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Gustav-Mahler-Schnitzeljagd - Wiener Konzerthaus

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Unterrichtsmaterial „Begegnung als Brückenschlag“<br />

zur Vorbereitung auf die<br />

„<strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong>“<br />

am Montag, 16. Mai 2011<br />

und die Generalprobenbesuche:<br />

unisono<br />

<strong>Wiener</strong> Philharmoniker<br />

unter der Leitung von Daniele Gatti<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>: 9. Symphonie<br />

Mittwoch, 18. Mai 2011, 11:00 Uhr in der <strong>Wiener</strong> Staatsoper<br />

San Francisco Symphony Orchestra<br />

unter der Leitung von Michael Tilson Thomas<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>: 6. und 9. Symphonie<br />

Montag, 23. Mai 2011, 10:30 Uhr im Großen Saal des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es<br />

Dieses Unterrichtsmaterial ist für Schülerinnen und Schüler der Oberstufenklasse<br />

(insbesondere 9.-13. Schulstufe) konzipiert. Es möge den Schülerinnen und<br />

Schülern zur Vorbereitung auf die <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong> und die Generalprobenbesuche<br />

im Mai 2011 dienen.<br />

Dieses Vermittlungsprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, Jugendlichen die Musik<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>s, sein Wirken in Wien sowie die gesellschaftlichen und kulturellen<br />

Aspekte der Geschichte Wiens um 1900 näherzubringen. Einige der Themenstellungen<br />

weisen über den Musikunterricht hinaus und laden Lehrende der<br />

Unterrichtsfächer Deutsch, Geschichte, Psychologie, Ethik/Religion, Bildnerische<br />

Erziehung u. a. ein, die Themen in Form der mitgelieferten Arbeitsblätter in<br />

ihren Unterricht einfließen zu lassen.<br />

Wir wünschen viel Freude beim gemeinsamen Erarbeiten!<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong>


Liebe junge Leserinnen und Leser!<br />

Vor Euch liegt der Schlüssel zur „<strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong>“. Wir haben uns<br />

viel Mühe gegeben, um Euch <strong>Gustav</strong>s bewegtes Leben und seine faszinierende<br />

Musik anschaulich darzustellen.<br />

Ein Tipp: Seitliche Markierungen zeigen Textpassagen an, die bei der Lösung<br />

der <strong>Schnitzeljagd</strong>aufgaben besonders hilfreich sein könnten.<br />

Wir wünschen Euch eine aufregende Tour durch Wien!<br />

Das Team des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es und der <strong>Wiener</strong> Staatsoper<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong>


Inhalt S.<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> – Leben und Werk (Teil 1)<br />

1. „Du lieber Augustin“ – <strong>Mahler</strong>s Kindheit 1<br />

2. Dirigentenkarriere in Europa 2<br />

3. Der Zeitgenosse <strong>Mahler</strong> 3<br />

4. <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>s Musik – ein „tönendes Universum“ 4<br />

5. <strong>Mahler</strong> als Opernreformer 5<br />

6. <strong>Gustav</strong> & Alma – große Liebe, großes Leid 6<br />

7. <strong>Mahler</strong>s Lebenswelt: Wien um 1900 8<br />

8. „Der Kunst ihre Freiheit!“ – Kunst und Architektur 9<br />

9. Literatur und Psychoanalyse 12<br />

10. <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> in New York – Abschied 13<br />

Literaturauswahl, Bildnachweis 15<br />

San Francisco Symphony Orchestra & <strong>Wiener</strong> Philharmoniker 16<br />

Werke im Detail (Teil 2)<br />

11. Sechste Symphonie: Dieses Werk „wird Rätsel aufgeben“ 17<br />

12. Neunte Symphonie: Aufbruch in eine neue Welt 19<br />

Arbeitsblätter<br />

Arbeitsblatt 1: <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> – jüdisch, katholisch, heimatlos<br />

Arbeitsblatt 2: Arthur Schnitzler – „Leutnant Gustl“<br />

Arbeitsblatt 3: <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> trifft Sigmund Freud<br />

Arbeitsblatt 4: Bau des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es – „Ein Haus für alle“<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong>


ultz · Foto: Lukas Beck<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong><br />

„Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!“<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> (1860 – 1911)<br />

In seinen Symphonien schuf <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> seine eigene Welt.<br />

„Denken Sie sich, dass das Universum zu tönen und zu klingen<br />

beginnt. Es sind nicht mehr menschliche Stimmen, sondern<br />

Planeten und Sonnen, welche kreisen“, sagte er über seine<br />

Achte Symphonie. In seiner Musik konnte <strong>Mahler</strong> all seine<br />

Gefühle zum Ausdruck bringen – Ängste, Zweifel, Einsamkeit,<br />

Glücksgefühle, Lebensfreude oder auch seine Faszination<br />

für die Natur.<br />

In seiner Neunten Symphonie – die letzte, die er vollendete<br />

– stieß er an die Grenzen des traditionellen Tonsystems.<br />

Seine Musik war somit das Bindeglied zwischen der älteren<br />

und der jüngeren Komponistengeneration in Wien um<br />

1900. <strong>Mahler</strong> pflegte und achtete die Tradition, aber er wusste<br />

sie kritisch zu hinterfragen und Wege zu einer neuen Klangsprache zu entdecken.<br />

Er stellte große Ansprüche an die Kunst und verlangte, dass sie direkt<br />

zu den Menschen spräche. Wer war dieser faszinierende Komponist und wie<br />

setzte er all seine Gedanken in der Musik um? Gehen wir auf Spurensuche!<br />

1. „Du lieber Augustin“ – <strong>Mahler</strong>s Kindheit<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> wird 1860 in einem Dorf im Grenzgebiet zwischen Böhmen<br />

und Mähren (heute Tschechien) geboren. Seine Eltern gehören der deutschsprachigen<br />

jüdischen Bevölkerungsgruppe an. Sie versuchen sich in den<br />

Kaufmannsstand emporzuarbeiten. Das Streben nach einer höheren gesellschaftlichen<br />

Stellung ist für sie von besonderer Bedeutung, da sie mitten unter<br />

Deutschen und Tschechen lebend als Juden allen möglichen Vorurteilen aus-<br />

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gesetzt sind. In <strong>Gustav</strong>s erstem Lebensjahr zieht die Familie nach Iglau, in eine<br />

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florierende Handelsstadt. <strong>Gustav</strong>s Vater betreibt eine Schnapsbrennerei samt<br />

Ausschank. Seine Mutter wird in ihrem Leben rund 14<br />

Kinder gebären (exakt ist das nicht dokumentiert),<br />

von denen nur sieben das Kleinkindalter überleben.<br />

<strong>Gustav</strong>s Lieblingsbruder Ernst stirbt im Alter von 13 Jahren.<br />

Schon früh flüchtet sich <strong>Gustav</strong> in eine Traumwelt.<br />

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<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> im Alter von 6 Jahren<br />

<strong>Gustav</strong> hatte Angst, von dem großen Fotoapparat verschluckt zu<br />

werden. Erst als der Vater fotografiert worden war, ohne dass ihm etwas<br />

passierte, war <strong>Gustav</strong> zu bewegen, vor die Kamera zu treten. Dass seine<br />

linke Hand auf einem Notenblatt ruht, zeugt davon, dass die Familie<br />

seine musikalische Begabung wahrgenommen hat.<br />

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Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

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1


Sein außerordentliches musikalisches Talent zeigt sich bereits im Kleinkindalter.<br />

Angeblich merkt er sich schon als Dreijähriger jede Melodie. Man schenkt ihm<br />

eine Ziehharmonika. Mit sechs Jahren beginnt <strong>Gustav</strong> zu komponieren (vorerst<br />

ohne die Notenschrift zu beherrschen) und Klavier zu spielen. Als Zehnjähriger<br />

absolviert er sein erstes öffentliches Konzert als Pianist. Am meisten scheint den<br />

Buben die Musik der Militärkapelle zu faszinieren, die in der Garnisonsstadt<br />

Iglau zum Alltagsleben dazu gehört und die später in vielen seiner Symphonien<br />

durchklingen wird. Auch die böhmisch-mährischen Melodien und Rhythmen<br />

der Tanzkapellen, die <strong>Mahler</strong> auf den Volksfesten erlebt, bleiben ihm in<br />

lebendiger Erinnerung.<br />

Die familiäre Situation ist angespannt, die Eltern haben oft heftige Auseinandersetzungen.<br />

<strong>Mahler</strong> stellt später fest, dass die Eltern überhaupt nicht zueinanderpassten<br />

(der Vater sei cholerisch und starrsinnig gewesen, die Mutter<br />

sanftmütig). <strong>Mahler</strong> erinnert sich an jene Episode, als er als kleiner Junge aus<br />

dem Haus lief, da seine Eltern einen Streit austrugen. Auf der Straße hörte er<br />

einen Leierkastenspieler, der gerade das <strong>Wiener</strong> Lied „Oh du lieber Augustin“<br />

darbot. Dieses Erlebnis erzählt er Jahrzehnte später dem berühmten Psychoanalytiker<br />

Sigmund Freud. Seit dieser Begegnung mit dem Drehorgelspieler, so<br />

Freud, haben „sich in seiner Seele tiefe Tragik und oberflächliche Unterhaltung<br />

unlösbar verknüpft“ (vgl. Kap. 9 und Arbeitsblatt 3)<br />

2. Dirigentenkarriere in Europa<br />

Im Alter von 15 Jahren übersiedelt <strong>Gustav</strong> nach Wien, um hier Klavier und<br />

Komposition zu studieren. Das Konservatorium ist zu dieser Zeit im Musikverein<br />

untergebracht. Mit zwanzig Jahren nimmt er sein erstes Engagement als<br />

Dirigent an. Daraufhin beginnen seine künstlerischen „Wanderjahre“ – er<br />

verbringt jeweils ein oder mehrere Jahre an Opernhäusern in der Donaumonarchie<br />

(u. a. Prag, Budapest) und<br />

im Kaiserreich Deutschland (u. a.<br />

Leipzig, Hamburg). So verdient er<br />

sich seine Sporen als Dirigent. Mit<br />

28 Jahren wird <strong>Mahler</strong> Direktor<br />

der königlichen ungarischen Oper<br />

in Budapest. Im Jahr darauf sterben<br />

seine Eltern und er muss für<br />

den Lebensunterhalt der jüngeren<br />

Geschwister aufkommen. Seine<br />

Schwester Justine führt ihm den<br />

Haushalt. Dem Höhepunkt seiner<br />

Bau des Parlaments, 1875: In diesem Jahr kommt<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> in Wien an. Im Hintergrund ist die<br />

bereits fertiggestellte Votivkirche zu sehen. Rathaus,<br />

Burgtheater und Universität fehlen noch.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

2


Karriere nähert sich <strong>Mahler</strong> 1897, als er zum Direktor<br />

der <strong>Wiener</strong> Hofoper (heute: <strong>Wiener</strong> Staatsoper) ernannt<br />

wird. Diese Institution gilt zu dieser Zeit bereits<br />

als eines der berühmtesten Opernhäuser Europas.<br />

Mit den <strong>Wiener</strong> Jahren beginnt der vielleicht intensivste<br />

Abschnitte in <strong>Mahler</strong>s Leben, der ihm künstlerisch<br />

wie privat große Glückserlebnisse, aber auch<br />

ernste Krisen bescheren wird. Es ist jene Zeit, in der<br />

er seine große Liebe Alma trifft, in der einige seiner<br />

wichtigsten Kompositionen entstehen und in der er<br />

als Operndirektor revolutionäre Reformen einleitet.<br />

3. Der Zeitgenosse <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong><br />

Wie sah <strong>Mahler</strong> eigentlich aus?<br />

Zeitgenossen beschreiben ihn als kleingewachsen<br />

(er war ca. 1,60m groß), mager und sportlich. <strong>Mahler</strong><br />

war einer der ersten Fahrradfahrer in Wien und<br />

ein begeisterter Wanderer. Seine steile Stirn war<br />

umrahmt von tiefschwarzem Haar, sein Blick wach<br />

und herausfordernd, oft wirkte er sehr nachdenklich,<br />

seine Bewegungen erschienen meist ruckartig und<br />

vorwärtsstürmend (oder „vorwärtsdrängend“, wie er<br />

mehrere Male als Spielanweisung in seinen Partituren<br />

[=Notentext] vermerkte).<br />

Der französische Bildhauer Auguste Rodin hat den<br />

Kopf <strong>Mahler</strong>s vielleicht am eindrucksvollsten porträtiert.<br />

Alma <strong>Mahler</strong> schenkte die bronzene <strong>Mahler</strong>-<br />

