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GEDANKEN UND BILDER

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Albert Enz<br />

<strong>GEDANKEN</strong> <strong>UND</strong> <strong>BILDER</strong><br />

50 Jahre Abstand


<strong>GEDANKEN</strong> <strong>UND</strong> <strong>BILDER</strong><br />

50 Jahre Abstand<br />

Albert Enz<br />

2


Zum Geleit<br />

Die hier veröffentlichten Gedichte von Albert Enz<br />

stammen aus der Sturm und Drang Zeit, die er in Basel<br />

verbracht hat. Die sechziger Jahre des letzten<br />

Jahrhunderts, gezeichnet durch die Revolten der<br />

Jugend in Europa und den Vereinigten Staaten von<br />

Amerika, welche für eine offenere und freiere Welt für<br />

jedermann eintraten, ergaben auch für Albert Enz die<br />

ideale Voraussetzung sich geistig zu entfalten. Neben<br />

dem Studium der Naturwissenschaften versuchte er<br />

seine Emotionen in Gedichten, und später auch in<br />

Gemälden auszudrücken. In diesem kleinen Büchlein<br />

sind die vor etwa 50 Jahren entstandenen literarischen<br />

Impressionen seinen Bildern aus jüngster Zeit<br />

gegenübergestellt.<br />

3


Composition abstraite III 2013<br />

4


Beginn eines neuen Lebens – Abschluss<br />

Flucht war's durch zorniges Stachelgeflecht,<br />

durch Dickicht voll Zweifel und ängstlichem Bangen,<br />

gehetzt von der Todglut der eigenen Wangen,<br />

nicht achtend des Mondlichts ewiges Recht.<br />

Nun rastend am Rande der sterbenden Wälder,<br />

noch einmal blick ich die dornigen Felder,<br />

doch jetzt auch den weissen ehernen Schein,<br />

der wissend mich lenkt von nun ab allein.<br />

5


Après l'orage 2013<br />

6


Das Meer<br />

Gepeitscht von der Kraft des bleiernen Mondes,<br />

getrieben vom Urgeist des Alls,<br />

rast das Element der endlichen Sinne<br />

ins uferlose des grenzenlosen Spiegels.<br />

Und plötzlich glättet die einsame Stille<br />

des ziellosen Geistes irrsinnig Treiben,<br />

beklemmend herrscht das gespenstig Ruhige,<br />

es ahnt und fürchtet den lauernden Sturmwind.<br />

7


La côte étendue 2013<br />

8


Der Schrei<br />

Der kugelig-stumme Goldfisch schrie.<br />

Es schrie der Fisch, die Stummheit schrie,<br />

Aufschrie die Nacht, vom Räderwerk<br />

Im Gurgelfluss zerfleischt, zerquetscht.<br />

Sein Blut schrie auf. Es schrie der Kuss<br />

der Liebenden im Kerkerhof.<br />

Gelächter schrie und Lustgeschrei<br />

Sprang platzend auf aus Schläfers Schritt.<br />

Der Greis im Gitterfenster schrie<br />

Laut schreiend trank das Kind<br />

Die Hexenmilch die Kranke heilt.<br />

Und hellgrün schrie der Gasgeruch.<br />

Im Estrich aber wob Musik<br />

Aus Silberdunst ein Sternverlies.<br />

9


Un tourbillon passe 2013<br />

10


Des Lebens (W) ende<br />

Entkommen ist der Tanz der Vögel.<br />

Verzerrt erscheinen Töne Dir im Traum.<br />

Wandelnd durch Zeit und Raum<br />

scheinbar ohne Hemmnis<br />

streifen sie die Wirklichkeit von sich.<br />

Des Äthers Blau, das nieder steigt<br />

um Trost zu suchen<br />

bei Deiner Gegenwärtigkeit,<br />

begegnet nur dem Schatten Deines Schattens,<br />

dem Sitz der Liebe den er in sich birgt,<br />

lichterloh brennt es in keuschen Pflanzen.<br />

Dies Feuer, das sich selbst erhält,<br />

