Nutztierpraxis Aktuell - und Veterinär-Akademie
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N U T Z T I E R P R A X I S<br />
AKTUELL<br />
Das Forum der Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>-<strong>Akademie</strong> Ausgabe 33 · Juni 2010<br />
rAinEr HAGEncorD<br />
Vom Projekt einer theologischen Zoologie 4<br />
AVA<br />
Zur kastration von Ferkeln unter<br />
co 2-Anästhesie 8<br />
ErnSt-GüntHEr HELLwiG<br />
chronischer Botulismus/ Morbus kerner<br />
im Zusammenhang mit Biogasanlagen? 10<br />
MonikA krüGEr<br />
<strong>Aktuell</strong>e Erkrankungen im<br />
Milchviehbetrieb 20<br />
krüGEr, MonikA<br />
chronischer Botulismus in Milchvieh-<br />
beständen Schleswig-Holsteins 24<br />
Antworten auf Anfragen an das<br />
B<strong>und</strong>esministeriumzu chronischem<br />
Botulismus 26<br />
VEronikA rAGALLEr<br />
Bierhefe in der Schweinefütterung! 28<br />
ErnSt-GüntHEr HELLwiG<br />
tetrazykline nicht mehr gewünscht? 30<br />
woLFGAnG HAnSEn<br />
Versand von tierarzneimitteln zulässig? 43<br />
SuSAnnE rAcH<br />
resPig – Ein Monitoringprogramm für<br />
Atemwegserkrankungen des Schweines 44<br />
HAnS-JürGEn kunZ<br />
kryptosporidiendurchfälle bei kälbern 48<br />
FriEDricH tinDLEr<br />
Das Highlight bei der 9. AVA-<br />
Haupttagung 2010 52<br />
M. HoFFMAnn / w. ricHArDt<br />
Zur Strukturwirksamkeit in rationen<br />
für Milchkühe 54<br />
rEnAtE FrASE<br />
Die wichtigsten Sektionstechniken<br />
<strong>und</strong> geeignete Proben für<br />
weiterführende untersuchungen 58<br />
kAtrin MAHLkow-nErGE<br />
Silagebereitung aus der Sicht<br />
der Fütterung 64<br />
cHriStiAnE BEnEScH<br />
Q-Fieber 68<br />
Biogasanlagen schießen zur Zeit wie Pilze aus dem Boden<br />
Alle aktuellen<br />
AVA-Fortbildungstermine<br />
in der Mitte des Heftes<br />
Dirk DrESSLEr<br />
Chronischer humaner Botulismus in<br />
einem landwirtschaftlichen Betrieb mit<br />
chronischem rinderbotulismus 12<br />
HELGE BöHnEL / FrAnk GESSLEr<br />
Botulinumtoxikosen – infektions-<br />
risiken für Mensch <strong>und</strong> tier 14<br />
AVA, Dorfstraße 5, 48612 Horstmar-Leer, PSdg, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, H 58987<br />
Unterstützen sie die göttinger erklärUng (siehe s.13)
Sehr geehrte Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen,<br />
ich hoffe, Sie erinnern sich noch an unsere 9. AVA-Haupttagung in<br />
Göttingen, die mit r<strong>und</strong> 500 Teilnehmern einer der Highlights der<br />
Nutztierfortbildung war. Mit über 50 Referenten <strong>und</strong> mehr als 30 Workshops<br />
stand sicher für jeden Teilnehmer genügend „Stoff“ bereit, um<br />
sich entsprechend „upzudaten“. Der Gesellschaftsabend, mit über 300<br />
Besuchern, ausgebucht, bot genügend Zeit, bei gutem Essen <strong>und</strong> in entspannter<br />
Atmosphäre mit Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, den Referenten <strong>und</strong><br />
auch der Industrie Gespräche zu führen. Die Evaluationen der Tagung<br />
waren durchweg positiv. Wir konnten die Referenten-Tagungssieger<br />
ermitteln: Prof. Dr. Axel Wehrend aus Gießen punktete mit der Note 1,17,<br />
gefolgt von Prof. Dr. Branscheid mit 1,20 <strong>und</strong> Dr. Rademacher mit 1,21.<br />
Der „25. Platz“ erreichte immerhin noch die Note 1,78 <strong>und</strong> eine schlechtere<br />
