Schiffbruch als Metapher

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eines neuen Schiffs aus den Trümmern früherer verunglückter Schiffe gelingen. Diesen Gedanken greift der deutsche Regisseur Wolfgang Petzold in seinem Film „Die Innere Sicherheit“ auf. In einem Interview erklärt, er habe als Grundmetapher für diesen Film immer einen Satz aus Blumenbergs „Schiffbruch mit Zuschauer“ im Kopf gehabt: „Wenn Schiffe, die wie Begriffsapparate funktionieren, auf Grund laufen, ist es dann möglich, aus den herum schwimmenden, treibenden Trümmerstücken etwas Tragfähiges zu bauen?“ 49 2.5 Ideologischer Schiffbruch: Die Wassermetaphorik in Wolfgang Petzolds Film „Die Innere Sicherheit“ 2.5.1 „Die Innere Sicherheit“ im filmhistorischen Kontext Filmhistorisch steht „Die Innere Sicherheit“ in einer Genealogie von Filmen, die die Gewalttaten der RAF in der Bundesrepublik nach 1968 thematisieren. Den Beginn der filmischen Verarbeitung des Linksterrorismus bildet der Kompilationsfilm „Deutschland im Herbst“, in dem sich Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und andere Regisseure kritisch mit dem Klima, das während des ‚Deutschen Herbstes’ im Jahr 1977 herrschte, auseinander setzen. In der Folgezeit entstehen weitere Filme verschiedener Genres (Thriller, biographische Skizze, Dokumentation und Collage), die versuchen, hinter das Geheimnis des Phänomens RAF zu kommen. Im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung lässt sich feststellen, dass die anfangs vorherrschende spontane Reaktion auf die RAF-Gewalttaten als Motivation zur Erstellung eines Filmes („Deutschland im Herbst“) sich über den Weg des Versuchs, gesellschaftspolitische, bzw. psychologische Hintergründe zu hinterfragen („Die bleierne Zeit“), gewandelt hat, zu einem distanzierteren Blick mit größerem Fokus auf die Folgen der 68er Bewegung und der aus Teilen von ihr entstandenen RAF. Die Vergangenheit erscheint in den zuletzt veröffentlichten Filmen häufig nur noch als indirektes, medial bzw. durch dieser Generation angehörende Personen vermitteltes Ereignis. 50 Christian Petzold geht mit „Die Innere Sicherheit“ noch einen Schritt weiter. Die linksradikale Vergangenheit der Eltern wird lediglich durch dezente Hinweise, für deren Erkennung bereits Hintergrundwissen über die Begrifflichkeiten und Symbole dieser Epoche unerlässlich ist, thematisiert. Nicht die ursprüngliche Idee, nicht die daraus folgende Tat und auch nicht deren Folgen für die Gesellschaft stehen im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr versucht der Film eine Art Seitenwechsel zu bewerkstelligen, indem er die Folgen der in der Vergangenheit begangenen 49 „Der fliegende Holländer. Ein Interview mit Christian Petzold von Jörg-Uwe Albig und Christoph Gurk.“ www.textezurkunst.de/NR43/tzk43_petzold2.htm. 50 In „Was tun, wenn’s brennt“ sind dies alte Filmrollen, in „Die fetten Jahre sind vorbei“ beziehen die dargestellten, jugendlichen Figuren ihr Wissen aus Büchern, sowie aus Gesprächen mit einem vermeintlichen Kapitalistenbonzen, der sich im Lauf der Erzählung als Alt68er, der sogar Rudi Dutschke noch kannte, herausstellt.

Straftat aus Sicht der Täter bzw. deren Nachkommen, die inzwischen wie Opfer ihrer eigenen Schuld wirken, darstellt. Die Geschichte der radikalen Linken spielt, obwohl sie die Voraussetzung für die Story ist, eine eher geringe Rolle. Thematisiert wird das Privatleben einer Terroristenfamilie, die sich vom aktiven Terror zurückgezogen hat und nun versucht, ein neues Leben zu beginnen. 51 Nach einigen Produktionen für das Fernsehen ist „Die Innere Sicherheit“ das erste fürs Kino gedrehte Werk Christian Petzolds. 2.5.2 Inhalt Der Film „Die Innere Sicherheit“ beschreibt das Leben einer deutschen Kleinfamilie, die sich wegen der linksterroristischen Vergangenheit der beiden Elternteile ständig auf der Flucht befindet. Seit geraumer Zeit leben der Vater Hans (Richy Müller) und die Mutter Clara (Barbara Auer) mit ihrer einzigen Tochter Jeanne (Julia Hummer) im Untergrund, an wechselnden Orten. Zu Beginn des Films halten sie sich an der Küste Portugals auf, doch finanzielle Gründe zwingen die Familie zur Rückkehr nach Deutschland, wo sie auf die Unterstützung alter Gefährten hoffen. Für Jeanne, die sich gerade in der Pubertät befindet, ist die ständige Flucht unerträglich geworden. Gerade hat sie sich in Heinrich (Bilge Bingül), einen Surfer aus Deutschland verliebt. Doch die Liebe zu Heinrich wird ihr von den Eltern verboten, da sie eine Gefahr für die Tarnung der Eltern darstellt. Widerwillig macht sich Jeanne mit ihren Eltern auf eine Reise, die sie zurück nach Deutschland führen soll. Dort hoffen sie auf die Hilfe alter Genossen, was sich aber als vergeblich erweist. Einer der alten Mitstreiter hat sich mit dem System arrangiert, er ist inzwischen Anwalt geworden und hat eine Tochter. Mit der gemeinsamen Vergangenheit möchte er nichts mehr zu tun haben. Ein anderer, Klaus, der einmal einen Verlag besaß, führt nun ein Leben als gescheiterte Existenz und wird bei seinem Hilfeversuch verhaftet. In einem leer stehenden Haus verbergen sich Hans und Clara, die unauffällige Jeanne ist für die Versorgung zuständig. Während die Eltern darauf warten, dass ihnen ein alter Freund das nötige Geld beschafft, geht Jeanne einkaufen und begegnet dabei Heinrich wieder. Sie gerät in eine Zwickmühle und muss sich entscheiden: für eine Zukunft mit Heinrich oder mit ihren Eltern. Die Geschichte nimmt einen tragischen Verlauf. Ein Bankraub zur Geldbeschaffung schlägt fehl und Heinrich, dem sich Jeanne offenbart hat, informiert die Polizei. Als die Familie im Auto flüchtet, werden sie von Einsatzkräften der Polizei von der Straße abgedrängt. Es kommt zu einem Unfall, den nur Jeanne überlebt. 51 Anlass für die Erzählung bildete nach Aussage von Christian Petzold eine Zeitungsmeldung über den Ex-Terroristen Wolfgang Grams, der bei einer Schießerei mit der Polizei am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen ums Leben kam: „Da stand, dass er Lieder geschrieben und im Untergrund Marmelade eingekocht hat. (…). Da wurde mir klar, dass das Leben auch im Untergrund 24 Stunden hat. Dass es organisiert werden muss. Dass man sich die Fußnägel schneiden muss und so.“ Zitiert nach http://focus.msn.de/D/DF/DFU/DFU08/DFU08196/dfu08196.htm»Die innere Sicherheit«: Interview mit Regisseur Christian Petzold. 20.04.2006.

