Sherlock Holmes – Der erbleichte Soldat und weitere Detektivgeschichten

Ein “neuer” Sherlock Holmes mit teilweise digital noch unveröffentlichten Geschichten. “Der Mazarin-Stein” (“The Mazarin Stone”), “Der illustre Klient” (“The Illustrious Client”), “Die verschleierte Mieterin” (“The Veiled Lodger”), “Die Drei Giebel” (“The Three Gables”), “Der erbleichte Soldat” (“The Blanched Soldier”), “Der Farbenhändler im Ruhestand” (“The Retired Colourman”) Ein “neuer” Sherlock Holmes mit teilweise digital noch unveröffentlichten Geschichten.
“Der Mazarin-Stein” (“The Mazarin Stone”), “Der illustre Klient” (“The Illustrious Client”), “Die verschleierte Mieterin” (“The Veiled Lodger”), “Die Drei Giebel” (“The Three Gables”), “Der erbleichte Soldat” (“The Blanched Soldier”), “Der Farbenhändler im Ruhestand” (“The Retired Colourman”)

Arthur Conan Doyle<br />

<strong>Sherlock</strong> <strong>Holmes</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>erbleichte</strong> <strong>Soldat</strong> <strong>und</strong> <strong>weitere</strong><br />

<strong>Detektivgeschichten</strong><br />

<strong>–</strong> Vollständige & Illustrierte Fassung <strong>–</strong><br />

Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag<br />

Published by Null Papier Verlag, Deutschland<br />

Copyright © 2012 by Null Papier Verlag<br />

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-244-2<br />

Umfang: 182 Normseiten bzw. 228 Buchseiten<br />

www.null-papier.de/holmes<br />

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Original:<br />

»<strong>Der</strong> Mazarin-Diamant <strong>und</strong> andere Abenteuer von <strong>Sherlock</strong><br />

<strong>Holmes</strong>« <strong>und</strong> »Die Drei Giebel <strong>und</strong> andere Abenteuer von<br />

<strong>Sherlock</strong> <strong>Holmes</strong>«<br />

Hugo Wille, Verlagsbuchhandlung, Berlin (1927, 1928)<br />

Übersetzung:<br />

Eve Fritsche <strong>und</strong> Else Baronin von Werkmann<br />

Illustrationen:<br />

Kurt Lange<br />

Noch mehr <strong>Sherlock</strong>-<strong>Holmes</strong>-Geschichten finden Sie unter<br />

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3


Die einzelnen Geschichten<br />

»<strong>Der</strong> Mazarin-Stein« (»The Mazarin Stone«), 1921<br />

<strong>Sherlock</strong> <strong>Holmes</strong> wird beauftragt, den Mazarin-Stein - einen<br />

Teil der britischen Kronjuwelen - zu finden. Schnell hat <strong>Holmes</strong><br />

einen Hauptverdächtigen bei der Hand. Wird es ihm gelingen,<br />

diesen bei einem Besuch in der Baker Street zu überführen?<br />

»<strong>Der</strong> illustre Klient« (»The Illustrious Client«), 1924<br />

Im Auftrag eines anonymen Klienten wird <strong>Holmes</strong> engagiert,<br />

Violet de Merville aus den Fängen des berüchtigten Barons<br />

Adelbert Gruner zu befreien. <strong>Holmes</strong> steht einem ebenbürtigen<br />

Gegner gegenüber, der selbst vor einem Mordanschlag nicht<br />

zurückschreckt<br />

»Die verschleierte Mieterin« (»The Veiled Lodger«), 1927<br />

Mrs. Merrilow ist in Sorge um ihre Mieterin, die sich nur verschleiert<br />

zeigt. <strong>Holmes</strong> wird zu Hilfe gerufen. Kann er die bevorstehende<br />

Tragödie abwenden<br />

»Die Drei Giebel« (»The Three Gables«), 1926<br />

Im Hause der zurückgezogen lebenden Mrs. Maberley ereignen<br />

sich mysteriöse Vorfälle: Zunächst will jemand ihr Haus zu einem<br />

überteuerten Preis erwerben <strong>und</strong> schließlich wird sie des<br />

Nachts überfallen. Was steckt dahinter?<br />

4


»<strong>Der</strong> <strong>erbleichte</strong> <strong>Soldat</strong>« (»The Blanched Soldier«), 1926<br />

James M. Dodd, ein Kriegsveteran, wittert eine Verschwörung<br />

um Godfrey Emsworth, den Mann, der ihm einst das Leben rettete<br />

<strong>und</strong> der angeblich auf Weltreise sein soll. Dodd engagiert<br />

<strong>Holmes</strong>, um das Rätsel zu lösen.<br />

»<strong>Der</strong> Farbenhändler im Ruhestand«<br />

Colourman«), 1926<br />

(»The Retired<br />

<strong>Der</strong> ehemalige Farbenhändler Josiah Amberley ist verzweifelt.<br />

Seine 20 Jahre jüngere Frau ist mit Dr. Ray Ernest durchgebrannt<br />

<strong>und</strong> hat seine Ersparnisse mitgehen lassen. Aber in diesem<br />

Fall ist nichts, wie es zunächst scheint.<br />

5


Arthur Conan Doyle & <strong>Sherlock</strong> <strong>Holmes</strong><br />

Womöglich wäre die Literatur heute um eine ihrer schillerndsten<br />

Detektivgestalten ärmer, würde der am 22. Mai 1859 in<br />

Edinburgh geborene Arthur Ignatius Conan Doyle nicht ausgerechnet<br />

an der medizinischen Fakultät der Universität seiner<br />

Heimatstadt studieren. Hier nämlich lehrt der später als Vorreiter<br />

der Forensik geltende Chirurg Joseph Bell. Die Methodik<br />

des Dozenten, seine Züge <strong>und</strong> seine hagere Gestalt wird der angehende<br />

Autor für den dereinst berühmtesten Detektiv der Kriminalliteratur<br />

übernehmen.<br />

6


Geburt <strong>und</strong> Tod des <strong>Holmes</strong><br />

<strong>Der</strong> erste Roman des seit 1883 in Southsea praktizierenden<br />

Arztes teilt das Schicksal zahlloser Erstlinge <strong>–</strong> er bleibt unvollendet<br />

in der Schublade. Erst 1887 betritt <strong>Sherlock</strong> <strong>Holmes</strong> die<br />

Bühne, als „Eine Studie in Scharlachrot“ erscheint. Nachdem<br />

Conan Doyle im Magazin The Strand seine <strong>Holmes</strong>-Episoden<br />

veröffentlichen darf, ist er als erfolgreicher Autor zu bezeichnen.<br />

The Strand eröffnet die Reihe mit „Ein Skandal in Böh-<br />

7


men“. Im Jahr 1890 zieht der Schriftsteller nach London, wo er<br />

ein Jahr darauf, dank seines literarischen Schaffens, bereits seine<br />

Familie ernähren kann; seit 1885 ist er mit Louise Hawkins<br />

verheiratet, die ihm einen Sohn <strong>und</strong> eine Tochter schenkt.<br />

Ginge es ausschließlich nach den Lesern, wäre dem kühlen Detektiv<br />

<strong>und</strong> seinem schnauzbärtigen Mitbewohner ewiges Leben<br />

beschieden. Die Abenteuer der beiden Fre<strong>und</strong>e nehmen freilich,<br />

wie ihr Schöpfer meint, zu viel Zeit in Anspruch; der Autor<br />

möchte historische Romane verfassen. Deshalb stürzt er<br />

1893 in „Das letzte Problem“ sowohl den Detektiv als auch<br />

dessen Widersacher Moriarty in die Reichenbachfälle. Die Proteste<br />

der enttäuschten Leserschaft fruchten nicht <strong>–</strong> <strong>Holmes</strong> ist<br />

tot.<br />

Die Wiederauferstehung des <strong>Holmes</strong><br />

Obwohl sich der Schriftsteller mittlerweile der Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> dem Mystizismus widmet, bleibt sein Interesse an Politik<br />

<strong>und</strong> realen Herausforderungen doch ungebrochen. Den Zweiten<br />

Burenkrieg erlebt Conan Doyle seit 1896 an der Front in Südafrika.<br />

Aus seinen Eindrücken <strong>und</strong> politischen Ansichten resultieren<br />

zwei nach 1900 publizierte propagandistische Werke,<br />

wofür ihn Queen Victoria zum Ritter schlägt.<br />

Eben zu jener Zeit weilt Sir Arthur zur Erholung in Norfolk,<br />

was <strong>Holmes</strong> zu neuen Ehren verhelfen wird. <strong>Der</strong> Literat hört<br />

dort von einem Geisterh<strong>und</strong>, der in Dartmoor eine Familie verfolgen<br />

soll. Um das Mysterium aufzuklären, reanimiert Conan<br />

Doyle seinen exzentrischen Analytiker: 1903 erscheint „<strong>Der</strong><br />