Bewertung als 2,42 gab es nicht. Unseren Referenten sei auf diese<br />
Weise herzlichst für ihr Engagement gedankt. Auch die Industrie war<br />
mit unserer Veranstaltung sehr zufrieden. Ich möchte den Unternehmen<br />
für ihre Teilnahme <strong>und</strong> Unterstützung der 9. AVA-Haupttagung danken.<br />
Gerne können Sie sich schon den Termin für die 10. AVA-Haupttagung<br />
notieren: 9. bis 13. Februar 2011 im Hotel Freizeit IN in Göttingen (anmelden<br />
<strong>und</strong> Zimmerbuchungen sind bereits möglich).<br />
Der Vortragsteil zum chronischen Botulismus auf der 9. Haupttagung<br />
hat doch sehr viele Praktiker, besonders in der Rindersektion (es gibt<br />
auch erste Verdachtsmomente im Schweinebetrieb), bewegt. Denn hier<br />
scheint etwas auf uns zuzukommen, was von Politik, Verbänden <strong>und</strong><br />
Industrie gerne ignoriert (<strong>und</strong> zum Teil auch verneint) wird. Biogasgärrestmasse!<br />
Kann es hierdurch zu einer massiven Anreicherung von Clostridium<br />
botulinum auf den damit gedüngten Wiesen <strong>und</strong> Feldern kommen?<br />
Es gibt mittlerweile genügend „Verdachtsmomente“, die auf der AVA-<br />
Haupttagung diskutiert wurden <strong>und</strong> die Sie in Artikeln dieser Ausgabe<br />
lesen können. Wir verstehen nicht, warum diese eventuelle Problematik<br />
nicht schnellstmöglich geklärt werden kann. Unsere Referenten Frau Prof.<br />
Krüger, Herr Prof. Böhnel <strong>und</strong> Herr Prof. Dressel sagten gleichermaßen in<br />
ihren Vorträgen, dass bisher keine Forschungsgelder diesbezüglich zur<br />
Verfügung gestellt wurden. Mittlerweile weiß ich von drei praktizierenden<br />
Tierärzten, die an dieser neuen Zoonose des chronischen Botulismus<br />
erkrankten. Auch wenn die „Existenz“ dieses Krankheitsbildes von<br />
sehr vielen Fachleuten dementiert wird, so sollten die bisher aufgetretenen<br />
Verdachtsmomente genügen, intensive Forschungen anzuregen.<br />
Es geht nicht gegen Biogas, sondern gegen eine neue Erkrankungsform<br />
bei Mensch <strong>und</strong> Tier, über deren Ursachen wir Kenntnis haben müssen.<br />
In Biogasanlagen können u.a. als Substrate Schlachtabfälle, Essensreste,<br />
Hühnerkot <strong>und</strong> Hühnergülle etc. eingebracht werden. Clostridium<br />
botulinum hat hier beste Bedingungen, sich entsprechend in diesem<br />
physiologischen Milieu bei 35-38 °C zu vermehren, laut Frau Prof. Krüger.<br />
Und Cl. botulinum verhält sich ganz anders als andere Clostridienarten,<br />
herausgeber, redaktion <strong>und</strong> Anzeigenverwaltung<br />
Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>-<strong>Akademie</strong>,<br />
Ernst-Günther Hellwig<br />
Dorfstraße 5, 48612 Horstmar-Leer<br />
tel: 0 25 51-78 78, Fax: 0 25 51-83 43 00<br />
E-Mail: info@ava1.de, internet: www.ava1.de<br />
satz & layout<br />
PEr.cEPto mediengestaltung,<br />
königstraße 28, 48366 Laer<br />
E-Mail: info@percepto.de<br />
druck & Produktion<br />
Gebrüder Lensing Verlagsanstalt GmbH & co. kG ,<br />
48683 Ahaus<br />
erscheinungsweise<br />
4 x jährlich<br />
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L<br />
issn: 1860-241X<br />
Preise inland<br />
Einzelausgabe: € 4,75 zzgl. € 1,00 Versand<br />
Jahresabonnement: € 19,00 inkl. Versand<br />
Preise Ausland<br />
Einzelausgabe: € 4,75 zzgl. € 4,00 Versand<br />
