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Regeln

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 04/2013

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 04/2013

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Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Ausgabe 04/2013<br />

<strong>Regeln</strong><br />

<strong>Regeln</strong><br />

1


<strong>Regeln</strong><br />

Was kann<br />

das Internet der Dinge?<br />

Neben dem Menschen, der Daten ins<br />

Internet einspeist und auf Endgeräten wie PC<br />

und Smartphone wieder nutzt, werden künftig auch<br />

immer mehr Maschinen ins Internet einsteigen und<br />

somit „intelligent“ werden. Bis 2020 sollen weltweit<br />

50 Milliarden Geräte 1 untereinander vernetzt sein:<br />

Waschmaschinen werden sich selbstständig<br />

einschalten, wenn der Strom gerade am günstigsten<br />

ist, oder die Fenster schließen von selbst, bevor<br />

der Regen kommt. Der Begriff „Internet of Things“<br />

wurde 1999 von Kevin Ashton erfunden,<br />

ein High-tech-Entrepreneur, der auch mit<br />

dem Massachusetts Institute of<br />

Quellen:<br />

1 Cisco IBSG<br />

2 VwGH 1448/62 VwSig 5.963 A = ZVR 1963/304<br />

3 BRalpha.de<br />

Technology (MIT)<br />

zusammenarbeitet.<br />

Impressum und Offenlegung<br />

Was ist<br />

die Wissenschaft<br />

Komplexer Systeme?<br />

Komplexe Systeme sind weit verbreitet, in<br />

der Biologie genauso wie im Sozialen: Das<br />

Gehirn besteht aus stark miteinander verflochtenen<br />

Zellverbänden. Auch menschliche<br />

Gesellschaften gelten als komplexe Systeme, weil<br />

Individuen in vielfältiger Weise miteinander in<br />

Beziehung treten. Die Wissenschaft<br />

Komplexer Systeme erforscht Muster und<br />

<strong>Regeln</strong> in der Wechselwirkung der<br />

unterschiedlichen Teile. Größte<br />

Herausforderung: Komplexe<br />

Systeme verhalten<br />

sich nicht linear.<br />

Medieninhaber und Herausgeber<br />

Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC),<br />

Schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0<br />

www.oeamtc.at<br />

ZVR-Zahl: 730335108, UID-Nr.: ATU 36821301<br />

Vereinszweck ist insbesondere die Förderung der Mobilität unter<br />

Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.<br />

Rechtsgeschäftliche Vertretung<br />

DI Oliver Schmerold, Verbandsdirektor;<br />

Mag. Christoph Mondl, stellvertretender Verbandsdirektor.<br />

Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbh<br />

Chefredaktion Mag. Gabriele Gerhardter (ÖAMTC),<br />

Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)<br />

Chefin vom Dienst Silvia Wasserbacher-Schwarzer, BA, MA<br />

Gibt es immer<br />

mehr <strong>Regeln</strong>?<br />

Seit 2007 setzt die EU<br />

auf Bürokratieabbau: Verwaltungslasten,<br />

die aus neuen EU-Regelungen resultieren,<br />

sollten um 25% reduziert werden, hieß es<br />

damals. Dennoch nimmt insgesamt die<br />

Regeldichte nicht ab: Allein in Österreich<br />

hat der Nationalrat zwischen Herbst 2008<br />

und Juli 2013 647 Gesetze verabschiedet.<br />

Wie viele alte, ungenutzte Gesetze<br />

in dieser Zeit gestrichen wurden,<br />

ist hingegen<br />

unbekannt.<br />

Sind <strong>Regeln</strong> und<br />

Intuition ein Widerspruch?<br />

Eine Regel ist der Ausdruck bestimmter<br />

Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungen und Erkenntnisse.<br />

Ihr Entstehungsprozess kann rational<br />

nachvollzogen werden. Intuition hingegen bedeutet,<br />

ohne rationalen Erkenntnisweg zu einer Entscheidung<br />

zu kommen. Man verlässt sich auf seine Eingebung.<br />

Überraschend: Auch in einer streng regelgeleiteten<br />

Wissenschaft wird die Intuition als anerkannte<br />

Quelle der Kreativität und des Erkenntnisweges<br />

genutzt. So sind etwa die Physiker Hans Peter<br />

Dürr und Anton Zeilinger überzeugt 3 ,<br />

dass das Neue nur mithilfe von<br />

Intuition geboren<br />

werden könne.<br />

Was sind<br />

Lead User?<br />

Userinnovatoren (oder Lead User)<br />

entwickeln Lösungen für eigene Bedürfnisse,<br />

weil der Markt ihnen nichts Passendes bietet.<br />

Ein Beispiel ist das Mountainbike:<br />

Der US-Amerikaner Gary Fisher erfand in den<br />

1970er-Jahren ein stabiles Fahrrad, das auch die von<br />

ihm geliebten Bergab-Rennen überstand. Seit 1986<br />

wurde die Lead User Method vom MIT-Professor Eric<br />

von Hippel zu einer wissenschaftlich fundierten<br />

Innovationsmethode entwickelt. Heute befassen sich<br />

Forscher auf der ganzen Welt mit dem Phänomen<br />

der User Innovation, da es für kommerzielle<br />

Anbieter sehr interessant sein kann,<br />

besonders innovative Anwender<br />

frühzeitig aufzuspüren und<br />

mit ihnen zusammenzuarbeiten.<br />

Was ist ein<br />

Verkehrszeichen?<br />

Ein Verkehrszeichen ist laut<br />

Verwaltungsgerichtshof ein stabil<br />

angebrachtes Zeichen, „das auf einer<br />

Straße mit öffentlichem Verkehr angebracht<br />

und schon nach seiner<br />

gesamten Aufmachung<br />

dazu bestimmt ist, den<br />

Verkehr an dieser<br />

Straßenstelle<br />

zu regeln“. 2<br />

Wer erfand<br />

die Ampel?<br />

Das erste Patent für eine Ampel<br />

meldete der amerikanische Ingenieur<br />

Earnest Sirrine am 28.04.1910 an (Patent Nr.<br />

US 976 939 A). Wie so oft bei Erfindungen ist<br />

jedoch zweifelhaft, ob er tatsächlich der erste<br />

war. Denn bereits 1868 soll in London eine<br />

mechanische Gaslaternenanlage mit rotem und<br />

grünem Licht installiert worden sein. Unsere<br />

heutigen Verkehrslichtsignalanlagen sind jedenfalls<br />

standardisiert und unterliegen den<br />

Vorgaben der ÖNORM (z.B. ÖNORM<br />

V 2020 – Installation von Verkehrslichtsignalanlagen<br />

(VLSA) –<br />

Neubau, Umbau und<br />

Verlegung).<br />

Wozu eine<br />

Signalschau?<br />

Alle zwei Jahre wird behördlich<br />

überprüft, ob Einrichtungen,<br />

die zur Regelung und Sicherung<br />

des Verkehrs dienen (z.B. Verkehrszeichen,<br />

Ampeln), noch erforderlich<br />

sind. Dieser Vorgang wird als<br />

Signalschau bezeichnet und<br />

ist in §96 Abs 2 der StVO<br />

festgelegt.<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe Dipl-Bw. Maren Baaz, Margit Hurich, Mag. (FH) Christian Huter,<br />

Mag. Claudia Kesche, Mag. Uwe Mauch, MMag. Ursula Messner, Dr. Daniela Müller, Dr. Ruth<br />

Reitmeier, Martin Strubreiter, Mag. Fritz Pessl, Mag. Julia Schilly, Katrin Stehrer, BSc,<br />

Theresia Tasser, DI Anna Várdai, Silvia Wasserbacher-Schwarzer, BA, MA<br />

Grafikdesign, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation, Barbara Wais, MA<br />

Fotos Karin Feitzinger<br />

Korrektorat Mag. Christina Preiner, vice-verba<br />

Druck Hartpress<br />

Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.<br />

Ausgabe 04/2013, erschienen im Oktober 2013<br />

Download www.querspur.at


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Heute<br />

Die Regelbrecher<br />

Ob im Hausbau oder bei Versicherungen<br />

– wer unzufrieden mit bestehenden<br />

<strong>Regeln</strong> ist, muss neue schaffen.<br />

Von Uwe Mauch<br />

Keine Flamme ohne Rauch<br />

Wer <strong>Regeln</strong> hinterfragt, kann rasch<br />

auf Widerstand stoßen.<br />

Von Daniela Müller<br />

Weniger <strong>Regeln</strong>: Ein Vorteil<br />

Um in der Katastrophe einen kühlen<br />

Kopf zu bewahren, braucht es vor<br />

allem Menschen, denen man blind<br />

vertrauen kann. Gerry Foitik über<br />

das Management außergewöhnlicher<br />

Situationen.<br />

Von Fritz Pessl<br />

Bewegungsmuster<br />

Von Fußgängerströmen, flexiblen<br />

Verkehrsanzeigen und Flugzeugaus<br />

lastungssystemen.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Unmissverständliche Signale<br />

Kleines Lexikon der internationalen<br />

Verkehrsregeln.<br />

Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer<br />

Morgen<br />

Maschinengeflüster<br />

Das Internet der Dinge gibt Werkstoffen<br />

ein Gehirn: Sie wissen, was aus<br />

ihnen werden soll. Die Produktion<br />

der Zukunft steuert sich somit selbst.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Weniger Grenzen, mehr Leben<br />

Was Design im Straßenraum verändert.<br />

Von Martin Strubreiter<br />

Start-ups<br />

Spannende Ideen zum Thema <strong>Regeln</strong>.<br />

Von Katrin Stehrer<br />

Spielregeln des Überlebens<br />

Schwarmintelligenz: Wenn Roboter<br />

von Ameisen lernen.<br />

Von Julia Schilly<br />

Mobilität kann man nicht in<br />

Kilometern messen<br />

Verkehrskonzepte als Veränderungsmotor<br />

einer Gesellschaft. Der Mobilitätsforscher<br />

Stephan Rammler im Interview.<br />

Von Daniela Müller<br />

Mit Hand und Fuß<br />

Künstliche Arme und Beine rücken<br />

dank fortschreitender Technologien<br />

immer näher an ihre natürlichen<br />

Vorbilder heran.<br />

Von Theresia Tasser<br />

10<br />

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4<br />

Foto: © festo.com Foto: © Karin Feitzinger<br />

Foto: © Rotes Kreuz Foto: © wavebreakmedia<br />

28<br />

<strong>Regeln</strong><br />

3


Maschinengeflüster<br />

Prozessor<br />

GPS<br />

Audio-In<br />

Interne Festplatte<br />

Optik<br />

Externe Lautsprecher<br />

Emotionsdisplay<br />

Audio-Out<br />

Umweltsondierung<br />

Sauerstoffansauger<br />

Treibtoffzufuhr<br />

Antriebsbatterie<br />

Steuerungselement<br />

Reproduktionseinheit<br />

Greifarm<br />

Steuerungselement<br />

Energieumwandler<br />

Feinsensorik<br />

Reproduktionseinheit<br />

Transportmechanismus<br />

4<br />

Temperatursensor<br />

Transportmechanismus<br />

Bodenbeschaffenheitsanalyse<br />

Foto: © Karin Feitzinger, Illustration: Barbara Wais


In der Produktion der Zukunft werden Materialien reden,<br />

Maschinen Teamfähigkeit beweisen müssen und Menschen bloSS<br />

noch dirigieren.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Industrie 4.0 ist eines der ganz großen<br />

