rechtsbehelfe gegen Negativentscheidungen <strong>de</strong>r Kommission<br />
im Beihilferecht, IStR 2011, 481; Lübbig/Martin-Ehlers, Beihilfenrecht <strong>de</strong>r EU, 2. Aufl. 2009;<br />
Martin-Ehlers, Drittschutz im Beihilfenrecht – Paradigmenwechsel in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Rechtsprechung,<br />
EuZW 2011, 583; Meßmer, Das neue Beihilfenrecht für kommunale Daseinsvorsorgeleistungen – die Reform<br />
<strong>de</strong>s „Monti-Kroes-Pakets“, BWGZ 2012, 290; Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nordrhein-Westfalen, EG-Beihilfenrechtskonforme Finanzierung von kommunalen Leistungen<br />
<strong>de</strong>r Daseinsvorsorge, Leitfa<strong>de</strong>n, 2008; Montag/Säcker, Münchener Kommentar zum Europäischen und<br />
Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Bd. 3: Beihilfen- und Vergaberecht, 2011; Schmitz/Vogel,<br />
Rechtsgrundlagen und Auswirkungen von Verstößen gegen das europäische Beihilferecht auf <strong>de</strong>n Jahresabschluss<br />
geför<strong>de</strong>rter Unternehmen, DB 2011, 1991; Schuhmacher, Die zunehmen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />
Rechtsdurchsetzung durch Wettbewerber im Bereich <strong>de</strong>s EU-Beihilfenrechts, KommJur 2012, 179;<br />
Soltész, Risiken für Kreditinstitute bei beihilferechtswidrigen Staatsbürgschaften, WM 2012, 923; Soltész,<br />
Ryanair und Tierkörperbeseitigung, EuR 2012, 60; Soltész/Hil<strong>de</strong>brandt, in: Johlen, Münchener Prozessformularbuch<br />
Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009.<br />
A. Der Beihilfentatbestand ...................... 1<br />
I. Zuständigkeit und Rechtsgrundlagen ..... 1<br />
II. Vorliegen einer Beihilfe .................... 3<br />
1. Tatbestandsvoraussetzungen .......... 4<br />
2. Insbeson<strong>de</strong>re: Beihilfenrechtliche Relevanz<br />
kommunaler Bürgschaften ....... 7<br />
3. Anmel<strong>de</strong>pflicht (Notifizierung) und<br />
Durchführungsverbot .................. 9<br />
III. Son<strong>de</strong>rfall: De-minimis-Beihilfen .......... 11<br />
1. Voraussetzungen für eine Befreiung<br />
von <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht ................ 11<br />
2. Kommunale Satzungen über die<br />
Gewährung von De-minimis-Beihilfen 14<br />
IV. Beson<strong>de</strong>rheiten im Daseinsvorsorgebereich<br />
........................................ 16<br />
B. Rechtsschutz im Beihilfenrecht .............. 21<br />
I. Beschlüsse im Rahmen <strong>de</strong>r Beihilfenaufsicht<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Kommission ....... 21<br />
1. Verfahrensablauf ...................... 21<br />
2. Positivbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission ............................ 23<br />
3. Negativbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission ............................ 25<br />
II. Klage eines Beihilfenempfängers gegen<br />
einen Negativbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission ................................ 27<br />
III. Handlungsoptionen betroffener Wettbewerber<br />
...................................... 30<br />
1. Handlungsoptionen auf europäischer<br />
Ebene .................................. 30<br />
a) Beschwer<strong>de</strong> eines Wettbewerbers<br />
bei <strong>de</strong>r Europäischen Kommission 30<br />
b) Wettbewerberklage gegen einen<br />
Positivbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission ........................ 34<br />
c) Zulassung <strong>de</strong>s Begünstigten als<br />
Streithelfer zum Verfahren ......... 37<br />
2. Verfahren vor <strong>de</strong>n nationalen Gerichten<br />
...................................... 39<br />
a) Rechtsschutzziele und Rechtswegzuständigkeit<br />
....................... 39<br />
b) Verwaltungsrechtliche Konkurrentenklage<br />
............................ 44<br />
c) Zivilrechtliche Unterlassungs-,<br />
Beseitigungs- und Scha<strong>de</strong>nsersatzklagen<br />
.............................. 47<br />
1<br />
A.<br />
I.<br />
Der Beihilfentatbestand<br />
Zuständigkeit und Rechtsgrundlagen<br />
Während Subventionen durch die EU-Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene vergeben wer<strong>de</strong>n,<br />
erfolgt die Kontrolle über die Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r vergebenen Subventionen nach Art. 108<br />
Abs. 1 AEUV zentral durch die Europäische Kommission. In <strong>de</strong>r Terminologie <strong>de</strong>s Europarechts<br />
1488 Meßmer/Bernhard
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
wer<strong>de</strong>n Subventionen als staatliche Beihilfen („state aid“) bezeichnet. Zuständig für die Beihilfenaufsicht<br />
ist daher die „state aid unit“ in <strong>de</strong>r Generaldirektion Wettbewerb <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission.<br />
Primärrechtlich sind die für die Beihilfenaufsicht relevanten Vorschriften in <strong>de</strong>n Art. 107–109<br />
AEUV geregelt, ergänzt durch Art. 106 Abs. 2 AEUV. Auf sekundärrechtlicher Ebene wer<strong>de</strong>n<br />
diese Bestimmungen durch zahlreiche Rechtsakte ergänzt und konkretisiert. Zu <strong>de</strong>n wichtigsten<br />
Verordnungen zählen die Verfahrensverordnung Nr. 659/1999 (im Folgen<strong>de</strong>n: VVO), 1 die<br />
Durchführungsverordnung Nr. 794/2004 zur VVO 2 und die Ermächtigungsverordnung<br />
Nr. 994/98. 3<br />
II. Vorliegen einer Beihilfe<br />
Die Mitgliedstaaten haben Beihilfen vor ihrer Gewährung grds. bei <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
anzumel<strong>de</strong>n. Ob jedoch überhaupt eine Beihilfe vorliegt, obliegt <strong>de</strong>r Selbsteinschätzung<br />
<strong>de</strong>r jeweiligen Behör<strong>de</strong>n und öffentlich-rechtlichen Körperschaften in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten. Bei<br />
<strong>de</strong>r vorläufigen Einschätzung <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht haben die Mitgliedstaaten zu berücksichtigen,<br />
dass <strong>de</strong>r EU-rechtliche Beihilfenbegriff weit zu verstehen ist und sich nur teilweise mit <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>utschen Subventionsbegriff überschnei<strong>de</strong>t. Eine Beihilfe im europarechtlichen Sinn umfasst<br />
nicht nur positiv Geld- und Sachleistungen, son<strong>de</strong>rn kann insb. auch in <strong>de</strong>r Vermin<strong>de</strong>rung von<br />
Belastungen bestehen, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hätte. 4<br />
1.<br />
Tatbestandsvoraussetzungen<br />
Der europäische Beihilfenbegriff umfasst fünf kumulative Voraussetzungen:<br />
• Begünstigung,<br />
• eines Unternehmens,<br />
• durch staatliche Mittel,<br />
• Selektivität <strong>de</strong>r Begünstigung und<br />
• Vorliegen o<strong>de</strong>r Drohen einer Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls und einer<br />
Wettbewerbsverfälschung.<br />
Das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale ist nicht nur durch die Mitgliedstaaten (Bund, Län<strong>de</strong>r,<br />
Landkreise und Kommunen) bei <strong>de</strong>r vorläufigen Einschätzung <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht zu prüfen.<br />
Häufig ist auch für Unternehmen eine dahin gehen<strong>de</strong> Selbsteinschätzung notwendig. So<br />
for<strong>de</strong>rn etwa Wirtschaftsprüfer im Rahmen <strong>de</strong>r Jahresabschlussprüfung öffentlicher Unternehmen<br />
(zB kommunal beherrschte Gesellschaften) regelmäßig die jeweiligen Unternehmen auf,<br />
die Beihilfenrechtskonformität erhaltener Zuwendungen im Rahmen einer gutachtlichen Stellungnahme<br />
zu bestätigen, um im Rahmen <strong>de</strong>r Jahresabschlussrechnung etwaige Beihilfen-<br />
Rückfor<strong>de</strong>rungen berücksichtigen o<strong>de</strong>r ausschließen zu können. 5 Hierzu hat das Institut <strong>de</strong>r<br />
Wirtschaftsprüfer am 7.9.2011 einen eigenen, für die Wirtschaftsprüfer verbindlichen Prüfungsstandard<br />
verabschie<strong>de</strong>t. 6<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
1 Verordnung (EG) Nr. 659/1999 (ABl. L Nr. 83 v. 27.3.1999, S. 1), zuletzt geän<strong>de</strong>rt durch Verordnung (EG) Nr. 1791/2006<br />
v. 20.11.2006 (ABl. L Nr. 363 v. 20.12.2006, S. 27).<br />
2 Verordnung (EG) Nr. 794/2004 (ABl. L Nr. 140 v. 30.4.2004, S. 1), geän<strong>de</strong>rt durch Verordnung (EG) Nr. 1125/2009<br />
(ABl. Nr. L 308 v. 24.11.2009, S. 5).<br />
3 Verordnung (EG) Nr. 994/98 (ABl. L Nr. 142 v. 14.5.1998, S. 1). Diese Verordnung befreit Beihilfen, die die Voraussetzungen<br />
einer sog. Gruppen-Freistellungsverordnung erfüllen, von <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht und dient damit <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>s<br />
Art. 109 AEUV.<br />
4 So die stRspr <strong>de</strong>s EuGH, vgl EuGH v. 23.2.1961 – Rs. 30/59 (De gezamenlijke Steenkolenmijnen/Hohe Behör<strong>de</strong>),<br />
Slg. 1961, 3; EuGH v. 15.3.1994 – Rs. C-387/92 (Banco Exterior <strong>de</strong> España/Ayuntamiento <strong>de</strong> Valencia), Slg. 1994, I-877;<br />
EuG v. 1.7.2010 – Rs. T62/08 (ThyssenKrupp Acciai Speciali Terni/Kommission), Slg. 2010, II-3229.<br />
5 Näher Schmitz/Vogel, DB 2011, 1991.<br />
6 IDW Prüfungsstandard: Prüfung von Beihilfen nach Artikel 107 AEUV insbeson<strong>de</strong>re zu Gunsten öffentlicher Unternehmen<br />
(IDW PS 700) v. 7.9.2011.<br />
Meßmer/Bernhard 1489
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43<br />
591<br />
6<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
u Muster: Gutachtliche Stellungnahme zur Vorlage gegenüber einem Wirtschaftsprüfer – Beurteilung<br />
<strong>de</strong>s möglichen Vorliegens einer Beihilfe<br />
An ••• (Wirtschaftsprüfer)<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Jahresabschlussprüfung für die ••• (begünstigtes Unternehmen) haben Sie uns um<br />
eine gutachtliche Stellungnahme zu <strong>de</strong>r Frage gebeten, ob die jährlichen Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r<br />
••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen) eine verbotene Beihilfe iSv<br />
Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen. Gerne nehmen wir zu dieser Frage nachfolgend Stellung.<br />
I. Sachverhalt<br />
Die ••• (Gebietskörperschaft) hat im Jahr ••• beschlossen, die anstehen<strong>de</strong>n Investitionen im Zusammenhang<br />
mit <strong>de</strong>n von ihr unterhaltenen Bä<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>ren Betrieb einem privaten Unternehmen zu<br />
übertragen. Dazu hat die ••• (Gebietskörperschaft) einen europaweiten Teilnahmewettbewerb für<br />
eine Konzession für <strong>de</strong>n Bau und Betrieb eines Freizeitba<strong>de</strong>s ausgeschrieben •••. Neben <strong>de</strong>n gestalterischen<br />
Vorgaben an das Bad (Größe <strong>de</strong>s Schwimmbeckens, attraktive Saunalandschaft, Erlebnisaußenbecken,<br />
ansprechen<strong>de</strong> Gastronomie etc.) musste das Freizeitbad für das Schul- und Vereinsschwimmen<br />
geeignet sein und dafür zur Verfügung gestellt wer<strong>de</strong>n. ••• Es gingen insgesamt 11<br />
Teilnahmeanträge bei <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) ein.<br />
Die ••• (Gebietskörperschaft) führte mit allen Interessenten Gespräche. Sieben <strong>de</strong>r Interessenten<br />
reichten schließlich Angebote bei <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) ein. Nach Bewertung <strong>de</strong>r Angebote<br />
stand fest, dass das Angebot <strong>de</strong>r ••• (begünstigtes Unternehmen) das wirtschaftlich günstigste war.<br />
Nach weiteren Verhandlungen schlossen die ••• (Gebietskörperschaft) und die ••• (begünstigtes Unternehmen)<br />
einen •••-Vertrag ab. Als Gegenleistung für die verschie<strong>de</strong>nen von <strong>de</strong>r ••• (begünstigtes<br />
Unternehmen) übernommenen Verpflichtungen hat sich die ••• (Gebietskörperschaft) verpflichtet,<br />
während <strong>de</strong>r Laufzeit <strong>de</strong>s •••-Vertrages an die ••• (begünstigtes Unternehmen) jährliche Zuschusszahlungen<br />
iHv 1 Mio. € zu leisten.<br />
Das von <strong>de</strong>r •••(begünstigtes Unternehmen) errichtete Bad hat <strong>de</strong>n Charakter eines mo<strong>de</strong>rnen Freizeitba<strong>de</strong>s.<br />
Sein Einzugsbereich bezieht über das Gebiet <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) hinaus auch die<br />
umliegen<strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n mit ein und umfasst ca. 50 Kilometer. Statistische Erhebungen <strong>de</strong>r ••• (begünstigtes<br />
Unternehmen) haben ergeben, dass aus <strong>de</strong>m direkten Einzugsgebiet <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft)<br />
fast 90 % <strong>de</strong>r Besucher <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s stammen. Das Einzugsgebiet berührt nicht das Gebiet<br />
<strong>de</strong>r angrenzen<strong>de</strong>n ••• (angrenzen<strong>de</strong>r Mitgliedstaat <strong>de</strong>r Europäischen Union).<br />
II. Rechtliche Würdigung<br />
Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche o<strong>de</strong>r aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich<br />
welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen o<strong>de</strong>r Produktionszweige <strong>de</strong>n<br />
Wettbewerb verfälschen o<strong>de</strong>r zu verfälschen drohen, mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit<br />
sie <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten beeinträchtigen können.<br />
Eine Beihilfe in diesem Sinne liegt vor, wenn folgen<strong>de</strong> Tatbestandsvoraussetzungen kumulativ erfüllt<br />
sind:<br />
1. Es muss sich um eine Maßnahme han<strong>de</strong>ln, die vom Staat o<strong>de</strong>r aus staatlichen Mitteln finanziert<br />
wird.<br />
2. Die Maßnahme wird zu Gunsten eines Unternehmens gewährt.<br />
1490 Meßmer/Bernhard
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
3. Sie muss begünstigen<strong>de</strong> Wirkung für das Unternehmen haben, dh einen wirtschaftlichen Vorteil<br />
gewähren.<br />
4. Die Maßnahme muss selektiv sein, dh sie muss ein bestimmtes Unternehmen begünstigen.<br />
5. Die Maßnahme muss die Gefahr einer Verfälschung <strong>de</strong>s Wettbewerbs sowie einer Beeinträchtigung<br />
<strong>de</strong>s grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ls hervorrufen.<br />
Auf Grundlage dieser Tatbestandsmerkmale gehen <strong>de</strong>r EuGH und die Europäische Kommission grds.<br />
von einem weiten und funktionalen Beihilfenbegriff aus. Beihilfen sind danach alle Maßnahmen zur<br />
mittelbaren und unmittelbaren wirtschaftlichen För<strong>de</strong>rung eines Unternehmens o<strong>de</strong>r Produktionszweigs<br />
seitens <strong>de</strong>r öffentlichen Hand eines Mitgliedstaats durch die Verschaffung eines wirtschaftlichen<br />
Vorteils, <strong>de</strong>n das Unternehmen bzw <strong>de</strong>r Produktionszweig im normalen Verlauf seiner Tätigkeit<br />
– dh bei normalen Marktbedingungen – nicht erhalten hätte o<strong>de</strong>r durch die Vermin<strong>de</strong>rung von Belastungen,<br />
die das Unternehmen bzw <strong>de</strong>r Produktionszweig normalerweise zu tragen hätte. 7 Fehlt es<br />
an einem dieser fünf Tatbestandsmerkmale, dann liegt keine Beihilfe vor, so dass die Maßnahme<br />
zumin<strong>de</strong>st nach <strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s Beihilfenrechts unbe<strong>de</strong>nklich ist. Sind hingegen sämtliche Tatbestandsmerkmale<br />
kumulativ erfüllt, so müssen Beihilfen vor ihrer Gewährung bei <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission angemel<strong>de</strong>t (sog. Notifizierung) und von dieser genehmigt wer<strong>de</strong>n, sofern keine Ausnahme<br />
hiervon eingreift.<br />
Damit die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen)<br />
überhaupt beihilfenrechtliche Relevanz aufweisen, müssen sämtliche Tatbestandsmerkmale <strong>de</strong>s Beihilfenverbots<br />
in Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt sein. Falls eines o<strong>de</strong>r mehrere dieser Tatbestandsmerkmale<br />
nicht vorliegen, wären die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes<br />
Unternehmen) zumin<strong>de</strong>st nach <strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s Beihilfenrechts nicht relevant. Die •••<br />
(Gebietskörperschaft) müsste in diesem Fall diese Vorschriften nicht beachten. Die Verpflichtung <strong>de</strong>r<br />
••• (Gebietskörperschaft) zur Einhaltung <strong>de</strong>r haushaltsrechtlichen Bestimmungen und möglicherweise<br />
bestehen<strong>de</strong> Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnisse durch die Rechtsaufsichtsbehör<strong>de</strong> bleiben hiervon aber<br />
unberührt.<br />
Im Einzelnen:<br />
1. Maßnahme aus staatlichen Mitteln<br />
Die <strong>de</strong>r ••• (begünstigtes Unternehmen) zufließen<strong>de</strong>n Mittel müssen vom Staat o<strong>de</strong>r aus staatlichen<br />
Mitteln stammen. Dies be<strong>de</strong>utet, dass ein <strong>de</strong>m Staat zurechenbarer Mitteltransfer stattfin<strong>de</strong>n muss,<br />
<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r einen Seite die Begünstigung von Unternehmen o<strong>de</strong>r Produktionszweigen bewirkt und<br />
auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite zu Lasten <strong>de</strong>r staatlichen Haushalte geht.<br />
Die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen) stellen<br />
einen Mitteltransfer iSd beihilfenrechtlichen Vorschriften dar, da die Zahlungen seitens <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft)<br />
als Gewährung „staatlicher Mittel“ in diesem Sinne anzusehen sind.<br />
2. Maßnahme zu Gunsten eines Unternehmens<br />
Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst nur Beihilfen, die zu Gunsten von Unternehmen gewährt wer<strong>de</strong>n. Als<br />
Unternehmen gilt nach ständiger Entscheidungspraxis <strong>de</strong>r Europäischen Kommission und <strong>de</strong>s EuGH<br />
„je<strong>de</strong> eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben<strong>de</strong> Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und <strong>de</strong>r Art<br />
ihrer Finanzierung“ (funktionaler Unternehmensbegriff). 8<br />
7 Koenig/Scholz, EuZW 2003, 133.<br />
8 Arhold, in: MüKo-WettbR, Band 3, Art. 107 AEUV Rn 309 ff.<br />
Meßmer/Bernhard 1491
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43<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
Die ••• (begünstigtes Unternehmen) ist ohne Weiteres als Unternehmen in diesem Sinne anzusehen.<br />
9 Insbeson<strong>de</strong>re steht die ••• (begünstigtes Unternehmen) im Wettbewerb zu an<strong>de</strong>ren Betreibern<br />
von Schwimmbä<strong>de</strong>rn im regionalen Umland <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft). Soweit diese Schwimmbä<strong>de</strong>r<br />
von ••• (an<strong>de</strong>re Gebietskörperschaften) unterhalten und betrieben wer<strong>de</strong>n, än<strong>de</strong>rt dies nichts<br />
daran, dass auch diese Schwimmbä<strong>de</strong>r tatsächlich mit <strong>de</strong>m von <strong>de</strong>r ••• (begünstigtes Unternehmen)<br />
betriebenen Schwimmbad im Wettbewerb stehen.<br />
3. Begünstigen<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>r Maßnahme<br />
Der beihilfenrechtliche Begriff <strong>de</strong>r Begünstigung ist <strong>de</strong>utlich weiter auszulegen als <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>utschen Zuwendungsrecht bekannte Begriff <strong>de</strong>r „Subvention“. Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst „Beihilfen<br />
gleich welcher Art •••“. Aus dieser Formulierung und <strong>de</strong>m Schutzzweck von Art. 107 Abs. 1<br />
AEUV ergibt sich, dass Form, Bezeichnung, Art und Weise, Grün<strong>de</strong>, Motive o<strong>de</strong>r Ziele <strong>de</strong>r Beihilfengewährung<br />
unerheblich sind. Entschei<strong>de</strong>nd ist allein die Wirkung <strong>de</strong>r Maßnahme, nämlich die Erlangung<br />
eines spezifischen Vorteils. Die Wirkung einer Maßnahme ist zu ermitteln durch einen Vergleich<br />
mit <strong>de</strong>r Lage, wie sie für das begünstigte Unternehmen ohne die jeweilige Maßnahme bestehen<br />
wür<strong>de</strong>. Die Begünstigung liegt dann in <strong>de</strong>r Verschaffung eines wirtschaftlichen Vorteils, <strong>de</strong>n das<br />
Unternehmen im normalen Verlauf seiner Tätigkeit nicht erhalten hätte. 10<br />
Die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen) stellen<br />
ohne Weiteres eine „Begünstigung“ in diesem Sinne dar.<br />
4. Selektivität<br />
Das Kriterium <strong>de</strong>r Selektivität ist nach <strong>de</strong>r Entscheidungspraxis <strong>de</strong>r Europäischen Kommission dann<br />
erfüllt, wenn sich die Begünstigung nicht auf alle Betriebe in einem Mitgliedstaat gleichermaßen<br />
auswirkt, son<strong>de</strong>rn nur zu einer Besserstellung bestimmter Unternehmen, Sektoren o<strong>de</strong>r Regionen<br />
führt. 11 Dabei genügt es, wenn sich die Maßnahme zwar nicht rechtlich, aber faktisch nur zu Gunsten<br />
einer Gruppe von Begünstigten auswirkt. 12<br />
Lediglich die ••• (begünstigtes Unternehmen) erhält Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft).<br />
Damit wird die ••• (begünstigtes Unternehmen) aus <strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Unternehmen<br />
herausgehoben und einseitig begünstigt. 13<br />
5. Gefahr einer Verfälschung <strong>de</strong>s Wettbewerbs sowie einer Beeinträchtigung <strong>de</strong>s grenzüberschreiten<strong>de</strong>n<br />
Han<strong>de</strong>ls<br />
Um beihilfenrechtliche Relevanz zu erlangen, müssten die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft)<br />
an die ••• (begünstigtes Unternehmen) auch <strong>de</strong>n Wettbewerb verfälschen o<strong>de</strong>r zu verfälschen<br />
drohen und geeignet sein, <strong>de</strong>n grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l zu beeinträchtigen. Im Einzelnen:<br />
9 Die „Unternehmens“-Eigenschaft ist in <strong>de</strong>r Praxis insb. bei Eigen- und Regiebetrieben, rechtsfähigen Stiftungen <strong>de</strong>s öffentlichen<br />
Rechts und Holding-Strukturen vertieft zu prüfen. Im Hinblick auf Holding-Strukturen ist anerkannt, dass<br />
diese von <strong>de</strong>r Unternehmenseigenschaft <strong>de</strong>r von ihnen gehaltenen Unternehmen „infiziert“ wer<strong>de</strong>n, um zu verhin<strong>de</strong>rn,<br />
dass durch eine solche Gestaltung <strong>de</strong>r Anwendungsbereich <strong>de</strong>r beihilfenrechtlichen Vorschriften umgangen wird, vgl<br />
Arhold, in: MüKo-WettbR, Band 3, Art. 107 AEUV Rn 315.<br />