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Wichtiger hinweis<br />
nutZtiErPrAXiS AktuELL ist eine Zeitschrift für tierärzte der nutztiermedizin.<br />
Markenbezeichnungen können warenzeichenrechtlich geschützt sein,<br />
auch wenn dies bei ihrer Verwendung in dieser Zeitschrift nicht besonders<br />
kenntlich gemacht ist. Angaben über Dosierungsanweisungen <strong>und</strong> Applikationen<br />
sollten in jedem Fall mit den Beipackzetteln der jeweiligen Präparate<br />
verglichen werden. Schadenersatzforderungen an den Herausgeber durch<br />
fehlerhafte Dosisangaben sind ausgeschlossen.<br />
E D i t o r i A L<br />
wie Prof. Krüger weiter erläuterte, die man gerne als Leitkeim (z.B. Cl.<br />
perfringens) heranzieht. Natürlich sind Clostridien ubiquitär, aber „die<br />
Menge macht das Gift“. Bitte unterstützen Sie deshalb auch unsere<br />
Göttinger Erklärung, die Sie auf unserer Homepage (www.ava1.de)<br />
<strong>und</strong> auch in dieser Ausgabe der NUTZTIERPRAXIS AKTUELL (NPA) finden,<br />
um den Forschungsbedarf dieser Problematik einzufordern. Wir müssen<br />
sichergehen, dass wir Tierärzte (<strong>und</strong> natürlich auch Landwirte <strong>und</strong> Tiere)<br />
nicht durch einen möglichen „chronischen Botulinumeintrag“ schwer<br />
erkranken können. Momentan vertreten wir klar <strong>und</strong> deutlich den Standpunkt:<br />
Keine Biogasrestgärmasse auf Wiesen oder Äcker bevor eventuelle<br />
Zusammenhänge nicht geklärt sind! Eine gesonderte Botulinumtagung<br />
findet am 30. September in der Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>- <strong>Akademie</strong><br />
(AVA) statt, die Sie besuchen sollten. Hier vertreten Fachleute der unterschiedlichen<br />
Richtungen ihre Positionen.<br />
Wir haben uns viel mit EDV-Programmen der integrierten Bestandsbetreuung<br />
beschäftigt, denn auch für unsere Praxis waren wir schon<br />
immer auf der Suche nach „dem“ Programm, was unsere tierärztliche<br />
Aufgabe in der Bestandsbetreuung so richtig unterstützt. Alle auf<br />
dem Markt befindlichen Herdenprogramme im Rinderbereich sind gut,<br />
aber mir hat immer ein echtes Tierärzte-Bestandsbetreuungsprogramm<br />
gefehlt, was gleichzeitig das tierärztliche Rechnungswesen integriert <strong>und</strong><br />
sich darauf die Bestandsbetreuung schnell <strong>und</strong> unkompliziert aufbauen<br />
lässt. Wir haben es gef<strong>und</strong>en! Im Programm Animaloffice sehen wir<br />
die ideale Verbindung mit dem Praxisabrechnungsprogramm <strong>und</strong> der<br />
tierärztlichen Bestandsbetreuung. Für den Rinderbereich eine phantastische<br />
Möglichkeit, schnell <strong>und</strong> unkompliziert abzurechnen <strong>und</strong> hierauf<br />
aufbauend die Bestandsbetreuung durchzuführen. Am 25. Juni werden<br />
wir im Rahmen der „Fertilitätstagung Rind“ darauf eingehen <strong>und</strong> dieses<br />
tolle Tierärzteherdenprogramm vorstellen. Versäumen Sie nicht diese<br />
„Tierärztediskussionsr<strong>und</strong>e“ am 25. Juni.<br />
Bald steht die Urlaubszeit vor der Tür, <strong>und</strong> ich möchte Ihnen ein paar<br />
erholsame Tage wünschen, falls Sie sich eine Auszeit gönnen wollen <strong>und</strong><br />
können. Und wenn Sie zu Hause bleiben, vielleicht treten Sie etwas kürzer,<br />