8


H<strong>und</strong> der Baskervilles“. Zeitlich noch vor dem Tod des Detektivs<br />

in der Schweiz angesiedelt, erfährt das Buch enormen Zuspruch,<br />

weshalb der Autor das Genie 1905 in „Das leere Haus“<br />

endgültig wiederbelebt.<br />

Das unwiderrufliche Ende des <strong>Holmes</strong><br />

Nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1906 <strong>und</strong> der Heirat<br />

mit der, wie Conan Doyle glaubt, medial begabten Jean Leckie<br />

befasst sich der Privatmann mit Spiritismus. Sein literarisches<br />

Schaffen konzentriert sich zunehmend auf Zukunftsromane,<br />

deren bekanntester Protagonist der Exzentriker Professor Challenger<br />

ist. Als populärster Challenger-Roman gilt die 1912 veröffentlichte<br />

<strong>und</strong> bereits 1925 verfilmte Geschichte „Die vergessene<br />

Welt“, die Conan Doyle zu einem Witz verhilft: <strong>Der</strong><br />

durchaus schlitzohrige Schriftsteller zeigt im kleinen Kreis einer<br />

Spiritistensitzung Filmaufnahmen vermeintlich lebender<br />

Saurier, ohne zu erwähnen, dass es sich um Material der ersten<br />

Romanverfilmung handelt.<br />

Die späte Fre<strong>und</strong>schaft des Literaten mit Houdini zerbricht am<br />

Spiritismus-Streit, denn der uncharmante Zauberkünstler entlarvt<br />

zahlreiche Betrüger, während der Schriftsteller von der<br />

Existenz des Übernatürlichen überzeugt ist. Conan Doyles<br />

Geisterglaube erhält Auftrieb, als sein ältester Sohn Kingsley<br />

während des Ersten Weltkriegs an der Front fällt.<br />

Noch bis 1927 bedient der Autor das Publikum mit Kurzgeschichten<br />

um <strong>Holmes</strong> <strong>und</strong> Watson; zuletzt erscheint „Das Buch<br />

der Fälle“. Als Sir Arthur Conan Doyle am 7. Juli 1930 stirbt,<br />

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trauern Familie <strong>und</strong> Leserschaft gleichermaßen, denn diesmal<br />

ist <strong>Holmes</strong> wirklich tot.<br />

Von der Bedeutung eines Geschöpfes<br />

Oder vielmehr ist <strong>Holmes</strong> ein ewiger Wiedergänger, der im<br />

Gedächtnis des Publikums fortlebt. Nicht wenige Leser hielten<br />

<strong>und</strong> halten den Detektiv für eine existente Person, was nicht<br />

zuletzt Conan Doyles erzählerischem Geschick <strong>und</strong> dem Realitätsbezug<br />

der Geschichten zu verdanken sein dürfte. Tatsächlich<br />

kam man im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert dem Bedürfnis nach etwas<br />

Handfestem nach, indem ein Haus in der Londoner Baker<br />

Street die Nummer 221 b erhielt. Dort befindet sich das <strong>Sherlock</strong>-<strong>Holmes</strong>-Museum.<br />

Conan Doyles zeitgenössischer Schriftstellerkollege Gilbert<br />

Keith Chesterton, geistiger Vater des kriminalistischen Pater<br />

Brown, brachte das literarische Verdienst seines Landsmanns<br />

auf den Punkt: Sinngemäß sagte er, dass es nie bessere <strong>Detektivgeschichten</strong><br />

gegeben habe <strong>und</strong> dass <strong>Holmes</strong> möglicherweise<br />

die einzige volkstümliche Legende der Moderne sei, deren Urheber<br />

man gleichwohl nie genug gedankt habe.<br />

Dass der Detektiv sein sonstiges Schaffen dermaßen überlagern<br />

konnte, war Conan Doyle selbst niemals recht. Er hielt seine<br />

historischen, politischen <strong>und</strong> später seine mystizistisch-spiritistischen<br />

Arbeiten für wertvoller, während die Kurzgeschichten<br />

dem bloßen Broterwerb dienten. Vermutlich übersah er bei der<br />

Selbsteinschätzung seiner vermeintlichen Trivialliteratur deren<br />

10


enorme Wirkung, die weit über ihren hohen Unterhaltungswert<br />

hinausging.<br />

So wie Joseph Bell, Conan Doyles Dozent an der Universität,<br />

durch präzise Beobachtung auf die Erkrankungen seiner Patienten<br />

schließen konnte, sollte <strong>Sherlock</strong> <strong>Holmes</strong> an Kriminalfälle<br />

herangehen, die sowohl seinen Klienten als auch der Polizei<br />

unerklärlich schienen. Bells streng wissenschaftliches Vorgehen<br />

stand Pate für Deduktion <strong>und</strong> forensische Methodik in den<br />

vier Romanen <strong>und</strong> 56 Kurzgeschichten um den hageren Gentleman-Detektiv.<br />

Professor Bell beriet die Polizei bei der Verbrechensaufklärung,<br />

ohne in den offiziellen Berichten oder in den<br />

Zeitungen erwähnt werden zu wollen. Die Ähnlichkeit zu <strong>Holmes</strong><br />

ist augenfällig. Wirklich war in den Geschichten die Fiktion<br />

der Realität voraus, denn wissenschaftliche Arbeitsweise,<br />

genaue Tatortuntersuchung <strong>und</strong> analytisch-rationales Vorgehen<br />

waren der Kriminalistik jener Tage neu. Man urteilte nach Augenschein<br />

<strong>und</strong> entwarf Theorien, wobei die Beweisführung<br />

nicht ergebnisoffen geführt wurde, sondern lediglich jene<br />

Theorien belegen sollte. Zweifellos hat die Popularität der Erlebnisse<br />

von <strong>Holmes</strong> <strong>und</strong> Watson den Aufstieg der realen Forensik<br />

in der Verbrechensaufklärung unterstützt.<br />

Ein <strong>weitere</strong>r interessanter Aspekt der Erzählungen betrifft Conan<br />

Doyles Neigung, seine eigenen Ansichten einzuarbeiten.<br />

Zwar bevorzugte er zu diesem Zweck andere Schaffenszweige,<br />

aber es finden sich gesellschaftliche <strong>und</strong> moralische Meinungen,<br />

wenn <strong>Holmes</strong> etwa Verbrecher entkommen lässt, weil er<br />

meint, dass eine Tat gerecht gewesen oder jemand bereits<br />

durch sein Schicksal genug gestraft sei. Gelegentlich ist dabei<br />

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festzustellen, dass er Angehörige niedriger Stände gleichgültiger<br />

behandelt als die Vertreter der „guten Gesellschaft“.<br />

Fiktive Biografien des Detektivs, Bühnenstücke, Verfilmungen<br />

<strong>und</strong> zahllose Nachahmungen, darunter nicht selten Satiren, von<br />

denen Conan Doyle mit „Wie Watson den Trick lernte“ 1923<br />

selbst eine verfasste, künden von der ungebrochenen Beliebtheit<br />

des kriminalistischen Duos, ohne das die Weltliteratur weniger<br />

spannend wäre.<br />

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<strong>Der</strong> Mazarin-Stein<br />

E<br />

s war Dr. Watson lieb, daß er wieder einmal in dem unordentlichen<br />

Zimmer im ersten Stockwerk der Baker<br />

Street sein konnte, von dem so viele merkwürdige Abenteuer<br />

ihren Ausgang genommen hatten. Seine Blicke schweiften über<br />

die wissenschaftlichen Tabellen an der Wand, über den von<br />

Säuren verätzten Tisch mit den Chemikalien, den in der Ecke<br />

stehenden Geigenkasten <strong>und</strong> den Kohlenschrank, der seit jeher<br />

als Aufbewahrungsort für die Pfeifen <strong>und</strong> den Tabak diente.<br />

Schließlich blieben seine Augen auf dem frischen, lächelnden<br />

Gesicht Billys, des jungen, jedoch sehr klugen <strong>und</strong> taktvollen<br />

Dieners, haften, der in die Einsamkeit <strong>und</strong> Zurückgezogenheit<br />

des großen Detektivs einiges Leben gebracht hatte.<br />

»Es scheint hier alles ganz unverändert zu sein, Billy. Auch<br />

Sie haben sich nicht verändert. Hoffentlich kann man von ihm<br />

dasselbe sagen?«<br />

Billy warf einen besorgten Blick auf die geschlossene Tür,<br />

die in das Schlafzimmer führte. »Ich denke, er liegt im Bett<br />

<strong>und</strong> schläft«, antwortete er.<br />

Es war ein w<strong>und</strong>erschöner Sommertag <strong>und</strong> bereits sieben<br />

Uhr abends, dennoch war Dr. Watson über diese Bemerkung<br />

durchaus nicht überrascht, denn er kannte die unregelmäßige<br />

Lebensweise seines alten Fre<strong>und</strong>es zur Genüge.<br />

»Das bedeutet wohl, daß er einen Fall in Arbeit hat?«<br />

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»Jawohl, Herr Doktor, <strong>und</strong> gerade jetzt ist er scharf im<br />

Zuge. Ich fürchte für seine Ges<strong>und</strong>heit. Er wird immer blasser<br />

<strong>und</strong> dünner <strong>und</strong> ißt rein gar nichts. Wenn ihn Mrs. Hudson<br />

fragt: ›Wann möchten Sie gerne essen, Mr. <strong>Holmes</strong>,‹ antwortet<br />

er etwa: ›Übermorgen sieben Uhr dreißig abends, dann aber<br />

ganz gehörig.‹ Sie wissen ja, wie er sein kann, wenn er auf<br />

einen Fall erpicht ist.«<br />

»Ja, ja, Billy, das weiß ich sehr gut.«<br />

»Er verfolgt jemanden. Gestern ging er als Arbeiter verkleidet<br />

aus <strong>und</strong> heute als alte Frau. Sogar mich hat er fast zu täuschen<br />

vermocht, obwohl ich doch seine Art schon kennen sollte.«<br />

Billy wies grinsend auf einen sehr bauschigen Sonnenschirm,<br />

der am Sofa lehnte. »Das ist ein Teil der Altweiberausstattung«,<br />

sagte er.<br />

»Aber worum handelt es sich denn diesmal eigentlich, Billy?«<br />

Billy dämpfte seine Stimme wie jemand, der über große<br />

Staatsgeheimnisse spricht. »Ihnen kann ich es ja sagen, Herr<br />

Doktor, aber behalten Sie es für sich. Es ist die Sache mit dem<br />

Krondiamanten.«<br />

»Was? <strong>–</strong> <strong>Der</strong> Einbruch, bei dem der Diamant, der einen<br />