streckt Tränen zu des Himmels Blau.<br />

Netzt den Saum der Sphären<br />

mit golddurchtränkten Perlen, scheu,<br />

und ohne Sinn des eignen Seins.<br />

11


Toscane en printemps 2012<br />

12


Ferien<br />

Sandkörner rieseln<br />

durch die Hände,<br />

durch die Zehen.<br />

Vermengen sich mit Tau,<br />

mit Salz und Meer.<br />

Die Füsse lieben sich am Strand.<br />

Es bläst der Wind durch Wellen, Wogen<br />

kost mit seiner Anmut<br />

die Brüste nackter Menschen.<br />

Er bricht sich an den Zinnen starrer Strähnen<br />

die Finger biegen sie vergebens sanft zurück.<br />

Die Lippen formen Worte<br />

die das Licht verschlingt.<br />

Es kommt die grosse, neue Ahnung,<br />

mit weissen Segeln über spiegelglatte Flächen.<br />

13


Paysage du rêve 2013<br />

14


Geschwindigkeit: Brücke zum Übermenschen<br />

Rasende Fahrt gehetzter Motoren<br />

Hinüber zum besseren sein, ewig verloren<br />

Durch die jagende, von Wind und Nebel<br />

begleitende, übersinnlich gemachte<br />

von allen verachtete<br />

durch die Wogen des gepeitschten Himmels<br />

sich zerrende, zerrissene und aufgeschnürte<br />

menschlich nicht fassbare<br />

von der Hast der Zeit getrieben zur Ewigkeit<br />

nicht annehmbar verfrorene<br />

in Bodennähe abgefangene<br />

nie wieder auferstandene<br />

nicht auszumalende,<br />

über alle Grenzen stolpernde<br />

irrsinnig, wahnsinnige<br />

durch den Tod ausgedrückte<br />

im innersten verrückten Geschwindigkeit<br />

in eine bessere Welt gezogen.<br />

15


Paysage jaune 2012<br />

16


Jahres-wende<br />

Staub schlägt sich nieder<br />

in Fugen und Ritzen,<br />

Windspiele werden benötigt<br />

die ihn wieder ins Schweben bringen,<br />

so die Gedanken, die sich festlegen.<br />

Gedanken als Windspiele<br />

17


Le champ du pavot 2013<br />

18


Jahreszeiten<br />

Zeit, die dem Feuer entkommt!<br />

Rauch Verderben speiendes Unding!<br />

Erhärtend streicht und zwängt<br />

der Rat sich durchs Kamin,<br />

verfliegt als Dunst in unbekannte Gärten.<br />

Dem Tau, der neue Saat zum Leben weckt,<br />

erscheint im Traum ein Gott.<br />

Die Pflanzen scheiden sich in Zwiespalt,<br />

lehnen sich dagegen auf,<br />

bis Morgenröte Früchte bringt.<br />

Der Same fällt als sichter Stein,<br />

schwer und weinend<br />

auf des Planeten Antlitz nieder.<br />

Wo findet sich Erfüllung?<br />

Indes der Mensch die Scheune füllt.<br />

19


Champs en jaune et bleu 2013<br />

20


Mein Bild<br />

Ich zeichne ein Bild der flammenden Welt<br />

Und stelle es davor,<br />

Und durch den trüben Flor<br />

Scheint mir die Welt gedämpft, entstellt.<br />

Mein Bild! Die Flamme sengt und spannt es spröde,<br />

Reisst, dringt hindurch, zersprengt die Risse weit,<br />

Bricht rasend heran gehetzte Flammenöde<br />

Der Riesenwirklichkeit.<br />

Mit grellen Farben, Formen ohne Ende,<br />

Es fliesst und glüht und rast und schiesst,<br />

Ein tödlich gleissendes Geblende,<br />

Das sich gewaltig in die Augen giesst.<br />

Ich übertünche hastigblind das Bild,<br />

Dann öffne ich die Augen zur Betrachtung,<br />

In sicherer Verehrung und Achtung........<br />

Bis sich die graue Fläche wieder mit Rissen füllt.<br />

21


Composition abstraite 2013<br />

22


Nacht<br />