Schlagworte der Zukunft und<br />

steht ambitioniert für die vierte industrielle<br />

Revolution. Nach der Dampfmaschine,<br />

dem Fließband und dem<br />

Computer ist nun die Wertschöpfungskette<br />

im und über das Internet<br />

der Dinge & Dienste angekündigt.<br />

In der Fabrik der Zukunft denkt die<br />

Maschine und der Mensch lenkt –<br />

oder ist es umgekehrt?<br />

In diesem neuen Industriezeitalter<br />

werden Maschinenbau und Elektrotechnik<br />

mit Informationstechnologie<br />

verschmolzen und dabei entsteht<br />

eine hochgradig flexible Fertigung.<br />

Kunden werden Produkte zunehmend<br />

nach individuellen Wünschen bestellen,<br />

es wird eine Produktion von Sonderanfertigungen<br />

sein. Das ist quasi<br />

das Versprechen der Industrie 4.0,<br />

und dies erfordert eine völlig andere<br />

Art, Dinge herzustellen – in Fertigungsprozessen,<br />

die sich weitgehend<br />

selbst organisieren.<br />

Das Kunststück:<br />

Mehr Waren mit<br />

weniger Rohstoffen<br />

und Energie<br />

„Die Schwierigkeit liegt dabei nicht<br />

zuletzt in der Planung des Materiallagers“,<br />

betont Andreas Kamagaew,<br />

Abteilungsleiter für Automation und<br />

eingebettete Systeme am Fraunhofer-<br />

Institut für Materialfluss und Logistik<br />

(IML). Die smarte Produktion in der Industrie<br />

4.0 funktioniert nur im Zusammenspiel<br />

mit intelligenter Logistik und<br />

Materialwirtschaft, zumal in Zukunft<br />

immer mehr Waren mit weniger Ressourcen<br />

hergestellt werden müssen.<br />

Dass sich etwa die Autoproduktion<br />

grundlegend ändert, ist keine Idee<br />

von Technikverliebten, sondern eine<br />

Überlebensfrage für die Branche.<br />

„Der Paradigmenwechsel, getrieben<br />

durch die Ressourcenknappheit und<br />

die daraus resultierenden Veränderungen,<br />

wie zum Beispiel die E-Mobilität<br />

in der Antriebstechnik erfordern<br />

eine Neudefinition der Wertschöpfungsketten.<br />

Deshalb müssen wir uns<br />

von bestehenden Produktionsstrukturen<br />

verabschieden“, betont Thomas<br />

Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-<br />

Instituts für Produktionstechnik und<br />

Automatisierung IPA in Stuttgart.<br />

FlieSSband adé:<br />

Produktion ohne<br />

Takt und Linie<br />

Wie Pkw künftig gefertigt werden,<br />

wird im Forschungsprojekt Arena<br />

2036 an der Universität Stuttgart entwickelt.<br />

Im Jahr 2036 feiert das Auto<br />

seinen 150. Geburtstag. Termingerecht<br />

soll die Neuerfindung seiner<br />

Produktion stehen. Konkret: Es wird<br />

eine Autoproduktion ohne Takt, ohne<br />

Linie sein. Die Fahrzeuge werden in<br />

Leichtbauweise aus Sekundärrohstoffen<br />

(Recyclingprodukte) gefertigt<br />

werden. Der Pkw wird keine linearverkettete<br />

Produktion, sondern Sta -<br />

tionen durchlaufen – eigenständig.<br />

Deshalb wird das Auto zunächst<br />

auf Räder gestellt und mit Kommunika<br />

tions technologie ausgestattet werden.<br />

Das rollende Chassis wird sich<br />

selbst zu den einzelnen Produktionsstationen<br />

aufmachen und dort den Impuls<br />

zum weiteren Aufbau geben. Im<br />

Unterschied zur klassischen Produktion<br />

wird dies ein System sein, das<br />

rasch auf Änderungen reagieren kann.<br />

Jedes Fahrgestell<br />

kennt seinen<br />

Auftrag und baut<br />

sich selbst auf<br />

Das funktioniert freilich nur, wenn alle<br />

dafür benötigten Informationen vernetzt<br />

zugänglich sind. Im Internet der<br />

Dinge hat deshalb jedes Teil einen Informationsträger,<br />

auf dem seine spezifischen<br />

Daten gespeichert sind: Wo<br />

komme ich her, in welchem Zustand<br />

bin ich, was soll aus mir werden? Die<br />

Teile kommunizieren übers Internet in<br />

der Cloud mit Maschinen und Menschen,<br />

konfigurieren sich selbst und<br />

speichern laufend neue Informationen<br />

ab. Ganze Fabriken werden sich über<br />

ein Touchdisplay überwachen lassen.<br />

Bei vielen Herstellern löst der Blick in<br />

diese Zukunft Euphorie aus. „Unternehmer,<br />

mit denen ich persönlich gesprochen<br />

habe, erwarten Effizienzvorteile<br />

bis zu 50 Prozent“, betont Bauernhansl.<br />

Diese Produktion ist lean (schlank<br />

in der Produktion), clean, green (weil<br />

ressourcenschonend) und digitalisiert<br />

und das impliziert, dass sie schnell<br />

und fehlerfrei sowie enorm wettbewerbsfähig<br />

ist.<br />

Getrübt wird die Freude von Ängsten<br />

ob der Sicherheit der Daten, denn die<br />

Industrie 4.0 kommt nicht ohne IT-<br />

Cloud aus. Die Übertragung sensibler<br />

Daten in virtuelle Rechenzentren<br />

ist jedoch vielen Unternehmen nicht<br />

geheuer. Vertrauensvolle Anbieter<br />

<strong>Regeln</strong><br />

5


Abbildung: © DLR (CC-BY 3.0) Foto: © Annexrf, Collage: Barbara Wais<br />

Das Industriezeitalter 4.0 ist schon<br />

angebrochen: Im Internet der Dinge vernetzen<br />

sich Geräte untereinander – im Haushalt<br />

genauso wie in der Produktionshalle und<br />

beim Transport.<br />

Fortpflanzung inbegriffen: Software wird<br />

sich künftig selbstständig weiterentwickeln.<br />

Manche sprechen in diesem Zusammenhang<br />

nicht mehr von Revolution, sondern von Evolution.<br />

Die neue Rolle des Menschen: Er wird vom<br />

Fabriksarbeiter zum Dirigenten.<br />

sicherer Lösungen werden wohl eine<br />

Schlüsselrolle auf dem Weg ins neue<br />

Industriezeitalter spielen. Es gibt aber<br />

auch brancheninterne Hürden. Damit<br />

die Industrie 4.0 an Breite gewinnen<br />

kann, sich entfaltet und Zusammenarbeit<br />

möglich wird, werden sich Unternehmen<br />

weltweit auf gemeinsame<br />

Standards einlassen müssen.<br />

die neue rolle von<br />

fabriksarbeitern:<br />

wertschöpfungsketten<br />

dirigieren<br />

Wo aber bleibt der Mensch? Tritt er<br />

nur noch als Kunde in Erscheinung<br />

oder aber als der eine, der in der<br />

smarten Fabrik das Tablet in der<br />

Hand hat? Experten versichern, dass<br />

auch die intelligente Produktion nicht<br />

ohne Menschen auskommt, die Rolle<br />

des Fabrikarbeiters sich jedoch fundamental<br />

ändern wird. Statt Fließbandarbeit<br />

im Takt und an der Seite<br />

klobiger Roboterarme wird der<br />

Mensch in der smarten Fabrik primär<br />

Leitungs- und Kontrollfunktionen<br />

übernehmen.<br />

Die Familie wird<br />

öfters in die Fabrik<br />

kommen<br />

„Er wird nach wie vor im Mittelpunkt<br />

dieser Fabrik stehen. Er wird der Dirigent<br />

der Wertschöpfung sein“, meint<br />

Bauernhansl. Auch wenn es niemand<br />

ausspricht, wird die smarte Fabrik<br />

mit weniger Beschäftigten auskommen.<br />

Automatisierung bedeutet immer<br />

auch Rationalisierung.<br />

Mit der Industrie 4.0 kündigt sich laut<br />

Experten zudem eine Kehrtwende<br />

in der Standortwahl an. Nachdem es<br />

sich dabei um eine nachhaltige und<br />

saubere Produktion handelt, wird<br />

sich die Fabrik in der Nähe ihres Personals<br />

ansiedeln und das Zentrum ihres<br />

Lebens bilden. Das erspart den<br />

Mitarbeitern einerseits lange Wege<br />

zwischen Wohn- und Arbeitsort, zugleich<br />

werden die Grenzen zwischen<br />

Berufs- und Privatleben zunehmend<br />

verschwimmen und sich letzteres<br />

stärker an den Arbeitsplatz verlagern.<br />

Bauernhansl: „Die Familie wird künftig<br />

öfter in die Fabrik kommen. Urbane<br />

Produktion meint ja nicht zuletzt,<br />

dass die Unternehmen auch den Familien<br />

der Mitarbeiter etwas bieten.<br />

Wenn die Schulkinder beim Mittagessen<br />

in der Werkskantine den Eltern<br />

von der Mathearbeit erzählen<br />

und dann in der Nachmittagsbetreuung<br />

des Unternehmens ihre Hausaufgaben<br />

machen, werden die Eltern<br />

vielleicht noch motivierter und leistungsfähiger<br />

arbeiten, ohne wegen<br />

familiärer Anforderungen unter Druck<br />

zu geraten.“<br />

Die ersten smarten Fabriken werden<br />

in etwa zwölf Jahren zu besichtigen<br />

sein. Die Industrierevolution kommt<br />

also nicht über Nacht, es bleibt noch<br />

6


ein wenig Zeit, die Gesellschaft auf<br />

die Veränderungen vorzubereiten.<br />

Diese sollte keinesfalls ungenutzt<br />

verstreichen, betonen Technikphilosophen.<br />

Zumal die Bevölkerung den<br />

Wandel nur dann akzeptieren und<br />

mittragen wird, wenn sie in die Entscheidungen<br />

darüber eingebunden<br />

ist. Werde dies verabsäumt, könne<br />

es statt zur industriellen Revolution<br />

zu gesellschaftlichem Widerstand<br />

kommen. Nicht alle Involvierten verstehen<br />

Industrie 4.0 als Revolution,<br />

einige sprechen von Evolution. Wobei<br />

die Weiterentwicklung primär<br />

aus der IT kommt. Auf den Punkt gebracht:<br />

Software wird sich künftig eigenständig<br />

weiterentwickeln.<br />

Fahrzeuge suchen<br />

sich eigenständig<br />

Aufgaben und Wege<br />

Am praktischen Beispiel des Gepäck-Handling<br />

auf Flughäfen: Die<br />

Steuerung von Fördersystemen, zum<br />

Beispiel das Anlaufen der Förderbänder,<br />

funktioniert bereits heute weitgehend<br />

automatisiert. Das klappt wie<br />

geschmiert, es sei denn, der Flughafen<br />

wächst und die Förderkapazitäten<br />

für Gepäck geraten an ihre Grenzen.<br />

„Denn bevor das bestehende System<br />

auch nur um einen Meter Förderband<br />

erweitert wird, müssen zunächst<br />

zirka 300.000 Euro ins Programmieren<br />

der Software gesteckt werden“,<br />

betont Kamagaew. In Zukunft wird<br />

sich bei einer Verlängerung des Förderbandes<br />

dieses eigenständig an<br />

die neuen Gegebenheiten anpassen.<br />

Softwarelösungen werden also immer<br />

besser werden (müssen) und adaptiv<br />

reagieren. Konnten in früheren Forschungsprojekten<br />

fahrerlose Transportfahrzeuge<br />

nur entlang einer<br />

Magnetspur steuern, nehmen sie<br />

heute Umgebungsinformationen auf.<br />

Am Fraunhofer IML wuseln in einer<br />

großen Halle 50 solcher Fahrzeuge<br />

herum, suchen sich eigenständig ihre<br />

Aufgaben und Wege, ja rittern quasi<br />

um neue Jobs. Wer ihn bekommt,<br />

folgt klaren <strong>Regeln</strong>: Der Transporter<br />

mit dem kürzesten Weg und/oder<br />

dem vollsten Akku. Dieses System<br />

organisiert sich selbst, es sei denn,<br />

der Mensch greift ein und zieht einen<br />

bestimmten Auftrag vor. „Der Mensch<br />

und seine Entscheidung bleibt letztendlich<br />

wichtiger“, betont Kamagaew.<br />

Intelligente<br />

Kiste meldet<br />

ihren Füllzustand<br />

Eine smarte Logistiklösung, die bereits<br />

in Serie erzeugt wird, ist der intelligente<br />

Behälter inBin, eine Kooperation<br />

zwischen dem Fraunhofer IML<br />

und dem Würth-Konzern, Spezialist<br />

für Schrauben und kleine Montageteile.<br />

Die tolle Kiste verfügt über ein<br />

Display, Tasten, eine Funkschnittstelle<br />

sowie eine integrierte Kamera und<br />

beherrscht Energy Harvesting, das<br />

heißt sie ist energieautark. Im Behälter<br />

sind Zähl- und Bestellfunktion bereits<br />

integriert, der Füllstand aller in<br />

ihm befindlichen Artikel wird automatisch<br />

ans Warenwirtschaftssystem<br />

übermittelt. Geht eine Schraubenart<br />

zur Neige, bestellt das Behältnis<br />

selbst nach. Wird ein iBin gerade<br />

nicht gebraucht, erteilt es den Auftrag,<br />

abgeholt zu werden.<br />

Der intelligente Container kann eine<br />

kleine Kiste oder ein 40-Fuß-Container<br />

mit einem Volumen von 67 m 3<br />

sein, der Platz für mehr als 10.000<br />

Schuhkartons bieten würde. Auch<br />

Lufthansa Cargo entwickelt zurzeit<br />

die Containerlogistik in diese Richtung.<br />

„Man ist dadurch nicht mehr<br />

von einem übergeordneten System<br />

abhängig“, betont Kamagaew. Der<br />

Container selbst ist das System.<br />

Roboter scheitern<br />

am Griff in<br />

die Kiste<br />

Zwar fallen jeder Automatisierung als<br />

erstes die Routinejobs zum Opfer,<br />

doch es gibt nach wie vor Tätigkeiten,<br />

denen Maschinen einfach nicht gewachsen<br />

sind und für die man trotzdem<br />

keinen Hochschulabschluss<br />

braucht – etwa Dinge aus der iBin<br />

herauszunehmen. Roboter scheitern<br />

kläglich am gezielten Griff in die Kiste.<br />

„Es gibt eben kein universell einsetzbareres<br />

Werkzeug als den Menschen“,<br />

sagt Kamagaew. Der Mensch wird allerdings<br />

künftig durch die Unterstützung<br />

kluger, teamfähiger Maschinen<br />

viel produktiver arbeiten. Smarte Lieferketten<br />

und -systeme spielen naturgemäß<br />

im Transport von Frischware<br />

eine wichtige Rolle, vor allem dabei,<br />

die nach wie vor hohen Verluste zu reduzieren.<br />

Das passiert bereits heute,<br />

etwa wenn Bananen während ihrer<br />

Schiffsreise so kühl gelagert werden,<br />

dass sie nicht weiter reifen, und erst<br />

in der Lagerhalle am Zielort quasi<br />

„aufgeweckt“ werden.<br />

SMARTE LIEFERKETTE:<br />

DER REIFEGRAD von<br />

Obst ENTSCHEIDET<br />

ÜBER DEN ZIELORT<br />

Der Reifegrad von Obst wird an seinem<br />

Ethylenausstoß bemessen. Im<br />

Monitoring von Frischware liegt noch<br />

enormes Optimierungspotenzial.<br />

„Denn bis zu 50 Prozent davon kommt<br />

verdorben im Geschäft an und wird<br />

weggeworfen“, betont Christiane<br />

Auffermann, Expertin für Handelslogistik<br />

am Fraunhofer IML. Wird<br />

jedoch bereits in Spanien der Reifegrad<br />

der Tomaten gemessen, kann<br />

der Großhändler kurzfristig entscheiden,<br />

dass die Ware den Transport<br />

nach Österreich nicht frisch überstehen<br />

wird, und die Ladung stattdessen<br />

regional verkaufen.<br />

Auch in der Handelslogistik geht es<br />

also in Zukunft darum, flexibler, nachhaltiger<br />

und kosteneffizienter zu liefern.<br />

So arbeitet Auffermann aktuell an<br />

einem Projekt für drei deutsche<br />

Lebensmittelhandelskonzerne. Von<br />

einem gemeinsamen Hub aus werden<br />

umliegende Geschäfte mit Waren aller<br />

drei Anbieter beliefert. Damit wird<br />

nicht nur die Auslastung der Transportfahrzeuge<br />

erhöht, Touren können<br />

effizienter geplant werden, und das<br />

spart Zeit, Geld und Verkehr. •<br />

<strong>Regeln</strong><br />

7


USERSTORY<br />

Die, die es lieben,<br />

Konventionen zu<br />

brechen<br />

Fotos: linke Seite: © Günter Lang; rechte Seite: © Karin Feitzinger<br />

ÜBER ZWEI, DIE SICH NICHT MIT DEM<br />

IST-ZUSTAND IHRER WELT ZUFRIEDEN<br />

GEBEN WOLLTEN UND DAHER EINE<br />

EIGENE LÖSUNG SCHUFEN. Von Uwe Mauch<br />

Aktiv zum Passivhaus<br />

Alle waren skeptisch. Damals, 1999: Der Bürgermeister<br />

einer kleinen Salzkammergut-Gemeinde, weil er sich um das<br />