Büste der <strong>Wiener</strong> Staatsoper, wo sie heute noch<br />

steht.<br />

Ein Zeichen von Anspannung war das Kauen an seinen<br />

Fingernägeln, das er in seiner Jugendzeit offenbar<br />

so exzessiv betrieb, dass die Nägel oft bis auf das<br />

Nagelbett abgekaut waren.<br />

<strong>Mahler</strong> war eine vereinnahmende Erscheinung. „In<br />

seinem Inneren loderte es immer, und es gab keine<br />

Stunde bei <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>, wo sein Inneres nicht<br />

Gedanken herausschleuderte, wo man nicht von<br />

ihm empfing“, berichtet ein Zeitgenosse. Und ein an-<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

<strong>Mahler</strong> in seiner Hamburger<br />

Zeit (1892)<br />

<strong>Mahler</strong> im letzten Jahr seiner<br />

Amtszeit als Direktor der<br />

<strong>Wiener</strong> Hofoper (1907)<br />

<strong>Mahler</strong> mit Tochter Anna,<br />

1909 in Toblach (Südtirol)<br />

derer: „<strong>Mahler</strong> übte seine Kunst mit ganzer Liebe und Hingebung aus, fast bis<br />

zur Selbstvernichtung. Sein heißer Schöpferdrang ließ ihn stets unbefriedigt.“<br />

<strong>Mahler</strong> konnte schnell aufbrausend werden, wenn er in Aussagen anderer<br />

Ungerechtigkeit oder Dummheit ortete. Er konnte es nicht leiden, wenn man<br />

Menschen diskriminierte und demütigte oder wenn man sich gegen Unrecht<br />

nicht wehrte und dem Geschehen in der Welt teilnahmslos gegenüberstand.<br />

3


Er war sehr streng mit anderen, aber auch mit sich selbst. Bezeichnend ist sein<br />

Ausspruch: „Das ist das europäische Laster, das alle sagen: das geht mich nix<br />

an. Die Welt geht mich was an!“<br />

<strong>Mahler</strong> fühlte sich „dreifach heimatlos“: „als Böhme unter den Österreichern,<br />

als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt. Überall<br />

bin ich ein ungerufener Gast, überall unerwünscht.“ Mit dieser Betrachtung<br />

bringt er das gesellschaftliche Dilemma seiner Zeit, den virulenten Rassismus<br />

und Antisemitismus (=Judenfeindlichkeit), auf den Punkt.<br />

Die antisemitischen Angriffe auf <strong>Mahler</strong> und seine Musik reißen erst recht nicht<br />

ab, als er zum Hofoperndirektor in Wien ernannt wird. Kurz bevor <strong>Mahler</strong> seinen<br />

Vertrag unterzeichnet, lässt er sich römisch-katholisch taufen, aus Sorge,<br />

seine jüdische Abstammung könne ihm den Einzug in die Hofoper verwehren.<br />

Verstörend sind die antisemitischen Aussagen seiner eigenen Ehefrau, Alma.<br />

Ihren Tagebuchaufzeichnungen sind haarsträubende Vorurteile und feindliche<br />

Aussagen gegenüber der jüdische Bevölkerung zu entnehmen, nichtsdestotrotz<br />

ehelicht sie in ihrem Leben zwei Mal einen Mann jüdischer Abstammung,<br />

nämlich <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> und den Schriftsteller Franz Werfel.<br />

4Arbeitsblatt 1: <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> – jüdisch, katholisch, heimatlos<br />

4. <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>s Musik – ein „tönendes Universum“<br />

Für <strong>Mahler</strong> ist Musik ein Sprachrohr der Gefühle. Sie beginnt für ihn dort, wo<br />

das gesprochene Wort nicht mehr ausreicht, um Empfindungen auszudrücken.<br />

<strong>Mahler</strong> komponiert fast ausschließlich Symphonien, lange und groß besetzte<br />

Orchesterwerke, die oft eine Vielzahl von unterschiedlichen Stimmungen und<br />

Klangsphären umfassen. Einige seiner Symphonien enthalten auch Gesang.<br />

<strong>Mahler</strong> setzt für seine Zeit ungewöhnliche Klangkörper ein, etwa Herdenglocken,<br />

Rute, Hammer und Mandoline. In seiner Musik vereinen sich starke<br />

Kontraste. Zarte Melodien treffen auf rastloses Vorwärtsstürmen, Ironie und<br />

Sarkasmus auf Heiterkeit. Erinnerungen an die Musik seiner Kindheit kehren in<br />

den Symphonien wieder, sie werden von <strong>Mahler</strong> aber nicht bloß zitiert, sondern<br />

verändert und in andere Zusammenhänge gestellt, sodass sie eine neue<br />

Bedeutung erhalten.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

4


Anna Bahr-Mildenburg zählte<br />

aufgrund ihrer herausragenden<br />

schauspielerischen und stimmlichen<br />

Fähigkeiten zu <strong>Mahler</strong>s<br />

Lieblingssängerinnen (1910).<br />

Wilhelm Hesch war ebenfalls<br />

einer der Stars in <strong>Mahler</strong>s <strong>Wiener</strong><br />

Opern-Ära (1901).<br />

5. <strong>Mahler</strong> als Opernreformer: leibhaftige Gestalten statt leerer Gesichter auf<br />

der Bühne<br />

Als Hofoperndirektor leitet <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> in Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner<br />

Alfred Roller bahnbrechende Reformen ein. <strong>Mahler</strong> verlangt von<br />

den Sängerinnen und Sängern, dass sie ihre Rolle authentisch und realistisch<br />

darstellen und dass die Bühnenhandlungen auf die Musik abgestimmt sind.<br />

Dazu bedarf es einer eigenen Opernregie. Das Bühnenbild erhält dank der<br />

kreativen Arbeit von Alfred Roller eine ganz neue Ausdruckskraft: Es illustriert<br />

nicht mehr nur, sondern es interpretiert die Musik. Roller versteht es, die geheimen<br />

Botschaften der Musik durch Licht, Farbe, Form und Raum zu verdeutlichen.<br />

Auch für das Publikum gibt es Neuerungen: <strong>Mahler</strong> verbietet Zuspätkommenden<br />

den Einlass während der Akte und sorgte für größere Abdunkelung im<br />

Orchestergraben und im Zuschauerraum, um die Konzentration auf das Bühnengeschehen<br />

zu erhöhen. <strong>Mahler</strong> ist es zudem wichtig, die Opernwerke in<br />

voller Länge vorzutragen. Er verzichtet auf die zu seiner Zeit üblichen Kürzungen<br />

der Verlage oder Interpreten. Durch seine Maßnahmen zieht <strong>Mahler</strong> den<br />

Zorn vieler Operngäste auf sich. Er kontert: „Was Ihr Theaterleute Eure Tradition<br />

nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei.“<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Die Künstlerwelt abseits der<br />

Opernbühne: Erwin Osen mit<br />

der Tänzerin Moa bei einer<br />

Pantomime-Vorstellung (1910)<br />

<strong>Wiener</strong> Staatsoper am Ring:<br />

Das Haus wurde 1869 (damals unter dem Namen <strong>Wiener</strong><br />

Hof oper) eröffnet. Das Staatsopernorchester besteht aus<br />

Mitgliedern der <strong>Wiener</strong> Philharmoniker und AnwärterInnen,<br />

die sich nach drei Jahren für einen Posten bei den<br />

<strong>Wiener</strong> Philharmonikern bewerben können.<br />

5


6. <strong>Gustav</strong> & Alma – große Liebe, großes Leid<br />

<strong>Mahler</strong> war mit einer der begehrtesten<br />

Frauen der <strong>Wiener</strong> Gesellschaft verheiratet:<br />

Alma <strong>Mahler</strong>-Gropius-Werfel (1879 –<br />

1964), Tochter des Landschaftsmalers Emil<br />

Jakob Schindler, selbst Komponistin und<br />

Pianistin, leidenschaftliche Vorkämpferin<br />

für die Moderne und Vertraute namhafter<br />

<strong>Wiener</strong> Künstler ihrer Zeit.<br />

Sie lernen einander 1899 im Sommerurlaub<br />

im Salzkammergut kennen. Alma<br />

ist damals noch keine 20, <strong>Gustav</strong> 39. Es<br />

bleibt zunächst bei flüchtigen Begegnungen.<br />

In Wien sieht man sich erst zwei Jah-<br />

re später wieder, und zwar bei einem Abendessen im Salon der Berta Zuckerkandl.<br />

Alma behauptet sich an jenem Abend als einzige Dame in der Runde<br />

abgesehen von der Gastgeberin.<br />

Der Maler <strong>Gustav</strong> Klimt, der Schriftsteller Hermann Bahr und der damalige<br />

Burgtheaterdirektor sind zugegen, als zwischen Alma und <strong>Gustav</strong> eine hitzige<br />

Diskussion entbrennt. Die 21jährige Alma wirft dem Hofoperndirektor vor, er<br />

habe ihren Klavier- und Kompositionslehrer Alexander Zemlinsky unangemessen<br />

behandelt. Almas entschiedenes Auftreten scheint bei <strong>Gustav</strong> Eindruck<br />

hinterlassen zu haben. Die Gastgeberin notiert: „Drei Wochen sind seither vergangen.<br />

Gestern hat sich Alma mit <strong>Mahler</strong> verlobt. Gleich nach dem Abend<br />

bei mir hatte er Frau Moll, Almas Mutter, besucht, war von der Atmosphäre<br />

dieses Heims entzückt – taute auf, vergaß seine asketische Weltanschauung,<br />

wurde jung und töricht verliebt.“<br />

Und Alma notiert: „Ich muss sagen, er hat mir ungemein gefallen – allerdings<br />

furchtbar nervös. Wie ein Wilder fuhr er herum im Zimmer. Der Kerl besteht nur<br />

aus Sauerstoff. Man verbrennt sich, wenn man an ihn ankommt.“<br />

Alma ist eine kluge, sinnliche, lebenshungrige Frau – das enge Daseinskorsett,<br />

das die damalige Gesellschaft für Frauen vorsieht, ist<br />

ihr zu eng. (Bezeichnend für die späte Emanzipation<br />

ist unter anderem, dass Frauen in Österreich erst 1919<br />

das Wahlrecht erhalten.) Alma sucht ihre Erfüllung in<br />

leidenschaftlichen Affären mit Künstlern wie <strong>Gustav</strong><br />

Klimt und Oskar Kokoschka, ihrem Kompositionslehrer<br />

Alexander Zemlinsky und dem Architekten Walter<br />

Gropius, den sie nach <strong>Mahler</strong>s Tod heiratet. Im Zweiten<br />

Weltkrieg wird sie mit ihrem dritten Ehemann, dem<br />

jüdischen Schriftsteller Franz Werfel, ins Exil in die USA<br />

flüchten.<br />

Nachvollziehbarer sind da die zwischenmenschlichen<br />

Argumente, die Freunde und Bekannte an der Ehe<br />

zweifeln lassen: „Er ist 41 und sie 22, sie eine gefeierte<br />

Schönheit, gewöhnt an ein glänzendes gesellschaftliches<br />

Leben, er so weltfern und einsamkeitsliebend“,<br />

schreibt ein Vertrauter. Und zweifellos sind Alma und<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Alma (links) mit ihrer Mutter und ihrer<br />

