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Gustav Klimt: Der Kuss

978-3-86859-309-9

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AGNES HUSSLEINARCO HG.<br />

MIT EINEM TEXT VON<br />

STEFANIE PENCK UND<br />

ALFRED WEIDINGER<br />

GUSTAV KLIMT<br />

<strong>Der</strong><br />

<strong>Kuss</strong><br />

„Liebespaar“


AGNES HUSSLEINARCO, Direktorin des Belvedere in Wien<br />

GUSTAV KLIMT und das Belvedere werden<br />

weltweit als untrennbare Einheit verstanden.<br />

Die Gründe dafür sind vielfältig,<br />

beruhen aber im wesentlichen auf der<br />

Tatsache, dass das Belvedere – bzw. seine<br />

institutionellen Vorgängerinnen Moderne<br />

Galerie und k. k. Österreichische Staatsgalerie<br />

– als Ort für die zeitgenössische<br />

österreichische Kunst einer Initiative Carl<br />

Molls und der Künstlergruppe um <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Klimt</strong> zu verdanken ist. 1903 befanden<br />

sich bereits drei <strong>Klimt</strong>-Gemälde (Nach<br />

dem Regen, Am Attersee, Josef Lewinsky)<br />

in der Sammlung und fünf Jahre später<br />

wurde die in der Wiener Kunstschau noch<br />

unvollendet gezeigte Monumentalikone<br />

Liebespaar (<strong>Der</strong> <strong>Kuss</strong>) erworben und<br />

nach ihrer Fertigstellung am 22. Juli 1909<br />

vom Künstler an das Museum ausgeliefert.<br />

In einer anlässlich der Neuaufstellung<br />

der Sammlung der Modernen Galerie in<br />

der Wiener Allgemeinen Zeitung 1916<br />

veröffentlichten Rezension findet sich<br />

eine interessante Einschätzung des<br />

damaligen Stellenwerts <strong>Klimt</strong>s und der<br />

Präsenz seines Hauptwerks:<br />

„Auch angesichts der noch embryonalen<br />

Wandfläche, die <strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong> beherrscht,<br />