10 Zu <strong>de</strong>n Einzelheiten s. Kommission, Mitteilung zur Anwendung <strong>de</strong>s Beihilfenrechts auf Unternehmen im Sinne <strong>de</strong>r<br />
Transparenzrichtlinie vom 13.11.1993, ABl. Nr. C 307/3, Rn 31.<br />
11 EuGH v. 8.11.2001 – Rs. C-143/99 (Adria-Wien Pipeline GmbH u.a./Finanzlan<strong>de</strong>sdirektion für Kärnten), Slg. 2001,<br />
I-8365; EuGH v. 15.11.2011 – Verb. Rs. C-106/09 P und C-107/09 P (Europäische Kommission und Königreich Spanien/<br />
Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland), DStR 2012, 217 m. Anm. Höring.<br />
12 Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht <strong>de</strong>r EU, Rn 96.<br />
13 Das Kriterium <strong>de</strong>r Selektivität ist insb. im Fall <strong>de</strong>r Erschließung von Gewerbegebieten, die auf bestimmte „Ankernutzer“<br />
zugeschnitten wer<strong>de</strong>n, von praktischer Relevanz.<br />
1492 Meßmer/Bernhard
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
a) Wettbewerbsverfälschung<br />
Die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen) müssten<br />
<strong>de</strong>n Wettbewerb verfälschen o<strong>de</strong>r zu verfälschen drohen.<br />
Für die Prüfung einer Wettbewerbsfälschung ist zunächst <strong>de</strong>r sachlich und räumlich relevante Markt<br />
für die Tätigkeit <strong>de</strong>s begünstigten Unternehmens festzustellen. Eine Wettbewerbsverfälschung ist zu<br />
bejahen, wenn durch die Begünstigung eines o<strong>de</strong>r mehrerer bestimmter Unternehmen die Marktbedingungen<br />
<strong>de</strong>r Wettbewerber tatsächlich o<strong>de</strong>r potenziell verzerrt wer<strong>de</strong>n. 14 Aufgrund <strong>de</strong>r extensiven<br />
Auslegung dieses Rechtsbegriffs durch die Europäische Kommission gehen wir davon aus, dass auch<br />
vorliegend eine Wettbewerbsverfälschung im beihilfenrechtlichen Sinne zu bejahen wäre.<br />
Aus praktischen Gesichtspunkten verlangt die Europäische Kommission zu<strong>de</strong>m eine gewisse Spürbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Wettbewerbsverfälschung (bzw Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls). Sind<br />
die Schwellenwerte für De-minimis-Beihilfen überschritten, kommt es auf die Spürbarkeit <strong>de</strong>r Wettbewerbsverfälschung<br />
jedoch nicht an. 15 Nach <strong>de</strong>n De-minimis-Verordnungen <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
gelten Beihilfen bis 200.000 € 16 bzw Beihilfen im Bereich <strong>de</strong>r öffentlichen Daseinsvorsorge<br />
bis 500.000 € 17 innerhalb eines Zeitraums von drei Steuerjahren als Maßnahmen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale<br />
von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen und daher nicht <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht nach<br />
Art. 108 Abs. 3 AEUV unterliegen.<br />
Vorliegend überschreiten die Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes<br />
Unternehmen) diesen Betrag bei Weitem. Die Spürbarkeit einer möglichen Wettbewerbsverfälschung<br />
ist hier schon aufgrund <strong>de</strong>s Umfangs <strong>de</strong>r Zuschusszahlungen zu bejahen.<br />
b) Eignung zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls<br />
Allerdings kommt das Beihilfenverbot nur bei einer tatsächlichen bzw <strong>de</strong>r Möglichkeit einer Beeinträchtigung<br />
<strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls zur Anwendung. 18 Auch dieses Tatbestandsmerkmal<br />
wird in <strong>de</strong>r Praxis weit ausgelegt:<br />
Nach <strong>de</strong>r Rspr <strong>de</strong>s EuGH ist es auch bei finanziellen Maßnahmen für bestimmte – mit lokalen o<strong>de</strong>r<br />
regionalen öffentlichen Dienstleistungen betraute – Unternehmen keineswegs ausgeschlossen, dass<br />
sich die Zuwendung auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten auswirken kann. Durch die Gewährung<br />
eines Vorteils kann nämlich <strong>de</strong>r Tätigkeitsbereich <strong>de</strong>s begünstigten Unternehmens beibehalten<br />
o<strong>de</strong>r ausgeweitet wer<strong>de</strong>n, so dass sich die Chancen <strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaaten nie<strong>de</strong>rgelassenen<br />
Unternehmen, ihre Leistungen auf <strong>de</strong>m Markt dieses Staates zu erbringen, verringern. Zum<br />
Einfluss <strong>de</strong>r Höhe einer staatlichen Leistung auf die Möglichkeit, <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>l zu<br />
beeinflussen, hat <strong>de</strong>r EuGH ausgeführt, dass es keine Schwelle und keinen Prozentsatz gibt, unterhalb<br />
<strong>de</strong>ren man davon ausgehen könnte, dass <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt<br />
ist. We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r verhältnismäßig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe Grö-<br />
14 EuGH v. 2.7.1974 – Rs. 173/73 (Italien/Kommission), Slg. 1974, 709; EuGH v. 15.3.1994 – Rs. C-387/92 (Banco Exterior<br />
<strong>de</strong> España/Ayuntamiento <strong>de</strong> Valencia), Slg. 1994, I-877; EuGH v. 15.12.2005 – Rs. C-148/04 (Unicredito Italiano),<br />
Slg. 2005, I-11137.<br />
15 EuG v. 30.4.1998 – Rs. T-214/95 (Vlaams West), Slg. 1998, II-717.<br />
16 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 <strong>de</strong>r Kommission über die Anwendung <strong>de</strong>r Art. 87 und 88 auf „De-minimis“-Beihilfen<br />
(ABl. L 379 v. 28.12.2006, S. 5).<br />
17 Verordnung (EU) Nr. 360/2012 <strong>de</strong>r Kommission vom 25. April 2012 über die Anwendung <strong>de</strong>r Artikel 107 und 108 <strong>de</strong>s<br />
Vertrags über die Arbeitsweise <strong>de</strong>r Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen<br />
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen (ABl. L 114 v. 25.4.2012, S. 8).<br />
18 EuGH v. 2.7.1974 – Rs. 173/73 (Italien/Kommission), Slg. 1974, 709; EuGH v. 24.2.1987 – Rs. 310/85 (Deufil),<br />
Slg. 1987, 901; EuGH v. 15.6.2006 – Rs. 393/04 (Air Liqui<strong>de</strong> Industries Belgium), Slg. 2006, I-5293.<br />
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43<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
ße <strong>de</strong>s begünstigten Unternehmens schließen nämlich von vornherein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung<br />
<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls zwischen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten aus. 19<br />
An einer Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls fehlt es aber dann, wenn Daseinsvorsorgeleistungen<br />
finanziert wer<strong>de</strong>n, die streng auf <strong>de</strong>n kommunalen, dh örtlichen Bereich bezogen<br />
sind und <strong>de</strong>shalb keine „Ausstrahlungswirkung“ auf <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>l haben. Dies ist<br />
für <strong>de</strong>n jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s Sachverhalts und <strong>de</strong>r<br />
relevanten Entscheidungspraxis <strong>de</strong>r Europäischen Kommission und <strong>de</strong>r europäischen Gerichte zu prüfen<br />
und zu beurteilen. 20<br />
Vor diesem Hintergrund gehen wir im vorliegen<strong>de</strong>n Fall davon aus, dass es im Fall <strong>de</strong>r Zuschusszahlungen<br />
<strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen) an einer Beeinträchtigung<br />
<strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls fehlt. Dies ergibt sich daraus, dass das direkte Einzugsgebiet<br />
<strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s lediglich das Gebiet <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) umfasst, aus <strong>de</strong>m fast 90 % <strong>de</strong>r Besucher<br />
stammen. Der restliche – indirekte – Einzugsbereich umfasst einen Radius von ca. 50 km und berührt<br />
damit nicht das Gebiet <strong>de</strong>r ••• (angrenzen<strong>de</strong>r Mitgliedstaat <strong>de</strong>r Europäischen Union). Hinzu kommt,<br />
dass das Bad auch in keiner Weise einzigartig in seinem Charakter in ••• (Bun<strong>de</strong>sland), geschweige<br />
<strong>de</strong>nn in Deutschland ist, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen<br />
Han<strong>de</strong>ls durch die Zuschusszahlungen zu verneinen ist. 21<br />
Wir gehen <strong>de</strong>shalb davon aus, dass vorliegend mit sehr guten Grün<strong>de</strong>n argumentiert wer<strong>de</strong>n kann,<br />
dass keine Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>ls vorliegt und damit die Zuschusszahlungen<br />
<strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die •••(begünstigtes Unternehmen) keine Beihilfen iSv<br />
Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen. 22<br />
III. Ergebnis<br />
Die jährlichen Zuschusszahlungen <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) an die ••• (begünstigtes Unternehmen)<br />
stellen nach unserer Rechtsauffassung keine verbotene Beihilfe iSv Art. 107 Abs. 1 AEUV dar,<br />
da diese nicht geeignet sind, <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>l zu beeinträchtigen.<br />
Für weitere Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.<br />
••• (Ort, Datum, Unterschrift) t<br />
7<br />
2. Insbeson<strong>de</strong>re: Beihilfenrechtliche Relevanz kommunaler Bürgschaften<br />
Praktische Relevanz erhält das Beihilfenrecht in <strong>de</strong>r kommunalen Praxis oft auch durch die<br />
For<strong>de</strong>rung von Banken, von <strong>de</strong>n Kommunen eine Erklärung bzw Bestätigung <strong>de</strong>r Beihilfenrechtskonformität<br />
verschie<strong>de</strong>ner Maßnahmen zu erlangen. 23 Vielfach übernehmen Kommunen<br />
19 EuGH v. 24.7.2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7747.<br />
20 Die Recherche und Auswertung <strong>de</strong>r Entscheidungspraxis <strong>de</strong>r Europäischen Kommission zu diesem Tatbestandsmerkmal<br />
<strong>de</strong>s Beihilfenverbots ist sehr aufwändig. Zu<strong>de</strong>m ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidungspraxis <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission stetigen Verän<strong>de</strong>rungen unterliegt und ältere Entscheidungen <strong>de</strong>shalb nicht mehr ohne Weiteres für die<br />
Beurteilung aktueller Sachverhalte herangezogen wer<strong>de</strong>n können. Letztlich kann eine <strong>de</strong>finitive Beurteilung, ob eine bestimmte<br />
Maßnahme geeignet ist, <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen Han<strong>de</strong>l zu beeinträchtigen o<strong>de</strong>r nicht, nur durch die Europäische<br />
Kommission selbst erfolgen. Weiterführend Soltész, in: MüKo-WettbR, Band 3, Art. 107 AEUV Rn 461 ff; Lübbig/<br />
Martín-Ehlers, Beihilfenrecht <strong>de</strong>r EU, Rn 238 f; Kamann/Gey/Kreuzer, KommJur 2009, 132.<br />
21 Entscheidung <strong>de</strong>r Europäischen Kommission v. 12.1.2001 – Beihilfe N 258/2000 (Freizeitbad Dorsten). Auch in <strong>de</strong>r<br />
Mitteilung über die Anwendung <strong>de</strong>r Beihilfevorschriften <strong>de</strong>r Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung<br />
von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (ABl. Nr. C 8/4 v. 11.1.2012) hält die Europäische<br />
Kommission in Rn 40 an dieser Einschätzung fest.<br />
22 Sofern eine hinreichend rechtssichere Beurteilung im Einzelfall nicht möglich ist, empfiehlt es sich, die Möglichkeit eines<br />
Betrauungsakts für das begünstigte Unternehmen zu prüfen und ggf umzusetzen, um die Rechtssicherheit zu erhöhen (vgl<br />
hierzu Rn 19 f).<br />
23 Soltész, WM 2012, 923.<br />
1494 Meßmer/Bernhard
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
Bürgschaften zu Gunsten ihrer Tochtergesellschaften, damit diese in <strong>de</strong>n Genuss günstigerer<br />
Finanzierungskonditionen, i<strong>de</strong>alerweise von Kommunalkredit-Konditionen, kommen. Übernimmt<br />
bspw eine Kommune in einem solchen Fall eine Bürgschaft gegenüber einer Bank zur<br />
Absicherung eines von einer Tochtergesellschaft <strong>de</strong>r Kommune bei dieser Bank aufzunehmen<strong>de</strong>n<br />
Darlehens, so hat die Bank ein erhebliches Eigeninteresse daran, dass diese Bürgschaftsübernahme<br />
beihilfenrechtlich zulässig ist, nicht zuletzt, um eine mögliche zivilrechtliche Unwirksamkeit<br />
<strong>de</strong>s Bürgschaftsvertrages zu vermei<strong>de</strong>n. 24 Darüber hinaus treffen die öffentliche<br />
Hand bei <strong>de</strong>r Übernahme von Bürgschaften auch Aufklärungs- und Treuepflichten gegenüber<br />
<strong>de</strong>n Banken, die im Falle einer Verletzung bzw einer Nichtdurchsetzbarkeit <strong>de</strong>r Bürgschaft Ansprüche<br />
auf Scha<strong>de</strong>nsersatz begrün<strong>de</strong>n können.<br />
u Muster: Bestätigung <strong>de</strong>r Beihilfenrechtskonformität einer Ausfallbürgschaft gegenüber einer<br />
Bank<br />
An •••-Bank<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
die •••-Bank hat <strong>de</strong>r ••• (100 %iges Tochterunternehmen von Gebietskörperschaft) einen Kontokorrent-Kredit<br />
über ••• € gewährt. Der Vertrag wur<strong>de</strong> am ••• abgeschlossen. Da die ••• (100 %iges Tochterunternehmen<br />
von Gebietskörperschaft) eine 100 %ige Tochtergesellschaft <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft)<br />
ist, hat die ••• (Gebietskörperschaft) am ••• eine Ausfallbürgschaft zur Absicherung von<br />
maximal 80 % <strong>de</strong>s laufen<strong>de</strong>n Kontokorrent-Kredits übernommen.<br />
Wunschgemäß bestätigen wir hiermit <strong>de</strong>r •••-Bank, dass die Übernahme dieser Ausfallbürgschaft mit<br />
<strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>s Europäischen Beihilfenrechts, insb. <strong>de</strong>n Vorgaben für Einzelbürgschaften in<br />
Ziff. 3.2 <strong>de</strong>r sog. Bürgschaftsmitteilung (Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission über die Anwendung <strong>de</strong>r Artikel<br />
87 und 88 <strong>de</strong>s EG-Vertrages auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und<br />
Bürgschaften, ABl. 2008 C 155/10 v. 20.6.2008), vollumfänglich in Einklang steht. Insbeson<strong>de</strong>re<br />
verlangt die ••• (Gebietskörperschaft) von <strong>de</strong>r ••• (100 %iges Tochterunternehmen von Gebietskörperschaft)<br />
auch die Zahlung einer Avalprovision für die Übernahme <strong>de</strong>r Ausfallbürgschaft in <strong>de</strong>r durch<br />
das europäische Beihilfenrecht vorgegebenen Höhe.<br />
Für weitere Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.<br />
••• (Ort, Datum, Unterschrift) t<br />
3.<br />
Anmel<strong>de</strong>pflicht (Notifizierung) und Durchführungsverbot<br />
Neue Beihilfen sind durch die Mitgliedstaaten gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV vor ihrer Gewährung<br />
bei <strong>de</strong>r Europäischen Kommission anzumel<strong>de</strong>n (Anmel<strong>de</strong>pflicht; sog. Notifizierung). Die Anmeldung<br />
erfolgt nach Art. 3 <strong>de</strong>r Verordnung Nr. 794/2004 25 in <strong>de</strong>r Fassung <strong>de</strong>r Verordnung<br />
Nr. 271/2008 26 mittels <strong>de</strong>s elektronischen Webformulars „State Aid Notification Interactive“<br />
(SANI), abrufbar über die Internetseite https://webgate.ec.europa.eu/competition/sani.<br />
Bis zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt, in <strong>de</strong>m die Europäische Kommission die Beihilfe genehmigt o<strong>de</strong>r diese<br />
als genehmigt gilt, besteht ein Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV. Während<br />
dieser Schwebezeit zwischen <strong>de</strong>r Anmeldung und Genehmigung (bzw <strong>de</strong>s Eintritts einer Ge-<br />
8<br />
592<br />
9<br />
10<br />
24 Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Nichtigkeit eines Bürgschaftsvertrages eintritt, ist weiterhin ungeklärt, vgl<br />
EuGH v. 8.12.2011 – Rs. C-275/10 (Resi<strong>de</strong>x Capital IV CV/Gemeente Rotterdam), EuZW 2012, 106 m. Anm.<br />
von Bonin.<br />
25 Verordnung (EG) Nr. 794/2004 v. 21.4.2004 zur Durchführung <strong>de</strong>r Verordnung (EG) Nr. 659/1999 <strong>de</strong>s Rates über beson<strong>de</strong>re<br />
Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 <strong>de</strong>s EG-Vertrags.<br />
26 Verordnung (EG) Nr. 271/2008 v. 30.1.2008 zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verordnung (EG) Nr. 794/2004 zur Durchführung <strong>de</strong>r<br />
Verordnung (EG) Nr. 659/1999 <strong>de</strong>s Rates über beson<strong>de</strong>re Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 <strong>de</strong>s EG-Vertrags.<br />
Meßmer/Bernhard 1495
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43<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
nehmigungsfiktion) darf die Beihilfe nicht gewährt wer<strong>de</strong>n. Auch eine verbindliche Zusage<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r Beihilfengewährung, die vor <strong>de</strong>r Genehmigung erteilt wird, ist unzulässig.<br />
Macht ein Wettbewerber <strong>de</strong>s Beihilfenempfängers eine Verletzung <strong>de</strong>s Durchführungsverbots<br />
vor nationalen Gerichten geltend, kann dies die vorläufige Rückfor<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r die Erstattung<br />
<strong>de</strong>r Beihilfe zur Folge haben. 27 Bereits <strong>de</strong>r bloße Verstoß gegen das Durchführungsverbot genügt<br />
für die Rückfor<strong>de</strong>rungsmöglichkeit, selbst wenn die Europäische Kommission die Beihilfe im<br />
Übrigen als vereinbar mit <strong>de</strong>m Europäischen Binnenmarkt erachtet. 28 Nach <strong>de</strong>utschem Recht<br />
führt <strong>de</strong>r Verstoß gegen das Durchführungsverbot zur Nichtigkeit <strong>de</strong>s zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Vertrages,<br />
da <strong>de</strong>r BGH Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV als Verbotsgesetz iSv § 134 BGB qualifiziert. 29<br />
Nach <strong>de</strong>r neuesten Rspr <strong>de</strong>s BGH ist Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV auch Schutzgesetz iSv § 823<br />
Abs. 2 BGB, so dass es beeinträchtigten Dritten grds. offensteht, gegenüber <strong>de</strong>m Beihilfenempfänger<br />
Unterlassungs-, Beseitigungs- und Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche geltend zu machen. 30<br />
11<br />
12<br />
593<br />
III. Son<strong>de</strong>rfall: De-minimis-Beihilfen<br />
1. Voraussetzungen für eine Befreiung von <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht<br />
Von <strong>de</strong>r vorherigen Anmel<strong>de</strong>pflicht zur Europäischen Kommission befreit sind sog. De-minimis-Beihilfen.<br />
Nach Art. 2 Abs. 2 <strong>de</strong>r allgemeinen „De-minimis-Verordnung“ 31 sind dies Beihilfen,<br />
die während eines Zeitraums von drei Steuerjahren einen Betrag von 200.000 € (im<br />
Straßentransportsektor 100.000 €) nicht übersteigen. Für Unternehmen, die Daseinsvorsorgeleistungen<br />
erbringen, gilt dies nach Art. 2 Abs. 2 Verordnung Nr. 360/2012 32 sogar dann, wenn<br />
diese innerhalb eines Zeitraums von drei Steuerjahren einen Gesamtbetrag von 500.000 € nicht<br />
übersteigen und transparent berechenbar sind. Nach Art. 3 Abs. 2 <strong>de</strong>r allgemeinen „De-minimis“-Verordnung<br />
sind die Bewilligungsbehör<strong>de</strong>n verpflichtet, sich vor Gewährung <strong>de</strong>r Deminimis-Beihilfe<br />
zu vergewissern, dass <strong>de</strong>r Gesamtbetrag aller De-minimis-Beihilfen, <strong>de</strong>n das<br />
Unternehmen in <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n drei Steuerjahren erhalten hat, diesen Schwellenwert nicht<br />
überschreitet. Dies erfolgt idR durch die Auffor<strong>de</strong>rung gegenüber <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Unternehmen,<br />
eine De-minimis-Erklärung abzugeben. Hierfür empfiehlt sich eine Erklärung mit folgen<strong>de</strong>m<br />
Inhalt:<br />
u Muster: De-minimis-Erklärung 33<br />
Erklärung zum Antrag auf Gewährung einer De-minimis-Beihilfe<br />
••• (Antragsteller: Name, Firma, Unternehmenssitz)<br />
För<strong>de</strong>rprogramm und -kennzeichen: •••<br />
Das antragstellen<strong>de</strong> Unternehmen ist im Straßentransportsektor tätig: ☐ ja ☐ nein<br />
27 EuGH v. 21.11.1991 – Rs. C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur <strong>de</strong>s produits alimentaires u.a./Frankreich),<br />
Slg. 1991, I-5505; EuGH v. 11.7.1996 – Rs. C-39/94 (Syndicat français <strong>de</strong> l'Express international (SFEI) u.a./La<br />
Poste u.a.), Slg. 1991, I-3547.<br />
28 EuGH v. 21.10.2003 – Rs. C-261/01 u.a. (van Calster), Slg. 2003, I-12249, Rn 62 f; EuGH v. 12.2.2008 – Rs. C-199/06<br />
(CELF), Slg. 2008, I-469, Rn 41.<br />
29 BGH, U. v. 4.4.2003 – V ZR 314/02, BB 2003, 802; U. v. 5.7.2007 – IX ZR 256/06, NJW-RR 2008, 429; OLG Düsseldorf,<br />
U. v. 21.4.2010 – VII-Verg 55/09, NZBau 2010, 390.<br />
30 BGH, U. v. 10.2.2011 – I ZR 213/08 (Flughafen Lübeck-Blankensee); U. v. 10.2.2011 – I ZR 136/09 (Flughafen Frankfurt-Hahn),<br />
GRUR 2011, 444; U. v. 21.7.2011 – I ZR 209/09 (Flughafen Berlin-Schönefeld), GRUR-RR 2012, 157 (vgl<br />
hierzu Rn 47 f).<br />
31 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 <strong>de</strong>r Kommission v. 15.12.2006 über die Anwendung <strong>de</strong>r Art. 87 und 88 EG auf<br />
„De-minimis“-Beihilfen (ABl. L 379/5 v. 28.12.2006).<br />
32 Verordnung (EU) Nr. 360/2012 <strong>de</strong>r Kommission v. 25.4.2012 über die Anwendung <strong>de</strong>r Artikel 107 und 108 <strong>de</strong>s Vertrags<br />
über die Arbeitsweise <strong>de</strong>r Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem<br />
wirtschaftlichem Interesse erbringen (ABl. L 114/8 v. 25.4.2012), die allerdings auf einige Son<strong>de</strong>rbereiche<br />
(Landwirtschaft, Fischerei, Steinkohlenbergbau etc.) keine Anwendung fin<strong>de</strong>t.<br />
33 In Anlehnung an Bun<strong>de</strong>sministerium für Wirtschaft und Technologie, BMWi-Vordr. 0119/08.07, Anhang 3 zu Teil B.<br />
1496 Meßmer/Bernhard
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
Ich erkläre, dass mir im laufen<strong>de</strong>n Steuerjahr und in <strong>de</strong>n zwei vorangegangenen Steuerjahren über<br />
die beantragte De-minimis-Beihilfe für dieselben för<strong>de</strong>rbaren Kosten hinaus<br />
– keine weiteren De-minimis-Beihilfen iSd Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 bzw <strong>de</strong>r Verordnung (EU)<br />
Nr. 360/2012<br />
– die nachstehend aufgeführten De-minimis-Beihilfen iSd Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 bzw <strong>de</strong>r<br />
Verordnung (EU) Nr. 360/2012<br />
gewährt wur<strong>de</strong>n (von <strong>de</strong>r jeweiligen Bewilligungsbehör<strong>de</strong>n entsprechend im Bewilligungsbescheid<br />
bezeichnet; Nachweise in Kopie anbei):<br />
Datum <strong>de</strong>s Zuwendungsbescheids/<br />
-vertrages<br />
