FINE Das Weinmagazin - 02/2015
Fine Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: SCHWEIZ
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DEUTSCHLAND • ÖSTERREICH • SCHWEIZ • SKANDINAVIEN • GROSSBRITANNIEN • USA • AUSTRALIEN<br />
2| <strong>2015</strong> Deutschland € 15<br />
Österreich € 16,90<br />
Italien € 18,50<br />
Schweiz chf 30,00<br />
DAS WEINMAGAZIN<br />
Wein und Zeit: Fürst Pückler<br />
Die Stilistik des Weins<br />
Legenden des trocknen Rieslings<br />
Frauen im Wein: Julia Kemper<br />
Neuseeland: Jim Vuletic<br />
Waiheke Island<br />
Burgund: Olivier Leflaive<br />
Saar: Der Scharzhof<br />
Die Steine im Dão<br />
<strong>Das</strong> Gold des Douro<br />
P O R T U G A L
E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
DAS WEINMAGAZIN<br />
2/<strong>2015</strong><br />
INHALT<br />
14 Olivier Leflaive und der Wein<br />
42 Alvaro Castro und die Steine im Dão<br />
48 Luis Pato, der Meister der Baga<br />
60 Julia Kemper<br />
28 <strong>Das</strong> Gold des Douro – Fünf exemplarische Weingüter<br />
9 <strong>FINE</strong> Editorial Thomas Schröder<br />
14 <strong>FINE</strong> Burgund Olivier Leflaive und der Wein – Eine Familiensache<br />
28 <strong>FINE</strong> Portugal <strong>Das</strong> Gold des Douro – Fünf exemplarische Weingüter<br />
42 <strong>FINE</strong> Portugal Alvaro Castro und die Steine im Dão<br />
48 <strong>FINE</strong> Portugal Luis Pato, der Meister der Baga<br />
56 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Große Dutzend Portugal<br />
60 <strong>FINE</strong> Frauen im Wein Die zwei Leben der Julia Kemper<br />
68 <strong>FINE</strong> Wein & Speisen Jürgen Dollase im Schwarzen Hahn in Deidesheim<br />
76 <strong>FINE</strong> Luxus Die Aktentasche<br />
68 Jürgen Dollase im Schwarzen Hahn<br />
82 Waiheke Island<br />
94 Jim Vuletic und die Liebe zum Bordeaux<br />
1<strong>02</strong> Dom Pérignon 2005 und Ferran Adrià<br />
80 <strong>FINE</strong> Die Pigott Kolumne Zwischen Château und Garage<br />
82 <strong>FINE</strong> Neuseeland Waiheke Island – Für Weinfreunde ein Traumziel<br />
94 <strong>FINE</strong> Neuseeland Jim Vuletic und die Liebe zum Bordeaux<br />
1<strong>02</strong> <strong>FINE</strong> Champagner Dom Pérignon 2005 und die Snacks von Ferran Adrià<br />
108 <strong>FINE</strong> Die Würtz Kolumne Verborgene Talente<br />
110 <strong>FINE</strong> Tasting Legenden des trocknen Rieslings<br />
118 <strong>FINE</strong> Genießen Champagner – aber wie!<br />
120 <strong>FINE</strong> Wein und Zeit Die Aufzeichnungen des Fürsten von Pückler-Muskau – Teil 2<br />
126 <strong>FINE</strong> Saar Egon Müller und sein Scharzhofberger Riesling<br />
136 <strong>FINE</strong> Essay Stefan Pegatzky über die Stilistik des Weins<br />
142 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Bier danach <strong>Das</strong> Lächeln der Nachbarin<br />
110 Legenden des trocknen Rieslings<br />
120 Wein und Zeit: Fürst Pückler, Teil 2<br />
126 Egon Müller und sein Scharzhofberger<br />
136 Stilistik des Weins<br />
146 <strong>FINE</strong> Abgang Ralf Frenzel<br />
6 7<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Inhalt
Hennessy encourages drinking responsibly / www.massvoll-geniessen.de<br />
D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />
»Wer Sorgen hat«, diesen stets willkommenen<br />
Trost spendet bis heute<br />
der weise Zyniker Wilhelm Busch,<br />
»hat auch Likör«. Aber wer keine<br />
Sorgen hat? Was hat der? Der hat, natürlich, Champagner, dies reinste<br />
Elixier der Lebenslust. So kann schwerlich verwundern, dass der Preis,<br />
mit dem das Comité Champagne in Epernay seit dreizehn Jahren deutsche<br />
Promi nente auszeichnet, die in ihren Metiers Beispiele des fröhlicherfüllten,<br />
dem Genuss zugetanen <strong>Das</strong>ein geben, »Preis für Lebensfreude«<br />
heißt. Nach Laudierten wie etwa Thomas Gottschalk oder Kardinal<br />
Lehmann (unter der Zeugenschaft seines Amtsbruders von Reims) war<br />
in diesem Jahr der ebenso leichtfüßige wie tiefgründige Literatur kritiker<br />
Denis Scheck auserkoren, sich im Rahmen eines Gala-Diners für das<br />
geistvolle Vergnügen ehren zu lassen, das er seinem Publikum mit seinen<br />
Sendungen in Fernsehen und Hörfunk bereitet. In seiner pointiert funkelnden<br />
Dankesrede zitierte er die neueste Erhebung eines Karlsruher Instituts,<br />
derzufolge Männer im Deutschland des Jahres 2014 fast vier Mal so<br />
viel Alkoholhaltiges getrunken haben wie Frauen – aber um so weniger, je<br />
höher ihre soziale Stellung ist; während es bei den Damen gerade umgekehrt<br />
ist: in der Oberschicht tranken hierzulande Frauen fast doppelt so<br />
viel wie in weniger privilegierten Kreisen. Daraus lässt sich in Bezug auf<br />
unser Lieblingsgetränk folgern, dass – nimmt man alles nur in allem – in<br />
gutsituierten Häusern Männer und Frauen etwa gleichviel Champagner<br />
trinken. Kann das erstaunen? Mitnichten: Man trinkt ihn eben ungern<br />
allein, sondern besonders gern mit einem geliebten Gegenüber.<br />
Wenn also zwei seelenverwandte Genuss-Visionäre wie Richard<br />
Geoffroy, der schon heute legendäre Kellerchef von Dom Pérignon, und<br />
Ferran Adrià, der nicht minder legendäre Koch und unerschrockene<br />
Er forscher neuer Geschmacks-Kontinente, einander treffen, um gemeinsam<br />
dem Geheimnis des Dom Pérignon 2005 nachzuspüren, darf man auf<br />
einiges gefasst sein: Erkenntnis, kulinarische Dialoge auf höchstem Niveau,<br />
Drahtseilakte sensorischer Kunst. Stefan Pegatzky war in Barcelona und<br />
hat den beiden Koryphäen über die Schulter geschaut.<br />
Eine kreative Eingebung hatte auch die Maison Bouvet-Ladubay, als<br />
sie den Champagner-Dekanter »La Carafe« entwerfen ließ, dessen spezifischer<br />
Kniff in den breiten Rillen von Öffnung und Karaffenhals besteht. Bei<br />
sachgemäßer Anwendung soll das Gefäß all jene Aromen und Geschmacksstoffe<br />
auf die Zunge und an den Gaumen des Genießers zaubern, die<br />
Champagner zumindest in dieser Intensität gern verborgen hält. Ich habe<br />
es ausprobiert – und wenn ich nicht einer groben Selbst suggestion zum<br />
Opfer gefallen bin, ist das Resultat durchaus bemerkenswert!<br />
Ob er aber aus der Flasche oder dem Dekanter ins Glas schäumt:<br />
Ursula Heinzelmann gibt in ihrer neuen Kolumne »Genießen – aber<br />
wie!« sachdienliche Hinweise, welche Snacks und Kleinbeigaben die<br />
Freude am Champagner steigern können, welche aber auf gar keinen Fall.<br />
Als Kolumnisten heißen wir auch Dirk Würtz willkommen, den erprobten<br />
Kellermeister und Blogger, der seinen Blick auf solche Winzer lenkt,<br />