gilt Goethes Spruch: Höchstes Glück<br />

der Erdenkinder ist nur die Persönlichkeit!<br />

Ein Kunstwissender hat es einmal<br />

gesagt, dass <strong>Klimt</strong> als ein Meteor am<br />

Himmel der Kunst selbstherrlich seine<br />

Bahn wählt. Er kommt von nirgendher<br />

und führt vielleicht nirgendhin. So wird<br />

der seltsame Hymnus der Liebe, den der<br />

Meister im ‚<strong>Kuss</strong>’ feiert, von den Kunsthistorikern<br />

der Zukunft in keine Schule<br />

der Zeit einzureihen sein. Ein Aufflammen<br />

von Prunk und schmückender<br />

Pracht; ein heißes Blühen und Duften<br />

umrauscht die sich einander Reigenden,<br />

12


welche die Last goldfunkelnder Pracht<br />

wie Gekrönte tragen. <strong>Klimt</strong> zelebriert<br />

hier die hohe Messe der Leidenschaft.<br />

Solches Höhenmaß der Stilisierung<br />

kann jedoch, ohne sich im Dekorativen<br />

zu verlieren, nur ein der Natur naher<br />

Künstler wagen.“<br />

Zeitlebens war <strong>Klimt</strong>s Arbeitsweise charakterisiert<br />

durch seine nie erlahmende<br />

Offenheit für künstlerische Errungenschaften<br />

und die beständige Aufnahme<br />

von Anregungen, die er dann in seinen<br />

persönlichen Stil verwandelte. Eindrucksvoll<br />

führt dies das Liebespaar vor Augen,<br />

das neben Gestaltungsprinzipien japanischer<br />

Kunst, byzantinischer Mosaikarbeiten<br />

oder mittelalterlicher Tafelmalerei<br />

auch die Auseinandersetzung mit dem<br />

Werk Auguste Rodins, George Minnes<br />

oder Edvard Munchs erkennen lässt. Am<br />

Höhepunkt seiner Goldenen Periode entstanden,<br />

bildet das Liebespaar unbestritten<br />

das Hauptwerk des berühmten Malers<br />

und ist zugleich das bedeutendste Kunstwerk,<br />

das der österreichische Jugendstil<br />

je hervorgebracht hat.<br />

Trotz der zahlreichen Verluste durch<br />

Restitution, Tausch, aber auch Zerstörung<br />

(das Fakultätsbild Medizin wurde 1945<br />

ein Raub der Flammen), die die <strong>Klimt</strong>-<br />

Sammlung zu verzeichnen hatte, besitzt<br />

das Belvedere mit insgesamt 24 Gemälden<br />

– Porträts, Landschaften und allegorischen<br />

Darstellungen – die weltweit größte<br />

Sammlung des bedeutendsten österreichischen<br />

Malers und ist, nicht zuletzt<br />

wegen <strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong>s Monumental ikone<br />

Liebespaar (<strong>Der</strong> <strong>Kuss</strong>), das meistbesuchte<br />

Museum Österreichs.<br />

13


„Wenn der<br />

sexuelle Akt<br />

ein Punkt ist,<br />

ist der <strong>Kuss</strong><br />

ein Komma.“<br />

ALEXANDRE LACROIX<br />

15<br />

001 | GUSTAV KLIMT: FREUNDINNEN | 1904 | DETAIL<br />

Bleisti auf Pergament mit Aquarell-Deckfarben, Silberbronze und<br />

Goldbronze gehöht, 50 x 20 cm, Belvedere, Wien


<strong>Kuss</strong><br />

<strong>Der</strong><br />

18<br />

WAS GIBT ES SCHÖNERES als die<br />

Darstellung der Liebe in der bildenden<br />

Kunst? Liebe und Erotik, nackte Haut<br />

und fleischliches Vergnügen haben bis<br />

ins 19. Jahrhundert hinein eine lange<br />

Tradition in der Kunst – solange sich das<br />

Thema mit einem allegorischen Rahmen<br />

versehen lässt. Man denke nur an die<br />

Darstellung der Susanna im Bade, nackt,<br />

von lüsternen Alten umlagert, in Rubens‘<br />

gleichnamigem Gemälde. Aber sobald dieser<br />

Rahmen verlassen wird, wenn Manet<br />

eine nackte Frau inmitten von wohlgekleideten<br />

Herren auf einer Picknickdecke<br />

platziert und sein Bild auch noch lapidar<br />

Frühstück im Freien nennt, ist der Skandal<br />

vorprogrammiert.<br />

Doch vom Ende des 19. Jahrhunderts bis<br />

in die 1920er Jahre wandelt sich das<br />

Bild, in der Malerei findet eine regelrechte<br />

„<strong>Kuss</strong>mode“ statt. <strong>Der</strong> <strong>Kuss</strong> wird zum<br />

Thema zahlreicher Gemälde, historisch<br />

verpackt oder isoliert als Ausdruck einer<br />

intensiven und intimen Gefühlswelt<br />

präsentiert. Er beflügelt schon seit Jahrtausenden<br />

literarisch und künstlerisch<br />

die Gemüter, seine Verweigerung, sein<br />

Hinhalten, sein flüchtiges Wesen, sein<br />

schmerzhaftes Trennen. <strong>Der</strong> <strong>Kuss</strong> kann


Abschied oder Begrüßung sein, wehtun<br />

oder jubilieren, gewollt oder ungewollt<br />

sein, in Komödie oder Tragödie enden,<br />

aber auch hinreißen, die Welt vergessen,<br />

Tore öffnen und neue Welten betreten<br />

lassen. <strong>Der</strong> <strong>Kuss</strong> von <strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong> ist<br />

auch deswegen zur Ikone der Österreichischen<br />

Galerie Belvedere in Wien<br />

geworden, weil das Bild eben genau davon<br />

erzählen kann, von der vielschichtigen<br />

Persönlichkeit eines besonderen Künstlers,<br />

von der Aufbruchstimmung der Zeit<br />

in Wien um 1900, von Bruch mit der<br />

künstlerischen Tradition, aber auch – und<br />

vor allem – von der Liebe.<br />

003 | GUSTAV KLIMT: PHILOSOPHIE, FAKULTÄTSBILD<br />

FÜR DIE UNIVERSITÄT WIEN | 1900 1907 | DETAIL<br />

Öl auf Leinwand, 430 x 300 cm, Elisabeth Bachofen-Echt, Wien<br />

(1945 verbrannt in Schloss Immendorf)