Ortsbild sorgte. Der Rauchfangkehrer, weil in seinem Weltbild<br />

kein Haus ohne Notkamin vorgesehen war. Die Kollegen<br />

des Bautechnikers, weil man einen kreisrunden Messestand<br />

nie und nimmer in ein Einfamilienhaus, noch dazu in ein Passivhaus,<br />

verwandeln kann. Die Fensterverkäufer bei diversen<br />

Energiesparmessen, weil sie die Frage nach einem Passivhaus-Fenster<br />

als die Frage eines Spinners abtaten. Und die<br />

Kostenrechner, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass<br />

man beim Ausbau eines Hauses mit bis zu 53 cm dicker Dämmung<br />

Geld sparen und Lebensqualität gewinnen kann.<br />

GÜNTER LANG, einer der ersten Passivhausbesitzer Österreichs<br />

und Gründer einer Passivhaus-Consultingagentur,<br />

lächelt zufrieden: „Ich war immer schon als Sturschädel bekannt.<br />

Erst wenn mir so viel Skepsis entgegenschlägt, weiß<br />

ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“<br />

Den richtigen Weg beschreibt Lang so: „Mein Haus hat<br />

nicht mehr gekostet als der Bau eines herkömmlichen Hauses.“<br />

Der Verzicht auf alle Gerätschaften und Räume, die<br />

man zum Heizen benötigt, habe sich vom ersten Tag an rentiert.<br />

Und die Lebensqualität? Er schwärmt: „Wir haben in<br />

Wien eine Wohnung. Beides probiert, kein Vergleich.“<br />

Faktum ist auch: Hätte er sich an die Konventionen gehalten,<br />

hätte er sein Haus nie bezogen, hätte er auch seine Consulting-Firma<br />

nicht gründen können.<br />

Viele sind skeptisch. Heute, 2013. Lang hat fertige Konzepte<br />

erarbeitet, wie man Österreich in ein Passivland verwandeln<br />

könnte, mit vielen Passivhäusern, die in Summe mit<br />

weniger statt mit noch mehr Kraftwerken betrieben werden<br />

könnten. Noch immer sieht er sich auf dem richtigen Weg.<br />

Heute sagt er: „Meine drei Söhne geben mir die Kraft, gegen<br />

die Widerstände weiter anzukämpfen.“<br />

www.langconsulting.at<br />

8


„Wir haben den Markt aufgemischt“<br />

Nein, sie passt nicht ins Bild: Wer in der Welt der Versicherungen<br />

das Sagen hat, kommt zu den Meetings,<br />

in denen es um Millionen geht, niemals mit dem Fahrrad.<br />

Und ist nie und nimmer eine zierliche, lockerselbstbewusst<br />

auftretende Frau.<br />

DIANA RADULOVSKI, mit ihren 27 Jahren schon eine<br />

Grande Dame in der hiesigen Versicherungswirtschaft, versichert<br />

mit einem ernsten Lächeln: „Ich liebe es, Konventionen<br />

zu brechen.“<br />

Liebe beruht auch auf eigenen Erfahrungen. Radulovskis Erfah<br />

rungen waren in ihrer Kindheit von Armutsphänomenen geprägt.<br />

Die Tochter eines Exportmanagers und einer Buchhalterin<br />

war zum Zeitpunkt des kommunistischen Zerfalls gerade<br />

fünf. „Aufgrund der Schließung vieler Staatsbetriebe haben<br />

mein Vater, meine Mutter, mein Opa, meine Oma und meine<br />

Tante ihre Arbeit verloren.“ Ihre Familie lebte dann von der Hand<br />

in den Mund. „Wir haben in unserem Garten Obst und Gemüse<br />

angebaut und die Ernte an unsere Nachbarn verkauft.“<br />

Ihre Eltern waren daher gar nicht begeistert, als sie in ihrer<br />

Tochter eine hochbegabte Schülerin sahen. Denn diese Schülerin<br />

hatte sich in den Kopf gesetzt, ein teures Elite-Gymnasium<br />

zu besuchen. Wer weiß, wo sie heute wäre, wenn sie den<br />

Worten ihres Vaters gefolgt wäre: „Diana, du wirst dich auch<br />

durchsetzen, wenn du in eine herkömmliche Schule gehst.“ Ist<br />

sie aber nicht, weil sie sich nicht zum duldsamen Menschen<br />

eignet. „Ich bin mit 13 von zu Hause ausgezogen.“<br />

Heute sind Dianas Eltern, die ihre letzten Lew für ihre Schulbildung<br />

ausgegeben haben, sehr stolz. Dabei hat es ihnen ihre<br />

Diana lange nicht leicht gemacht.<br />

Exemplarisch auch ihr Auszug nach Ägypten: „Bald nach der<br />

Matura konnte ich ein Semester mit einem Stipendium an der<br />

Universität in Klagenfurt studieren.“ Doch sie wollte länger<br />

studieren als ein Semester, was nicht finanzierbar war, und in<br />

Österreich arbeiten durfte sie damals auch nicht. Gegen den<br />

Willen ihrer Eltern flog sie daher als Animateurin einer großen<br />

Hotelkette ins ägyptische Hurghada. „Für mich war das wie<br />

ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Ich war gerade 19,<br />

durfte zum ersten Mal fliegen, und dann stand ich vor diesem<br />

beeindruckenden Hotelpalast.“<br />

Binnen kurzer Zeit stieg sie zur angesehenen Hotelmanagerin<br />

auf. Wichtiger war ihr jedoch ihre Ausbildung. Daher kam sie<br />

an die Wirtschaftsuniversität in Wien. Und musste erneut bei<br />

Null beginnen: „Ich war in jedem Geschäft in der Mariahilfer<br />

Straße und habe gefragt, ob es Arbeit für mich gibt.“ Es gab<br />

nichts, und aus heutiger Sicht ist das auch gut so.<br />

Während des Studiums, das sie in Mindestzeit abgeschlossen<br />

hat, lernte sie ihren Mann kennen, der damals bulgarischen<br />

Landsleuten Versicherungen verkaufte. Gemeinsam<br />

setzten die beiden ihre eigene Idee um: „Die unübersichtlichen,<br />

teils verwirrenden Angebote der großen und kleinen<br />

Versicherungen genau zu vergleichen und unsere Ergebnisse<br />

im Internet für alle zugänglich zu machen.“<br />

Inzwischen ist ihr Online-Portal versichern24.at gut etabliert.<br />

„Die Menschen, die bei uns die Angebote bequem vergleichen<br />

können, lieben uns.“ Die erstaunlich Erfolgreiche, die<br />

heute 15 Menschen – darunter auch ihrer Mutter – Arbeit geben<br />

kann, geht auch in die heutige Sitzung völlig entspannt.<br />

Sie weiß es, und auch die Herren in den Anzügen, von denen<br />

sie einer einmal um einen Kaffee schicken wollte, wissen es<br />

längst: „Keiner hat an die Idee, über das Internet Versicherungen<br />

zu verkaufen, geglaubt. Die Bank wollte uns erst gar<br />

keinen Kredit geben. Inzwischen kooperieren die meisten<br />

Unternehmen mit uns. Wir haben den Markt aufgemischt.“<br />

Schon hat Diana Radulovski ein zweites Portal eröffnet. Dort<br />

vergleichen ihre Leute die Preisunterschiede der Strom- und<br />

Gas-Anbieter. Was sie sonst noch vor hat, will die unkonventionelle<br />

Unternehmerin noch nicht laut sagen. Wir dürfen gespannt<br />

sein, und Versicherer und Energie-Anbieter sollten<br />

sich schon einmal warm anziehen.<br />

www.versichern24.at<br />

www.stromgas24.at<br />

<strong>Regeln</strong><br />

9


10<br />

Foto: © Karin Feitzinger


Keine<br />

Flamme<br />

ohne Rauch<br />

Das Wiener Schnitzel ist paniert, das Mailänder wird mit<br />

Spaghetti serviert. Konventionen regeln das Leben.<br />

Doch muss man diese, beim Kochen wie auch sonst im Leben,<br />

wirklich befolgen? Von Daniela Müller<br />

Menschen befolgen <strong>Regeln</strong>. Beim<br />

Autofahren, beim Arbeiten, beim<br />

Kochen. Schert jedoch einer aus, kann<br />

das ungemütlich werden: Der Koch<br />

Bernhard Gössnitzer aus Eggelsberg<br />

in Oberösterreich weiß darüber<br />

eine Geschichte zu erzählen. Sie beschreibt,<br />

wie heftig die Sanktionen der<br />

Gesellschaft nach dem Ausbruch aus<br />

dem Geordneten sein können. Und<br />

wie wichtig es manchmal dennoch ist,<br />

<strong>Regeln</strong> zu brechen.<br />

Bernhard Gössnitzer kann kochen.<br />

Auf sehr hohem Niveau. In sein kleines<br />

Wirtshaus im Innviertel strömten<br />

gleich zu Beginn seiner Karriere viele<br />

Genussmenschen, die seine Küche<br />

zu schätzen wussten. Darunter auch<br />

Gourmetführer, die ihm bald eine<br />

Haube aufsetzten. Auf der Straße zum<br />

Erfolg missfiel ihm jedoch eines ganz<br />

arg: Der Hummer-Gourmet-Hype<br />

der 90er-Jahre. Als er an eine große<br />

Tageszeitung einen Leserbrief schrieb,<br />

in dem er die Tierquälerei bei der Zubereitung<br />

von Hummer anprangerte<br />

– Hummer werden lebend gekocht –,<br />

kam postwendend ein Brief vom großen<br />

Gourmetführer, der ihn gerade<br />

auf den Thron gehoben hatte, in dem<br />

er den Revoluzzer zur Ordnung rief.<br />

Daraufhin gab Gössnitzer seine<br />

Haube zurück und entsagte sich<br />

fortan jeglicher Kochbewertung<br />

durch Gourmetführer. Seine eigenen<br />

moralischen Vorstellungen in Bezug<br />

auf Tierschutz waren ihm wichtiger<br />

als das Urteil der Gourmetkritiker.<br />

Seit diesem Schlüsselerlebnis definiert<br />

er seine Küche strikt nach seinen<br />

eigenen Vorstellungen und fährt,<br />

gemessen am Zuspruch seiner Gäste,<br />

gut damit.<br />

TROTZ REGELBRUCHs<br />

EIN GUTES GESCHÄFT<br />

<strong>Regeln</strong> sind dazu da, gebrochen zu<br />

werden, besagt ein Sprichwort. Doch<br />

ganz so leicht ist es nicht: Vorschriften<br />

werden in den meisten Systemen<br />

und Gesellschaften nur selten infrage<br />

gestellt, der Mensch wird in<br />

das Regelwerk hineingeboren. „Eine<br />

Ordnung lebt davon, dass sie nicht als<br />

Ordnung thematisiert wird“, sagt der<br />

Soziologe Stephan Lessenich von der<br />

Universität Jena.<br />

Schließlich haben <strong>Regeln</strong> wichtige<br />

Funktionen für das Leben in der<br />

Gemeinschaft: Sie geben vor, wie<br />

sich die Mitglieder einer Gesellschaft<br />

verhalten müssen (Gesetze), sollen<br />

(Sitten) oder können (Gebräuche und<br />

Gewohnheiten).<br />

DER NATÜRLICHEN<br />

UNORDNUNG<br />

einen Riegel<br />

vorschieben<br />

Da sie für alle Mitglieder bindend<br />

sind und das Verhalten wechselseitig<br />

kalkulierbar machen, sorgen sie für<br />

Ordnung und Stabilität und damit für<br />

Handlungssicherheit: Der Einzelne<br />

kann dann allerdings nicht mehr machen,<br />

was er will. Doch er weiß, dass<br />

sich auch die anderen an die Normen<br />

zu halten haben. Nur so ist eine Gesellschaft<br />

des Gemeinwohls möglich,<br />

indem beispielsweise Steuern und<br />

Sozialbeträge fraglos bezahlt werden.<br />

„Mit gewissen ungleichen Voraussetzungen<br />

muss eine Gesellschaft im<br />

Wohlfahrtsstaat einfach leben, dass<br />

also manche mehr aus dem System<br />

nehmen als sie einbringen“, erklärt<br />

<strong>Regeln</strong><br />

11


Foto: © wavebreakmedia<br />

Raus aus dem Silo einer Fachkarriere: Immer mehr Menschen orientieren sich beruflich um und starten etwas Neues. Solche Patchwork-<br />

Karrieren werden heute noch vielfach als Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen gesehen. Doch das wird sich ändern.<br />

Lessenich, „Es ist wie im Straßenverkehr.<br />

Ich muss vertrauen, dass der<br />

andere nicht ohne Vorwarnung die<br />

Spur wechselt.“<br />

An sozialen Verhaltensvorschriften<br />

können wir ablesen, was einer Gesellschaft<br />

wichtig ist. Problematisch<br />

wird es allerdings, wenn die Gruppe<br />

der Regelbrecher zu klein wird. Dann<br />

herrscht zu viel Erstarrung und passiert<br />

zu wenig Fortschritt. Und auch<br />

umgekehrt: Gibt es zu viele Regelbrecher,<br />

können Systeme kippen. Wenn<br />

sich zum Beispiel mehr Menschen aus<br />

(sozialen) Versicherungssystemen bedienen,<br />

als es Einzahler gibt.<br />

Für das Gemeinwohl sei es wichtig,<br />

möglichst vielfältige Gruppen in einer<br />

großen Sicherheitsgemeinschaft<br />

zusammenzuschließen und die Risiken<br />

auszugleichen, ist der Soziologe<br />

überzeugt. Das kann allerdings neue<br />

Vorschriften und Beschränkungen<br />

bedeuten. Und auch neue Sanktionen<br />

bringen: Weil es von der Gesellschaft<br />

nicht in jedem Kontext goutiert wird,<br />

sein eigenes Süppchen zu kochen,<br />

werden Regelbrecher bestraft. Die<br />

Geldstrafe für jene, die bei Rot über<br />

die Ampel fahren, Haftstrafen für Gewalttäter<br />

oder eben den erzwungenen<br />

oder freiwilligen Ausstieg aus einer<br />

Gemeinschaft bei Ungehorsam.<br />

Erwünschtes<br />

Verhalten wird von<br />

der Mittelschicht<br />

diktiert<br />

Sanktionen verfolgen zwei Ziele: Einerseits<br />

sollen sie Regelbrecher für<br />

ihr Vergehen bestrafen, gleichzeitig<br />

aber der Gemeinschaft auch zeigen,<br />

was passiert, wenn man aus der Reihe<br />

tanzt. Das betraf auch den Koch.<br />

Wo es nur um Gewohnheiten oder<br />

Gebräuche geht und nicht um Gesetze,<br />

bestimmen informelle <strong>Regeln</strong>,<br />

wie das erwünschte Verhalten aussehen<br />

soll. Festgelegt werden diese<br />

übrigens in den westlichen Gesellschaften<br />

meist von der Mittelschicht:<br />

Diese gibt seit den 1950er-Jahren vor,<br />

wie und wann man heiratet, wie und<br />

wo man wohnt, zur Miete oder im<br />

Eigentum, welche Jobs hochwertig<br />

sind und welche minderwertig. Die<br />

Mittelschicht ist die am häufigsten<br />

angestrebte Lebensform, zu der sich<br />

immerhin 80 Prozent der westlichen<br />

Bevölkerung zugehörig fühlen. Und<br />

weil viele Menschen dieser Schicht<br />

angehören wollen, handeln sie, wie<br />

man es eben sollte. Essen, was gerade<br />

angesagt ist. Unbewusst oder<br />

bewusst.<br />

„Viele Diktate der Gesellschaft muss<br />

man hinnehmen, wenn auch zähneknirschend.<br />

Wir leben eben auf<br />

Geleisen, die wenig Fußmärsche und<br />

Abseits-Tingeltangel zulassen“, sagt<br />

der Koch Bernhard Gössnitzer.<br />

12


Foto: ©Christoph Wisser<br />

Weg vom Massenstandard, hin zum Individualismus: In Sportarten wie dem Parkour ist es Programm, die Grenzen des Möglichen von<br />

Mensch und Umgebung auszuloten und damit für sich selbst neue <strong>Regeln</strong> zu definieren.<br />

Die Grenzen der Freiheit<br />

Freiheit versus Regelvielfalt ist wie Yin und Yang, das eine braucht<br />

das andere. Das Gegensatzpaar wechselt sich in der Gesellschaft in<br />

regelmäßigen Zyklen ab, zuletzt kam nach der großen Freiheitsliebe<br />

der 1960er- und 1970er-Jahre eine neokonservative Gegenbewegung.<br />

Individueller als vor wenigen Jahrzehnten sind heute tendenziell<br />

die persönlichen Biografien, weil im Leben mehr Entscheidungen als<br />

früher getroffen werden müssen. Parallel dazu nehmen Meinungsmacher<br />

wiederum Standardisierungen in der Mode, bei Musikstilen und<br />

in der Freizeitbeschäftigung vor – mit klaren Anweisungen, was hip ist<br />

und bei den anderen angeblich gut ankommt. Standardisierungen und<br />

eine gewisse Konformität sind auch bei Lebenswegentscheidungen<br />

zu finden, etwa welche Bildungszertifikate man erwirbt oder ob man<br />

ein Auslandssemester absolviert. Tut man das nicht, gibt es Sanktionen:<br />

Ein Schulabbruch schließt einen beispielsweise von bestimmten<br />

Arbeitsmarktsegmenten aus. Individualismus und Konformität sind somit<br />

stets ein Wechselspiel. Doch sobald im gesellschaftlichen Kontext<br />

gedacht wird, ist ein System ohne <strong>Regeln</strong> ohnehin nicht denkbar.<br />

