Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Schättruum<br />
Fotos: Fotolia, Sybex, istock<br />
Domenic, Florian<br />
und Lukas von<br />
der Isarnho-Schule in<br />
Gettorf im Kreis<br />
Rendsburg-Eckernförde<br />
haben sich in<br />
einem Kompaktseminar<br />
zu Handy-<br />
Scouts ausbilden<br />
lassen. Regelmäßig gestalten<br />
sie zweistündige<br />
Workshops für die 5. Klassen<br />
und klären ihre jüngeren Mitschüler<br />
über den verantwortungsvollen<br />
Umgang mit dem<br />
Handy auf.<br />
Erste große Pause. Aila*, 11 Jahre<br />
alt, ist neu an der Schule. Sie geht<br />
gleichzeitig mit Anne*, mit der<br />
sie sich angefreundet<br />
hat,<br />
auf die Schultoilette.<br />
In der<br />
nächsten<br />
Pause bemerkt<br />
sie, dass<br />
sich die Klassenkameraden<br />
ihr gegenüber<br />
plötzlich<br />
irgendwie<br />
komisch verhalten.<br />
Sie hat<br />
das Gefühl, dass<br />
über sie getuschelt<br />
wird.<br />
Einige Mitschüler lachen hinter<br />
vorgehaltener Hand und zeigen<br />
* Namen geändert<br />
Nützliche<br />
Internet-Links:<br />
www.handysektor.de<br />
www.jugendinfo.de<br />
www.klicksafe.de<br />
www.o2online.de/goto/<br />
jugendschutz<br />
Redaktion: Tonio Keller<br />
Gestaltung: Sonja Langbehn<br />
Ein Projekt zur Gewaltprävention und<br />
Förderung von Medienkompetenz in der Schule<br />
Wir sind Handy-Scouts!<br />
Lukas Richter (Gettorf),<br />
Domenic Maash (Revensdorf) und<br />
Florian Stoll (Osdorf) (v. li.) sind<br />
Handy-Scouts an der Isarnho-Schule<br />
in Gettorf – einem Gymnasium mit<br />
Regionalschulteil.<br />
Fotos: Bromm-Krieger<br />
mit dem Finger auf sie. Aila versteht<br />
das nicht. Was ist los?<br />
Erst einige Zeit später kommt<br />
die Wahrheit ans Licht: Anne hat<br />
mit ihrem Handy heimlich Fotos<br />
gemacht, die Aila<br />
auf der Toilette<br />
zeigen. Über ein<br />
Loch in der<br />
Toilettenzwischenwand<br />
hat die vermeintliche<br />
Freundin sie ausspioniert.<br />
Jetzt<br />
zeigt Anne die<br />
Handyaufnahmen<br />
bei den anderenMitschülern<br />
herum<br />
und findet das<br />
auch noch lustig. Aila ist die Sache<br />
unendlich peinlich. Doch was soll<br />
sie tun?<br />
Über diese Begebenheit haben<br />
die angehenden Handy-Scouts<br />
während ihres Seminars an<br />
der JugendAkademie Segeberg<br />
mit ihren zwei Trainern<br />
gesprochen und über Lösungsmöglichkeiten<br />
des<br />
Konflikts diskutiert. Sie<br />
haben eines gelernt: Wer<br />
absichtlich und heimlich<br />
eine Mitschülerin<br />
auf der Schultoilette<br />
oder in der Umkleide<br />
filmt, macht<br />
sich strafbar. „Den<br />
Schülern ist das oft<br />
gar nicht bewusst“,<br />
erklärt Domenic.<br />
Gegen Gewaltvideos<br />
auf Schüler-Handys<br />
Das Projekt „Handy-<br />
Scouts“ wurde in Schleswig-<br />
Holstein im Schuljahr<br />
2007/2008 für interessierte<br />
Schülerinnen und Schüler aus<br />
den 8. und 9. Klassen ins Leben<br />