22<br />

005 | GUSTAV KLIMT:<br />

IM MOTORBOOT AUF<br />

DEM ATTERSEE | 1905<br />

Fotografiert von Emma Bacher<br />

(geb. Paulick), Silbergelatine,<br />

Privatbesitz<br />

an den Künstler angewiesen werden 5 –<br />

versteht sich sehr wahrscheinlich als<br />

eine Art „Ausgleichszahlung“, mit der<br />

<strong>Klimt</strong> für die Ablehnung der sogenannten<br />

Fakultätsbilder und das damit erfahrene<br />

Unrecht gewissermaßen entschädigt<br />

werden sollte. Noch während der Klärung<br />

der Formalitäten für die Abwicklung<br />

des Ankaufs reist <strong>Klimt</strong> wie im Sommer<br />

üblich an den Attersee und schreibt am<br />

16. Juli 1908 aus seiner Sommerresidenz<br />

an den zuständigen Ministerialsekretär<br />

Max von Millenkovich-Morold, dass er<br />

„selbstverständlich, das nicht ganz<br />

fertige Bild Liebespaar nach Schluss der<br />

Ausstellung sofort vollenden und selbst an<br />

das k. k. Ministerium abliefern werde“ 6<br />

(Abb. 6). Diese optimistische Prognose<br />

<strong>Klimt</strong>s stellt sich im Nachhinein als<br />

voreilige Äußerung heraus, da die Fertigstellung<br />

des Gemäldes und die daran<br />

ge knüpfte Anweisung der zweiten Rate<br />

des Kaufpreises erst im Juni 1909 nachweisbar<br />

sind. 7 Die physische Übernahme<br />

von <strong>Klimt</strong>s Liebespaar in das Inventar<br />

der Sammlung der Modernen Galerie er -<br />

folgt endlich am 22. Juli 1909. 8


006 | BRIEF VON GUSTAV KLIMT AN MAX<br />

VON MILLENKOVICHMOROLD | 16. JULI 1908<br />

Österreichisches Staatsarchiv, Wien


012 | GUSTAV KLIMT: LIEBE | 1895<br />

Farblithografie, Belvedere, Wien<br />

Die Darstellung von Liebespaaren beschäf -<br />

tigt <strong>Klimt</strong> schon zu einem sehr frühen<br />

Zeitpunkt seiner Karriere. So hat er dieses<br />

Thema schon 1895 in einem als Vorlage<br />

für einen Druck der Serie Allegorien und<br />

Embleme des Wiener Verlags Gerlach &<br />

Schenk entstandenen Gemälde bearbeitet<br />

(Abb. 11 + 12). 1894 wird er zusammen<br />

mit seinem Künstlerkollegen Franz<br />

Matsch beauftragt, die Decke des Großen<br />

Festsaales der Universität Wien mit Allegorien<br />

der vier klassischen Fakultäten<br />

– Jurisprudenz, Medizin, Philosophie und<br />

Theologie – zu gestalten.<br />

31<br />

011 | GUSTAV KLIMT: LIEBE | 1895 | DETAIL<br />

60 x 44 cm, Öl auf Leinwand, Wien Museum


023 | GUSTAV KLIMT: BEETHOVENFRIES | 1901/02 | DETAIL<br />

Mischtechnik auf Mörtelputz, Gesamtlänge: 34,14 m, Höhe: 2,15 m, Kaseinfarbe,<br />

Blattgold, Halbedelsteine, Perlmutt, Gips, Kohlesti, Bleisti auf Stuckgrundierung<br />

Belvedere, Wien (als Leihgabe in der Secession, Wien)<br />

Ein Liebespaar in inniger Umarmung wird von einem „Chor der Paradiesengel“<br />

begleitet. In dieser symbolischen Vereinigung finden wir <strong>Klimt</strong>s Interpretation von<br />

Schillers Gedicht „An die Freude“, die Beethoven in seinem 4. Satz der Symphonie<br />

vertonte: „Seid umschlungen Millionen! Diesen <strong>Kuss</strong> der ganzen Welt!“<br />

