Schiffbruch als Metapher

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17.11.2012 Aufrufe

diesen Erzählungen häufig auf die Meeresfahrt folgt, sieht er in ihrem Charakter der Grenzüberschreitung, die ihrerseits ein typisches Charakteristikum der Gattung Mensch ist: „Dass hier, an der Grenze vom festen Land zum Meer, zwar nicht der Sündenfall, aber doch der Verfehlungsschritt ins Ungemäße und Maßlose zuerst getan wurde, ist von der Anschaulichkeit, die dauerhafte Topoi trägt.“ 41 Aus dem Grund der Grenzverletzung erscheine das Scheitern eines solchen Vorhabens im Schiffbruch „wie die ‚legitime’ Konsequenz der Seefahrt, der glücklich erreichte Hafen oder die heitere Meeresstille nur der trügerische Aspekt einer so tiefen Fragwürdigkeit.“ 42 Neben den bereits erwähnten Bildelementen, dem Meer als Naturgewalt auf der einen, dem Menschen als kühnem Herausforderer auf der anderen Seite, positioniert Blumenberg eine dritte, nicht direkt betroffene Instanz: die des Zuschauers. Er, der das frivole, blasphemische Treiben der Seefahrt vom sicheren Festland, welches er eben nicht verlassen hat, aus beobachten kann, empfinde gewisse Genugtuung, wenn er sehen könne, dass die Unternehmung ein aus seiner Sicht verdient schlechtes Ende findet. Den Urheber dieses Bildes der Kulturkritik führt Blumenberg auf Lukrez zurück. Diesem habe es in seinem Werk „De rerum naturae“ als Veranschaulichung epikureischer Weltsicht gedient. Die Prägung dieser Metapher geschah zwar bereits im ersten vorchristlichen Jahrhundert, doch die Konstellation sei bis zum heutigen Tag als „Paradigma einer Daseinsmetapher“ fruchtbar. In einem weiten historischen Bogen von der Antike bis zur Neuzeit, von Lukrez bis Paul Lorenzen, unterscheidet Blumenberg drei verschiedene Semantiken dieser Metapher. 2.4.1.2 Vom Frevel zum Glücksversprechen: Der Bedeutungswandel der Schifffahrtsmetapher im Verlauf der Geschichte 2.4.1.2.1 Die antike Deutung: Schifffahrt als Frevel Die antike (und mittelalterliche) Deutung sieht im Schiffbruch eine gerechte und selbstverschuldete Strafe für den begangenen ‚nautischen Frevel’. „Horaz vergleicht solchen Frevel mit dem des Prometheus, der auch ein fremdes und dem Menschen entzogenes Element gewaltsam eroberte. Daedalus vertritt das dritte dem Menschen versagte Element. Luftfahrt, Seefahrt und Feuerraub sind in einen Kontext gebracht. Das ausgesparte Element: die Erde; der interpolierte Gedanke: das feste Land als der angemessene Aufenthalt der Menschen.“ 43 Die Metaphorik der Schifffahrt als frevelhafter Grenzübertritt wird verschärft in der Aussage, das menschliche Geschlecht mühe sich „fruchtlos und vergeblich, verzehrt seine Lebenszeit in nichtigen Sorgen, weil es Ziel und Grenze 41 Ders. 1997, ebd. 42 Ders. 1997, S. 13. 43 Blumenberg 1997, S. 15.

des Besitzes nicht einhält und schon gar nicht Bescheid weiß, wie weit wirkliches Vergnügen noch gesteigert werden kann.“ 44 2.4.1.2.2 Die neuzeitliche Deutung: Risiko des Schiffbruchs als Preis des Fortschritts Mit Beginn der Aufklärung im 17. Jahrhundert wendet sich dieses Bild. Die neuzeitliche Verwendung der Metapher stellt den Menschen in einen Kontext, der ihn als bereits auf dem Schiff befindlich charakterisiert. Das Risiko Schiffbruch zu erleiden und unterzugehen erscheint in dieser Hinsicht als der der Neugier zu entrichtende Preis, der Hafen als Ort des versäumten Lebensglücks. „Aber auch der Zuschauer ist nicht mehr die Figur einer Ausnahmeexistenz des Weisen am Rand der Wirklichkeit, sondern selbst Exponent einer jener Leidenschaften geworden, die das Leben ebenso bewegen wie gefährden. Zwar ist er nicht in das Abenteuer selbst verstrickt, wohl aber der Anziehung von Untergängen und Sensationen hilflos ausgeliefert.“ 45 Auch die von Revolutionen und Umstürzen geprägte Zeitspanne von 1789 bis 1871 erfuhr ihre Beschreibung in nautischen Metaphern. So führt Blumenberg Johann Gottfried Herder an, der die Französische Revolution mit einem Schiffbruch verglich: „Schiffbruch und Zuschauer, das ist hier nur vordergründige Verbildlichung der Situation; dahinter ist der Schiffbruch ein Lehrstück, das von der Vorsehung gespielt wird.“ 46 Bei Friedrich Nietzsche erscheint der Mensch schon als bereits eingeschifft, aber es wird deutlich, wie sich diese Metapher im Sinne einer Ermächtigung des Menschen über die Naturgewalten geändert hat: „Die Metapher ist Projektion, bändigende Anthropomorphie der Natur im Dienste des Subjekts, das sich reflektiert. Da hat Nietzsche den Griechen ganz in seine Gewalt gebracht.“ 47 2.4.1.2.3 Die moderne Deutung: Das Scheitern als Chance zur retrograden Seetüchtigkeit Die moderne Auslegung der Schifffahrtsmetapher interpretiert die Konstellation auf fast paradoxe Weise: „Sie bestärkt die Neigung, auf jenem komfortablen Schiff wiederum zum Zuschauer derer zu werden, die den Mut haben und ausbreiten möchten, ins Wasser zu springen und noch einmal von vorn anzufangen – womöglich im Vertrauen auf die Rückkehr zum unversehrten Schiff als dem Reservat einer verachteten Geschichte.“ 48 Die Aufgabe des Menschen, der das Schiff verlassen hat, sei es, zu einer retrograden Seetüchtigkeit zu gelangen. Dies könne ihm durch das Konstruieren 44 Ders., S. 33. 45 Blumenberg 1997, S. 39. 46 Ders., 1997, S. 51. 47 Ders., 1997, S. 28. 48 Ders., 1997, S. 83. (sic!)