um neue Kraft <strong>und</strong> neuen Schwung für<br />
die bevorstehende Herbstsaison zu tanken.<br />
Einen schönen Sommer <strong>und</strong> alles Gute.<br />
Ihr Ernst-Günther Hellwig<br />
Ernst-Günther Hellwig<br />
Leiter der Agrar- <strong>und</strong><br />
<strong>Veterinär</strong>-<strong>Akademie</strong> (AVA)<br />
i M P r E S S u M<br />
3
A k t u E L L E S<br />
die göttinger erklärUng<br />
um es vorweg zu sagen: Die Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>-<strong>Akademie</strong><br />
(AVA) hat nichts gegen Biogasanlagen. Biogasanlagen werden<br />
(nicht nur) politisch sehr positiv gesehen. Sie sind auf jeden<br />
Fall eine von vielen Alternativen, „lokale Energien“ nutzbar zu<br />
machen (der durchschnittliche Heizwert eines kubikmeters Biogas<br />
entspricht r<strong>und</strong> 0,6 Liter Heizöl).<br />
Der Begriff <strong>und</strong> die mögliche Erkrankung „viszeraler Botulismus“<br />
oder „chronischer Botulismus“ – vielleicht besser „Morbus kerner“<br />
ist stark umstritten. (Dr. Justinus christian kerner, ein romantischer<br />
Dichter <strong>und</strong> Amtsarzt in Baden-württemberg, beschrieb<br />
erstmalig 1817 die Symptome der Botulinumvergiftung, weswegen<br />
in dieser Zeit der Botulismus (botulus = wurst, toxin = Gift)<br />
auch als die kerner’sche Erkrankung bezeichnet wurde).<br />
Für die Einen ist das „Problem“ reine Phantasterei, für Andere eine<br />
sehr ernst zu nehmende „Bedrohung“. Die Meinungen gehen<br />
sehr stark auseinander. Aber gerade diese Meinungsverschiedenheit<br />
zu einem möglichen neuen Erkrankungsbild sollten uns alle<br />
„animieren“, eine wissenschaftliche klärung herbeizuführen, um<br />
letztendlich sicher beurteilen zu können, ob eine ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Gefährdung, nicht nur für uns tierärzte, besteht. Eine ignoranz<br />
der aufgeführten Problematik wäre sicher das falsche Signal.<br />
Auf der 9. Jahrestagung der Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>-<strong>Akademie</strong> (AVA)<br />
im März diesen Jahres in Göttingen mit über 500 teilnehmern,<br />
wurde diese neue Problematik des chronischen Botulismus vorgestellt<br />
<strong>und</strong> intensiv diskutiert. wissenschaftler aus dem Human- <strong>und</strong><br />
<strong>Veterinär</strong>bereich berichteten über diese Form des krankheitsbildes<br />
des Botulismus bei tieren (u.a. Milchkühe) <strong>und</strong> auch Menschen,<br />
hervorgerufen durch clostridium botulinum. Die durch Stoffwechselprodukte<br />
(toxine) bestimmter clostridien (bes. clostridium botulinum),<br />
verursachten Erkrankungen nehmen in Deutschland nachweisbar<br />
insbesondere in den hochleistenden Milchviehbetrieben an<br />
Bedeutung zu, so die „Botulinumreferenten“ auf der AVA-tagung<br />
in Göttingen. Erste Meldungen bestätigen auch Erkrankungen mit<br />
diesen Erregern im Schweinebereich.<br />
Ernst-Günther Hellwig<br />
ChronisCher BotUlisMUs/<br />
MorBUs kerner iM zUsAMMenhAng Mit<br />
BiogAsAnlAgen?<br />
Man sollte einiges dazu wissen: Biogasanlagen werden u.a. mit<br />
Fäkalien in Form von Mist <strong>und</strong> Gülle „gespeist“, was natürlich<br />
gerade in viehintensiven Gebieten, wie wir finden, sehr vorteilhaft<br />
sein kann. Gärreste aus Biogasanlagen (besonders bei Geflügelfäkalien<br />