42<br />

Es ist denkbar, dass <strong>Klimt</strong> aus den Schöpfungen<br />

Rodins seine eigene Lösung der<br />

idealisierten „ewigen“ Liebe generiert. So<br />

wie Rodin sich in einem Großteil seiner<br />

Werke selbst als Liebhaber sieht, ist es<br />

<strong>Klimt</strong> ein Anliegen, sich in der männlichen<br />

Figur darzustellen. Allerdings ist<br />

sein Gesicht nahezu vollständig verdeckt,<br />

genauso wie bereits 1902 in der Szene der<br />

Umarmung im Beethoven-Fries (Abb. 24)<br />

und noch einmal in der Erfüllung des<br />

Materialfrieses für das Speisezimmer<br />

des Palais Stoclet in Brüssel. Damit nicht<br />

genug, gibt er durch den Efeukranz im<br />

Haar des Mannes der Darstellung ein<br />

antikes Gepräge.<br />

024 | GUSTAV KLIMT:<br />

BEETHOVENFRIES |<br />

1901/02 | DETAIL


50<br />

031 | GUSTAV KLIMT: JUDITH | 1901<br />

Öl, Blattgold, Goldfarbe auf Leinwand,<br />

84 x 42 cm, Belvedere, Wien<br />

<strong>Klimt</strong> benutzt die alttestamentliche Erzählung<br />

von Judith und Holofernes als Vorwand, eine<br />

moderne Frau zu präsentieren.


032 | GUSTAV KLIMT: SALOME | 1909<br />

Öl auf Leinwand, 178 x 46 cm, Galleria Internazionale<br />

d´Arte Moderna, Ca´ Pesaro, Fondazione<br />

Musei Civici Venezia, Venedig<br />

Im Zusammenhang mit <strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong>s<br />

leidenschaftlicher Beschäftigung mit der<br />

Auseinandersetzung der Geschlechter,<br />

die er in seinen visualisierten Liebespaaren<br />

und in Gemälden wie Judith<br />

(Abb. 31) sowie Salome (Abb. 32) deutlich<br />

unterstreicht, zählt auch die Literatur<br />

zu einer nicht unbedeutenden Quelle für<br />

sein künstlerisches Schaffen. Gerade mit<br />

seinem Liebespaar stützt er sich, wenn<br />

auch nicht vordergründig, auf das Motiv<br />

der Loreley von Heinrich Heine, das als<br />

archetypisch für den (hauptsächlich vom<br />

Mann postulierten) Geschlechter kampf<br />

angesehen werden kann. Heines Figur inspiriert<br />

unter ander em den französischen<br />

Maler <strong>Gustav</strong>e Moreau zu seinem 1864<br />

erstmals öffentlich vorgestellten Meisterwerk<br />

Ödipus und die Sphinx (Abb. 33), das<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong> bestimmt bekannt ist: Die<br />