Wert von h<strong>und</strong>erttausend Pf<strong>und</strong> hat, gestohlen wurde?«<br />

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»Ja, Herr Doktor, den müssen sie wieder haben. <strong>Der</strong> Ministerpräsident<br />

<strong>und</strong> der Minister des Innern waren bei uns. Auf<br />

dem Sofa dort haben sie beide gesessen. Mr. <strong>Holmes</strong> war sehr<br />

nett zu ihnen. Er versprach ihnen, sein Möglichstes zur Auffindung<br />

des Diamanten zu tun, <strong>und</strong> das beruhigte sie bald. Dann<br />

ist noch Lord Cantlemere da <strong>–</strong>«<br />

»Ah, der?«<br />

»Ja, Herr Doktor, was das bedeutet, wissen Sie wohl. Das<br />

ist ein steifer, trockener Patron, wenn ich so sagen darf. Ich<br />

habe nichts gegen den Ministerpräsidenten <strong>und</strong> auch nichts gegen<br />

den Minister des Innern, der ein höflicher, verbindlicher<br />

Mann zu sein scheint, einzuwenden; aber Seine Lordschaft<br />

kann ich nicht ausstehen. Auch Mr. <strong>Holmes</strong> mag den Mann<br />

nicht. Wissen Sie, er hält nichts von Mr. <strong>Holmes</strong>’ Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> war gegen seine Betrauung mit der Angelegenheit. Er sähe<br />

es ganz gerne, wenn Mr. <strong>Holmes</strong> versagte.«<br />

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»Und weiß das Mr. <strong>Holmes</strong>?«<br />

»Mr. <strong>Holmes</strong> weiß immer alles, was nötig ist zu wissen.«<br />

»Na, dann wollen wir nur hoffen, daß er nicht versagt, damit<br />

Lord Cantlemere beschämt werde. Aber, Billy, was ist das<br />

für ein Vorhang vor dem Fenster?«<br />

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»Mr. <strong>Holmes</strong> hat ihn vor drei Tagen anbringen lassen. Wir<br />

haben etwas Drolliges dahinter.«<br />

Billy schritt zu dem Vorhang, der die Nische des Erkers<br />

verdeckte, <strong>und</strong> zog ihn zurück.<br />

Dr. Watson konnte einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken.<br />

Dort saß im Schlafrock, bequem in einen Sessel<br />

vergraben, das Gesicht im Halbprofil gegen das Fenster gerichtet,<br />

die Augen gesenkt, als lese er ein Buch, eine sehr getreue<br />

Nachbildung seines alten Fre<strong>und</strong>es. Billy nahm der Puppe den<br />

Kopf ab <strong>und</strong> hielt ihn in die Luft.<br />

»Wir geben der Puppe <strong>und</strong> dem Kopf von Zeit zu Zeit eine<br />

andere Stellung, damit das ganze natürlicher aussieht. Ich würde<br />

sie natürlich nicht anrühren, wenn nicht die Vorhänge herabgelassen<br />

wären. Wenn diese aufgezogen sind, kann man<br />

nämlich die Gestalt von drüben sehen.«<br />

»Wir haben früher schon einmal etwas derartiges benutzt.«<br />

»Wohl vor meiner Zeit«, meinte Billy. Er zog die Vorhänge<br />

zurück <strong>und</strong> sah auf die Straße. »Von drüben beobachten uns<br />

immer Leute. Auch jetzt sehe ich einen Kerl am Fenster. Überzeugen<br />

Sie sich bitte selbst.«<br />

Watson schritt auf das Fenster zu, als sich plötzlich die<br />

Schlafzimmertür öffnete <strong>und</strong> <strong>Holmes</strong>’ lange, dünne Gestalt<br />

auftauchte. Sein Gesicht war blaß <strong>und</strong> trug den Ausdruck<br />

großer Erschöpfung, aber sein Schritt <strong>und</strong> seine Haltung waren<br />

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lebhaft wie immer. Mit einem Satz war er in der dunklen Ecke<br />

neben dem Fenster <strong>und</strong> hatte die Vorhänge wieder zugezogen.<br />

»So, nun kann nichts mehr passieren, Billy. Sie waren in<br />

Lebensgefahr, mein lieber Junge, <strong>und</strong> ich kann Sie gerade jetzt<br />

nicht entbehren. Oh, Watson, ich freue mich, dich wieder einmal<br />

bei mir zu sehen. Du bist gerade in einem kritischen Augenblick<br />

gekommen.«<br />

»Das scheint mir so!«<br />

»Billy, Sie können gehen. Dieser Junge ist ein Problem,<br />

Watson. Kann ich es eigentlich verantworten, ihn einer Gefahr<br />

auszusetzen?«<br />

»Was für einer Gefahr, <strong>Holmes</strong>?«<br />

»<strong>Der</strong> eines plötzlichen Todes. Ich erwarte etwas heute<br />

abend.«<br />

»Was denn?«<br />

»Ermordet zu werden, Watson.«<br />

»Na, na, <strong>Holmes</strong>, du scherzt!«<br />

»Glaube mir, selbst mein schwacher Sinn für Humor würde<br />

bessere Scherze entfalten können. Aber wollen wir es uns nicht<br />

inzwischen bequem machen? Darf ich dir einen Whisky anbieten?<br />

Das Sodawasser <strong>und</strong> die Zigarren sind an ihrem alten Platze.<br />

Ich freue mich, dich wieder einmal in deinem angestamm-<br />

18


ten Lehnsessel zu sehen. Hoffentlich stört dich meine Pfeife<br />

nicht. <strong>Der</strong> elende Tabak muß mir in diesen Tagen die Nahrung<br />

ersetzen.«<br />

»Aber warum ißt du nicht?«<br />

»Weil der Geist sich schärft, wenn man ihn durch Hungern<br />

dazu zwingt. Du, mein lieber Watson, als Arzt mußt zugeben,<br />

daß die Blutzufuhr, die die Verdauung beansprucht, einen Verlust<br />

für das Gehirn bedeutet. Ich aber bin ganz Gehirn. Alles<br />

übrige an mir ist nur ein Anhängsel. Daher muß ich auf mein<br />

Gehirn Rücksicht nehmen.«<br />

»Was ist das für eine Gefahr, <strong>Holmes</strong>, von der du<br />

sprichst?«<br />

»Ach ja, die Gefahr! Mein Leben steht auf dem Spiel, <strong>und</strong><br />

deshalb ist es wohl besser, daß du dein Gedächtnis mit dem<br />

Namen <strong>und</strong> der Anschrift des Mörders belastest. Du könntest<br />

sie dann mit einem Gruß <strong>und</strong> einem letzten Segen von mir in<br />

›Scotland Yard‹ bekanntgeben. Sylvius ist der Name <strong>–</strong> Graf<br />

Negretto Sylvius <strong>–</strong> <strong>und</strong> die Anschrift: 136 Moorside Gardens,<br />

N. W. Aber schreib sie dir lieber auf, mein Junge.«<br />

Über Watsons ehrliches Gesicht flog ein Schatten der Besorgnis.<br />

Er wußte nur zu gut, welch großen Gefahren sich <strong>Holmes</strong><br />

auszusetzen pflegte, <strong>und</strong> daß er niemals übertrieb, sondern<br />

im Gegenteil sehr zurückhaltend in seinen Angaben war. Watson<br />

war ein Mann der Tat, <strong>und</strong> er zeigte sich auch dieser Sachlage<br />

gewachsen.<br />

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»Rechne bei dieser Sache mit mir, <strong>Holmes</strong>. Ich habe heute<br />

<strong>und</strong> morgen nichts Besonderes vor.«<br />

»Deine Moral scheint sich nicht zu bessern, mein lieber<br />

Watson. Jetzt hast du dir zu deinen anderen Lastern auch noch<br />

das Flunkern angewöhnt. Du bist doch ein sehr begehrter Arzt,<br />

den man zu jeder Tages- <strong>und</strong> Nachtzeit ruft.«<br />

»Ach, das ist nicht so schlimm. Aber kannst du denn diesen<br />

Menschen nicht festnehmen lassen?«<br />

»Ja, Watson, das könnte ich. Das beunruhigt ihn ja auch so<br />

sehr.«<br />

»Warum tust du es denn nicht?«<br />

»Weil ich nicht weiß, wo der Diamant ist.«<br />

»Ah, Billy erzählte mir etwas davon <strong>–</strong> das vermißte Kronjuwel!«<br />

