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Nein danke, wir sterben nicht

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Bestattungsbranche<br />

Ritus<br />

<strong>Nein</strong> <strong>danke</strong>, <strong>wir</strong><br />

<strong>sterben</strong> <strong>nicht</strong><br />

Interview mit Thomas Nufer<br />

? Sie werden im Rahmen der diesjährigen<br />

Messe „Eternity“, die<br />

parallel zum „Tag des Friedhofs“<br />

vom 20.-22. September in Köln<br />

stattfinden <strong>wir</strong>d, das Theaterstück<br />

„Ritus – <strong>Nein</strong> <strong>danke</strong>, <strong>wir</strong><br />

<strong>sterben</strong> <strong>nicht</strong>“ inszenieren. Sie<br />

haben das Stück, in dem es um<br />

verschiedene Bestattungskulturen<br />

und Rituale geht, selbst geschrieben.<br />

Wie sind Sie auf diese<br />

ungewöhnliche Idee gekommen?<br />

Ursprünglich war das eine Idee<br />

von Herrn Averbeck, dem zunächst<br />

eine Art „Eins-zu-eins-Wiedergabe“<br />

verschiedener Beerdigungsriten<br />

vorschwebte, die während<br />

der diesjährigen „Eternity“ der<br />

Öffentlichkeit präsentiert werden<br />

sollten. Doch schon während der<br />

ersten Begegnung wurde uns klar,<br />

dass eine rein dokumentarische<br />

Umsetzung todlangweilig wäre.<br />

Ich schlug deshalb vor, ein Stück<br />

zu entwickeln, das sich viel provokativer<br />

mit den Tabuthemen Tod<br />

und Bestattung auseinander setzt.<br />

Herr Averbeck, der die ganze<br />

Sache mit viel Elan angepackt hat,<br />

war sofort überzeugt davon. Die<br />

Zusammenarbeit mit ihm ist <strong>wir</strong>klich<br />

sehr konstruktiv. 1998 war er<br />

auf mein Musical-Play „Sarajevo<br />

Love“ in Münster aufmerksam geworden.<br />

Erstaunlicherweise nahm<br />

dieses Stück über den Bosnienkonflikt<br />

und die Belagerung von<br />

Sarajevo das neue Projekt „Ritus“<br />

bereits in gewisser Weise vorweg,<br />

denn es begann mit der Trauer um<br />

vier getötete Muslime und einem<br />

muslimischen Totengebet.<br />

?<br />

?<br />

Welches Publikum wollen Sie<br />

mit Ihrem Projekt „Ritus“ erreichen?<br />

Alle Sterblichen.<br />

Kann man Beerdigungen überhaupt<br />

szenisch darstellen?<br />

Es wäre eine ziemlich trostlose<br />

Veranstaltung, wenn man lediglich<br />

Bestattungsformen aneinander<br />

reihen würde. Das wollte sich<br />

niemand ansehen. Es geht mir<br />

aber darum zu zeigen, dass die<br />

Art des Lebens und Sterbens in<br />

unmittelbarem Zusammenhang<br />

bestattungskultur 5/2002 24<br />

miteinander stehen. Ich versuche,<br />

verschiedenste Lebensentwürfe zu<br />

transportieren, vom leidenschaftlichen<br />

Jogger über den Homosexuellen<br />

bis zum alten Menschen.<br />

Jede Todesart hat einen direkten<br />

Bezug zur Individualität des Verstorbenen.<br />

Wichtig ist mir, dass<br />

das Stück die Kostbarkeit der ei-<br />

?<br />

genen Lebenszeit vor Augen führt.<br />

Hatten Sie bei der Konzeption<br />

des Stücks <strong>nicht</strong> die Sorge, dass<br />

es pietätlos sein könnte, selbst<br />

aus dem Tod ein Spektakel zu<br />

machen?<br />

Das ist eine schwierige Frage. Das<br />

mag vordergründig so <strong>wir</strong>ken,<br />

wenn man sich mit den letzten<br />

Dingen in einer eher unkonventionellen<br />

Form auseinander setzt.<br />

Das Theaterstück „Ritus –<br />

<strong>Nein</strong> <strong>danke</strong>, <strong>wir</strong> <strong>sterben</strong> <strong>nicht</strong>“<br />

