Schiffbruch als Metapher

Schiffbruch als Metapher Schiffbruch als Metapher

fakultaet.geist.soz.uni.karlsruhe.de
von fakultaet.geist.soz.uni.karlsruhe.de Mehr von diesem Publisher
17.11.2012 Aufrufe

1. Einleitung Ist es möglich, sämtliche Bedeutungsinhalte einer Metapher, wie sie beispielsweise die der ‚Schifffahrt des Lebens’ hervor bringt, in eindeutige, sprachliche Begriffe zu fassen? Der deutsche Philosoph Hans Blumenberg (1920-1996) verneint dies und entwickelte eine Wissenschaft der Metapher, die ‚Metapherologie’. Ihr Untersuchungsgegenstand ist der Funktions- und Bedeutungswandel, dem so genannte ‚absolute’ Metaphern im Lauf der menschlichen Entwicklung unterliegen. Eine dieser absoluten Metaphern bildet der ‚Schiffbruchals Ausdruck des Scheiterns auf der ‚Schifffahrt des Lebens’. Im Folgenden soll dem historisch-semantischen Wandel dieser Metapher von den Mythen der Frühantike über ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert bis zu ihrer ideologischen Erschöpfung in der Moderne nachgegangen werden. Die Basis bildet hierbei Blumenbergs Schrift „Schiffbruch mit Zuschauer.“ 1 Daran schließt sich eine Analyse des Films „Die Innere Sicherheit“ 2 von Wolfgang Petzold an, die zeigen soll, wie Metaphern und Mythen der Nautik auch in einem filmischen Kunstwerk der Gegenwart verwendet werden. Den Abschluss dieser Arbeit bildet ein Ausblick auf eine mögliche Weiterführung dieses Ansatzes im Genre des Science-Fiction-Films. 2. Hauptteil 2.1 Das Element Wasser Leben spendend, Durst stillend, reinigend – dies sind die positiven Eigenschaften eines Elements, das dem Menschen in der Welt seit jeher begegnet. Verschlingend, zerstörerisch, fremd sind die negativen Eigenschaften. Diese zwei Extrempositionen bilden die Pole, zwischen denen das Element Wasser, von dem hier die Rede ist, die vielfältigsten Bedeutungsgehalte und Sinnzuschreibungen durch den Menschen erfuhr und erfährt. 3 Wasser ist nicht nur das einzige Element, das in der natürlichen Umgebung in allen Aggregatzuständen (als festes Eis, flüssiges Wasser und gasförmiger Dampf) vorkommt, es nimmt auch in der Vielzahl seiner 1 Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt/M. 1997. 2 „Die Innere Sicherheit“. Spielfilm, Deutschland 2000, 102 Min., Farbe. Regie: Christian Petzold. Buch: Christian Petzold, Harun Farocki. Kamera: Hans Fromm. Schnitt: Bettina Böhler. Darsteller: Julia Hummer (Jeanne), Barbara Auer (Clara), Richy Müller (Hans), Bilge Bingül (Heinrich) u. a. . 3 Für eine umfassende Symbolgeschichte des Wassers.: Selbmann, Sibylle: Mythos Wasser: Symbolik und Kulturgeschichte. Karlsruhe 1995, S.7: „Die vorliegende Untersuchung spannt einen Bogen vom Wasser als Ursprung des Lebens, vom Lebens- und Todeswasser, vom Wasser als Sinnbild der Wiedergeburt, als Mittel und Symbol der Reinigung und Heilung, als Zeichen des Kreislaufs und der Vergänglichkeit über das Wasser als Symbol des menschlichen Lebens, der Seele und der Liebe bis hin zum Wasser als Quell der Weisheit und der schöpferischen Tätigkeit.“ Sowie: Böhme, Gernot; Böhme, Hartmut: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München 1996. Mit ausführlicher Untersuchung der Wassersymbolik in den Schriften der biblischen Testamente: Woschitz, Karl Matthäus: Fons Vitae – Lebensquell. Sinn- und Symbolgeschichte des Wassers. Freiburg/Breisgau 2003.