Halbschwester, 1893<br />

Alma <strong>Mahler</strong> im Alter von<br />

rund 30 Jahren (um 1909)<br />

6


Der Maler <strong>Gustav</strong> Klimt, ein<br />

Vertrauter Almas<br />

Der Komponist Alexander<br />

Zemlinsky, Almas Musiklehrer<br />

<strong>Gustav</strong> grundverschieden, üben gegenseitig jedoch eine starke Anziehung<br />

aufeinander aus. Die Ehrfurcht vor dem Künstler <strong>Mahler</strong> ist für Alma sicher<br />

nicht von ihrer Zuneigung zu dem Menschen <strong>Gustav</strong> zu trennen. Und so nimmt<br />

sie hin, dass er von ihr verlangt, das Komponieren aufzugeben und sich ganz<br />

den damaligen Pflichten einer Ehefrau zu widmen – wie Haushaltsführung und<br />

Kindererziehung.<br />

<strong>Gustav</strong> ist auch rigoros in der Bestimmung des Tagesablaufes. Das beginnt mit<br />

den Zeiten, in denen er arbeitet und nicht gestört werden will. Beim Essen darf<br />

man nicht reden. Und wenn er spazieren geht, läuft er so schnell, dass Alma<br />

nicht Schritt halten kann – so lebt es sich also mit einem der berühmtesten<br />

Männer der <strong>Wiener</strong> Moderne. Trotz der bereits turbulenten Vorgeschichte heiraten<br />

die beiden 1902 nach katholischem Ritus in der Karlskirche. Die Trauzeugen<br />

sind auf <strong>Mahler</strong>s Seite der Geiger Arnold Rosé (der am darauffolgenden<br />

Tag <strong>Mahler</strong>s Schwester Justine heiratet) und auf Almas Seite ihr Stiefvater Carl<br />

Moll.<br />

Durch Alma lernt <strong>Gustav</strong> die Mitglieder der Künstlergruppe „Secession“, deren<br />

Mitglied Almas Stiefvater ist, kennen. In dem Vereinsgebäude treffen sich die<br />

klügsten Köpfe, debattieren (=diskutieren) über die Freiheit in der Kunst, und<br />

gelegentlich leitet <strong>Gustav</strong> in der Secession Konzerte mit neuer Musik. Er kann<br />

sich durchaus mit Klimts Selbstbild des gegen Unrecht und Dummheit kämpfenden<br />

Künstlers identifizieren.<br />

<strong>Gustav</strong> und Alma haben zwei Töchter: seine ältere Tochter Maria stirbt 1907<br />

im Alter von nicht ganz fünf Jahren an Scharlach und Diphterie. Seine zweite<br />

Tochter Anna wird Bildhauerin.<br />

4Siehe auch Kapitel 9 & Arbeitsblatt 3 (<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> trifft Sigmund Freud)<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Alma als verheiratete Frau:<br />

mit <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> (1909)<br />

7


7. <strong>Mahler</strong>s Lebenswelt: Wien um 1900 – Tradition und Aufbruch<br />

Um 1900 macht sich auf allen Gebieten des Alltagslebens, der Politik und der<br />

Kunst eine drastische Zeitwende in Wien und der Donaumonarchie bemerkbar.<br />

Wien ist die Metropole dieses Vielvölkerstaates. An der Spitze des großen<br />

Reiches steht Kaiser Franz Joseph, der die Monarchie bis zu seinem Tod 1916<br />

regiert. Seine Frau, Kaiserin Elisabeth, wird 1898 ermordet. Nach dem Ersten<br />

Weltkrieg (1918) zerfällt das Reich in viele kleine Staaten.<br />

Die Bevölkerung nimmt rasant zu. In Wien leben um 1900 bereits eine Million<br />

Menschen. Der politische Ton wird rauer, die Zeitungen fordern freie Meinungsäußerung.<br />

Frauen beginnen für ihre Gleichstellung im Studium, Beruf<br />

und öffentlichen Leben zu kämpfen. Die Künstlervereinigung Secession fordert<br />

die Freiheit der Kunst, die Komponisten <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> und Arnold Schönberg<br />

streben nach einer neuen Tonsprache, Sigmund Freud erforscht die menschliche<br />

Psyche und der Schriftsteller Arthur Schnitzler erhitzt die Gemüter mit<br />

seinen schonungslosen Gesellschaftsporträts. Treffpunkt vieler Künstler und<br />

Schriftsteller sind die Kaffeehäuser der Stadt.<br />

Am augenfälligsten sind die Neuerungen in der Technik: plötzlich kurven Automobile<br />

und elektrische Straßenbahnen durch die Straßen. Die Geräuschkulisse<br />

verändert sich. Das Grammophon (=Vorläufer des Plattenspielers) hält Einzug<br />

in die gehobenen Haushalte und der Kinematograph (=Vorläufer der heutigen<br />

Filmkamera) erobert die Freizeitkultur – die ersten Stummfilme entstehen.<br />

links: die elegante Welt<br />

auf dem Rennplatz in der<br />

Freudenau (1912)<br />

rechts: Küche in einem<br />

Massenquartier. Das<br />

Nachtasyl in der Kleinen<br />

Schiffgasse (1904)<br />

Im politischen Leben gewinnt Karl Lueger (ab 1897 Bürgermeister von Wien)<br />

mit seiner christlich-sozialen Partei die Oberhand. In seiner Amtszeit werden<br />

zahlreiche bauliche Großprojekte durchgeführt, etwa die Errichtung der 2.<br />

<strong>Wiener</strong> Hochquellwasserleitung, der Bau des Psychiatrischen Krankenhauses<br />

am Steinhof und die Planung eines Wald- und Wiesengürtels rund um die<br />

Stadt (Kahlenberg bis zur Donau/Kaiser-Ebersdorf). Die Kehrseite seiner Ära:<br />

Lueger ist ein berüchtigter Antisemit (=judenfeindlicher Mensch), der aus<br />

der Hetze gegen die jüdische Bevölkerung politischen Nutzen zieht. Von ihm<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

8


„Die Juden werden immer<br />

zudringlicher“ (Antisemitisches<br />

Flugblatt, 1890)<br />

Karikatur auf Karl Lueger:<br />

„Schaue ich aus, als ob ich<br />

ein Judenfresser wäre?“<br />

stammt der Ausspruch: „Wer a Jud is, bestimm ich!“ Lueger war nicht der einzige<br />

judenfeindliche Politiker. Am radikalsten und feindlichsten gesinnt waren<br />

die Alldeutschen unter der Führung von Georg Ritter von Schönerer, zu dessen<br />

Bewunderern auch Adolf Hitler zählt, der 1907 nach Wien kommt. Die Arbeiterschaft,<br />

die um das Wahlrecht zu kämpfen hat, sieht sich vom Sozialdemokraten<br />

Victor Adler vertreten.<br />

8. „Der Kunst ihre Freiheit!“ – Kunst und Architektur in Wien um 1900<br />

Wien um 1900 ist ein Synonym für Gegensätze: auf der einen Seite der Vielvölkerstaat,<br />

der sich in langsamer Auflösung befindet und durch konservative<br />

Kräfte beherrscht wird, auf der anderen Seite die fortschrittlichen Strömungen<br />

im Bereich der Wissenschaften, Kunst und Kultur.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Kaiser Franz Joseph I. begrüßt<br />

Vertreter von Glaubensgemeinschaften<br />

in Sarajevo (1910)<br />

Wachmann als Wegweiser Im <strong>Wiener</strong> Wurstelprater (1910)<br />

<strong>Wiener</strong> Straßenleben (ca. 1904)<br />

9


Der Maler <strong>Gustav</strong> Klimt gründet mit Kollegen die „Secession“, eine Künstlervereinigung,<br />

die sich gegen die Bevormundung durch die althergebrachte<br />

Ästhetik (=Kunstideal, das definiert, was „schöne“ und „gute“ Kunst ist) wehrt.<br />

Sie möchten ihren eigenen Weg gehen. Diesen Weg beschreiten die Künstler,<br />

indem sie eine „secessio“ vornehmen, eine Abspaltung. Das Vereinsgebäude<br />

wird an der Linken Wienzeile errichtet. Es ist ein markanter Bau mit Goldkuppel<br />

(Architekt: Joseph Maria Olbrich). Auch Alfred Roller, <strong>Mahler</strong>s Partner an der<br />

Oper, und der Architekt Otto Wagner sind Mitglieder der Secession. „Der Zeit<br />

ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ prangt in goldenen Lettern am Haupteingang.<br />

Menschenmenge vor der Secession, 1902<br />

Das Gebäude ist für 1898 ungewöhnlich<br />

und wird zunächst mit Spott bedacht. Man<br />

nennt es „Tempel für Laubfrösche“, „Tempel<br />

der anarchischen Kunstbewegung“,<br />

„Mausoleum“, „Ägyptisches Königsgrab“,<br />

„Krematorium“ oder „Krauthappl“ (Kuppel).<br />

Der Lorbeer ist das dominierende symbolische<br />

Element am fertigen Bau. Auf der<br />

Kuppel befinden sich 3000 vergoldete Blätterskulpturen<br />

und 700 Beeren in Gestalt des<br />

Lorbeers. (www.secession.at)<br />

Zu <strong>Gustav</strong> Klimts berühmtesten Werken zählt der Beethovenfries in der Secession.<br />

Ein Fries ist in der Architektur ein schmaler Streifen, der zur Abgrenzung<br />

und Dekoration eines Bauwerks dient. Der Beethovenfries ist entlang der Innenwände<br />

gemalt und stellt den Kampf des einsamen, genialen Künstlers<br />

gegen Unverstand und Hass in der Welt dar. Die Stationen sind: 1. Sehnsucht<br />

nach Glück, 2. die Leiden der schwachen Menschheit, 3. der starke Mensch,<br />

eine Ritterfigur (die für den starken Künstler steht und von der man sagt, sie sei<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> nachgebildet) und die Bitten, er möge stellvertretend für die<br />

Schwachen den Kampf für das Glück aufnehmen, 4. die feindlichen Gewalten,<br />

die sich entgegenstellen (verkörpert durch den furchterregenden Giganten<br />

in der Gestalt eines überproportionierten Gorillas), 5. Krankheit, Wahnsinn,<br />

Tod und 6. die Künste, die in das ideale Reich führen. Das letzte Bild soll Schillers<br />

„Ode an die Freude“, den Text des Schlusschors in Beethovens 9. Symphonie<br />

symbolisieren: „Freude, schöner Götterfunken – diesen Kuss der ganzen<br />

Welt“.<br />

Ausschnitt aus <strong>Gustav</strong> Klimts „Beethovenfries”: „Feindliche Gewalten" (in der Secession, Linke Wienzeile)<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