»Ja, der große gelbe Mazarin-Stein. Ich habe mein Netz gelegt<br />

<strong>und</strong> habe meinen Fisch gefangen. Aber den Stein habe ich<br />

nicht bekommen. Was nützt es also, wenn ich die Gauner verhaften<br />

lasse? Die Welt würde zwar gewinnen, wenn sie im Gefängnis<br />

säßen, aber das zu erreichen, genügt mir nicht. Ich muß<br />

den Stein haben.«<br />

»Und ist der Graf Sylvius einer deiner Fische?«<br />

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»Ja, <strong>und</strong> noch dazu ein Haifisch. Er schnappt nach mir. <strong>Der</strong><br />

andere ist Sam Merton, der Boxer. Merton ist kein schlechter<br />

Kerl, aber der Graf benutzt ihn als Werkzeug. Sam ist auch<br />

kein Haifisch, sondern ein großer, dicker, dummer, breitschädliger<br />

Gründling. Aber er zappelt ebenfalls in meinem Netz.«<br />

»Wo steckt denn dieser Graf Sylvius?«<br />

»Ich war ihm den ganzen Vormittag auf den Fersen. Du<br />

hast mich schon früher als alte Dame verkleidet gesehen, Watson,<br />

aber niemals ist mir diese Verkleidung besser gelungen als<br />

heute. Denke dir, er hob mir sogar den Sonnenschirm auf. ›Mit<br />

Verlaub, gnädige Frau‹, sagte er mit der liebenswürdigen Art<br />

des Südländers <strong>–</strong> du mußt wissen, daß er ein halber Italiener ist<br />

<strong>–</strong>. Diese Leute können bestrickend höflich sein, wenn sie gut<br />

aufgelegt sind, im Zorne aber werden sie zu wahren Teufeln in<br />

Menschengestalt. Das Leben ist doch voll der seltsamsten<br />

Begebenheiten, Watson.«<br />

»Es hätte wohl auch eine tragische werden können.«<br />

»Ja, vielleicht. Ich folgte ihm bis zu der Werkstatt des alten<br />

Straubenzee in den Minories. Straubenzee hat die Windbüchse<br />

gemacht <strong>–</strong> eine gute Arbeit, wie ich höre. <strong>–</strong> Ich denke, sie wird<br />

jetzt schon im gegenüberliegenden Fenster sein. Hast du die<br />

Puppe gesehen? Aber was rede ich. Billy hat sie dir ja gezeigt.<br />

Die kann jetzt jeden Augenblick eine Kugel durch ihren schönen<br />

Kopf bekommen. Ah, da ist Billy. Warum kommen Sie?«<br />

<strong>Der</strong> junge Bursche hatte mit einer Visitenkarte auf dem Tablett<br />

das Zimmer betreten. <strong>Holmes</strong> warf einen Blick darauf,<br />

21


zog die Brauen in die Höhe, <strong>und</strong> ein belustigtes Lächeln umspielte<br />

seine Lippen.<br />

»Ha, der Mann selbst! Das habe ich kaum erwartet. Greif in<br />

die Brennesseln, Watson! <strong>Der</strong> Mann hat Nerven. Vielleicht<br />

hast du schon gehört, daß er als Jäger von Großwild einen Ruf<br />

genießt. Es wäre wohl ein glorreicher Abschluß seiner Schußliste,<br />

wenn er mich jetzt zur Strecke brächte. Das ist ein Beweis,<br />

daß er mich auf seinen Fersen fühlt.«<br />

»Laß doch die Polizei holen.«<br />

»Das werde ich wahrscheinlich tun, aber jetzt noch nicht.<br />

Watson, würdest du wohl einmal vorsichtig aus dem Fenster<br />

sehen, ob irgend jemand auf der Straße herumlungert.«<br />

Watson lugte behutsam durch den Spalt zwischen Vorhang<br />

<strong>und</strong> Fensterrahmen. »Ja, in der Nähe der Haustür steht ein rauher<br />

Geselle.«<br />

»Das wird Sam Merton sein, der treue, aber ziemlich einfältige<br />

Sam. Wo ist dieser Herr, Billy?«<br />

»Im Wartezimmer, Mr. <strong>Holmes</strong>.«<br />

»Führen Sie ihn herein, wenn ich läute.«<br />

»Jawohl.«<br />

»Auch wenn ich nicht im Zimmer bin, führen Sie ihn trotzdem<br />

herein.«<br />

22


»Jawohl, Mr. <strong>Holmes</strong>.«<br />

Watson wartete, bis sich die Tür hinter dem Jungen geschlossen<br />

hatte, <strong>und</strong> wandte sich dann mit ernstem Gesicht an<br />

seinen Fre<strong>und</strong>. »Höre, <strong>Holmes</strong>, das ist doch einfach unmöglich.<br />

Dieser verwegene Mensch scheut doch vor nichts zurück. Vielleicht<br />

ist er hergekommen, um dich zu ermorden.«<br />

»Das würde mich nicht überraschen.«<br />

»Ich werde bei dir hier im Zimmer bleiben. Ich bestehe darauf.«<br />

»Du würdest nur schrecklich im Wege sein.«<br />

»Wem? Ihm?«<br />

»Nein, lieber Junge, mir.«<br />

»Ich kann dich aber unmöglich allein lassen.«<br />

»Doch, Watson, das kannst du <strong>und</strong> das wirst du auch, denn<br />

du warst niemals ein Spielverderber, <strong>und</strong> ich bin überzeugt,<br />

daß du das auch heute nicht sein wirst. Dieser Mensch ist um<br />

seiner eigenen Absichten willen gekommen, aber sein Besuch<br />

soll meinen Zwecken dienen.«<br />

<strong>Holmes</strong> zog sein Notizbuch aus der Tasche <strong>und</strong> kritzelte einige<br />

Worte auf ein Blatt. »Nimm dir, bitte, einen Wagen, fahre<br />

nach Scotland Yard <strong>und</strong> gib diese Zeilen Mr. Youghal von der<br />

23


Kriminal-Nachforschungs-Abteilung. Komm dann mit dem Beamten<br />

zurück. Die Verhaftung des Burschen wird folgen.«<br />

»Das tue ich mit Vergnügen.«<br />

»Inzwischen werde ich wohl gerade genügend Zeit haben,<br />

ausfindig zu machen, wo der Stein ist.« Er läutete. »Laß uns<br />

durch das Schlafzimmer gehen. Dieser zweite Ausgang ist außerordentlich<br />

nützlich. Ich möchte gern meinen Haifisch sehen,<br />

ohne daß er mich sieht, <strong>und</strong> ich habe, wie du dich vielleicht erinnerst,<br />

mein eigenes Verfahren dafür.«<br />

Graf Sylvius wurde, weil <strong>Holmes</strong> <strong>und</strong> Watson inzwischen<br />

hinausgegangen waren, von Billy eine Minute später in ein leeres<br />

Zimmer geführt. <strong>Der</strong> berühmte Jäger, Sportsmann <strong>und</strong> Lebemann<br />

war ein kräftiger, brünetter Mann mit einem mächtigen<br />

dunklen Schnurrbart, der einen grausamen M<strong>und</strong> mit zusammengekniffenen,<br />

schmalen Lippen beschattete. Diesen überragte<br />

eine lange, gebogene Nase, die an den Schnabel eines Adlers<br />

erinnerte. Er war sehr gut gekleidet, aber seine farbenprächtige<br />

Krawatte, seine funkelnde Busennadel <strong>und</strong> seine glitzernden<br />

Ringe wirkten etwas aufdringlich. Als die Tür sich hinter ihm<br />

geschlossen hatte, sah er sich mit wilden, erschreckten Blicken<br />

im Zimmer um, wie jemand, der auf jedem Schritt eine Falle<br />

wittert. Plötzlich zuckte er heftig zusammen. Seine Augen<br />

blieben an dem Sessel im Erker hängen, über dessen Lehne ein<br />

Kopf <strong>und</strong> der Kragen eines Schlafrockes hervorragte. Zuerst<br />

flog nur ein Ausdruck höchster Verw<strong>und</strong>erung über seine<br />

Züge, dann aber glimmte es in seinen Augen mordgierig auf.<br />

Er warf noch einmal einen scheuen Blick um sich, wie um sich<br />

24


zu vergewissern, daß auch niemand in der Nähe sei, <strong>und</strong> nun<br />

schlich er sich auf den Zehenspitzen, seinen dicken Stock halb<br />

erhoben, an die Gestalt im Erker heran. Fertig zum letzten<br />

Sprung holte er zum tödlichen Hiebe aus; da erklang eine<br />

gelassene Stimme:<br />

»Warum wollen Sie mir denn die schöne Puppe kaputt<br />

schlagen, Herr Graf?«<br />

In der geöffneten Schlafzimmertür stand <strong>Holmes</strong>.<br />

Graf Sylvius taumelte zurück, Bestürzung auf seinen verzerrten<br />

Zügen. Noch einmal erhob er den Totschläger, als wollte<br />

er sich jetzt auf das Original stürzen, aber in dessen ruhigen<br />

grauen Augen <strong>und</strong> mokantem Lächeln lag etwas, das seinen<br />

Arm sinken ließ.<br />

»Eine gut gelungene Arbeit, nicht wahr?« sagte <strong>Holmes</strong>,<br />

sich seinem Ebenbilde nähernd. »Tavernier, der bekannte französische<br />

Modellierer, hat die Puppe gemacht. In Wachsarbeit<br />

ist er genau so ein Meister, wie Ihr Fre<strong>und</strong> Straubenzee in Luftgewehren.«<br />

»Luftgewehre? Was meinen Sie damit?«<br />

»Legen Sie doch Ihren Hut <strong>und</strong> Stock dort auf den Tisch.<br />

Danke sehr! Bitte nehmen Sie Platz. Möchten Sie nicht auch<br />

Ihren Revolver ablegen? Aber, Sie sitzen wohl lieber drauf.<br />

Übrigens kommt mir Ihr Besuch sehr gelegen, denn ich hegte<br />

schon lange den Wunsch, einige Minuten mit Ihnen zu plaudern.«<br />

25


<strong>Der</strong> Graf runzelte die Stirne <strong>und</strong> sah <strong>Holmes</strong> finster an.<br />