Die Nacht des Schleiers bricht<br />

der Tugend holdes Antlitz.<br />

Infernalisch streicht die Dunkelheit<br />

in das sternene Gebüsch.<br />

Ein Schrei öffnet Tore zur Seligkeit.<br />

Raubend stösst der Blitz<br />

die Leiter des Verwegenen zu Boden...<br />

Die Stille tötet den Genuss des Lebens,<br />

woran sich Mensch und Tier erlabt.<br />

Mit verhaltenem Mund,<br />

begegnen sich die Hände in Dunkelheit<br />

und können sich nicht finden,<br />

denn Nacht, Nacht, rund um sie.<br />

23


Port méditerranée 2013<br />

24


Die Nacht deines Haars<br />

Die Nacht deines Haars, das nach Seetang roch,<br />

ein tosendes Weltall in Muscheln und Hörnern,<br />

durchrieselt von Mondmilch und Sternenschnee,<br />

durchwühlt von den Nüstern schaumsprühender Rosse,<br />

durchbrüllt von der blutroten Mähne Neptuns.<br />

Die Nacht deines Haars, voller Algen und Schnecken<br />

voll lichtgrüner Ruh im Polypenwald,<br />

eisfunkelnden Seesterns, auf schlammigem Grunde<br />

ein schlafloses Auge, hohl, finster, und kalt.<br />

25


Patchwork composition 2013<br />

26


Reflexionen über „Mein Bild“<br />

Es ist ein Teil meiner selbst<br />

das ich schaffe,<br />

wie Blut aus meinen Fingern tropft<br />

die Farbe aus meinem Pinsel,<br />

Meine Sinne gebannt an eine Stelle,<br />

formt meine Hand des Werkes Helle,<br />

gewaltig ist dies Leben das aus ihm spricht,<br />

nur versteht es die grosse Menge nicht.<br />

Ich möchte jauchzen,<br />

über jeden Strich der gelungen,<br />

mich freuen über jede Form,<br />

die aus dem Nichts sich schält.<br />

Ist das Bild dann mal geschaffen<br />

staunend bewegt steh' ich davor.<br />

27


Feu catalan 2013<br />

28


Reflexionen<br />

Der Sonnenglut Nadeln<br />

stossen sich in den leblos nackt<br />

liegenden Körper,<br />

der vor Sekunden noch Wollust<br />

in sich getragen hat.<br />

Er ändert fortwährend des<br />

Dämonen gierigen Verlangens,<br />

der Feuerball, welcher<br />

in unermüdlichem Drang<br />

die liebkosenden Bahnen um uns zieht.<br />

Vor Sekunden noch voll<br />

des lüsternen Satyrs<br />

verraucht dem Leichnam<br />

die fleischliche Lust,<br />

der Geist erobert ihn selbst zurück.<br />

29


Impression d'une région irlandaise 2013<br />

30


Umbruch<br />

Es ist Zeit die Bücher zu verbrennen<br />

und das Haus zu verlassen.<br />

Zeit, die Strasse Unbekannt zu suchen<br />

und die Erinnerung im Staub zu verlieren.<br />

Ich muss mich hüten<br />

vorm herbstlichen Vogelflug,<br />

der die Spur unter den Fichten verwischt.<br />

Bald dem Lauf des Feuersalamanders folgen<br />

und in seiner Höhle schlafen, den Winter lang.<br />

Wenn ich alles vergessen habe, unter Pinien sagen,<br />

dass ich dich liebe!<br />

31


Composition abstraite II 2013<br />

32


Sehnsucht<br />

Immer sehnt sich nach Ruh<br />

und dämmriger Einkehr die Seele.<br />

Ob in totem Geröll,<br />

in giftig-trockener Hitze,<br />

ob unter siedendem Blei,<br />

dem tonlos verzischenden Himmel.<br />

Oder wo formlos geknäuelt<br />

in dunkel verworrenem Chaos<br />

qualvoll gedehnt zum Licht<br />

die Ungeborenen stöhnen.<br />

Immer sehnt sich das Herz<br />

nach Ruhe und schattiger Heimkehr,<br />

und im smaragdenen Grab<br />

ermattet der Zorn seines Mundes.<br />