eines neuen Schiffs aus den Trümmern früherer verunglückter Schiffe gelingen. Diesen Gedanken<br />

greift der deutsche Regisseur Wolfgang Petzold in seinem Film „Die Innere Sicherheit“ auf. In<br />

einem Interview erklärt, er habe <strong>als</strong> Grundmetapher für diesen Film immer einen Satz aus<br />

Blumenbergs „<strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer“ im Kopf gehabt: „Wenn Schiffe, die wie<br />

Begriffsapparate funktionieren, auf Grund laufen, ist es dann möglich, aus den herum<br />

schwimmenden, treibenden Trümmerstücken etwas Tragfähiges zu bauen?“ 49<br />

2.5 Ideologischer <strong>Schiffbruch</strong>: Die Wassermetaphorik in Wolfgang Petzolds<br />

Film „Die Innere Sicherheit“<br />

2.5.1 „Die Innere Sicherheit“ im filmhistorischen Kontext<br />

Filmhistorisch steht „Die Innere Sicherheit“ in einer Genealogie von Filmen, die die Gewalttaten<br />

der RAF in der Bundesrepublik nach 1968 thematisieren. Den Beginn der filmischen Verarbeitung<br />

des Linksterrorismus bildet der Kompilationsfilm „Deutschland im Herbst“, in dem sich Rainer<br />

Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und andere Regisseure kritisch mit dem<br />

Klima, das während des ‚Deutschen Herbstes’ im Jahr 1977 herrschte, auseinander setzen.<br />

In der Folgezeit entstehen weitere Filme verschiedener Genres (Thriller, biographische Skizze,<br />

Dokumentation und Collage), die versuchen, hinter das Geheimnis des Phänomens RAF zu<br />

kommen. Im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung lässt sich feststellen, dass die anfangs<br />

vorherrschende spontane Reaktion auf die RAF-Gewalttaten <strong>als</strong> Motivation zur Erstellung eines<br />

Filmes („Deutschland im Herbst“) sich über den Weg des Versuchs, gesellschaftspolitische, bzw.<br />

psychologische Hintergründe zu hinterfragen („Die bleierne Zeit“), gewandelt hat, zu einem<br />

distanzierteren Blick mit größerem Fokus auf die Folgen der 68er Bewegung und der aus Teilen<br />

von ihr entstandenen RAF. Die Vergangenheit erscheint in den zuletzt veröffentlichten Filmen<br />

häufig nur noch <strong>als</strong> indirektes, medial bzw. durch dieser Generation angehörende Personen<br />

vermitteltes Ereignis. 50<br />

Christian Petzold geht mit „Die Innere Sicherheit“ noch einen Schritt weiter. Die linksradikale<br />

Vergangenheit der Eltern wird lediglich durch dezente Hinweise, für deren Erkennung bereits<br />

Hintergrundwissen über die Begrifflichkeiten und Symbole dieser Epoche unerlässlich ist,<br />

thematisiert. Nicht die ursprüngliche Idee, nicht die daraus folgende Tat und auch nicht deren<br />

Folgen für die Gesellschaft stehen im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr versucht der Film eine<br />

Art Seitenwechsel zu bewerkstelligen, indem er die Folgen der in der Vergangenheit begangenen<br />

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„Der fliegende Holländer. Ein Interview mit Christian Petzold von Jörg-Uwe Albig und Christoph Gurk.“<br />

www.textezurkunst.de/NR43/tzk43_petzold2.htm.<br />

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In „Was tun, wenn’s brennt“ sind dies alte Filmrollen, in „Die fetten Jahre sind vorbei“ beziehen die dargestellten,<br />

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