»Dasselbe trifft bei mir zu, <strong>und</strong> deshalb bin ich gekommen. Ich<br />

will gar nicht leugnen, daß ich Sie eben überfallen wollte.«<br />

<strong>Holmes</strong> setzte sich halb auf die Tischkante <strong>und</strong> pendelte mit<br />

dem Unterschenkel. »Es schien mir, als hegten Sie solche Absichten«,<br />

antwortete er. »Aber warum diese Aufmerksamkeiten?«<br />

»Weil Sie sich so viel Umstände gemacht haben, um mich<br />

zu belästigen, <strong>und</strong> weil Sie Ihre Helfershelfer auf meine Spur<br />

gesetzt haben.«<br />

»Meine Helfershelfer? Ich versichere Sie, daß Sie sich irren.«<br />

»Unsinn, ich habe sie doch ›beschatten‹ lassen. Aber da<br />

habe ich auch wohl noch ein Wörtchen mitzureden, <strong>Holmes</strong>.«<br />

»Es ist zwar nur eine Nebensächlichkeit, Graf Sylvius, aber<br />

vielleicht haben Sie doch die Güte, mich mit ›Mister‹ anzureden.<br />

Sie werden wohl verstehen, daß ich sonst mit der halben<br />

Gaunerwelt auf vertrautem Fuße stehen würde, <strong>und</strong> mir beistimmen,<br />

daß es nicht möglich ist, Ausnahmen zu machen.«<br />

»Also gut, Mister <strong>Holmes</strong>.«<br />

»Ausgezeichnet! Aber ich versichere Ihnen noch einmal,<br />

daß Ihre Behauptung bezüglich meiner Agenten falsch ist.«<br />

26


Graf Sylvius lachte verächtlich. »Andere Leute haben vielleicht<br />

eine ebenso gute Beobachtungsgabe wie Sie, Mr. <strong>Holmes</strong>.<br />

Gestern spürte mir ein alter Sportsmann nach <strong>und</strong> heute<br />

eine ältere Frau. Sie waren den ganzen Tag hinter mir her.«<br />

»Wirklich, mein Herr, Sie schmeicheln mir. <strong>Der</strong> alte Baron<br />

Dowson sagte am Abend, bevor man ihn hängte:<br />

›Was der Staat <strong>und</strong> die Polizei an <strong>Holmes</strong> gewonnen haben,<br />

hat die Bühne an ihm verloren.‹ Und jetzt loben auch Sie liebenswürdigerweise<br />

meine bescheidenen Verkleidungskünste.«<br />

»Was? Sie waren es selbst?«<br />

<strong>Holmes</strong> zuckte mit den Schultern. »Dort in der Ecke steht<br />

der Sonnenschirm, den Sie mir so höflich aufhoben, ehe Sie<br />

Verdacht geschöpft hatten.«<br />

»Hätte ich das gewußt, so hätten Sie niemals <strong>–</strong>«<br />

»… dieses bescheidene Heim wiedergesehen«, vollendete<br />

<strong>Holmes</strong>. »Ich war mir dessen bewußt. Aber trösten Sie sich. Jeder<br />

Mensch hat verpaßte Gelegenheiten zu beklagen. Damals<br />

wußten Sie es eben noch nicht, <strong>und</strong> deshalb sitzen wir jetzt hier<br />

beisammen.«<br />

Unter des Grafen buschigen Augenbrauen schossen drohende<br />

Blitze hervor. »Ihre Worte machen die Sache nur noch<br />

schlimmer. Es waren also nicht Ihre Agenten, sondern Sie<br />

selbst waren in Verkleidungen so zudringlich. Sie geben also<br />

zu, daß Sie mir gefolgt sind. Warum?«<br />

27


»Hören Sie mich an, Graf. Sie pflegten doch in Afrika Löwen<br />

zu schießen?«<br />

»Ja, <strong>und</strong>…«<br />

»Warum?«<br />

»Warum? <strong>–</strong> <strong>Der</strong> Sport <strong>–</strong> die Erregung <strong>–</strong> die Gefahr!«<br />

»Und zweifellos auch, um das Land von einer Plage zu befreien?«<br />

»Gewiß!«<br />

»Also das sind mit wenigen Worten auch meine Gründe für<br />

die Jagd auf Sie.«<br />

<strong>Der</strong> Graf sprang auf, <strong>und</strong> seine Hand fuhr nach seiner hinteren<br />

Hosentasche.<br />

»Setzen Sie sich, mein Herr, setzen Sie sich! Ich habe noch<br />

einen anderen, einen praktischeren Gr<strong>und</strong> für mein Verhalten.<br />

Ich will den gelben Diamanten haben!«<br />

Graf Sylvius lehnte sich boshaft lächelnd in seinem Stuhl<br />

zurück. »Wirklich?« höhnte er.<br />

»Sie wissen ja genau, daß ich deshalb hinter Ihnen her bin.<br />

Sie sind heute abend ja nur hier, um ausfindig zu machen, wieviel<br />

ich von der Sache weiß, <strong>und</strong> ob es absolut notwendig ist,<br />

mich aus dem Wege zu räumen. Nun, ich kann Ihnen versichern,<br />

daß es von Ihrem Standpunkte aus wirklich notwendig<br />

28


ist, denn ich weiß alles bis auf einen Umstand, den Sie mir jedoch<br />

gleich verraten werden.«<br />

»So, meinen Sie? Und der wäre?«<br />

»Das augenblickliche Versteck des Krondiamanten.«<br />

<strong>Der</strong> Graf sah sein Gegenüber durchdringend an. »Also das<br />

wollen Sie wissen, aber warum, zum Teufel, soll gerade ich es<br />

Ihnen sagen können?«<br />

»Sie können es, <strong>und</strong> Sie werden es!«<br />

»Was Sie nicht sagen!«<br />

»Sie können mich nicht bluffen, Graf Sylvius.« <strong>Holmes</strong><br />

stahlgraue Augen nahmen einen harten Ausdruck an, <strong>und</strong> seine<br />

Blicke bohrten sich in die seines Gastes. »Sie sind für mich aus<br />

Glas. Ich sehe bis auf den Gr<strong>und</strong> Ihrer Seele.«<br />

»Na, dann werden Sie ja auch sehen, wo der Diamant ist!«<br />

<strong>Holmes</strong> klatschte vergnügt in die Hände <strong>und</strong> sagte, mit dem<br />

Zeigefinger spöttisch auf den Grafen deutend. »Also Sie wissen<br />

es doch, denn Sie haben es eben zugegeben.«<br />

»Ich habe gar nichts zugegeben.«<br />

»Hören Sie, Graf, wenn Sie vernünftig sein wollen, können<br />

wir ein Geschäft zusammen machen. Wenn nicht, so werden<br />

Sie den kürzeren ziehen.«<br />

29


Graf Sylvius warf einen Blick zur Decke empor. »Und Sie<br />

reden von Bluffen!«<br />

<strong>Holmes</strong> sah ihn in Gedanken versunken an, wie ein Meisterschachspieler,<br />

der seinen letzten Zug überlegt. Dann zog er<br />

die Lade des Tisches auf <strong>und</strong> entnahm ihr ein dickes<br />

Notizbuch. »Wissen Sie, was in diesem Buche steht?«<br />

»Wie kann ich das wissen?«<br />

»Sie!«<br />

»Ich? Wieso?«<br />

»Jawohl, mein Herr, Sie! Sie <strong>–</strong> <strong>und</strong> jede Tat Ihres nichtswürdigen,<br />

gefährlichen Lebens.«<br />

»Zum Teufel, <strong>Holmes</strong>«, schrie der Graf mit flackernden<br />

Blicken. »Meine Geduld hat Grenzen!«<br />

»Ihr ganzes Leben ist hier aufgezeichnet, Graf. Zunächst<br />

die Tatsachen über den Tod der alten Mrs. Harold, die Ihnen<br />

den Blymer Besitz hinterließ, den Sie so schnell verspielten.«<br />

»Sie scheinen zu träumen!«<br />

»Und die ausführliche Lebensgeschichte von Miss Minnie<br />

Warrender.«<br />

»Damit werden Sie nichts ausrichten!«<br />

30


»Oh, ich habe mit noch viel mehr aufzuwarten, Graf. Da ist<br />

z.B. die Beraubung des Riviera-Express am 13. Februar <strong>–</strong> das<br />

Jahr brauche ich Ihnen wohl nicht zu nennen <strong>–</strong> <strong>und</strong> im selben<br />

Jahre die Geschichte mit dem gefälschten Scheck, der auf den<br />

Crédit Lyonnais, Paris, gezogen wurde.«<br />

»Nein, da irren Sie sich!«<br />

»Dann irre ich mich aber in all den anderen Fällen nicht!<br />

Graf, Sie sind doch ein Kartenspieler. Wenn der Gegner alle<br />

Trümpfe in der Hand hat, so ist es bekanntlich eine Zeitersparnis,<br />

seine Karten aufzudecken.«<br />

»Was hat dieses ganze Gerede mit dem Juwel zu tun, von<br />

dem Sie sprachen?«<br />

»Immer langsam, Graf. Zügeln Sie Ihre Neugierde! Lassen<br />

Sie mich nur auf meine mir eigene langweilige Art zur Hauptsache<br />

kommen. Alle diese Dinge kann ich gegen Sie vorbringen;<br />

überdies aber habe ich alle Beweise in der Krondiamantenangelegenheit<br />

gegen Sie <strong>und</strong> Ihren Boxfre<strong>und</strong> in der Hand.«<br />

