Vortrag herunterladen (PDF) - Hand in Hand gegen Gewalt
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K<strong>in</strong>desmisshandlung<br />
-<br />
Der schwierige Weg zur sicheren<br />
Diagnose<br />
Dr. med. Verena Héroux
Die Rechtsmediz<strong>in</strong><br />
• Involvierung der Remed bei Verdachtsfällen von KM:<br />
• durch die Ermittlungsbehörden bei Vorliegen e<strong>in</strong>er Anzeige<br />
Körperliche Untersuchung und Dokumentation<br />
Erstellung e<strong>in</strong>es Gutachtens und e<strong>in</strong>er Rechnung!<br />
Ke<strong>in</strong>e Schweigepflicht<br />
Vorstellung kann durch Gericht angeordnet werden<br />
• durch Jugendämter, K<strong>in</strong>derärzte, Beratungsstellen,…<br />
Körperliche Untersuchung und Dokumentation<br />
Erstellung e<strong>in</strong>es Kurz-Befundes ohne Rechnung<br />
Sorgeberechtigte müssen <strong>in</strong>formiert und e<strong>in</strong>verstanden se<strong>in</strong><br />
Es besteht Schweigepflicht
Die Rechtsmediz<strong>in</strong><br />
• Die Remed hat ke<strong>in</strong>e Abrechnungszulassung über die<br />
Krankenkassen<br />
(Dokumentation, ke<strong>in</strong>e Behandlung)<br />
• Wir können auch konsiliarisch für kl<strong>in</strong>ische Kollegen tätig werden<br />
• Wir beraten auch allgeme<strong>in</strong> oder geben <strong>Hand</strong>lungsempfehlungen<br />
• Allgeme<strong>in</strong> ist das A und O das gesicherte E<strong>in</strong>verständnis !
Körperliche Misshandlung allgeme<strong>in</strong><br />
• 60 % der Opfer und Täter s<strong>in</strong>d männlich<br />
• besonders gefährdet s<strong>in</strong>d Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der (2 – 4 Jahre)<br />
unerwünschte K<strong>in</strong>der<br />
beh<strong>in</strong>derte K<strong>in</strong>der<br />
K<strong>in</strong>der aus „Patchwork-Familien“<br />
„Schreik<strong>in</strong>der“ bei jungen Eltern<br />
• häufige Täter s<strong>in</strong>d die leiblichen Eltern und der Lebensgefährte der<br />
Mutter<br />
• Risikofaktor Alkoholmissbrauch der Eltern<br />
• auffällig: häufiges Wechseln des (K<strong>in</strong>der-) Arztes / der Kl<strong>in</strong>ik (sog.<br />
Doctor-hopp<strong>in</strong>g)
Ausgangssituation<br />
Körperliche Misshandlungen h<strong>in</strong>terlassen äußerlich sichtbare<br />
Spuren, so dass Eltern darauf angesprochen werden oder selbst<br />
e<strong>in</strong>en Arzt aufsuchen.<br />
Schutzbehauptungen, z. B. :<br />
• vom Wickeltisch gefallen<br />
• ist ungeschickt, fällt oft h<strong>in</strong> und stößt sich oft<br />
• bekommt schnell blaue Flecken<br />
• vom Fahrrad / Schaukel / … / gefallen<br />
• Topf mit heißem Wasser vom Herd gezogen<br />
• mit dem K<strong>in</strong>d auf dem Arm heftig h<strong>in</strong> und her gesprungen<br />
• etc.
Frage: Plausibilität ??<br />
Ausgangssituation<br />
Passen die Verletzungen und v. a. deren Intensität zu<br />
geschildertem Mechanismus ??<br />
Ist das K<strong>in</strong>d aufgrund se<strong>in</strong>es Alters überhaupt <strong>in</strong> der Lage,<br />
sich selbst entsprechende Verletzungen beizubr<strong>in</strong>gen ??<br />
Beurteilung der Verletzungen ohne Hergangsschilderung<br />
oft schwierig<br />
Es gibt immer auch Fälle, die nicht geklärt werden können !!