10


Eng in Verbindung mit der Secession steht der<br />

Begriff Jugendstil, zu dessen bedeutendsten Vertretern<br />

auch <strong>Gustav</strong> Klimt zählt. Die künstlerische<br />

Bandbreite des Jugendstils ist enorm und vereint<br />

durchaus gegensätzliche ästhetische Positionen.<br />

Die Palette reicht von einfachen Gebrauchsgegenständen<br />

bis zu großformatigen Wandmosaiken,<br />

von Schmuckstücken bis zu Gartenvillen.<br />

Im Kontrast zu <strong>Gustav</strong> Klimt, in dessen Bildern die<br />

Figuren von vielen Ornamenten (=Verzierungen)<br />

begleitet werden, steht die Architektur von Otto<br />

Wagner und Adolf Loos. Diese beiden verfolgen<br />

einen nüchternen, funktionalen Baustil. Von<br />

Adolf Loos stammt der Ausspruch: „Die Architektur<br />

gehört nicht unter die Künste. Nur ein ganz<br />

kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an:<br />

das Grabmal und das Denkmal. Alles, was einem<br />

Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst<br />

auszuschließen!“ Damit meint er, dass Architektur<br />

im Alltag praktikabel und zweckbezogen sein<br />

soll - im Gegensatz zu einem Kunstwerk, das<br />

nicht zwingend im Alltag einen Nutzen erfährt.<br />

Viele bekannte <strong>Wiener</strong> Bauwerke stammen aus<br />

dieser Zeit. Otto Wagner schuf u. a. die Stadtbahnpavillons<br />

(die heute noch in Form der alten<br />

U-Bahn-Stationen erhalten sind), Wohnhäuser an<br />

der Wienzeile (z.B. Majolikahaus) und die Kirche<br />

am Steinhof.<br />

Adolf Loos trat wie Wagner gegen jegliches<br />

Ornament und für funktionelle Architektur ein.<br />

Seine Werke wurden richtungsweisend für die<br />

Architektur des 20. Jahrhunderts. Die Nüchternheit<br />

und Strenge der Fassade wurde im Inneren<br />

Das „Loos-Haus“ am Michaelerplatz,<br />

wie es früher ausgesehen<br />

hat (Wohn- und Geschäftshaus<br />

„Goldman & Salatsch“)<br />

Ausstellungsraum der<br />

<strong>Wiener</strong> Werkstätte in der<br />

Neustiftgasse 32-34 (1904)<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Otto Wagner: Stadtbahn-Station<br />

am Karlsplatz (erbaut 1896-99)<br />

Otto Wagner: Stiegenhaus und<br />

Liftumkleidung im Haus der Linken<br />

Wienzeile 40 (Majolika-Haus)<br />

Fellner & Helmer: Fassade des<br />

<strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es (1911-13)<br />

Adolf Loos: Grabmahl für <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Mahler</strong> (Grinzinger Friedhof)<br />

11


durch erlesene Materialien wie Marmor, seltene Hölzer und<br />

Edelmetalle in bester handwerklicher Verarbeitung veredelt.<br />

Zeugnisse seiner Tätigkeit sind u. a. das Café Museum am Karlsplatz<br />

(das wegen seiner Kargheit „Café Nihilismus“ genannt<br />

wurde), die Loos-Bar (American Bar) in der Kärntner Straße 10<br />

und das Geschäftshaus für Goldman & Salatsch am Michaelerplatz<br />

(Loos-Haus). Alfred Loos hat übrigens das Grab von<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>, das sich am Grinzinger Friedhof befindet, entworfen.<br />

9. Literatur und Psychoanalyse<br />

Ohne das <strong>Wiener</strong> Kaffeehaus wäre die literarische <strong>Wiener</strong><br />

Moderne nicht denkbar. Hier treffen sich junge Schriftsteller<br />

wie Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal<br />

und Karl Kraus zum Gedankenaustausch. Zu den beliebtesten<br />

Kaffeehäusern zählten das Café Griensteidl (im Volksmund<br />

früher „Café Größenwahn“ genannt) am Michaelerplatz und<br />

das Café Central in der Herrengasse. Diese Schauplätze kehren<br />

auch in den Dramen und Novellen von Arthur Schnitzler<br />

wieder, wenn er die <strong>Wiener</strong> Gesellschaft porträtiert. „Die Seele<br />

ist ein weites Land“, stellt er fest. Zeitgleich erforscht Sigmund<br />

Freud das Unbewusste. Was Freud wissenschaftlich festhält, schreibt Schnitzler,<br />

der übrigens selbst Arzt ist, seinen Figuren ein. Wie er die Gesellschaft seiner<br />

Zeit mit Mitteln der Literatur zu durchschauen weiß, macht ihn bis heute zu<br />

einem begehrten Autor.<br />

4 Arbeitsblatt 2: Arthur Schnitzler<br />

„Leutnant Gustl“ (1899)<br />

Die Novelle „Leutnant Gustl“, die 1900 als Weihnachtsbeilage<br />

der Neuen Freien Presse erschien,<br />

ist als innerer Monolog geschrieben. Dieser gibt<br />

die Gedanken, Ängste und Erlebnisse eines jungen<br />

Leutnants der kaiserlich-königlichen Armee preis.<br />

Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse,<br />

preist Schnitzler als einen<br />

hoch geachteten Kollegen. Freud bemerkt,<br />

dass unsere Handlungsweisen im<br />

frühkindlichen Alter und in der Pubertät<br />

geprägt werden. Zudem enthüllt er das<br />

Wirken der Libido als lebenserhaltender<br />

Triebenergie, die nicht nur Quelle sexueller<br />

Wünsche, sondern auch die Quelle der<br />

menschlichen Schaffenskraft ist. Sein Buch<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

<strong>Gustav</strong> Klimt:<br />

„Nuda Veritas“<br />

(„Die nackte<br />

Wahrheit“),<br />

1898<br />

Praterausflug: Hugo von Hofmannsthal,<br />

Arthur Schnitzler (beide stehend) mit<br />

Begleitung (1894)<br />

12


Sigmund Freud (1926): der<br />

Psychoanalytiker beriet auch<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong><br />

Die berühmte Couch in<br />

Freuds Praxis (Berggasse 19):<br />

hier betteten sich Freuds PatientInnen.<br />

Er selbst saß bei der<br />

Behandlung hinter ihnen.<br />

„Die Traumdeutung“ verändert die Gesellschaft. Als Wissenschaftler bietet er<br />

rationale Erklärungen für das Irrationale an. Freuds Bereitschaft, offen über<br />

Sexualität zu sprechen, findet ein Echo im Schaffen vieler Künstler wie etwa<br />

<strong>Gustav</strong> Klimt. Die neue psychologische Sicht auf das Verhalten der Menschen<br />

bietet Inspiration auf vielen Ebenen der Kunst und des Gesellschaftslebens.<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> sucht 1910 Rat bei Sigmund Freud aufgrund einer vehementen<br />

Ehekrise, die mindestens seit dem Tod seiner Tochter Maria 1907 anhält. Alma<br />

hat eine heftige Affäre mit dem 27-jährigen Architekten Walter Gropius. Dieser<br />

adressiert einen Liebesbrief an Alma zu Händen von „Herrn Direktor <strong>Mahler</strong>“.<br />

Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen <strong>Gustav</strong> und Alma,<br />

woraufhin sich der gehörnte Ehemann entschließt, den Psychoanalytiker<br />

aufzusuchen. Es ist nicht geklärt, ob es sich bei Gropius' Briefversand an <strong>Mahler</strong><br />

um ein absichtliches „Versehen“ oder um eine „Freudsche Fehlleistung“<br />

handelt, also dass Gropius – getrieben von seiner Sehnsucht nach Alma – den<br />

Brief unbewusst an <strong>Mahler</strong> adressierte.<br />

Freud stellt in seiner Analyse des Krisenpaares die Vermutung an, dass <strong>Gustav</strong><br />

unter einem „Marienkomplex“ leide, damit meint er, dass <strong>Mahler</strong> in jeder Frau<br />

nach dem Typus seiner Mutter suche. Ein starkes Indiz dafür ist der Umstand,<br />

dass <strong>Mahler</strong> seine Gattin, die mit vollem Namen Alma Maria heißt, mit „Marie“<br />

anspricht – mit dem Namen seiner Mutter. Alma hingegen sehne sich laut<br />

Freud nach einer Vatergestalt. Ihren eigenen Vater hat sie sehr früh, im Alter<br />

von 13 Jahren, verloren. Der Psychoanalytiker ist der Annahme, dass <strong>Gustav</strong>s<br />

hohes Alter sie deshalb nicht abschreckte, sondern anzog.<br />

4 Arbeitsblatt 3: <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> trifft Sigmund Freud<br />

10. <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> in New York – Abschied<br />

1907 ist ein Schicksalsjahr für <strong>Mahler</strong>: seine Tochter Maria stirbt im Alter von<br />

noch nicht ganz fünf Jahren, bei ihm selbst wird ein schwerer Herzfehler diagnostiziert<br />

und er legt aufgrund der nicht enden wollenden Hetzkampagnen<br />

sein Amt als Hofoperndirektor zurück. Es sind nicht nur antisemitische Beschimpfungen,<br />

denen er ausgesetzt ist, sondern es hagelt auch künstlerische<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

13


Kritik. Mit seinen Opernreformen, seiner akribischen Arbeitsweise und seinen<br />

Erfolgen hat sich <strong>Mahler</strong> nicht nur Freunde gemacht. Dank seiner neu erworbenen<br />

beruflichen Freiheit kann <strong>Mahler</strong> nun andere Einladungen, etwa aus<br />

Übersee, wahrnehmen. Er dirigiert mehrere Male in den USA und man bietet<br />

ihm die Leitung der New Yorker Philharmoniker an. Die Wintermonate verbringt<br />

er ab nun in Amerika, den Frühling und Sommer in Europa. Im November<br />

1910 bricht er zu seiner letzten Überfahrt auf. Kurz nach seiner Rückkehr<br />

stirbt <strong>Mahler</strong> an einer bakteriellen Herzinfektion.<br />

Kurz vor seinem Tod unterschreibt <strong>Mahler</strong> eine Unterschriftenliste, die sich für<br />

den Bau des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es einsetzt. Die Vision ist, ein Haus für alle<br />

Bevölkerungsgruppen zu errichten, „ein Haus für die Musik und ein Haus für<br />

Wien“. Der Grundstein wird wenige Monate nach <strong>Mahler</strong>s Ableben gelegt<br />

und das Gebäude 1913 fertiggestellt. Mit einer halben Million BesucherInnen<br />

und 700 Veranstaltungen jährlich ist das <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong> eine der gefragtesten<br />

Kulturinstitutionen der Stadt.<br />

4Arbeitsblatt 4: Bau des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es – „Ein Haus für alle“<br />

<strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong><br />

(Lothringerstr. 20, neben dem Eislaufverein,<br />

U4-Station Stadtpark)<br />

rechts:<br />

Großer Saal<br />

<strong>Mahler</strong>s Musik hat zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht den hohen Status<br />

errungen, der ihr heute beigemessen wird. <strong>Mahler</strong> selbst hatte das Gefühl, seiner<br />

Zeit voraus gewesen zu sein. Er meinte, am Ende der Welt wolle er in Wien<br />

sein, weil dort „alles 25 Jahre zu spät eintrifft“. Zu den Dirigenten, die sich für<br />

<strong>Mahler</strong>s Wiederentdeckung („<strong>Mahler</strong>-Renaissance“ in den 60ern) besonders<br />

einsetzten, zählt Leonard Bernstein. Dieser berichtet, dass er anfänglich gegen<br />

den Widerstand vieler Orchestermusiker kämpfen musste, um <strong>Mahler</strong>s Musik<br />

einzustudieren. Der weltberühmte Dirigent trat viele Male im <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>,<br />

im Musikverein und an der <strong>Wiener</strong> Staatsoper auf. Bernstein war auch<br />

ein erfolgreicher Komponist. Von ihm stammt das Musical „West Side Story“.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

New York am Hudson River: im<br />

Hintergrund die Freiheitsstatue<br />

14


Literatur (Auswahl):<br />

„<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>. Leben und Werk in Zeugnissen der Zeit“, gesammelt und<br />

herausgegeben von Herta Blaukopf und Kurt Blaukopf, Gerd Hatje Verlag, Stuttgart<br />

1994<br />

„<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> und Wien“, hrsg. v. Reinhold Kubik und Thomas Trabitsch,<br />

Österreichisches Theatermuseum, Christian Brandstätter Verlag, Wien 2010<br />

„Die Ära <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>. <strong>Wiener</strong> Hofoperndirektion 1897–1907. Katalog zur Ausstellung“,<br />

hrsg. v. Erich Wolfgang Partsch und Oskar Pausch, Böhlau Verlag, Wien 1997<br />

„Erinnerungen an <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> von Natalie Bauer-Lechner“, hrsg. v. Herbert Kilian,<br />