Grundregeln<br />
Was kannst du machen?<br />
◆ Video & Foto: nur wenn der/<br />
die andere einverstanden ist!<br />
◆ Keine heimlichen Aufnahmen!<br />
◆ Reden statt prügeln oder<br />
mobben!<br />
◆ Probleme klären – nicht sich<br />
im Internet rächen<br />
◆ aufhören, wenn andere verletzt<br />
oder gedemütigt werden<br />
Das Schlagen/Mobben und jemanden<br />
mit dem Handy aufzunehmen<br />
ist kein Spaß,<br />
sondern Gewalt!<br />
◆ Stopp/Nein sagen<br />
◆ Zuschauer direkt zum<br />
Helfen auffordern<br />
Flyer zu dem Projekt.<br />
gerufen. Die<br />
Aktion<br />
Kinder- und<br />
Jugendschutz<br />
Schleswig-<br />
Holstein e.V.,<br />
die Jugend-<br />
Akademie<br />
Segeberg und<br />
der Kreisjugendring Stormarn führen<br />
es in Kooperation durch. Anlass<br />
sind die sich häufenden Fälle<br />
von Gewaltvideos auf Schülerhandys.<br />
Es geht um Handyaufnahmen,<br />
auf denen Gewalt gezeigt wird<br />
oder auf denen Menschen in peinlichen<br />
Situationen vorgeführt<br />
werden. Solche Fotos und Vi-<br />
Die Nummer<br />
gegen Kummer<br />
für Jugendliche:<br />
08 00-1 11 03 33<br />
◆ Hilfe holen<br />
◆ im Notfall: Tel.: 110<br />
◆ Vertrauensperson informieren:<br />
Lehrer, Konfliktlotsen,<br />
Mitschüler<br />
Gewaltszenen auf dem<br />
Handy:<br />
◆ Nicht weitersenden!<br />
◆ Mit Vertrauensperson<br />
darüber sprechen!<br />
(Diese Grundregeln wurden entwickelt<br />
von Schülerinnen und Schülern<br />
der Schulen:<br />
Ricarda-Huch-Schule, Kiel, Poul-<br />
Due-Jensen-Schule, Wahlstedt,<br />
Thomas-Mann-Schule, Lübeck,<br />
Isarnho-Schule, Gettorf)<br />
Mehr Infos über die Handy-Scouts<br />
im Internet unter www.akjs-sh.de<br />
oder www.kjr-storman.de
Ausbildung zum Handy-Scout<br />
Bis 2010 wurden schon 160<br />
Handy-Scouts in Schleswig-<br />
Holstein ausgebildet und<br />
damit rund 3.000 Schülerinnen<br />
und Schüler der 5. und 6.<br />
Klassen erreicht. Das Projekt<br />
deos nehmen Schüler zunehmend<br />
auf. Sie schicken die Aufnahmen<br />
von Handy zu Handy weiter oder<br />
stellen sie ins Internet, zum Beispiel<br />
bei YouTube, SchülerVZ oder<br />
Facebook. „Grund dafür sind Langeweile,<br />
Spaß, Rache, das Bedürfnis,<br />
dazugehören zu wollen, oder<br />
eigene Probleme“, weiß Lukas<br />
und ergänzt: „Die meisten machen<br />
sich nicht klar, wie schwerwiegend<br />
die körperlichen und<br />
seelischen Folgen von Handygewalt<br />
bei den Betroffenen sind.“<br />
Die Handy-Scouts haben sich<br />
während ihrer Ausbildung Gedanken<br />
gemacht, was sie dagegen<br />
tun können. Sie haben sich schulen<br />
lassen, um ihr Wissen an jüngere<br />
Mitschülerinnen und Mitschüler<br />
weiterzugeben. Die Ausbildung ist<br />
ein sogenanntes „Peer-to-Peer-<br />
Projekt“, das bedeutet übersetzt:<br />
von gleich zu gleich. Schüler bilden<br />
Schüler aus.<br />
Die Handy-Scouts haben hierfür<br />
in Rollenspielen hautnah erfahren,<br />
wie es sich anfühlt, „geschädigte<br />