<strong>und</strong> tierischen reststoffen (Lebensmittel etc.)) können zu<br />
erheblichen teilen mit pathogenen clostridien, also auch clostridium<br />
botulinum, kontaminiert sein, so die wissenschaftler!<br />
Durch das Ausbringen der Gärreste aus Biogasanlagen auf Grünfutterflächen<br />
<strong>und</strong> Äckern kann der meist zu Silagen verarbeitete<br />
Grünschnitt entweder direkt durch an den Gräsern haftende Bakterien<br />
(Biofilm) oder durch Einbringen von Bodenbestandteilen<br />
in das Siliergut u.a. mit clostridien kontaminiert <strong>und</strong> so in das<br />
tierfutter gelangen mit den Folgen eines möglichen chronischen<br />
Botulismus. Besonders die referenten Prof. Dr. H. Böhnel <strong>und</strong><br />
Prof. Dr. M. krüger <strong>und</strong> Dr. B. Schwagerick wiesen auf die bisher<br />
gemachten Beobachtungen eines möglichen Zusammenhanges<br />
des krankheitsbildes mit Biogasanlagen hin. unter diesen umständen<br />
können sich auch die tierhalter, bzw. tierbetreuer, ja selbst<br />
tiermediziner, mit dem Erreger infizieren, wie der Mediziner Prof.<br />
Dr. D. Dressler, international anerkannter Botulinumspezialist, ausführte.<br />
uns sind mittlerweile drei kollegen in der tierärzteschaft<br />
bekannt, die an der Erkrankung litten. Aber Forschungsprojekte<br />
diesbezüglich gibt es zurzeit nicht!<br />
WAs Von der AVA UnternoMMen WUrde<br />
wir haben nahezu alle landwirtschaftlichen institutionen <strong>und</strong> landwirtschaftlichen<br />
Presseorgane im rinder- <strong>und</strong> auch Schweinebereich<br />
(denn auch hier gibt es erste Verdachtsmomente einer möglichen<br />
„Erkrankung“) über diesen unklaren Sachverhalt informiert,<br />
dass wir die unterstützung in der Forderung von Forschungsvorhaben<br />
zur klärung einer möglichen Botulinumkontamination des<br />
Futters durch Biogasgärrestmasse wünschen. Jedoch wurde die<br />
Meldung größtenteils vollkommen ignoriert. Der Fachverband<br />
Biogas e.V. hat uns aber zugesagt, möglichen Diskussionspunkten<br />
diesbezüglich nachzugehen. Jedoch kam der Einwand, dass die<br />
Hygienisierung clostridienkontaminationen ausschließen würden,<br />
was bereits vor Jahren bestätigt worden wäre.<br />
10 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
A k t u E L L E S<br />
Bewegungsstörungen <strong>und</strong> co einer Botulinumkuh Foto: Schwagerick<br />
Die AVA <strong>und</strong> auch tierarzt <strong>und</strong> MdB, Vorsitzender des Ausschusses<br />
für Ernährung, Landwirtschaft <strong>und</strong> Verbraucherschutz,<br />
Hans Michael Goldmann, haben an Frau Ministerin Aigner eine<br />
Stellungnahme zur möglichen Problematik gefordert (s. Seite<br />
24). Ebenso haben der agrarpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,<br />
tierarzt <strong>und</strong> MdB Dr. wilhelm Priesmeier <strong>und</strong> der ges<strong>und</strong>heitspolitische<br />
Sprecher der cDu, MdB Jens Spahn, jeweils eine Anfrage<br />
an das Landwirtschafsministerium gestellt. Das B<strong>und</strong>esinstitut für<br />
risikobewertung (Bfr) wurde ebenso eingeschaltet, mit der Bitte<br />
um klärung.<br />
Ende April fand in<br />
der Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>-<br />
<strong>Akademie</strong> (AVA)<br />
ein treffen von 14<br />
wissenschaftlern der<br />
tiermedizin (Leipzig,<br />