von Thomas Nufer auf der<br />

diesjährigen „Eternity“ in Köln


?Die mediale Inszenierung des<br />

Todes ist doch eine Gratwanderung.<br />

Auf jeden Fall. Aber wenn es darum<br />

geht, Dinge bewusst machen<br />

zu wollen, sind viele Mittel erlaubt.<br />

Jeder weiß doch, Theater<br />

darf alles, nur <strong>nicht</strong> langweilig<br />

sein. Warum sollte ein Stück über<br />

Beerdigungsrituale da eine Ausnahme<br />

machen? Es soll informativ<br />

und gleichzeitig emotional bewegend<br />

sein. Das Theater ist dazu<br />

geschaffen, unsere verdrängten<br />

Ängste zu thematisieren. Unsere<br />

Gesellschaft ist medial überreizt<br />

und verwöhnt. Deshalb kann man<br />

die Aufmerksamkeit überhaupt<br />

nur noch erregen, wenn man die<br />

konservative Schiene verlässt. Und<br />

genau darum geht es. Die Zurückhaltung<br />

hat viel zu lange zur<br />

Tabuisierung des Themas beigetragen.<br />

Nirgends <strong>wir</strong>d aber gelehrt,<br />

wie man stirbt oder wie man sich<br />

einem Sterbenden nähert.<br />

Thomas Nufer<br />

? Es ist interessant, dass Sie die<br />

Ars moriendi ansprechen. Die<br />

Kunst des Sterbens war für die<br />

Gebildeten seit der Antike ein<br />

Teil der Ars vivendi, also der<br />

Lebenskunst. In der öffentlichen<br />

Debatte ist aber durchaus<br />

<strong>nicht</strong> mehr selbstverständlich,<br />

dass das Sterben zu Lebzeiten<br />

gelernt sein will.<br />

Ich glaube, das hängt vor allem<br />

damit zusammen, dass Tote keine<br />

Kreditkarten mehr brauchen. Man<br />

sieht halt <strong>nicht</strong> gern, was das<br />

Leben zur Farce macht. Daher ist<br />

die Bedeutung der Seele in einer<br />

so markt<strong>wir</strong>tschaftlich orientierten<br />

Gesellschaft wie der unseren vollkommen<br />

aus dem Blick geraten.<br />

Dieses Stück kommt deshalb genau<br />

zur richtigen Zeit. Wenn es<br />

mit „Ritus“ gelingen sollte, dass<br />

sich der Zuschauer mit seiner eigenen<br />

Vergänglichkeit auseinander<br />

setzt, wäre viel erreicht. Die<br />

Vergänglichkeit ist ein guter Lehrmeister<br />

– sie erinnert uns daran,<br />

dass <strong>wir</strong> uns aufs Wesentliche kon-<br />

?<br />

zentrieren.<br />

Bei Ihrer Inszenierung stehen<br />

kulturell verschiedene Todesrituale<br />

nebeneinander. Warum<br />

haben Sie sich für diesen<br />

Schwerpunkt entschieden?<br />

Es ist den meisten Menschen gar<br />

<strong>nicht</strong> bewusst, wie viele unterschiedliche<br />

Bestattungsarten es<br />

25<br />

überhaupt gibt. Da aber die Gesellschaft<br />

zunehmend individualistisch<br />

und interkulturell geprägt<br />

ist, steigt auch das Bedürfnis nach<br />

einem individuellen Begräbnis.<br />

Gleichzeitig sehnen sich die Menschen<br />

nach Traditionen und Ritualen.<br />

Gerade wenn der Glaube in<br />

Frage gestellt <strong>wir</strong>d, braucht der<br />

Mensch Führung in Extremsituationen.<br />

Rituale bringen gewiss<br />

keine Erlösung, aber sie geben Halt<br />

in Situationen der Sprachlosigkeit<br />

und des Unbegreiflichen. Man<br />

sieht daran die Grenzen der Unverbindlichkeit<br />

in unserer Gesell-<br />

schaft, an die <strong>wir</strong> gestoßen zu sein<br />

?<br />

scheinen.<br />

Sie haben auch eine Kurzfassung<br />

des Theaterstücks als<br />

szenische Lesung ausgearbeitet,<br />

die zu unterschiedlichsten Gelegenheiten<br />

aufgeführt werden<br />

kann. Hatten Sie dafür schon<br />

Anfragen?<br />

Ja. Die erste Lesung findet im Juni<br />

?<br />

in Düren in einem Sarglager statt.<br />

Die Uraufführung von Ritus<br />

<strong>wir</strong>d im Herbst in Köln stattfinden.<br />

Sind noch weitere Aufführungen<br />

geplant?<br />

bestattungskultur 5/2002

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