Zuwendungsgeber/Aktenzeichen<br />
Form <strong>de</strong>r Beihilfe<br />
(zB Zuschuss, Darlehen,<br />
Bürgschaft)<br />
För<strong>de</strong>rsumme in € Beihilfenwert in €<br />
Darüber hinaus habe ich im laufen<strong>de</strong>n sowie in <strong>de</strong>n zwei vorangegangenen Steuerjahren<br />
– keine weiteren De-minimis-Beihilfen beantragt.<br />
– die nachstehend aufgeführte(n) weitere(n) De-minimis-Beihilfe(n) beantragt, die noch nicht bewilligt<br />
wur<strong>de</strong>(n):<br />
Datum <strong>de</strong>s Zuwendungsbescheids/<br />
-vertrages<br />
Zuwendungsgeber/Aktenzeichen<br />
Form <strong>de</strong>r Beihilfe<br />
(zB Zuschuss, Darlehen,<br />
Bürgschaft)<br />
För<strong>de</strong>rsumme in € Beihilfenwert in €<br />
Die hier beantragte De-minimis-Beihilfe wird<br />
– nicht mit weiteren Beihilfen für dieselben för<strong>de</strong>rbaren Aufwendungen kumuliert.<br />
– mit folgen<strong>de</strong>r/n Beihilfe/n für dieselben för<strong>de</strong>rbaren Aufwendungen kumuliert, jedoch wird dabei<br />
die sich aus <strong>de</strong>r Rechtsgrundlage <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Beihilfe, die keine De-minimis-Beihilfe darstellt,<br />
ergeben<strong>de</strong> maximale För<strong>de</strong>rintensität nicht überschritten.<br />
– mit folgen<strong>de</strong>r/n Beihilfe/n für dieselben för<strong>de</strong>rbaren Aufwendungen kumuliert; die maximale, sich<br />
aus <strong>de</strong>r Rechtsgrundlage <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Beihilfe, die keine De-minimis-Beihilfe ist, ergeben<strong>de</strong> För<strong>de</strong>rintensität<br />
wird dabei um einen Betrag iHv ••• € und einen Subventionswert von ••• € überschritten.<br />
Mir ist bekannt, dass die vorstehend gemachten Angaben subventionserheblich iSd § 264 StGB sind.<br />
Danach wird bestraft, wer einem Subventionsgeber über subventionserhebliche Tatsachen für sich<br />
o<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren unrichtige o<strong>de</strong>r unvollständige Angaben macht, die für ihn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
vorteilhaft sind (Subventionsbetrug).<br />
Ich verpflichte mich, Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r vorgenannten Angaben <strong>de</strong>r die Beihilfe gewähren<strong>de</strong>n Stelle<br />
mitzuteilen, sofern sie mir vor <strong>de</strong>r Zusage für die hier beantragte För<strong>de</strong>rung bekannt wer<strong>de</strong>n.<br />
••• (Ort, Datum, Unterschrift <strong>de</strong>s Antragstellers) t<br />
Beabsichtigt die Bewilligungsbehör<strong>de</strong> in einem Mitgliedstaat in <strong>de</strong>r Folge, einem Unternehmen<br />
eine De-minimis-Beihilfe zu gewähren, hat sie <strong>de</strong>m Unternehmen die voraussichtliche Höhe <strong>de</strong>r<br />
13<br />
Meßmer/Bernhard 1497
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43<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
Beihilfe mitzuteilen und setzt es zu Dokumentations- und Kontrollzwecken in einer De-minimis-<br />
Bescheinigung 34 davon in Kenntnis, dass es sich um eine De-minimis-Beihilfe han<strong>de</strong>lt. Das Unternehmen<br />
hat die De-minimis-Bescheinigung nach Art. 3 Abs. 3 Verordnung (EG)<br />
Nr. 1998/2006 während eines Zeitraums von zehn Jahren aufzubewahren und auf behördliche<br />
Auffor<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r zukünftigen Beantragung von De-miminis-Beihilfen vorzulegen. Ungeachtet<br />
<strong>de</strong>r Befreiung von <strong>de</strong>r vorherigen Anmel<strong>de</strong>pflicht ist die Europäische Kommission<br />
weiterhin zu einer (nachträglichen) Überprüfung befugt, ob die Voraussetzungen einer De-minimis-Beihilfe<br />
tatsächlich vorgelegen haben.<br />
14<br />
15<br />
594<br />
2. Kommunale Satzungen über die Gewährung von De-minimis-Beihilfen<br />
Strebt eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft an, einheitliche Voraussetzungen für die<br />
Gewährung nicht-anmel<strong>de</strong>pflichtiger De-minimis-Beihilfen aufzustellen, ist grds. eine generellabstrakte<br />
Regelung, etwa im Rahmen einer kommunalen Satzung, zulässig. 35 Insbeson<strong>de</strong>re für<br />
die Übernahme kommunaler Bürgschaften wer<strong>de</strong>n aufgrund <strong>de</strong>r kommunalrechtlichen Beschränkungen<br />
häufig einheitliche Regelungen im Rahmen <strong>de</strong>r kommunalen Satzungsbefugnis,<br />
so etwa entsprechend <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Formulierung, getroffen:<br />
u Muster: Kommunale Satzung für die Übernahme von Bürgschaften als De-minimis-Beihilfen<br />
36<br />
Kommunale Regelung durch ••• (Gebietskörperschaft) über die Gewährung von Bürgschaften,<br />
die unter die De-minimis-Verordnung fallen<br />
Der Gemein<strong>de</strong>rat <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) hat in seiner Sitzung vom ••• folgen<strong>de</strong> Regelung über<br />
die Gewährung von De-minimis-Bürgschaften beschlossen:<br />
I. Allgemeines<br />
1. Die ••• (Gebietskörperschaft) darf nach ••• (Gesetz) 37 Bürgschaften nur zur Erfüllung seiner/ihrer<br />
Aufgaben übernehmen. Unter diese Regelung fallen insb. Bürgschaften zu Gunsten <strong>de</strong>r kommunalen<br />
Eigen- und Beteiligungsgesellschaften. Ein Anspruch auf Übernahme einer Bürgschaft durch die •••<br />
(Gebietskörperschaft) besteht nicht.<br />
2. Der Darlehensnehmer hat gegenüber <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) für die gesamte Darlehens- und<br />
Bürgschaftslaufzeit <strong>de</strong>n Nachweis zu erbringen, dass das verbürgte Darlehen ausschließlich zum<br />
Zweck <strong>de</strong>r konkreten Aufgabenerfüllung für die ••• (Gebietskörperschaft) verwen<strong>de</strong>t wird. Dieser<br />
34 Diese muss nach Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 genaue Angaben zum Antragsteller, zu Art und Höhe<br />
<strong>de</strong>r gewährten Beihilfe, zur Kumulierung mit weiteren Beihilfen, zu <strong>de</strong>ren Charakter als De-minimis-Beihilfe und zur<br />
gesetzlichen Grundlage <strong>de</strong>r De-miminis-Bescheinigung enthalten. Regelmäßig ist die De-minimis-Bescheinigung mit einer<br />
Nebenbestimmung versehen, wonach sie zehn Jahre aufzubewahren, auf behördliche Anfor<strong>de</strong>rung vorzulegen und bei<br />
einem künftigen Antrag auf Gewährung einer De-minimis-Beihilfe als Nachweis für eine bereits erfolgte För<strong>de</strong>rung einzureichen<br />
ist. Die Bewilligungsbehör<strong>de</strong> behält sich regelmäßig vor, <strong>de</strong>n Zuwendungsbescheid zu wi<strong>de</strong>rrufen und die<br />
Zuwendung zurückzufor<strong>de</strong>rn, falls das begünstigte Unternehmen diesen Anfor<strong>de</strong>rungen nicht nachkommen sollte.<br />
35 Jennert/Pauka, KommJur 2009, 321. Eine solche Regelung kann auch unabhängig von <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>r Deminimis-Verordnung<br />
als sog. Garantieregelung für die Übernahme von Bürgschaften auf Grundlage von Ziff. 3.4 und 3.5<br />
<strong>de</strong>r „Bürgschaftsmitteilung“ (Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission über die Anwendung <strong>de</strong>r Artikel 87 und 88 <strong>de</strong>s EG-Vertrages<br />
auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, ABl. 2008 C 155/10 v. 20.6.2008) erlassen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
36 In Anlehnung an ein Muster <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>svereinigung kommunaler Spitzenverbän<strong>de</strong> (Deutscher Städtetag, Deutscher<br />
Landkreistag, DStGB) und <strong>de</strong>s Zentralen Kreditausschusses, Anlage zur Mitteilung M 414/07 <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s Öffentlicher<br />
Banken Deutschlands (VÖB) v. 6.9.2007.<br />
37 Vgl etwa § 88 GemO Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Art. 72 GO Bayern, § 75 KVerf Bran<strong>de</strong>nburg, § 104 GO Hessen, § 57 GO<br />
Mecklenburg-Vorpommern, § 121 KomVG Nie<strong>de</strong>rsachsen, § 87 GO Nordrhein-Westfalen, § 104 GemO Rheinland-<br />
Pfalz, § 93 KSVO Saarland, § 83 GemO Sachsen, § 101 GO Sachsen-Anhalt, § 86 GO Schleswig-Holstein, § 64 KO<br />
Thüringen.<br />
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
Nachweis ist in Form geeigneter Unterlagen jeweils zum ••• bei <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft) einzureichen.<br />
II. Bürgschaftsregelung<br />
Bürgschaften wer<strong>de</strong>n nur übernommen, wenn sie mit <strong>de</strong>n europäischen Beihilfenvorschriften vereinbar<br />
sind. Insbeson<strong>de</strong>re müssen folgen<strong>de</strong> Voraussetzungen erfüllt sein:<br />
1. Eine De-minimis-Bürgschaft in Form einer Einzelbeihilfe darf nur auf <strong>de</strong>r Grundlage dieser Bürgschaftsregelung<br />
gewährt wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Beihilfeberechtigt und beihilfefähig sind alle Unternehmen, auf die die Verordnung (EG) Nr. 1998/<br />
2006 („De-minimis-Verordnung“) bzw die Verordnung (EU) Nr. 360/2012 („De-minimis-Verordnung<br />
für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“) anwendbar ist, bei Erfüllung <strong>de</strong>r<br />
weiteren Voraussetzungen.<br />
3. Bei <strong>de</strong>r Bürgschaft han<strong>de</strong>lt es sich um eine De-minimis-Beihilfe iSd Verordnung (EG)<br />
Nr. 1998/2006 o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verordnung (EU) Nr. 360/2012.<br />
4. Bei <strong>de</strong>m Darlehensnehmer han<strong>de</strong>lt es sich nicht um ein Unternehmen in Schwierigkeiten iSd<br />
„Leitlinien <strong>de</strong>r Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen<br />
in Schwierigkeiten“ (ABl. EU Nr. C 244 vom 1.10.2004, S. 2 ff). Dies ist <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft)<br />
auf Verlangen durch geeignete Unterlagen nachzuweisen.<br />
5. Der verbürgte Teil <strong>de</strong>s Darlehens, für das im Rahmen dieser Regelung eine Einzelbürgschaft gewählt<br />
wird, darf insgesamt 1.500.000 € bzw 3.750.000 € je Unternehmen bei <strong>de</strong>r Erbringung von Dienstleistungen<br />
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht übersteigen. Die Höhe <strong>de</strong>r Bürgschaft<br />
darf maximal 80 % <strong>de</strong>s Darlehens betragen.<br />
III. Kosten<br />
Für die Übernahme wer<strong>de</strong>n einmalige und laufen<strong>de</strong> Gebühren erhoben.<br />
1. Die einmalige Bearbeitungsgebühr beträgt ••• v.T. <strong>de</strong>r beantragten Bürgschaft, min<strong>de</strong>stens •••<br />
€, höchstens jedoch ••• €. Im Falle <strong>de</strong>r Rücknahme <strong>de</strong>s Bürgschaftsantrags o<strong>de</strong>r einer Ablehnung<br />
<strong>de</strong>r Bürgschaft ist eine einmalige Gebühr von ••• € zu zahlen. Die Gebühr ist mit Übersendung <strong>de</strong>r<br />
Bürgschaftsurkun<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Ablehnungsbescheids bzw bei Antragsrücknahme fällig.<br />
2. Während <strong>de</strong>r Laufzeit <strong>de</strong>r Bürgschaft ist für je<strong>de</strong>s angefangene Kalen<strong>de</strong>rjahr eine Gebühr zu zahlen.<br />
Die Gebühr wird in Höhe <strong>de</strong>s halben Unterschiedsbetrags zwischen <strong>de</strong>n Konditionen <strong>de</strong>s Darlehensgebers<br />
für kommunal verbürgte und für grundbuchlich gesicherte Darlehen bezogen auf <strong>de</strong>n zu Jahresanfang<br />
verbliebenen Restkapitalstand festgesetzt. Dazu teilt <strong>de</strong>r Bürgschaftsnehmer unaufgefor<strong>de</strong>rt<br />
bis zum ••• die Höhe <strong>de</strong>s Restdarlehens mit. Die erste laufen<strong>de</strong> Gebühr ist mit Auszahlung <strong>de</strong>s<br />
Kreditbetrags, spätestens jedoch einen Monat nach Übersendung <strong>de</strong>r Bürgschaftsurkun<strong>de</strong>, fällig. Die<br />
späteren Gebühren sind bis zum ••• zu zahlen. Sollte die Mitteilung <strong>de</strong>s Bürgschaftsnehmers nicht<br />
bis spätestens zum ••• eingegangen sein, richtet sich die Gebühr nach <strong>de</strong>m letzten mitgeteilten<br />
Sal<strong>de</strong>nstand.<br />
3. Die ••• (Gebietskörperschaft) kann nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall davon absehen,<br />
eine Gebühr zu erheben.<br />
IV. Inkrafttreten<br />
Diese Satzung tritt am ••• in Kraft.<br />
••• (Ort, Datum, Unterschrift Landrat/(Ober-)Bürgermeister) t<br />
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43<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
IV. Beson<strong>de</strong>rheiten im Daseinsvorsorgebereich 38<br />
In <strong>de</strong>r kommunalen Praxis hat das Beihilfenrecht seit <strong>de</strong>r Jahrtausendwen<strong>de</strong> erheblich an praktischer<br />
Be<strong>de</strong>utung gewonnen. Typische beihilfenrechtlich relevante Sachverhalte sind die Übernahme<br />
von Bürgschaften zu Gunsten kommunaler Unternehmen (zB Stadtwerke, Wohnungsbau-,<br />
Messe- und Wirtschaftsför<strong>de</strong>rungsgesellschaften), die Ab<strong>de</strong>ckung von Verlusten im Krankenhauswesen,<br />
im ÖPNV und in <strong>de</strong>r sozialen Fürsorge, die Veräußerung kommunaler Grundstücke,<br />
das Engagement im Breitbandbereich und die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kultur. Alle diese „Maßnahmen“<br />
können verbotene Beihilfen darstellen. Aufgrund <strong>de</strong>s weiten Anwendungsbereichs <strong>de</strong>s<br />
Beihilfenverbots können auch kommunale Unternehmen in <strong>de</strong>r Rechtsform <strong>de</strong>s privaten Rechts<br />
sowie Eigenbetriebe und uU sogar Regiebetriebe grds. Unternehmen im beihilfenrechtlichen<br />
Sinne und damit Empfänger staatlicher Beihilfen sein. Zu<strong>de</strong>m kann auch bei Leistungen rein<br />
für <strong>de</strong>n kommunalen Bedarf in vielen Fällen die Eignung zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen<br />
Han<strong>de</strong>ls zu bejahen sein (s. dazu Rn 6).<br />
Der EuGH hat im Jahr 2003 in <strong>de</strong>r Grundsatzentscheidung „Altmark Trans“ festgestellt, dass<br />
öffentliche Zuschüsse für <strong>de</strong>n Betrieb von Liniendiensten im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr<br />
bereits tatbestandlich keine Beihilfen darstellen, wenn sie als Ausgleich für die Erbringung<br />
gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen anzusehen sind, und damit nicht <strong>de</strong>r Anmel<strong>de</strong>pflicht<br />
bei <strong>de</strong>r Europäischen Kommission unterliegen. Voraussetzung ist insb., dass das begünstigte<br />
Unternehmen durch einen verbindlichen Rechtsakt mit <strong>de</strong>r Erbringung <strong>de</strong>r gemeinwohlorientierten<br />
Leistungen betraut sein muss. 39 Als weitergehen<strong>de</strong> Reaktion auf diese Entscheidung hat<br />
die Europäische Kommission nunmehr das „Almunia-Paket“ verabschie<strong>de</strong>t, bestehend aus folgen<strong>de</strong>n<br />
vier Teilen:<br />
• Mitteilung über die Anwendung <strong>de</strong>r Beihilfevorschriften <strong>de</strong>r Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen<br />
für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem<br />
Interesse; 40<br />
• Beschluss über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 <strong>de</strong>s Vertrages über die Arbeitsweise <strong>de</strong>r<br />
Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zu Gunsten<br />
bestimmter Unternehmen, die mit <strong>de</strong>r Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem<br />
wirtschaftlichem Interesse betraut sind (im Folgen<strong>de</strong>n: „Freistellungsbeschluss“); 41<br />
• Rahmen <strong>de</strong>r Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen<br />
für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (2011); 42 sowie<br />
• Verordnung <strong>de</strong>r Kommission über De-minimis-Beihilfen für die Erbringung von Dienstleistungen<br />
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. 43<br />
Für die kommunale Praxis ist insb. <strong>de</strong>r sog. Freistellungsbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
von hoher Relevanz. Soweit <strong>de</strong>ssen Voraussetzungen erfüllt sind, insb. ein Unternehmen<br />
mit <strong>de</strong>r Erbringung bestimmter Leistungen formell „betraut“ ist, gilt eine Beihilfe als mit <strong>de</strong>m<br />
Gemeinsamen Markt vereinbar und es besteht keine Pflicht zur Notifizierung.<br />
Abgesehen von bestimmten abstrakt vorgegebenen Min<strong>de</strong>stanfor<strong>de</strong>rungen (vgl Art. 4 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses)<br />
schreibt <strong>de</strong>r Freistellungsbeschluss nicht vor, welche Form ein Betrauungsakt<br />
haben muss. Dies hängt vom Einzelfall ab. Entschei<strong>de</strong>nd ist, dass Transparenz über die<br />
finanziellen Beziehungen zwischen Kommune und betrautem Unternehmen hergestellt wird und<br />
die Grundlagen für die Berechnung <strong>de</strong>r Ausgleichsleistungen vorab konkret und nachvollzieh-<br />
38 Näher Meßmer, BWGZ 2012, 290.<br />
39 EuGH v. 24.7.2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans GmbH), Slg. 2003, I-7747. Diese Entscheidung eröffnet die Möglichkeit,<br />
sich auf das Nichtvorliegen einer Beihilfe zu berufen, wenn die darin formulierten Kriterien erfüllt sind und dies<br />
ggf auch nachgewiesen wer<strong>de</strong>n kann.<br />
40 Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission, 2012/C 8/02 (ABl. C 8/4 v. 11.1.2012).<br />
41 Beschluss <strong>de</strong>r Kommission v. 20.12.2011, 2012/21/EU (ABl. L 7/3 v. 11.1.2012).<br />
42 Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission, 2012/C 8/03 (ABl. C 8/15 v. 11.1.2012).<br />
43 Verordnung (EU) 360/2012 <strong>de</strong>r Kommission (ABl. L 114/8 v. 26.4.2012).<br />
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
bar aufgestellt wer<strong>de</strong>n. Ein nachträglicher Verlustausgleich ohne vorherige Festlegung <strong>de</strong>r zugrun<strong>de</strong><br />
gelegten Parameter ist unzulässig. Dementsprechend gibt es in <strong>de</strong>r Praxis eine Vielzahl<br />
von Erscheinungsformen für Betrauungsakte. Neben <strong>de</strong>m nachfolgen<strong>de</strong>n Muster wird insb.<br />
auch ein „mehraktiger Betrauungsakt“ praktiziert, basierend auf <strong>de</strong>m Gesellschaftsvertrag <strong>de</strong>s<br />
betrauten Unternehmens in Verbindung mit entsprechen<strong>de</strong>n Beschlüssen <strong>de</strong>r Gesellschafterversammlung<br />
(Zielbeschluss, Genehmigung <strong>de</strong>s Wirtschaftsplans, Überwachung <strong>de</strong>r Auszahlung<br />
und Mittelverwendung). 44<br />
u Muster: Betrauungsakt für die Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen 45<br />
Öffentlicher Auftrag<br />
– Betrauungsakt –<br />
<strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft)<br />
auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />
<strong>de</strong>s<br />
BESCHLUSSES DER KOMMISSION<br />
vom 20. Dezember 2011<br />
über die Anwendung von Artikel 106 Abs. 2 <strong>de</strong>s Vertrags über die Arbeitsweise <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zu Gunsten bestimmter Unternehmen,<br />
die mit <strong>de</strong>r Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse<br />
betraut sind,<br />
§ 1 Gemeinwohlaufgabe<br />
(bekanntgegeben unter Aktenzeichen K(2011)9380)<br />
ABl. EU Nr. L 7/3 vom 11. Januar 2012<br />
– Freistellungsbeschluss –<br />
an<br />
die ••• (Unternehmen)<br />
(1) Nach § ••• <strong>de</strong>s ••• (Gesetz) hat die ••• (Gebietskörperschaft) die ••• (Daseinsvorsorge-Aufgabe)<br />
sicherzustellen (Sicherstellungsauftrag). Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um eine Dienstleistung von allgemeinem<br />
wirtschaftlichem Interesse (im Folgen<strong>de</strong>n: DAWI). 46<br />
(2) Hierzu wur<strong>de</strong> ••• (Plan, Satzung etc.) erstellt. Die ••• (betrautes Unternehmen) wur<strong>de</strong> in diesen<br />
••• (Plan, Satzung etc.) aufgenommen, <strong>de</strong>ssen Einzelfeststellungen und Än<strong>de</strong>rungen bzgl <strong>de</strong>r Pflichten<br />
<strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen) sich aus <strong>de</strong>r jeweils gelten<strong>de</strong>n Fassung von ••• ergeben.<br />
20<br />
595<br />
44 Sog. Münchener Mo<strong>de</strong>ll, vgl Duschner/Lang-Hefferle/Scharpf, BayVBl. 2010, 364.<br />
45 In Anlehnung an das Muster <strong>de</strong>s Landkreistags Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, vgl Anlage zum Rundschreiben 686/2007 <strong>de</strong>s Deutschen<br />
Landkreistags „Hinweise für die Kreiskrankenhäuser zur Anwendung <strong>de</strong>s Monti-Pakets“.<br />
46 Der jeweilige Inhalt hängt davon ab, ob es für die jeweiligen DAWI gesetzliche Vorgaben gibt o<strong>de</strong>r ob die Betrauung auf<br />
Grundlage <strong>de</strong>r kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und <strong>de</strong>r sich daraus ergeben<strong>de</strong>n Universalität <strong>de</strong>s kommunalen<br />
Wirkungskreises erfolgt. Hierzu gehört die Berechtigung <strong>de</strong>r Kommunen, in eigener Verantwortung zu entschei<strong>de</strong>n und<br />
zu <strong>de</strong>finieren, ob, wann und welche Aufgaben <strong>de</strong>r Daseinsvorsorge sie für ihre Einwohner erbringen wollen. Insoweit<br />
han<strong>de</strong>lt es sich bei <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r DAWI letztlich um ein gemeinschaftsrechtliches Synonym für die wirtschaftlichen<br />
Tätigkeiten im Bereich <strong>de</strong>r Daseinsvorsorge. In diesem Bereich <strong>de</strong>r kommunalen Definitionshoheit ist die Europäische<br />
Kommission auf eine reine Missbrauchskontrolle beschränkt, vgl Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nordrhein-Westfalen, Leitfa<strong>de</strong>n Öffentliche Daseinsvorsorge, S. 26 ff.<br />
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43<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
§ 2 Beauftragtes Unternehmen, Art <strong>de</strong>r Dienstleistungen (zu Art. 4 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses)<br />
(1) Die ••• (Gebietskörperschaft) betraut die ••• (betrautes Unternehmen) mit <strong>de</strong>r Erbringung nachstehen<strong>de</strong>r<br />
DAWI: 47<br />
1. Einzelne zu erbringen<strong>de</strong> Dienstleistungen:<br />
a) •••,<br />
b) ••• und<br />
c) •••,<br />
2. Erledigung aller mit <strong>de</strong>n unter Ziffer 1 zusammenhängen<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n dortigen Belangen dienen<strong>de</strong>n<br />
Geschäften,<br />
3. Durchführung aller Maßnahmen und Geschäfte, durch die die unter Ziffer 1 genannten Dienstleistungen<br />
geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
(2) Die ••• (betrautes Unternehmen) erbringt <strong>de</strong>rzeit keine Dienstleistungen, die nicht zu <strong>de</strong>n DAWI<br />