die, von der Medienöffentlichkeit wenig beachtet, im Stillen große Weine<br />
produzieren.<br />
Ja, die Weinwelt ist groß und hält Wunder allerorten bereit: In Portugal<br />
zum Beispiel, einem immer noch im Schatten anderer Regionen stehenden<br />
mythenalten Weinland. Kristine Bäder und Till Ehrlich erkundeten<br />
für uns Douro und Dão und fanden authentische Winzer und herr liche<br />
trockne Weine, die sich als eigenständige kraftvolle Gewächse ohne<br />
weiteres neben den großen Weinen der Welt, schon gar neben den allbekannten<br />
süßen Ports behaupten können. In Neuseeland entdeckten Caro<br />
Maurer und Rainer Schäfer aufsehenerregende junge Wein macher und<br />
dazu einen querköpfigen Klassiker neu. Armin Diel traf Olivier Leflaive<br />
in Puligny-Montrachet und Beaune, verkostete mehr als zwanzig Weine<br />
und vertiefte sich in eine heikle Familiengeschichte. An der Saar empfing<br />
auf seinem Scharzhof Egon Müller der Vierte Fine-Autor Rainer Schäfer;<br />
auch hier erzählt ein großer Wein die Geschichte einer auf erste Qualität<br />
bedachten Winzerdynastie.<br />
Wie sehr Geschichte, Weingeschichte zumal, ein steter Fluss ist, der<br />
alles, zum Guten wie zum Schlechten, bewegt und nichts so lässt, wie wir<br />
manchmal glauben möchten, dass es für die Ewigkeit gefügt sei – das belegt<br />
eine ebenso komische wie anrührende Lesefrucht, auf die mich mein liebster<br />
Berliner Weinfreund aufmerksam machte. »Unser großes Kochbuch«,<br />
in siebter Auflage 1970 vom Leipziger »Verlag für die Frau« den Hausfrauen<br />
und -männern, den Hobbyköchen und allen Feinschmeckern der<br />
DDR zugedacht, macht mit einem festlichen Getränk vertraut: »Sekt wird<br />
gern zu einem auserlesenen zweiten Frühstück, zu Cocktailhappen oder<br />
Sandwiches, aber auch zu einem Nachtisch aus Eis oder Früchten getrunken.<br />
Sekt ist unter der Bezeichnung Champagner ebenfalls bekannt.«<br />
Darauf aber mal ein prickelndes Gläschen vom Freyberger<br />
Schaumwein!<br />
Thomas Schröder<br />
Chefredakteur<br />
<strong>FINE</strong><br />
Editorial<br />
9
Im Innenhof des Bistros La Table d’Olivier treffen<br />
sich Olivier Leflaive, unverkennbar der Mann mit<br />
Hut, und sein älterer Bruder Patrick gern auf ein<br />
Glas Wein aus der eigenen Produktion.<br />
Olivier Leflaive<br />
und der Wein –<br />
eine Familiensache<br />
Fast zehn Jahre ging es gut mit der Koexistenz des Weinguts<br />
Leflaive in Puligny-Montrachet und des gleich namigen<br />
Handels hauses, dann kam es zum Eklat. Mit einer Erzeugung<br />
von achthunderttausend Flaschen zählt die Maison Olivier<br />
Leflaive heute zu den wichtigen Weisswein lieferanten<br />
der Bourgogne. Insbesondere die Grands Crus des Hauses<br />
brauchen qualitativ keinen Vergleich zu scheuen.<br />
Von Armin Diel<br />
Fotos Marco Grundt<br />
14 15<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Burgund
<strong>Das</strong> Gold des Douro<br />
Eine Entdeckungsreise<br />
zu fünf Weingütern<br />
im Norden Portugals<br />
Seit gut zwei Dekaden entstehen am Douro<br />
trockne Charakterweine, die archaische<br />
Weintradition mit einem Gefühl für modernen<br />
Geschmack, Genuss und Stil ver binden. Sie<br />
sind expressiv, haben Potential und bezeugen,<br />
dass Douro eine Wein region ist, die viel mehr<br />
hervor bringen kann als Portwein.<br />
Von Till Ehrlich<br />
Fotos Rui Camilo<br />
Wenn im Norden der iberischen Halb insel<br />
der spanische Fluss Duero zum portugiesischen<br />
Douro wird, hat er schon<br />
viele Weinbaugebiete hinter sich gelassen. Ouro,<br />
das Gold in seinem Namen, kann man nicht nur<br />
auf der Oberfläche seines Wassers finden, wenn<br />
sich die Sonne in ihm spiegelt. Es liegt vor allem<br />
an seinen Ufern und Hängen – es ist der Wein,<br />
der dort wächst. Die Wasser des Douro umfließen<br />
nicht nur un zählige Weinberge, auf ihm wird auch<br />
Wein transportiert, seit hier Menschen leben. Die<br />
Region des Douro-Tals, das Duriense im Nordosten<br />
Portugals, ist ein Kulturraum, in dem die<br />
Rebe schon seit der Bronzezeit nachgewiesen ist.<br />
Manche sagen, es sei die älteste Weinregion der Erde.<br />
Der Douro, der zunächst die Grenze zwischen<br />
Spanien und Portugal bildet, wendet sich schließlich<br />
nach Westen und quert den portugiesischen<br />
Nordosten, um in Porto in den Atlantik zu münden.<br />
Der obere Teil des Flusstals ist das Weingebiet Alto<br />
Douro, das zum Weltkulturerbe gehört. Es erstreckt<br />
sich von der Grenze im Osten stromabwärts fast<br />
einhundert Kilometer gen Westen bis hin zur Ortschaft<br />
Barqueiros. Danach gräbt sich der Douro in<br />
tiefen Windungen durch eine unwegsame Bergkette.<br />
Dahinter herrscht maritimes Klima – dort beginnt<br />
das Reich des Vinho Verde, das bis zur Atlantikmündung<br />
in Porto reicht.<br />
Berühmter ist der obere, gebirgige Teil des<br />
Flusses, das Alto Douro, knapp hundert Kilometer<br />
östlich von Porto. <strong>Das</strong> dünn besiedelte,<br />
lange Zeit schwer zugängliche Weinanbaugebiet<br />
ist das älteste klassifizierte überhaupt: Schon 1761<br />
wurden die steilen Schieferlagen als Herkunfts gebiet<br />
des Portweins deklariert. Heute befinden sich im<br />
Alto Douro zwei bedeutende Weinbaugebiete, die<br />
sich geo graphisch auf dem gleichen Terrain befinden,<br />
doch vollkommen verschiedene Weinstile<br />
und -arten hervorbringen: In der Denominação<br />
de Origem Controlada (DOC) Porto entsteht ausschließlich<br />
roter und weißer Portwein. Die DOC<br />
Douro hingegen ist den trocknen Rot- und Weißweinen<br />
des Alto Douro vorbehalten.<br />
Sie werden in Abgrenzung zum Port etwas<br />
unglücklich als Tischweine bezeichnet. Doch sie<br />
sind oft mehr als das – vielschichtige, langlebige<br />
Gewächse mit Struktur, die in ihrem Geschmacksbild<br />
all das verkörpern, was diese Landschaft ausmacht:<br />
die wilde Schönheit des Felsentals, die Kühle<br />
des Schiefergebirges, die Kraft der Sonne und die<br />
Frische des Flusses. Aber auch Glanz und Leid<br />
der portugiesischen Weinbaugeschichte. Und: die<br />
28 29<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Portugal
Grosse<br />
<strong>Das</strong><br />
Dutzend<br />
Portugal<br />
Portugal kann man getrost als das noch immer bestgehütete<br />
Geheimnis der Weinwelt bezeichnen. Auf<br />
kleinem Raum bieten seine abwechslungsreiche Geographie<br />
und das atlantisch wie kontinental beeinflusste<br />
Klima beste Voraussetzungen für hervorragende Weine.<br />