marmorne Sphinx, ein zugleich erschreckendes<br />

und anziehendes Wesen mit dem<br />

Körper und den Krallen eines Löwen, aber<br />

dem Kopf und den Brüsten eines Weibes,<br />

verwandelt sich in eine Frau; sie lässt sich<br />

von Ödipus küssen, der dem Reiz ihrer<br />

Lippen nicht widerstehen kann.<br />

033 | GUSTAVE MOREAU: ÖDIPUS UND SPHINX | 1864<br />

Öl auf Leinwand, Metropolitan Museum of Art, New York<br />

51


038 | GUSTAV KLIMT: DER GOLDENE RITTER | 1903<br />

Öl und Gold auf Leinwand, 103,5 x 103,7 cm,<br />

Aichi Prefectural Museum of Art, Nagoya


In sehr ähnlicher Weise hat <strong>Klimt</strong> bereits<br />

den Hintergrund in seinem 1903 ent -<br />

standenen Gemälde <strong>Der</strong> goldene Ritter<br />

(Abb. 38) ausgeführt. Dieselbe Hintergrund<br />

beschaffenheit – eine Materialkombination<br />

aus Schlagmetall, einem<br />

Goldbronzegemisch und Ölfarben auf<br />

einer Grundierung aus Zinkweiß – weisen<br />

aber auch das 1907/08 entstandene<br />

Bildnis Adele Bloch-Bauer I (Abb. 39)<br />

und das nahezu zeitgleich gemalte Bild<br />

Hoffnung II (Abb. 40) auf. Mit dem sich<br />

aus dem Grund aufbauenden blumen übersäten<br />

Thron könnte durchaus das Seeufer<br />

vor der Villa Oleander in Kammerl<br />

am Attersee gemeint sein, zumal sich<br />

die bereits von den Bildern Freundinnen<br />

(Abb. 41) und Wasserschlangen (Abb. 42)<br />

her bekannten Algen im abhängenden,<br />

also wassernahen Bereich der Blumenwiese<br />

zeigen.<br />

59


1<br />

Wien um<br />

„<strong>Der</strong> Zeit ihre<br />

72<br />

050 | KÜNSTLERGRUPPENBILD<br />

DARUNTER GUSTAV KLIMT | UM 1903<br />

Silbergelatine, Privatbesitz<br />

WIEN UM 1900, das ist schon längst ein<br />

feststehender Begriff für ein schillerndes<br />

Gewebe aus so gegensätzlichen Paaren<br />

wie Traum und Wirklichkeit oder Tod und<br />

Eros – und aus großen Namen der euro päi -<br />

schen Kulturgeschichte. Am Be ginn eines<br />

neuen Jahrhunderts kon zen trieren sich<br />

hier in unvergleichlicher Dichte Höchstleistungen<br />

aus Architektur, Malerei,<br />

Literatur und Musik.


9009<br />

Kunst.<br />

<strong>Der</strong> Kunst ihre Freiheit.“<br />

Althergebrachte Traditionen, Ideen,<br />

politische und wirtschaftliche<br />

Strukturen stehen plötzlich auf dem<br />

Prüfstand: Das ausgehende 19. Jahrhundert<br />

gilt mit seinem Verständnis<br />

von Repräsentation in Prunk und<br />

Pracht plötzlich als degeneriert, der<br />

Historismus ist nicht mehr modern,<br />

sondern rückständig und bildet mit<br />

seinen überkommenen Vorstellungen<br />

den fruchtbaren Boden für neue<br />

Ideen: Sigmund Freuds Psychoanalyse,<br />

die Lust am Experiment in der angewandten<br />

Kunst, die atemlose Musik <strong>Gustav</strong><br />

Mahlers, die grandiose und heiß<br />

diskutierte neue Architektur eines<br />

Adolf Loos, aber auch der Streit und<br />

die Diskussionen mit und um die Künstler<br />

der Wiener Secession.<br />

(Abb. 50 – 54)<br />

73


80<br />

056 | WIENER SECESSION<br />

Fotografie um 1902<br />

1897 ist das Jahr, in dem das bis dahin<br />

sehr konservative Wien plötzlich aufwacht.<br />

<strong>Klimt</strong> und mit ihm eine Gruppe<br />

junger, aufstrebender Künstler haben<br />

genug von der starren akademischen<br />

Ausrichtung des Künstlerhauses und<br />

machen sich mit der Gründung einer<br />

eigenen Künstler gruppe, der Secession,<br />

selbstständig. Unter den fünfzig Gründungs<br />

mitgliedern finden sich neben<br />

ihrem Präsidenten <strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong> Maler,<br />

Architekten und Innenausstatter wie<br />

Josef Hoffmann, Koloman Moser, Joseph<br />

Maria Olbrich, Otto Wagner und Alfons<br />

Mucha (Abb. 58 – siehe nächste Doppelseite).<br />

Sie alle stellen sich gegen die<br />

konservativen Richtlinien am Künstlerhaus<br />

und die dort vorherrschenden am<br />

Historismus orientierten Einstellungen.<br />

Olbrich entwirft das Ausstellungsgebäude<br />

der Secession, das von einer Kuppel<br />

aus 3000 schmiedeeisernen Lorbeerblättern<br />

gekrönt wird, eine Inkarnation der<br />

Pflanzenträume des Wiener Jugendstils<br />

(Abb. 57).