»Tatsächlich?«<br />

»Ich habe den Kutscher, der Sie nach Whitehall fuhr, <strong>und</strong><br />

auch den, der Sie zurückbrachte. Ich habe den Kommissionär,<br />

der Sie in der Nähe des Kastens herumlungern sah. Ich habe<br />

Ikey Sanders, der sich weigerte, die Sache für Sie zu machen.<br />

Ikey hat geplaudert, <strong>und</strong> das Spiel ist verloren.«<br />

31


Dem Grafen schwollen die Adern auf der Stirne. Seine<br />

dunklen, behaarten Hände ballten sich vor innerer Erregung. Er<br />

versuchte zu sprechen, konnte aber kein Wort hervorbringen.<br />

»Alle diese Trümpfe habe ich in der Hand«, fuhr <strong>Holmes</strong><br />

fort. »Ich lege sie auf den Tisch. Nur eine Karte fehlt mir, <strong>und</strong><br />

zwar der ›King of Diamonds‹ 1 .«<br />

»Ich weiß nicht, wo der Stein ist. Das werden auch Sie niemals<br />

erfahren.«<br />

»Nein? Nun, seien Sie mal vernünftig, Graf. Überlegen Sie<br />

sich die Lage. Sie werden zwanzig Jahre lang eingesperrt werden,<br />

<strong>und</strong> Sam Morton kommt auch hinter schwedische Gardinen<br />

zu sitzen. Was können Sie da von Ihrem Diamanten Gutes<br />

haben? Gar nichts! Wenn Sie ihn aber herausrücken, so will ich<br />

Sie laufen lassen. Wir wollen weder Sie noch Sam. Wir wollen<br />

den Stein. Geben Sie ihn also her, <strong>und</strong> ich lasse Ihnen Ihre<br />

Freiheit, solange Sie sich gut führen. Wenn Sie jedoch wieder<br />

gegen das Strafgesetzbuch verstoßen sollten, so wird das das<br />

letzte Mal sein. Jetzt habe ich nur den Auftrag, den Stein wieder<br />

herbeizuschaffen, aber nicht, Sie arretieren zu lassen.«<br />

»Wenn ich mich aber weigere?«<br />

»Nun, dann wird es eben Ihre Person sein <strong>und</strong> nicht der<br />

Stein.«<br />

1 Ein unübersetzbares Wortspiel. »King of Diamonds« heißt sowohl König<br />

der Diamanten, als auch (im Kartenspiel) Karokönig.<br />

32


Billy war auf ein Glockenzeichen eingetreten.<br />

»Ich denke, Graf, es ist nur recht <strong>und</strong> billig, daß Ihr Fre<strong>und</strong><br />

Sam auch an dieser Beratung teilnähme, denn seine Interessen<br />

sollten doch auch vertreten sein. Billy, vor der Haustür steht<br />

ein großer, häßlicher Herr. Bitten Sie ihn heraufzukommen.«<br />

»Und wenn er nicht kommen will, Mr. <strong>Holmes</strong>?«<br />

»Wenden Sie keine Gewalt an, Billy, seien Sie nicht grob<br />

mit ihm. Wenn Sie ihm sagen, daß Graf Sylvius ihn zu sprechen<br />

wünscht, wird er sicherlich kommen.«<br />

»Was gedenken Sie jetzt zu tun?« fragte der Graf, als Billy<br />

verschw<strong>und</strong>en war.<br />

»Mein Fre<strong>und</strong> Watson war eben bei mir. Ich erzählte ihm,<br />

daß ich einen Haifisch <strong>und</strong> einen Gründling in meinem Netze<br />

habe. Jetzt ziehe ich das Netz zu <strong>und</strong> hole mir beide heraus.«<br />

<strong>Der</strong> Graf war aufgesprungen, seine Hand suchte etwas hinter<br />

dem Rücken. <strong>Holmes</strong> ließ aus der Tasche seines<br />

Schlafrockes einen Gegenstand halb hervortreten.<br />

»Sie werden nicht in Ihrem Bette sterben, <strong>Holmes</strong>.«<br />

»Das habe ich mir auch oft gedacht. Aber hat das viel zu sagen?<br />

Allen Anzeichen nach werden Sie wahrscheinlich auch<br />

eher in der vertikalen als in der horizontalen Lage enden. Aber<br />

diese Zukunftsahnungen schaden der Ges<strong>und</strong>heit. Warum wol-<br />

33


len wir uns nicht dem uneingeschränkten Genuß der Gegenwart<br />

hingeben?«<br />

Plötzlich kam ein wildes Funkeln in die dunklen Augen des<br />

Schwerverbrechers. <strong>Holmes</strong> war auf seiner Hut. Seine Gestalt<br />

straffte sich <strong>und</strong> schien zu wachsen.<br />

34


»Es hat gar keinen Sinn, daß Sie an Ihrem Revolver herumfingern,<br />

mein Fre<strong>und</strong>«, sagte er gelassen. »Sie wissen ja sehr<br />

genau, daß Sie doch nicht wagen würden, ihn zu gebrauchen,<br />

selbst, wenn ich Ihnen Zeit lassen würde, ihn zu ziehen. Revolver<br />

sind doch unpraktische Waffen, die Lärm machen. Es ist<br />

besser, Sie bleiben bei der Windbüchse. Ah, ich glaube, ich<br />

höre die Feenschritte Ihres schätzenswerten Partners.<br />

Guten Tag, Mr. Merton. Es ist recht langweilig auf der Straße,<br />

nicht wahr?«<br />

<strong>Der</strong> Preisboxer, ein starkknochiger junger Mensch mit einem<br />

unintelligenten, eigensinnigen, langen, magern Gesicht<br />

stand tölpelhaft in der Tür <strong>und</strong> schaute verwirrt um sich. <strong>Holmes</strong><br />

höfliche Art war eine Überraschung für ihn, der er nicht zu<br />

begegnen wußte. Aber er fühlte, daß er es mit einem Feinde zu<br />

tun hatte. Er wandte sich daher hilfesuchend an seinen schlaueren<br />

Spießgesellen.<br />

»Was soll dieser Scherz, Herr Graf? Was will dieser<br />

Mensch? Was ist los?« Seine Stimme hatte einen tiefen, rauhen<br />

Klang.<br />

<strong>Der</strong> Graf zuckte mit den Schultern, <strong>und</strong> <strong>Holmes</strong> übernahm<br />

es, zu antworten. »Um keine Worte zu verlieren, Mr. Merton.<br />

Ich kann Ihnen sagen, es ist alles aus.«<br />

<strong>Der</strong> Boxer richtete seine Fragen immer noch an seinen Gefährten.<br />

»Will dieser Kerl Witze machen, oder was will er<br />

sonst? Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt.«<br />

35


»Das habe ich auch nicht erwartet«, bemerkte <strong>Holmes</strong>. »Ich<br />

glaube übrigens voraussagen zu können, daß Ihnen die gute<br />

Laune immer mehr schwinden wird. Hören Sie mich jetzt an,<br />

Graf Sylvius. Ich bin ein sehr beschäftigter Mensch <strong>und</strong> kann<br />

meine Zeit nicht vertrödeln. Ich gehe jetzt in mein Schlafzimmer.<br />

Bitte, machen Sie es sich während meiner Abwesenheit<br />

bequem. Sie können Ihrem Fre<strong>und</strong>e erklären, wie die Dinge<br />

liegen, ohne durch meine Gegenwart geniert zu sein. Ich werde<br />

einstweilen Hofmanns ›Barkarole‹ 2 auf meiner Violine spielen.<br />

In fünf Minuten bin ich wieder hier, um mir Ihre endgültige<br />

Antwort zu holen. Sie wissen ja, welche Wahl Sie haben, nicht<br />

wahr? Sollen wir Sie einlochen oder wollen Sie den Stein<br />

herausrücken?«<br />

<strong>Holmes</strong> zog sich zurück <strong>und</strong> nahm im Vorübergehen aus<br />

der Ecke seine Geige mit sich. Kurz darauf erklangen, gedämpft<br />

durch die geschlossene Schlafzimmertür, die getragenen,<br />

klagenden Töne dieser bezauberndsten aller Melodien herüber.<br />

»Um was handelt es sich denn?« fragte Merton unruhig, als<br />

sein Gefährte sich ihm zuwandte. »Weiß er was von dem<br />

Stein?«<br />

»Er weiß verflucht viel davon, <strong>und</strong> ich bin nicht einmal sicher,<br />

ob er nicht alles weiß.«<br />

2 Eine Barcarole (von italienisch barca »Barke, Boot«) war ursprünglich<br />

ein venezianisches Gondel- bzw. Schifferlied mit ruhigen Melodien.<br />

36


»Großer Gott!« Des Boxers bleiches Gesicht wurde noch<br />

um einen Schein blasser.<br />

»Ikey Sanders hat uns verraten.«<br />

»Was? Wirklich? Das will ich ihm gehörig eintränken, auch<br />

wenn ich dafür baumeln müßte.«<br />

»Das würde uns nicht viel helfen. Wir müssen jetzt überlegen,<br />

was wir machen wollen.«<br />

»Warten Sie einen Augenblick«, sagte der Boxer <strong>und</strong><br />

schielte argwöhnisch nach der Tür des Schlafzimmers. »Er ist<br />

ein schlauer H<strong>und</strong>, da muß man aufpassen. Hoffentlich horcht<br />

er nicht.«<br />

»Wie kann er bei dieser Musik etwas hören.«<br />

»Das ist wahr. Vielleicht steckt aber jemand hinter einem<br />

Vorhang. Es sind mir zu viele Vorhänge in diesem Zimmer.«<br />

Er schaute sich im Zimmer um <strong>und</strong> bemerkte plötzlich die Gestalt<br />

im Erker. Starr wies er darauf hin, ohne vor Bestürzung<br />

ein Wort hervorbringen zu können.<br />

»Das ist ja nur eine Puppe«, beruhigte ihn der Graf. »Was,<br />

das ist eine Puppe? Potztausend! Die fehlt gerade noch der Madame<br />

Tussaud 3 . Das ist ja sein leibhaftiges Ebenbild, auch in<br />

der Kleidung. Aber alle diese Vorhänge, Graf!«<br />

3 Besitzerin des weltbekannten Wachsfigurenkabinetts in London.<br />

37


»Hol der Teufel die Vorhänge! Wir vergeuden unsere kostbare<br />

Zeit, <strong>und</strong> die ist so knapp. Er kann uns wegen dieses<br />

Steins ins Zuchthaus bringen.«<br />

»Den Teufel kann er!«<br />

»Aber er läßt uns laufen, wenn wir ihm sagen, wo wir den<br />

Diamanten verborgen haben.«<br />

»Was? Den Stein herausrücken? H<strong>und</strong>erttausend Pf<strong>und</strong> aufgeben?«<br />