Göttingen), ökotrophologen<br />
<strong>und</strong> Verfahrungstechnikern<br />
der universität Münster<br />
statt. Die <strong>Veterinär</strong>mediziner<br />
(Prof.<br />
clostridium botulinum<br />
Dr. M. krüger, Prof.<br />
Dr. H. Böhnel, Dr. F.<br />
Gessler) stellten ihre bisherigen Arbeitsergebnisse zur Problematik<br />
vor, die den Verfahrenstechnikern in dieser Dimension nicht<br />
bekannt waren. in der mehrstündigen Diskussion wurde erreicht,<br />
dass technikern <strong>und</strong> ökotrophologen das Problem bewusst<br />
gemacht werden konnte <strong>und</strong> somit Eingang in die tägliche Arbeit<br />
findet. über gemeinsame Projekte wollen <strong>Veterinär</strong>mediziner<br />
<strong>und</strong> technologen die finanziellen Voraussetzungen schaffen, das<br />
Problem einer Lösung zuzuführen. Einstimmig wurde konstatiert,<br />
dass es nicht um Abschaffung von Biogasanlagen, sondern um<br />
Verfahren zur Gefahrensminimierung geht.<br />
wir wollen noch einmal klarstellen: in der Göttinger Erklärung<br />
sollen nicht die Biogasanlagen in Frage gestellt werden. Eine<br />
klärung der Häufung von Erkrankungsfällen mit chronischem<br />
Botulismus bei tieren <strong>und</strong> Menschen muss durch entsprechende<br />
Forschungsprojekte erfolgen, um eine mögliche wachsende<br />
Gefahr für unsere tierbestände, für die tierhalter, Betreuer <strong>und</strong><br />
natürlich auch tierärzte zu verhindern. wenn Sie unklare krankheitsfälle<br />
im rinder- <strong>und</strong> Schweinebetrieb vorfinden, denken Sie<br />
bitte auch differentialdiagnostisch an die Möglichkeit des neuen<br />
Erkrankungsbildes eines chronischen Botulismus.<br />
in den Augen der tagenden tierärzte der 9. AVA-Jahrestagung<br />
besteht auf jeden Fall unbedingter Forschungsbedarf. �<br />
Ernst-Günther Hellwig<br />
Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>- <strong>Akademie</strong> (AVA)<br />
BesUChen sie die BotUlisMUstAgUng<br />
AM 30. sePteMBer Bei der AVA in horstMAr/leer!<br />
11
A k t u E L L E S<br />
Botulismus beschreibt die intoxikation eines organismus mit Botulinum<br />
toxin (Bt). Beim Menschen kann diese intoxikation exogen,<br />
etwa durch nahrungsmittel, Aerosole <strong>und</strong> Stäube, oder endogen<br />
durch eine in situ-Produktion von Bt, wie beim w<strong>und</strong>botulismus<br />
oder kinderbotulismus, erfolgen. üblicherweise ist der Botulismus<br />
eine perakute lebensbedrohliche Erkrankung. Attenuierte<br />
Verläufe sind jedoch vereinzelt beschrieben. nicht beschrieben ist<br />
bislang ein chronischer Botulismus beim Erwachsenen.<br />
in einem landwirtschaftlichen Betrieb war seit 2.5 Jahren rinderbotulismus<br />
mit nachweis von freiem Bt der Gruppe c/D im kot<br />
aufgetreten. in diesem Betrieb untersuchten wir 8 Personen.<br />
HrS (29 Jahre, männlich) litt seit 2 Jahren unter Muskelschwäche,<br />
die in Phasen von etwa 4 bis 6-wöchiger Dauer auftrat. Zwischen<br />
den Phasen kam es zu einer mehrwöchigen partiellen Erholung.<br />
Zusammen mit der Muskelschwäche klagte der Patient über ein<br />
Schweregefühl der Augenlider, ein kloßgefühl beim Schlucken,<br />
ein Steifigkeitsgefühl in der M<strong>und</strong>region, eine Blendempfindlichkeit,<br />
eine trockenheit des M<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Augen <strong>und</strong> ein wiederholtes<br />