Person“ oder<br />
„Täter“ zu<br />
sein, haben<br />
selbst Filme<br />
zum Thema<br />
gedreht und<br />
Handlungsstrategien<br />
für einen<br />
vernünftigen<br />
Umgang mit<br />
dem Handy erarbeitet.<br />
Dass<br />
psychische Gewalt<br />
genauso<br />
schlimm ist wie<br />
körperliche<br />
Gewalt, wissen<br />
sie. Außerdem<br />
können sie betroffenen<br />
Schülern wertvolle Hinweise<br />
geben, wie man sich gegen<br />
Handygewalt zur Wehr setzt.<br />
Sich selbst schützen und<br />
andere respektieren<br />
Das alles lief unter dem Motto<br />
„Sich selbst schützen und andere<br />
respektieren“.<br />
wird finanziell gefördert von<br />
der Medienanstalt SH und HH.<br />
Ein neuer Kompaktkurs für<br />
interessierte Schülerinnen und<br />
Schüler der 8. und 9. Klassen<br />
wird in den Herbstferien vom<br />
11. bis 14.10. angeboten.<br />
Weitere Infos unter www.akjs-sh.de. Anmeldungen an Jens Lindemann<br />
von der JugendAkademie, E-Mail: lindemann@vjka.de<br />
Nach der Ausbildung fühlen sich<br />
Domenic, Florian und Lukas jetzt<br />
fit, als Team in die 5. Klassen zu<br />
gehen und zweistündige Workshops<br />
anzubieten.<br />
Für diese Tätigkeit werden<br />
die 15-jährigen Schüler vom Unterricht<br />
freigestellt. Studienrätin<br />
Alexandra Kursawe ist ihre Ansprechpartnerin<br />
und für den organisatorischen<br />
Ablauf zuständig.<br />
Wenn die Handy-Scouts Hilfe<br />
brauchen, ist die betreuende Lehrerin<br />
selbstverständlich für sie da.<br />
Kommen die Handy-Scouts in<br />
die Klassen, werden sie dort schon<br />
sehnsüchtig erwartet. „Die Kids<br />
freuen sich, dass wir da sind, und<br />
machen bei unseren Aktionen toll<br />
mit. In den Pausen begrüßen sie<br />
uns später mit ‚Hey Scoutys’, das<br />
ist richtig niedlich“, schmunzeln sie.<br />
Bewusst kümmern sich die<br />
Handy-Scouts schwerpunktmäßig<br />
um jüngere Mitschüler. „Wir<br />
möchten präventiv arbeiten, also<br />
mit Schülern, die noch<br />
nicht direkt mit dem<br />
Thema in Berührung gekommen<br />
sind. Je früher sie informiert<br />
sind, desto besser.“ Die<br />
meisten Schüler haben spätestens<br />
ab der 5. Klasse ein eigenes<br />
Handy. Dabei schauen die Kids<br />
sich gern ab, wofür Gleichaltrige<br />
und ältere Jugendliche ihre<br />
Handys gebrauchen, und machen<br />
es dann nach.<br />
Schüler stellen<br />
Handyregeln auf<br />
„Wir wollen den jüngeren Schülern<br />
deshalb zeigen, was geht und<br />
was nicht“, bringt es Lukas auf<br />
den Punkt. Wichtig sei, zu vermitteln,<br />
dass das Handy nicht grundsätzlich<br />
schlecht ist. „Wir besprechen<br />
mit ihnen, welche Vorund<br />
Nachteile ein Handy hat, und<br />
erläutern die Technik. Die Kids sollen<br />
mit unserer Unterstützung lernen,<br />
eigene Bedürfnisse nach<br />
Spaß, Entspannung, Anerkennung<br />
und Eigenständigkeit auszuleben,<br />
Gewalt auf dem Handy – das solltest du wissen<br />