»Entweder das eine oder das andere.«<br />

Merton kratzte seinen kurzgeschorenen Schädel. »Er ist allein<br />

da drin. Machen wir ihn kalt. Wenn er hin ist, haben wir<br />

nichts mehr zu befürchten.«<br />

<strong>Der</strong> Graf schüttelte den Kopf. »Er ist bewaffnet <strong>und</strong> auf seiner<br />

Hut. Wenn wir ihn erschießen würden, so können wir uns<br />

doch kaum aus der Wohnung davon machen. Außerdem ist es<br />

wahrscheinlich, daß die Polizei das Beweismaterial kennt, das<br />

er gegen uns gesammelt hat. Halloh, was war das?«<br />

Vom Fenster her kam ein eigentümlicher Laut. Beide Männer<br />

sprangen auf <strong>und</strong> horchten, aber nichts ließ sich mehr vernehmen.<br />

Außer ihnen <strong>und</strong> der seltsamen Gestalt im Erker war<br />

sicherlich niemand sonst im Zimmer.<br />

»Das Geräusch kam von der Straße«, meinte Merton. »Hören<br />

Sie, Meister, Sie haben doch einen guten Kopf <strong>und</strong> werden<br />

38


sicherlich einen Ausweg finden können. Wenn eine Kugel keinen<br />

Zweck hat, so müssen Sie etwas anderes erfinden, um uns<br />

aus der Klemme zu helfen.«<br />

»Ich habe schon gescheitere Männer als ihn zum Narren gehalten«,<br />

antwortete der Graf. »<strong>Der</strong> Stein ist hier in meiner Geheimtasche.<br />

Nirgendswo ist er sicherer aufbewahrt. Er kann<br />

noch heute abend aus England raus <strong>und</strong> vor Sonntag in Amsterdam<br />

in vier Stücke geschnitten sein. Von Van Seddar weiß er<br />

nichts.«<br />

»Ich dachte, Van Seddar wollte erst nächste Woche<br />

fahren?«<br />

»Ja, das wollte er, aber jetzt muß er den nächsten Dampfer<br />

benutzen. Einer von uns beiden muß mit dem Stein nach der<br />

Lime Street schleichen <strong>und</strong> es ihm sagen.«<br />

»Aber der doppelte Boden in seinem Koffer ist noch nicht<br />

fertig.«<br />

»So muß er ihn eben so mitnehmen <strong>und</strong> es darauf ankommen<br />

lassen. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.« Er hielt inne<br />

<strong>und</strong> sah scharf zum Fenster hin. Wie alle Sportsleute hatte er<br />

einen sehr gut entwickelten Instinkt für Gefahren. Nein, der<br />

schwache Laut war sicherlich von der Straße gekommen, beruhigte<br />

er sich selbst. »<strong>Holmes</strong> können wir leicht an der Nase<br />

führen«, fuhr er fort. »Sie sehen ja, der dumme Narr will uns<br />

nicht verhaften lassen, wenn er den Stein bekommt. Also, wir<br />

werden ihm den Stein versprechen. Dann locken wir ihn auf<br />

39


eine falsche Fährte, <strong>und</strong> ehe er entdeckt, daß er genarrt wurde,<br />

ist das Juwel in Holland, <strong>und</strong> wir sind außer Landes.«<br />

»Das scheint mir eine sehr gute Idee zu sein«, rief Sam<br />

Merton grinsend.<br />

»Sie gehen zu dem Holländer <strong>und</strong> sagen ihm, daß er sich<br />

schnellstens aus dem Staube machen soll. Ich werde mittlerweile<br />

diesen Säugling hier mit einer falschen Beichte einlullen,<br />

werde ihm sagen, daß der Stein in Liverpool ist. Hol der<br />

Kuckuck diese Katzenmusik. Sie fällt mir auf die Nerven!<br />

Wenn er schließlich entdeckt, daß der Diamant nicht in Liverpool<br />

ist, wird der Stein schon in vier Teile gespalten sein, <strong>und</strong><br />

wir werden auf dem schönen blauen Meere schwimmen. Kommen<br />

Sie hier aber fort aus dem Gesichtsfelde dieses Schlüsselloches,<br />

damit ich Ihnen den Stein geben kann. Hier ist er.«<br />

»Daß Sie gewagt haben, ihn bei sich zu tragen, verstehe ich<br />

nicht.«<br />

»Wo hätte ich ihn denn besser aufbewahren können. Wenn<br />

wir ihn von Whitehall holen konnten, so hätte ihn sicherlich<br />

auch jemand anders aus meiner Wohnung stehlen können.«<br />

»Lassen Sie mich ihn noch einmal sehen.«<br />

Graf Sylvius warf seinem Spießgesellen einen nicht sehr<br />

schmeichelhaften Blick zu <strong>und</strong> nahm keine Notiz von der ungewaschenen<br />

Hand, die sich ihm entgegenstreckte.<br />

40


»Was <strong>–</strong> denken Sie vielleicht, ich will ihn Ihnen wegschnappen?<br />

Wissen Sie, Meister, ich habe Ihr Benehmen schon<br />

recht satt.«<br />

»Na, na, nur nicht gleich beleidigt sein, Sam. Wir beide<br />

dürfen uns nicht zanken. Kommen Sie zum Fenster, wenn Sie<br />

die Schönheit des Steines gut sehen wollen. So, <strong>und</strong> jetzt halten<br />

Sie ihn gegen das Licht!«<br />

»Ich danke Ihnen.« Mit einem Satz war <strong>Holmes</strong> von dem<br />

Stuhl, auf dem die Puppe gesessen hatte, aufgesprungen <strong>und</strong><br />

hatte das kostbare Juwel an sich gerissen. Jetzt hielt er es in der<br />

linken Hand, während er mit der rechten einen Revolver auf<br />

den Kopf des Grafen richtete. Die beiden Gauner wichen zurück.<br />

Äußerste Bestürzung malte sich auf ihren Zügen. Doch<br />

ehe sie sich von ihrem Schrecken erholt hatten, hatte <strong>Holmes</strong><br />

schon auf den Knopf der elektrischen Glocke gedrückt.<br />

41


»Keine Gewalttätigkeiten, meine Herren! Ich bitte Sie darum.<br />

Nehmen Sie auf die Möbel Rücksicht! Es wird Ihnen ja<br />

klar sein, daß Ihre Lage aussichtslos ist. Die Polizeibeamten<br />

warten schon unten.«<br />

Beim Grafen übertraf die Bestürzung seine Wut <strong>und</strong> Furcht.<br />

42


»Aber, wie zum Teufel <strong>–</strong>?« keuchte er.<br />

»Ihre Überraschung ist sehr verständlich, denn es ist Ihnen<br />

ja nicht bekannt, daß eine Tapetentür von meinem Schlafzimmer<br />

aus hier hinter diesen Vorhang führt. Ich dachte schon, Sie<br />

hätten mich gehört, als ich den Platz der Puppe einnahm. Aber<br />

das Glück war auf meiner Seite. Es gab mir Gelegenheit, Ihre<br />

interessante Unterredung mit anzuhören, die wohl viel weniger<br />

ausführlich gewesen wäre, wenn Sie meine Gegenwart geahnt<br />

hätten.«<br />

<strong>Der</strong> Graf machte eine resignierte Handbewegung. »Wir geben<br />

uns geschlagen, Mr. <strong>Holmes</strong>. Ich glaube, Sie sind der Teufel<br />

selbst.«<br />

»Jedenfalls so etwas Ähnliches«, antwortete unser Fre<strong>und</strong><br />

mit einem höflichen Lächeln.<br />

Sam Mertons langsames Begriffsvermögen hatte erst nach<br />

<strong>und</strong> nach die Lage erfaßt. Als sich jetzt schwere Schritte auf<br />

der Treppe vernehmen ließen, brach er endlich sein Schweigen.<br />

»Ein smarter Kerl«, meinte er anerkennend. »Aber, sagen Sie<br />

bloß, was ist das für eine Hexerei mit dieser verdammten Fidelei?<br />

Ich höre sie noch immer!«<br />

»Sie haben vollkommen recht. Aber lassen Sie meine ›Geige‹<br />

nur weiterspielen! Die neuesten Grammophone sind doch<br />

eine w<strong>und</strong>erbare Erfindung.«<br />

Die Tür wurde aufgerissen, Schutzleute drangen in das<br />

Zimmer, Handfesseln klirrten, <strong>und</strong> die Verbrecher wurden zu<br />