zählen. 48<br />
§ 3 Dauer <strong>de</strong>r Betrauung (zu Art. 2 Abs. 2 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses)<br />
Die Betrauung <strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen) erfolgt für einen Zeitraum von ••• Jahren. 49 Dieser<br />
beginnt mit Wirksamwer<strong>de</strong>n dieses Betrauungsakts.<br />
§ 4 Berechnung und Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ausgleichsleistungen (zu Art. 5 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses)<br />
50<br />
(1) Die ••• (Gebietskörperschaft) gewährt <strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen) zum Ausgleich <strong>de</strong>r durch<br />
die Erbringung von DAWI nach § 2 Abs. 1 entstehen<strong>de</strong>n Kosten eine Ausgleichsleistung, <strong>de</strong>ren Höhe<br />
sich aus <strong>de</strong>m jeweiligen Jahreswirtschaftsplan <strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen) ergibt. Der Jahresfehlbetrag<br />
resultiert ausschließlich aus <strong>de</strong>r Erbringung von DAWI nach § 2 Abs. 1. Aus diesem Betrauungsakt<br />
folgt kein Rechtsanspruch <strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen) auf die Ausgleichsleistung.<br />
(2) Führen unvorhersehbare Ereignisse aufgrund <strong>de</strong>r Erbringung <strong>de</strong>r DAWI zu höheren nicht ge<strong>de</strong>ckten<br />
Kosten bei <strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen), so können auch diese ausgeglichen wer<strong>de</strong>n.<br />
(3) Die Ausgleichsleistung geht nicht über das hinaus, was erfor<strong>de</strong>rlich ist, um unter Berücksichtigung<br />
eines angemessenen Gewinns die durch die Erfüllung <strong>de</strong>r Gemeinwohlverpflichtung verursach-<br />
47 Die beihilfenrechtlichen Vorgaben verlangen, die durch Ausgleichsleistungen geför<strong>de</strong>rten DAWI möglichst genau zu beschreiben.<br />
Dies birgt die Gefahr, dass <strong>de</strong>r Betrauungsakt und die auf <strong>de</strong>ssen Grundlage erfolgen<strong>de</strong>n Ausgleichsleistungen<br />
umsatzsteuerlich nicht als „echter Zuschuss“, son<strong>de</strong>rn als „Auftrag“ und damit als steuerbarer Leistungsaustausch bewertet<br />
wer<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>r Formulierung <strong>de</strong>s Betrauungsakts ist <strong>de</strong>shalb beson<strong>de</strong>re Sorgfalt erfor<strong>de</strong>rlich, im Einzelfall kann<br />
auch die Einholung einer verbindlichen Auskunft beim Finanzamt erfor<strong>de</strong>rlich sein, vgl Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand<br />
und Energie <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nordrhein-Westfalen, Leitfa<strong>de</strong>n Öffentliche Daseinsvorsorge, S. 36 ff. Vgl hierzu auch<br />
BFH, U. v. 10.11.2011 – V R 41/10 (Umsatzsteuerliche Behandlung von Beistandsleistungen), KommJur 2012, 139.<br />
48 Wäre dies <strong>de</strong>r Fall, müssten diese „wettbewerblichen“ o<strong>de</strong>r wirtschaftlichen Aktivitäten <strong>de</strong>s betrauten Unternehmens von<br />
<strong>de</strong>m betrauten Tätigkeitsbereich hinreichend abgegrenzt wer<strong>de</strong>n und dürften insb. we<strong>de</strong>r direkt noch indirekt von <strong>de</strong>n<br />
Ausgleichsleistungen durch die betrauen<strong>de</strong> Körperschaft profitieren. Deshalb stellt die Abgrenzung <strong>de</strong>r DAWI von sonstigen<br />
Dienstleistungen und Tätigkeiten für die Ausgestaltung <strong>de</strong>s gesamten Betrauungsakts eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Weichenstellung<br />
dar.<br />
49 Eine Betrauung für einen längeren Zeitraum als zehn Jahre ist nach Art. 2 Abs. 2 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses nur möglich,<br />
wenn erhebliche Investitionen <strong>de</strong>s betrauten Unternehmens erfor<strong>de</strong>rlich sind, die nach allgemein anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen<br />
über einen längeren Zeitraum abgeschrieben wer<strong>de</strong>n müssen. Eine erneute Betrauung <strong>de</strong>r Betreiberorganisation<br />
nach Ablauf <strong>de</strong>s Zehnjahreszeitraums wäre aber ohne Weiteres möglich.<br />
50 Was eine Ausgleichsleistung ist, wird in <strong>de</strong>m Freistellungsbeschluss nicht geson<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>finiert. In <strong>de</strong>r Praxis ist anerkannt,<br />
dass nicht nur „echte“ Zahlungen zum Defizitausgleich, son<strong>de</strong>rn auch die Übernahme von Bürgschaften zulässig sind,<br />
vgl Jennert/Manz, ZKF 2009, 217; Jennert/Pauka, KommJur 2009, 321.<br />
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
ten Netto-Kosten abzu<strong>de</strong>cken. Die Netto-Kosten sind die Differenzen zwischen <strong>de</strong>n nach Abs. 4 zu<br />
berücksichtigen<strong>de</strong>n Kosten und <strong>de</strong>n Einnahmen nach Abs. 5. 51<br />
(4) Die zu berücksichtigen<strong>de</strong>n Kosten umfassen sämtliche in Verbindung mit <strong>de</strong>r Erbringung <strong>de</strong>r DAWI<br />
angefallenen Kosten <strong>de</strong>r ••• (betrautes Unternehmen).<br />
(5) Die zu berücksichtigen<strong>de</strong>n Einnahmen beinhalten die gesamten Einnahmen, die mit <strong>de</strong>r DAWI<br />
erzielt wur<strong>de</strong>n. Als „angemessener Gewinn“ iSv Abs. 3 gilt die Kapitalrendite, die ein durchschnittliches<br />
Unternehmen zugrun<strong>de</strong> legt, um unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s jeweiligen Risikos zu entschei<strong>de</strong>n,<br />
ob es die betreffen<strong>de</strong> DAWI für die gesamte Dauer <strong>de</strong>r Betrauung erbringt. Der Begriff „Kapitalrendite“<br />
bezeichnet <strong>de</strong>n internen Ertragssatz (Internal Rate of Return – IRR), <strong>de</strong>n die ••• (betrautes Unternehmen)<br />
während <strong>de</strong>s Betrauungszeitraums mit ihrem investierten Kapital erzielt.<br />
§ 5 Vermeidung von Überkompensierung (zu Art. 6 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses)<br />
(1) Um sicherzustellen, dass durch die Ausgleichsleistung nach § 4 Abs. 1 keine Überkompensation<br />
für die Erbringung von DAWI nach § 2 Abs. 1 entsteht, führt die ••• (betrautes Unternehmen) jährlich<br />
nach Ablauf <strong>de</strong>s Geschäftsjahres <strong>de</strong>n Nachweis über die Verwendung <strong>de</strong>r Mittel. Dies geschieht im<br />
Rahmen <strong>de</strong>s Jahresabschlusses.<br />
(2) Die ••• (Gebietskörperschaft) for<strong>de</strong>rt die ••• (betrautes Unternehmen) ggf zur Rückzahlung überhöhter<br />
Ausgleichsleistungen auf. In einem solchen Fall wird die ••• (Gebietskörperschaft) die Parameter<br />
für die Berechnung <strong>de</strong>r Ausgleichsleistung für die Folgejahre neu festlegen. Übersteigt die<br />
Überkompensation <strong>de</strong>n jährlichen Ausgleich nicht um mehr als 10 %, kann die ••• (Gebietskörperschaft)<br />
diese auf das nächste Kalen<strong>de</strong>rjahr übertragen und von <strong>de</strong>r für dieses Kalen<strong>de</strong>rjahr zu zahlen<strong>de</strong>n<br />
Ausgleichsleistung abziehen.<br />
§ 6 Vorhalten von Unterlagen (zu Art. 7 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses)<br />
Unbescha<strong>de</strong>t weitergehen<strong>de</strong>r Vorschriften sind sämtliche Unterlagen, anhand <strong>de</strong>rer sich feststellen<br />
lässt, ob die Ausgleichsleistungen mit <strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses vereinbar<br />
sind, min<strong>de</strong>stens für einen Zeitraum von zehn Jahren ab En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Betrauungszeitraums aufzubewahren.<br />
52<br />
§ 7 Hinweis auf Gremienentscheidung/Grundlagenbeschluss<br />
Der vorstehen<strong>de</strong> öffentliche Auftrag (Betrauungsakt) erfolgt auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Beschlusses von<br />
••• (zuständiges Organ) <strong>de</strong>r ••• (Gebietskörperschaft).<br />
••• (Ort, Datum, Unterschrift Landrat/(Ober-)Bürgermeister) t<br />
51 Sofern das betraute Unternehmen auch sonstige „wettbewerbliche“ o<strong>de</strong>r wirtschaftliche Tätigkeiten außerhalb <strong>de</strong>s Bereichs<br />
<strong>de</strong>r Daseinsvorsorge erbringt, wären die Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n DAWI einerseits<br />
und <strong>de</strong>n sonstigen Tätigkeiten an<strong>de</strong>rerseits getrennt auszuweisen. Dabei wäre auch anzugeben, nach welchen Parametern<br />
die Zuordnung <strong>de</strong>r jeweiligen Einnahmen und Ausgaben erfolgt. Beson<strong>de</strong>re Sorgfalt ist dabei hinsichtlich <strong>de</strong>r Kostenzuordnung<br />
von Gemeinkosten (zB Miete) geboten. Im Ergebnis müssen für bei<strong>de</strong> Bereiche getrennte Wirtschaftspläne aufgestellt<br />
wer<strong>de</strong>n, um sicherzustellen, dass nur die Kosten, die <strong>de</strong>r Erbringung <strong>de</strong>r DAWI zurechenbar sind, bei <strong>de</strong>n Ausgleichszahlungen<br />
berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Möchte etwa eine Kommune eine Tochtergesellschaft mit <strong>de</strong>m Betrieb eines<br />
Museums betrauen, müssen damit zusammenhängen<strong>de</strong> Aktivitäten wie <strong>de</strong>r Betrieb einer Cafeteria und eines <strong>Shop</strong>s getrennt<br />
erfasst wer<strong>de</strong>n und es darf keine Quersubventionierung dieser Tätigkeiten erfolgen, vgl Art. 5 Abs. 3 lit. b) und<br />
lit. c) und Abs. 9 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses.<br />
52 Darüber hinaus sind mögliche Überkompensationen am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Betrauungszeitraums und min<strong>de</strong>stens alle drei Jahre<br />
während <strong>de</strong>s Betrauungszeitraums zu überprüfen, vgl Art. 6 Abs. 1 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses. Des Weiteren haben die<br />
Mitgliedstaaten alle zwei Jahre Berichte über die Umsetzung <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses an die Kommission zu übersen<strong>de</strong>n,<br />
vgl Art. 9 <strong>de</strong>s Freistellungsbeschlusses. Damit müssen auch die Kommunen die erfor<strong>de</strong>rlichen Informationen<br />
vorhalten und zur Verfügung stellen.<br />
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43<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
596<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
B. Rechtsschutz im Beihilfenrecht<br />
I. Beschlüsse im Rahmen <strong>de</strong>r Beihilfenaufsicht <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
1. Verfahrensablauf<br />
Nach erfolgter Anmeldung nimmt die Europäische Kommission eine Prüfung <strong>de</strong>r rechtlichen<br />
Zulässigkeit einer Beihilfe und <strong>de</strong>ren Vereinbarkeit mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt vor, wobei<br />
die wirtschaftlichen Auswirkungen <strong>de</strong>r Beihilfe verstärkt Berücksichtigung fin<strong>de</strong>n.<br />
Gemäß Art. 4 Abs. 1 VVO ist die Europäische Kommission zur unmittelbaren Überprüfung <strong>de</strong>r<br />
Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r Beihilfe nach Eingang <strong>de</strong>s Anmel<strong>de</strong>formulars verpflichtet. In <strong>de</strong>r Folge entschei<strong>de</strong>t<br />
sie im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens innerhalb von zwei Monaten nach<br />
Art. 4 Abs. 5 VVO. Sofern sie binnen dieser Frist keinen Beschluss erlässt, gilt die Beihilfe als<br />
genehmigt (Art. 4 Abs. 6 VVO). An<strong>de</strong>rnfalls entschei<strong>de</strong>t die Europäische Kommission in einem<br />
ersten Schritt entwe<strong>de</strong>r, dass die angemel<strong>de</strong>te Maßnahme keine Beihilfe darstellt (Art. 4 Abs. 2<br />
VVO), dass sie mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt vereinbar ist (Art. 4 Abs. 3 VVO) o<strong>de</strong>r dass sie<br />
Anlass zu Be<strong>de</strong>nken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt gibt (Art. 4<br />
Abs. 4 VVO). In letzterem Fall leitet sie in einem zweiten Schritt ein förmliches Prüfverfahren<br />
ein. Die vertiefte Abwägung <strong>de</strong>r wettbewerblichen Auswirkungen <strong>de</strong>r Beihilfe in diesem förmlichen<br />
Prüfverfahren soll nach Art. 7 Abs. 6 VVO möglichst innerhalb von 18 Monaten nach<br />
Eröffnung <strong>de</strong>s Prüfverfahrens been<strong>de</strong>t sein. Auch in diesem Stadium kann die Europäische<br />
Kommission noch feststellen, dass entwe<strong>de</strong>r keine Beihilfe vorliegt (Art. 7 Abs. 2 VVO) o<strong>de</strong>r<br />
dass die Beihilfe mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt vereinbar (Art. 7 Abs. 3 VVO) o<strong>de</strong>r unvereinbar<br />
(Art. 7 Abs. 5 VVO) ist.<br />
2. Positivbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
Soweit die Europäische Kommission nach Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens eine Beihilfe<br />
als mit <strong>de</strong>m Europäischen Binnenmarkt vereinbar ansieht, richtet sie an <strong>de</strong>n jeweiligen<br />
Mitgliedstaat einen Positivbeschluss (früher: Positiventscheidung) nach Art. 7 Abs. 3 VVO.<br />
Durch <strong>de</strong>n Erlass <strong>de</strong>s Positivbeschlusses ist die Beihilfe unter <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Beschluss genannten<br />
Voraussetzungen als genehmigt anzusehen. Sofern die Europäische Kommission zu <strong>de</strong>m Ergebnis<br />
kommt, dass die Beihilfe nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wer<strong>de</strong>n darf,<br />
erlässt sie <strong>de</strong>n Positivbeschluss nach Art. 7 Abs. 4 VVO verbun<strong>de</strong>n mit Auflagen o<strong>de</strong>r Bedingungen.<br />
Der Beschluss besteht aus einer Zusammenfassung <strong>de</strong>s Verfahrens, einer Begründung<br />
und eines Ausspruchs. Die Begründung <strong>de</strong>s Beschlusses enthält insb. Angaben in Bezug auf <strong>de</strong>n<br />
Regelungszweck <strong>de</strong>r Beihilfe, ihre positiven und negativen Auswirkungen auf <strong>de</strong>n Wettbewerb<br />
in <strong>de</strong>r Europäischen Union und etwaige Auflagen o<strong>de</strong>r Bedingungen. Regelmäßig en<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r<br />
Positivbeschluss mit folgen<strong>de</strong>m Ausspruch:<br />
u<br />
Muster: Positivbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
(1) Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n Würdigung erklärt die Kommission die Gewährung von •••<br />
auf Grundlage <strong>de</strong>r Strategie <strong>de</strong>r Regierung ••• über ••• für nach Art. 107 Abs. 3 AEUV mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen<br />
Markt vereinbar.<br />
(2) ••• (Mitgliedstaat) wird darauf hingewiesen, dass die Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV von<br />
einer beabsichtigten Verlängerung o<strong>de</strong>r Umgestaltung <strong>de</strong>r Maßnahme unterrichtet wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Ferner wird ••• (Mitgliedstaat) daran erinnert, <strong>de</strong>r Verpflichtung über die Mitteilung von ••• nachzukommen<br />
und jährlich spätestens bis zum 31. März eine Übersicht <strong>de</strong>r im Vorjahr im Rahmen <strong>de</strong>r<br />
angemel<strong>de</strong>ten Än<strong>de</strong>rung gewährten För<strong>de</strong>rung mit <strong>de</strong>n in Erwägungsgrund ••• dieses Beschlusses<br />
beschriebenen Daten zu übermitteln.<br />
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§ 43 Europäisches Beihilfenrecht 43<br />
(3) Falls dieses Schreiben vertrauliche Angaben enthält, die nicht offengelegt wer<strong>de</strong>n sollen, wer<strong>de</strong>n<br />
Sie gebeten, bei <strong>de</strong>r Kommission innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Eingang einen mit Grün<strong>de</strong>n<br />
versehenen Antrag auf vertrauliche Behandlung zu stellen. An<strong>de</strong>rnfalls geht die Kommission davon<br />
aus, dass Sie mit <strong>de</strong>r Offenlegung <strong>de</strong>r Angaben und mit <strong>de</strong>r Veröffentlichung <strong>de</strong>s vollständigen Wortlauts<br />
dieses Schreibens in <strong>de</strong>r verbindlichen Sprachfassung auf folgen<strong>de</strong>r Website einverstan<strong>de</strong>n sind:<br />
http://ec.europa.eu/eu_law/state_aids/state_aids_texts_<strong>de</strong>.htm.<br />
Brüssel, <strong>de</strong>n •••<br />
Für die Kommission<br />
•••<br />
(Wettbewerbskommissar •••)<br />
Mitglied <strong>de</strong>r Kommission t<br />
3. Negativbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
Sieht die Europäische Kommission die Beihilfe als mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt unvereinbar<br />
an, ergeht ein Negativbeschluss nach Art. 7 Abs. 5 VVO mit ausführlicher Begründung und<br />
folgen<strong>de</strong>m Ausspruch:<br />
u<br />
Muster: Negativbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
Artikel 1<br />
Die staatliche Unterstützung, die ••• (Mitgliedstaat) zu Gunsten von ••• (Unternehmen) iHv ••• €<br />
gewährt hat, ist mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt unvereinbar.<br />
Artikel 2<br />
(1) ••• (Mitgliedstaat) ergreift alle notwendigen Maßnahmen, um die in Art. 1 genannte, rechtswidrig<br />
gewährte Beihilfe abzuschaffen und vom Empfänger zurückzufor<strong>de</strong>rn.<br />
(2) Die Beitreibung <strong>de</strong>r Beihilfe erfolgt nach <strong>de</strong>n nationalen Verfahren. Der beizutreiben<strong>de</strong> Beihilfenbetrag<br />
erhöht sich um die Zinsen, die ab <strong>de</strong>m Tag <strong>de</strong>s Erhalts <strong>de</strong>r Beihilfe durch <strong>de</strong>n Empfänger<br />
bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s für die Berechnung <strong>de</strong>s Subventionsäquivalents<br />
<strong>de</strong>r Beihilfen verwen<strong>de</strong>ten Bezugssatzes berechnet wer<strong>de</strong>n.<br />
Artikel 3<br />
••• (Mitgliedstaat) teilt <strong>de</strong>r Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieses Beschlusses<br />
die Maßnahmen mit, die ergriffen wur<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>m Beschluss nachzukommen.<br />
Artikel 4<br />
Dieser Beschluss ist an ••• (Mitgliedstaat) gerichtet.<br />
25<br />
26<br />
597<br />
Brüssel, <strong>de</strong>n •••<br />
Für die Kommission<br />
•••<br />
(Wettbewerbskommissar •••)<br />
Mitglied <strong>de</strong>r Kommission t<br />
Meßmer/Bernhard 1505
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43<br />
27<br />
28<br />
29<br />
598<br />
Abschnitt 9: Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
II.<br />
Klage eines Beihilfenempfängers gegen einen Negativbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission<br />
Ein Negativbeschluss ist eine Handlung <strong>de</strong>r Europäischen Kommission mit Rechtswirkung gegenüber<br />
Dritten iSv Art. 263 Abs. 1 AEUV. Statthafter Rechtsbehelf zur Beseitigung <strong>de</strong>s Negativbeschlusses<br />
ist daher die Nichtigkeitsklage nach Art. 263, 264 AEUV. 53 Die Nichtigkeitsklage<br />
hat nach Art. 278 AEUV keine aufschieben<strong>de</strong> Wirkung. Ist die Gewährung <strong>de</strong>r Beihilfe<br />
bereits erfolgt und hat <strong>de</strong>r Kommissionsbeschluss eine Rückfor<strong>de</strong>rungsverpflichtung zum Gegenstand,<br />
empfiehlt sich daher, um die Aussetzung <strong>de</strong>s Kommissionsbeschlusses parallel zu <strong>de</strong>r<br />
Erhebung <strong>de</strong>r Nichtigkeitsklage im Wege <strong>de</strong>s vorläufigen Rechtsschutzes nach Art. 278, 279<br />
AEUV zu ersuchen.<br />
Die Nichtigkeitsklage kann zum einen durch <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Mitgliedstaat als Adressat <strong>de</strong>s<br />
Negativbeschlusses <strong>de</strong>r Europäischen Kommission nach Art. 263 Abs. 2 AEUV erhoben wer<strong>de</strong>n.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren steht es auch <strong>de</strong>m begünstigten Unternehmen selbst offen, eine Nichtigkeitsklage<br />
nach Art. 263 Abs. 4 AEUV zu erheben, wenn es durch <strong>de</strong>n Negativbeschluss unmittelbar<br />
und individuell betroffen ist. Eine solche Betroffenheit ist insb. dann gegeben, wenn<br />
ein Unternehmen von einer Einzelbeihilfe profitiert hat und sich im Anschluss an <strong>de</strong>n Negativbeschluss<br />
Rückfor<strong>de</strong>rungsansprüchen <strong>de</strong>s jeweiligen Mitgliedstaates ausgesetzt sieht. 54<br />
u Muster: Nichtigkeitsklage eines Beihilfenempfängers gegen einen Negativbeschluss <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission<br />
An das Gericht <strong>de</strong>r Europäischen Union 55<br />
•••<br />
Klageschrift<br />
<strong>de</strong>r ••• (Unternehmen), ••• (Mitgliedstaat), ••• (Anschrift) 56<br />
vertreten durch 57 •••<br />
Prozessbevollmächtigte: •••<br />
gegen<br />
die Europäische Kommission, Rue <strong>de</strong> la Loi 200, B–1049 Brüssel<br />
Namens und im Auftrag <strong>de</strong>r Klägerin erheben wir Klage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV 58<br />
gegen<br />
die Europäische Kommission<br />
– Klägerin –<br />
– Beklagte –<br />
53 Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht <strong>de</strong>r EU, Rn 957.<br />
54 EuG v. 29.9.2000 – Rs. T-55/99 (CETM/Kommission), Slg. 2000, II-3207; zu weiteren Fallkonstellationen vgl Linn, IStR<br />
2011, 481.<br />
55 Zuständig ist nach Art. 256 Abs. 1 AEUV das Gericht <strong>de</strong>r Europäischen Union (EuG), <strong>de</strong>ssen Urteil in zweiter Instanz<br />
durch <strong>de</strong>n Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüft wer<strong>de</strong>n kann.<br />
56 Parteifähig vor <strong>de</strong>m EuG bzw EuGH sind gem. Art. 263 Abs. 2–4 AEUV die Mitgliedstaaten und Unionsorgane (in Beihilfesachen<br />
idR die Europäische Kommission) sowie bei unmittelbarer und individueller Betroffenheit grds. auch natürliche<br />
und juristische Personen.<br />
57 Nach Art. 19 Abs. 1 EuGH-Satzung wer<strong>de</strong>n die Mitgliedstaaten und Organe bei <strong>de</strong>r Vornahme von Prozesshandlungen<br />
durch einen Bevollmächtigten vertreten. Der Bevollmächtigte darf sich <strong>de</strong>r Hilfe eines Beistands o<strong>de</strong>r eines Anwalts bedienen.<br />
58 Die Anfor<strong>de</strong>rungen an eine Klageschrift vor <strong>de</strong>n europäischen Gerichten sind in Art. 44 VerfOEuG iVm Art. 21 EuGH-<br />
Satzung präzisiert.<br />
1506 Meßmer/Bernhard
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45<br />
29<br />
30<br />
616<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
Abs. 2 <strong>de</strong>r 18. BImSchV), 42 so sind die Maßgaben <strong>de</strong>r Freizeitlärm-Richtlinie als technisches<br />
Regelwerk zur Beurteilung von Lärmimmissionen heranzuziehen, die im Rahmen <strong>de</strong>r gebotenen<br />
Einzelfallprüfung als Orientierungshilfe anerkanntermaßen einen „groben Anhalt“ für eine Beurteilung<br />