057 | WIEN: AUSSTELLUNGS<br />

GEBÄUDE DER WIENER<br />

SECESSION | 1897/98,<br />

Architekt: Josef M. Olbrich,<br />

Außenansicht.<br />

In goldenen Lettern prangt der<br />

Wahlspruch der Künstlergruppe<br />

über dem Eingang.<br />

81


<strong>Der</strong><br />

Künstll<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong><br />

<strong>Der</strong> junge <strong>Klimt</strong> gehört noch ganz dem<br />

19. Jahrhundert, er ist für seine jungen<br />

Jahre erstaunlich erfolgreich, auch<br />

dank seines Netzwerkes aus der Künstlervereinigung.<br />

Zusammen mit seinem<br />

Bruder Ernst erhält er gut bezahlte<br />

Dekorations- und Ausstattungsaufträge<br />

in Schlössern, Theatern und öffentlichen<br />

Gebäuden (Abb. 63). Schon 1904 schreibt<br />

die Journalistin Berta Zuckerkandl:<br />

88<br />

063 | KARL SCHUSTER:<br />

GUSTAV KLIMT | 1892<br />

Sibergelatine, Belvedere Wien


er<br />

064 | GUSTAV KLIMT: SHAKESPEARES GLOBETHEATER, DECKENGEMÄLDE | 1886 87<br />

Feststiege Volksgartenseite, Burgtheater Wien.<br />

Das in höchster akademischer Tradition verfasste Bild ist das einzige Bild im Burgtheater, auf dem<br />

<strong>Klimt</strong> keinen antiken Stoff thematisiert, sondern die Gruszene aus Shakespeares Romeo und Julia.<br />

Hier findet sich auch das einzige gemalte Selbstporträt des Künstlers. Gemeinsam mit Ernst <strong>Klimt</strong><br />

und Franz Matsch hat er sich rechts im Bild unterhalb der Loge verewigt.<br />

„<strong>Der</strong> Beginn von <strong>Klimt</strong>s künstlerischer<br />

Laufbahn ließ die Kämpfe nicht ahnen, welche<br />

seine spätere Entwicklung begleiten sollten. ...<br />

Wäre <strong>Klimt</strong> an diesem Punkte seines Schaffens<br />

stehen geblieben, hätte er keine innere<br />

Wandlung erlitten, er wäre gewiss heute reich<br />

an äußeren Ehren und an Gütern. ... <strong>Klimt</strong><br />

war aus anderem Stoff. Nichts konnte die<br />

innere Unruhe seiner Künstlerseele dämpfen.“<br />

89<br />

BERTA ZUCKERKANDL<br />

Zeitkunst. Wien 1901 07, Wien 1908, zit. nach 150 Jahre <strong>Gustav</strong> <strong>Klimt</strong>, Wien 2012, S. 11