Sein größter Schatz sind jedoch die mehr als dreihundert<br />
autochthonen Sorten, aus denen die portugiesischen<br />
Winzer schöpfen können. Als Mitte der<br />
1970er Jahre mit der Demokratisierung auch eine Öffnung<br />
nach außen einherging, haben die Winzer der<br />
Versuchung widerstanden, der Internationalisierung zu<br />
verfallen. Stattdessen ist es ihnen gelungen, moderne<br />
Anbaumethoden und Kellertechnik mit ihren althergebrachten<br />
Verfahren, wie etwa das Stampfen der<br />
Trauben mit den Füßen, so zu verbinden, dass aus den<br />
traditionellen Rebsorten und bewährten Lagen heute<br />
Spitzenweine erzeugt werden, die im internationalen<br />
Vergleich auf Augenhöhe mitspielen. Natürlich haben<br />
auch allochthone Sorten wie Chardonnay, Cabernet<br />
oder Merlot ihren Weg nach Portugal gefunden, aber<br />
selbst diese Weine können den Ort ihrer Erzeugung<br />
selten verleugnen. Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> hat eine<br />
Auswahl zusammengestellt, um die Neugier auf eine<br />
ganz eigene und individuelle Weinwelt zu wecken.<br />
Von Kristine Bäder<br />
Fotos Guido Bittner<br />
56 57<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> E EN
FRAUEN IM WEIN ZWEIUNDZWANZIGSTE FOLGE<br />
»Der Granitboden<br />
ist der<br />
Schlüssel für<br />
unsere Weine«<br />
Die zwei Leben der Julia Kemper<br />
Von Kristine Bäder<br />
Fotos Rui Camilo<br />
Energisch läuft die zierliche Frau über den Hof: rote Hose, rosa Filzmantel, modischer<br />
Schlapphut. Julia Kemper sieht nicht aus wie eine Winzerin, und genau genommen ist sie das<br />
auch nicht. Sie ist Anwältin in Lissabon, hat jahrelang eine Kanzlei in Brasilien geführt, spricht<br />
neben portugiesisch fließend englisch, italienisch und sogar etwas deutsch – schließlich hat<br />
sie auch deutsche Vorfahren. Drei Jahre hat es Ihren Vater gekostet, sie davon zu überzeugen,<br />
das Familienweingut im Dão weiterzuführen. Als sie soweit war, sich auf das Abenteuer einzulassen,<br />
brach sie ihre Zelte in Brasilien ab, eröffnete eine Kanzlei in Lissabon und begann<br />
in dem kleinen Dorf nahe der Stadt Viseu, den alten Familienbesitz auf den Kopf zu stellen.<br />
60 61<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Frauen im Wein
Waiheke<br />
Island<br />
Für Weinfreunde ein Traumziel<br />
Man O’War Vineyards nimmt<br />
mit seinen sechzig Hektar fast die<br />
ganze Ostspitze der Insel ein.<br />
Von Caro Maurer MW<br />
Man O’War, Stonyridge, Destiny<br />
Bay und Cable Bay: Vier Weingüter<br />
können süchtig machen<br />
nach der neuseeländischen Insel<br />
im Pazifischen Ozean<br />
Gäbe es einen Wettbewerb um die schönste Weinregion<br />
der Welt, dann könnte Waiheke Island sicherlich einen der<br />
ersten Plätze belegen. <strong>Das</strong> bestätigt schon der erste, noch<br />
ferne Anblick, wenn sich die Fähre aus Auckland nähert.<br />
Mit weich geschwungenen Hügeln taucht die Insel auf<br />
aus dem Hauraki-Golf vor der neuseeländischen Küste.<br />
Wie Fransen ragen an ihren Rändern scharfkantige Felsen<br />
in den grünblauen Ozean, in den geschützten Buchten<br />
gesäumt von hellen Sandbänken. Ein kleines Urlaubsparadies,<br />
gewiss. Doch nur wenige, die beispielsweise den<br />
schmalen Strand im äußersten Südosten der Insel mit ihren<br />
Booten an steuern, haben die Absicht, sich in die Sonne zu<br />
legen. Stattdessen geht es in T-Shirt und Shorts zur Weinverkostung<br />
in ein rustikales Holzhaus mit großer Veranda,<br />
das nur wenige Meter landeinwärts steht. <strong>Das</strong> Weingut Man<br />
O’War unterhält dort eine der wohl beschaulichsten Vinotheken<br />
auf Erden – Meerblick inklusive. Da schmecken<br />
die üppigen reifen Roten aus Bordelaiser Rebsorten gleich<br />
noch ein bisschen beeindruckender als anderswo auf der<br />
Welt. Waiheke Island hat eben mehr zu bieten als nur seine<br />
berauschende Idylle.<br />
Fotos Johannes Grau<br />
82 83<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Neuseeland
DOM PÉRIGNON<br />
DECODING<br />
Die Vorstellung<br />
des Jahrgangs 2005<br />
wird durch Ferran<br />
Adriàs Snacks aus<br />
dem elBulliLab zum<br />
Entschlüsselerlebnis<br />
Von STEFAN PEGATZKY<br />
Fotos: Dom Pérignon<br />
Von jeher sind die Präsentationen des<br />
Nobel-Champagners Dom Pérignon<br />
legendär – wie etwa 1972 in der altpersischen<br />
Residenzstadt Perse polis oder 2013<br />
in einem spätosmanischen Palast in Istanbul.<br />
Und nun für den 2005er Jahrgang: die katalanische<br />
Hauptstadt Barcelona, Mekka für Architektur,<br />
Fußball und Gastronomie. Davon ist allerdings<br />
an diesem Nachmittag wenig zu spüren,<br />
als unser Wagen in der staubigen Nebenstraße<br />
eines Außenbezirks hält und der Fahrer nach<br />
der Adresse sucht. Doch, hier muss es sein.<br />
Über eine Parkplatzrampe gelangen wir in den<br />
zweiten Stock, direkt vor eine mächtige Stahltür.<br />
Reflexion: Richard Geoffroy, Chef de Cave<br />
von Dom Pérignon, und Ferran Adrià, der<br />
revolutionäre katalanische Koch, arbeiten<br />
seit Jahren eng zusammen. In Barcelona<br />
tüftelten die beiden Seelenverwandten im<br />
elBulliLab die kulinarische Inszenierung<br />
des Dom Pérignon 2005 gemeinsam aus.<br />
Wir haben es gefunden, das sagen umwobene<br />
elBulliLab, das sich das Champagnerhaus als<br />
Partner erwählt hat, um sich einem dreijährigen<br />
Selbsterforschungsprojekt zu unterziehen: Dom<br />
Pérignon Decoding. Es ist die erste Station der<br />
diesjährigen Präsentation.<br />
Die Räume, die wir betreten, machen den Eindruck<br />
eines studentischen Start-ups. Eine weiß<br />
gekalkte Fabrikhalle, helle Stahlträger, eine<br />
Reihe durch Raumteiler entstandene Großraumbüros.<br />
Zahlreiche junge Leute an Laptops. Alles<br />
wirkt improvisiert, aber konzentriert. An jedem<br />
Quadratzentimeter Wand hängen Präsentationen,<br />
Mindmaps oder Scribbles. Hier arbeitet<br />
das Team von Ferran Adrià, dem Koch des legendären<br />
Drei-Sterne-Restaurants elBulli, das zwischen<br />
20<strong>02</strong> und 2009 fünfmal zum besten<br />
Restaurant der Welt gewählt worden war. <strong>Das</strong><br />
Ferran Adrià 2011 geschlossen hatte, um sich<br />
der Erforschung des Essens, der Gastronomie<br />
und der Kreativität zu widmen.<br />
Am Ende der Halle kommen wir in den<br />
Bereich, der Dom Pérignon vorbehalten<br />
ist. Ein ähnliches Bild: eine Menge<br />
Arbeitsergebnisse an den Wänden, auf den<br />
Tischen aber aufgebohrte und zersägte<br />
Flaschen. Der »Wein«, die »Flasche« und die<br />
1<strong>02</strong> 103<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Champagne