Das sagte schon vor über hundert Jahren der französische Soziologe<br />

Émile Durkheim. Unbeschränkte Freiheit sei unmöglich. Die eigene<br />

beginne nämlich dort, wo die Freiheit des anderen aufhöre. Oder um<br />

es mit Rosa Luxemburg auszudrücken: „Freiheit ist immer Freiheit der<br />

Andersdenkenden.“<br />

Wird etwas nur<br />

gemacht, weil es<br />

schon immer so<br />

war?<br />

Lob gibt es für Regelbrecher oder<br />

solche, die <strong>Regeln</strong> hinterfragen,<br />

nämlich kaum. Dabei wären sie ein<br />

wichtiger Motor des Fortschritts: So<br />

lange eine Gesellschaft nicht über die<br />

bestehende Ordnung diskutiere, fänden<br />

kaum Veränderungen statt, betont<br />

Lessenich. Meist werde dieser Prozess<br />

von Wissenschaftern und Forschern<br />

ausgelöst, die als Warnmelder fungierten.<br />

Allerdings brauche Veränderung<br />

ihre Zeit: Der Soziologe ist überzeugt,<br />

dass ein zu frühes Eingreifen – im<br />

Sinn einer Veränderung der Spielregeln<br />

– in den meisten Fällen nur<br />

Widerstand wecke, etwa wenn man<br />

aufgrund der Erkenntnis, dass CO 2<br />

zu Umweltproblemen führt, nur mehr<br />

Drei-Liter-Autos zulassen würde.<br />

Die Zeit für neue <strong>Regeln</strong> kommt meist<br />

erst dann, wenn in einer breiteren<br />

Bevölkerungsschicht thematisiert und<br />

wahrgenommen wird, dass ein kollektives<br />

Problem besteht, etwa wenn<br />

die Folgen von ungebremstem CO 2<br />

-<br />

Ausstoß wirklich nicht mehr geleugnet<br />

werden können. Das macht es auch<br />

der Politik so schwer, vorausschauender<br />

zu agieren. Wobei in den meisten<br />

Fällen im Nachhinein klar werde, dass<br />

die Diagnose sogar zu spät erfolgte,<br />

beobachtet der Soziologe Lessenich.<br />

Doch das sei nun einmal die Logik des<br />

Sozia len. Rechtzeitiges Ausbrechen<br />

funktioniert nur dann, wenn viele<br />

Menschen bedenkliche <strong>Regeln</strong> früher<br />

hinterfragen. Veränderung durch<br />

Nachfragen, was man unter <strong>Regeln</strong><br />

überhaupt versteht und wie sie zustande<br />

gekommen sind, sei ein großer<br />

Schritt vorwärts, sagt der Soziologe<br />

Lessenich. „Wird etwas gemacht, weil<br />

es schon immer so gemacht wurde?<br />

Kennedy hat nicht<br />

den einfachsten Weg<br />

gewählt – weil er<br />

etwas bewegen<br />

wollte<br />

Oder kann man mitbestimmen? Das<br />

wäre Demokratie.“ Der unreflektierte<br />

Umgang mit <strong>Regeln</strong>, bloßes Mit- und<br />

Nachmachen ist auch für Gössnitzer<br />

ein Greuel. Die Welt wäre mehr in<br />

Ordnung, würde jeder seine Gedanken<br />

dort einsetzen, wo sie für die<br />

ganze Gesellschaft nützlich werden<br />

könnten. „J.F. Kennedy hat es mit<br />

folgendem Spruch schön beschrieben:<br />

„We choose to go to the moon in this<br />

decade and do the other things. Not<br />

because they are easy, but because<br />

they are hard.“ Das Einfache im Leben<br />

ist nicht immer der einfachste<br />

Weg, doch es sei wichtig, seinen eigenen<br />

Weg zu finden und zu gehen.<br />

•<br />

<strong>Regeln</strong><br />

13


„Wenige formale <strong>Regeln</strong><br />

sind ein großer Vorteil“<br />

Foto: © Rotes Kreuz<br />

Was gibt in der Katastrophe Sicherheit?<br />

Entscheidend seien Sozialkapital und rasche Information,<br />

die in Zukunft vermehrt von den Bürgern kommen werde,<br />

sagt Bundesrettungskommandant Gerry Foitik. Von Fritz Pessl<br />

Sie sind seit 2007 oberster Einsatzkoordinator<br />

des Roten Kreuzes.<br />

Welche Eigenschaften muss ein<br />

guter Katastrophenmanager<br />

mitbringen?<br />

Er muss sein Handwerk beherrschen, gut<br />

kommunizieren und darf keine Scheu<br />

haben, seine Stärken und Schwächen zu<br />

offenbaren. Und Entscheidungsstärke,<br />

das heißt, mit unsicheren Informationen<br />

rasch zu entscheiden. Den Mitarbeitern<br />

vor Ort muss das Gefühl vermittelt werden,<br />

dass jemand da ist, der die Situation<br />

im Blick hat.<br />

Im Katastrophenmanagement findet<br />

man nur wenige Frauen. Warum ist<br />

dieser Beruf so männerdominiert?<br />

Das ist aus der Tradition erklärbar. Bis<br />

vor zehn Jahren waren wenige Frauen<br />

bei den Notorganisationen tätig. Beim<br />

Roten Kreuz haben Frauen im Rettungsdienst<br />

stark aufgeholt, einige sind schon<br />

Kata strophenmanagerinnen. Sie sind<br />

aber noch immer unterrepräsentiert.<br />

Gibt es etwas, das Frauen im Katastrophenmanagement<br />

besser machen als<br />

Männer?<br />

Die Stärke von Frauen ist, dass sie offener<br />

kommunizieren. Sie senden mehr Ich-<br />

Botschaften, ohne gleich zu befürchten,<br />

das könnte als Schwäche ausgelegt werden.<br />

Aber das ist der einzige Unterschied und<br />

der ist marginal. In den meisten Fällen<br />

würde mir nicht auffallen, ob eine Einheit<br />

von einer Frau oder einem Mann geführt<br />

wird.<br />

Nach welchen <strong>Regeln</strong> funktioniert das<br />

Management von Katastrophen?<br />

Grundsätzlich dienen <strong>Regeln</strong> dazu,<br />

für Menschen, die einander nicht oder<br />

14


Foto: © Rotes Kreuz<br />

Ein großer Raum mit vielen Monitoren, Pinwänden, Telefonen und dicht<br />

aneinander gestellten Schreibtischen, damit Informationen schnell dort<br />

hinkommen, wo sie gebraucht werden: Die Katastropheneinsatzzentrale<br />

ist Gerry Foitiks Arbeitsplatz. Er ist Bundesrettungskommandant des Österreichischen<br />

Roten Kreuzes und verantwortlich für das länderübergreifende<br />

strategische Katastrophenmanagement, das er mit einem bis zu<br />

20 Personen umfassenden Führungsstab koordiniert. Zu den letzten großen<br />

Einsätzen, die der 43-jährige Betriebswirt leitete, zählen das Schneechaos<br />

in Ungarn im März 2013 und das Hochwasser im vergangenen Sommer,<br />

bei denen mehrere Hundert Hilfskräfte unter seiner Verantwortung agierten.<br />

nicht gut kennen, klare Rollen- und<br />

Kompetenz verteilungen zu treffen. Und<br />

transparent zu machen, damit jeder weiß,<br />

was seine Aufgabe ist und was er sich<br />

von anderen erwarten kann. In der Praxis<br />

haben wir Rahmengesetze, welche die<br />

Kompetenz an Fachdienste wie Feuerwehr,<br />

Rotes Kreuz und Polizei übertragen.<br />

Dabei ist nicht exakt definiert, wie<br />

eine Menschenrettung oder eine Bergung<br />

durchzuführen sind. Im Vergleich<br />

zu Deutschland ist in Österreich extrem<br />

wenig formal geregelt. Das ist ein großer<br />

Vorteil.<br />

Wenig <strong>Regeln</strong> und<br />

starker Föderalismus<br />

führen zu<br />

Schlagkraft<br />

Warum?<br />

Es ist ein Vorteil, weil die Experten damit<br />

vor Ort angepasst auf die Situation reagieren<br />

können. Die Kombination aus geringem<br />

Regelungsgrad und stark ausgeprägtem<br />

Föderalismus führt zu einem sehr<br />

schlagkräftigen System, weil Feuerwehrund<br />

Bezirksrettungskommandanten nicht<br />

lange in irgendeiner Zentrale fragen müssen,<br />

ob sie etwas machen dürfen. In<br />

Österreich werden Entscheidungen rasch<br />

und schadensnah getroffen. Formale<br />

<strong>Regeln</strong> werden ersetzt durch gute persönliche<br />

Bekanntschaft der Experten,<br />

die während der vielen Übungen und<br />

Trainings entstehen. Wir wissen, dass wir<br />

uns blind aufeinander verlassen können.<br />

Sie sagen, in Deutschland sei die Katastrophenhilfe<br />

formal viel strenger geregelt.<br />

Welches System funktioniert besser?<br />

Beide Länder sind gut vorbereitet. Die<br />

Deutschen produzieren viel Papier, auf<br />

dem viele Abläufe genau geregelt sind,<br />

man kann gut nachschauen und nach diesem<br />

Schema trainieren. In Österreich hat<br />

man wenig Papier, man entscheidet mehr<br />

in der Situation. Dafür gibt es viel an gemeinsamer<br />

Tradition, Anerkennung des<br />

Expertenwissens des anderen und die persönliche<br />

Bekanntschaft. Zwischen Feuerwehr<br />

und Rotem Kreuz bedarf es keiner<br />

Formalitäten, es genügt ein Anruf. Die<br />

Schwäche unseres Systems ist, dass fehlende<br />

formale Abläufe einzelne Schritte<br />

nicht mehr genau nachvollziehbar machen.<br />

Wir machen das aber durch gute<br />

Dokumentation wett.<br />

Gehen wir von einem Massenunfall<br />

in einem Tunnel aus. Wie werden<br />

Rettungssysteme in einer unvorhergesehenen<br />

Situation zum Laufen<br />

gebracht?<br />

Mit dem Eingehen eines Notrufes bei<br />

einer Leitstelle werden automatisch alle<br />

Einsatzorganisationen informiert. Die<br />

Menschenrettung aus dem Tunnel ist<br />

Sache der Feuerwehr. Sache der Rettung<br />

ist es, die Verunglückten an einem Übergabepunkt<br />

außerhalb des Gefahrenbereiches<br />

entgegenzunehmen und zu<br />

versorgen. Aufgabe der Polizei ist es, den<br />

Gefahrenbereich abzusichern und Schaulustige<br />

fernzuhalten.<br />

Wichtig ist, die Chaosphase<br />

möglichst kurz<br />

zu halten<br />

… damit in einer Phase großer<br />

Unsicherheit alles seinen geregelten<br />

Lauf nehmen kann.<br />

Ja, denn jedes Ereignis hat eine unterschiedlich<br />

lange Chaosphase mit großer<br />

Unsicherheit. Diese besteht hauptsächlich<br />

aufgrund mangelnder Information.<br />

Ziel ist es, sich in sehr kurzer Zeit einen<br />

Überblick über die Situation zu verschaffen.<br />

Und natürlich werden bei jedem Massenunfall<br />

auch Prozesse abgearbeitet, die<br />

in den Organisationen standardisiert sind.<br />

Diese Einsatzpläne sind zwischen den<br />

Hilfsorganisationen abgestimmt. Man<br />

kann sich das vorstellen, wie gemeinsames<br />

Kochen. Beim ersten Mal wird man<br />

viel miteinander reden müssen, damit bei<br />

einem Vier-Gänge-Menü kein Chaos ausbricht.<br />

Beim fünften Mal kennt jeder seine<br />

Aufgaben. Aber das Rezept muss sitzen,<br />

nach dem jeder sein Gericht kocht.<br />

Gibt es Unterschiede zwischen längeren<br />

Einsätzen und kürzeren Noteinsätzen?<br />

Bei längeren zum Beispiel auch grenz-<br />

<strong>Regeln</strong><br />

15


Foto: © Rotes Kreuz<br />

Im Katastrophenfall ist entscheidend, den Mitarbeitern vor Ort das Gefühl zu vermitteln, dass jemand da ist, der die<br />

Situation im Griff hat. Die immer besser werdenden Möglichkeiten elektronischer Datenverknüpfung werden künftig bei<br />

Einsätzen eine große Rolle spielen.<br />

überschreitenden Einsätzen, wo mehr<br />

Organisationen und oft auch Regierungen<br />

anderer Länder eingebunden sind, wird<br />

der Kommunikationsaufwand intensiver.<br />

Der Ablauf für die einzelnen Hilfskräfte<br />

und Kommandogeber selbst unterscheidet<br />

sich nicht.<br />

DAS AMERIKANISCHE<br />

ROTE KREUZ NUTZT<br />

SOCIAL MEDIA SCHON<br />

SYSTEMATISCH<br />

Was bestimmt den Erfolg des Katastrophenmanagements,<br />

sind <strong>Regeln</strong> die<br />

entscheidende Komponente?<br />

Nein. Entscheidend ist, die eigene Aufgabe<br />

gut zu beherrschen und richtig zu<br />

kommunizieren. Zudem ist wesentlich,<br />

dass die Bürger selbst gut vorbereitet<br />

sind. Weil sie in einer Katastrophe<br />

länger als sonst üblich auf sich allein<br />

gestellt sind. Die staatliche Katastrophenhilfe<br />

kann nicht überall gleichzeitig sein,<br />

diese Ressourcen gibt es nicht. Daher<br />

müssen Haushalte und Unternehmen<br />

vorsorgen: Lebensmittel und Medikamente<br />

bunkern beziehungsweise Notfallpläne<br />

parat haben. Das ist oft der<br />

entscheidende Faktor.<br />

Können moderne Technologien bei<br />

Katastropheneinsätzen helfen?<br />

Ganz wesentlich sind Technologien, die<br />

der Bevölkerung zur Verfügung stehen.<br />

Wir können uns mit den Facebook-Fotos,<br />

die Menschen zum Beispiel bei einer Naturkatastrophe<br />

innerhalb von Minuten<br />

online stellen, sehr schnell ein Bild des<br />

Ausmaßes der Katastrophe machen.<br />

Beim letzten Hochwasser haben uns tausende<br />

Fotos gezeigt, wo es in Österreich<br />

wie schlimm aussieht. Wir müssen aber<br />

erst lernen, diesen Kanal zu den Menschen<br />

systematisch zu nutzen. Das amerikanische<br />

Rote Kreuz hat bereits einen<br />

eigenen Social Media Room, wo diese<br />

Gruppen den ganzen Tag beobachtet und<br />

online betreut werden.<br />

vorhandenen<br />

Datenmengen zu<br />

verknüpfen wäre<br />

ein groSSer Sprung<br />

nach vorne<br />

Und abseits des Internets?<br />

Wir (das Rote Kreuz, Anm.) überlegen,<br />

wie wir das gesamte Videoüberwachungssystem<br />

im öffentlichen Raum für Zwecke<br />

der Katastrophenhilfe nutzen könnten.<br />

Um festzustellen, wie viele Personen in<br />

einem U-Bahn-Zug sind. Oder mit einem<br />

Video bild die Körpertemperatur der Menschen<br />

messen, um festzustellen, ob eventuell<br />

eine Grippeepidemie im Anmarsch ist.<br />

Roboter beziehungsweise Drohnen sind<br />

derzeit in aller Munde, auch in Ihrem<br />

Bereich?<br />

Roboter sind immer dort sehr nützlich,<br />

wo es zu gefährlich ist, Menschen hinzuschicken.<br />

Drohnen bringen den Vorteil,<br />

dass sie einen Lageüberblick verschaffen.<br />

Sie werden gelegentlich auch schon<br />

eingesetzt, um Kameras in Positionen zu<br />

bringen, die sonst nicht erreichbar wären.<br />

Drohnen könnten auch als Relaisfunkstationen<br />

genutzt werden. Das bedeutet, dass<br />

sie Funk auch in funkfreien Zonen ermöglichen,<br />

weil das Signal von der Luft<br />

aus empfangen werden kann.<br />

Gibt es etwas, was das bisherige<br />

Katastrophenmanagement<br />

revolutionieren könnte?<br />

In technischer Hinsicht wird entscheidend<br />

sein, die vorhandenen Datenmengen, die<br />

Verkehrsbetriebe mit der U-Bahnüberwachung,<br />

Banken oder Handybetreiber<br />

schon gesammelt haben, für den Einsatzfall<br />

zu verknüpfen und schneller verfügbar<br />

zu machen. Damit könnten wir zum<br />

Beispiel binnen Minuten wissen, wie viele<br />

Passagiere sich in einem brennenden<br />

U-Bahn-Zug befinden. Solche Systeme<br />

zu nutzen lernen wir – gerade zum<br />

Wohle der Menschen.<br />

•<br />

16


Weniger Grenzen,<br />

mehr Leben<br />

Foto: © Karin Feitzinger<br />

Weniger Verkehrszeichen und geringere Geschwindigkeiten,<br />

mehr FuSSgänger und flüssigeres Fortkommen:<br />

Gemeinschaftsstrassen erweitern die Möglichkeiten<br />

im ohnehin knappen öffentlichen Raum.<br />

Von Martin Strubreiter<br />

Den norddeutschen Ort Bohmte<br />

durchqueren täglich mehr als 12.000<br />

Fahrzeuge, davon 1.000 LKW. Denn<br />

die 400-Meter lange L81 führt mitten<br />

durch den 13.000-Einwohner-<br />

Ort. Ampeln und Verkehrsschilder<br />

sucht man jedoch vergebens, denn<br />

der Schilderwald wurde mit der Einrichtung<br />

eines Shared Space bereits<br />

2008 gelichtet.<br />

Dadurch wurde der Verkehrsfluss<br />

verbessert und den Menschen in<br />

der Kleinstadt mehr Lebensqualität<br />

er möglicht, Dauerlärm und starke<br />

Schadstoffbelastung gehören der<br />

Vergangenheit an. Intelligentes Design<br />

statt Gebots- und Verbotstafeln<br />

ist seither die Devise. In ihrer Funktion<br />

seien Verkehrsschilder ohnedies nur<br />

zweite Wahl, wie Verkehrspsychologin<br />

und Universitätslektorin Lilo<br />

Schmidt weiß: „Verkehrsschilder<br />

müssen kognitiv erfasst werden, also<br />

durch kurzes Nachdenken, während<br />

beispielsweise Bodenmarkierungen<br />

und Fahrbahngestaltung intuitiv und<br />

daher viel direkter und schneller wirken.“<br />

Die Fahrbahn sagt einem quasi<br />

während des Fahrens ein, wie man<br />

sich verhalten soll. Ein potenzielles<br />

<strong>Regeln</strong><br />

17


Foto: © gehlarchitects.com<br />

Unterschiedliche Konzepte und Namen<br />

Viele Namen sind im Umlauf, um die von allen Verkehrsteilnehmern benützte<br />

Flächen zu beschreiben, zum Beispiel:<br />

Das Shared-Space-Konzept, am niederländischen Keuning Instituut<br />

unter Hans Mondermann erarbeitet, ist mittlerweile ein eingetragenes<br />

Markenzeichen. Die ersten Ansätze kamen völlig ohne Verkehrszeichen,<br />

Bodenmarkierungen oder Ampeln aus.<br />

Das Berner Modell setzt auf Koexistenz statt Dominanz, alle Beteiligten<br />

erarbeiten die optimale Lösung gemeinsam. Ziel ist Vermeidung<br />

und Verlagerung von KFZ-Verkehr und die verträgliche Abwicklung<br />

des verbleibenden Verkehrs.<br />

In Begegnungszonen sind Fußgänger und Radfahrer zum Benutzen<br />

der gesamten Verkehrsfläche befugt und gegenüber anderen Fahrzeugen<br />

mit Ausnahme der Straßenbahn im Vorrang. Dieser ursprünglich<br />

in der Schweiz definierte Begriff wird derzeit auch in Österreich<br />

so verwendet.<br />

In Koexistenz- und Mischverkehrszonen ist die Geschwindigkeit<br />

auf 30 km/h beschränkt, Autofahrer und Fußgänger teilen sich die Verkehrsfläche<br />