gem. § 3 Abs. 1 BImSchG bietet.<br />
Als nicht <strong>de</strong>r 18. BImSchV unterfallend kommen vornehmlich Bolzplätze und an<strong>de</strong>re (öffentliche)<br />
Einrichtungen <strong>de</strong>r Freizeitgestaltung, nicht jedoch Kin<strong>de</strong>rspielplätze, 43 Skateranlagen,<br />
Streetballfel<strong>de</strong>r sowie Festplätze für die Abhaltung von Messen und Konzerten in Betracht.<br />
u Muster: Nachbarlicher Abwehranspruch gegen Bolzplatz im Allgemeinen Wohngebiet wegen<br />
Verletzung <strong>de</strong>r Immissionsrichtwerte <strong>de</strong>r Freizeitlärm-Richtlinie gem. LAI<br />
Verwaltungsgericht •••<br />
In <strong>de</strong>r Verwaltungsstreitsache •••<br />
wegen: öffentlicher Einrichtung<br />
zeige ich ausweislich anliegen<strong>de</strong>r Prozessvollmacht an, dass ich <strong>de</strong>n Kläger anwaltlich vertrete.<br />
Namens und auftrags <strong>de</strong>s Klägers erhebe ich hiermit<br />
mit <strong>de</strong>m Antrag, zu erkennen:<br />
Klage<br />
1. Die Beklagte wird verurteilt, die auf Grundstück Fl. Nr. •••, Gemarkung ••• (öffentliche Grünfläche)<br />
errichteten Tore mit <strong>de</strong>n Ausmaßen 3 m x 2,5 m x 0,8 m (B x H x T) sowie die bei<strong>de</strong>n Ballfangzäune<br />
zu beseitigen.<br />
2. Die Kosten <strong>de</strong>s Rechtsstreits trägt die Beklagte.<br />
Diesen Antrag begrün<strong>de</strong> ich hiermit wie folgt:<br />
A. Sachverhalt<br />
I. Der Kläger ist Eigentümer <strong>de</strong>s Grundstücks Fl. Nr. •••, Gemarkung •••, A-Straße, Ecke F-Straße, das<br />
von <strong>de</strong>m im Eigentum <strong>de</strong>r Beklagten stehen<strong>de</strong>n Grundstück Fl. Nr. •••, Gemarkung ••• durch die A-<br />
Straße getrennt ist. Bei<strong>de</strong> Grundstücke liegen in einer luftlinienmäßigen Entfernung von ca. 12 m<br />
(Grundstücksgrenze zu Grundstücksgrenze) und sind im Geltungsbereich <strong>de</strong>s Bebauungsplans<br />
Nr. ••• aus <strong>de</strong>m Jahre ••• belegen, <strong>de</strong>r das Grundstück <strong>de</strong>s Klägers als allgemeines Wohngebiet (§ 4<br />
BauNVO), das Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten als „öffentliche Grünfläche“ festsetzt.<br />
Auf <strong>de</strong>m Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten stehen zurzeit mittig 2 Tore mit <strong>de</strong>n Maßen 3,0 m x 2,5 m x<br />
0,8 m (B x H x T); die Tornetze sind aus Kunststoff geflochten und mit Stahl ummantelt. Sie befin<strong>de</strong>n<br />
sich in einer Entfernung von ca. 35 m zueinan<strong>de</strong>r. Das Tor in östlicher Richtung befin<strong>de</strong>t sich in einer<br />
Entfernung von ca. 30 m zu <strong>de</strong>m auf <strong>de</strong>m Grundstück <strong>de</strong>s Klägers aufstehen<strong>de</strong>n Wohnhaus. Hinter<br />
<strong>de</strong>n Toren sind jeweils in ca. 4 m Entfernung Ballfangzäune aufgestellt (4 m hoch, 8 m breit); das<br />
gesamte Areal ist mit einem etwa 1,20 m hohen Metallzaun umgeben, wobei <strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>r im<br />
Wesentlichen aus Rasenuntergrund bestehen<strong>de</strong>n Spielfläche durch eine ca. 4 bis 5 m große Öffnung<br />
gewährleistet ist. An dieser Zutrittspforte sind Schil<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Aufschrift „Bitte Ruhezeiten einhalten<br />
(13.00 Uhr bis 15.00 Uhr und nach Eintritt <strong>de</strong>r Dunkelheit, spätestens ab 20.00 Uhr), Hun<strong>de</strong> fernhalten“<br />
sowie „Ballspielen nur für Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche bis zum Alter von 14 Jahren gestattet“<br />
angebracht.<br />
42 BVerwG BayVBl. 2003, 377; VGH Kassel, U. v. 30.11.1999 – 2 UE 263/97; VG Würzburg, B. v. 31.7.2003 – W 2 E<br />
03.809, EzKommR Nr. 2574.71; BGH, U. v. 26.9.2003 – V ZR 41/03, BWGZ 2004, 391.<br />
43 Vgl § 22 Abs. 1 a BImSchG.<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
II. Nach Aufnahme <strong>de</strong>s Spielbetriebs auf <strong>de</strong>m Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten war durch Schriftsatz Unterfertigter<br />
vom ••• für <strong>de</strong>n Kläger darauf hingewiesen wor<strong>de</strong>n, das Grundstück sei im Bebauungsplan<br />
als „öffentliche Grünfläche“ festgesetzt, so dass sich <strong>de</strong>r in Realisierung befindliche Bolzplatz nicht<br />
mit <strong>de</strong>n Festsetzungen <strong>de</strong>s Bebauungsplans <strong>de</strong>cke. Im Übrigen gingen von Bolzplätzen idR Lärmimmissionen<br />
aus, die zu erheblichen Beeinträchtigungen <strong>de</strong>r Wohnruhe und sonstiger schutzwürdiger<br />
Belange führten, so dass <strong>de</strong>r Bolzplatz nicht mittig auf <strong>de</strong>m Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten, son<strong>de</strong>rn in<br />
nördlicher Richtung angelegt hätte wer<strong>de</strong>n müssen mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>n Abstand zur Wohnbebauung<br />
zu vergrößern. Bei einer normalen Belegung <strong>de</strong>s Platzes wür<strong>de</strong>n die Benutzer Bälle gegen die Metallzäune<br />
schießen, die sich um das Areal herum befän<strong>de</strong>n. Im Übrigen bestehe kein Bedarf für die<br />
Ausgestaltung <strong>de</strong>s Grundstücks <strong>de</strong>r Beklagten als Bolzplatz, da sich in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zur F-Straße eine Spielwiese sowie ein Bolzplatz in einer Entfernung von ca. 500 m befän<strong>de</strong>n. Im<br />
Antwortschreiben <strong>de</strong>s Ordnungsamts <strong>de</strong>r Beklagten vom ••• wur<strong>de</strong> mitgeteilt, die mittige Lage <strong>de</strong>r<br />
Ballspielfläche auf <strong>de</strong>m Grundstück sei <strong>de</strong>r Beschaffenheit <strong>de</strong>s Areals geschul<strong>de</strong>t, da sie in nördlicher<br />
Richtung ansteige und sich daher für das Ballspielen nicht eigne. Eine Begradigung dieser Fläche<br />
erfor<strong>de</strong>rte einen hohen Aufwand für Erdarbeiten sowie die Errichtung von Stützmauern, die in Anbetracht<br />
<strong>de</strong>r nur geringfügig möglichen Verlagerung nicht verhältnismäßig seien. Die durch die Beschil<strong>de</strong>rung<br />
ausgestaltete Benutzungsregelung trage <strong>de</strong>n Ruhebedürfnissen <strong>de</strong>r umliegen<strong>de</strong>n Wohnbebauung<br />
in hinreichen<strong>de</strong>r Weise Rechnung. Eine Verlagerung, geschweige <strong>de</strong>nn eine Auflassung <strong>de</strong>r<br />
errichteten Ballspielfläche wer<strong>de</strong> ebenso unterbleiben wie die seitens <strong>de</strong>s Klägers gefor<strong>de</strong>rten Nutzungseinschränkungen.<br />
Beweis:<br />
1. Anschreiben Unterfertigter an Beklagte vom •••<br />
2. Antwortschreiben Beklagte an Unterfertigten vom •••<br />
3. Bebauungsplan <strong>de</strong>r Beklagten Nr. ••• vom •••<br />
B. Zulässigkeit und Begrün<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Klage<br />
I. Zulässigkeit<br />
1. Der Verwaltungsrechtsweg iSd § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist eröffnet, da es sich bei <strong>de</strong>r für die Nutzung<br />
durch die Öffentlichkeit freigegebenen, im Bebauungsplan mit dieser Funktion als „Grünfläche“ um<br />
eine gemeindliche Einrichtung han<strong>de</strong>lt, die die Beklagte im Rahmen ihrer öffentlichen Daseinsvorsorge<br />
nach <strong>de</strong>n von ihr gesetzten Nutzungsregeln <strong>de</strong>r Allgemeinheit zugänglich gemacht hat. Die<br />
von dieser öffentlichen Grünfläche ausgehen<strong>de</strong>n Geräuscheinwirkungen können Abwehransprüche<br />
Privater auslösen, die wegen <strong>de</strong>r öffentlichen Nutzung <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen<strong>de</strong>n Flächen entsprechend<br />
öffentlich-rechtlicher Natur sind.<br />
2. Statthafte Klageart ist die allgemeine Leistungsklage, weil <strong>de</strong>r Kläger die Abwehr <strong>de</strong>r stören<strong>de</strong>n<br />
Folgen einer schlicht hoheitlich betriebenen Anlage erreichen will.<br />
Weitere Ausführungen zur Zulässigkeit erscheinen nicht veranlasst; ggf wird um entsprechen<strong>de</strong>n gerichtlichen<br />
Hinweis gebeten.<br />
II. Begrün<strong>de</strong>theit<br />
Die zulässige Leistungsklage ist auch begrün<strong>de</strong>t, da <strong>de</strong>r Kläger einen Anspruch auf Entfernung <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Tore sowie <strong>de</strong>r Ballfangzäune auf <strong>de</strong>m Grundstück Fl. Nr. •••, Gemarkung •••, <strong>de</strong>r Beklagten<br />
hat. Dies ergibt sich aus Folgen<strong>de</strong>m:<br />
1. Anspruchsgrundlage ist <strong>de</strong>r öffentlich-rechtliche Abwehranspruch <strong>de</strong>s Klägers, <strong>de</strong>r nach hM kraft<br />
analoger Anwendung <strong>de</strong>r das privatrechtliche Nachbarschaftsverhältnis regeln<strong>de</strong>n §§ 906 und 1004<br />
BGB auch für das öffentliche Recht gilt.<br />
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
Gemäß § 906 Abs. 1 S. 1 iVm § 1004 Abs. 1 BGB kann ein Nachbar u.a. Geräusche, die die Benutzung<br />
seines Grundstücks nicht nur unwesentlich beeinträchtigen, abwehren. Eine unwesentliche Beeinträchtigung<br />
liegt gem. § 906 Abs. 1 S. 2 BGB idR vor, wenn die in Gesetzen o<strong>de</strong>r Rechtsverordnungen<br />
festgesetzten Grenz- o<strong>de</strong>r Richtwerte von <strong>de</strong>n nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten<br />
Einwirkungen nicht überschritten wer<strong>de</strong>n. Der Maßstab für die „Wesentlichkeit“ von Geräuschimmissionen<br />
ist § 22 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 BImSchG; gem. § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige<br />
Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen<br />
verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, die nach <strong>de</strong>m Stan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Technik vermeidbar sind. Die Beurteilung <strong>de</strong>r Zumutbarkeit<br />
von Geräuschen, die von <strong>de</strong>m Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten – zu qualifizieren als sonstige ortsfeste<br />
Einrichtung und damit als Anlage iSv § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG – ausgehen, richtet sich nach<br />
<strong>de</strong>r durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und<br />
Schutzbedürftigkeit, wobei werten<strong>de</strong> Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine<br />
Akzeptanz mitbestimmend sind. 44<br />
Nach hM ist ein auf einer durch Bebauungsplan im allgemeinen Wohngebiet als „öffentliche Grünanlage“<br />
bzw als „Spielplatz“ ausgewiesenen Fläche als Bolzplatz dann unzulässig, wenn ein effektiver<br />
Schutz <strong>de</strong>r Nachbarn vor erheblichem Lärm nicht gewährleistet ist. 45 Dies ist vorliegend nicht <strong>de</strong>r<br />
Fall, da mit <strong>de</strong>r mittig auf <strong>de</strong>m Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten ausgewiesenen Ballspielfläche im Zusammenhang<br />
mit <strong>de</strong>r erfolgten Ausstattung mit 2 Toren und Ballfangzäunen unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen<br />
verbun<strong>de</strong>n sind.<br />
2. Vorliegend wird davon ausgegangen, dass sich die Erheblichkeit <strong>de</strong>r Lärmemissionen und damit<br />
<strong>de</strong>ren Qualifizierung als schädliche Umwelteinwirkungen iSv § 3 Abs. 1 BImSchG nach <strong>de</strong>n Maßgaben<br />
<strong>de</strong>r Freizeitlärm-Richtlinie <strong>de</strong>s LAI 46 richtet, nicht jedoch nach <strong>de</strong>r 18. BImSchV, da <strong>de</strong>ren Anwendungsbereich<br />
gem. § 1 Abs. 1 <strong>de</strong>r 18. BImSchV sich auf Errichtung, Beschaffenheit und Betrieb von<br />
Sportanlagen bezieht, die bereits zum Zwecke <strong>de</strong>r Sportausübung betrieben wer<strong>de</strong>n bzw gem. § 1<br />
Abs. 2 als ortsfeste Einrichtungen iSv § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG zur Sportausübung „bestimmt“ sind.<br />
Die Beschreibung <strong>de</strong>s Anwendungsbereichs <strong>de</strong>r 18. BImSchV sowie die in § 3 vorgesehenen Maßnahmen<br />
lassen ein<strong>de</strong>utig erkennen, dass sich <strong>de</strong>r Verordnungsgeber am Leitbild einer Sportanlage<br />
orientiert hat, die <strong>de</strong>m Vereins-, Schulsport o<strong>de</strong>r vergleichbar organisierten Freizeitsport dient. Zur<br />
Sportausübung „bestimmt“ ist daher eine Anlage, wenn sie primär, dh von ihrem Hauptzweck her <strong>de</strong>r<br />
Durchführung von Wettkampfsport und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r körperlichen Ertüchtigung dienen soll. 47 Diese Voraussetzungen<br />
sind vorliegend schon <strong>de</strong>shalb nicht gegeben, weil das als „öffentliche Grünfläche“ im<br />
Bebauungsplan festgesetzte Grundstück <strong>de</strong>r Beklagten als Multi-Funktionsplatz angelegt ist mit <strong>de</strong>r<br />
Folge, dass die Fläche, auf <strong>de</strong>r Fußball gespielt wer<strong>de</strong>n kann, nur eine Teilfläche darstellt, das<br />
Grundstück insgesamt also tatsächlich auch für an<strong>de</strong>re, sportferne Aktivitäten von Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen<br />
genutzt wird. 48<br />
44 BVerwG, B. v. 11.2.2003 – 7 B 88/02.<br />
45 VGH München, U. v. 26.2.1993 – 2 B 90.1684, BayVBl. 1993, 433 = NVwZ-RR 1994, 246 = EzKommR Nr. 1500.251;<br />
BVerwG, B. v. 25.10.1996 – 4 NB 28/96, NVwZ-RR 1997, 515 = EzKommR Nr. 1500.495; zur rechtlichen Beurteilung<br />
bei Situierung in einem reinen Wohngebiet (§ 3 BauNVO) vgl VGH Mannheim, U. v. 16.4.2002 – 10 S 2443/00, NVwZ-<br />
RR 2002, 643 = EzKommR Nr. 1500.1088.<br />
46 Abgedruckt in NVwZ 1997, 469; zu einem gleichgelagerten Abwehranspruch gem. § 906 iVm § 1004 BGB vgl VG<br />
Neustadt/Weinstraße, U. v. 24.8.2011 – 3 K 749/09.<br />
47 VGH Kassel, U. v. 30.11.1999 – 2 UE 263/97, EzKommR Nr. 1500.814; OVG Berlin, U. v. 22.4.1993 – 2 B 6/91, NVwZ-<br />
RR 1994, 141 = EzKommR Nr. 2573.40; OVG Münster, U. v. 26.6.1983 – 7 A 1270/82, NVwZ 1984, 530 = UPR 1984,<br />
90 = EzKommR Nr. 2574.29; aA OVG Schleswig, U. v. 4.5.1994 – 1 L 1/92, NVwZ 1995, 1019 = EzKommR<br />
Nr. 1500.439.<br />
48 VGH Mannheim, U. v. 27.9.2004 – 3 S 1719/03, NVwZ-RR 2005, 795; vgl Frankfurt/Main, U. v. 7.6.2011 – 7 K<br />
1547/09.F.<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
Aus nämlichen Grün<strong>de</strong>n schei<strong>de</strong>t die Anwendbarkeit <strong>de</strong>s § 22 Abs. 1 a BImSchG 49 aus, wonach von<br />
Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen, Kin<strong>de</strong>rspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie bspw. Ballspielplätzen<br />
durch Kin<strong>de</strong>r hervorgerufene Geräuscheinwirkungen „im Regelfall“ keine schädlichen Umwelteinwirkungen<br />
darstellen mit <strong>de</strong>r Folge, dass bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r Geräuscheinwirkungen Immissionsgrenz-<br />
und Richtwerte nicht herangezogen wer<strong>de</strong>n dürfen. Ausweislich <strong>de</strong>r Begründung zu<br />
Art. 1 <strong>de</strong>s 10. Gesetzes zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s-Immissionsschutzgesetzes gilt die neu geschaffene<br />
Regelung <strong>de</strong>s Art. 22 Abs. 1 a BImSchG nicht für Spiel- und Bolzplätze sowie Skateranlagen und<br />
Streetballfel<strong>de</strong>r für Jugendliche, die großräumiger angelegt sind und ein an<strong>de</strong>res Lärmprofil haben<br />
als Kin<strong>de</strong>rspielplätze. 50<br />
3. Gemäß Nr. 4.1 Buchst. b <strong>de</strong>r Freizeitlärm-Richtlinie LAI belaufen sich die Immissionsrichtwerte für<br />
ein allgemeines Wohngebiet werktäglich außerhalb <strong>de</strong>r Ruhezeit (8.00 Uhr bis 20.00 Uhr) auf 55<br />
dB(A), innerhalb <strong>de</strong>r Ruhezeit (6.00 Uhr bis 8.00 Uhr und 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr) auf 50 dB(A).<br />
Für Sonn- und Feiertage gilt ein Wert von 50 dB(A), während <strong>de</strong>r Nachtzeit (werktäglich 22.00 Uhr<br />
bis 6.00 Uhr, sonn- und feiertäglich 22.00 Uhr bis 7.00 Uhr) ein Richtwert von 40 dB(A).<br />
Nach <strong>de</strong>m anliegen<strong>de</strong>n Gutachten <strong>de</strong>s Instituts für Bauphysik vom ••• liegen die nach <strong>de</strong>r Freizeitlärm-Richtlinie<br />
LAI heranzuziehen<strong>de</strong>n Beurteilungspegel bei sonntäglichem Spielbetrieb innerhalb<br />
<strong>de</strong>r Ruhezeit zwischen 13.00 Uhr und 15.00 Uhr zwischen 54 dB(A) und 60 dB(A), somit erheblich<br />
über <strong>de</strong>m für diesen Zeitraum zugrun<strong>de</strong> zu legen<strong>de</strong>n Richtwert von 50 dB(A). Auch die für <strong>de</strong>n werktäglichen<br />
Spielbetrieb innerhalb <strong>de</strong>r Ruhezeit (6.00 Uhr bis 8.00 Uhr und 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr)<br />
ermittelten Beurteilungspegel von 52 dB(A) übersteigen <strong>de</strong>n gem. Freizeitlärm-Richtlinie gelten<strong>de</strong>n<br />
Richtwert. Die ermittelten Beurteilungspegel beruhen auf durch <strong>de</strong>n Sachverständigen durchgeführten<br />
insgesamt 6 Messungen, vorgenommen an unterschiedlichen Werktagen (einschließlich Samstag),<br />
wobei die ermittelten Beurteilungspegel für Sonn- und Feiertage aufgrund <strong>de</strong>r erzielten Messergebnisse<br />
mathematisch nachvollziehbar hochgerechnet wur<strong>de</strong>n. Der an <strong>de</strong>n jeweiligen Messtagen<br />
vorherrschen<strong>de</strong> Spielbetrieb – variierend von minimal 9 Jugendlichen bis maximal 14 Jugendlichen<br />
– ist auch als repräsentativ zu erachten, so dass davon auszugehen ist, dass werktäglich wie sonnund<br />
feiertäglich außer- und innerhalb <strong>de</strong>r Ruhezeiten je nach Nutzung <strong>de</strong>s Platzes zwischen 7 und<br />
max. 14 Spieler insb. die Ballgeräusche und Kommunikationsrufe zu <strong>de</strong>n festgestellten bzw errechneten<br />
Geräuschimmissionen beitragen.<br />
Die Nutzung <strong>de</strong>s Platzes für Ballspiele in <strong>de</strong>m durch <strong>de</strong>n Sachverständigen zugrun<strong>de</strong> gelegten Umfang<br />
ist auch <strong>de</strong>shalb als nachvollziehbar und plausibel zu erachten, weil sich aus zahlreichen Presseberichten<br />
nach erfolgter Aufstellung <strong>de</strong>r Tore und Ballfangzäune ergibt, dass <strong>de</strong>r Platz durch Jugendliche<br />
„gut angenommen“ und genutzt wer<strong>de</strong>. Die durch <strong>de</strong>n Sachverständigen im o.g. Gutachten<br />
durch Messungen ermittelten bzw „hochgerechneten“ Beurteilungspegel zwischen minimal 54 dB(A)<br />
und 60 dB(A) sind daher iSd § 906 Abs. 1 S. 1 BGB wesentlich und stellen damit schädliche Umwelteinwirkungen<br />
iSv § 3 Abs. 1 iVm § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG dar, die nach <strong>de</strong>m Stan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Technik<br />
vermeidbar sind.<br />
4. Im Hinblick auf <strong>de</strong>n zu beachten<strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit sowie auf die Tatsache,<br />
dass <strong>de</strong>r Beklagten grds. Ermessen dahin gehend zukommt, auf welche Weise sie <strong>de</strong>n Lärmbeeinträchtigungen<br />
<strong>de</strong>s Klägers abhilft, <strong>de</strong>mzufolge eine Beseitigung <strong>de</strong>r Spielfläche o<strong>de</strong>r aber eine umfassen<strong>de</strong><br />
Nutzungsuntersagung aus Rechtsgrün<strong>de</strong>n ausschei<strong>de</strong>t, kommt daher als einzige Maßnahme<br />
49 IdF von Art. 1 <strong>de</strong>s 10. Gesetzes zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s-Immissionsschutzgesetzes v. 20.7.2011 (BGBl. I S. 1474), in<br />
Kraft getreten am 28.7.2011 (Art. 2).<br />
50 BR-Drucks. 121/11 v. 4.3.2011, S. 6.<br />
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
die beantragte Beseitigung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Tore sowie <strong>de</strong>r Ballfangzäune in Betracht, um die „Attraktivität“<br />
für Jugendliche zu beseitigen, so dass antragsgemäß zu erkennen ist.<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
Die Freizeitlärm-Richtlinie LAI ist nach <strong>de</strong>r Rspr auch auf an<strong>de</strong>re, nicht als „Sportanlage“ iSv<br />
§ 1 <strong>de</strong>r 18. BImSchV zu qualifizieren<strong>de</strong> Einrichtungen für Freizeitgestaltung – wie zB Minigolfanlagen<br />
51 – eröffnet.<br />
Bezüglich <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r von Kin<strong>de</strong>rspielplätzen ausgehen<strong>de</strong>n Geräuscheinwirkungen war<br />
bereits vor Inkrafttreten <strong>de</strong>s § 22 Abs. 1 a BImSchG (28.7.2011) anerkannt, dass die in <strong>de</strong>r TA<br />
Lärm genannten Orientierungswerte nicht herangezogen wer<strong>de</strong>n konnten, da gem. Nr. 1 S. 2<br />
Buchst. h <strong>de</strong>r TA Lärm die technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm für soziale Anlagen<br />
keine Anwendung fand, es sich also bei <strong>de</strong>m von spielen<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn verursachten Geräuschen<br />
nicht um „anlagenbezogenen“ Lärm han<strong>de</strong>lt. Auch die Freizeitlärmrichtlinie LAI misst sich<br />
ausdrücklich <strong>de</strong>r in Nr. 1 S. 4 getroffenen Regelung für Kin<strong>de</strong>rspielplätze keine Geltung bei, da<br />
die mit <strong>de</strong>ren Nutzung unvermeidbar verbun<strong>de</strong>nen Geräusche sozialadäquat sind und <strong>de</strong>shalb<br />
von Grundstücksnachbarn hinzunehmen seien. Vor <strong>de</strong>m 28.7.2011 war daher eine Beurteilung<br />
gem. § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r jeweiligen Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s<br />
Einzelfalles, insb. <strong>de</strong>r durch Gebietsart und tatsächliche Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit<br />
und Schutzbedürftigkeit vorzunehmen, wobei werten<strong>de</strong> Elemente wie allgemeine Akzeptanz<br />
und soziale Adäquanz im Sinne einer „Güterabwägung“ in die werten<strong>de</strong> Gesamtbetrachtung<br />
einzufließen hatten. 52 Hinzu trat, dass nach hM Spielplätze für Kin<strong>de</strong>r unter 14 Jahren<br />
in allen (auch) <strong>de</strong>m Wohnen dienen<strong>de</strong>n Gebieten, somit sowohl in reinen wie allgemeinen<br />
Wohngebieten (§§ 3, 4 BauNVO), erst recht in Mischgebieten bauplanungsrechtlich als untergeordnete<br />
Nebenanlagen iSv § 14 Abs. 1 BauNVO zulässig zu erachten waren, da an wohnungsnah<br />
gelegenen Kin<strong>de</strong>rspielplätzen ein überragen<strong>de</strong>s öffentliches Interesse anzuerkennen<br />
ist. 53 Seit Inkrafttreten <strong>de</strong>s § 22 Abs. 1 a BImSchG ist die Geltendmachung von nachbarlich<br />
Abwehr- und Beseitigungsansprüchen regelmäßig ausgeschlossen.<br />