Dirk Würtz<br />
Botschaften von der Basis<br />
»Ich weiss es ja<br />
auch nicht besser«<br />
Es ist ein Wunder! Die Frage ist nur, ob es ein eher kleines, ein mittleres<br />
oder ein grösseres Wunder ist. Ein Wunder ist es aber in jedem Fall. Ich<br />
tendiere dazu, es, zumindest für den Moment, als kleineres mit Tendenz<br />
zum mittleren Wunder einzustufen. Die Rede ist vom deutschen Wein.<br />
Nachdem der deutsche Wein vor mehr als<br />
einhundert Jahren eine Art Superstar war,<br />
hatte er schnell wieder an Bedeutung verloren.<br />
Der letzte deutsche Kaiser trank gern Riesling<br />
– er trank überhaupt gern –, und seine Verwandtschaft<br />
in Europa trank mit. Der Hochadel<br />
als Trendsetter. Doch damit war es schnell wieder<br />
vorbei, und Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger<br />
Jahre lag die deutsche Weinwirtschaft dar nieder.<br />
Ausgerechnet die Nationalsozialisten legten eine Art<br />
Weinwirtschaftsförderungsprogramm auf und sorgten<br />
so innerhalb kürzester Zeit für großes Wachstum.<br />
Nach dem Krieg wurde Wein zu nehmend<br />
Teil der Folklore. Es wurde ge trunken, es wurde<br />
geraucht – schließlich konnte man es sich leisten –,<br />
und hin und wieder sang man ein lustiges Lied dazu.<br />
In den Achtzigern haben wir uns dann, gemeinsam<br />
mit den Freunden aus Österreich, nachhaltig<br />
den Ruf ruiniert, und seitdem versuchen wir alles,<br />
um eine Art Renaissance einzuleiten. Wenngleich<br />
ich mich immer frage, was wir denn da eigentlich<br />
wieder gebären wollen. Orgiastisches royales Trinken?<br />
Wein als Volks folklore? Hoffentlich nicht! Tatsächlich<br />
ist »Renaissance« wohl auch das falsche<br />
Wort. Es ist mehr ein schrittweiser Neubeginn, den<br />
wir in den vergangenen Jahren erleben.<br />
Der deutsche Wein hat sich in den letzten<br />
beiden Jahrzehnten verändert. Zuallererst ist er<br />
verlässlich geworden. Es gibt quasi keinen schlechten<br />
Wein mehr. Zumindest dann nicht, wenn man<br />
»schlecht« mit »untrinkbar« und »unreif«<br />
gleichsetzt. <strong>Das</strong> mag merkwürdig klingen, aber<br />
es ist wahrscheinlich der wichtigste Baustein des<br />
»Wundermosaiks«.<br />
Die Winzer haben gelernt, dass es nicht darum<br />
gehen kann, möglichst viel mit möglichst geringem<br />
Aufwand zu ernten. Zum Selbstverständnis des<br />
durchschnittlichen Winzers gehörte die ein fache<br />
Erkenntnis, dass es so oder so gärt und aus jeder<br />
Traube Wein wird, egal in welchem Zustand sie in<br />
den Keller kommt. Da der Absatz in den deutschen<br />
Regalniederungen mehr oder minder garantiert war,<br />
gab es keinerlei Notwendigkeit, über irgendetwas<br />
nachzudenken. Schon gar nicht über Qualität. Die<br />
Zeiten lieblos zusammengerührter wein haltiger<br />
Getränke sind zwar noch nicht ganz vorbei, aber<br />
im Zukunftskonzept der gut aus gebildeten Winzer<br />
in Deutschland spielen sie keine Rolle mehr. Selbst<br />
wenn einer partout nicht will, hilft ihm wenigstens<br />
der Klimawandel. Reif werden die Trauben in jedem<br />
Fall, und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass das Endprodukt irgendwie trinkbar ist.<br />
Heute ist deutscher Wein »in«, zumindest<br />
im Ultra-Premium-Segment. Auch das ist<br />
ein kleines Wunder. Natürlich wurden<br />
hierzulande schon immer großartige Weine erzeugt.<br />
In der Regel hatten die aber meistens Restzucker.<br />
Sie waren süß. Nicht unangenehm pappsüß, zumindest<br />
nicht die Rieslinge. Bei tatsächlich trocknen<br />
Weinen war die heimische Expertise aber nie wirklich<br />
so ausgeprägt und umfassend. <strong>Das</strong> hat sich nachhaltig<br />
geändert. Zum einen durch den enorm gestiegenen<br />
Ausbildungsstand der Protagonisten. Zum<br />
anderen natürlich auch durch den Einzug der Technik.<br />
Genauer betrachtet ist der große Umschwung<br />
hin zu trocknen Weinen von Weltruf aber noch gar<br />
nicht so lange her. Der Knoten platzte endgültig mit<br />
dem Jahrgang 2001. Aus nahmen bestätigen natürlich<br />
immer die Regel. Mit dem Geheimrat »J« war<br />
beispielsweise das Weingut Wegeler im Rheingau<br />
in Sachen großer trockner Riesling seiner Zeit weit<br />
voraus. Mittlerweile entstehen in Deutschland Jahr<br />
für Jahr trockne Rieslinge, die mit zum Besten gehören,<br />
was die internationale Weinwelt zu bieten hat.<br />
Manche davon sind weltweit bekannt, wie etwa die<br />
von Keller und Wittmann in Rheinhessen oder von<br />
Loosen an der Mosel. Andere finden nur in Fachkreisen,<br />
in speziellen Foren im Internet und damit<br />
fast unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit<br />
statt. Die Vielfalt ist groß, da ist es auch nicht einfach,<br />
den Überblick zu behalten.<br />
<strong>Das</strong> mit dem Überblick ist überhaupt so eine<br />
Sache. Der deutsche Wein ist kompliziert. Nicht in<br />
seinem Geschmack, aber in seinen Bezeichnungen.<br />
Zumindest für den Laien. Da kann gelegentlich der<br />
Eindruck entstehen, die seien mit dem Ziel erdacht,<br />
den Kunden lieber fernzuhalten, als ihn zum Kauf<br />
zu animieren. Der Inhalt bleibt davon natürlich<br />
unberührt. Leider dann eben auch von der breiten<br />
Masse. Konsumentenfreundlich geht anders! Hin<br />
und wieder werden neue Konzepte ersonnen. Deren<br />
Erfolge sind überschaubar – um es möglichst diplomatisch<br />
auszudrücken. Damit kein Missverständnis<br />
aufkommt: Ich weiß es ja auch nicht besser!<br />
Zum Mythos Wein gehört zwangsläufig auch<br />
eine andere Sprache. Die muss natürlich nicht mystisch<br />
sein. Kann sie aber. In der Regel ist sie anders.<br />
Wie anders ist egal. Weder gibt es ein Grundrecht<br />
auf Vereinfachung noch den Anspruch, für jede<br />
Weinbeschreibung einen Literaturpreis gewinnen<br />
zu müssen. Alles ist erlaubt. Mit einer Ausnahme:<br />
die Weinsprache, die Ausgrenzung zum Ziel hat.<br />
Die Weinwelt, und damit auch ihre Sprache, hat<br />
sich demokratisiert. <strong>Das</strong> ist gut so! Gleiches gilt<br />
im Übrigen auch für die Etiketten. Deswegen gibt<br />
es jetzt sowohl Weine, auf denen »Sex, Drugs<br />
& Rock’n Roll« oder »Pornfelder« zu lesen ist,<br />
als auch Weine, auf deren Etiketten immer noch<br />
schlicht und ergreifend ganz traditionelle Lagennamen<br />
wie »Ockfener Bockstein« oder »Zeller<br />
Schwarzer Herrgott« zu finden sind.<br />
Ein besonders angenehmer Nebenaspekt der<br />
Demokratisierung der Weinwelt ist ein Höchstmaß<br />
an Toleranz und Kollegialität. Die Winzer haben<br />
