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Schiffbruch als Metapher

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diesen Erzählungen häufig auf die Meeresfahrt folgt, sieht er in ihrem Charakter der<br />

Grenzüberschreitung, die ihrerseits ein typisches Charakteristikum der Gattung Mensch ist: „Dass<br />

hier, an der Grenze vom festen Land zum Meer, zwar nicht der Sündenfall, aber doch der<br />

Verfehlungsschritt ins Ungemäße und Maßlose zuerst getan wurde, ist von der Anschaulichkeit, die<br />

dauerhafte Topoi trägt.“ 41 Aus dem Grund der Grenzverletzung erscheine das Scheitern eines<br />

solchen Vorhabens im <strong>Schiffbruch</strong> „wie die ‚legitime’ Konsequenz der Seefahrt, der glücklich<br />

erreichte Hafen oder die heitere Meeresstille nur der trügerische Aspekt einer so tiefen<br />

Fragwürdigkeit.“ 42 Neben den bereits erwähnten Bildelementen, dem Meer <strong>als</strong> Naturgewalt auf der<br />

einen, dem Menschen <strong>als</strong> kühnem Herausforderer auf der anderen Seite, positioniert Blumenberg<br />

eine dritte, nicht direkt betroffene Instanz: die des Zuschauers. Er, der das frivole, blasphemische<br />

Treiben der Seefahrt vom sicheren Festland, welches er eben nicht verlassen hat, aus beobachten<br />

kann, empfinde gewisse Genugtuung, wenn er sehen könne, dass die Unternehmung ein aus seiner<br />

Sicht verdient schlechtes Ende findet.<br />

Den Urheber dieses Bildes der Kulturkritik führt Blumenberg auf Lukrez zurück. Diesem habe es in<br />

seinem Werk „De rerum naturae“ <strong>als</strong> Veranschaulichung epikureischer Weltsicht gedient. Die<br />

Prägung dieser <strong>Metapher</strong> geschah zwar bereits im ersten vorchristlichen Jahrhundert, doch die<br />

Konstellation sei bis zum heutigen Tag <strong>als</strong> „Paradigma einer Daseinsmetapher“ fruchtbar. In einem<br />

weiten historischen Bogen von der Antike bis zur Neuzeit, von Lukrez bis Paul Lorenzen,<br />

unterscheidet Blumenberg drei verschiedene Semantiken dieser <strong>Metapher</strong>.<br />

2.4.1.2 Vom Frevel zum Glücksversprechen: Der Bedeutungswandel der<br />

Schifffahrtsmetapher im Verlauf der Geschichte<br />

2.4.1.2.1 Die antike Deutung: Schifffahrt <strong>als</strong> Frevel<br />

Die antike (und mittelalterliche) Deutung sieht im <strong>Schiffbruch</strong> eine gerechte und selbstverschuldete<br />

Strafe für den begangenen ‚nautischen Frevel’. „Horaz vergleicht solchen Frevel mit dem des<br />

Prometheus, der auch ein fremdes und dem Menschen entzogenes Element gewaltsam eroberte.<br />

Daedalus vertritt das dritte dem Menschen versagte Element. Luftfahrt, Seefahrt und Feuerraub sind<br />

in einen Kontext gebracht. Das ausgesparte Element: die Erde; der interpolierte Gedanke: das feste<br />

Land <strong>als</strong> der angemessene Aufenthalt der Menschen.“ 43 Die Metaphorik der Schifffahrt <strong>als</strong><br />

frevelhafter Grenzübertritt wird verschärft in der Aussage, das menschliche Geschlecht mühe sich<br />

„fruchtlos und vergeblich, verzehrt seine Lebenszeit in nichtigen Sorgen, weil es Ziel und Grenze<br />

41 Ders. 1997, ebd.<br />

42 Ders. 1997, S. 13.<br />

43 Blumenberg 1997, S. 15.

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