Dies gilt auch für Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen als Einrichtungen gem. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB VIII,<br />
dh für Einrichtungen, in <strong>de</strong>nen sich Kin<strong>de</strong>r für einen Teil <strong>de</strong>s Tages o<strong>de</strong>r ganztätig aufhalten<br />
und in Gruppen geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, 54 sowie für sog. Kin<strong>de</strong>rlä<strong>de</strong>n als „ähnliche Einrichtungen“<br />
iSv § 22 Abs. 1 a BImSchG iVm § 22 Abs. 1 S. 2 SGB VIII.<br />
4.<br />
Die AVV-Baulärm 1970 iVm § 66 Abs. 2 BImSchG<br />
Nach erfolgter Neufassung von § 66 Abs. 2 BImSchG mit Wirkung vom 30.6.2005 55 infolge<br />
Inkrafttretens <strong>de</strong>r 32. BImSchV 56 zur Umsetzung <strong>de</strong>r Richtlinie 2000/14/EG <strong>de</strong>s Europäischen<br />
Parlaments und <strong>de</strong>s Rates vom 8.5.2000 zur Angleichung <strong>de</strong>r Rechtsvorschriften <strong>de</strong>r Mitgliedsstaaten<br />
über umweltbelasten<strong>de</strong> Geräuschemissionen von zur Verwendung im Freien vorgesehenen<br />
Geräten und Maschinen 57 idF <strong>de</strong>r Richtlinie 2005/88/EG <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments<br />
und <strong>de</strong>s Rates vom 14.12.2005 58 wur<strong>de</strong>n die in § 66 Abs. 2 BImSchG aF als „maßge-<br />
51 Vgl VG Freiburg, B. v. 5.8.2011 – 3 K 1170/11; offen gelassen durch OVG Lüneburg, U. v. 18.12.1996 – 7 L 1488/95,<br />
NVwZ 1999, 88; vgl hierzu Landmann/Rohmer, UmweltR IV, Rn 32 zur 18. BImSchV, Stichwort „Minigolfanlage“.<br />
52 BVerwG, B. v. 11.2.2003 – 7 B 88/02, NVwZ 2003, 753; U. v. 19.1.1989 – 7 C 77/87, BVerwGE 81, 197; U. v. 24.4.1991<br />
– 7 C 12/90, BVerwGE 88, 143; U. v. 30.4.1992 – 7 C 25/91, BVerwGE 90, 169; VGH Kassel, U. v. 30.11.1999 – 2 UE<br />
263/97.<br />
53 BVerwG, U. v. 12.12.1991 – 4 C 5/88, NJW 1992, 1779.<br />
54 VG Neustadt/Weintraße, U. v. 24.8.2011 – 3 K 749/09.NW; OVG Weimar, B. v. 13.4.2011 – 1 EO 560/10; VG Weimar,<br />
B. v. 24.2.2010 – 1 E 66/10.WE.<br />
55 Gesetz v. 24.6.2005 (BGBl. I S. 1794).<br />
56 Geräte- und Maschinenlärmschutz-Verordnung v. 29.8.2002 (BGBl. I S. 3478) idF <strong>de</strong>r Verordnung v. 6.3.2007 (BGBl. I<br />
S. 261).<br />
57 ABl. GE Nr. L 162, S. 1, Nr. L 311, S. 50.<br />
58 ABl. EU Nr. L 344, S. 44.<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
bend“ weiterhin in Bezug genommenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Schutz gegen<br />
Baulärm obsolet. Dies hatte zur Folge, dass gem. § 66 Abs. 2 BImSchG bis zum Inkrafttreten<br />
entsprechen<strong>de</strong>r Rechtsverordnungen o<strong>de</strong>r allgemeiner Verwaltungsvorschriften ausschließlich<br />
die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm – Geräuschimmissionen –<br />
vom 19.8.1970 59 für „maßgebend“ erklärt wird. Diese ist zur Beantwortung <strong>de</strong>r Frage, wann<br />
Baulärmimmissionen die Schädlichkeitsschwelle iSv § 3 Abs. 1 BImSchG iVm § 22 Abs. 1 S. 1<br />
Nr. 1 BImSchG überschreiten, heranzuziehen, da die TA Lärm gem. Nr. 1 S. 2 Buchst. f Baustellen<br />
von ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich ausschließt und die 32. BImSchV in ihren<br />
§§ 7 und 8 nur begrenzte Angaben über die zulässige Dauer <strong>de</strong>s Betriebs bestimmter Geräte<br />
und Maschinen in bestimmten Gebieten enthält, nicht jedoch Aussagen über das Lärmausmaß,<br />
also die Intensität <strong>de</strong>r Einwirkung in Form <strong>de</strong>s frequenzabhängigen Schalldrucks (Lautstärke),<br />
so dass die 32. BImSchV zur Konkretisierung <strong>de</strong>r Erheblichkeitsschwelle nicht herangezogen<br />
wer<strong>de</strong>n kann. 60 Angesichts <strong>de</strong>r Tatsache, dass die materiellen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r AVV-Baulärm<br />
mit jenen <strong>de</strong>s BImSchG nicht vollständig übereinstimmen, ist mit <strong>de</strong>r hM davon auszugehen,<br />
dass dies – sofern die AVV-Baulärm hinsichtlich <strong>de</strong>r materiellen Anfor<strong>de</strong>rungen hinter <strong>de</strong>m<br />
BImSchG zurückbleibt – durch eine gesetzeskonforme Auslegung kompensiert wer<strong>de</strong>n kann mit<br />
<strong>de</strong>r Folge, dass <strong>de</strong>r AVV-Baulärm als normkonkretisieren<strong>de</strong> Verwaltungsvorschrift nicht nur<br />
norminterpretieren<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn gleichzeitig begrenzte Außenwirkung zukommt. 61<br />
Nr. 3.1.1 <strong>de</strong>r AVV-Baulärm setzt verbindliche Höchstgrenzen fest, die durch <strong>de</strong>n Betreiber einzuhalten<br />
und durch die Verwaltung durchzusetzen sind; <strong>de</strong>r zuständigen Behör<strong>de</strong> wird durch<br />
Nr. 4.1 Abs. 1 <strong>de</strong>r AVV-Baulärm nur ein Entschließungsermessen zum Eingreifen bei geringfügigen<br />
Überschreitungen <strong>de</strong>r Richtwerte um bis zu 5 dB(A) eingeräumt. Bei einer Überschreitung<br />
von mehr als 5 dB(A) soll die Verwaltung eingreifen und entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen anordnen,<br />
so dass das Entschließungsermessen entsprechend eingeschränkt ist.<br />
B.<br />
Geltungsbereich <strong>de</strong>s BImSchG<br />
I. Der (erweiterte) Anlagenbegriff – Bereichsausnahmen<br />
1.<br />
Errichtung und Betrieb von Anlagen<br />
(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 3 Abs. 5 Nr. 1–3, Abs. 5 a BImSchG)<br />
a) Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG)<br />
Der Betriebsstättenbegriff ist nach hM weit auszulegen; für eine Beschränkung auf Einrichtungen,<br />
von <strong>de</strong>nen bei bestimmungsgemäßer Nutzung Umwelteinwirkungen ausgehen können,<br />
besteht we<strong>de</strong>r Veranlassung noch Raum. 62 Von Rechts wegen unerheblich ist <strong>de</strong>s Weiteren die<br />
(natürliche o<strong>de</strong>r juristische) Person <strong>de</strong>s Anlagenbetreibers; Nämliches gilt für die Frage, ob die<br />
Betriebsstätte wirtschaftlichen o<strong>de</strong>r nicht wirtschaftlichen Zwecken dient bzw für privatwirtschaftliche<br />
bzw hoheitliche Tätigkeiten Verwendung fin<strong>de</strong>t.<br />
Sowohl mit <strong>de</strong>r Bejahung <strong>de</strong>s Tatbestandsmerkmals „Betriebsstätte“ als auch einer „sonstigen<br />
ortsfesten Einrichtung“ nicht verbun<strong>de</strong>n ist die Entscheidung darüber, ob es sich um eine immissionsschutzrechtlich<br />
genehmigungsbedürftige Anlage han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r nicht; dies kann zB bzgl<br />
einer Betriebsstätte hinsichtlich einzelner Betriebsstätten- bzw Anlagenteile gelten (vgl hierzu<br />
Rn 46, 55 f). Zum Tatbestandsmerkmal „sonstige ortsfeste Einrichtungen“ sind alle Anlagen<br />
zu subsumieren, die aufgrund ihrer Art o<strong>de</strong>r Konstruktion an einen Standort gebun<strong>de</strong>n sind,<br />
also im Normalfall nicht bewegt wer<strong>de</strong>n bzw wer<strong>de</strong>n soll; damit ist gleichzeitig die Abgrenzung<br />
zum Anlagenbegriff <strong>de</strong>s § 3 Abs. 5 Nr. 2 BImSchG gewährleistet.<br />
35<br />
36<br />
37<br />
59 BAnz, Nr. 160 v. 1.9.1970.<br />
60 Vgl Dietrich, NVwZ 2009, 144.<br />
61 VG München, U. v. 7.11.2005 – M 8 K 05.1908; VG Frankfurt/Main, B. v. 21.4.2011 – 8 L 858/11.F; VGH Kassel, B.<br />
v. 31.5.2011 – 9 B 1111/11.<br />
62 Vgl Jarass, BImSchG, § 3 Rn 67.<br />
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45<br />
38<br />
39<br />
40<br />
41<br />
42<br />
43<br />
44<br />
45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
Dem Anlagenbegriff <strong>de</strong>s § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG als „ortsfeste Einrichtungen“ unterfallen<br />
daher u.a. Baustellen, Feuersirenen, Funkstationen, Garagen, Getränkeautomaten, Grillplätze,<br />
Hun<strong>de</strong>zwinger, Kin<strong>de</strong>rspiel-/Bolzplätze, Fußballplätze, Parkplätze, Kirchengebäu<strong>de</strong> nebst Zubehör<br />
(Glocken, Uhren), Wertstoff-Container, Verwaltungs- und Bürogebäu<strong>de</strong> und öffentliche<br />
(Volks-)Festplätze. 63<br />
b)<br />
Maschinen, Geräte und sonstige ortsverän<strong>de</strong>rliche technische Einrichtungen sowie Fahrzeuge<br />
(§ 3 Abs. 5 Nr. 2 BImSchG)<br />
Die in § 3 Abs. 5 Nr. 2 BImSchG erfolgte Aufzählung ist insoweit exemplarischer Natur, als es<br />
sich bei <strong>de</strong>n in Bezug genommenen Maschinen, Geräten und Fahrzeugen um „sonstige ortsverän<strong>de</strong>rliche<br />
technische Einrichtungen“ han<strong>de</strong>lt. Daraus wird ersichtlich, dass „sonstige ortsverän<strong>de</strong>rliche<br />
technische Einrichtungen“ nur solche sind, die betrieben wer<strong>de</strong>n. Dies hat zur<br />
Folge, dass Werkzeuge sowie bewegliche Spiel- und Sportgeräte <strong>de</strong>m Anlagenbegriff nicht unterfallen,<br />
da sie als Erzeugnisse <strong>de</strong>n Maßgaben <strong>de</strong>r §§ 35 ff BImSchG unterworfen sind. 64<br />
Für Fahrzeuge gelten die Vorschriften <strong>de</strong>s verkehrsbezogenen Immissionsschutzes <strong>de</strong>r §§ 38–40<br />
BImSchG, so dass Fahrzeuge nur dann „Anlagen“ iSd § 3 Abs. 5 Nr. 2 BImSchG sind, wenn sie<br />
jenseits <strong>de</strong>r Verkehrsfunktionen noch an<strong>de</strong>re Funktionen haben; dies gilt namentlich für<br />
„Fahrzeuge“ <strong>de</strong>s Baugewerbes sowie <strong>de</strong>r Land- und Forstwirtschaft. 65<br />
c) Grundstücke mit Ausnahme öffentlicher Verkehrswege (§ 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG)<br />
Die Subsumierung unter <strong>de</strong>n Anlagenbegriff setzt voraus, dass auf <strong>de</strong>m Grundstück entwe<strong>de</strong>r<br />
Stoffe gelagert, abgelagert o<strong>de</strong>r sonstige emissionsträchtige Tätigkeiten vorgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Es kommt also auf die Zweckbestimmung <strong>de</strong>s Grundstücks und <strong>de</strong>ssen bestimmungsgemäße<br />
Nutzung an. Wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Grundstück ortsfeste technische Einrichtungen betrieben, so ist<br />
bereits § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG einschlägig. 66<br />
Ausgenommen vom Grundstücksbegriff <strong>de</strong>s § 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG sind neben <strong>de</strong>n öffentlichen<br />
Verkehrswegen – also Straßen ohne Rücksicht auf straßenrechtliche Klassifizierung,<br />
Schienenwege <strong>de</strong>r Eisen- und Straßenbahnen, Wasserstraßen – u.a. auch Gartengrundstücke<br />
und landwirtschaftliche Flächen.<br />
Die für öffentliche Verkehrswege erfolgte Bereichsausnahme erklärt sich daraus, dass öffentliche<br />
Verkehrswege gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG allein <strong>de</strong>n §§ 41 ff BImSchG unterliegen. Für<br />
private Verkehrswege (Werksstraßen) ist hingegen § 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG in Ansatz zu<br />
bringen.<br />
d) Betriebsbereiche (§ 3 Abs. 5 a BImSchG)<br />
Der Definition <strong>de</strong>s „Betriebsbereichs“ in § 3 Abs. 5 a BImSchG ist zu entnehmen, dass sich die<br />
Regelung im Wesentlichen <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r Richtlinie 96/82/EG zur Beherrschung von Gefahren<br />
bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen verdankt, die – abweichend von <strong>de</strong>r<br />
Terminologie <strong>de</strong>r 12. BImSchV – nicht an Anlagen, son<strong>de</strong>rn an „Betriebe“ anknüpft, dieser<br />
Begriff – richtlinienkonform – durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s „Betriebsbereichs“ ersetzt wur<strong>de</strong>. Dieser kann,<br />
muss sich aber nicht mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r „Anlage“ <strong>de</strong>cken; regelmäßig ist <strong>de</strong>r Anlagenbegriff enger mit<br />
<strong>de</strong>r Folge, dass ein Betriebsbereich idR eine Mehrzahl – genehmigungsbedürftiger/nicht genehmigungsbedürftiger<br />
– Anlagen umfasst.<br />
Kennzeichnend für <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Betriebsbereichs sind daher insb. die Tatbestandselemente<br />
63 Zu weiteren Einzelfällen vgl Jarass, BImSchG, § 22 Rn 9 mwN.<br />
64 Jarass, BImSchG, § 3 Rn 72.<br />
65 Jarass, BImSchG, § 38 Rn 8 mwN.<br />
66 Jarass, BImSchG, § 3 Rn 75.<br />
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• „Aufsicht <strong>de</strong>sselben Betreibers“,<br />
• „räumlicher Zusammenhang einer o<strong>de</strong>r mehrerer Anlagen“ und<br />
• „Vorhan<strong>de</strong>nsein gefährlicher Stoffe in einer bestimmten Menge“.<br />
§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
u Muster: Anordnung zur Vorlage eines Sicherheitsberichts für aus mehreren, räumlich getrennten<br />
Anlagen auf einem Betriebsgrundstück bestehen<strong>de</strong>n Betriebsbereich<br />
Verwaltungsgericht •••<br />
46<br />
617<br />
In <strong>de</strong>r Verwaltungsstreitsache •••<br />
wegen: Vollzugs <strong>de</strong>s BImSchG<br />
wird auf <strong>de</strong>n Klageschriftsatz <strong>de</strong>s Prozessbevollmächtigten <strong>de</strong>r Klägerin vom ••• gemäß gerichtlicher<br />
Verfügung vom ••• für die Beklagte hiermit wie folgt erwi<strong>de</strong>rt:<br />
Die Klage gegen die Verfügung <strong>de</strong>r Bezirksregierung ••• vom •••, mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Klägerin aufgegeben<br />
wur<strong>de</strong>, bis zum ••• sowohl für das innerhalb <strong>de</strong>s Industriekomplexes betriebene Kaltbandwerk wie<br />
für das Stahlwerk ein Konzept zur Verhin<strong>de</strong>rung von Störfällen sowie einen einheitlichen, auf <strong>de</strong>n<br />
gesamten Betriebsbereich erweiterten, Sicherheitsbericht vorzulegen, eine Information über Sicherheitsmaßnahmen<br />
für <strong>de</strong>n gesamten Betriebsbereich, <strong>de</strong>r das Kaltband- und Stahlwerk umfasse, anzufertigen<br />
und in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Stahlwerk benachbarten Wohnbebauung zu verteilen, muss aus nachstehen<strong>de</strong>n<br />
Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Erfolg versagt bleiben:<br />
1. Die Klägerin betreibt innerhalb eines Industriekomplexes in ••• sowohl ein Kaltband- als auch ein<br />
Stahlwerk. In bei<strong>de</strong>n Werken fallen Störfallstoffe iSd 12. BImSchV an: Im Kaltbandwerk sind dies<br />
Fluss- und Mischsäure, <strong>de</strong>ren maximale Menge jeweils die in Spalte 5 <strong>de</strong>r Stoffliste in Anhang I <strong>de</strong>r<br />
12. BImSchV für sehr giftige bzw giftige Stoffe genannte Schwelle überschreitet, so dass das Kaltbandwerk<br />
<strong>de</strong>n erweiterten störfallrechtlichen Pflichten <strong>de</strong>r 12. BImSchV unterliegt. Die im Stahlwerk<br />
vorhan<strong>de</strong>nen – in <strong>de</strong>r Stoffliste als „umweltgefährlich“ eingestuften – Filterstäube bleiben hingegen<br />
unterhalb <strong>de</strong>r in Spalte 4 <strong>de</strong>s Anhangs I <strong>de</strong>r 12. BImSchV genannten Mengenschwelle. Bis zur Störfallinspektion<br />
im Jahr ••• wur<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Anlagen störfallrechtlich getrennt betrachtet mit <strong>de</strong>r Folge,<br />
dass für das bis dahin als Betriebsbereich angesehene Kaltbandwerk ein Sicherheitsbericht erstellt<br />
und fortgeschrieben wird. Hingegen wird im Sicherheitsbericht <strong>de</strong>r ••• vom ••• ausgeführt, die im<br />
Stahlwerk anfallen<strong>de</strong>n Filterstäube seien nicht relevant, da sie „außerhalb <strong>de</strong>s Betriebsbereichs“<br />
anfielen, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Kaltbandwerk i<strong>de</strong>ntisch sei.<br />
2. Die klägerseits vertretene Auffassung, wonach ein Betriebsbereich iSd § 3 Abs. 5 a BImSchG für<br />
Kaltband- und Stahlwerk <strong>de</strong>shalb nicht bestehe, weil ein Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Anlagen<br />
nicht gegeben sei und die gemeinsamen Infrastruktureinrichtungen angesichts <strong>de</strong>r konkreten<br />
räumlichen Verhältnisse keinen risikoerhöhen<strong>de</strong>n Faktor darstellten, darüber hinaus die Gefahr gefährlicher<br />
Wechselwirkungen vernünftigerweise auszuschließen sei, weil das Flusssäurelager im Kaltbandwerk<br />
von <strong>de</strong>r nächsten Ecke <strong>de</strong>s Stahlwerks mehr als 600 m, vom Staubsilo im Stahlwerk sogar<br />
ca. 900 m entfernt sei und <strong>de</strong>r tatsächliche Abstand zwischen einem möglichen Freisetzungsort von<br />
Fluorwasserstoff im Kaltbandwerk und <strong>de</strong>m Leitstand <strong>de</strong>s Stahlwerks mehr als 800 m betrage, hält<br />
verständiger Würdigung nicht Stand.<br />
3. Das erste Tatbestandselement <strong>de</strong>s § 3 Abs. 5 a BImSchG – „Aufsicht <strong>de</strong>sselben Betreibers“ – ist<br />
angesichts <strong>de</strong>r Tatsache unstreitig gegeben, dass bei<strong>de</strong> Anlagen durch die Klägerin betrieben wer<strong>de</strong>n.<br />
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
4. Auch die zweite Voraussetzung – „räumlicher Zusammenhang einer o<strong>de</strong>r mehrerer Anlagen“<br />
– ist zu bejahen. Dies ergibt sich unter Zugrun<strong>de</strong>legung <strong>de</strong>r Arbeitshilfe 67 <strong>de</strong>s Arbeitskreises<br />
„Seveso-Richtlinie“ <strong>de</strong>r Störfallkommission, die bzgl <strong>de</strong>r räumlichen Komponente drei Konstellationen<br />
unterschei<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>ren erste – Bestehen <strong>de</strong>s Betriebsbereichs aus nur einer Anlage – vorliegend<br />
ersichtlich ausschei<strong>de</strong>t.<br />
Von <strong>de</strong>n zwei weiteren genannten Konstellationen – mehrere, räumlich auseinan<strong>de</strong>r liegen<strong>de</strong> Anlagen<br />
auf einem zusammenhängen<strong>de</strong>n Betriebsgrundstück, Situierung von Anlagen ein- und <strong>de</strong>sselben Betreibers<br />
auf zB durch öffentliche Verkehrswege getrennten Betriebsgrundstücken – ist ersichtlich die<br />
Erstgenannte einschlägig, da es an <strong>de</strong>r vorausgesetzten räumlichen Trennung fehlt.<br />
Die nur wenige 100 m voneinan<strong>de</strong>r entfernten Anlagen sind vielmehr durch Werksstraßen miteinan<strong>de</strong>r<br />
verbun<strong>de</strong>n, wobei <strong>de</strong>r räumliche Zusammenhang durch das von <strong>de</strong>r Klägerin auf <strong>de</strong>m angemieteten<br />
Grundstück betriebene Lager nicht unterbrochen wird. Bei dieser räumlichen Beschaffenheit ist grds.<br />
von einem Betriebsbereich auszugehen und zwar auch dann, wenn sich auf <strong>de</strong>m ansonsten zusammenhängen<strong>de</strong>n<br />
Grundstück einzelne Anlagen, Infrastruktureinrichtungen o.Ä. an<strong>de</strong>rer Betreiber befin<strong>de</strong>n,<br />
da Erwägungsgrund 11 <strong>de</strong>r Seveso-II-Richtlinie davon ausgeht, ihr Anwendungsbereich solle<br />
statt durch eine Anlagenliste durch die im Betrieb vorhan<strong>de</strong>nen Stoffmengen bestimmt wer<strong>de</strong>n. Auch<br />
Art. 9 Abs. 6 sowie Nr. 4 <strong>de</strong>r Einleitung zu Anhang I lässt sich entnehmen, dass die räumliche Entfernung<br />
zwischen <strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Betriebsgrundstück vorhan<strong>de</strong>nen Stoffen nur in bestimmten, eng<br />
<strong>de</strong>finierten Fällen eine Rolle spielen soll. Dies be<strong>de</strong>utet, dass eine Prüfung <strong>de</strong>r räumlichen Nähe o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r gegenseitigen Beeinflussung vorhan<strong>de</strong>ner Stoffmengen nicht erfor<strong>de</strong>rlich ist, so dass es we<strong>de</strong>r<br />
auf die von <strong>de</strong>r Klägerin behauptete Anwendbarkeit <strong>de</strong>r 500 m-Regel <strong>de</strong>s sog. „Abstandserlasses“ 68<br />
noch darauf ankommt, ob und inwieweit eine mögliche gegenseitige Beeinflussung <strong>de</strong>r in Kaltbandund<br />
Stahlwerk vorhan<strong>de</strong>nen bzw anfallen<strong>de</strong>n Störfallstoffe gegeben ist. Letztgenanntes Kriterium<br />
wird im Übrigen durch die o.g. „Arbeitshilfe“ nur bzgl <strong>de</strong>s „atypischen Falls“ <strong>de</strong>r Konstellation in<br />
Ansatz gebracht, die sich durch die Situierung von Anlagen ein- und <strong>de</strong>sselben Betreibers auf zB<br />
durch öffentliche Verkehrswege getrennten Betriebsgrundstücken auszeichnet, die vorliegend nicht<br />
gegeben ist. Für die in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Literatur zum Teil gefor<strong>de</strong>rte Begrenzung durch das<br />
Kriterium „synergetische Gefahrenpotenziale“, eines „erhöhten Gefahrenpotenzials“, einer „Beeinflussbarkeit“<br />
bzw eines „sicherheitsrelevanten Zusammenhangs“ 69 ist unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt einer<br />
umfassen<strong>de</strong>n Gefahrenabwehr nicht angezeigt. Dies gilt ungeachtet <strong>de</strong>r Tatsache, dass die Seveso-<br />
II-Richtlinie anerkanntermaßen insb. auch das Ziel verfolgt, stärker als bisher das Zusammenwirken<br />
gefährlicher Stoffe und damit synergetische Gefahrenpotenziale zu erfassen. 70<br />
5. Der als drittes Tatbestandsmerkmal erfor<strong>de</strong>rliche Stoffbezug ist im Hinblick auf die Spalte 5 <strong>de</strong>s<br />
Anhangs I <strong>de</strong>r 12. BImSchV überschreiten<strong>de</strong> Menge an Fluss- und Mischsäure gegeben, so dass Kaltband-<br />
und Stahlwerk gemeinsam einen Betriebsbereich iSd § 3 Abs. 5 a BImSchG bil<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Konsequenz,<br />
dass die in Ziffern 1 und 2 <strong>de</strong>r streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene For<strong>de</strong>rung<br />
nach Vorlage eines Störfallkonzepts (iSd § 8 <strong>de</strong>r 12. BImSchV) sowie eines Sicherheitsberichts<br />
(iSd § 9 <strong>de</strong>r 12. BImSchV) berechtigt ist, da sowohl § 8 wie § 9 <strong>de</strong>r 12. BImSchV an <strong>de</strong>n Betriebsbereich<br />
iSd § 3 Abs. 5 a BImSchG anknüpfen. Gleiches gilt für die in Ziffer 3 <strong>de</strong>r Ordnungsverfügung<br />
67 Systematisierung von Fragestellungen und Antworten zum Begriff „Betriebsbereich“ <strong>de</strong>s § 3 Abs. 5 a BImSchG –<br />
SFK-GS-35.<br />
68 Vom 6.6.2007 (NWMBl., S. 659).<br />
69 Vgl Landmann/Rohmer, UmweltR, 12. BImSchV, § 1 Rn 13; Büge, DB 2000, 1501 f; Spindler, UPR 2001, 81 (83 f).<br />
70 Vgl Wietfeldt/Neusser, in: Feldhaus, BImSchR, § 1 <strong>de</strong>r 12. BImSchV Rn 60.<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
gefor<strong>de</strong>rte Information <strong>de</strong>r möglicherweise von einem Störfall betroffenen Personen über Sicherheitsmaßnahmen<br />
iSd § 11 Abs. 1 <strong>de</strong>r 12. BImSchV, so dass die Klage <strong>de</strong>r Abweisung verfallen muss. 71<br />
(LRD) t<br />
2.<br />
Herstellen, Inverkehrbringen und Einführen von Anlagen, Brenn- und Treibstoffen, Stoffen<br />