erkannt, dass manches gemeinsam wesentlich besser<br />
geht als allein. <strong>Das</strong>s es sinnvoll ist, gemeinschaftlich<br />
Wein zu probieren und darüber zu reden – hin und<br />
wieder auch zu streiten. <strong>Das</strong>s es nur vorangeht, wenn<br />
man an einem Strang zieht. So entstanden Winzervereinigungen<br />
wie »Die 5 Freunde« in der Südpfalz<br />
oder »Message in a bottle« in Rheinhessen.<br />
Ein Zusammenschluss, der das ehemals schlimm<br />
geschundene Anbaugebiet Rheinhessen quasi im<br />
Alleingang qualitativ und medial wieder nach vorn<br />
gebracht hat – oder zumindest den Grundstein<br />
dafür gelegt. Kaum verwunderlich, wenn man die<br />
Namen einiger Gründer liest: Keller, Wittmann,<br />
Battenfeld-Spanier, Wagner-Stempel, Kühling-<br />
Gilllot. Allesamt zählen heute zur nationalen Spitze.<br />
Allesamt sind perfekt ausgebildete und weitgereiste<br />
Spezialisten. Nicht einfach »nur« Winzer.<br />
Wer heute in der Spitzengruppe des Weins<br />
bestehen will, muss viel mehr sein als<br />
einer, der einfach nur Wein macht. Man<br />
darf damit kokettieren, »nur« Winzer zu sein. Am<br />
Ende ist es aber nur die halbe Wahrheit. Es geht um<br />
Präsenz, um Marketing, um große wirtschaftliche<br />
Entscheidungen. Man muss zumindest Englisch<br />
können und sollte weltgewandt und offen sein. <strong>Das</strong><br />
klingt übertrieben, ist es aber nicht. Die Welt im<br />
Jahr <strong>2015</strong> ist ein Dorf. Und zwar ein klitzekleines.<br />
Wer nicht überall mitspielt – oder wenigstens mitspielen<br />
lässt –, der wird es schwer haben.<br />
Foto: Weingut Puder<br />
Die Schulen, insbesondere die Universitäten,<br />
haben sich darauf eingestellt. In Geisenheim, an<br />
der wohl berühmtesten Weinhochschule der Welt,<br />
wird nicht nur noch das Weinmachen gelehrt. Alles<br />
andere hat einen mindestens gleichwertigen Platz<br />
im Lehrplan. Hier werden Generalisten ausgebildet.<br />
Wer Geisenheim erfolgreich abgeschlossen<br />
hat, steht auf einem breiten Fundament. Auch das<br />
ist Teil des deutschen Weinwunders, und es ist nur<br />
logisch, dass man unter den unzähligen jungen wie<br />
alten Talenten ganz viele Geisenheimer trifft.<br />
Eines dieser jungen Talente ist Kristof Puder. Er<br />
ist dreiundzwanzig Jahre alt und kommt aus<br />
dem Zellertal. <strong>Das</strong> Zellertal ist den wenigsten<br />
Weintrinkern ein Begriff. Zumindest war das<br />
bis vor kurzem noch so. Es ist der nördlichste Zipfel<br />
der Pfalz, an der Grenze zu Rheinhessen. Allein das<br />
galt früher für manche schon als Makel. Die Pfalz<br />
war getrennt. In Norden und Süden. Ein wenig<br />
ist sie das leider immer noch. <strong>Das</strong> Zellertal war<br />
lange eine Art Lüchow-Dannenberg des Weinbaus.<br />
Zonenrand gebiet. Viel zu weit im Norden, um überhaupt<br />
eine Rolle zu spielen. <strong>Das</strong> ändert sich gerade.<br />
Kristof Puder vertritt die achte Generation im<br />
Weingut. So etwas nennt man Tradition, und auf<br />
so etwas darf man stolz sein. Es ist ein Irrtum zu<br />
glauben, man müsse grundsätzlich mit allen Traditionen<br />
brechen, um erfolgreich zu sein. Kristof<br />
Puder ist ein außergewöhnlicher junger Mann. Er<br />
ist klar und deutlich, er ist eine Erscheinung – auch<br />
optisch –, und er kann was. Als ich ihn kennenlernte,<br />
fragte er mich nach einem studentischen Job. Auf<br />
meine Frage, was er denn könne, gab er keine Antwort.<br />
Einige Tage später kam er wieder, stellte zwei<br />
Flaschen Riesling auf den Tisch und sagte: »Du<br />
wolltest wissen, was ich kann«. Er bekam den Job.<br />
Er ist ein Naturtalent. Einer, der einen Instinkt<br />
für das Weinmachen hat. Er wird seinen Weg gehen,<br />
daran besteht kein Zweifel. Und der wird nicht einfach<br />
sein. <strong>Das</strong> Zellertal ist klein, die Plätze an der<br />
Sonne werden irgendwann hart umkämpft sein, das<br />
Weingut wird sich eines Tages im Umbruch befinden<br />
– und seine Freundin ist die Tochter eines der<br />
erfolgreichsten Pfälzer Winzer. Alleine das könnte<br />
früher oder später zu einer weitreichenden Entscheidung<br />
führen. Noch ist das zu früh. Er und seine<br />
Freundin sind in den letzten Zügen des Studiums.<br />
Da spricht man von kleineren gemeinsamen Projekten.<br />
Ein Wein vielleicht. Irgendwann einmal. Unabhängig<br />
davon hat er Pläne. Große Pläne.<br />
<strong>Das</strong> Weingut Puder ist immer noch Fassweinvermarkter.<br />
Ganz typisch eben. Der größte Teil des<br />
Weins geht auch so weg. <strong>Das</strong> will Kristof Puder<br />
ändern. Seine eigene Linie wächst, das hilft, auch<br />
die Familie von dem neuen Weg zu überzeugen.<br />
Für den Weinausbau im Herbst ist er bereits verantwortlich.<br />
Die Maschinen arbeiten im Sommer<br />
macht er auch, er kümmert sich um eine neue<br />
Preisliste und um ein neues Design der Etiketten.<br />
Kurzum, er übernimmt Verantwortung. Alles in<br />
Rücksprache mit den Eltern. Auch das ist nicht<br />
selbstverständlich. Betriebs übergaben laufen nicht<br />
immer harmonisch und nach Plan. Der Einstieg<br />
der Kinder ist ein Schnitt. Und wenn aus dem<br />
ehe maligen süßen Wonne proppen auf einmal<br />
ein erwachsener Mensch mit eigener Meinung<br />
wird, kann es kompli ziert werden. <strong>Das</strong> ist menschlich<br />
und nicht neu. Es hat aber noch eine andere<br />
Dimension, wenn man zusammen arbeitet. Bei<br />
den Puders funktioniert es. Die Familie entscheidet<br />
gemeinsam. Kristof ist noch jung, doch bei<br />
allem Elan und all den großen Plänen, dem Talent<br />
und dem Enthusiasmus, ist er doch nicht blind vor<br />
Eifer und davon besessen, alles anders machen zu<br />
wollen. <strong>Das</strong> ist schon erstaunlich!<br />
Erstaunlich sind auch seine eigenen Weine.<br />
Viele sind es noch nicht. Kristofs Weine haben auf<br />
der Preisliste des Weinguts eine eigene Rubrik unter<br />
der Überschrift »Die junge Generation«. <strong>Das</strong> ist<br />
nicht sehr originell, aber immerhin ein Anfang.<br />
An der Basis steht ein trockner Riesling. Der<br />
2013er ist ein saftiger und sehr süffiger Wein.<br />
Er ist kerzengerade, hat Zug, und jedes einzelne<br />
Glas verlangt nach dem nächsten. So muss<br />
Gutsriesling sein. Trinkspaß pur! (84 Punkte)<br />
Die alles überstrahlende Lage im Zellertal, der<br />
»Zeller Schwarze Herrgott«, ist nach dem Kreuz<br />
benannt, das an der Straße steht. Der Herrgott ist<br />
im Lauf der Zeit verwittert und schwarz ge worden.<br />
Umgrenzt von Kalksteinmauern ent stehen hier<br />
auf Tonmergel und Kalkstein herausragende, in<br />