Untersuchung allgeme<strong>in</strong><br />
• Gespräch<br />
den Vorfall (mit zeitlicher E<strong>in</strong>ordnung) möglichst genau<br />
schildern lassen (Massivität und Lokalisation der Verletzungen<br />
mit geschildertem Mechanismus <strong>in</strong> Beziehung setzen)<br />
Dokumentation der Schilderungen möglichst mit wörtlicher<br />
Rede (v. a. die Angaben der K<strong>in</strong>der)<br />
Den K<strong>in</strong>dern möglichst offene Fragen stellen<br />
Gespräch mit den Begleitpersonen nicht im Beise<strong>in</strong> der<br />
K<strong>in</strong>der
• Untersuchung<br />
Untersuchung allgeme<strong>in</strong><br />
Immer äußerliche Ganzkörperuntersuchung<br />
(ke<strong>in</strong>e apparative Diagnostik durch uns)<br />
Ausführliche Dokumentation<br />
Ausmessen der Verletzungen<br />
Anfertigung von Photografien mit Maßstab (auch<br />
Übersichtsaufnahmen!)<br />
E<strong>in</strong>zeichnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Körperschema
Quelle: www.unikl<strong>in</strong>ik-duesseldorf.de/rechtsmediz<strong>in</strong><br />
Untersuchung allgeme<strong>in</strong>
Untersuchung allgeme<strong>in</strong><br />
• Grundsätzlich kann e<strong>in</strong>e solche Untersuchung von jedem<br />
K<strong>in</strong>derarzt durchgeführt werden, aber:<br />
Erfahrung im Umgang mit KM ??<br />
Problem: zeitlicher Aufwand<br />
unterschiedlicher Blickw<strong>in</strong>kel Kl<strong>in</strong>ik – Forensik<br />
Dokumentation häufig nicht genau genug<br />
(z. B. „auffällige Hämatome“, „ Hämatome am<br />
Oberkörper“, „Schlagverletzungen“…)<br />
• Häufig entstehen unnötige zeitl. Verzögerungen bei der Vermittlung<br />
zu uns<br />
V. a. bei K<strong>in</strong>dern können Hämatome sehr schnell abgebaut werden
Mögliche Befunde<br />
Eher „unverdächtige“ Hämatomlokalisationen:<br />
Knie, Schienbe<strong>in</strong>e, Ellenbogen<br />
sog. prom<strong>in</strong>ente Körperstellen<br />
Eher „verdächtige Lokalisationen:<br />
Augen, Mund, Rücken, Gesäß<br />
eher „geschützte“ Körperstellen
Mögliche Befunde<br />
Häufig viele verschiedene und verschieden alte Verletzungen<br />
nebene<strong>in</strong>ander<br />
Im Verhältnis zum angegebenen Mechanismus viel zu <strong>in</strong>tensive<br />
Verletzungen<br />
Beachte: Störungen der Blutger<strong>in</strong>nung können auch zu vielen, teils<br />
auch sehr großen Hämatomen führen<br />
Auch Pigmentveränderungen führen manchmal zu<br />
Fehl<strong>in</strong>terpretationen (diese s<strong>in</strong>d jedoch schmerzlos, oft farblich<br />
sehr gleichmäßig und verändern sich nicht
Mögliche Befunde<br />
•„Doppelstriemen“ s<strong>in</strong>d klassisch für K<strong>in</strong>desmisshandlung<br />
Sie kommen durch kräftige Schläge mit langen dünnen<br />
Gegenständen zustande (z. B. Stock, Kabel, Hundele<strong>in</strong>e,…)<br />
• Auffällig <strong>in</strong>tensive Verfärbungen der Ohrmuscheln durch Schläge<br />
(„Ohrfeige“) oder kräftiges Ziehen an den Ohren<br />
• Verfärbungen an den Oberarmen durch kräftiges Festhalten -<br />
Griffspuren<br />
• Verfärbungen an den Unterarmen durch Schutzbewegungen (Arme<br />
schützen das Gesicht) - Abwehrverletzungen<br />
• Bissverletzungen (Größe der Verletzung zur Unterscheidung<br />
zwischen Biss durch anderes K<strong>in</strong>d oder Erwachsenen (Bisse auch<br />
<strong>in</strong> Zusammenhang mit sex. Übergriffen!)
Mögliche Befunde<br />
• Verletzungen bei Kle<strong>in</strong>stk<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d immer verdächtig<br />
(K<strong>in</strong>der, die sich noch nicht selbständig bewegen können,<br />
können sich auch kaum Verletzungen selbst zufügen!)<br />
• Verletzungen an den Innenseiten der Lippen, E<strong>in</strong>risse der<br />
Lippenbändchen durch Zuhalten des Mundes oder schläge<br />
auf den Mund<br />
• “Blaues Auge” ohne nachvollziehbare Unallanamnese<br />
verdächtig<br />
ABER: bei beidseits blauen Augen (Brillenhämatom) s<strong>in</strong>d<br />
durchaus Unfälle denkbar, z. B. “abgelaufene” Hämatome von<br />
Stirn und Nase oder bei Schädelbasisbrüchen<br />
• Rundliche Narben durch (absichtliche!) Verbrennungen mit<br />
Zigaretten
Mögliche Befunde<br />
• Petechiale (= punktförmige) E<strong>in</strong>blutungen als Folge e<strong>in</strong>es<br />
Würgens, vor allem im Bereich der Augen, h<strong>in</strong>ter den Ohren oder <strong>in</strong><br />
der Mundschleimhaut<br />
Belegen die Gefährlichkeit e<strong>in</strong>es solchen Übergriffs<br />
Können vere<strong>in</strong>zelt auch durch starkes anhaltendes Schreien<br />
oder Pressen verursacht werden, aber dann <strong>in</strong> aller Regel<br />
nicht e<strong>in</strong>er solchen Vielzahl wie bei e<strong>in</strong>er <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> den<br />
Hals (oder auch <strong>gegen</strong> den Brustkorb)<br />
Möglicherweise auch entsprechende Verletzungen am Hals<br />
sichtbar
Weitere Auffälligkeiten<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei misshandelten K<strong>in</strong>dern:<br />
• Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit<br />
• Depressiv-gespannte Haltung, Verhalten eher passiv-abwartend<br />
• Beobachtende Aufmerksamkeit (sog. „Frozen watchfulness“)<br />
• Rückfall <strong>in</strong> bereits überwundene Entwicklungsstufen (erneutes<br />
E<strong>in</strong>nässen, E<strong>in</strong>koten)<br />
• Essstörungen<br />
• …<br />
Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Psychologen!