Verlag Karl Dieter Wagner, Hamburg 1984<br />

Blaukopf, Kurt: „<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> oder Der Zeitgenosse der Zukunft“, Fritz Molden<br />

Verlag, Wien 1969 (wird in Kürze vom Verlag Braumüller neu aufgelegt)<br />

Fischer, Jens Malte: „<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>. Der fremde Vertraute“, Paul Zsolnay Verlag, Wien<br />

2003<br />

Hansen, Matthias: „<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>“, Reclams Musikführer, Verlag Philipp Reclam jun.,<br />

Stuttgart 1996<br />

Hilmes, Oliver: „Witwe im Wahn. Das Leben der Alma <strong>Mahler</strong>-Werfel“, Siedler-Verlag,<br />

München 2004<br />

<strong>Mahler</strong>-Werfel, Alma: „Erinnerungen an <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>“, Fischer Taschenbuch-Verlag,<br />

Frankfurt a. M. 1996 (10. Auflage)<br />

Schreiber, Wolfram: „<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>“, rowohlts monographien, Reinbek 2003<br />

(23. Auflage)<br />

Silbermann, Alphons: „Lübbes <strong>Mahler</strong> Lexikon. <strong>Mahler</strong> von A bis Z“, <strong>Gustav</strong> Lübbe<br />

Verlag Bergisch-Gladbach 1993 (2. Auflage)<br />

Sollertinski, Iwan: „<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> - Der Schrei ins Leere“, aus dem Russischen<br />

übersetzt von Reimar Westendorf, Verlag Ernst Kuhn, Berlin 1996<br />

„Wien 1900. Kunst und Kultur“, hrsg. v. Christian Brandstätter, Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag, München 2005<br />

Bilder (soweit bezeichnet): Andreas Schultz (<strong>Mahler</strong>-Plakette, <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong> S. 11), Wien Museum (Parlament),<br />

E. Bieber (<strong>Mahler</strong> 1892), Moritz Nähr/Österreichisches Theatermuseum (<strong>Mahler</strong> 1907), „Wien 1900“ dtv 2005 (Bahr-<br />

Mildenburg, Osen, Karikatur und Flugblatt S. 9, Kaiser Franz Joseph I., <strong>Wiener</strong> Werkstätte, Majolika, Schnitzler „Jung<br />

Wien“), Österreichisches Theatermuseum (Hesch, <strong>Gustav</strong> & Alma <strong>Mahler</strong>, Adel/Freudenau), Hermann Drawe (Nachtasyl<br />

Schiffgasse), Wien Museum (Nuda veritas, Franz Joseph I.), Beethovenfries, Secession (www.secession.at), Emil<br />

Mayer (<strong>Wiener</strong> Straßenleben), wien.info (Stadtbahnpavillon), Ferdinand Schmutzer (Freud), Edmund Engelmann<br />

(Freuds Couch), Herbert Schwingenschlögel (<strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong> S. 14).<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Lisa Farthofer, März 2011<br />

15


San Francisco Symphony Orchestra<br />

Das kalifornische Orchester wurde 1911 gegründet. Es hat viele bedeutende<br />

Preise für seine Einspielungen gewonnen, in den vergangenen Jahren insbesondere<br />

für die Aufnahme von <strong>Mahler</strong>-Symphonien. Das Orchester tritt regelmäßig<br />

in seinem Heimatland, den USA, in Europa und Asien auf. 1980 wurde<br />

das San Francisco Jugendsymphonie-Orchester gegründet. Der San Francisco<br />

Symphony Chorus ist auf dem Soundtrack von weltbekannten Filmen wie<br />

„Amadeus“ und „Der Pate III“ zu hören. Ihr hört das Orchester unter der Leitung<br />

seines Chefdirigenten Michael Tilson Thomas.<br />

<strong>Wiener</strong> Philharmoniker<br />

Die <strong>Wiener</strong> Philharmoniker zählen zu den ältesten und berühmtesten Orchestern<br />

der Welt. Es wurde 1842 gegründet. Bald darauf wurden die Philharmonischen<br />

Konzerte ins Leben gerufen, die es bis heute gibt. Die <strong>Wiener</strong> Philharmoniker<br />

haben keinen Chefdirigenten, sondern arbeiten mit vielen berühmten<br />

Dirigenten zusammen. Als Staatsopernorchester spielen sie auch im Haus am<br />

Ring. Die <strong>Wiener</strong> Philharmoniker sind als Verein organisiert. Jedes Orchestermitglied<br />

hat ein Mitspracherecht. Als Motto haben die <strong>Wiener</strong> Philharmoniker<br />

den Spruch gewählt, den Ludwig van Beethoven seiner „Missa solemnis“<br />

(=Feierliche Messe) voranstellte: „Von Herzen - möge es wieder zu Herzen<br />

gehen.“ Das Konzert wird von dem italienischen Dirigenten Daniele Gatti geleitet.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

16


11. <strong>Mahler</strong>s Sechste Symphonie: Dieses Werk „wird Rätsel aufgeben“<br />

6. Symphonie in a-moll, komponiert 1903/04, Dauer: ca. 70 Minuten,<br />

Uraufführung 1906 in Essen (Deutschland)<br />

1. Satz: Allegro energico, ma non troppo. Heftig, aber markig<br />

2. Satz: Scherzo. Wuchtig<br />

3. Satz: Andante moderato<br />

4. Satz: Finale. Allegro moderato<br />

<strong>Mahler</strong> sagt über seine 6. Symphonie, dass sie den Hörerinnen und Hörern Rätsel<br />

aufgäbe. Sie „scheint wie eine harte Nuss zu sein, welche von den schwachen<br />

Zähnchen unserer Kritik nicht geknackt werden kann“. Die Atmosphäre<br />

in seiner Symphonie ist von erschreckender Düsterkeit, weshalb das Werk den<br />

Beinamen „Die Tragische“ erhält – ob er von <strong>Mahler</strong> stammt, ist nicht gesichert.<br />

Die grimmige Atmosphäre überrascht, bedenkt man, dass <strong>Mahler</strong> zum<br />

Zeitpunkt der Komposition am Höhepunkt seiner Karriere als Operndirektor,<br />

Dirigent und Opernreformer steht, dass seine Musik trotz allen Widerstandes<br />

bei vielen Menschen Begeisterung hervorruft, dass er vor kurzem geheiratet<br />

hat und soeben Vater eines zweiten Kindes geworden ist.<br />

Die gesamte Symphonie ist vom Charakter eines Marsches geprägt. <strong>Mahler</strong><br />

hörte oft Märsche als Kind. Sie erklangen bei Festzügen der Militärkapelle und<br />

bei Volksfesten in Iglau. <strong>Mahler</strong>s Marsch in der 6. Symphonie gleicht aber nicht<br />

jenen aus seiner Kindheit, sondern es ist ein veränderter, düsterer, geheimnisvoller<br />

Marsch. Er ist von einem unerbittlichen Vorwärtstreiben gekennzeichnet.<br />

<strong>Mahler</strong> schreibt bei einer Passage als Spielanweisung in die Partitur: „Wie<br />

wütend dreinfahren“ – das könnte als Motto für den ganzen ersten Satz gelten.<br />

4 Audio-Beispiel Nr. 1: Beginn 1. Satz bis Min. 4' (a tempo)<br />

Anm.: Bei Min. 3' streut <strong>Mahler</strong> ein parodistisches Marschmotiv ein (erklingt vollkommen<br />

unvorbereitet – Bruch in der musikalischen Textur)<br />

An zweiter Stelle folgt ein Scherzo. Scherzo ist das italienische Wort für<br />

„Scherz“. Traditionellerweise wird damit in der Musik eine heiterere Stimmung<br />

vermittelt – nicht so bei <strong>Mahler</strong>. <strong>Mahler</strong>s Scherzo ist von destruktiver (= zerstörerischer)<br />

Art. Es entblößt die oberflächliche Heiterkeit seiner Vorlage und führt<br />

seine Form ad absurdum. Das Scherzo beginnt wie auch der 1. Satz mit lauten<br />

Akzenten, das Metrum ist „wuchtig“. Aber nicht nur das: das Scherzo bringt<br />

das Kunststück fertig, den traditionellen Ländler (3/4-Takt) mit einem Marsch<br />

(4/4- oder 2/4-Takt) zu kreuzen – das hat vor <strong>Mahler</strong> wahrscheinlich noch kein<br />

Komponist versucht.<br />

4 Audio-Beispiel Nr. 2: Mitte 2. Satz („Wie das erste Mal“) bis Min. 2'<br />

Anm.: kontinuierliche Taktwechsel (3/8-, 2/4-, 3/4-Takt)<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

17


Im Schlusssatz verdichtet sich die düstere Atmosphäre. <strong>Mahler</strong> treibt den tragischen<br />

Ausdruck auf die Spitze, indem er Hammerschläge einsetzt. Seine Zeitgenossen<br />

sind verstört: Hammerschläge in einer Symphonie? Kann das denn<br />

ernst gemeint sein? Zweifellos – laut <strong>Mahler</strong> sollten diese Hammerschläge wie<br />

Axthiebe klingen, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dies symbolisch<br />

gemeint ist: es sind Axthiebe, die die Lebenswurzel treffen. <strong>Mahler</strong> zeichnet<br />

am Höhepunkt seiner Karriere ein düsteres Bild von seinem (Gefühls-) Leben.<br />

Für <strong>Mahler</strong>s Zeitgenossen ist die Klangsprache sehr ungewöhnlich. Ein Musiker<br />

berichtet: „Es ist ein Dröhnen von Posaunen und Trompeten … Paukenkanonaden,<br />

Becken- und Trommelschläge, die wie Blitz und Donner dreinfuhren<br />

– ein tönendes Chaos … – ohrenbetäubend, dass die paar Zuhörer staunend,<br />

ungläubig lächelnd, kopfschüttelnd nach dem Dirigenten starrten.“<br />

4 Audio-Beispiel Nr. 3: Beginn 4. Satz bis Min. 12'<br />

Anm.: in den letzten Sekunden ist der 1. Hammerschlag – in einen fff-Akkord<br />

gebettet – zu hören.<br />

ad Min. 8:50: Herdenglocken-Passage (wie aus der Ferne – auch hier wieder<br />

bewusster Bruch in der musikalischen Textur)<br />

Eine Karikatur auf <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong>: „Neuester Fortschritt der naturalistischen Kunst. Die modernen<br />

Maler malen, wie sie sehen. Warum sollen die Musiker nicht auch componiren, wie sie<br />

hören?“ Die Abbildung der Kühe ist eine Anspielung auf die Herdenglocken, die <strong>Mahler</strong> u. a.<br />

in der 6. Symphonie einsetzt.<br />

4Diskussion:<br />

<strong>Mahler</strong> hat oft sehr unterschiedliche musikalische Sphären – wie Symphonie und Volksmusik –<br />

miteinander kombiniert. Auch in anderen Epochen vor und nach <strong>Mahler</strong> ließen Komponisten<br />

verschiedene Musikstile in ihr Werk einfließen. Der französische Komponist Claude Debussy<br />

zum Beispiel war von traditionellen indonesischen Instrumenten (Gamelan-Ensembles), die er<br />

erstmals bei der Pariser Weltausstellung 1889 hörte, nachhaltig fasziniert. Im frühen 20. Jahrhundert<br />

waren u. a. Jazz und Gospelgesang einflussreich (Strawinski: „Die Geschichte vom<br />

Soldaten“, Krenek: „Jonny spielt auf“, Gershwin: „Porgy und Bess“). Auch in der aktuellen Pop-<br />

und Rockmusik ist das Übereinanderlagern verschiedener Stile sehr beliebt, etwa im Balkanpop<br />