ihrer Typizität einmalige Weine. Ins besondere<br />
der Kalk ist das prägende Element. Kristof Puder<br />
hat 2013 gleich zwei Weine aus dieser grandiosen<br />
Kristof Puder, der Hoffnungsträger aus der Nordpfalz<br />
Lage erzeugt. Zwei Rieslinge. Einer im Barrique<br />
aus gebaut, der andere ganz ohne Holz. Der konventionelle<br />
zeigt im ersten Schluck sofort, was<br />
Sache ist. Er zieht einen förmlich mit sich. <strong>Das</strong><br />
Wasser läuft mir im Mund zusammen, und ich<br />
habe automatisch einen Schluckreflex. Es wäre eine<br />
Schande, diesen Wein auszuspucken. Es ist kein<br />
großer Wein im Sinne von überwältigend, gigantisch<br />
oder ein malig. Aber ein sehr guter. Einer, der<br />
mich packt und den ich trinken will – mit Trinkspaß<br />
auf sehr hohem Niveau. Woanders wäre man<br />
in Versuchung, wenigstens so etwas wie »Erste<br />
Lage« auf die Flasche zu schreiben und viel Geld<br />
dafür zu verlangen. Doch der Wein kostet lächerliche<br />
7,50 Euro. Ein gerade zu obszöner Preis für<br />
einen Wein dieser Kategorie! (88 Punkte)<br />
Riesling aus dem Barrique – was früher<br />
undenkbar war, gehört heute fast schon zur<br />
Normali tät. Ich bin mir nie wirklich sicher,<br />
ob ich das mag, oder doch eher nicht. Irgendwann<br />
habe ich beschlossen, das Ganze fallweise zu beurteilen<br />
und mich von pauschalen Bekundungen zu verabschieden.<br />
Puders »Schwarzer Herrgott« aus dem<br />
Barrique gehört zu den Barrique-Rieslingen, die mir<br />
gefallen. Natürlich ist das Holz sofort wahrnehmbar,<br />
aber nicht laut und aufdringlich: Es passt. Der<br />
Wein hat eine faszinierende und ganz feine Säure.<br />
Er ist nicht dick und fett und rund, sondern exakt<br />
das Gegenteil, und er hat eine wunder bare Phenolstruktur,<br />
die ihm ein Höchstmaß an Seriosität verleiht.<br />
Was ich an Leichtigkeit und Feinheit schmecke<br />
und feststelle, kann ich zum Teil auch auf dem<br />
Etikett ablesen: 11,5 Prozent Alkohol. Herrlich! Ein<br />
Wein für Freaks. (87 Punkte)<br />
Der Jahrgang 2014 war wahrlich kein einfacher.<br />
Schlimmste Wetterkapriolen und Dauerregen<br />
ließen gerade die Ernte zu einem echten<br />
Nerven spiel werden. Für mich war das der emotional<br />
anstrengendste Herbst aller Zeiten. Umso mehr<br />
freut es mich, zu sehen und zu schmecken, dass so<br />
ein junger Kerl allem Anschein nach alles richtig<br />
gemacht hat. Die Fassproben sind blitzsauber, komplett<br />
trocken und getragen von einer wunderbaren<br />
Mineralität – wenngleich ich es immer sehr schwer<br />
finde, Mineralität tatsächlich so zu beschreiben, dass<br />
jeder versteht, was damit gemeint ist. Salzig sind sie,<br />
das muss für den Moment genügen.<br />
Es versteht sich von selbst, dass Puders Weine<br />
noch »unfertig« sind. Er ist jung, am Anfang seiner<br />
Karriere. Aber schon jetzt ist deutlich zu riechen<br />
und zu schmecken, dass da noch einiges zu erwarten<br />
ist. Wie der Junge sich entwickelt, wie sein Weingut<br />
sich entwickelt, kann ich nicht sagen. <strong>Das</strong> ist<br />
aber auch nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass<br />
hier einer mit Herz und Verstand bei der Sache ist.<br />
<strong>Das</strong>s sich hier ein weiteres neues Talent anschickt,<br />
Teil des deutschen Weinwunders zu werden. Von<br />
der Sorte gibt es einen schier unerschöpflichen Pool<br />
in Deutschland. Und deswegen ist es mir um die<br />
Zukunft des deutschen Weins auch nicht bange. •<br />
108 109<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Die Würtz Kolumne
URSULA HEINZELMANN<br />
GENIESSEN – ABER WIE!<br />
Champagner mit Erdbeeren<br />
- das geht nur im Film<br />
The other<br />
Cavalli!<br />
Champagner im Glas ist grundsätzlich ein<br />
erfreulicher Tatbestand, besonders wenn<br />
wir davon ausgehen, dass Fine-Leser bei<br />
der Auswahl desselben mit Sachverstand und Kompetenz<br />
vorgehen. Doch was bedeutet beschwingtes<br />
Schäumen für die feste Nahrungszufuhr? Schlimmstenfalls:<br />
gar nichts. Bei Empfängen nämlich, deren<br />
Veranstalter noch nie nach einem langen Arbeitstag<br />
mit durchhängendem Magen eine Stunde ohne<br />
einen Bissen im Stehen verbrachten. Gar nichts<br />
bedeutet meist auch: der Champagner ist so lala.<br />
Passons. Nächste Stufe: Häppchen, auf Neudeutsch<br />
Fingerfood, von Räucherlachs bis Edel-Sushi. Entspricht<br />
am ehesten den Erwartungen, bietet aber<br />
wenig Überrraschungen. Tatsächlich als Begleitung<br />
zum Essen fließt Champagner eher selten in<br />
die Gläser, und wenn, wird meist Edles und tendenziell<br />
Helles serviert, von Steinbutt bis Perlhuhn,<br />
gern in Beurre Blanc, mit ein wenig Hummer und/<br />
oder Trüffel, um der Kostbarkeit im Glas Rechnung<br />
zu tragen. Aber bedarf die tatsächlich einer solchen<br />
Bestätigung? Ist nicht Einfachheit der wahre neue<br />
Luxus?<br />
Die großartigsten Champagner-Begleiter, die<br />
mir je begegnet sind, waren die kleinen, gesalzenen,<br />
in der Schale gekochten Kartoffeln von der<br />
französischen Atlantik-Insel Noirmoutier mit jodigem<br />
Meeres aroma und eher gemüsig als mehlig.<br />
Sie ergänzten und untermalten einen gestandenen<br />
Blanc de Blancs von R & L Legras aus Chouilly.<br />
Noch überraschender: geräucherte Sprotten, denen<br />
man nur den Kopf abzwickt, sie aber ansonsten goldglänzend<br />
und ganz verzehrt. Rauch und Mineralik,<br />
Fischfett und Hefe-Malolaktik, feines Schäumen<br />
und das leise Knacken der Gräten – perfekt. Dazu<br />
eine der würzigmineralischen Nummern-Cuvées<br />
von Jacquesson, und das Leben ist so, wie es sein<br />
sollte. Mit den Händen essen passt nicht zum edlen<br />
langstieligen Glas? Ach was, wozu gibt es Servietten.<br />
Ebenso ungewöhnlich und quasi nie zum Champagner<br />
serviert: Büffelmozzarella. Und zwar bitte die<br />
allerbeste, allerfrischeste, molkesaftig und wiesenmilch<br />
aromatisch. <strong>Das</strong> klingt befremdlich? Was<br />
der Weinliebhaber nicht kennt, trinkt er nicht?<br />
Deshalb: Champagner kaltstellen (etwa einen der<br />
Charakterköpfe von Bruno Paillard), Käse kaufen,<br />
ausprobieren!<br />
Nach dem Käse - doch halt, an dieser Stelle<br />
gehört angemerkt, dass Chaource, der säuerlichsahnige<br />
Käse aus der südlichen Champagne (wo die<br />
Kühe unter Apfelbäumen grasen) mit seiner feinen<br />
Bitternote zwar eine geographisch etwas weniger<br />
überraschende, deshalb aber nicht minder großartige<br />
Begleitstimme liefert (dass er aus Rohmilch<br />
und professionell affiniert sein sollte, versteht sich<br />