43


dem unten wartenden Wagen geführt. Watson blieb bei <strong>Holmes</strong><br />

<strong>und</strong> gratulierte ihm zu dem neuen Blatte, das er dem Lorbeerkranze<br />

seines Ruhmes eingefügt hatte. Das Geplauder der<br />

Fre<strong>und</strong>e wurde durch das Eintreten des unerschütterlich ruhigen<br />

Billy unterbrochen, der wieder mit einer Visitkarte auf dem<br />

Tablett erschien.<br />

»Lord Cantlemere, Mr. <strong>Holmes</strong>.«<br />

»Führen Sie ihn herein, Billy. Das ist der mächtige Peer,<br />

der die allerhöchsten Interessen vertritt«, erklärte <strong>Holmes</strong>. »Er<br />

ist ein ausgezeichneter <strong>und</strong> loyaler Mensch, aber etwas altes<br />

Regime. Wollen wir ihn ein wenig aus der Fassung bringen?<br />

Dürfen wir uns ihm gegenüber eine kleine Freiheit herausnehmen?<br />

Natürlich weiß er noch nicht, was sich ereignet hat.«<br />

Die Tür öffnete sich, um einer hageren Erscheinung mit<br />

ernstem, scharfgeschnittenem Gesicht Einlaß zu gewähren. <strong>Der</strong><br />

herabhängende glänzend schwarze Backenbart, wie man ihn<br />

um die Mitte des Viktorianischen Zeitalters trug, paßte nicht<br />

recht zu dem r<strong>und</strong>en Rücken <strong>und</strong> der zusammengesunkenen<br />

Haltung des Mannes. <strong>Holmes</strong> ging dem Besucher liebenswürdig<br />

entgegen <strong>und</strong> schüttelte dessen Hand, die den Druck aber<br />

nicht erwiderte.<br />

»Wie geht es Ihnen, Lord Cantlemere? Es ist kühl draußen<br />

für diese Jahreszeit, aber im Zimmer ist es doch ziemlich<br />

warm. Darf ich Ihnen aus Ihrem Pelz helfen?«<br />

»Nein, danke, ich möchte nicht ablegen.«<br />

44


<strong>Holmes</strong> legte seine Hand nachdrücklich auf den Arm des<br />

Lords. »Bitte, lassen Sie mich Ihnen doch behilflich sein. Mein<br />

Fre<strong>und</strong>, Dr. Watson, wird Ihnen bestätigen, daß diese Temperaturunterschiede<br />

äußerst heimtückisch sind.«<br />

Seine Lordschaft schüttelte etwas ungeduldig <strong>Holmes</strong> Hand<br />

ab. »Es ist mir so angenehmer, mein Herr. Ich will mich ja<br />

nicht lange bei Ihnen aufhalten, sondern nur fragen, ob Sie in<br />

Ihrer selbstübernommenen Aufgabe Fortschritte gemacht haben.«<br />

»Es ist eine schwierige, sogar äußerst schwierige Sache.«<br />

»Ich fürchtete, daß sie Ihnen nicht leicht werden würde.«<br />

Aus des alten Höflings Worten <strong>und</strong> Benehmen klang deutlich<br />

der Spott. »Ja, jedem Menschen sind seine Grenzen gesteckt,<br />

Mr. <strong>Holmes</strong>, aber das ist uns heilsam <strong>und</strong> kuriert uns von der<br />

Schwäche der Selbstüberschätzung.«<br />

»Ja, mein Herr, ich war über die Schwierigkeiten ganz verblüfft.«<br />

»Daran zweifle ich nicht.«<br />

»Besonders über einen Punkt; vielleicht könnten Sie mir bei<br />

der Lösung dieser Frage behilflich sein?«<br />

»Sie bitten etwas spät um meinen Rat. Ich dachte, Sie hätten<br />

Ihre eigenen, erfolgreicheren Methoden, doch bin ich noch<br />

immer bereit, Ihnen zu helfen.«<br />

45


»Sehen Sie, Lord Cantlemere, wir können sicherlich den<br />

Dieben den Prozeß machen.«<br />

»Ja, aber erst, wenn wir sie haben.«<br />

»Gewiß. Aber die Frage ist, wie man gegen den Hehler vorgehen<br />

soll.«<br />

»Sind diese Sorgen nicht etwas verfrüht?«<br />

»Es kann kein Fehler sein, wenn man seine Pläne fertig hat.<br />

Ich möchte Sie nun fragen, was Sie als endgültigen Beweis für<br />

die Hehlerschaft ansehen würden?«<br />

»Den tatsächlichen Besitz des Steines.«<br />

»Sie werden also die Person, bei der der Stein gef<strong>und</strong>en<br />

wird, verhaften lassen?«<br />

»Das ist doch selbstverständlich.«<br />

<strong>Holmes</strong> lachte selten, aber jetzt konnte er ein Lachen nicht<br />

mehr unterdrücken. »Dann sehe ich mich in die peinliche Notwendigkeit<br />

versetzt, den Behörden Ihre Verhaftung zu empfehlen.«<br />

Diese Bemerkung ging Lord Cantlemere zu weit. Seine<br />

blassen Wangen röteten sich, <strong>und</strong> er war offensichtlich in<br />

großer Erregung.<br />

»Sie nehmen sich sehr viel heraus, Mr. <strong>Holmes</strong>. Ich kann<br />

mich nicht erinnern, daß mir während der fünfzig Jahre meiner<br />

46


Amtstätigkeit etwas Ähnliches vorgekommen ist. Ich bin ein<br />

sehr beschäftigter Mann, befasse mich mit wichtigen Angelegenheiten<br />

<strong>und</strong> habe daher weder Zeit noch Sinn für Scherze.<br />

Auch muß ich Ihnen offen sagen, daß ich von Ihren Fähigkeiten<br />

niemals viel gehalten habe <strong>und</strong> immer der Meinung war,<br />

daß die Angelegenheit in den Händen der Polizei besser aufgehoben<br />

wäre. Ihr Benehmen rechtfertigt meine Ansicht. Ich habe<br />

die Ehre, Ihnen einen guten Abend zu wünschen.«<br />

<strong>Holmes</strong> war schnell zwischen den Peer <strong>und</strong> die Tür getreten.<br />

»Nur noch einen Augenblick, mein Herr«, sagte er. »Wenn<br />

Sie nämlich wirklich mit dem Mazarin-Diamanten davongingen,<br />

so wäre dies ein viel ernsteres Vergehen, als wenn Sie nur<br />

in dessen vorübergehendem Besitz betroffen würden.«<br />

»Mein Herr, das ist unerhört! Geben Sie mir den Weg frei!«<br />

»Fassen Sie bitte in die rechte Tasche Ihres Pelzes.«<br />

»Was soll das heißen, Herr?«<br />

»Bitte tun Sie, um was ich Sie ersucht habe.«<br />

Im nächsten Augenblick hielt der bestürzte Peer den großen<br />

gelben Stein in seiner zitternden Hand. »Was? <strong>–</strong> Wie ist das<br />

möglich, Mr. <strong>Holmes</strong>?« stammelte er.<br />

47


»Ärgerlich, Lord Cantlemere, nicht wahr? Zu ärgerlich!«<br />

rief <strong>Holmes</strong>. »Aber mein alter Fre<strong>und</strong> hier wird Ihnen bestätigen,<br />

daß ich nun einmal eine teuflische Vorliebe für gewisse<br />

Scherze habe. Auch kann ich niemals der Versuchung widerstehen,<br />

dramatische Situationen zu schaffen. Ich nahm mir daher<br />

die Freiheit, die <strong>–</strong> wie ich zugeben muß <strong>–</strong> sehr große Frei-<br />

48


heit, den Stein zu Beginn unserer Unterredung in Ihre Tasche<br />

zu schmuggeln.«<br />

<strong>Der</strong> alte Peer starrte abwechselnd auf den Stein <strong>und</strong> in das<br />

lächelnde Antlitz vor sich.<br />

»Ich bin ganz verwirrt. Aber <strong>–</strong> ja <strong>–</strong> das ist er ja wirklich, der<br />

Mazarin. Wir stehen tief in Ihrer Schuld, Mr. <strong>Holmes</strong>. Ihr Sinn<br />

für Humor mag, wie Sie ja selbst zugeben, etwas Befremdendes<br />

an sich haben <strong>und</strong> hat sich jedenfalls sehr unpassend geäußert,<br />

doch stehe ich nicht an, alle Bemerkungen zurückzuziehen,<br />

die ich über Ihre beruflichen Fähigkeiten gemacht habe,<br />

die wirklich ganz außerordentlich zu sein scheinen. Doch<br />

wie…?«<br />

»<strong>Der</strong> Fall ist erst zur Hälfte erledigt, die Einzelheiten haben<br />

Zeit. Ohne Zweifel wird die Freude, die Sie empfinden werden,<br />

wenn Sie den hohen Kreisen, zu denen Sie jetzt zurückkehren,<br />

das günstige Ergebnis melden können, eine kleine Genugtuung<br />

für meinen handgreiflichen Scherz bilden. Billy, geleiten Sie<br />

Seine Lordschaft hinaus <strong>und</strong> sagen Sie Mrs. Hudson, daß ich<br />

sehr dankbar wäre, wenn ein Mittagessen für zwei Personen so<br />

bald wie möglich aufgetragen würde.«<br />

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