33


Terre sacrée 2013<br />

34


Ursprung des Todes<br />

Ein Gott zerbrach den Spiegel ihrer Augen<br />

und brach die Frucht vom frischen, runden Mund,<br />

um ihren bittersüssen Saft zu saugen,<br />

da fühlte er der Jungfrau wunden Mund.<br />

Auch ihres Lächelns Schleier ward zerfetzt.<br />

Sie floh. Und mitten in der weiten Öde<br />

vom starken Gott darüber hin gehetzt,<br />

erstarrte sie. Die Haare wurden spröde.<br />

Verzweigten sich zu immergrüner Krone.<br />

Ihr Leib ward Stamm, dem Gotte ein Verbot.<br />

In hehrer Wehr verdorrte die Entflohene<br />

und aus des Stammes Höhlung kroch der Tod.<br />

35


Chute d'eau 2013<br />

36


Verirrt<br />

Befreie oh Krug der Erkenntnis,<br />

den Irren aus wächserner Hülle,<br />

weis ihm den Weg keuscher Perlen<br />

aus dem Eislabyrinth des irdischen Seins.<br />

Entfache die Flamme der sehenden Lilie.<br />

Öffne den Kelch den gierigen Lippen.<br />

Lass strömen des Goldes berauschende Fülle<br />

und untergehen den Zweifler im Tau der Erfüllung.<br />

37


Composition en bleu 2010<br />

38


Zweifel<br />

Nage, Wurm des Zweifels<br />

in der Tiefe meiner Seele.<br />

Gab es jemals Geister<br />

die dich nicht gekannt?<br />

Oh ja es gab sie hier<br />

man fand sie dort.<br />

So wie ich in meiner Brust<br />

hab damals sie getragen.<br />

Doch nun schon halb zerstört<br />

sehe ich hinein, in sie, in meine Seele<br />

schwammig, leck und ganz zerfressen<br />

findet sich ein Quäntchen Hoffnung nur.<br />

Vielleicht in ein paar Tagen<br />

verschwunden wird auch dieses sein.<br />

Ein Körper ohne Seele.<br />

Ein Mensch wird ohne Liebe sein.<br />

39


Paysage printanière 2013<br />

40


Nirwana<br />

Es treibt ein Sturm dein Schiff von hinnen.<br />

Gedanken ziehen gegen Osten,<br />

fassen sich zu Bildern,<br />

blühen gleich schweren Lotos auf.<br />

In Nebel gelöst, in Rauch verhangen<br />

verlässt das Antlitz den immer<br />

seligeren Ausdruck deiner Stimme,<br />

entrückend den Gesetzen dieser Erde,<br />

wartend auf das es niemals kommen wird.<br />

Verzweifelt wirft es ab der Lüge Kleid.<br />

Entfernt das Tuch der Borgenheit.<br />

Nacht in Träume aufgelöst,<br />

findet es die Wirklichkeit im Selbst seines Anderen.<br />

41


Titel und Entstehungsjahr<br />

Beginn eines neuen Lebens – Abschluss 1961<br />

Das Meer 1961<br />

Der Schrei 1960<br />

Des Lebens (W) ende 1964<br />

Ferien 1960<br />

Geschwindigkeit-Brücke zum Übermenschen 1962<br />

Jahres-wende 1964/65<br />

Jahreszeiten 1964<br />

Mein Bild 1965<br />

Die Nacht deines Haars 1963<br />

Nacht 1964<br />

Reflexionen über „Mein Bild“ 1965<br />

Reflexionen 1963<br />

Sehnsucht 1962<br />

Umbruch 1963<br />

Ursprung des Todes 1964<br />

Verirrt 1961<br />

Zweifel 1962<br />

Nirwana 1964<br />

42


Als “Dichter” vor 50 Jahren<br />

Als “Maler” heute 2013<br />

43


Nachwort<br />

„Ich spreche mit meinen Händen, du hörst mit deinen Augen »<br />

(Shi Tao, 1642-1707, chinesischer Maler Qing-Dynastie)<br />

„Je parle avec mes mains, tu ècoutes avec tes yeux „<br />

(Shi Tao), 1642-1707, peintre chinois Dynastie Qing)<br />

44


Bilder und Gedanken<br />

© Albert Enz, Riespach/France 2013<br />

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