und <strong>de</strong>ren Erzeugnisse (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG)<br />
Bezugspunkt hinsichtlich <strong>de</strong>r „Anlagen“ sind – im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG –<br />
nicht Errichtung bzw Betrieb <strong>de</strong>r Anlage, son<strong>de</strong>rn das Inverkehrbringen sowie die Einfuhr, so<br />
dass ausweislich <strong>de</strong>r in § 32 Abs. 1 BImSchG getroffenen Regelung sowie jenen <strong>de</strong>r auf § 32<br />
Abs. 1 BImSchG gestützten 8. BImSchV, Anfor<strong>de</strong>rungen im Wesentlichen an die Beschaffenheit<br />
zur Gewährleistung <strong>de</strong>s Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen,<br />
Geräusche o<strong>de</strong>r Erschütterungen gestellt wer<strong>de</strong>n. Hinsichtlich <strong>de</strong>r in Bezug genommenen<br />
Brenn- und Treibstoffe sind die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r 3. BImSchV, <strong>de</strong>r 10. BImSchV, <strong>de</strong>r<br />
19. bis 21. BImSchV von Be<strong>de</strong>utung, gestützt auf die in § 34 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1–4 BImSchG<br />
enthaltene Verordnungsermächtigung.<br />
3.<br />
Kraftfahrzeuge und <strong>de</strong>ren Anhänger, Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeuge, Schwimmkörper<br />
und schwimmen<strong>de</strong> Anlagen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 iVm §§ 38–40 BImSchG)<br />
Die Anwendbarkeit <strong>de</strong>s BImSchG hinsichtlich <strong>de</strong>r in § 2 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG in Bezug genommenen<br />
Fahrzeuge begrenzt sich auf die Maßgaben <strong>de</strong>r §§ 38–40 BImSchG und erfolgte<br />
vornehmlich im Hinblick auf die durch <strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Fahrzeuge, dh durch <strong>de</strong>n Verkehr erzeugten<br />
Emissionen.<br />
4.<br />
Öffentliche Straßen, Eisen-, Magnetschwebe- und Straßenbahnen<br />
(§ 2 Abs. 1 Nr. 4 iVm §§ 41–43 BImSchG)<br />
Erfasst wer<strong>de</strong>n öffentliche Straßen sowie öffentliche Schienenwege, nicht jedoch öffentliche<br />
Wasserstraßen, 72 wobei Ansatzpunkt Bau sowie wesentliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r öffentlichen Verkehrswege<br />
sind. Nicht erfasst wer<strong>de</strong>n private Verkehrswege, die ebenso wie Nebenanlagen und<br />
Nebeneinrichtungen öffentlicher Verkehrswege <strong>de</strong>m anlagenbezogenen Immissionsschutz unterfallen.<br />
5. Bereichsausnahmen (§ 2 Abs. 2 BImSchG)<br />
Die in § 2 Abs. 2 abschließend nummerierten Bereichsausnahmen verdanken sich <strong>de</strong>m Umstand,<br />
dass bereichsspezifische Regelungen existent sind, die sich<br />
• in § 6 Abs. 1 LuftVG für Flughäfen, Lan<strong>de</strong>plätze und Segelfluggelän<strong>de</strong>,<br />
• in <strong>de</strong>n §§ 6 ff AtG für Kernbrennstoffe sowie für ortsfeste Anlagen zur Erzeugung o<strong>de</strong>r zur<br />
Be- o<strong>de</strong>r Verarbeitung o<strong>de</strong>r Spaltung von Kernbrennstoffen o<strong>de</strong>r zur Aufarbeitung bestrahlter<br />
Kernbrennstoffe (§ 7 AtG),<br />
• in <strong>de</strong>n §§ 8 ff WHG für die Benutzung von Gewässern (iSd § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3, S. 2<br />
WHG),<br />
• in § 2 GenTG für gentechnische Vorhaben sowie<br />
• in <strong>de</strong>n Maßgaben <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 PflSchG erlassenen<br />
Pflanzenbeschauverordnung sowie für Pflanzenschutzmittel in <strong>de</strong>n §§ 6 a ff PflSchG fin<strong>de</strong>n.<br />
Für <strong>de</strong>n Vollzug <strong>de</strong>s BBodSchG wie <strong>de</strong>r BBodSchV kommen die Vorgaben <strong>de</strong>s BImSchG dann<br />
zum Tragen, wenn schädliche Bo<strong>de</strong>nverän<strong>de</strong>rungen iSv § 2 Abs. 3 BBodSchG durch Immissio-<br />
47<br />
48<br />
49<br />
50<br />
51<br />
71 Vgl VG Düsseldorf, U. v. 25.1.2011 – 3 K 7297/09, BImSchG-Rspr § 3 Nr. 151.<br />
72 Jarass, BImSchG, § 2 Rn 8.<br />
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
nen verursacht wur<strong>de</strong>n, die als schädliche Umwelteinwirkungen iSv § 3 Abs. 1 BImSchG, im<br />
Übrigen als sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile o<strong>de</strong>r erhebliche Belästigungen iSv § 5<br />
Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu qualifizieren sind (§ 3 Abs. 3 S. 1 BBodSchG).<br />
52<br />
53<br />
54<br />
II.<br />
1.<br />
Genehmigungsbedürftige/nicht genehmigungsbedürftige Anlagen<br />
Genehmigungsbedürftige Anlagen<br />
(§ 4 Abs. 1 S. 1–3 iVm § 1 Abs. 1 Nr. 1–10 <strong>de</strong>s Anhangs <strong>de</strong>r 4. BImSchV)<br />
a) Konstitutive Wirkung <strong>de</strong>r Listung gem. Anhang <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit <strong>de</strong>r Errichtung wie <strong>de</strong>s Betriebs<br />
• von Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit o<strong>de</strong>r ihres Betriebs im beson<strong>de</strong>ren Maße<br />
geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen o<strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>rer Weise die Allgemeinheit<br />
o<strong>de</strong>r die Nachbarschaft zu gefähr<strong>de</strong>n, erheblich zu benachteiligen o<strong>de</strong>r erheblich<br />
zu belästigen (Anlagen mit beson<strong>de</strong>rem Immissionspotenzial iSv § 4 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.<br />
BImSchG),<br />
• von ortsfesten Abfallentsorgungsanlagen zur Lagerung o<strong>de</strong>r Behandlung von Abfällen (§ 4<br />
Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BImSchG), <strong>de</strong>s Weiteren<br />
• von nicht gewerblichen Zwecken dienen<strong>de</strong>n, im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen<br />
betriebener Anlagen mit qualifiziertem Immissionspotenzial (§ 4 Abs. 1 S. 2 BImSchG),<br />
• von über Tage errichteten und betriebenen Anlagen <strong>de</strong>s Bergwesens (§ 4 Abs. 2 S. 1<br />
BImSchG)<br />
hat konstitutive Wirkung insoweit, als Anlagen im Anhang <strong>de</strong>r 4. BImSchV gelistet sind. 73<br />
b) Anfor<strong>de</strong>rungen gem. § 1 <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
aa) Relevanz <strong>de</strong>r Angaben gem. § 1 Abs. 2–5 <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
Aus <strong>de</strong>r in § 1 <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Ermächtigungsnorm <strong>de</strong>s § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG<br />
erlassenen 4. BImSchV getroffenen Regelung ergibt sich, dass es hinsichtlich <strong>de</strong>r immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungsbedürftigkeit nicht damit getan ist, festzustellen, ob eine Listung<br />
in <strong>de</strong>n Nr. 1–10 <strong>de</strong>s Anhangs zur 4. BImSchV erfolgt ist, da § 1 Abs. 1 S. 1–4 <strong>de</strong>r<br />
4. BImSchV hinsichtlich <strong>de</strong>r Genehmigungsbedürftigkeit für Errichtung und Betrieb <strong>de</strong>r im Anhang<br />
genannten Anlagen weitere Voraussetzungen normiert.<br />
Ungleich be<strong>de</strong>utsamer für die Praxis sind die in § 1 Abs. 2–5 <strong>de</strong>r 4. BImSchV getroffenen folgen<strong>de</strong>n<br />
Maßgaben:<br />
• Das Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnis erstreckt sich auf alle vorgesehenen Anlagenteile und Verfahrensschritte,<br />
die zum Betrieb notwendig sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 1), auf Nebeneinrichtungen,<br />
die mit <strong>de</strong>n Anlagenteilen und Verfahrensschritten in einem räumlichen und betriebstechnischen<br />
Zusammenhang stehen und für das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen,<br />
die Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen o<strong>de</strong>r das Entstehen sonstiger Gefahren,<br />
erheblicher Nachteile o<strong>de</strong>r erheblicher Belästigungen von Be<strong>de</strong>utung sein können (§ 1<br />
Abs. 2 Nr. 2 a–c).<br />
• Die in <strong>de</strong>r Listung <strong>de</strong>s Anhangs bestimmten Voraussetzungen liegen auch dann vor, wenn<br />
mehrere Anlagen <strong>de</strong>rselben Art in einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang<br />
stehen (gemeinsame Anlage) und zusammen die maßgeben<strong>de</strong>n Grenzen o<strong>de</strong>r Anlagengrößen<br />
erreichen o<strong>de</strong>r überschreiten wer<strong>de</strong>n (§ 1 Abs. 3 S. 1 iVm S. 2 Nr. 1–3).<br />
• Es bedarf einer Genehmigung lediglich dann, wenn zu einer Anlage Teile o<strong>de</strong>r Nebeneinrichtungen<br />
gehören, die je geson<strong>de</strong>rt genehmigungsbedürftig wären (§ 1 Abs. 4).<br />
73 Jarass, BImSchG, § 4 Rn 3.<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
• Die gesamte Anlage bedarf dann einer Genehmigung, wenn die für die Genehmigungsbedürftigkeit<br />
maßgeben<strong>de</strong> Leistungsgrenze o<strong>de</strong>r Anlagengröße durch die Erweiterung einer<br />
bestehen<strong>de</strong>n Anlage erstmals überschritten wird (§ 1 Abs. 5).<br />
„Die Schlachthof-Stadt GmbH plant auf ihrem Gelän<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Schlachthofstraße ein neues Gebäu<strong>de</strong><br />
für die Produktion, angebaut an <strong>de</strong>r Südseite <strong>de</strong>s vorhan<strong>de</strong>nen Gebäu<strong>de</strong>s. In <strong>de</strong>m neuen Produktionsgebäu<strong>de</strong><br />
sollen die aus <strong>de</strong>n Kühlräumen kommen<strong>de</strong>n Schweinehälften weiterverarbeitet wer<strong>de</strong>n.<br />
Nebenprodukte wie Schwarten, Knochen, Fette sollen in separaten geschlossenen Containern<br />
gesammelt und einer weiteren Verarbeitung zugeführt wer<strong>de</strong>n. Das neue Gebäu<strong>de</strong> hat vier Gebb)<br />
Insbeson<strong>de</strong>re: Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs „Nebeneinrichtung“ iSv § 1 Abs. 2 Nr. 2 <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
Typische Fallkonstellation: Auslegungsschwierigkeiten bereitet häufig <strong>de</strong>r in § 1 Abs. 2 Nr. 2<br />
<strong>de</strong>r 4. BImSchV verwandte Begriff <strong>de</strong>r „Nebeneinrichtung“, insb. dann, wenn hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Erweiterung einer bestehen<strong>de</strong>n und betriebenen Anlage lediglich eine Baugenehmigung mit <strong>de</strong>r<br />
Begründung erteilt wird, bei <strong>de</strong>r baulichen Erweiterung handle es sich nicht um eine „Nebeneinrichtung“<br />
mit <strong>de</strong>r Folge, dass keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erfor<strong>de</strong>rlich<br />
wäre.<br />
u Muster: Klage auf Aufhebung bauaufsichtlicher Genehmigung wegen Erfor<strong>de</strong>rnisses immissionsschutzrechtlicher<br />
(Än<strong>de</strong>rungs-)Genehmigung eines Zerlegebetriebs als Nebeneinrichtung<br />
eines immissionsschutzrechtlich genehmigten Schlachtbetriebs<br />
55<br />
56<br />
618<br />
Verwaltungsgericht •••<br />
In <strong>de</strong>r Verwaltungsstreitsache •••<br />
wegen: Bau-/Immissionsschutzrechts<br />
zeige ich ausweislich anliegen<strong>de</strong>r Prozessvollmacht an, dass ich <strong>de</strong>n Kläger anwaltlich vertrete.<br />
Namens und auftrags <strong>de</strong>s Klägers erhebe ich hiermit<br />
mit <strong>de</strong>m Antrag, zu erkennen:<br />
Klage<br />
1. Der Bescheid <strong>de</strong>r Beklagten vom ••• über die bauaufsichtliche Genehmigung für <strong>de</strong>n Bau eines<br />
Produktionsgebäu<strong>de</strong>s für die Weiterverarbeitung von Schweinehälften (Zerlegebetrieb) wird aufgehoben.<br />
2. Die Kosten <strong>de</strong>s Rechtsstreits trägt die Beklagte.<br />
Zur Begründung trage ich vor:<br />
A. Sachverhalt<br />
I. Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl. Nr. •••, Gemarkung<br />
•••, das östlich in ca. 700 m Entfernung zu <strong>de</strong>m durch die Beigela<strong>de</strong>nen betriebenen Schlachthof und<br />
<strong>de</strong>m daran angrenzen<strong>de</strong>n, bauaufsichtlich genehmigten Zerlegebetrieb gelegen ist. Zwischen <strong>de</strong>m<br />
Grundstück <strong>de</strong>s Klägers und <strong>de</strong>m Betriebsgelän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zerlegebetriebs wie <strong>de</strong>s Schlachthofes befin<strong>de</strong>t<br />
sich unmittelbar östlich angrenzend eine mehrspurige Bahntrasse, an die östlich ein ca. 300 m breiter<br />
Grüngürtel angrenzt, anschließend das Wohngebiet, in <strong>de</strong>m das Haus <strong>de</strong>s Klägers belegen ist.<br />
II. Die Beigela<strong>de</strong>ne betreibt seit ••• einen Schlachthof mit einer maximalen Tagesschlachtkapazität<br />
von <strong>de</strong>rzeit 12.000 Schweinen/Tag entsprechend 1.380 t/d. In <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Baugenehmigungsantrag <strong>de</strong>r<br />
Beigela<strong>de</strong>nen für Bau und Betrieb eines Produktionsgebäu<strong>de</strong>s für die Weiterverarbeitung von Schweinehälften<br />
(Zerlegebetrieb) mit einer Größe von ca. 96 m x 31 m x 30 m (L x B x H) beigefügten<br />
Baubeschreibung heißt es:<br />
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
schosse; im Untergeschoss wer<strong>de</strong>n Kistenwäsche, Materialanlieferung und Frosteranlagen angeordnet,<br />
im Erdgeschoss Erweiterung <strong>de</strong>r Zerlegung sowie Standardisierung, Vakuumierung und<br />
Kommissionierung, im ersten Obergeschoss soll <strong>de</strong>r Bereich „Verpackung“ vergrößert wer<strong>de</strong>n, die<br />
Flächen <strong>de</strong>s ersten Obergeschosses fin<strong>de</strong>n für eine neue Kantine sowie für Lagerflächen für Kartonaufrichter<br />
Verwendung. Höhenmäßig wer<strong>de</strong>n Erdgeschoss und 1. OG an die vorhan<strong>de</strong>nen Fußbo<strong>de</strong>nhöhen<br />
angepasst, im Erdgeschoss auf <strong>de</strong>r Westseite sieben neue Verla<strong>de</strong>rampen mit Überla<strong>de</strong>brücken<br />
geschaffen. Im Untergeschoss wer<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Ostseite vier Verla<strong>de</strong>rampen mit Überla<strong>de</strong>brücken<br />
errichtet.“<br />
Beweis:<br />
Bauantrag Beigela<strong>de</strong>ne vom •••, Baubeschreibung Beigela<strong>de</strong>ne vom •••<br />
III. Im Rahmen <strong>de</strong>r bauaufsichtlichen Nachbarbeteiligung hatte <strong>de</strong>r Kläger seine Unterschrift verweigert,<br />
aber durch Anschreiben vom ••• u.a. darauf hingewiesen, Belange <strong>de</strong>s Immissionsschutzes<br />
und Auswirkungen auf die betroffene Nachbarschaft seien nicht hinreichend geprüft. In städtebaulicher<br />
Hinsicht sei die Einordnung <strong>de</strong>s Standortes zur Bewertung <strong>de</strong>r Zulässigkeit <strong>de</strong>s Bauvorhabens<br />
in Frage zu stellen. Aufgrund <strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n erheblichen Immissionen (Gerüche, Lärm, Luftverunreinigungen)<br />
auf die benachbarten Wohngebiete, u.a. auch das von ihm bewohnte Haus, sei eine<br />
weitere noch intensivere Verletzung <strong>de</strong>s § 5 BImSchG zu erwarten. Die Baumaßnahme führe zu einer<br />
wesentlichen Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Ortsbil<strong>de</strong>s sowie <strong>de</strong>r Lagequalität <strong>de</strong>s Wohnumfel<strong>de</strong>s und damit zu<br />
einer erheblichen Wertmin<strong>de</strong>rung. Da die beantragte Baumaßnahme zu <strong>de</strong>m am gleichen Standort<br />
betriebenem Schlachthof, einer gem. Nr. 7.2 <strong>de</strong>s Anhangs <strong>de</strong>r 4. BImSchV genehmigungsbedürftigen<br />
Anlage, gehöre, sei statt <strong>de</strong>s baurechtlichen Genehmigungsverfahrens ein immissionsschutzrechtliches<br />
Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen.<br />
Beweis:<br />
Anschreiben <strong>de</strong>s Klägers an Beklagte vom •••<br />
IV. Die seitens <strong>de</strong>r Beigela<strong>de</strong>nen beantragte Baugenehmigung wur<strong>de</strong> durch Bescheid <strong>de</strong>r Beklagten<br />
unter Hinweis darauf erteilt, die ebenfalls geplanten sechs Lkw-Waschplätze sowie 46 Lkw-Parkplätze<br />
seien nicht Bestandteil <strong>de</strong>s Baugenehmigungsbescheids, son<strong>de</strong>rn seien geson<strong>de</strong>rt zu beantragen. Zu<br />
auftreten<strong>de</strong>n Lärm- o<strong>de</strong>r Geruchsemissionen wer<strong>de</strong>n im Bescheid keinerlei Angaben getroffen. Aus<br />
<strong>de</strong>n Verwaltungsvorgängen ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass diese Gegenstand <strong>de</strong>r (bauaufsichtlichen)<br />
Prüfung gewesen seien.<br />
Beweis:<br />
1. Genehmigungsbescheid Beklagte vom •••<br />
2. Baugenehmigungsakten <strong>de</strong>r Beklagten, Leitzordner I und II<br />
B. Zulässigkeit und Begrün<strong>de</strong>theit <strong>de</strong>r Klage<br />
I. Zulässigkeit<br />
1. Der Verwaltungsrechtsweg iSd § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist aufgrund <strong>de</strong>r Tatsache eröffnet, dass es<br />
sich um eine Streitigkeit auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Bau- bzw Immissionsschutzrechts han<strong>de</strong>lt.<br />
2. Dem Kläger steht die für die erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) erfor<strong>de</strong>rliche Klagebefugnis<br />
iSd § 42 Abs. 2 VwGO zur Seite, da die Möglichkeit besteht, dass er aufgrund <strong>de</strong>r angefochtenen<br />
Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt wird. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ergibt<br />
sich dabei sowohl wegen <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Kläger behaupteten Wahl <strong>de</strong>s unzutreffen<strong>de</strong>n Genehmigungsverfahrens<br />
wie wegen <strong>de</strong>r geltend gemachten Geräusch- und Geruchsimmissionen.<br />
3. Der Kläger ist Nachbar iSd Nachbar- und Immissionsschutzrechts, da sich <strong>de</strong>r Kreis <strong>de</strong>r „benachbarten<br />
Grundstücke“ je nach Reichweite <strong>de</strong>r rechtlich relevanten Auswirkungen <strong>de</strong>s Vorhabens unterschiedlich<br />
bemisst und <strong>de</strong>mzufolge über die unmittelbar angrenzen<strong>de</strong>n Grundstücke hinausgehen<br />
kann. Ist im Hinblick auf bauordnungsrechtliche Vorschriften <strong>de</strong>r Kreis <strong>de</strong>r „benachbarten Grund-<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
stücke“ über <strong>de</strong>n Grenzabstand sowie die Festsetzungen über die Bauweise auf die unmittelbar angrenzen<strong>de</strong>n<br />
Grundstücke beschränkt, kann ein mit Immissionen verbun<strong>de</strong>nes Vorhaben dagegen auch<br />
die Nutzung weiter entfernter Grundstücke in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigen. Dies ist<br />
aufgrund <strong>de</strong>s Abstands von ca. 700 m gegeben. 74<br />
4. Der Kläger ist zunächst insoweit klagebefugt, als er geltend macht, es sei das unzutreffen<strong>de</strong> Genehmigungsverfahren<br />
– das baurechtliche statt das immissionsschutzrechtliche – gewählt wor<strong>de</strong>n.<br />
Zwar kann <strong>de</strong>r Kläger allein aus dieser Behauptung keine Klagebefugnis herleiten, da er als Nachbar<br />
lediglich in <strong>de</strong>r Lage ist, rechtswidrige Eingriffe in subjektiv öffentlich-rechtliche Rechtspositionen<br />
geltend zu machen. Drittschutz vermitteln nur solche Vorschriften <strong>de</strong>s öffentlichen Bau- o<strong>de</strong>r Immissionsschutzrechts,<br />
die nach ihren durch Auslegung zu ermitteln<strong>de</strong>n Inhalt auch <strong>de</strong>r Rücksichtnahme<br />
auf die Interessen <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n Dritten dienen. 75 Daraus folgt zunächst, dass die behördliche<br />
Wahl einer unzutreffen<strong>de</strong>n Verfahrensart für sich genommen noch keine drittschützen<strong>de</strong><br />
Wirkung entfaltet. Die Tatsache, dass das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren auch<br />
<strong>de</strong>m Zweck dient, <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Nachbarschaft zu gewährleisten, be<strong>de</strong>utet noch nicht, dass die<br />
Einhaltung <strong>de</strong>s Verfahrens um seiner selbst willen <strong>de</strong>m Schutz potenziell betroffener Nachbarn dient,<br />
unabhängig davon, ob konkret materielle Anfor<strong>de</strong>rungen zum Schutz <strong>de</strong>r Nachbarn verletzt sein<br />
könnten o<strong>de</strong>r nicht. Maßgeblich ist, dass konkrete Verfahrensbestimmungen (auch) dazu dienen,<br />
bereits für das Verfahren Drittschutz zu gewährleisten; 76 <strong>de</strong>r nach verfassungsrechtlichen Maßstäben<br />
gebotene „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ entsteht anerkanntermaßen nicht schon allgemein<br />
bzgl jeglicher Genehmigungsverfahrensvorschrift, die auch <strong>de</strong>r Einhaltung drittschützen<strong>de</strong>r materieller<br />
Vorschriften dient.<br />
5. Ungeachtet <strong>de</strong>ssen kann sich <strong>de</strong>r Kläger auf eine Verletzung <strong>de</strong>r Verfahrensvorschriften <strong>de</strong>r § 10<br />
Abs. 2–4, §§ 6, 8 und 9 BImSchG berufen, <strong>de</strong>r Drittbetroffenen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren<br />
einen „vorgezogenen Rechtsschutz“ dadurch einräumt, dass er eine Beteiligung<br />
von Dritten am Verwaltungsverfahren vorsieht.<br />
Diesen Verfahrensvorschriften ist nach <strong>de</strong>r Rspr <strong>de</strong>s BVerwG Drittschutz zuzuerkennen, soweit das<br />
Vorbringen <strong>de</strong>s Drittbetroffenen ergibt, dass sich <strong>de</strong>r von ihm gerügte Verfahrensfehler auf seine<br />
materiell-rechtliche Position ausgewirkt haben könnte, was sich wie<strong>de</strong>rum nur dann ausschließen<br />
lässt, wenn die durch <strong>de</strong>n Dritten behaupteten Beeinträchtigungen seiner materiellen Rechtsgüter<br />
offensichtlich und ein<strong>de</strong>utig unmöglich ist. Dies ist vorliegend nicht gegeben. 77<br />
•••<br />
II. Begrün<strong>de</strong>theit<br />
Die zulässige Klage ist auch begrün<strong>de</strong>t, da <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Beigela<strong>de</strong>nen erteilte Baugenehmigungsbescheid<br />
vom ••• rechtswidrig ist und <strong>de</strong>r Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Dies ergibt sich aus<br />
Folgen<strong>de</strong>m:<br />
74 Der immissionsschutzrechtlich relevante Nachbarbegriff reicht daher über <strong>de</strong>n bauordnungsrechtlichen hinaus: Nachbar<br />
ist daher nicht nur <strong>de</strong>r (unmittelbare) Grundstücks- o<strong>de</strong>r aber <strong>de</strong>r „Punktnachbar“; vgl hierzu Kopp/Schenke, VwGO,<br />
§ 42 Rn 104.<br />
75 BVerfG, B. v. 17.12.1969 – 2 BvR 23/65, BVerfGE 27, 297; BVerwG, U. v. 30.3.1995 – 3 C 8/94, NVwZ 1995, 1200;<br />