Sonderfall Schütteltrauma<br />
Das Schütteltrauma (Shaken Baby Syndrome = SBS) stellt e<strong>in</strong>e<br />
spezielle Verletzungskomb<strong>in</strong>ation als Folge heftigen Schüttelns<br />
e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des (i. d. R. Säugl<strong>in</strong>ge) dar.<br />
Gehirn ist nicht im Schädel fixiert,<br />
es entstehen „Fliegkräfte“<br />
Gefäße zerreißen<br />
Gehirnzellen selbst werden durch<br />
Dehnungen und Stauchungen<br />
beschädigt, das Gehirn „schwillt<br />
an“ für Folgeschäden<br />
verantwortlicher Mechanismus
Sonderfall Schütteltrauma<br />
• Abrisse der sog. Brückenvenen führen zu Blutungen unter die<br />
harte Hirnhaut<br />
• Gefäßzerreißungen <strong>in</strong> der Netzhaut<br />
• z. T. Knochenbrüche der Arme oder der Rippen durch kräftiges<br />
Festhalten des K<strong>in</strong>des
Sonderfall Schütteltrauma<br />
• Typische E<strong>in</strong>lassung der Eltern:<br />
mit dem K<strong>in</strong>d auf dem Arm gehüpft<br />
kurzes Schütteln, weil das K<strong>in</strong>d sich verschluckt hat<br />
mit K<strong>in</strong>derwagen über Schotter gefahren, etc.<br />
Diese E<strong>in</strong>lassung s<strong>in</strong>d nicht geeignet, die Befunde zu erklären
Sonderfall Schütteltrauma<br />
• E<strong>in</strong>schätzung, die auch so <strong>in</strong> der Regel vor Gericht abgegeben<br />
wird:<br />
Das Schütteln e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es SBS ist e<strong>in</strong><br />
derart gewaltsamer Vorgang, dass auch für jeden<br />
mediz<strong>in</strong>ischen Laien <strong>in</strong> jedem Fall die Gefährlichkeit<br />
erkennbar ist !!<br />
• Prognose der geschüttelten K<strong>in</strong>der:<br />
Sterblichkeit 12 – 27 %<br />
> 2/3 der K<strong>in</strong>der erleiden neurologische Folgeschäden bis h<strong>in</strong> zum<br />
vollständigen Pflegefall
Möglichkeiten bei V. a. KM<br />
Vorgehen von Ärzten bei V. a. K<strong>in</strong>desmisshandlung:<br />
• K<strong>in</strong>desmisshandlung ist nicht meldepflichtig<br />
• Information von Jugendamt (oder Polizei) trotzdem ohne weiteres<br />
möglich im S<strong>in</strong>ne der Güterabwägung<br />
(Schweigepflicht vs. Schutz des K<strong>in</strong>deswohls)<br />
• K<strong>in</strong>desmisshandlung ist e<strong>in</strong> Offizialdelikt
Zusammenfassung<br />
• Körperliche Misshandlung hat viele Gesichter<br />
Schläge mit und ohne Gegenständen<br />
Festhalten, Kneifen, Beißen,…<br />
Verbrennungen / Verbrühungen<br />
Vernachlässigung<br />
Schütteltrauma<br />
Würgen, Kissen auf das Gesicht drücken,…<br />
ETC.
• Es gibt nichts, was es nicht gibt !<br />
Zusammenfassung<br />
• Nützlichstes Hilfsmittel im Umgang mit auffälligen Verletzungen ist<br />
Aufmerksamkeit und der gesunde Menschenverstand<br />
• E<strong>in</strong> guter K<strong>in</strong>derschutz kann nur funktionieren, wenn alle<br />
Beteiligten zur Kooperation bereit s<strong>in</strong>d und an e<strong>in</strong>em Strang ziehen<br />
• Es gibt Sicherheit, wenn man se<strong>in</strong>e Ansprechpartner kennt, bevor<br />
der Ernstfall e<strong>in</strong>tritt