(Shantel, Goran Bregović And His Wedding & Funeral Band, Russkaja). Welche weiteren<br />

Beispiele kennst Du?<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

18


12. <strong>Mahler</strong>s Neunte Symphonie: Aufbruch in eine neue Welt<br />

9. Symphonie: komponiert 1908-11, Dauer: ca. 75 Minuten, Uraufführung 1912<br />

in Wien (nach <strong>Mahler</strong>s Tod)<br />

1. Satz: Andante comodo<br />

2. Satz: Im Tempo eines gemächlichen Ländlers. Etwas täppisch und derb<br />

3. Satz: Rondo-Burleske. Allegro Assai. Sehr trotzig<br />

4. Satz: Adagio. Sehr langsam und noch zurückhaltend<br />

Als <strong>Mahler</strong> seine 9. Symphonie – sein letztes vollendetes Werk – komponiert,<br />

hat er die wahrscheinlich schwersten Jahre seines Lebens hinter sich: 1907<br />

stirbt seine ältere Tochter Maria, im selben Jahr wird eine schwere Herzkrankheit<br />

bei ihm diagnostiziert. Auch eine Ehekrise bleibt nicht aus. Erschöpft von<br />

den künstlerischen und antisemitischen Anfeindungen tritt <strong>Mahler</strong> von seinem<br />

Amt als Operndirektor zurück. Ende des Jahres reist er nach Amerika, wo er<br />

ein gefragter Dirigent ist und Leiter der New Yorker Philharmoniker wird. Daraus<br />

schöpft er neue Lebenskraft. Die 9. Symphonie komponiert er während der<br />

New Yorker Theaterferien in seinem Sommerdomizil in Südtirol.<br />

Man sagt <strong>Mahler</strong> nach, er habe an dem Aberglauben gelitten, die 9. Symphonie<br />

könne wie bei Beethoven seine letzte sein. Deshalb nannte er das<br />

Werk, das seiner 8. Symphonie folgte, „Das Lied von der Erde“. Die Ironie des<br />

Schicksals will, dass <strong>Mahler</strong>s darauffolgende 9. Symphonie dann tatsächlich<br />

sein letztes vollendetes Werk darstellt.<br />

Trotz seiner gesundheitlichen und seelischen Krise ist <strong>Mahler</strong> in der Entstehungszeit<br />

des Werkes von einem Gefühl der Leichtigkeit und der Erkenntnis<br />

beseelt: „Ich sehe alles in einem so neuen Lichte. Ich bin lebensdurstiger als<br />

je.“ Und ihm ist bewusst, dass er eine zukunftsweisende Musik komponiert, an<br />

die die jüngere Generation anknüpfen wird: „Was ich jetzt schaffe, sind Erlebnisse<br />

von morgen. Ich sehe alles überdeutlich und ohne Märchenbrille.“<br />

<strong>Mahler</strong> gibt für das Werk keine Tonartbezeichnung an und deutet damit an,<br />

dass in seiner Symphonie eigene Gesetze herrschen. Auch die Gestalt der<br />

einzelnen Sätze hat nicht mehr viel mit dem traditionellen Verständnis einer<br />

Symphonie zu tun.<br />

Für viele InterpretInnen ist die Symphonie mit einer außermusikalischen Botschaft<br />

– <strong>Mahler</strong>s Todesahnung – verknüpft. Wir begegnen in ihr musikalischen<br />

Erinnerungen, Momenten der Verzweiflung, aber auch Momenten der Zuversicht.<br />

<strong>Mahler</strong>s Abschied ist nicht bloß ein resignierender Rückzug, sondern<br />

erfüllt von zukunftsweisenden musikalischen Ideen.<br />

4 Audio-Beispiel Nr. 4: Beginn 1. Satz bis Min. 7:45 (Tempo I. subito)<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

19


Der zweite und dritte Satz gleichen einer gespenstischen Parodie auf das<br />

Ausgangsmaterial. „Ländler – etwas täppisch und derb“ schreibt <strong>Mahler</strong> über<br />

den 2. Satz. Wie auch in der 6. Symphonie interpretiert <strong>Mahler</strong> den Ländler<br />

nicht auf konventionelle Art, sondern verändert ihn, präsentiert ihn harmonisch<br />

und rhythmisch überspitzt und kombiniert ihn mit anderen musikalischen<br />

Ideen.<br />

4 Audio-Beispiel Nr. 5: Beginn 2. Satz bis Min. 2:30 (Poco più mosso subito)<br />

Den dritten Satz nennt <strong>Mahler</strong> eine „Rondo-Burleske“. Der Begriff Burleske leitet<br />

sich von der italienischen „Burla“ (zu verstehen als: musikalischer Spaß, Posse)<br />

ab. <strong>Mahler</strong> gibt der Burleske ein groteskes Erscheinungsbild. Ein musikalischer<br />

Gedanke jagt den anderen. Der Satz endet in wild aufbegehrendem Tempo.<br />

Im Finale verstummt die Musik nicht lediglich, sie scheint sich in schattenhafte<br />

Bewegungen aufzulösen und im Nichts zu verschwinden. Ein berühmter Dirigent<br />

sagte einmal, dass sich in diesem 4. Satz der Abschiedsschmerz zu einer<br />

„Vision von himmlischer Herrlichkeit“ verwandelt. <strong>Mahler</strong> zitiert in den Schlusstakten<br />

der Symphonie eines seiner „Kindertotenlieder“ (Nr. 4), und zwar die<br />

Passage „auf jenen Höh'n“ (nur die Töne, ohne Gesang). Die ganze Strophe<br />

lautet im Original:<br />

„Sie sind uns nur vorausgegangen<br />

Und werden nicht wieder nach Hause gelangen!<br />

Wir holen sie ein auf jenen Höh’n<br />

Im Sonnenschein!<br />

Der Tag is schön auf jenen Höh’n!“<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Friedrich Rückert (1788 – 1866)<br />

4 Audio-Beispiel Nr. 6: 4. Satz, ab Min. 13' („Sehr fließend“) bis Ende (insg.<br />

9 Min.)<br />

Anm. ad Min. 4:20: hier schreibt <strong>Mahler</strong> „ersterbend“ in die Partitur;<br />

ad Min. 5:40: wir hören das Kindertotenlied-Zitat (<strong>Mahler</strong> schreibt erneut<br />

„ersterbend“ in die Partitur)<br />

4 Diskussion: Wie würdest Du den Schluss der Symphonie deuten? Lässt sich<br />

<strong>Mahler</strong>s Botschaft in eindeutige Kategorien wie Trauer oder Freude, Resignation<br />

oder Zuversicht einordnen? Welche Botschaft könnte <strong>Mahler</strong> mit dem Zitat<br />

aus dem Kindertotenlied („auf jenen Höh'n“) vermitteln wollen?<br />

20


Arbeitsblatt 1<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> – jüdisch, katholisch, heimatlos<br />

„Ich bin dreifach heimatlos“, klagt <strong>Mahler</strong>,<br />

„als Böhme unter den Österreichern,<br />

als Österreicher unter den Deutschen und<br />

als Jude in der ganzen Welt. Überall bin<br />

ich ein ungerufener Gast, überall unerwünscht.“<br />

Mit dieser Betrachtung bringt<br />

er das gesellschaftliche Dilemma seiner<br />

Zeit, den virulenten Rassismus und Antisemitismus<br />

(=Judenfeindlichkeit), auf den<br />

Punkt.<br />

Schon als <strong>Mahler</strong> mit 25 Jahren Kapellmeister<br />

in Kassel wird (1885), gibt es eine<br />

antisemitische Kampagne gegen ihn,<br />

weil der Kasseler Oberbürgermeister ihn<br />

und nicht einen in der Theaterhierarchie<br />

höher stehenden „germanischen“ Dirigenten<br />

zum Festivalleiter bestimmt. In der<br />

Zeitung heißt es: „Die Deutschen hatten<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> im Jahr 1907 an der <strong>Wiener</strong><br />

Hofoper (heute: <strong>Wiener</strong> Staatsoper)<br />

die Arbeit und der Jude die dabei abfallenden Ehren, o, das wäre ein Lust<br />

gewesen, einen lieben guten Juden einmal aus vollen Kräften zu einem<br />

Genie schwätzen und schreiben helfen.“ Von nun an reißen die antisemitischen<br />

Angriffe auf <strong>Mahler</strong> und seine Musik nicht mehr ab, erst recht nicht,<br />

als er zum Hofoperndirektor in Wien ernannt wird.<br />

Kurz bevor <strong>Mahler</strong> seinen Vertrag unterzeichnet, lässt er sich römisch-katholisch<br />

taufen, aus Sorge, seine jüdische Abstammung könne ihm den Einzug<br />

in die Hofoper verwehren. Die <strong>Wiener</strong> polemisieren munter gegen <strong>Mahler</strong><br />

weiter: In der „Reichspost“ steht über den „unverfälschten Juden“ (Zitat) zu<br />

lesen: „Die Judenpresse mag zusehen, ob die Lobhudeleien, mit denen sie<br />

jetzt ihren Götzen [=Abgott] überkleistert, nicht vom Regen der Wirklichkeit<br />

weggeschwemmt werden, sobald der Herr <strong>Mahler</strong> am Dirigentenpult mauschelt.“<br />

Der Begriff „mauscheln“ ist eine Spottbezeichnung von ähnlicher<br />

Bedeutung wie „jüdeln“.<br />

Besonders hoch gehen die Wogen, als <strong>Mahler</strong> für ein philharmonisches Konzert<br />

kleine Instrumentationsumarbeitungen an Beethovens Werk vornimmt:<br />

„Unseren Beethoven soll er fein in Ruhe lassen“, heißt es in der Presse. Und<br />

über <strong>Mahler</strong>s Musik äußert sich ein Kritiker: „Das was so gräßlich abstoßend<br />

an der <strong>Mahler</strong>schen Musik auf mich wirkt, das ist ihr ausgesprochen<br />

jüdischer Grundcharakter. (…) Wenn <strong>Mahler</strong>s Musik jüdisch sprechen würde,<br />

wäre sie mir vielleicht unverständlich. Aber sie ist mir widerlich, weil sie<br />

jüdelt. Das heißt, sie spricht musikalisches Deutsch, wenn ich so sagen darf,<br />

aber mit dem Akzent (…) des östlichen, des allzu östlichen Juden.“<br />

Woran man „jüdisches Komponieren“ erkennt, vermag der Kritiker nicht zu<br />

erklären. Nebulöse Formulierungen wie oben entstammen dem Dunstkreis<br />

antisemitischer Gruppierungen, die mit seriösen wissenschaftlichen Betrachtungen<br />

nichts zu tun haben und rasch als menschenfeindliches<br />

Propagandawerkzeug enttarnt sind.<br />

A


4 Diskussion: Was sagen uns diese Kommentare über die gesellschaftliche<br />

Situation und insbesondere über die Situation der jüdischen Bevölkerung<br />

Ende des 19. Jahrhunderts? (vgl. auch Kapitel 7)<br />

4 Auseinandersetzung mit dem „Sündenbock-Syndrom“ in der Gesellschaft:<br />

Welchen Bevölkerungsgruppen fällt heute die Rolle der Sündenböcke zu?<br />

(vgl. Roma-Ausweisungen in ganz Europa; Bombenattentate gegen Roma<br />

im Burgenland in den Neunzigerjahren; Roma-„Ghettos“ in den Vorstädten<br />

von Bratislava; Negativspirale Arbeitslosigkeit – Perspektivlosigkeit)<br />

Was sind die Aufgaben einer Gesellschaft, um der Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen<br />

entgegenzusteuern? Kennst Du Leute, die aufgrund ihrer<br />

Herkunft oder ihrer Kultur diskriminiert werden? Wie kann man den betroffenen<br />