Schleiersehen. Seit 2 Monaten war es zu einem gehäuften<br />
Harndrang mit täglich 20-maligen Ausscheidungen geringer Harnmengen<br />
bei fortbestehendem restharngefühl gekommen. in der<br />
neurologischen untersuchung, die in einer Phase der partiellen<br />
rückbildung der Beschwerden stattfand, zeigten sich eine symmetrische,<br />
mäßig ausgeprägte tetraparese (Mrc-kraftgrad 3-4) <strong>und</strong><br />
eine Dysarthrie. Der sonstige klinische Bef<strong>und</strong> war unauffällig.<br />
HkS (32 Jahre, männlich) litt seit 2 Jahren ebenfalls unter einer<br />
Muskelschwäche, die in Phasen von etwa 3 bis 4-wöchiger Dauer<br />
auftrat. Zwischen den Phasen kam es zu einer mehrwöchigen<br />
partiellen Erholung. Zusammen mit der Muskelschwäche klagte<br />
der Patient über ein Schweregefühl der Augenlider, die zu einem<br />
auffällig vermehrten Stirnrunzel geführt habe, ein kloßgefühl<br />
beim Schlucken, eine Augentrockenheit mit Fremdkörpergefühl,<br />
eine vermehrte Blendempfindlichkeit <strong>und</strong> ein 7 bis 8-maliges<br />
wasserlassen pro tag bei fortbestehendem restharngefühl. in<br />
der neurologischen untersuchung, die in einer Phase partieller<br />
rückbildung der Beschwerden stattfand, zeigten sich eine symmetrische,<br />
mäßig ausgeprägte tetraparese (Mrc-kraftgrad 3-4) <strong>und</strong><br />
eine Dysarthrie. Der sonstige klinische Bef<strong>und</strong> war unauffällig.<br />
Dirk Dressler<br />
ChronisCher hUMAner BotUlisMUs<br />
in eineM lAndWirtsChAFtliChen BetrieB<br />
Mit ChronisCheM rinderBotUlisMUs<br />
MG (29 Jahre, männlich) litt seit Aufnahme seiner tätigkeit in<br />
dem betroffenen Betrieb vor 1 Jahr ebenfalls unter Muskelschwäche,<br />
die in Phasen von etwa 2 bis 3-wöchiger Dauer auftrat. Zwischen<br />
den Phasen kam es zu einer partiellen Erholung. Zusammen<br />
mit der Muskelschwäche klagte der Patient über einen gehäuften<br />
Harndrang mit 30-maligen Ausscheidungen geringer Harnmengen<br />
bei fortbestehendem restharngefühl, gehäufte Diarrhoen<br />
<strong>und</strong> eine vermehrte Blendempfindlichkeit. in der neurologischen<br />
untersuchung, die in einer Phase der partiellen rückbildung der<br />
Beschwerden stattfand, zeigten sich eine symmetrische tetraparese<br />
(Mrc-kraftgrad 3-4) <strong>und</strong> ein bilateral reduzierter Lidschluss.<br />
nJ (18 Jahre, weiblich) mit regelmäßigem rinderkontakt litt seit<br />
2 Jahren an heftigem Sodbrennen <strong>und</strong> epigastrischem Schmerz.<br />
ihre weitere Anamnese <strong>und</strong> ihre neurologische untersuchung<br />
waren unauffällig.<br />
Beim Ausschluß anderer ursachen diagnostizierten wir bei den<br />
Patienten HrS, HkS <strong>und</strong> MG das Vorliegen eines chronischen<br />
Botulismus. Bei der Patientin nJ könnte eine Bt-induzierte distale<br />
oesophagussphinkter-Schwäche vorliegen. 3 Personen mit<br />
gelegentlichem rinderkontakt waren anamnestisch <strong>und</strong> klinischneurologisch<br />
unauffällig.<br />
Damit ist erstmalig das krankheitsbild des chronischen Botulismus<br />
beim Erwachsenen beschrieben. weitere untersuchungen (nachweis<br />
von freiem Bt, Bt-Antikörpern, neurophysiologische untersuchungen,<br />
gezielte weitere apparative Diagnostik) müssen folgen.<br />