Wer jemanden ungefragt oder<br />
gegen seinen Willen mit seinem<br />
Handy filmt, kann sich<br />
strafbar machen, wenn er<br />
dabei die Intimsphäre der<br />
gefilmten Person verletzt.<br />
Heimliche Aufnahmen auf der<br />
Toilette oder in der Umkleide<br />
sind nicht erlaubt! Ob im Klassenzimmer,<br />
auf dem Pausenhof<br />
oder sonst wo: Wenn<br />
Jugendliche andere schlagen,<br />
demütigen oder auf andere<br />
Weise verletzen und dabei<br />
filmen, begehen sie damit<br />
meist mehrere Straftaten: zum<br />
Beispiel unterlassene Hilfeleistung,<br />
Körperverletzung, Freiheitsberaubung,<br />
Nötigung,<br />
Verletzung des Rechtes am<br />
eigenen Bild, Beleidigung,<br />
räuberische Erpressung oder<br />
Verherrlichung von Gewalt.<br />
Gefilmt oder nicht – diese<br />
kriminellen Handlungen können<br />
mit bis zu zehn Jahren<br />
Freiheitsstrafe, Geldstrafen<br />
oder anderen Sanktionen<br />
bestraft werden.<br />
(Quelle: www.jugend-und-bildung.de)<br />
Achtung – Jugend schützt vor Strafe nicht!<br />
Jugendliche sind ab 14 Jahren strafmündig. Das heißt, sie können<br />
für ihre Straftaten vor dem (Jugend-)Gericht verantwortlich<br />
gemacht werden (§19 Strafgesetzbuch)<br />
ohne anderen oder sich selbst<br />
zu schaden. Das beinhaltet,<br />
dass sie sich mit ihren Wertevorstellungen<br />
in der Clique,<br />
Familie, Schule oder in der<br />
Gesellschaft auseinandersetzen“,<br />
so Florian. Am Ende des<br />
Workshops erarbeiten die<br />
Klassen ihre eigenen Regeln<br />
für den Umgang mit dem<br />
Handy. Die Regeln und ein<br />
Ohne Handy läuft nichts!<br />
„Immer das neueste Modell zu haben,<br />
ist unter Schülern sehr populär. Das<br />
Handy gilt als Statussymbol“, weiß<br />
Domenic Maash.<br />
Plakat über Handygewalt<br />
hängen sie anschließend<br />
im Klassenzimmer auf.<br />
Domenic, Florian und Lukas<br />
sind froh, dass es an ihrer Schule<br />
noch keinen Fall von Gewaltvideos<br />
auf Schülerhandys gegeben<br />
hat. Bestimmt liegt das daran,<br />
dass ihre Schule in einer sehr länd-<br />
lich geprägten und ruhigen Gegend<br />
und nicht in einer Großstadt<br />
liegt, vermuten sie.<br />
Die drei Schüler der 9 l haben es<br />
bisher nicht bereut, beim Handy-<br />
Scout-Projekt mitzumachen. Für<br />
die Ausbildung gab es ein Zertifikat<br />
und für ihre Workshops einen<br />
positiven Vermerk im Zeugnis<br />
sowie ein dickes Lob vonseiten der<br />
Mitschüler und Lehrer.<br />
Übrigens: Eine mögliche Lösung<br />
im Fall von Aila könnte so aussehen:<br />
Aila berichtet ihrer Mutter<br />
und einer Freundin über den Vor-<br />
fall in der Schule. Mit deren Unterstützung<br />
traut sie sich, am nächsten<br />
Tag ihrer Klassenlehrerin von<br />
dem Vorfall zu erzählen. Diese<br />
spricht ein ernstes Wort mit Anne<br />
und der Klasse. Anne löscht die<br />
Fotos auf ihrem Handy und entschuldigt<br />
sich bei Aila.<br />
Silke Bromm-Krieger<br />
schaettruum@bauernblattsh.de