Personen helfen?<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

B


Arbeitsblatt 2: Arthur Schnitzler –<br />

„Leutnant Gustl“<br />

Arthur Schnitzler wird 1862 in Wien als Sohn<br />

eines jüdischen Facharztes für Kehlkopferkrankungen<br />

geboren. Nach Studium und<br />

Promotion ist er, nicht zuletzt auf Wunsch<br />

seines Vaters und in Ermangelung einer<br />

eigenen Zukunftsperspektive, als Arzt tätig.<br />

Bereits seit seiner Jugend schreibt Schnitzler<br />

literarische Texte, zudem ist er ein<br />

pedantischer Tagebuchschreiber und eifriger<br />

Verfasser von Briefen. Seine Artzpraxis<br />

gibt er nie ganz auf, wenngleich ihn das<br />

literarische Schreiben immer mehr vereinnahmt.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Arthur Schnitzler mit seiner Gattin Olga<br />

und seinen Kindern Heinrich und Lili<br />

Schnitzler wird häufig als literarisches Pendant (= Ebenbild) Sigmund Freuds<br />

bezeichnet. „Leutnant Gustl“ ist das erste Werk in der deutschen Literaturgeschichte,<br />

das ausschließlich aus einem inneren Monolog besteht. Durch<br />

diese Erzähltechnik bringt Schnitzler das Unterbewusstsein seiner Figuren<br />

unmittelbar zum Vorschein. Aufgrund seiner kompromisslosen Darstellung ist<br />

Schnitzler immer wieder heftigen Angriffen ausgesetzt. Sein Theaterstück<br />

„Der Reigen“ (1900) provoziert den Vorwurf der Pornographie und weil er<br />

das militärische Ritual des Duells in „Leutnant Gustl“ (1899) lächerlich<br />

gemacht und damit den militärischen Ehrenkodex verletzt hat, wird dem<br />

Dichter sein Reserveoffiziersrang als „k.u.k. Oberarzt in Evidenz“ aberkannt.<br />

Nach der Trennung von seiner Frau Olga 1921 erzieht Schnitzler seinen Sohn<br />

Heinrich und seine Tochter Lili alleine. Lilis Selbstmord im Jahr 1928 erschütterte<br />

ihn tief. Er stirbt drei Jahre später an den Folgen eines Gehirnschlags.<br />

Im Folgenden findest du den Beginn der Novelle „Leutnant Gustl“.<br />

Diskussion:<br />

4Woran erkennt man, dass es sich um einen inneren Monolog<br />

handelt?<br />

4Wo befindet sich Leutnant Gustl? Welche Personen erwähnt er?<br />

4Wie würdest Du den Leutnant charakterisieren?<br />

A


Leutnant Gustl<br />

Wie lang' wird denn das noch dauern? Ich muß auf die Uhr schauen...<br />

schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer<br />

sieht's denn? Wenn's einer sieht, so paßt er gerade so wenig auf, wie ich,<br />

und vor dem brauch' ich mich nicht zu genieren... Erst viertel auf zehn?... Mir<br />

kommt vor, ich sitz' schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin's halt nicht<br />

gewohnt... Was ist es denn eigentlich? Ich muß das Programm anschauen...<br />

Ja, richtig: Oratorium! Ich hab' gemeint: Messe. Solche Sachen gehören<br />

doch nur in die Kirche! Die Kirche hat auch das Gute, daß man jeden<br />

Augenblick fortgehen kann. – Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt'! –<br />

Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End'! Vielleicht ist es sehr<br />

schön, und ich bin nur nicht in der Laune. Woher sollt' mir auch die Laune<br />

kommen? Wenn ich denke, daß ich hergekommen bin, um mich zu zerstreuen...<br />

Hätt' ich die Karte lieber dem Benedek geschenkt, dem machen<br />

solche Sachen Spaß; er spielt ja selber Violine. Aber da wär' der Kopetzky<br />

beleidigt gewesen. Es war ja sehr lieb von ihm, wenigstens gut gemeint. Ein<br />

braver Kerl, der Kopetzky! Der einzige, auf den man sich verlassen kann...<br />

Seine Schwester singt ja mit unter denen da oben. Mindestens hundert<br />

Jungfrauen, alle schwarz gekleidet; wie soll ich sie da herausfinden? Weil sie<br />

mitsingt, hat er auch das Billett gehabt, der Kopetzky... Warum ist er denn<br />

nicht selber gegangen? – Sie singen übrigens sehr schön. Es ist sehr erhebend<br />

– sicher! Bravo! Bravo!... Ja, applaudieren wir mit. Der neben mir<br />

klatscht wie verrückt. Ob's ihm wirklich so gut gefällt? – Das Mädel drüben in<br />

der Loge ist sehr hübsch. Sieht sie mich an oder den Herrn dort mit dem<br />

blonden Vollbart?... Ah, ein Solo! Wer ist das? Alt: Fräulein Walker, Sopran:<br />

Fräulein Michalek... das ist wahrscheinlich Sopran... Lang' war ich schon<br />

nicht in der Oper. In der Oper unterhalt' ich mich immer, auch wenn's langweilig<br />

ist. Übermorgen könnt' ich eigentlich wieder hineingeh'n, zur<br />

›Traviata‹. Ja, übermorgen bin ich vielleicht schon eine tote Leiche! Ah,<br />

Unsinn, das glaub' ich selber nicht! Warten S' nur, Herr Doktor, Ihnen wird's<br />

vergeh'n, solche Bemerkungen zu machen! Das Nasenspitzel hau' ich Ihnen<br />

herunter...<br />

Wenn ich die in der Loge nur genau sehen könnt'! Ich möcht' mir den<br />

Operngucker von dem Herrn neben mir ausleih'n, aber der frißt mich ja auf,<br />

wenig ich ihn in seiner Andacht stör'... In welcher Gegend die Schwester<br />

vom Kopetzky steht? Ob ich sie erkennen möcht'? Ich hab' sie ja nur zwei-<br />

oder dreimal gesehen, das letztemal im Offizierskasino... Ob das lauter<br />

anständige Mädeln sind, alle hundert? O jeh!... »Unter Mitwirkung des Singvereins«!<br />

– Singverein... komisch! Ich hab' mir darunter eigentlich immer so<br />

was Ähnliches vorgestellt, wie die <strong>Wiener</strong> Tanzsängerinnen, das heißt, ich<br />

hab' schon gewußt, daß es was anderes ist!.. Schöne Erinnerungen! Damals<br />

beim ›Grünen Tor‹... Wie hat sie nur geheißen? Und dann hat sie mir einmal<br />

eine Ansichtskarte aus Belgrad geschickt... Auch eine schöne Gegend! –<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

B


Der Kopetzky hat's gut, der sitzt jetzt längst im Wirtshaus und raucht seine<br />

Virginia!...<br />

Was guckt mich denn der Kerl dort immer an? Mir scheint, der merkt, daß<br />

ich mich langweil' und nicht herg'hör'... Ich möcht' Ihnen raten, ein etwas<br />

weniger freches Gesicht zu machen, sonst stell' ich Sie mir nachher im Foyer!<br />

– Schaut schon weg!... Daß sie alle vor meinem Blick so eine Angst hab'n...<br />

»Du hast die schönsten Augen, die mir je vorgekommen sind!« hat neulich<br />

die Steffi gesagt... O Steffi, Steffi, Steffi! – Die Steffi ist eigentlich schuld, daß<br />

ich dasitz' und mir stundenlang vorlamentieren lassen muß. – Ah, diese<br />

ewige Abschreiberei von der Steffi geht mir wirklich schon auf die Nerven!<br />

Wie schön hätt' der heutige Abend sein können. Ich hätt' große Lust, das<br />

Brieferl von der Steffi zu lesen. Da hab' ich's ja. Aber wenn ich die Brieftasche<br />

herausnehm', frißt mich der Kerl daneben auf! – Ich weiß ja, was<br />

drinsteht... sie kann nicht kommen, weil sie mit »ihm« nachtmahlen gehen<br />

muß... Ah, das war komisch vor acht Tagen, wie sie mit ihm in der Gartenbaugesellschaft<br />

gewesen ist, und ich vis-à-vis mit'm Kopetzky; und sie hat<br />

mir immer die Zeichen gemacht mit den Augerln, die verabredeten. Er hat<br />

nichts gemerkt – unglaublich! Muß übrigens ein Jud' sein! Freilich, in einer<br />

Bank ist er, und der schwarze Schnurrbart... Reserveleutnant soll er auch<br />

sein! Na, in mein Regiment sollt' er nicht zur Waffenübung kommen! Überhaupt,<br />

daß sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen – da pfeif ich<br />

auf'n ganzen Antisemitismus! Neulich in der Gesellschaft, wo die G'schicht'<br />

mit dem Doktor passiert ist bei den Mannheimers... die Mannheimer selber<br />

sollen ja auch Juden sein, getauft natürlich... denen merkt man's aber gar<br />

nicht an – besonders die Frau so blond, bildhübsch die Figur... War sehr<br />

amüsant im ganzen. Famoses Essen, großartige Zigarren... Naja, wer hat's<br />

Geld?...<br />

Bravo, bravo! Jetzt wird's doch bald aus sein? – Ja, jetzt steht die ganze<br />

G'sellschaft da droben auf... sieht sehr gut aus – imposant! – Orgel auch?...<br />

Orgel hab' ich sehr gern... So, das laß' ich mir g'fall'n – sehr schön! Es ist wirklich<br />

wahr, man sollt' öfter in Konzerte gehen... Wunderschön ist's g'wesen,<br />

werd' ich dem Kopetzky sagen... Werd' ich ihn heut' im Kaffeehaus treffen?<br />

– Ah, ich hab' gar keine Lust, ins Kaffeehaus zu geh'n; hab' mich gestern so<br />

gegiftet! Hundertsechzig Gulden auf einem Sitz verspielt – zu dumm! Und<br />

wer hat alles gewonnen? Der Ballert, grad' der, der's nicht notwendig hat...<br />

Der Ballert ist eigentlich schuld, daß ich in das blöde Konzert hab' geh'n<br />

müssen... Na ja, sonst hätt' ich heut' wieder spielen können, vielleicht doch<br />

was zurückgewonnen. Aber es ist ganz gut, daß ich mir selber das Ehrenwort<br />

gegeben hab', einen Monat lang keine Karte anzurühren... Die Mama<br />

wird wieder ein G'sicht machen, wenn sie meinen Brief bekommt!<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

C


Arbeitsblatt 3<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> trifft Sigmund Freud<br />

Ehekrise<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong> trifft Sigmund Freud am<br />

26. August 1910 in der niederländischen<br />

Stadt Leiden. Er sucht bei ihm Rat aufgrund<br />

einer vehementen Ehekrise, die<br />

mindestens seit dem Tod der älteren<br />

Tochter, Maria, 1907 im Alter von noch<br />

nicht ganz fünf Jahren anhält. Beiläufig<br />

stellt der Hausarzt der Familie bei <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Mahler</strong> einen Herzfehler fest – eine weitere<br />

Hiobsbotschaft.<br />

Zuletzt hatte Alma eine heftige Affäre mit<br />

dem 27-jährigen Architekten Walter Gropius.<br />

Dieser adressiert einen Liebesbrief<br />

an Alma zu Händen von „Herrn Direktor<br />

<strong>Mahler</strong>“ – ob Gropius dies absichtlich<br />

getan hat, oder ob es sich hier um eine<br />

„Freudsche Fehlleistung“ handelt, also<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Sigmund Freud (1856, Wien – 1939, London)<br />

In einer Zeit, in der man psychische<br />

Fehlleistungen hauptsächlich nach<br />

äußerlichen Symptomen untersuchte,<br />

begann Freud die Sphäre des<br />

Unbewussten zu erforschen.<br />

dass Gropius unbewusst den Brief an <strong>Mahler</strong> adressierte, darüber gehen die<br />

Meinungen auseinander. Nach dem Brief-Eklat kommt es zu einer heftigen<br />

Auseinandersetzung zwischen <strong>Gustav</strong> und Alma, woraufhin sich <strong>Gustav</strong> entschließt,<br />