des Besitzes nicht einhält und schon gar nicht Bescheid weiß, wie weit wirkliches Vergnügen noch<br />

gesteigert werden kann.“ 44<br />

2.4.1.2.2 Die neuzeitliche Deutung: Risiko des <strong>Schiffbruch</strong>s <strong>als</strong> Preis des<br />

Fortschritts<br />

Mit Beginn der Aufklärung im 17. Jahrhundert wendet sich dieses Bild. Die neuzeitliche<br />

Verwendung der <strong>Metapher</strong> stellt den Menschen in einen Kontext, der ihn <strong>als</strong> bereits auf dem Schiff<br />

befindlich charakterisiert. Das Risiko <strong>Schiffbruch</strong> zu erleiden und unterzugehen erscheint in dieser<br />

Hinsicht <strong>als</strong> der der Neugier zu entrichtende Preis, der Hafen <strong>als</strong> Ort des versäumten Lebensglücks.<br />

„Aber auch der Zuschauer ist nicht mehr die Figur einer Ausnahmeexistenz des Weisen am Rand<br />

der Wirklichkeit, sondern selbst Exponent einer jener Leidenschaften geworden, die das Leben<br />

ebenso bewegen wie gefährden. Zwar ist er nicht in das Abenteuer selbst verstrickt, wohl aber der<br />

Anziehung von Untergängen und Sensationen hilflos ausgeliefert.“ 45<br />

Auch die von Revolutionen und Umstürzen geprägte Zeitspanne von 1789 bis 1871 erfuhr ihre<br />

Beschreibung in nautischen <strong>Metapher</strong>n. So führt Blumenberg Johann Gottfried Herder an, der die<br />

Französische Revolution mit einem <strong>Schiffbruch</strong> verglich: „<strong>Schiffbruch</strong> und Zuschauer, das ist hier<br />

nur vordergründige Verbildlichung der Situation; dahinter ist der <strong>Schiffbruch</strong> ein Lehrstück, das<br />

von der Vorsehung gespielt wird.“ 46 Bei Friedrich Nietzsche erscheint der Mensch schon <strong>als</strong> bereits<br />

eingeschifft, aber es wird deutlich, wie sich diese <strong>Metapher</strong> im Sinne einer Ermächtigung des<br />

Menschen über die Naturgewalten geändert hat: „Die <strong>Metapher</strong> ist Projektion, bändigende<br />

Anthropomorphie der Natur im Dienste des Subjekts, das sich reflektiert. Da hat Nietzsche den<br />

Griechen ganz in seine Gewalt gebracht.“ 47<br />

2.4.1.2.3 Die moderne Deutung: Das Scheitern <strong>als</strong> Chance zur retrograden<br />

Seetüchtigkeit<br />

Die moderne Auslegung der Schifffahrtsmetapher interpretiert die Konstellation auf fast paradoxe<br />

Weise: „Sie bestärkt die Neigung, auf jenem komfortablen Schiff wiederum zum Zuschauer derer<br />

zu werden, die den Mut haben und ausbreiten möchten, ins Wasser zu springen und noch einmal<br />

von vorn anzufangen – womöglich im Vertrauen auf die Rückkehr zum unversehrten Schiff <strong>als</strong> dem<br />

Reservat einer verachteten Geschichte.“ 48 Die Aufgabe des Menschen, der das Schiff verlassen hat,<br />

sei es, zu einer retrograden Seetüchtigkeit zu gelangen. Dies könne ihm durch das Konstruieren<br />

44 Ders., S. 33.<br />

45 Blumenberg 1997, S. 39.<br />

46 Ders., 1997, S. 51.<br />

47 Ders., 1997, S. 28.<br />

48 Ders., 1997, S. 83. (sic!)

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