von selbst).<br />
Aber dann kommt, was kommen muss: das<br />
Thema Süßes. Was ich hier mit einem nur halb<br />
unterdrückten Seufzer anbringe. Denn einerseits<br />
sind da unsere französischen Nachbarn, für die<br />
»une coupe«, ein Glas Champagner, grundsätzlich<br />
immer und zu allem passt. Immer? D’accord.<br />
Zu allem? Ganz und gar nicht, weil das nämlich<br />
auch Desserts und Geburtstagskuchen einschließt.<br />
Selbst wenn der Champagner nicht ganz knochentrocken<br />
ist, kann er dem nicht standhalten, hisst die<br />
weiße Säurefahne und zeigt sich von der aggressiven<br />
Seite. Also: nein. Nein!<br />
Ebenfalls nein: Erdbeeren. Werden wir den<br />
Pretty-Woman-Fluch wohl je loswerden? Seit der<br />
Premiere dieses zugegebenermaßen in mancherlei<br />
Hinsicht unterhaltsamen Films vor fünfundzwanzig<br />
Jahren hat sich unser Frauenbild glücklicherweise<br />
(hoffentlich!) gewandelt. Aber die<br />
Erdbeeren, die Richard Gere Julia Roberts in der<br />
Silberschale serviert, weil das, wie er sie belehrt,<br />
»den Geschmack des Champagners zum Ausdruck<br />
bringt«, die geistern immer noch durch viele Köpfe.<br />
Also, noch mal ganz deutlich, verehrte Leserinnen<br />
und Leser: Erdbeeren und Champagner, das geht<br />
nur im Film. Im wahren Leben weiß unser Freund<br />
im Glas aufgrund der Textur der Beeren einfach<br />
nicht, wohin mit seiner Säure, sowohl der sauren<br />
als auch der prickeligen.<br />
Dabei lag Richard Gere gar nicht so weit<br />
da neben, denn richtig großartig sind: Himbeeren.<br />
Zu quasi jedem Champagner, vorweg, zum Dessert,<br />
einfach so. Die zerplatzen ebenso leise, fruchtig und<br />
beschwingt auf der Zunge wie die Champagnerperlen,<br />
und wenn es sie nicht schon gäbe, dann<br />
hätte sie einer der genialen modernen Köche längst<br />
erfunden und patentiert. <strong>Das</strong> ist nicht nur pretty,<br />
sondern einfach beautiful. •<br />
Foto: Thilo Weimar für <strong>FINE</strong><br />
www.deglidei.it<br />
118 <strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong>
»Ich bin ein<br />
ziemlich<br />
zufriedener<br />
Mensch«<br />
Egon Müller vom Scharzhof an der Saar zählt<br />
mit seinen Rieslingen international zum höchsten<br />
Weinadel – und bleibt doch auf dem Boden<br />
Von Rainer Schäfer<br />
Fotos Arne Landwehr<br />
Egon Müller IV. sitzt im Bibliotheksraum seines<br />
ockerfarbenen Herrenhauses, das etwas außerhalb<br />
des Dorfes Wiltingen liegt. Ein bisschen Abstand<br />
kann nicht schaden. Er lebt zwar gern an der Saar,<br />
aber er muss nicht alle Gedanken mit anderen teilen.<br />
Egon Müller ist kein gewöhnlicher Winzer, er erzeugt<br />
die begehrtesten Rieslinge weltweit, seine Auslesen<br />
sind limitierte Kostbarkeiten. Der Scharzhof ist ein<br />
Weingut von Weltruf, er ist Mitglied der Vereinigung<br />
Primum Familiae Vini, der die Marchesi Antinori, das<br />
Château Mouton Rothschild oder die Domaine Joseph<br />
Drouhin angehören. Insgesamt sind es elf Güter, die<br />
zu diesem erlesenen Weinadel zählen, der Scharzhof<br />
ist das einzige deutsche Mitglied.<br />
126 127<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Saar
Die neue<br />
Unübersichtlichkeit<br />
Gedanken über Stil und Stilistik des Weins<br />
Von Stefan Pegatzky<br />
Foto Guido Bittner<br />
Als der Wiener Musikwissenschaftler Guido Adler gegen Ende<br />
des 19. Jahrhunderts begann, intensiv und systematisch über die<br />
Geschichte der Musik nachzudenken, war er verzweifelt. Sie<br />
erschien ihm als bloßes »Knäuel künstlerischer Erscheinungen«<br />
und im Sprechen über sie würden »Wirrwarr« und »chaotische<br />
Zustände« herrschen. Also machte er sich Ge danken, die 1911 in<br />
das wegweisende Buch »Der Stil in der Musik: Arten und Prinzipien<br />
des musi kalischen Stils« münden sollten. Wer aufmerksam<br />
verfolgt, was zurzeit so alles rund um den Wein geschrieben wird,<br />
dem wird aufgefallen sein, dass, mit hundert Jahren Verspätung,<br />
auch hier viel die Rede vom »Stil« ist, und, eng damit zusammenhängend,<br />
von der »Stilistik«. <strong>Das</strong> liegt möglicherweise daran, dass<br />
auch die Weinwelt ziemlich unübersichtlich geworden ist.<br />
Die Aufgabe, eine Herkunft tatsächlich im<br />
Wein abzubilden, ist vermutlich die wichtigste<br />
überhaupt im modernen Weinbau.<br />
Was aber meinen wir, wenn wir von Weinstil<br />
sprechen oder von einer bestimmten<br />
Stilistik? Folgen wir der Kunst, in<br />
der Stil die Art und Weise bedeutet, wie ein Werk<br />
geschaffen ist, die »maniera« (was zugleich den<br />
Schaffensprozess wie das Resultat meint), dann<br />
bedeutet das für den Wein, wie er hergestellt wurde<br />
und wie er sich in der Degustation präsentiert. <strong>Das</strong><br />
ist nun offensichtlich ein weites Feld, aber es wird<br />
natürlich eingegrenzt durch eine Reihe vorstrukturierender<br />
Parameter, die einen Wein zunächst<br />
einmal ausmachen: Traube, Jahrgang, Herkunft.<br />
Aber, so im Standardwerk »Weinatlas Deutschland«,<br />
herausgegeben von Dieter Braatz, Ulrich<br />
Sautter und Ingo Swoboda, abseits dieser nicht<br />
zuletzt auch »gesetzlich definierten Bezeichnungen<br />
eröffnen sich die Fragen der Weinstilistik«.<br />
Freilich bestimmten diese Grundparameter<br />
bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts<br />
zumindest von der Idee her die Art und Weise, wie<br />
ein Wein gemacht wurde und wie er sich präsentierte.<br />
Ein Chianti, ein Rioja, ein Bordeaux, ein<br />
Moselriesling. Alle diese Wein wurden mehr oder<br />
weniger nach überlieferten Methoden gekeltert, die<br />
für die Region, aus der sie stammten, als typisch<br />
galten und die ihre Eigenart ausmachten. Von Stilistik<br />
hat damals kaum jemand gesprochen. Ende<br />
der 1970er, Anfang der 1980er Jahre begann dann<br />
allerdings an mehreren Orten eine Revolution, die<br />
eigentliche »Heldenzeit« der europäischen Weinkultur,<br />
die diese Situation von Grund auf ändern<br />
sollte.<br />
Denn tatsächlich waren seit Ende der 1950er<br />
Jahre die traditionell erzeugten Weine der renommiertesten<br />
Herkunftsregionen in das Visier einer<br />
unheiligen Allianz aus Politik und Großkellereien<br />
geraten, die den Aufsteigerschichten der Nachkriegszeit<br />
die süßen Früchte des vermeintlichen<br />
Luxus zu kleinstem Geld versprachen. Der deutsche<br />
Riesling verkommen zur Liebfrauenmilch; der<br />
Chianti entwürdigt als Pizzawein zum O-sole-mio.<br />
Die Revolution war entsprechend heftig. Sie fraß,<br />
wie alle anderen Revolutionen auch, zahl reiche ihrer<br />
