30 Jahre Rotpunktverlag.

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24 Rotpunktverlag zum Geburtstag Karin Beindorff, geboren 1952 in Hannover, Studium der Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaften und Philosophie; seit 1989 Redakteurin beim Deutschlandfunk und dort seit 10 Jahren für Feature und Politische Literatur zuständig. Als Redakteurin einer politischen Literatursendung werde ich häufig gefragt: Wie entscheidet man eigentlich angesichts der unüberschaubaren Fülle von Neuerscheinungen, welche Bücher zu rezensieren sich lohnt? Welche Lektüre soll man warum empfehlen, auf welche Bücher aufmerksam machen, welche mit Nichtachtung strafen, oder vor welchen sollte man gar warnen? Was ist ein wichtiges Buch? Ich habe gelernt, mithilfe eines Instruments meine Auswahl zu treffen, das ich begründete Willkür nenne. Von der Vorstellung objektiver Kriterien jedenfalls muss man sich, nimmt man den Verstand der Hörer ernst, verabschieden. Hinter solch angeblich objektiven Maßstäben, sagt mir mein Argwohn, versteckt sich meist die Angst vor einem Fehlurteil, einer öffentlichen Blamage. Interessen, Bildung, Erfahrung, die genaue Beobachtung politischer, kultureller und nicht zuletzt wirtschaftlicher Entwicklungen schaffen die Voraussetzung für ein manchmal spontanes und notwendigerweise immer subjektives Urteil. Zweimal im Jahr türmen sich auf den Schreibtischen der Literaturredakteure die Kataloge der Verlage und verheißen mehr oder weniger sensationelle Neuerscheinungen. Man verbringt Tage damit, diese Angebote zu studieren, herauszufiltern, welche Themen und Autoren in die öffentliche Debatte gebracht werden sollten, welche Bücher Erkenntnisgewinne versprechen, die politische Auseinandersetzung gar beeinflussen könnten. Mit ein paar Jahren Erfahrung habe ich mir angewöhnt, zuerst einmal jene Kataloge aus dem großen Haufen zu fischen, die von eher kleinen und vor allem von den großen Multimedia-Konzernen unabhängigen Verlagen geschickt wurden. Verlage, die ein erkennbares Profil haben, die sich auf Themengebiete spezialisiert haben und die ihre Bücher an die Leser bringen wollen, weil Buch und Verlag etwas zu sagen haben. Der Verleger Kurt Wolff hat sein Credo kurz und knapp so beschrieben: Man verlege entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder von denen man meint, sie wollen sie lesen. Für Letztere brauche es nur eine Verlagstätigkeit, die weder Geschmack noch Enthusiasmus erfordere, man liefere nur die Ware, die gefordert sei. Und diese Unterscheidung zwischen Sollen und Wollen gilt noch heute; für Belletristik ebenso wie für sogenannte Sachbücher – eine Unterscheidung übrigens, die mir als Leserin immer ein wenig fragwürdig erschienen ist. Trotz hartem Konkurrenzkampf mit den großen Medienkonzernen, die diverse Verlage unter einem Dach vereinen, haben sich eine Reihe kleiner, unabhängiger Verlage behauptet, die auch heute noch die große Mehrzahl der meiner Meinung nach wirklich wichtigen und lesenswerten Bücher herausbringen – die Bücher, die wir lesen sollen. Zunächst einmal sehen diese Verlage nicht bloß auf Themen, die die Talkshows und kurzatmigen Feuilletons gerade entdecken und ausgiebig durchkauen, um sie dann sofort wieder zu vergessen. Verleger, Lektoren und Autoren der Kleinen sehen oft dorthin, wo andere gern den Mantel des Schweigens ausbreiten. Raul Hilbergs große Studie über die Vernichtung der europäischen Juden, die heute so gerne als Standardwerk und Pflichtlektüre apostrophiert wird, wäre zum Beispiel nie auf Deutsch herausgekommen, wenn der kleine linke Berliner Verlag Olle & Wolter das hohe Risiko der Veröffentlichung nicht auf sich genommen hätte – in einer Zeit, in der das Thema des nationalsozialistischen Massenmords und Hilbergs Umgang damit noch im Ruch des Anstößigen stand und größere Buchunternehmen mit besseren finanziellen Möglichkeiten die Herausgabe verweigert haben. Mit Politikerbiografien, Ratgebern und repräsentativ aufgemachten Geschichtsbänden, in denen zum x-ten Male angeblich Neues über Bismarck, Napoleon oder Hitler ausgebreitet wird, mag sich schnell viel Geld verdienen lassen, doch es sind die kleineren Verlage, in denen Bücher 25
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