in verträglichem Miteinander.<br />

Der Versuch, alle diese Flächen mit einer einheitlichen Definition und<br />

einheitlichen Rechten und Pflichten zusammenzufassen, führt zum<br />

Vorschlag des Kuratoriums für Verkehrssicherheit, den Überbegriff<br />

„Gemeinschaftsstraßen“ einzuführen.<br />

Im Bild: Das Projekt New Road in Brighton, Großbritannien<br />

Zukunftsmodell also, weil der Lernprozess<br />

der Nutzer viel kürzer ist. Es<br />

ist wie mit leicht bedien baren Smartphones,<br />

Homepages oder dem von<br />

Regalen geleiteten Weg durch den<br />

Supermarkt: Was intuitiv erfasst wird,<br />

braucht keinen kognitiven Zwischenschritt<br />

und erschließt sich schneller.<br />

Geistige Barrierefreiheit sozusagen.<br />

SMARTE GESTALTUNG<br />

FÜHRT ZU<br />

ERWÜNSCHTEM<br />

VERHALTEN<br />

Ein umfassendes Modell, bei dem<br />

Design im Straßenverkehr zum Einsatz<br />

kommt, sind Gemeinschaftsstraßen –<br />

ein Sammelbegriff, der aufgrund der<br />

relativen Neuartigkeit des dahin terliegenden<br />

Konzeptes gern verwendet<br />

wird. Er steht für mehrere ähnliche<br />

Modelle, bei dem unterschiedliche<br />

Verkehrsteilnehmer Flächen gemeinsam<br />

nutzen können (siehe Infobox).<br />

Dabei steht bei Shared Spaces die<br />

Sicherheit im Vordergrund; beim so<br />

genannten Modell der Koexistenz<br />

geht es um das flüssige Vorankommen<br />

aller Verkehrsteilnehmer; bei Begegnungszonen<br />

liegt der Fokus auf<br />

der gesteigerten Aufenthaltsqualität<br />

auf der jeweiligen Straße, die zum<br />

Verweilen einladen soll. Allen Modellen<br />

liegt zugrunde, dass die jeweilige<br />

Zone überwiegend durch ihre Gestaltung<br />

suggeriert, welches Verhalten<br />

erwünscht und angebracht ist.<br />

UNSICHERHEIT<br />

ERHÖHT<br />

SICHERHEIT<br />

Essenziell ist die Oberflächengestaltung<br />

der Verkehrsräume, die eine gewisse<br />

Struktur aufweisen: Die Übergänge<br />

der Flächen sind sanft und frei<br />

von schroffen Randsteinen, damit der<br />

Eindruck einer ungeteilten Fläche erhalten<br />

bleibt. Die Fahrbahn sollte<br />

zwar Platz für entgegenkommende<br />

LKW bieten, durch farbliche Gestaltung<br />

jedoch eng erscheinen, damit<br />

Fahrzeuglenker ihre Geschwindigkeit<br />

reduzieren. Auch visuelle Barrieren<br />

wie zum Beispiel die quer zur<br />

Fahrtrichtung verlaufenden, andersfarbigen<br />

Streifen wie jene des Grazer<br />

Sonnenfelsplatzes oder die Rhomben<br />

auf der Londoner Exhibition Road<br />

wirken bremsend. Fußgänger dürfen<br />

überall queren. Der Ansatz funktioniert<br />

auch deshalb, weil fehlende Verkehrszeichen<br />

zu einer gewissen Unsicherheit<br />

bei den Menschen führen. Paradoxer<br />

weise steigert diese wiederum<br />

die Umsichtigkeit und gegenseitige<br />

Rück sichtnahme, weshalb die Sicherheit<br />

schlussendlich erhöht wird. Auch<br />

entwickeln Verkehrsteilnehmer gegen<br />

intuitiv Erfassbares kaum Widerstand,<br />

gegen <strong>Regeln</strong>, die sie als solche<br />

empfinden und befolgen müssen,<br />

eher schon. Und Hans Monderman,<br />

als Erfinder des Shared Space einer<br />

der Pioniere der Gemeinschaftsstraßen,<br />

postulierte, dass die übermäßige<br />

Regulierung des Verkehrs dazu führe,<br />

dass sich Verkehrsteilnehmer ihrer<br />

Verantwortung entledigt sähen. Ohne<br />

Regelung durch Ampeln und Schilder<br />

aber müsse man die Verantwortung<br />

wieder selbst wahrnehmen.<br />

DESIGN KANN<br />

ANGSTRÄUME<br />

REDUZIEREN<br />

Neben der Bodengestaltung innerhalb<br />

von Gemeinschaftsstraßen vermittelt<br />

die sogenannte Möblierung<br />

<strong>Regeln</strong> gleichsam intuitiv: Bänke und<br />

Pflanzen laden zum Verweilen ein, die<br />

18


Pflanzen sind aber niedrig, um keine<br />

Sichtbarrieren zwischen den Verkehrsteilnehmern<br />

aufzubauen. Auch der<br />

Einsatz von Licht ist wichtig. Lilo<br />

Schmidt: „Mehr Licht ist nicht nötig,<br />

aber es muss besser strukturiert sein.<br />

Kritische Zonen, sogenannte Angsträume,<br />

sollen nachts heller ausgeleuchtet<br />

sein, um Fußgängern und<br />

Radfahrern die Furcht vor dem Unterwegssein<br />

zu nehmen.“ So werden<br />

Straßen auch bei Dunkelheit von verschiedenen<br />

Verkehrsteilnehmern genutzt.<br />

BLICKKONTAKT BEI<br />

TEMPO 100 IST<br />

UNMÖGLICH<br />

Sind durch Design geregelte Gemeinschaftsflächen<br />

also künftig ein<br />

Allheilmittel gegen Lärm, Verkehrsunfälle<br />

und das Sterben von Einkaufsstraßen?<br />

Die Antwort fällt eindeutig<br />

aus: Nein, denn Straßen haben unterschiedliche<br />

Funktionen und damit<br />

unterschiedliche Geschwindigkeiten.<br />

Lilo Schmidt: „Je schneller der Verkehr,<br />

umso mehr werden klar festgelegte<br />

<strong>Regeln</strong> gebraucht. Höhere Geschwindigkeiten<br />

machen es praktisch<br />

unmöglich, in der Situation über Gesten<br />

und Blicke zu kommunizieren.“<br />

Deshalb ist auch am Flugfeld, wo<br />

Schnelligkeit und Sicherheit absolute<br />

Priorität genießen, jede Bewegung<br />

der Flugzeuge streng geregelt und<br />

daher sind Autobahnen aus der Umsetzungspalette<br />

intuitiver Erfassung<br />

ausgeschlossen: Dort stehen Verkehrsschilder<br />

mit Recht, wie auch<br />

der Niederländer Hans Monderman<br />

stets betonte.<br />

Potenzial vor<br />

allem im Ortsgebiet<br />

Gemeinschaftsflächen sind kein One-<br />

Fits-All-Konzept, sie müssen individuell<br />

geplant werden: „Der Ersatz<br />

von <strong>Regeln</strong> durch Design ist besonders<br />

innerhalb von Ortschaften möglich,<br />

wo Autos grundsätzlich langsamer<br />

fahren“, erklärt Ursula Faix von<br />

bad architects, Ko-Autorin der Studie<br />

Shared-Space-Konzepte * . „Wir haben<br />

nämlich herausgefunden, dass<br />

Shared-Space-Konzepte vor allem<br />

dann sinnvoll sind, wenn das KFZ-<br />

Aufkommen bei unter 25.000 KFZ<br />

täglich bleibt, auch Radfahrer und<br />

Fußgänger in großer Zahl unterwegs<br />

sind, die Straße von Fußgängern gerne<br />

gequert wird und nur geringer<br />

Parkplatzbedarf besteht.“<br />

Weltweit gibt es eine unzählbare<br />

Menge an Gemeinschaftsstraßen.<br />

Eines davon ist die New Road in<br />

Brighton, Großbritannien, eine Einkaufsstraße<br />

mit schachbrettartigem<br />

Belag. Das 2007 realisierte Projekt<br />

hat den Autoverkehr um 93 % reduziert,<br />

die Fußgänger um 62 % vermehrt,<br />

der Fahrradverkehr hat um<br />

22% zugelegt, die Verweildauer der<br />

Menschen ist um 600 % gestiegen,<br />

Verkehrsschilder oder Ampeln waren<br />

dazu nicht nötig. Ein anderes Beispiel:<br />

Die Exhibition Road im Zentrum von<br />

London mit ihren Museen gilt seit der<br />

Umgestaltung auch als freundlicher<br />

Ort der Begegnung.<br />

In Gleinstätten in der Südsteiermark<br />

hat die Umgestaltung der Sulmtaler<br />

Straße mit ihren Geschäften, der<br />

Schule und dem Busbahnhof zum<br />

Shared Space den Autoverkehr marginal<br />

eingedämmt, die Fußgängerfrequenz<br />

aber ist um fast 1.600 %<br />

gestiegen, Zeichen einer als gleichberechtigt<br />

empfundenen Nutzung:<br />

Jetzt dürfen Fußgänger ja überall<br />

queren, ohne Zebrastreifen oder<br />

Ampel.<br />

mit geschlossenen<br />

Augen über<br />

die Strasse<br />

gehen<br />

Im niedersächsischen Ort Bohmte<br />

stiegen seit der Einrichtung des<br />

Shared Space die Unfallzahlen.<br />

Vizebürgermeisterin Sabine Buhr-<br />

Deichsel begründet das mit einer<br />

neuen Straßenlaterne, die beim<br />

Rückwärtsfahren ständig umgefahren<br />

wurde: „Die haben wir inzwischen<br />

versetzt.“ Sie ist von der Sicherheit<br />

der L81 überzeugt und traut sich sogar<br />

mit geschlossenen Augen über<br />

die Straße. Ihre Erfahrung: Ohne<br />

Verkehrszeichen stellen sich die<br />

Verkehrsteilnehmer stärker auf die individuelle<br />

Situation ein. Das bestätigt<br />

auch Lilo Schmidt: „Uns Menschen<br />

fehlt es nicht an situationsabhängiger<br />

Problemlösungskompetenz. Diese<br />

wurde aufgrund der vielen <strong>Regeln</strong> in<br />

unserer Welt nur ein wenig zurückgedrängt.“<br />

Bei Bedarf sei sie aber nach<br />

wie vor vorhanden. •<br />

* Ursula Faix und Paul Burgstaller, bad architects group:<br />

Shared-Space-Konzepte in Österreich, der Schweiz und Deutschland.<br />

Herausgegeben vom Salzburger Institut für Raumordnung & Wohnen (SIR), 2012<br />

Bad architects: www.bad-architects.gp/index.php?page=publicationdetails&projectID=85<br />

New Road in Brighton: http://www.gehlarchitects.com/#/159503/<br />

Exhibition Road in London: www.hamilton-baillie.co.uk/index.php?do=projects&sub=details&pid=75<br />

Berner Modell: www.youtube.com/watch?v=anFjmW0TVo8&list=UU-GTEQOt6v50U-cg-ZshFTA<br />

Zentrum Köniz bei Bern: www.youtube.com/watch?v=wn2NfUH0G-Q<br />

Broschüre zur Definition der Gemeinschaftsstraßen: www.e5-salzburg.at/downloads/gemeinschaftsstrassen.pdf<br />

<strong>Regeln</strong><br />

19


innovatives online & offline<br />

StART-UPs<br />

Spannende Ideen aus aller Welt zum Thema REGELN.<br />

Von Katrin Stehrer<br />

////// Taxi per FuSSpedal ////////////////////////////////<br />

Das Heranwinken eines Taxis kann in Megastädten zur nervenraubenden Angelegenheit<br />

werden. Erleichterung könnte ein preisgekröntes Funksystem bringen, das sich<br />

Studenten der Xi’an Universität für Design und Technologie (Ostchina) einfallen ließen:<br />

Gehsteigkanten werden mit einem drucksensiblen Kommunikationssystem ausgestattet,<br />

dessen Farbe von Blau auf Grün wechselt, sobald sich ein Kunde darauf<br />

stellt und ein Taxifahrer den so übertragenen Funk angenommen hat. Die Realisierung<br />

des investitionsintensiven Projektes hat einen guten Ausgangspunkt: Die Erfinder<br />

holten sich den ersten Platz des anerkannten Red Dot Awards für Design in Singapur<br />

in der Kategorie Public Space (öffentlicher Raum).<br />

http://gajitz.com/conceptual-taxi-system-puts-civility-back-in-urban-transport<br />

////// Tierisch flüssig ////////////////////////////////////<br />

Ozan Tonguz, Telekommunikationsforscher an der Carnegie Mellon Universität in<br />

Pittsburgh, USA übertrug eine Beobachtung aus der Tierwelt in die Verkehrstelematik:<br />

Treffen Käferkolonnen aus verschiedenen Richtungen zusammen, wartet die<br />

kürzere Schlange so lange, bis die größere Gruppe den Weg passiert hat. Auf diese<br />

Logik baute Tonguz sein dynamisches Ampelkonzept Virtual Traffic Lights auf: Ein<br />

im Inneren des Fahrzeugs installiertes grünes Licht signalisiert den Autos der längeren<br />

Schlange das „Go“. Sobald die Kolonne kleiner geworden ist, erhält die nächstgrößte<br />

Gruppe das OK zum Fahren. Eine US-amerikanische Autobahnverwaltungsgesellschaft<br />

hat bereits Interesse gezeigt, die Idee im Straßenverkehr umzusetzen.<br />

O.K. Tonguz, “Biologically Inspired Solutions to Fundamental Transportation Problems”,<br />

IEEE Communications Magazine, l. 49, no. 11, pp. 106-115, November 2011.<br />

http://gajitz.com/virtual-traffic-lights-inspired-by-insects-could-end-traffic-woes<br />

////// Schwimmend ins Büro ///////////////////////////<br />

Alex Smith und David Lomax, Architekten und Gründer von [Y/N]studios, wollen<br />

dem 13,8 Kilometer langen Regent’s Kanal in London seinen ursprünglichen Zweck<br />

zurück geben, Teil des innerstädtischen Verkehrssystems zu sein. Die unkonventionelle<br />

Idee: Ein Swimmingpool, das sich über die gesamte Länge erstreckt, mit gefiltertem<br />

Kanalwasser gefüllt ist und Pendlern dazu dient, ihren Weg zur Arbeit mit<br />

Sport zu verbinden. Auch der Winter wäre für Sportmuffel keine Ausrede: Auf gefrorenem<br />

Eis ließe sich die Strecke mit Eislaufschuhen befahren.<br />

http://ynstudio.eu/filter/Projects<br />

20


Mit der Sonne um die Welt /////////////////////<br />

Mit dem Flugzeug um die Welt, jedoch ausschließlich mit der Kraft der Sonne, auch<br />

in der Nacht: 2015 soll es für das Projekt Solarimpulse nach zahlreichen Testflügen<br />

so weit sein und das 90-köpfige Team rund um den Schweizer Piloten Bertrand<br />

Piccard den Weltrekordversuch wagen. Das Flugzeug, das diese 25-tägige Reise<br />

schaffen soll, ist im Vergleich zur Testversion mit 10.000 zusätzlichen Photovoltaikzellen<br />

ausgestattet, die tagsüber genug Energie in die Akkus speisen, um die langen<br />

Nachtstunden am Äquator überstehen zu können. Das Sonnenflugzeug hat 80<br />

Meter breite Flügel. Sie sind um 20 cm breiter als jene des größten Passagierflugzeuges<br />

der Welt, dem A380. Ein Wermutstropfen bleibt allerdings: Das Solar Plane<br />

trägt nur eine Person.<br />

www.solarimpulse.com<br />

////// Faltbarer Lastenträger ///////////////////////<br />

Der Cargo-Scooter kommt in den immer dichter werdenden urbanen Räumen gerade<br />

recht: Mit erneuerbarer Energie betrieben, platzsparend und trotzdem genug Laderaum<br />

um auch einmal einen größeren Einkauf zu transportieren. Kernidee des kalifornischen<br />