eigenen Kinder und öffnete viele Türen, die besser<br />
verschlossen geblieben wären.<br />
Der Kampf, nicht zuletzt ein Echo der 68er-<br />
Bewegung, wurde in den verschiedenen Regionen<br />
je nach Gegebenheit unterschiedlich geführt. Im<br />
Piemont etwa, im Streit um den richtigen Barolo,<br />
war es der zwischen Traditionalisten und Modernen:<br />
Es ging im Kern um das Tannin Management<br />
der Nebbiolo-Traube, um Maischestandzeiten und<br />
Fassausbau. In Deutschland führten die Riesling-<br />
Rebellen den Kampf um trockne Weine gegen<br />
Neuzüchtungen, Süßreserve und das Diktat der<br />
»Geschmackspolizisten« in den staatlichen<br />
Prüfungskommissionen.<br />
Es war ein Kampf, der immer im Zeichen des<br />
Guten gegen das Schlechte und zumeist der<br />
Kleinen gegen die Großen geführt wurde.<br />
Manchmal, wie in Deutschland, wo das glorreiche<br />
weltweite Renommee des Rieslings der Vorkriegszeiten<br />
gegen die miserablen Zustände der Jetzt-Zeit<br />
ins Feld geführt wurde, war es auch ein Kampf des<br />
guten Gestern gegen das schlechte Heute. 1985 gab<br />
es kaum eine Weinregion, die von der Revolution<br />
unberührt geblieben wäre: <strong>Das</strong> Bordelais war durch<br />
Robert Parker durchgerüttelt, Burgund stand in<br />
Aufruhr wegen der radikalen Methoden des libanesischen<br />
Önologen Guy Accad, in Deutschland<br />
kamen die Burgundersorten ins neue Barrique, in<br />
der Toskana wurden Merlot und Syrah angepflanzt,<br />
und im Piemont gärte der Rotwein in australischen<br />
Rototanks. Junge Winzer zogen in ihren Lehr jahren<br />
um die Welt und wandten zuhause an, was sie in<br />
der Fremde gelernt hatten.<br />
Es war der Augenblick der Rulebreaker und die<br />
goldene Zeit der Wein-Presse, die zu deren mächtigem<br />
Sprachrohr wurde. Jeder guter Wein brauchte<br />
nun eine eigene Story. <strong>Das</strong> predigten auch die Weinbau-Universitäten,<br />
die den Winzern das Brand<br />
Building beibrachten: wie man, nicht zuletzt durch<br />
die Formulierung eines unverwechselbaren Alleinstellungsmerkmals<br />
(USP – von Unique Selling<br />
Point), zur Marke wurde. Und die Stil auf Lifestyle<br />
reduzierten, als bloße Individualisierungsgesten von<br />
Sinus-Milieus, soziologisch beschreibbaren gesellschaftlichen<br />
Gruppen mit vergleichbaren Wertvorstellungen,<br />
aus denen der Winzer seine Zielgruppe<br />
lediglich auszuwählen habe.<br />
Flankiert wurde dieser Aufbruch von zahlreichen<br />
Neuerungen der Kellertechnik. Durch<br />
Weinberater wie Emile Peynaud und seine Nachfolger<br />
wurde das Wissen um zentrale Schritte der<br />
Weinzubereitung wie die malolaktische Gärung oder<br />
die Wirkung von Barriques erheblich vertieft. Mit<br />
Umkehrosmose, Mikrooxydation und Schleuderkegel<br />
kolonne zogen High-Tech Verfahren in die<br />
Keller innovationswilliger (und finanzstarker)<br />
Wein güter. In vielen Regionen wurde Technik<br />
zum Schlüssel, für die Markenweine der globalen<br />
Weinmultis ebenso wie für die Spitzenchâteaus im<br />
Bordelais oder im Napa Valley. Mit dem von Ann<br />
Noble an der kalifornischen Weinbau-Universität<br />
in Davis entwickelten Weinaromenrad schienen<br />
zudem alle Aromen im Wein sensorisch abbildbar<br />
und auf weinbautechnisch reproduzierbare chemische<br />
Verbindungen reduzierbar zu sein. »Shape the<br />
flavour – Önologische Wege, Aroma und Stilistik<br />
des Weines zu formen« ist ganz zeitgemäß ein Vortrag<br />
bei der diesjährigen Fachtagung des Bundes<br />
Deutscher Oenologen in Deutschlands Weinbau-<br />
Mekka Geisen heim überschrieben.<br />
Kein Wunder, dass so mancher Rebell den Ausgangspunkt<br />
seiner Revolte aus den Augen verlor.<br />
Michael Broadbent beobachtete, dass sich der Wein in den fünfzig Jahren,<br />
in denen er im Fine Wine Department des Londoner Auktions hauses<br />
Christie’s gearbeitet hatte, mehr verändert habe, als in den sechstausend<br />
Jahren seiner Geschichte zuvor.<br />
Michael Broadbent beobachtete, dass sich der<br />
Wein in den fünfzig Jahren, in denen er im Fine<br />
Wine Department des Londoner Auktionshauses<br />
Christie’s gearbeitet hatte, mehr verändert habe,<br />
als in den sechstausend Jahren seiner Geschichte<br />
zuvor, und beklagte sich bitterlich über Weine, die<br />
vor allem vom »bombastischen Egotrip« ihrer<br />
Erzeuger kündeten. Mancher Winzer, so Decanter<br />
Kolumnist Ch’ng Poh Tiong, benahm sich wie<br />
ein vorlautes Kind im Aufzug, das alle Knöpfe auf<br />
einmal drückt.<br />
Dennoch: Insgesamt wurden die Weine besser,<br />
keine Frage. Aber von nun an war Herkunft nicht<br />
mehr der Schlüssel zum Weinverständnis. Natürlich<br />
beanspruchten gute Winzer schon seit jeher eigene<br />
Interpretationen der Weine ihrer Region. Aber in<br />
zahlreichen hochkarätigen Blindproben machten<br />
erprobte Verkoster zunehmend die Er fahrung,<br />
dass sich viele große Weine nicht mehr über ihre<br />
Herkunft definieren ließen. An ihre Stelle trat −<br />
die Stilistik. Während zuvor die Herkunft immer<br />
einigermaßen genau über den zu erwarten den<br />
Geschmackskorridor Auskunft gab (die Eignung<br />
zum Essen, der Einsatz des Holzes, die un gefähre<br />
136 137<br />
<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Essay
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<strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> 3/<strong>2015</strong> erscheint im September <strong>2015</strong><br />
… voraussichtlich mit folgenden Themen: SCHWEIZ Tessin, Wallis, Waadt und Deutschschweiz: Warum die Eidgenossen ihre großen<br />
Weine am liebsten selber trinken ITALIEN Nebbiolo aus Gattinara · Dolcetto aus Dogliani · Die Weine der sizilianischen Küste · Zwanzig<br />
Jahre Luce delle Vite SLOWENIEN Ein Weinland wird entdeckt BOURGOGNE Die Domaine Clos de Lambrays RHÔNE Die grandiosen<br />
Viogniers von Château Grillet BADEN Jacob Duijn und seine Spätburgunder FRAUEN IM WEIN · TASTING Sternstunden des Syrah<br />
DAS GROSSE DUTZEND Guado al Tasso DIE PIGOTT KOLUMNE Ein Moselaner in (Upstate) New York WEIN UND SPEISEN · WEIN<br />
UND ZEIT Die Zisterzienser und die deutsche Weinkultur DIE WÜRTZ KOLUMNE · GENIESSEN – ABER WIE! · DAS BIER DANACH<br />
*Heft 2/2009 ist leider vergriffen<br />
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<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong>
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EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN – SEIT 1888<br />
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