Erscheinungsweisen (als Regen, als Quelle, als Fluss, etc. ) eine einzigartige Stellung in der Lebenswelt des Menschen ein. 2.1.1 Das große Wasser: Das Meer Die größte Ansammlung dieses Elements bilden die Meere, die die Erdoberfläche zu 70 Prozent bedecken. Das Meer spielte in der Lebenswelt der Menschen des Mittelmeerraumes, wo einer der Ursprünge der abendländischen Kultur zu verorten ist, seit jeher eine herausragende Rolle. In den Schöpfungsmythen erscheint es als bereits vorhandene ‚prima materia’ noch vor der Entstehung der Götter selbst. 4 Das Meer bildete eine natürliche Begrenzung der menschlichen Lebenswelt, die ihre Entsprechung in der griechischen Mythologie fand, wenn das Meer, der ‚okeanos’, als Sitz der Götter, bzw. Grenze zur Sphäre der Götter beschrieben wurde. Eine Zuschreibung mit der sich der antike Mensch die Unberechenbarkeit und Gefährdungen durch das Meer zu erklären versuchte. 5 2.2 Das Artefakt: Das Schiff Eine charakteristische Eigenschaft der Menschheit ist der Versuch, den als ‚Launen der Götter’ personifizierten Naturerscheinungen mit technischen Mitteln zu trotzen. Einen passiven Schutz vor unbändigen Wasserfluten bilden Dämme, doch das Artefakt, mit dem sich der Mensch aktiv auf das unheimliche Element hinaus wagen kann, ist das Schiff, und bereits die frühesten der Weltliteratur überlieferten Schriften handeln von abenteuerlichen Reisen auf dem Meer. So befindet sich der Held des um 1200 vor Christus entstandenen Gilgamesch-Epos 6 auf einer Schifffahrt, deren Ziel es ist, ewiges Leben zu finden. Hier zeigt sich eine metaphorische Verbindung Meer-Leben-Schiff, die sich von der Antike bis in die Moderne beobachten lässt. „Vielleicht entdeckte er bald schon in seinem Geschöpf, dem Schiff, auch sich selbst, ein Bild seiner eigenen Existenz: seiner dauernden Gefährdung und seines andauernden Wagemuts.“ 7 2.2.1 Das Schiff als Metapher 2.2.1.1 Das Lebensschiff 4 Vgl.: Detel, Wolfgang: Das Prinzip des Wassers bei Thales. In: Böhme, Hartmut (Hg.): Kulturgeschichte des Wassers. Frankfurt/M. 1998, S. 43f. 5 Dabei wurden nicht nur direkte Erscheinungen wie Überflutungen betrachtet. Auch „ein Naturphänomen, das – wie die Blitzschläge – die Griechen seit alters beschäftigte, waren die Erdbeben. Die mythische Erklärung hatte sich auf den ‚Erderschütterer’ Poseidon berufen. Thales versucht zum ersten Mal eine rationale Erklärung. Erdbeben entstünden durch Turbulenzen des Meeres unter der Erde.“ Ekschmitt, Werner: Weltmodelle. Griechische Weltbilder von Thales bis Ptolemäus. Mainz/Rhein 1989, S. 11. 6 „Heute veranlasst uns der Sprachstand des Gilgamesch-Epos zu glauben, dass das Werk in seiner vorliegenden Form im letzten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand.“ Vgl.: Maul, Stefan M.: Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert von Stefan M. Maul. München 2005, S. 13. 7 Hönig, Christoph: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und Interpretationen. Würzburg 2000, S. 23.