Start-ups Lit Motors war es, den Motor in den Hinterreifen des Rollers zu integrieren,<br />

damit der 50 × 50 × 50 cm große Stauraum, der einer Traglast von bis zu<br />

90 kg standhält, realisiert werden konnte. Bemerkenswert ist, dass der Cargo-Scooter<br />

auf die Hälfte seiner Größe zusammengeklappt werden kann, um auch in kleinen<br />

(Stadt-)Wohnungen Platz zu finden. Die ersten 80 km/h schnellen Scooter sollen<br />

noch 2013 um rund 5.000 US-Dollar erhältlich sein.<br />

www.litmotors.com<br />

////// Airbag für den Kopf /////////////////////////////<br />

Anna Haupt und Terese Alstin wollten einen Fahrradhelm anbieten, der die Frisur<br />

nicht zerstört und daher auch ohne Zwang gerne getragen wird. Ihr neues Produkt:<br />

Ein modischer Schal, aus dem sich im Ernstfall ein Schutzhelm entfaltet – vergleichbar<br />

mit einem Airbag im Auto. Millisekunden vor dem Aufprall stülpt sich der Hövding<br />

(schwedisch für Häuptling) über den Kopf. Laut den Gründerinnen sollen eingebaute<br />

Sensoren jede mögliche Gefahrensituation erkennen (außer wenn ein Gegenstand<br />

von oben herabfällt). Zusätzlich enthält der Helm auch eine eingebaute Blackbox, die<br />

den Unfallhergang speichert und damit zur Aufklärung beitragen kann. Der Helm ist<br />

auf www.hovding.com für 399 Euro zu haben.<br />

////// Strampeln, um zu Tanzen ///////////////////////<br />

Strampeln, um zu tanzen, ist das Partymotto der Zukunft – zumindest, wenn es nach<br />

dem Wiener Umweltverein IndyAct und dessen Projekt „BIKE IT ON“ geht. Mit sechs<br />

umgebauten Elektrofahrrädern für Erwachsene und einem Kinderelektrorad können<br />

bis zu 2.000 Watt Strom von den Besuchern selbst erzeugt werden – genug für mittelgroße<br />

Events wie Musikkonzerte und Kinovorführungen. Neueste Erweiterung ist<br />

die Kooperation mit dem Verein Gehsteigdisko: Das Partyvolk hört die Musik des DJs<br />

über Fahrradstrom-betriebene Kopfhörer. Für lärmarme Wohnungspartys nur dann<br />

geeignet, wenn die vorab kalkulierte Gästezahl eingehalten wird.<br />

www.indyact.at<br />

www.bike-it-on.at<br />

<strong>Regeln</strong><br />

21


Geheimnisvolle<br />

Spielregeln<br />

des Überlebens<br />

22<br />

Foto: © Frank Wehrmann


Der Begriff Schwarmintelligenz verheiSSt Gutes – Doch nicht<br />

immer ist das kollektive Gehirn stärker als der Einzelne.<br />

Von Julia Schilly<br />

Garri Kasparow war bereits 15 Jahre<br />

ungeschlagener Schachweltmeister.<br />

Da beschloss der Russe online gegen<br />

die Weltbevölkerung anzutreten.<br />

Die Partie galt als Experiment: Ob die<br />

Zusammenarbeit vieler Menschen<br />

zu einer höheren Leistung als der<br />

des Einzelnen führen kann? Kollektive<br />

Intelligenz oder Schwarmintelligenz<br />

wird das Phänomen genannt,<br />

wenn komplexe Systeme zu mehr als<br />

die Summe ihrer Teile werden. Durch<br />

Vernetzung entstehen unvorhergesehene<br />

Qualitäten, die man mit Blick<br />

auf die einzelnen Bausteine nicht erwarten<br />

könnte.<br />

Sozialverhalten<br />

macht Ameisen immun<br />

Ein gutes Beispiel ist der Ameisenstaat.<br />

Eine einzelne Ameise hat ein<br />

sehr begrenztes Repertoire an Verhaltens-<br />

und Reaktionsmöglichkeiten.<br />

Im Zusammenspiel wird sie jedoch<br />

stark.<br />

Die schwarmintelligente Waffe ist ihre<br />

„soziale Immunität“, wie es die Ameisenforscherin<br />

Sylvia Cremer nennt.<br />

Die Nürnbergerin forscht am Institute<br />

of Science and Technology Austria<br />

(ISTA). Zum Beispiel stellt ein Ameisenbau<br />

einen idealen Nährboden für<br />

Epidemien dar. Dennoch kommt es<br />

selten zu einem Ausbruch. Was dazu<br />

führt, dass weibliche Ameisen in unseren<br />

Breiten bis zu zwei Jahre, die<br />

Königinnen sogar bis zu 25 Jahre alt<br />

werden.<br />

In einem Versuch klebte Cremer einer<br />

Arbeiterin Sporen eines Pilzes auf<br />

den Rücken, der einen Tag lang unschädlich<br />

ist. Dann erst dringt er in<br />

das Innere ein und tötet den Wirt.<br />

Das Resultat des Tests: Alle Ameisen<br />

änderten sofort ihr Verhalten<br />

und widmeten sich spezifischen, teils<br />

neuen Aufgaben. Die infizierte Arbeiterin<br />

blieb den Larven fern, „Krankenpfleger“<br />

putzten ihre Körperoberfläche<br />

sowohl mechanisch als auch chemisch<br />

mit Ameisensäure, wiederum<br />

andere widmeten sich verstärkt der<br />

Brutpflege. Die Krankenpflege löste in<br />

der Gruppe eine Immunisierung aus.<br />

Denn als fünf Tage später die anderen<br />

Ameisen den Pilzsporen ausgesetzt<br />

wurden, erkrankten weniger als in der<br />

Vergleichsgruppe, in der es keine Vorbehandlung<br />

gegeben hatte.<br />

Die Robotik schielt schon länger auf<br />

die erstaunlichen Fähigkeiten der kollektiven<br />

Intelligenz im Tierreich. Am<br />

Artificial Life Laboratory an der Karl-<br />

Franzens-Universität in Graz wird<br />

etwa daran gearbeitet, Schwarmintelli<br />

genz auf Roboter zu übertragen.<br />

Nach dem Vorbild der Honigbiene<br />

sollen Roboter sich selbst organisieren<br />

und untereinander effizient kommunizieren.<br />

Roboter sollen<br />

wie honigbieneN<br />

kommunizieren<br />

Bienen nutzen Tänze, um Information<br />

über Ort und Beschaffenheit von<br />

Nahrung auszutauschen. Zoologe<br />

Thomas Schmickl und sein Team<br />

simulieren dieses Verhalten bei<br />

mobilen Robotern mit integrierter<br />

Speicherkarte, welche die Roboter<br />

an interessanten Orten mit Zahlen<br />

anfüllen, ganz so als würden sie<br />

Nektar trinken. Gleichzeitig geben<br />

sie auch Daten an die anderen<br />

Roboter um sich herum weiter. Je<br />

größer der Datenaustausch zwischen<br />

den Maschinen, desto schneller befinden<br />

sich alle auf dem gleichen Wissensstand,<br />

was wiederum bessere<br />

Entscheidun gen des Einzelnen, wohin<br />

er sich weiter fortbewegt, zur Folge<br />

hat. Im Collective Cognitive Robots<br />

Projekt (CoCoRo) nutzte Schmickl<br />

dieses Wissen für den größten autonom<br />

unter Wasser arbeitenden Roboterschwarm<br />

der Welt. Dabei werden<br />

Algorithmen aus der Kommunikation<br />

von Ameisen, Bienen und Schimmelpilzamöben<br />

angewendet.<br />

Ameisenforscherin Sylvia Cremer vom<br />

Institute of Science and Technology Austria (ISTA)<br />

Wie funktioniert der<br />

Informationsfluss bei<br />

Ameisen eigentlich?<br />

Cremer: Sie leben in kompletter<br />

Dunkelheit. Die meiste Kommunikation<br />

findet daher durch Pheromone statt.<br />

Ein Wachs am Körper trägt Informationen<br />

über Nestzugehörigkeit, Königin<br />

oder Arbeitsbereich. Die anderen<br />

Ameisen lesen das durch Abtasten mit<br />

ihren Antennen.<br />

Wird die Missachtung von<br />

<strong>Regeln</strong> bei Ameisen sanktioniert?<br />

Cremer: Ja, das wird „policing“ genannt.<br />

Ein Beispiel: Im Normalfall produziert nur<br />

die Königin Eier und sendet ein Fertilitätssignal<br />

aus, das die Entwicklung der<br />

Eierstöcke bei den Arbeiterinnen unterdrückt.<br />

Falls dennoch eine Arbeiterin mit<br />

der Eierproduktion anfängt, halten sie ihre<br />

Kolleginnen so lange fest, bis sie ihre<br />

Eierstöcke wieder zurückbildet.<br />

<strong>Regeln</strong><br />

23


Foto: © CoCoRo<br />

Der größte autonome Roboterschwarm der Welt:<br />

Die Mini-U-Boote des Projektes CoCoRo sammeln<br />

Informationen individuell und übertragen sie auf das<br />

Gesamtsystem. Das ist effiziente Kommunikation<br />

nach dem Vorbild eines Bienenschwarms.<br />

Die Mini-U-Boote treffen dadurch<br />

ihre Entscheidungen wie ein einziges<br />

großes Gehirn und finden auf<br />

effizien te Weise Lecks in Pipelines<br />

oder Müllansammlungen im Meer.<br />

Schwarmintelligenz<br />

zur Erkundung<br />

weit entfernter<br />

Planeten<br />

Langfristig gesehen könnten solche<br />

Roboterschwärme sogar ferne Planeten<br />

erkunden. Der große Vorteil<br />

ist die Widerstandsfähigkeit eines<br />

Schwarms: Viele kleine, eher simple<br />

Roboter kosten genau so viel wie ein<br />

großer, komplizierter Roboter. Bei<br />

einem Schwarm ist die Wahrscheinlichkeit<br />

jedoch größer, dass viele<br />

während der Erkundungen intakt<br />

bleiben.<br />

Physiker Stefan Thurner, Leiter des<br />

Instituts für die Wissenschaft komplexer<br />

Systeme der MedUni Wien,<br />

forscht zur kollektiven Intelligenz<br />

beim Menschen. Alle Aktionen von<br />

rund 400.000 Usern des Second-<br />

Life-Computerspiels Pardus werden<br />

dazu seit Jahren gespeichert. Wer<br />

mit wem kommuniziert und in Interaktion<br />

tritt, ist im normalen Leben für<br />

keinen Mensch überschaubar. Über<br />

Computer kann das Verhalten hingegen<br />

gut analysiert werden. „Trotz<br />

weitgehender Anarchie haben sich<br />

Normen und <strong>Regeln</strong> herausgebildet“,<br />

berichtet Thurner von den Auswertungen<br />

des Computerspiels. Verblüffend<br />

sei, dass nur zwei Prozent aller<br />

Handlungen in der Gruppe aggressiv<br />

seien. Die Spieler würden sich nämlich<br />

schnell gegenseitig mit Spielausschluss<br />

oder Ignoranz bestrafen,<br />

wenn sich jemand nicht „ordentlich“<br />

verhalte. „Wir haben jedoch erkannt,<br />

dass die Aggression um ein Zehnfaches<br />

steigt, wenn ein Spieler selbst-<br />

Negatives erfährt“, sagt der Forscher.<br />

Eins, Zwei, Schwarm –<br />

ein Trugschluss<br />

der Medien<br />

Momentan wird der Begriff Schwarm -<br />

intelligenz für die Erklärung verschiedener<br />

Spielweisen menschlichen<br />

Verhaltens vor allem im Internet inflationär<br />

verwendet. Selten wird dabei<br />

so wissenschaftlich vorgegangen<br />

wie an der MedUni. „Die populäre<br />

Berichterstattung kennt hingegen<br />

nur drei Zahlenangaben: eins, zwei,<br />

Schwarm“, kritisierte Autor Sascha<br />

Lobo im Spiegel. Denn in den Foren<br />

von Online-Medien seien viele User,<br />

aber nur selten die Weisheit anwesend,<br />

argumentiert er.<br />

Schwarmintelligenz entsteht vielmehr<br />

aus dem Zusammenspiel einer Gruppe,<br />

welches nur unter effizienter Koordination<br />

neue Qualitäten entwickeln<br />

kann. Eindrucksvoll zeigt das zum<br />

Beispiel das „Oregon-Experiment“:<br />

Eindrucksvoller<br />

Praxistest der<br />

Gruppenintelligenz<br />

Der Wiener Architekt Christopher<br />

Alexander entschloss sich Ende der<br />

60er-Jahre, die Platzierung der Gehwege<br />

auf dem Gelände der Universität<br />

von Oregon (USA) mit Hilfe der<br />

Studierenden zu optimieren. Dafür<br />

wurde Rasen gesät. Die abgetrampelten<br />

Linien im Gras wurden als effizienteste<br />

Straßen identifiziert und<br />

geteert.<br />

Und wie endete die Schachpartie gegen<br />

Kasparow? Führte das geballte<br />

Wissen der Menschen zum Sieg? Es<br />

dauerte genau 62 Züge, und die Welt<br />

war schachmatt. Zu homogen, zu unorganisiert<br />

agierten die Gegner. Gemeinsam<br />

können wir also auch dümmer<br />

sein als das Individuum. •<br />

Ameisenforscherin Sylvia Cremer: http://ist.ac.at/de/forschung/forschungsgruppen/cremer-gruppe/<br />

Robotik am Artificial Life Laboratory: http://zool33.uni-graz.at/artlife/<br />

Institut für komplexe Systeme: www.complex-systems.meduniwien.ac.at/people/sthurner/<br />

24


ewegungsmuster<br />

Wie verhalten sich Menschen, wenn viele von ihnen an einem Ort<br />

sind oder dorthin wollen? Vorhersagen sind komplex,<br />

werden jedoch zwecks Steuerung immer wichtiger.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

komplexes einfach erklärt<br />

////// FuSSgängerströme /////////////////////////////<br />

Wenn bei Großveranstaltungen viele Menschen im Strom gehen oder sich ihre Bahnen kreuzen,<br />

entstehen Fußgängerströme. Um dem Risiko von Staus und gefährlichem Gedränge vorzubeugen,<br />

werden neuerdings Gesetzmäßigkeiten, die dem Verhalten der Fußgänger<br />

zugrunde liegen, wissenschaftlich analysiert. Dafür werden Computersimulationen mit<br />

Agent-Based-Models herangezogen: Die „Agents“, die simulierten Teilnehmer, wirken<br />

dabei nach vorab definierten <strong>Regeln</strong> zusammen. Weil es dafür bisher jedoch keine brauchbaren<br />

Grunddaten zu Fußgängerströmen gab, etwa ab welchem Personendurchsatz es<br />

zum Stau kommt, führten Wissenschafter des deutschen Forschungszentrums Jülich unter<br />

der Leitung von Armin Seyfried im Juni 2013 in Düsseldorf ein weltweit einmaliges Großexperiment<br />

durch. Dabei wurden bis zu 950 echte Menschen losgeschickt, um ihr Verhalten<br />

im Strom zu simulieren und den Übergang vom Stau zum Gedränge zu beobachten. Eines<br />

der Ergebnisse: Um ein plötzliches Stehenbleiben Einzelner und damit das Entstehen<br />

eines gefährlichen Staus zu vermeiden, müssten neben Leitsystemen vor allem die Attraktionen<br />

im Raum so verteilt werden, dass Personen darauf zugehen und die Menge in Bewegung<br />

bleibt, so Seyfried.<br />

Am Ende der mehrjährigen Auswertung der 40 Terabyte Daten soll ein Tabellenwerk mit<br />

handfesten Zahlen vorliegen, auf deren Basis Veranstalter ablesen können, ob eine Anlage<br />

für einen geplanten Event auch geeignet ist.<br />

www.fz-juelich.de/ias/jsc/EN/AboutUs/Organisation/CivilSecurityAndTraffic/_node.html<br />

Bilder: www.fz-juelich.de / Asfinag: fotowerk aichner og / wikipedia.org: Rene Ehrhardt<br />

////// Flexible Verkehrsanzeigen //////////////////<br />

Weit fortgeschritten ist hingegen bereits die Auswertung der Verkehrsströme im Autoverkehr:<br />

Daten zur aktuellen Verkehrssituation werden entlang der Autobahn über Sensoren<br />

gesammelt, zudem liefert der Streckendienst der ASFINAG Informationen. Einige<br />

Schaltungen erfolgen automatisch, andere werden in der zentralen Verkehrssteuerung in<br />

Inzersdorf manuell eingegeben. Die dort tätigen Operatoren überwachen das Netz und greifen<br />

im Ernstfall ein, indem sie etwa einen Tunnel auf Rot schalten, entsprechende Tempo- und<br />