OVG Mag<strong>de</strong>burg, B. v. 12.2.2003 – 2 M 273/02, JMBl LSA 2003, 330.<br />
76 BVerfG, B. v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30 (59 f); BVerwG, U. v. 17.7.1980 – 7 C 101/78, Buchholz<br />
451.171 AtG Nr. 6, S. 10 (12); U. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78, BVerfGE 61, 256 (275); B. v. 28.5.1985 – 7 B 116/85,<br />
Buchholz 451.171 AtG Nr. 14; U. v. 17.12.1986 – 7 C 29/85, BVerfGE 75, 285 (291).<br />
77 BVerwG, U. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78, DVBl. 1983, 183; U. v. 5.10.1990 – 7 C 55/89, 56/89, BVerwGE 85, 361 (373 f).<br />
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
1. Der angefochtene Bescheid ist bereits <strong>de</strong>shalb rechtswidrig, weil für eine Baugenehmigung aus<br />
Rechtsgrün<strong>de</strong>n kein Raum war, so dass die unzuständige untere Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> an Stelle <strong>de</strong>r<br />
sachlich für das Immissionsschutzgesetz zuständigen Behör<strong>de</strong> gehan<strong>de</strong>lt hat.<br />
Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Beklagten wie <strong>de</strong>s Beigela<strong>de</strong>nen ist nicht nur die nach Immissionsschutzrecht<br />
beantragte und – inzwischen auch – genehmigte Erhöhung <strong>de</strong>r Schlachtkapazität <strong>de</strong>s an<br />
<strong>de</strong>n Zerlegebetrieb angrenzen<strong>de</strong>n Schlachthofes als wesentliche Än<strong>de</strong>rung immissionsschutzrechtlich<br />
genehmigungsbedürftig, son<strong>de</strong>rn vielmehr auch die beantragte – und nach Bauaufsichtsrecht erteilte<br />
– Genehmigung <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>s Schlachthofs um ein Produktionsgebäu<strong>de</strong> für die Zerlegung und<br />
Verpackung von Schweinehälften. Eine unter das immissionsschutzrechtliche Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnis<br />
– hier: <strong>de</strong>s § 16 BImSchG – fallen<strong>de</strong>, gleichwohl nach Baurecht erteilte Genehmigung ist jedoch<br />
rechtswidrig und daher aufzuheben. 78<br />
2. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BImSchG bedarf die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Lage, <strong>de</strong>r Beschaffenheit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Betriebs<br />
einer genehmigungsbedürftigen Anlage <strong>de</strong>r Genehmigung, wenn durch die Än<strong>de</strong>rung nachteilige<br />
Auswirkungen hervorgerufen wer<strong>de</strong>n und diese für die Prüfung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG<br />
erheblich sein können (wesentliche Än<strong>de</strong>rung). Zwar ist <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r neu zu errichten<strong>de</strong>n Produktionsstätte<br />
einzurichten<strong>de</strong> Zerlegebetrieb selbst keine genehmigungsbedürftige Anlage iSd § 4<br />
BImSchG, da er im Anhang zur 4. BImSchG nicht genannt wird; insb. han<strong>de</strong>lt es sich hierbei nicht<br />
um eine Anlage zur Herstellung von sonstigen Nahrungsmittelerzeugnissen aus tierischen Rohstoffen<br />
iSd Nr. 7.34 a <strong>de</strong>r Anhangs <strong>de</strong>r 4. BImSchG, da von dieser Regelung nur Fertigerzeugnisse erfasst<br />
wer<strong>de</strong>n, solche jedoch im Zerlegebetrieb nicht hergestellt wer<strong>de</strong>n sollen, da dieser vielmehr <strong>de</strong>r<br />
Zerteilung und Verpackung geschlachteter Schweine dienen soll und das Zerteilen noch nicht zum<br />
Verlust <strong>de</strong>r Rohstoffeigenschaft führt.<br />
3. Die Anwendbarkeit <strong>de</strong>s BImSchG und damit das immissionsschutzrechtliche Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnis<br />
ergibt sich jedoch daraus, dass <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Zerlegebetrieb angrenzen<strong>de</strong> Schlachthof eine genehmigungsbedürftige<br />
Anlage iSd § 4 Abs. 1 BImSchG ist und <strong>de</strong>r Zerlegebetrieb eine Nebeneinrichtung<br />
iSv § 1 Abs. 2 <strong>de</strong>r 4. BImSchV darstellt. Anlagen zum Schlachten von Tieren mit einer Leistung<br />
von 50 t Lebendgewicht o<strong>de</strong>r mehr je Tag sind gem. Nr. 7.2, Spalte 1 <strong>de</strong>s Anhangs <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig, wobei sich das Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnis gem.<br />
§ 1 Abs. 2 <strong>de</strong>r 4. BImSchV auf alle zum Betrieb notwendigen und vorgesehenen Anlagenteile und<br />
Verfahrensschritte (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 <strong>de</strong>r 4. BImSchV) sowie auf Nebeneinrichtungen erstreckt, die mit<br />
<strong>de</strong>n Anlagenteilen und Verfahrensschritten gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 <strong>de</strong>r 4. BImSchV in einem räumlichen<br />
und betriebstechnischen Zusammenhang stehen und die für das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen,<br />
die Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen o<strong>de</strong>r das Entstehen sonstiger Gefahren,<br />
erheblicher Nachteile o<strong>de</strong>r erheblicher Belästigungen von Be<strong>de</strong>utung sein können (§ 1<br />
Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a–c <strong>de</strong>r 4. BImSchV).<br />
4. Der in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Genehmigung unterstellten Neubau unterzubringen<strong>de</strong> Zerlegebetrieb ist eine solche<br />
Nebeneinrichtung iSd § 1 Abs. 2 <strong>de</strong>r 4. BImSchV im Verhältnis zum Schlachtbetrieb <strong>de</strong>r Beigela<strong>de</strong>nen.<br />
Nebeneinrichtungen haben zwar keine Verfahrensschritte zum Gegenstand, die zur Erreichung <strong>de</strong>s<br />
Betriebszwecks unmittelbar notwendig sind; sie sind aber auf diesem Zweck hin ausgerichtet und<br />
haben im Verhältnis zur Haupteinrichtung eine dienen<strong>de</strong> und untergeordnete Funktion. 79 Eine Ne-<br />
78 BVerwG, U. v. 11.5.1998 – 4 C 1.88, BVerwGE 82, 61 (63); vgl Jarass, BImSchG, § 13 Rn 16.<br />
79 BVerwG, U. v. 6.7.1984 – 7 C 71/82, BVerwGE 69, 351 (355); für die Qualifizierung einer Biogasanlage (§ 35 Abs. 1<br />
Nr. 6 BauGB) als Nebeneinrichtung einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Tierhaltungsanlage vgl<br />
BVerwG, B. v. 21.2.2010 – 7 B 4/10, NVwZ 2011, 433 = EzKommR Nr. 1500.1821.<br />
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§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
beneinrichtung „dient“ dabei nicht nur dann <strong>de</strong>r Hauptanlage, wenn sie dieser in Betriebsauflauf<br />
vorgeschaltet ist, son<strong>de</strong>rn auch dann, wenn sie überhaupt in einem Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Betrieb<br />
<strong>de</strong>r Hauptanlage steht. Auf die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Nebeneinrichtung für das Funktionieren <strong>de</strong>r<br />
Hauptanlage kommt es dabei nicht an, da es an<strong>de</strong>rnfalls <strong>de</strong>r in § 1 Abs. 2 Nr. 1 <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
getroffenen Regelung nicht bedurft hätte, die ausdrücklich auf die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Anlagenteile<br />
für <strong>de</strong>n Betrieb abstellt. Maßgeblich ist vielmehr die tatsächliche Einbeziehung in <strong>de</strong>n auf die<br />
Hauptanlage bezogenen und von dieser bestimmten Funktionszusammenhang. 80<br />
Dieser Funktionszusammenhang besteht auch dann noch, wenn das Produkt nach <strong>de</strong>m Verlassen <strong>de</strong>r<br />
Hauptanlage eine weitere Bearbeitung erfährt, wobei nicht entschei<strong>de</strong>nd ist, ob eine (Teil-)Anlage<br />
im Einzelfall „üblicherweise“ für <strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Hauptanlage vorhan<strong>de</strong>n ist. Es reicht vielmehr aus,<br />
dass die (Teil-)Anlage im Einzelfall für <strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Anlage be<strong>de</strong>utsam ist. Dies ist vorliegend<br />
<strong>de</strong>shalb zu bejahen, weil <strong>de</strong>r Zerlegebetrieb hinsichtlich seiner Funktion auf <strong>de</strong>n durch die Beigela<strong>de</strong>nen<br />
unterhaltenen Schlachthof als immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage<br />
ausgerichtet ist, da die Schweinehälften nach <strong>de</strong>m Verlassen <strong>de</strong>s Schlachthofs eine weitere Verarbeitung<br />
erfahren. Der hierdurch gegebene Funktionszusammenhang besteht unabhängig davon, dass<br />
ein Schlachthof und ein Zerlegebetrieb grds. auch für sich allein <strong>de</strong>nkbar wären.<br />
Der funktionale Zusammenhang wird im streitgegenständlichen Falle insb. dadurch <strong>de</strong>utlich, dass<br />
das neue Produktionsgebäu<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Zerlegebetrieb – <strong>de</strong>r ursprünglich unmittelbar im Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
Schlachthofes untergebracht war – an das Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schlachthofes angrenzt und räumlich durch<br />
mehrere Flure mit ihm verbun<strong>de</strong>n ist mit <strong>de</strong>r Folge, dass die Zuführung <strong>de</strong>r Schweinehälften innerhalb<br />
<strong>de</strong>s verbun<strong>de</strong>nen Gebäu<strong>de</strong>komplexes über För<strong>de</strong>rbän<strong>de</strong>r erfolgt, im Produktionsgebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zerlegebetriebs<br />
Vorrichtungen für die Aufnahme von nicht aus <strong>de</strong>m angrenzen<strong>de</strong>n Schlachtbetrieb stammen<strong>de</strong>n<br />
Schweinehälften nicht vorgesehen sind und <strong>de</strong>r Schlachtbetrieb über Vorrichtungen verfügt,<br />
die ein Abholen <strong>de</strong>r Schweinehälften direkt am Schlachthof zur Verarbeitung in einem an<strong>de</strong>ren Zerlegebetrieb<br />
erlaubten. Zu<strong>de</strong>m verfügt <strong>de</strong>r Schlachthof über keine eigene Anlage zur Kälteherstellung;<br />
<strong>de</strong>r Zerlegebetrieb ist Betreiber einer vorhan<strong>de</strong>nen Kälteanlage, die auch <strong>de</strong>n Schlachthof versorgt,<br />
<strong>de</strong>r Hauptabnehmer für die produzierte Kälte ist.<br />
Der Annahme eines funktionalen Zusammenhangs zwischen Schlachthof als Hauptbetrieb und Zerlegebetrieb<br />
als Nebenanlage steht auch nicht entgegen, dass nicht <strong>de</strong>r Zerlegebetrieb vom Schlachtbetrieb<br />
abhängig, son<strong>de</strong>rn umgekehrt <strong>de</strong>r Schlachtbetrieb vom Zerlegebetrieb als Betreiber <strong>de</strong>r Kälteanlage<br />
ist; dies gilt auch für die Tatsache, dass die Kälteanlage für sich genommen genehmigungsbedürftig<br />
ist.<br />
5. Sind damit die Voraussetzungen <strong>de</strong>s funktionalen wie <strong>de</strong>s räumlichen Zusammenhangs gegeben,<br />
so gilt dies auch für das Erfor<strong>de</strong>rnis <strong>de</strong>s betriebstechnischen Zusammenhangs.<br />
Nicht zielführend ist die durch die Beigela<strong>de</strong>ne im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren vertretene<br />
Auffassung, <strong>de</strong>r Transport <strong>de</strong>r im Schlachthof produzierten Schweinehälften über För<strong>de</strong>rbän<strong>de</strong>r<br />
in <strong>de</strong>n Zerlegebetrieb begrün<strong>de</strong> keinen betriebstechnischen Zusammenhang, da es sich hierbei<br />
nur um die Übergabe fertiger Produkte an einen an<strong>de</strong>ren Betrieb handle, <strong>de</strong>r ebenso gut durch Lkw-<br />
Transport erfolgen könne, <strong>de</strong>s Weiteren, dass die Kühlvorrichtungen hauptsächlich durch <strong>de</strong>n Zerlegebetrieb<br />
genutzt wür<strong>de</strong>n, so dass eine Abhängigkeit <strong>de</strong>s Zerlegebetriebs vom Schlachtbetrieb nicht<br />
bestehe.<br />
80 Vgl OVG Lüneburg, U. v. 20.3.1996 – 7 L 2552/95, GewArch 1996, 346; OVG Mag<strong>de</strong>burg, B. v. 12.2.2003 – 2 M<br />
273/02, JMBl. LSA 2003, 330.<br />
Hofmann-Hoeppel 1603
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45<br />
Abschnitt 10: Umweltrecht<br />
Dass Schweinehälften theoretisch auch durch Lkw-Transport von einem Betrieb zum an<strong>de</strong>ren transportiert<br />
wer<strong>de</strong>n können, än<strong>de</strong>rt nichts daran, dass <strong>de</strong>r Transport hier über För<strong>de</strong>rbän<strong>de</strong>r geschieht,<br />
also eine technische Verbindung besteht, wobei es auch keinen Unterschied macht, ob es sich bei<br />
<strong>de</strong>n weiterverarbeiteten Produkten um das Hauptprodukt o<strong>de</strong>r um bei <strong>de</strong>r Produktion angefallene<br />
Nebenprodukte (Schwarten, Knochen, Fette) han<strong>de</strong>lt. Der Zerlegebetrieb ist auch nicht <strong>de</strong>shalb als<br />
eigenständig einzustufen, weil er vom Zerlegebetrieb X GmbH betrieben wird, während als Betreiber<br />
<strong>de</strong>s Schlachthofes die Schlachthof X Stadt GmbH auftritt.<br />
Zwar ist grds. von einer einheitlichen Anlage nur dann auszugehen, wenn die Anlagen auf einem<br />
einheitlichen Betriebsgelän<strong>de</strong> von einer natürlichen o<strong>de</strong>r juristischen Person betrieben wer<strong>de</strong>n. Betreiber<br />
ist <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die Anlage in seinem Namen, auf seine Rechnung und in eigener Verantwortung<br />
führt; hierfür ist maßgeblich, wer unter Berücksichtigung sämtlicher konkreter rechtlicher,<br />
wirtschaftlicher und tatsächlicher Gegebenheiten bestimmen<strong>de</strong>n Einfluss auf Errichtung, Beschaffenheit<br />
und Betrieb <strong>de</strong>r Anlage ausübt. Die Möglichkeit <strong>de</strong>s bestimmen<strong>de</strong>n Einflusses richtet sich<br />
regelmäßig nach <strong>de</strong>n privatrechtlichen Verhältnissen an <strong>de</strong>r Anlage, also danach, wer nach <strong>de</strong>n zugrun<strong>de</strong><br />
liegen<strong>de</strong>n Verhältnissen weisungsfrei und selbstständig entschei<strong>de</strong>n kann, so dass Betreiber<br />
<strong>de</strong>rjenige ist, <strong>de</strong>m die Entscheidung über die für die Erfüllung umweltrechtlicher Pflichten relevanten<br />
Umstän<strong>de</strong> obliegt. Betreiber in diesem Sinne kann ausnahmsweise auch eine Personenmehrheit<br />
sein. 81 Ein (einziger) Anlagenbetreiber ist nach hM auch dann existent, wenn zwei juristisch verschie<strong>de</strong>ne<br />
Träger <strong>de</strong>r einzelnen Anlagen geschaffen wur<strong>de</strong>n, diese aber in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis<br />
zueinan<strong>de</strong>r stehen, dass letztlich doch eine Person, eine bestimmte Personenmehrheit<br />
o<strong>de</strong>r aber die -gesamtheit <strong>de</strong>n bestimmen<strong>de</strong>n Einschluss auf <strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Gesamtanlage hat. Dies<br />
soll <strong>de</strong>m Konzernrecht Rechnung tragen und Konstellationen erfassen, in <strong>de</strong>nen eine Konzernmutter<br />
einen <strong>de</strong>rart starken Einfluss auf die Tochtergesellschaft hat, dass sich ihr Einfluss tatsächlich auf<br />
<strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Anlage auswirkt. Der Begriff <strong>de</strong>s „Abhängigkeitsverhältnisses“ bezieht danach insoweit<br />
auf die „Träger“, nicht jedoch auf die Anlagen, so dass es nicht darauf ankommt, wie sich die<br />
verschie<strong>de</strong>nen Anlagen bzw Anlagenteile zueinan<strong>de</strong>r verhalten, son<strong>de</strong>rn ob die betreffen<strong>de</strong>n Unternehmen<br />
rechtlich in <strong>de</strong>rart enger Beziehung zueinan<strong>de</strong>r stehen, dass insoweit von einem Abhängigkeitsverhältnis<br />
<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Träger ausgegangen wer<strong>de</strong>n kann. Ein solches Verhältnis besteht<br />
zwischen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zerlegebetrieb betreiben<strong>de</strong>n Zerlegebetrieb X-Stadt GmbH und <strong>de</strong>r Schlachthof X-<br />
Stadt GmbH, da die Anlagen organisatorisch und betriebstechnisch so eng miteinan<strong>de</strong>r verflochten<br />
sind, dass eine getrennte Entscheidungsfindung ausgeschlossen erscheint. Deutlich wird die enge<br />
Verpflichtung <strong>de</strong>r Gesellschaften auch dadurch, dass bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>nselben Geschäftsführer haben und<br />
nach Außen hin als einheitlicher Betrieb auftreten.<br />
6. Der Zerlegebetrieb ist schließlich auch emissions- und immissionsrelevant, weil durch die im neu<br />
errichteten Produktionsgebäu<strong>de</strong> erfolgen<strong>de</strong> Zerlegung <strong>de</strong>r Schweinehälften und <strong>de</strong>n ebenfalls <strong>de</strong>m<br />
Zerlegebetrieb zuzuordnen<strong>de</strong>n Transportverkehr und La<strong>de</strong>vorgängen zusätzlicher Lärm wie auch zusätzliche<br />
Gerüche erzeugt wer<strong>de</strong>n, die zu schädlichen Umwelteinwirkungen in Gestalt unzumutbarer<br />
Lärm- und Geruchsbeeinträchtigungen für die Nachbarschaft führen können.<br />
Ob dies <strong>de</strong>r Fall ist, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant, da durch die Erstreckung <strong>de</strong>r Genehmigungsbedürftigkeit<br />
auf Nebeneinrichtungen <strong>de</strong>r Genehmigungsbehör<strong>de</strong> u.a. gera<strong>de</strong> die Möglichkeit<br />
eröffnet wer<strong>de</strong>n soll, das Immissionsverhalten <strong>de</strong>r Nebeneinrichtung zu prüfen und zu entschei<strong>de</strong>n,<br />
ob die Genehmigung ohne o<strong>de</strong>r ggf mit Nebenbestimmungen und Auflagen zur Verhin<strong>de</strong>rung<br />
schädlicher Umwelteinwirkungen zu erteilen ist. Wird <strong>de</strong>r Zerlegebetrieb als Nebeneinrichtung<br />
81 OVG Lüneburg, B. v. 2.4.2009 – 12 MI 53/09, NVwZ 2009, 991.<br />
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<strong>de</strong>s Schlachthofs von <strong>de</strong>ssen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsbedürftigkeit erfasst, da<br />
durch Errichtung und Betrieb <strong>de</strong>s Zerlegebetriebs die Beschaffenheit wie <strong>de</strong>r Betrieb <strong>de</strong>s Schlachthofes<br />
geän<strong>de</strong>rt wird und diese Än<strong>de</strong>rung auch wesentlich <strong>de</strong>shalb ist, weil <strong>de</strong>r Zerlegebetrieb wegen<br />
<strong>de</strong>r von ihm ausgehen<strong>de</strong>n Geruchs- und Lärmimmissionen geeignet ist, die Genehmigungsvoraussetzungen<br />
<strong>de</strong>s § 5 Abs. 1 BImSchG zu berühren, kann sich <strong>de</strong>r Kläger auch auf die durch die Wahl <strong>de</strong>s<br />
falschen Genehmigungsverfahrens hervorgerufene Rechtsverletzung berufen, nämlich darauf, dass<br />
die §§ 10 Abs. 2–4, 6, 8 und 9 BImSchG im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren<br />
betroffenen Dritten vorgezogenen Rechtsschutz einräumen und sich <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Kläger gerügte<br />
Verfahrensfehler auf seine materiell-rechtlichen Rechtspositionen ausgewirkt haben kann. Dies kann<br />
durch die luftlinienmäßige Entfernung <strong>de</strong>s Wohnhauses <strong>de</strong>s Klägers von <strong>de</strong>m Grundstück, auf <strong>de</strong>m<br />
Schlachthof und Zerlegebetrieb errichtet und betrieben wer<strong>de</strong>n, nicht ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n, da<br />
gem. Nr. 6.1 TA Lärm in einem (allgemeinen) Wohngebiet in <strong>de</strong>r lautesten Nachtstun<strong>de</strong> Lärmwerte<br />
in <strong>de</strong>r Größenordnung von 35 dB(A) zulässig sind und nicht ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n kann, dass dieser<br />
Beurteilungspegel – je<strong>de</strong>nfalls teilweise – auch durch <strong>de</strong>n Zerlegebetrieb überschritten wird.<br />
7. Da keinerlei Feststellungen <strong>de</strong>r Beklagten o<strong>de</strong>r aber <strong>de</strong>r Beigela<strong>de</strong>nen zur Immissionssituation vor<br />
und nach Errichtung <strong>de</strong>s Zerlegebetriebs getroffen wur<strong>de</strong>n bzw vorliegen, die zwingend <strong>de</strong>n Schluss<br />
zuließen, von <strong>de</strong>m Zerlegebetrieb gingen keinerlei schädliche Umwelteinwirkungen aus, kann sich<br />
<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Nichtdurchführung <strong>de</strong>s immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens bestehen<strong>de</strong><br />
Verfahrensfehler auf die materiell-rechtliche Position <strong>de</strong>s Klägers mit <strong>de</strong>r Folge auswirken, dass dieser<br />
Fehler erfolgreich geltend gemacht wer<strong>de</strong>n kann, so dass <strong>de</strong>r angefochtene Baugenehmigungsbescheid<br />
<strong>de</strong>r Beklagten als rechtswidrig aufzuheben ist.<br />
Damit ist antragsgemäß zu erkennen. 82<br />
(Rechtsanwalt) t<br />
§ 45 Immissionsschutzrecht 45<br />
cc) Insbeson<strong>de</strong>re: Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs „gemeinsame Anlage“ iSv § 1 Abs. 3 <strong>de</strong>r 4. BImSchV<br />
Typische Fallkonstellation: Auslegungsprobleme in <strong>de</strong>r Praxis bereitet darüber hinaus die in<br />
§ 1 Abs. 3 <strong>de</strong>r 4. BImSchV erfolgte Anordnung <strong>de</strong>r Erstreckung <strong>de</strong>s immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungserfor<strong>de</strong>rnisses auf <strong>de</strong>n Betrieb einer „gemeinsamen Anlage“ – dies vornehmlich<br />
dann, wenn behördlicherseits <strong>de</strong>r Erweiterung einer bestehen<strong>de</strong>n und immissionsschutzrechtlich<br />
genehmigten Anlage zum Anlass genommen wird, für <strong>de</strong>n Betrieb bestehen<strong>de</strong>r<br />
und genehmigter Anlagenteile Emissions- o<strong>de</strong>r aber Immissionsgrenzwerte festzusetzen.<br />
u Muster: Immissionsschutzrechtliche Nebenbestimmung bzgl Betriebs eines in bauliche Erweiterung<br />
einbezogenen Anlagenteils einer genehmigten Anlage als „gemeinsame Anlage“<br />
Verwaltungsgericht •••<br />
57<br />
58<br />
619<br />
In <strong>de</strong>r Verwaltungsstreitsache •••<br />
wegen: Vollzug <strong>de</strong>s BImSchG<br />
nehme ich für die Beigela<strong>de</strong>ne zu <strong>de</strong>m durch Anschreiben <strong>de</strong>s Gerichts vom ••• übermittelten Schriftsatz<br />
<strong>de</strong>s Beklagten vom ••• hiermit wie folgt Stellung:<br />
1. Streitgegenstand ist die im Bescheid <strong>de</strong>s Beklagten vom ••• hinsichtlich <strong>de</strong>r erfolgten immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigung zur Erweiterung <strong>de</strong>s im Jahre ••• immissionsschutzrechtlich genehmigten<br />
Großtanklagers um eine Ethanol-Blending-Anlage erfolgte Nebenbestimmung, wonach die<br />
in <strong>de</strong>r Abluft <strong>de</strong>r Dämpferückgewinnungsanlage (immissionsschutzrechtlich genehmigter Bestand)<br />
82 Vgl VG Halle, U. v. 24.8.2010 – 2 A 278/08.<br />
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