Freud im Sommerurlaub in Holland aufzusuchen.<br />

<strong>Mahler</strong> lag nicht – wie sonst bei Freud üblich – auf der Couch, sondern man<br />

traf sich im Hotel und ging in der Stadt spazieren.<br />

„Ich nehme an, daß Ihre Mutter Marie hieß“<br />

Freud erinnert sich: „Ich habe <strong>Mahler</strong> (...) einen Nachmittag lang in Leiden<br />

analysiert und wenn ich den Berichten glauben darf, sehr viel bei ihm ausgerichtet.<br />

Sein Besuch erschien ihm notwendig, weil seine Frau sich damals<br />

gegen die Abwendung seiner Libido 1 von ihr auflehnte. Wir haben in höchst<br />

interessanten Streifzügen durch sein Leben seine Liebesbedingungen, insbesondere<br />

seinen Marienkomplex (Mutterbindung) 2 aufgedeckt; ich hatte<br />

Anlaß, die geniale Verständnisfähigkeit des Mannes zu bewundern.<br />

1 Libido: Der Begriff Libido (lat. libido: „Begehren, Begierde“) wurde von Sigmund Freud<br />

geprägt und bezeichnet jene psychische Energie, die mit den Trieben der Sexualität verknüpft<br />

ist. Triebe dienen allgemein der Lebens-, Art- und Selbsterhaltung. Die Libido äußert sich für<br />

Freud nicht nur auf der Ebene des Sexuellen, sondern auch in anderen Lebensbereichen,<br />

etwa der kulturellen Tätigkeit, die Freud als Sublimierung (=Ver-/Umwandlung) von libidinöser<br />

Energie versteht. Auch das Nichtsexuelle ist also für Freud letztlich von sexuellen Triebkräften<br />

geprägt. Nach Freuds Triebtheorie durchlaufen die Triebe in der Kindheit mehrere Entwicklungsphasen.<br />

Hemmungen in der Libidoentwicklung führen nach Freud zu psychischen Störungen.<br />

(Quelle: wikipedia.de)<br />

2 Marienkomplex: gemäß Freud eine überstarke Mutterbindung, die den Aufbau eigener<br />

(sexueller) Liebesbeziehungen hemmt.<br />

A


Auf die symptomatische Fassade seiner Zwangsneurose fiel kein Licht. Es<br />

war, wie wenn man einen einzigen, tiefen Schacht durch ein rätselhaftes<br />

Bauwerk graben würde.“<br />

<strong>Mahler</strong> scheint „sehr glücklich von Leiden wegzufahren“ und widmet die<br />

Achte Symphonie seiner Frau, die sich entschlossen hatte, bei ihm zu bleiben.<br />

<strong>Mahler</strong> muss sich zutiefst von Freud verstanden gefühlt haben.<br />

<strong>Mahler</strong> war von folgender Bemerkung Freuds tief beeindruckt: „Ich nehme<br />

an, daß Ihre Mutter Marie hieß. Ich möchte es aus verschiedenen Andeutungen<br />

in Ihrem Gespräch schließen. Wie kommt es dann, daß Sie<br />

jemanden mit einem anderen Namen, Alma, geheiratet haben, wenn doch<br />

Ihre Mutter offensichtlich eine dominierende Rolle in ihrem Leben spielte?“<br />

Da erzählte ihm <strong>Mahler</strong>, dass der Name seiner Frau Alma Maria sei, dass er<br />

sie aber Marie nenne! Dieses analytische Gespräch übte offenbar eine Wirkung<br />

aus, da <strong>Mahler</strong> seine Potenz wiedergewann und die Ehe bis zu seinem<br />

Tode, der leider schon ein Jahr danach erfolgte, glücklich war.<br />

Diese Wirkung erinnert an das Phänomen, das in der Psychologie als „Flash“<br />

bezeichnet wird. Es bezeichnet im Arzt-Patienten-Kontakt eine blitzartige<br />

Erleuchtung, eine völlig neue Einsicht in das zu behandelnde Problem.<br />

Almas Geschichte<br />

Freud erzählt: „<strong>Mahler</strong>s Frau Alma liebte ihren [früh verstorbenen] Vater Emil<br />

Jakob Schindler und konnte nur diesen Typus suchen und lieben. <strong>Mahler</strong>s<br />

Alter, das er so fürchtete, war gerade das, was ihn seiner Frau so anziehend<br />

machte. <strong>Mahler</strong> liebte seine Mutter und hat in jeder Frau deren Typus<br />

gesucht. Seine Mutter war vergrämt und leidend, und dies wollte er unterbewußt<br />

auch von seiner Frau Alma.“<br />

<strong>Mahler</strong> schreibt an Alma: „Es war immer latent in mir, dieser Hang zu Dir –<br />

Freud hat ganz recht – Du warst mir immer das Licht und der Centralpunkt!<br />

Freilich, das innere Licht, welches mir über Alles aufgegangen und das<br />

selige Bewußtsein - durch keine Hemmungen mehr getrübt - steigert alle<br />

meine Empfindungen ins Unendliche. Aber welche Qual und welcher<br />

Schmerz, daß Du es nicht mehr erwidern kannst. Aber so wahr als Liebe wieder<br />

Liebe erwecken muß, und Treue wieder Treue finden wird, solange Eros 3<br />

Herrscher unter den Menschen und Göttern sein wird, so wahr will ich mir<br />

wieder alles zurückerobern, das Herz, das einst mein war, und das doch nur<br />

mit dem meinen vereint zu Gott und der Seligkeit finden kann.“<br />

Alma verstand die Sache anders: „Er [<strong>Mahler</strong>] schilderte Freud seine sonderbaren<br />

Zustände und Sorgen, und Freud schien ihn wirklich beruhigt zu<br />

haben. Freud hatte ihm nach seiner Beichte die heftigsten Vorwürfe<br />

gemacht: ‚Wie kann man in einem solchen Zustand ein junges Weib an sich<br />

ketten?’ so fragte er."<br />

3 Eros: Der Lebenstrieb ist bei Sigmund Freud neben dem Todestrieb einer der beiden<br />

Primärtriebe, die das Verhalten des Menschen bestimmen. Die Libido sieht Freud als psychische<br />

Energie des Eros. Der Lebenstrieb steht für die Selbst- und Arterhaltung, für das Überleben<br />

und die Fortpflanzung des Individuums. Der Erosbegriff schließt alles mit ein, was auf<br />

Lustgewinn (z. B. körperlichen Kontakt, Essen, Bewegung, Freude) abzielt.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

B


Zusammenhänge zwischen traumatischen Erinnerungen und Komponieren<br />

<strong>Mahler</strong> entdeckte in diesem Gespräch Zusammenhänge mit seinem künstlerischen<br />

Schaffen. Freud berichtet: „Im Laufe des Gesprächs sagte <strong>Mahler</strong><br />

plötzlich, daß er jetzt verstünde, warum seine Musik bei den edelsten Stellen,<br />

gerade bei denen, die von den tiefsten Gefühlen inspiriert seien, nie die<br />

angestrebte Vollkommenheit erreichen könne, weil irgendeine vulgäre<br />

Melodie dazwischentrete und alles verderbe. Sein Vater, anscheinend ein<br />

brutaler Mensch, hatte seine Frau sehr schlecht behandelt, und als <strong>Mahler</strong><br />

noch ein kleiner Junge war, hatte sich zwischen ihnen einmal eine besonders<br />

peinliche Szene abgespielt. Dem Kleinen war es unerträglich<br />

geworden, und er rannte von zu Hause fort. Doch in demselben Augenblick<br />

ertönte gerade aus einem Leierkasten das bekannte <strong>Wiener</strong> Lied ,O du lieber<br />

Augustin'. <strong>Mahler</strong> meinte nun, von dem Moment an hätten sich in seiner<br />

Seele tiefe Tragik und oberflächliche Unterhaltung unlösbar verknüpft, und<br />

die eine Stimmung zöge unweigerlich die andere mit sich.“<br />

Quelle: http://www.aewk.de/download/MF_Juni2010.pdf<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

C


Arbeitsblatt 4<br />

Bau des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es –<br />

„Ein Haus für alle“<br />

Als man 1890 in Wien von einem zukünftigen<br />

Haus für Musikfeste träumte, plante man einen<br />

Mehrzweckbau, der breite Bevölkerungsschichten<br />

ansprechen sollte – im Unterschied<br />

zum traditionsreichen Musikverein.<br />

Die erste Idee kam von dem Architekten Ludwig<br />

Baumann: Sein „Olympion“ sollte Räume<br />

für Konzerte, Eislaufverein und Bicycleclub enthalten<br />

und in einer Freiluft-Arena insgesamt<br />

40.000 Menschen Platz bieten. Der Plan zerschlug<br />

sich, sein Anliegen aber lebte fort,<br />

denn das <strong>Konzerthaus</strong>, dessen Bau im Dezember<br />

1911 begann, wurde von demselben<br />

Ludwig Baumann gemeinsam mit den<br />

berühmten Theaterarchitekten Ferdinand Fellner<br />

und Hermann Gottlieb Helmer so<br />

angelegt, dass die drei (heute: vier) Säle gleichzeitig bespielt werden können, ohne dass<br />

die Veranstaltungen einander stören.<br />

Von Anfang an standen kultureller Zweck und künstlerische Mission des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es<br />

fest: „Eine Stätte zu sein für die Pflege edler Musik, ein Sammelpunkt künstlerischer<br />

Bestrebungen, ein Haus für die Musik und ein Haus für Wien.“<br />

Auf und hinter der Bühne In diesem Geiste wurde das <strong>Konzerthaus</strong> am 19. Oktober<br />

1913 unter der Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph I. mit<br />

einem feierlichen Konzert eröffnet.<br />

In den 20er und 30er Jahre findet neben klassischen Konzerten<br />

auch bedeutende Uraufführungen, Jazz- und<br />

Schlagerkonzerte, Lesungen berühmter Literaten, spiritistische<br />

Vorträge, Veranstaltungen mit Ausdruckstanz, Kongresse,<br />

Fecht- und Boxweltmeisterschaften im <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong><br />

statt.<br />

Die Jahre 1938 bis 1945 waren für das <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong><br />

von kultureller Verarmung geprägt. Unter dem vernichtenden<br />

Druck der nationalsozialistischen Diktatur verkam es zum Propaganda-<br />

und Unterhaltungsbetrieb. Nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg nahm das <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong> eine wichtige Rolle<br />

bei der Wiederbelebung und Erneuerung des österreichischen<br />

Musiklebens ein. Rasch wurde es zum führenden Veranstalter<br />

zeitgenössischer Musik in Österreich<br />

und zur gesuchten Bühne für<br />

den internationalen Jazz in Wien.<br />

Auch heute ist das Programm sehr<br />

vielseitig und lockt jährlich eine<br />

halbe Million BesucherInnen an.<br />

Unterrichtsmaterial <strong>Gustav</strong>-<strong>Mahler</strong>-<strong>Schnitzeljagd</strong><br />

Baubeginn für das <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong> im Jahr<br />

1911 – davor befand sich das Areal außerhalb<br />

der Stadtmauer, die etwa entlang des heutigen<br />

Rings verlief. Gelegentlich wurden auf<br />

der Fläche Kunstausstellungen organisiert. Im<br />

Zuge der Ringstraßen- Errichtung wurde<br />

beschlossen, das Areal für Kultur- und Erholungszwecke<br />

zu nutzen. <strong>Gustav</strong> <strong>Mahler</strong><br />

beteiligte sich an der Unterstützungserklärung,<br />

in der man für die Errichtung eines <strong>Konzerthaus</strong>es<br />

eintrat.<br />

Großer Saal: Teresa Carreño Youth Orchestra<br />

Im Loth: Fatima Spar & The Freedom Fries

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