„Soll meine Jahre verschlingende<br />

Arbeit überhaupt vollendet werden,<br />

muss ich mir zuerst wieder Freude<br />

dazu verschaffen und diese fehlt<br />

mir vollständig, solange ich sie<br />

unter den jetzigen Verhältnissen<br />

als Staatsauftrag betrachten muss.“<br />

GUSTAV KLIMT<br />

Schreiben an das Ministerium im April 1905<br />

<strong>Klimt</strong> lässt sich also die Kritik an der<br />

künstlerischen Gestaltung nicht gefallen,<br />

er zieht seine Bilder zurück und beschließt,<br />

nie wieder einen öffentlichen<br />

Auftrag entgegenzunehmen. Er vollendet<br />

die Werke als Einzelstücke, da sie nun<br />

nicht mehr in einer zusammen hängenden<br />

Komposition ausgestellt werden können.<br />

Während des Zweiten Weltkrieges werden<br />

die Bilder nach Schloss Immendorf in<br />

Niederösterreich ausgelagert, das gegen<br />

Kriegsende von den Nationalsozialisten in<br />

Brand gesetzt wird. Alle darin aufbewahrten<br />

Kunstwerke werden zerstört. Heute<br />

können wir die Bilder nur noch durch<br />

Skizzen und Schwarzweiß-Fotografien<br />

betrachten. Einzig von einem Detail<br />

der Medizin ist noch zu Lebzeiten<br />

<strong>Klimt</strong>s eine Farbreproduktion entstanden<br />

(Abb. 69).<br />

<strong>Der</strong> Ablehnung <strong>Klimt</strong>s in akademischen<br />

und adligen Kreisen steht eine uneingeschränkte<br />

Bewunderung durch das<br />

intellektuelle Bürgertum entgegen. Aber<br />

woher kommt das? Das untergehende<br />

Habsburgerreich kann mit seiner unakademischen<br />

Kunst nichts anfangen, allein<br />

die Berufung <strong>Klimt</strong>s als Professor an die<br />

Akademie der Künste wird viermal vom


069 | GUSTAV KLIMT:<br />

MEDIZIN, FAKULTÄTSBILD<br />

FÜR DIE UNIVERSITÄT<br />

WIEN | 1900/07<br />

AUSSCHNITT: Hygieia<br />

Öl auf Leinwand,<br />

Detail, Farblithografie,<br />

Belvedere, Wien<br />

95


106<br />

„Alma ist schön, ist klug,<br />

geistreich, sie hat alles, was ein<br />

anspruchsvoller Mann von einem<br />

Weibe verlangen kann, im<br />

reichsten Maße, ich glaube, wo sie<br />

hinkommt, hinschaut in die<br />

Männerwelt, ist sie Herrin,<br />

Gebieterin, vielleicht war ihr dieß<br />

schon zu langweilig, vielleicht<br />

wollte sie einen kleinen Roman...<br />

– aber auch als Spielerei schien es<br />

mir gefährlich und nun wäre es an<br />

mir gewesen, vernünftig zu sein,<br />

der ich doch Erfahrung habe und<br />

von da an beginnt meine<br />

Schwäche... Findest Du es nicht<br />

begreiflich, daß es ihr gegenüber<br />

Momente giebt, wo die Gehirnthätig<br />

keit etwas unregelmässig<br />

wird, verworren?“<br />

GUSTAV KLIMT<br />

in einem Brief an Almas Stiefvater Carl Moll, 19.5.1899


079 | GUSTAV KLIMT:<br />

MARGARETHE<br />

STONBOROUGH<br />

WITTGENSTEIN | 1904<br />

Bleisti auf Packpapier,<br />

Privatbesitz<br />

080 | GUSTAV KLIMT:<br />

MARGARETHE<br />

STONBOROUGH<br />

WITTGENSTEIN |<br />

1904 | DETAIL<br />

Öl auf Leinwand, 180 x 90 cm,<br />

Neue Pinakothek, München


085 | ATELIER D´ORABENDA:<br />

EMILIE FLÖGE | FEBRUAR 1909<br />

Silbergelatine, Privatbesitz<br />

083 | GUSTAV KLIMT:<br />

EMILIE FLÖGE | 1902<br />

Öl auf Leinwand,<br />

181 x 84 cm, Wien Museum<br />

110<br />

084 | JOSEF HOFFMANN:<br />

SCHWESTERN FLÖGE<br />

FIRMENSCHILD |1904<br />

Salon des Wiener Haute-<br />

Couture-Geschäes entworfen<br />

vom Architekten Josef Hoffmann<br />

Beinahe alle Frauen, die in <strong>Klimt</strong>s Leben<br />

eine Rolle spielen, finden sich in seinen<br />

Werken wieder. Eine nimmt dabei die<br />

unbestrittene Hauptrolle ein: Emilie Flöge<br />

(1874-1952), die Schwägerin und Freundin,<br />

mit der ihn eine sehr enge Beziehung<br />

verbindet. Gemeinsam mit ihren Schwestern<br />

Helene und Pauline führt sie ab<br />

1904 das Wiener Haute- Couture-Geschäft<br />

„Schwestern Flöge“ (Abb. 84). In diesem<br />

von dem Architekten Josef Hoffmann<br />

entworfenen Salon präsentiert sie Modellkleider<br />

im Stil der Wiener Werkstätte.<br />

<strong>Klimt</strong> selbst entwirft für Emilie sogenannte<br />

„Reformkleider“, die unkonventionell<br />

und freizügig das neue Selbstbewusstsein<br />

der Frauen unterstreichen, ohne das bisher<br />

übliche Korsett, frei schwingend und<br />

in bequemen, weiten Schnitten.


Oder siegt<br />

die Liebe über<br />

den Tod, indem<br />

sie sich als<br />

stärker erweist,<br />

den Abgrund<br />

überwindet und<br />

in eine goldene<br />

Ewigkeit aus<br />

Liebe und Erotik<br />

übergeht?<br />

120<br />

096 | EMILIE FLÖGE UND<br />

GUSTAV KLIMT IM GARTEN<br />

DER VILLA OLEANDER IN<br />

KAMMERL AM ATTERSEE | 1910<br />

Silbergelatine, Privatbesitz

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