Umleitungsschaltungen vornehmen oder die Einsatzkräfte alarmieren. Über Verkehrsbeeinflussungsanlagen<br />

– das sind dynamische Anzeigen – werden Autofahrer aktuell vor Gefahren,<br />

Unfällen, Unwettern und entstehenden Staus gewarnt. Durch das Reduzieren der Höchstgeschwindigkeit<br />

oder die Information über Alternativrouten soll der Verkehr im Fluss bleiben.<br />

////// Flugzeugauslastung ///////////////////////////<br />

Die Auslastung von Flugzeugen wird von Revenue Management Systemen gesteuert,<br />

die Prognosen auf der Basis von Vorjahresdaten erstellen. Anhand dieser Zahlen wird die<br />

Nachfrage für zukünftige Abflüge errechnet. Dabei geht es nicht allein um die möglichst hohe<br />

Auslastung einer Maschine, wie man bei Austrian Airlines betont. Die Kunst liege darin, einen<br />

optimalen Mix zwischen hochwertigen und günstigen Tickets zu erreichen. Die Prognosen<br />

helfen zudem, die richtigen Maschinentypen einzusetzen. Neben der Auslastung der Passagierkabine<br />

zählen auch Cargo und Post, beides einträgliche Geschäftsbereiche, zur Gesamtauslastung<br />

eines Flugzeugs.<br />

<strong>Regeln</strong><br />

25


„Mobilität kann man nicht<br />

in Kilometern messen“<br />

Wir sind im StraSSenverkehr auf Rüpelhaftigkeit programmiert.<br />

Daran seien Verkehrsregeln mitschuld, erklärt der Mobilitätsforscher<br />

Stefan Rammler vom Institut für Transportation<br />

Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.<br />

Das Gespräch führte Daniela Müller<br />

Als vor eineinhalb Jahren in Graz der<br />

erste Shared Space Österreichs eingerichtet<br />

wurde, hieß es vielfach „Wozu<br />

brauchen wir das?“ Was sagt das über<br />

unsere Einstellung im Straßenverkehr<br />

aus?<br />

Hier muss man fragen, warum überhaupt<br />

Shared Spaces gemacht werden.<br />

Es gibt Studien, wonach es in Ländern<br />

mit weniger Verkehrsschildern und<br />

unreglementierterem Straßenverkehr<br />

weniger Unfälle gibt als in Ländern<br />

mit vielen Verkehrsregeln. Wo viel geregelt<br />

ist, neigen wir gern dazu, bis<br />

an die Grenze der Regelung zu gehen,<br />

nach dem Motto „Das ist mein Recht!“<br />

Das macht möglicherweise blind gegenüber<br />

der Situation und meinem<br />

Gegenüber.<br />

Warum tun wir uns mit<br />

Shared Spaces so schwer?<br />

Möglicherweise, weil wir über 60, 70<br />

Jahre intensiv produzierte Verkehrssicherheit<br />

und -sozialisation hinter<br />

uns haben. Vor der Massenmotorisierung<br />

war die Straße ein Shared Space:<br />

Kinder haben dort gespielt, Hühner<br />

gegrast und Menschen ihre Siesta gehalten.<br />

Erst im Zuge der Massenmotorisierung<br />

brauchte es die funktionale<br />

Differenzierung der Räume, die<br />

Straße wurde als dominanter Raum<br />

für das Automobil definiert, es kamen<br />

Verkehrserziehung, <strong>Regeln</strong>, Überwachung<br />

dazu, um das System der Automobilität<br />

und des Hochgeschwindigkeitsverkehrs<br />

sicher zu machen. Es<br />

ging auch darum, verkehrsfunktionales<br />

Verhalten, das wir von Natur aus<br />

nicht haben, anzuerziehen. Eine alte<br />

verkehrssoziologische Wahrheit heißt,<br />

dass der Verkehr der Spiegel der Gesellschaft<br />

ist. Und da sind wir stark<br />

konkurrenzorientiert: Der Kräftigere<br />

setzt sich durch, der Schnellere hat<br />

Vorfahrt, jeder will schnell am Ziel<br />

sein. Beim Shared Space müssen wir<br />

plötzlich auf kooperativ umschalten.<br />

GröSSere Vielfalt an<br />

Mobilitätsangeboten,<br />

die perfekt<br />

interagieren<br />

Sie leiten ein eigenes Institut für Transportation<br />

Design an der Hochschule<br />

für Bildende Künste in Braunschweig.<br />

Braucht das Thema Mobilität Unterstützung<br />

durch die Kunst?<br />

Ich möchte lieber von kreativen Disziplinen<br />

sprechen, von Design, Medien,<br />

Kunstwissenschaften. Wir brauchen<br />

in allen Zukunftsfragen Impulse von<br />

außen, etwa bei Mobilität, Energie,<br />

Ernährung, um zu lernen, wie man<br />

anders mit den Themen umgehen<br />

kann als bisher. Da geht es weniger<br />

um Nachhilfe von der Kunst, sondern<br />

um das Einbeziehen von Strukturen,<br />

Prozessen, Abläufen mit großer Offenheit<br />

gegenüber kreativen Prozessen.<br />

Welchen Beitrag könnte Design für eine<br />

zukunftsfähigere Mobilität leisten?<br />

Einen großen. Angefangen bei der<br />

Gestaltung der Fahrzeuge im Spannungsfeld<br />

Design und Konstruktionswissenschaft,<br />

mit neuen Materialien,<br />

einer leichteren Bauweise, durch<br />

Elektromobilität oder Automatisierungstechnologien.<br />

Hier kann Design<br />

wertschöpfend in Richtung ökologischer<br />

Zukunft vorbereiten. Doch Design ist<br />

immer nur der Diener von Entscheidungen,<br />

die an anderer Stelle getroffen<br />

werden. Ich persönlich vertrete<br />

ein Design der Zukunft, das geteilt ist:<br />

Carsharing, leichtere Fahrzeuge mit<br />

Alternativantrieben, öffentlicher Verkehr,<br />

Fahrräder.<br />

Wie lange können wir uns<br />

die Mobilität von heute noch leisten?<br />

Leisten können wir sie uns schon lange<br />

nicht mehr. Es stellt sich vielmehr die<br />

Frage, ob wir den Klimawandel ernst<br />

nehmen und auch die Tatsache, dass<br />

ein großer Teil der Klima emission<br />

durch den Straßenverkehr verursacht<br />

wird. Wir erzeugen weiterhin Klimagase,<br />

machen das Problem größer, erzeugen<br />

in der Welt Elend und Armut<br />

durch die Art, wie wir fossile Energien<br />

extrahieren. Das sind hochgradig ungerechte<br />

Systeme.<br />

Was ist Ihre liebste Vorstellung<br />

der Mobilität von morgen?<br />

Wir müssen weg von „nur“ Automobil<br />

zu einer größeren Vielfalt von Mobilitätsangeboten<br />

auf Basis der Elektromobilität<br />

in Kombination mit einem<br />

gut ausgebauten und preisgünstigen<br />

öffentlichen Verkehr, die perfekt interagieren.<br />

Wenn ich Städte so baue,<br />

dass ich vom Wohnort zur Arbeit eine<br />

Stunde unterwegs bin, erzeuge ich<br />

Mobilitätsbedarf. Wir messen Mobilität<br />

nach wie vor in Verkehrsleistung,<br />

26


Foto: © © Nicolas Uphaus<br />

Stefan Rammler ist Gründungsdirektor des Instituts für Transportation<br />

Design (ITD) und Professor für Transportation Design &<br />

Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.<br />

Er arbeitet mit seinem Team an der Gestaltung einer zukunftsfähigen,<br />

postfossilen Mobilität. Rammler versteht Mobilität<br />

als unverzichtbare Grundlage unserer modernen Kultur und Gesellschaft<br />

und gleichsam als Dreh- und Angelpunkt einer gesellschaftlichen<br />

Modernisierung. Seine professionellen Ziele setzt der<br />

Politologe, Soziologe und Ökonom auch privat um: Er ist multimodal<br />

unterwegs und misst seine Mobilitätsleistung nicht an zurückgelegten<br />

Kilometern, sondern daran, wie viele Erledigungen er auf<br />

einer Wegstrecke gemacht hat.<br />

also in Kilometern pro Kopf. Das sagt<br />

nichts darüber aus, wie mobil ich bin.<br />

Nach diesen Kriterien ist jemand, der<br />

500 Kilometer in die Arbeit und zurück<br />

nach Hause fährt, hoch mobil.<br />

Jemand, der fünf Minuten mit dem<br />

Fahrrad zur Arbeit fährt und dabei<br />

noch fünf andere Wege macht, nicht.<br />

Wir sollten Mobilität künftig als Erreichbarkeit<br />

von Orten und Einrichtungen<br />

definieren, statt als Verkehrsleistung<br />

in Personenkilometern. Das<br />

gehörte an den Anfang der Diskussion.<br />

Durch Ausbrechen<br />

aus der Routine und<br />

Ausprobieren von<br />

Neuem kann jeder<br />

mitgestalten<br />

Welche Rolle spielt der Einzelne?<br />

Ich meine nicht, dass alle ihr Leben<br />

radikal ändern müssen. Aber wir können<br />

beginnen, die kollaborativen Angebote<br />

zu nutzen, etwa Sharing-Angebote<br />

oder Elektroautos, auch wenn es<br />

erst einmal einen Routinebruch darstellt,<br />

und einfach versuchen, Vorurteile<br />

abzubauen und Neues auszuprobieren.<br />

In der neuen Mobilitätskultur<br />

wird sich einiges ändern. Doch nicht<br />

jeder hat für eine massive Änderung<br />

den finanziellen oder zeitlichen Spielraum,<br />

etwa ein Weitpendler. Das ist<br />

dann auch eine Frage der politischen<br />

und raumplanerischen Gestaltung.<br />

Wie sieht Ihre private Mobilität aus?<br />

Wir haben den Wohnort so gelegt,<br />

dass die Kinder zu Fuß oder mit dem<br />

Fahrrad zur Schule fahren können.<br />

Wir haben eine gute Fahrradflotte zu<br />

Hause und einen Anhänger zum Einkaufen<br />

sowie die richtige Kleidung.<br />

Unser Auto nutzen wir nur eingeschränkt,<br />

es ist alt und es abzuschaffen<br />

lohnt sich nicht. Wir nutzen Sharingangebote<br />

und fliegen nicht mehr, sondern<br />

machen seit sechs Jahren dort<br />

Urlaub, wo wir mit dem Nachtzug hinfahren<br />

können. Wobei ich im Notfall<br />

schon fliegen würde und das dann mit<br />

Zahlungen für ein Aufforstungsprogramm<br />

kompensieren würde. Wir<br />

versuchen, vegetarisch oder vegan zu<br />

leben, der Fleischkonsum verursacht<br />

schließlich auch viel Mobilität. All das<br />

reduziert den ökologischen Footprint<br />

enorm und zeigt, dass man mit wenig<br />

Aufwand viel erreichen kann.<br />

Wenn Sie über die Mobilität von<br />

morgen sprechen, was müssen<br />

Entscheider künftig stärker mitdenken?<br />

Design! Designer haben ein Bild von<br />

der Zukunft der Gesellschaft, von Nutzerbedürfnissen<br />

und von Konzepten<br />

und Prototypen. Sie haben eine Übersetzungsfunktion<br />

und kennen sich in<br />

der Bedürfniswelt der Kunden gut aus.<br />

Wir brauchen aber auch die IT, Techniker<br />

und Ingenieure, da wir bei aller<br />

Einsicht in die Frage der Lebensstiländerung<br />

auch Gestaltungsaufgaben<br />

technisch lösen müssen, etwa die Frage<br />

der Antriebsformen. Wir brauchen<br />

weiter die Sozialwissenschaften und<br />

die Ökonomie, die über neue Wirtschaftsmodelle<br />

und ein Weggehen<br />

vom Modell der reinen Wachstumsökonomie<br />

nachdenken.<br />

•<br />

<strong>Regeln</strong><br />

27


Mit Hand<br />

und Fuß<br />

Foto: © festo.com<br />

Künstliche Arme und Hightech-Beine: Bionische Prothesen können<br />

fast so viel wie menschliche GliedmaSSen und sollen in naher<br />

Zukunft sogar echten Spürsinn entwickeln.<br />

Von Theresia Tasser<br />

Schnitzel schneiden, Weinflaschen<br />

entkorken, Hemdknöpfe schließen.<br />

Was für uns Zweihänder zum banalen<br />

Alltag zählt, kann für Menschen mit einem<br />

amputierten Arm recht schnell<br />

zum Alptraum mutieren. Eine mechanische<br />

Hand à la Goethes Götz von<br />

Berlichingen stellt auch keine große<br />

Hilfe dar. Mit traditionellen Prothesen<br />

kann man zwar die Faust ballen und<br />

damit auf den Tisch schlagen, aber<br />

keine Schuhbänder binden. Bei komplexen<br />

Bewegungsabläufen und feinmotorischen<br />

Finessen geraten die<br />

Ersatzarme unweigerlich an die Grenzen<br />

ihrer mechanischen Möglichkeiten.<br />

Erst die bionische Prothetik, eine<br />

Kombination aus Medizintechnik,<br />

Biologie und Neurochirurgie, die auf<br />

der Reproduktion natürlicher Bewegungsmuster<br />

basiert, ist alltäglichen<br />

Anforderungen zunehmend gewachsen<br />

und sorgt derzeit für einen Quantensprung<br />

von Lebensqualität und<br />

Bewegungsfreiheit.<br />

von dädalus’ flügel<br />

zur bionischen<br />

hightech-prothese<br />

Die Idee der Bionik, also der technischen<br />

Umsetzung natürlicher Abläufe,<br />

ist nicht ganz neu. Schon in der griechischen<br />

Mythologie wurde das Thema<br />

aufgegriffen – Dädalus hat sich an<br />

der Imitation des Vogelflugs versucht,<br />

als er seine Flügel baute. Eindeutig<br />

neu und bahnbrechend sind allerdings<br />

die Fortschritte der bionischen<br />

Forschung und Entwicklung, die zu<br />

laufend präziseren und funktionsgetreueren<br />

Hightech-Gliedmaßen führen.<br />

Die heuti gen „Handlanger“ haben<br />

bereits aus reichend Potenzial, um im<br />

wahrsten Sinn des Wortes mit dem<br />

Menschen zu verwachsen: Targeted<br />

Muscle Reinervation (TMR – ein Verfahren,<br />

bei dem Nervenreste für die<br />

bionische Prothese aktiviert werden)<br />

und Pattern Recognition (Erkennung<br />

von Mustern) sind zwei technologische<br />

Errungenschaften, dank derer<br />

die innovativen Phantomarme direkt<br />

durch Gedankensteuerung reagiert.<br />

28


Foto: © fdpa/t mn<br />

WENN DER EIGENE ANBLICK SCHMERZT<br />

Wenn wir allmorgendlich in den Spiegel blicken, kann es vorkommen, dass unser Abbild<br />

verkatert, übermüdet oder unfrisiert zurückschaut. Ein wenig erfreulicher, aber<br />

dennoch vergänglicher Zustand. Was aber empfinden Menschen, die anstelle einer<br />

Nase ein Loch besitzen, das freie Sicht auf das Gaumensegel gewährt. Oder die wegen<br />

ihrer Einäugigkeit blöd angestarrt werden. Dagegen hilft nur ewige Einsiedelei<br />

oder eine Epithese. Diese künstlichen Gesichtsteile zur Kaschierung fazialer Defekte<br />

können zwar an einer Brille befestigt werden, aber sehr praktikabel ist diese Möglichkeit<br />

nicht. Besser für den Patienten und dessen Selbstbewusstsein ist zweifelsohne<br />

ein chirurgisches Implantat.<br />

In Österreich werden künstliche Gesichtsprothesen nur im AKH Linz angebracht.<br />

Gefertigt werden diese Kunststücke der menschlichen Maskenbildnerei meist von<br />

Zahntechnikern mit Zusatzausbildung. Die Befestigung erfolgt mit Hautmagneten<br />

und einem Titanstift im Knochen, was um vieles teurer als die Brillenvariante, aber<br />

auch um vieles menschenwürdiger ist. „Wenn außerdem die Brille beschlägt, kann<br />

man sie nicht abnehmen, weil man sie mit der Nase abnehmen würde,“ sagt Chirurg<br />