Erscheinungsweisen (<strong>als</strong> Regen, <strong>als</strong> Quelle, <strong>als</strong> Fluss, etc. ) eine einzigartige Stellung in der<br />

Lebenswelt des Menschen ein.<br />

2.1.1 Das große Wasser: Das Meer<br />

Die größte Ansammlung dieses Elements bilden die Meere, die die Erdoberfläche zu 70 Prozent<br />

bedecken. Das Meer spielte in der Lebenswelt der Menschen des Mittelmeerraumes, wo einer der<br />

Ursprünge der abendländischen Kultur zu verorten ist, seit jeher eine herausragende Rolle. In den<br />

Schöpfungsmythen erscheint es <strong>als</strong> bereits vorhandene ‚prima materia’ noch vor der Entstehung der<br />

Götter selbst. 4 Das Meer bildete eine natürliche Begrenzung der menschlichen Lebenswelt, die ihre<br />

Entsprechung in der griechischen Mythologie fand, wenn das Meer, der ‚okeanos’, <strong>als</strong> Sitz der<br />

Götter, bzw. Grenze zur Sphäre der Götter beschrieben wurde. Eine Zuschreibung mit der sich der<br />

antike Mensch die Unberechenbarkeit und Gefährdungen durch das Meer zu erklären versuchte. 5<br />

2.2 Das Artefakt: Das Schiff<br />

Eine charakteristische Eigenschaft der Menschheit ist der Versuch, den <strong>als</strong> ‚Launen der Götter’<br />

personifizierten Naturerscheinungen mit technischen Mitteln zu trotzen. Einen passiven Schutz vor<br />

unbändigen Wasserfluten bilden Dämme, doch das Artefakt, mit dem sich der Mensch aktiv auf das<br />

unheimliche Element hinaus wagen kann, ist das Schiff, und bereits die frühesten der Weltliteratur<br />

überlieferten Schriften handeln von abenteuerlichen Reisen auf dem Meer. So befindet sich der<br />

Held des um 1200 vor Christus entstandenen Gilgamesch-Epos 6 auf einer Schifffahrt, deren Ziel es<br />

ist, ewiges Leben zu finden. Hier zeigt sich eine metaphorische Verbindung Meer-Leben-Schiff, die<br />

sich von der Antike bis in die Moderne beobachten lässt. „Vielleicht entdeckte er bald schon in<br />

seinem Geschöpf, dem Schiff, auch sich selbst, ein Bild seiner eigenen Existenz: seiner dauernden<br />

Gefährdung und seines andauernden Wagemuts.“ 7<br />

2.2.1 Das Schiff <strong>als</strong> <strong>Metapher</strong><br />

2.2.1.1 Das Lebensschiff<br />

4<br />

Vgl.: Detel, Wolfgang: Das Prinzip des Wassers bei Thales. In: Böhme, Hartmut (Hg.): Kulturgeschichte des Wassers.<br />

Frankfurt/M. 1998, S. 43f.<br />

5<br />

Dabei wurden nicht nur direkte Erscheinungen wie Überflutungen betrachtet. Auch „ein Naturphänomen, das – wie<br />

die Blitzschläge – die Griechen seit alters beschäftigte, waren die Erdbeben. Die mythische Erklärung hatte sich auf den<br />

‚Erderschütterer’ Poseidon berufen. Thales versucht zum ersten Mal eine rationale Erklärung. Erdbeben entstünden<br />

durch Turbulenzen des Meeres unter der Erde.“ Ekschmitt, Werner: Weltmodelle. Griechische Weltbilder von Thales<br />

bis Ptolemäus. Mainz/Rhein 1989, S. 11.<br />

6<br />

„Heute veranlasst uns der Sprachstand des Gilgamesch-Epos zu glauben, dass das Werk in seiner vorliegenden Form<br />

im letzten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand.“ Vgl.: Maul, Stefan M.: Das Gilgamesch-Epos.<br />

Neu übersetzt und kommentiert von Stefan M. Maul. München 2005, S. 13.<br />

7<br />

Hönig, Christoph: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und<br />

Interpretationen. Würzburg 2000, S. 23.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!