Hubert Ofner vom LKH Linz in einem Interview. „Das soziale Leben des Patienten ist<br />

eingeschränkt, weil er sich mit dieser unsicheren Epithese fast nicht in die Öffentlichkeit<br />

traut.“ Ganz nach dem alten, inhumanen Motto „Wer den Schaden hat, braucht<br />

für den Spott nicht zu sorgen.“ Bleibt zu wünschen, dass hierzulande statt Hautkleber<br />

und Brillen nur noch chirurgische Versatzstücke zum Einsatz kommen, was aber<br />

meist weniger an deren technischer Machbarkeit sondern an der Kostenerstattung<br />

der Krankenkassen scheitert.<br />

Ein internationaler Pionier auf diesem<br />

Gebiet ist Oskar Aszmann, Experte für<br />

plastische und rekonstruktive Chirurgie,<br />

der in Wien am Christian-Doppler-<br />

Labor für die Wiederherstellung von<br />

Extremitätenfunktionen gemeinsam<br />

mit dem Prothesenhersteller Otto<br />

Bock an einem speziellen Computerprogramm<br />

arbeitet, das individuelle<br />

Bewegungsmuster speichert. Durch<br />

die Übertragung auf die Prothese lassen<br />

sich beinahe 80 Prozent der Leistungsfähigkeit<br />

einer gesunden Hand<br />

erzielen, denn sie reagiert unmittelbar,<br />

ohne Zeitverzögerung.<br />

Signalübertragung<br />

von mensch auf<br />

maschine ist<br />

diffizil<br />

„Ich stehe anderen in fast nichts nach“,<br />

bestätigt Patrick Mayrhofer in einem<br />

YouTube-Interview. Der junge Linzer<br />

Elektrotechniker, dem 2008 nach einem<br />

Arbeitsunfall der linke Arm amputiert<br />

wurde, trägt seit 2011 eine<br />

so genannte Michelangelo-Hand der<br />

Firma Otto Bock. Diese wird über<br />

gedankeninitiierte Nervenimpulse<br />

gesteuert, die von Elektroden auf der<br />

Haut erfasst und in vorhandene Muskelgruppen<br />

geleitet werden, wo elektrische<br />

Signale an die Kunsthand gesendet<br />

werden. Wobei die Signalübertragung<br />

an der Schnittstelle<br />

Mensch-Maschine, also vom Körper<br />

zur Prothese, sehr diffizil ist. Heute<br />

kann Mayrhofer wieder problemlos<br />

Flaschen öffnen und Schuhbänder<br />

verknoten – wie jeder andere auch.<br />

natur schlägt<br />

technik immer<br />

(noch)<br />

Allen medialen Behauptungen zum<br />

Trotz ist die Prothese aber noch nicht<br />

gänzlich gedankengesteuert. Christian<br />

Hofer von Otto Bock spricht lieber<br />

von einer „intuitiven und simultanen“<br />

Bewegungsmöglichkeit der modernen<br />

Prothesen, das heißt, die Bewegungen<br />

kommen einem natürlichen<br />

Ablauf schon sehr nahe. Und von der<br />

prothetischen Zukunftsmusik, die derzeit<br />

unter Laborbedingungen komponiert<br />

wird: Weil die Anforderungen an<br />

den Bewegungsapparat von Mensch<br />

zu Mensch verschieden sind, gebe<br />

es zur Verbesserung des Alltags von<br />

Menschen mit eingeschränkter Mobilität<br />

ein fast unendliches Betätigungsfeld.<br />

Allerdings sei der Mensch so<br />

gut konstruiert, dass noch lange daran<br />

gearbeitet werden müsse, um an<br />

das von Natur aus Gestaltete heran zu<br />

kommen.<br />

Auch Hubert Egger, erster österreichischer<br />

Prothetik-Professor an der FH<br />

Oberösterreich, will Menschen, die<br />

Gliedmaßen verloren haben, möglichst<br />

viel an Lebensqualität zurück-<br />

geben. Und kämpft mit seinem Forscherteam<br />

gegen die derzeitige Gefühlskälte<br />

künstlicher Extremitäten an.<br />

„Bereits in naher Zukunft steht neben<br />

der motorischen Verbindung auch die<br />

Verbindung des sensorischen Teils<br />

des Nervensystems mit der Prothese“,<br />

erklärt Egger. „Weil dadurch die Prothese<br />

wie ein natürlicher Körperteil<br />

empfunden wird, kann sie vom Anwender<br />

viel zielsicherer gesteuert und<br />

als natürlicher Teil des Körpers angenommen<br />

werden.“<br />

die erste<br />

HAND PROTHese mit<br />

Fingerspitzengefühl<br />

ist greifbar<br />

Noch in diesem Jahr wird vom deutschen<br />

Kooperationspartner Vincent<br />

System die erste fühlende Handprothese<br />

mit Tastsinn auf den Markt gebracht<br />

(VINCENT evolution2). Dadurch<br />

wird dem Prothesenträger über<br />

eine sogenannte vibrotaktile Rückmeldung<br />

– durch Schwingungsfühler –<br />

wieder ein Berührungsgefühl von den<br />

Einzelfingern der Prothese vermittelt.<br />

Prothetik-Lösungen können auch mit<br />

einem ganz anderen Ziel hergestellt<br />

werden. So ist zum Beispiel die Exo-<br />

Hand der Firma Festo primär zum<br />

kraftunterstützenden Einsatz bei monotonen<br />

und anstrengenden Montage -<br />

tätigkeiten in der Industrie gedacht.<br />

<strong>Regeln</strong><br />

29


Schritt für Schritt wird das<br />

Bauprinzip der Natur entschlüsselt.<br />

Sogar feinmotorisch schwierige Bewegungen<br />

werden mit den Handprothesen<br />

der neuen Generation möglich.<br />

Fotos: festo.com<br />

„Entstanden ist dieses Future-Concept<br />

allerdings primär als Hilfsmittel<br />

für den Arbeitsalltag“, erklärt Wolfgang<br />

Keiner, Geschäftsführer von<br />

Festo Österreich. Als Spezialist für<br />

industrielle Automation beschäftigt<br />

sich das Unternehmen in erster Linie<br />

mit bionischen Lösungen, die körperlich<br />

anstrengende berufliche Tätigkeiten<br />

erleichtern, eine im Hinblick auf<br />

immer länger arbeitende, ältere Arbeitnehmer<br />

eine wichtige Herausforderung<br />

darstellt.<br />

Handschuh<br />

verstärkt Kraft<br />

in Fingern<br />

Die ExoHand wird aber auch im Bereich<br />

der Rehabilitation nach einem<br />

Schlaganfall eingesetzt: Sie wird wie<br />

ein Handschuh übergestülpt und erleichtert<br />

alltägliche Handgriffe, weil<br />

sie zum Beispiel die Kraft in den Fingern<br />

verstärkt.<br />

Im Bereich der Beinprothetik ist das<br />

Holzbein ein Bild der Vergangenheit<br />

und derart Rudimentäres wie Beschränkendes<br />

nur mehr Geschichte.<br />

Mittlerweile werden Erkenntnisse aus<br />

dem Gebiet der Armprothetik, deren<br />

Anforderung an die Beweglichkeit<br />

weit komplexer sind, bereits sinnvoll<br />

im Bereich der Beine genutzt. Davon<br />

profitiert auch der neunjährige Jan,<br />

dem nach einem schweren Schiunfall<br />

der rechte Unterschenkel abgenommen<br />

werden musste. Hubert Egger,<br />

der den kleinen Jan derzeit im wahrsten<br />

Sinn des Wortes auf die Beine<br />

hilft, ist guter Hoffnung, dass der<br />

Verlust des Beines die Möglichkeiten<br />

in seinem bevorstehenden Leben vergleichsweise<br />

wenig beeinträchtigt.<br />

„Freilich hängt das neben den technischen<br />

Möglichkeiten auch vom mentalen<br />

Zugang zu einem Leben mit einer<br />

Prothese ab“, meint er. Und weist<br />

auch auf diverse Hürden hin, die es<br />

noch zu überwinden bzw. zu optimieren<br />

gilt. Etwa die Sicherheit beim Gehen<br />

durch eine empfindsame Prothese,<br />

an der bereits geforscht wird.<br />

Oder Industriepartner, welche letztendlich<br />

leistbare, zuverlässige und<br />

robuste Prothesen für Menschen<br />

unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen<br />

Alltagssituationen herstellen.<br />

TopModel mit<br />

Prothese<br />

Persönlichen Höchstleistungen stellen<br />

künstliche Unterschenkel jedoch<br />

bereits heute kein Bein mehr. Der<br />

Deutsche Mario Galla etwa, der seit<br />

seinem dritten Lebensjahr mit einer<br />

Prothese durchs Leben geht, kann<br />

nicht nur Fußball spielen und Rad<br />

fahren, er hat als Topmodel sogar<br />

den Olymp internationaler Laufstege<br />

erklommen. Trotz und vielleicht manchmal<br />

sogar wegen der Prothese und<br />

der daraus resultierenden Individualität.<br />

Heather Mills, die Exfrau des<br />

Beatle Paul McCartney, verlor bei einem<br />

Verkehrsunfall ein Bein und arbeitete<br />

weiterhin als Model. Heute<br />

macht sie mit sportlichen Einsätzen<br />

von sich reden. Mills, die in Kärnten<br />

lebt und trainiert, will bei den Paralympics<br />

2014, in den Alpinski-Bewerben<br />

antreten.<br />

Dennoch gilt es noch vieles zu erforschen,<br />

um natürlichen Mustern und<br />

Maßstäben zu entsprechen. „Die<br />

Mechanismen im Mikro- und Nanobereich<br />

müssen noch ganz exakt entschlüsselt<br />

und verstanden werden,<br />

um noch bessere Verfahren für die<br />

Neuroprothetik zu entwickeln.“<br />

Nanotechnologie<br />

macht sehende<br />

Augenprothesen<br />

möglich<br />

Frank Rattay, Präsident der TU-Bio-<br />

Med (Gesellschaft für Biomedical<br />

Engineering an der TU Wien), sieht<br />

die zukünftige Größe bionischer<br />

Ersatzglieder vor allem im Kleinen:<br />

„Es wird viel von Nanotechnologie gesprochen,<br />

aber in der Medizintechnik<br />

bewegen wir uns zumeist noch im<br />

Millimeter-Bereich“, stellt er fest.<br />

„Damit haben wir noch viel Potenzial<br />

und Entwicklungsarbeit vor uns.“<br />

Aber wenn es irgendwann gelingt,<br />

etwa das Netzwerk der Nervenzellen<br />

in der Retina wissenschaftlich zu<br />

durchblicken und technisch nachzuvollziehen,<br />

dann werden sogar<br />

Augen prothesen dank kleinster implantierter<br />

Fotorezeptoren sehend<br />

werden. Erste Erfolge, bei denen blinde<br />

Menschen durch eingepflanzte Computerchips<br />

schemenhaft Buchstaben<br />

erkennen können, gibt es bereits.<br />

•<br />

30


Unmissverständliche Signale<br />

Eigentlich sind Verkehrszeichen und -regeln international<br />

einheitlich, und doch sind die Unterschiede mitunter<br />

beträchtlich. In Indien sollten Fahrzeuglenker auf die<br />

Arme ihrer Kollegen achten. In Kanada bleibt man bei<br />

grün blinkenden Ampeln besser stehen. Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer<br />

daten & fakten<br />

Autofahren mit Handzeichen<br />

In Ländern mit besonders hohem Verkehrsaufkommen, wie zum<br />

Beispiel in Indien, reichen Verkehrsschilder sowie Blinker und<br />

Bremslichter nicht aus, um durch die Rushour zu kommen. Hier sind<br />

die Fahrer aufgefordert, zusätzlich zum Lenken Handzeichen zu geben,<br />

um ihr nächstes Manöver anzukündigen. Beispielsweise zeigt<br />

eine rotierende Hand an, ob man nach rechts oder links abbiegt.<br />

Handfläche nach unten heißt, dass man stehen bleibt und winken<br />

bedeutet, dass man dem anderen gestattet, zu überholen.<br />

Wie fährt man in Indien Auto?<br />

Will links<br />

abbiegen<br />

Eine Sprache auf allen Straßen<br />

Damit sich Verkehrsteilnehmer weltweit<br />

im Straßenverkehr zurecht finden, hat die<br />

UNO im Wiener Übereinkommen über<br />

Straßenverkehrszeichen das Aussehen<br />

einheitlicher Verkehrsschilder festgelegt.<br />

Erkennen Sie, was die Tafeln in Ländern,<br />

welche das Übereinkommen nicht unterzeichnet<br />

haben, bedeuten?<br />

Erkennen Sie diese Verkehrszeichen?<br />

Die Auflösung findet sich auf der<br />

Rückseite des Magazins.<br />

1<br />

Indien<br />

2<br />

Japan<br />

Will rechts<br />

abbiegen<br />

5<br />

Türkei<br />

3<br />

China<br />

Stoppe<br />

jetzt!<br />

Werde<br />

langsamer<br />

Wie geht das<br />

internationale<br />

Blinkalphabet?<br />

4<br />

Japan<br />

Warum stehen<br />

an der Kreuzung<br />

kurzzeitig alle<br />

Fahrzeuge?<br />

Gelbes Blinken<br />

Eine gelb blinkende<br />

Ampel in Deutschland,<br />

Österreich oder der<br />

Schweiz bedeutet<br />

„Vorsicht“ – ohne dass<br />

ein zwingendes Stehenbleiben<br />

verlangt wird.<br />

Grünes Blinken<br />

Wenn die Ampeln auf Hauptstraßen in<br />

British Columbia (Kanada) andauernd<br />

grün blinken, liegt es nicht an einer<br />

defekten Lampe. Vielmehr ist es das<br />

Freisignal für Autofahrer. Fußgängern,<br />

welche die Straße überqueren möchten,<br />

gibt es den Hinweis, den Aktivierungsknopf<br />

zu drücken. Das Signal<br />

springt auf Gelb und Rot für die Autos,<br />

die Fußgänger bekommen ihr „walk“<br />

(Grünsignal).<br />

Rotes Blinken<br />

Es gibt aber auch rotes<br />

Blinklicht – zum Beispiel<br />

in den USA. Dieses hat<br />

die gleiche Bedeutung<br />

wie ein Stoppschild:<br />

Erst nach dem Anhalten<br />

ist ein langsames Weiterfahren<br />

erlaubt, sofern die<br />

Kreuzung frei ist.<br />

Zwischenzeit<br />

Es gibt amtliche Zwischenzeiten, deshalb haben phasenweise alle<br />

Verkehrsteilnehmer an der Kreuzung Rot. Die Zwischenzeit ist jene<br />

Zeitspanne, in der die Ampel auf der einen Seite gerade von Grün auf<br />

Rot umspringt und ums Eck gerade noch Rot ist.<br />

Die Zwischenzeit verhindert eine Kollision durch eine zu rasche Grünphase<br />

auf der einen Seite, wenn gleichzeitig auf der anderen Seite noch<br />

nicht alle Fahrzeuge den Kreuzungsbereich verlassen haben. Die exakte<br />

Zwischenzeit, die in Sekunden berechnet wird, richtet sich nach der<br />

Breite der Fahrbahn: Je breiter sie ist, und damit auch je größer die Kreuzung<br />

ist, desto länger ist die Zwischenzeit, weil mehr Zeit zum Verlassen<br />

der Kreuzung nötig ist.<br />

<strong>Regeln</strong><br />

31


Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Beim Gehen<br />

wird nicht gegessen,<br />

getrunken, telefoniert<br />

oder geraucht.<br />

Beim<br />

Stiegensteigen<br />

werden nur<br />

die Fußballen<br />

aufgesetzt, der Einsatz<br />

der Fersen wird<br />

vermieden.<br />

Beim<br />

Gehen auf der<br />

Straße überlässt die<br />

rangniedrigere Person<br />

der ranghöheren die<br />

rechte Seite<br />

(Ehrenplatz).<br />

Auch wenn<br />

„der Knigge“<br />

heute als die Bibel<br />

guter Umgangsformen gilt – die<br />

ursprüngliche Version von 1788 war<br />

kein Benimmbuch. Vielmehr verfasste<br />

Adolph Freiherr Knigge sein Werk<br />

„Über den Umgang mit Menschen“<br />

als eine Aufklärungsschrift, die darüber<br />

Auskunft gab, wie man höflich mit<br />

Menschen von verschiedenen Temperamenten<br />

umgeht. Erst später kamen Benimmregeln<br />

hinzu. Heute gibt der Deutsche Knigge Rat<br />

regelmäßig neue, an gesellschaftliche<br />

Entwicklungen angepasste<br />

Verhaltensregeln<br />

heraus.<br />

32<br />

Auflösung Seite 31: 1 Überholverbot/Indien 2 Überholverbot/Japan 3 Vorrang geben/China 4 Stoppschild/Japan 5 Einbahn/Türkei

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