Der intoxikationsweg kann auf einer intestinalen Besiedelung mit<br />
clostridium botulinum oder aber auf einer kontinuierlichen exogenen<br />
Bt-Zufuhr basieren. Schlussendlich wird die epidemiologische<br />
relevanz dieses neuen krankheitsbildes zu untersuchen sein. �<br />
Prof. of Neurology MD PhD Dirk Dressler<br />
Hannover Medical School<br />
Carl-Neuberg-Str. 1<br />
30625 Hannover<br />
Mail: dressler.dirk@mh-hannover.de<br />
Referent der 9. AVA-Haupttagung<br />
12 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0
die göttinger erklärung<br />
anlässlich der 9. AVA haupttagung<br />
vom 17. bis 21. März<br />
2010 in göttingen<br />
Botulinumtoxikosen –<br />
Chronischer Botulismus<br />
Wir, die unterzeichnenden Tierärztinnen<br />
<strong>und</strong> Tierärzte, äußern<br />
unsere große Besorgnis über die<br />
Zunahme von Clostridium botulinum-<br />
Toxikosen in der deutschen<br />
Milchviehhaltung.<br />
Diese durch Stoffwechselprodukte<br />
(toxine) von bestimmten clostridien<br />
(bes. Clostridium botulinum, aber<br />
auch Stämme von c. butyricum <strong>und</strong><br />
c. baratii), verursachten Erkrankungen<br />
nehmen in Deutschland nachweisbar<br />
insbesondere in den hochleistenden<br />
Milchviehbetrieben an Bedeutung zu.<br />
Erste Meldungen bestätigen auch kontaminationen<br />
mit diesen Erregern im<br />
Schweinebereich.<br />
clostridien sind anaerobe, sporenbildende<br />
Bakterien, die ihr Habitat im<br />
Boden, in Schlämmen, im intestinaltrakt<br />
von Menschen <strong>und</strong> tieren, in<br />
<strong>und</strong> auf insekten, würmern sowie in<br />
<strong>und</strong> auf Pflanzen haben. Es handelt<br />
sich um eine sehr alte Mikroorganismengruppe<br />
(r<strong>und</strong> 3,4 Mrd. Jahre<br />
alt), die aufgr<strong>und</strong> ihrer stoffwechselinaktiven<br />
überlebensform (Sporen)<br />
sehr lange (Jahrzehnte, Jahrh<strong>und</strong>erte)<br />
lebensfähig bleiben <strong>und</strong> bei passender<br />
Gelegenheit wieder auskeimen <strong>und</strong><br />
ihr krankmachendes Potential mittels<br />
toxinbildung entfalten können.<br />
Die Globalisierung der menschlichen<br />
Lebensweise (tierhandel, Futtermittelhandel,<br />
Lebensmittelhandel) <strong>und</strong><br />
tourismus führen zu einer weltweiten<br />
Verbreitung der clostridien, so dass<br />
bisherige geospezifische unterschiede<br />
mehr <strong>und</strong> mehr verwischt werden.<br />
Dagegen ist die Bedeutung bisheriger<br />
natürlicher übertragungen z.B. durch<br />
Staubstürme oder Zugvögel zu vernachlässigen.<br />
unter den Bedingungen der modernen<br />
Landwirtschaft fallen größere<br />
Mengen an Fäkalien in Form von Mist<br />
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
<strong>und</strong> Gülle an. Diese werden normalerweise<br />
direkt durch Ausbringung auf<br />
landwirtschaftliche nutzflächen (Düngung)<br />
oder durch die Einspeisung in<br />
Biogasanlagen genutzt.<br />
in Biogasanlagen können sich allerdings<br />
pathogene clostridien beim<br />
Aufschluss der Gärsubstrate vermehren.<br />
Hier hilft auch die geforderte<br />
Hygienisierung bei 70°c über eine<br />
St<strong>und</strong>e sehr wenig, weil die clostridien<br />
wegen ihrer Sporenbildung dadurch<br />
nicht inaktivierbar sind, sondern im<br />
Gegenteil, die antagonistische Bakterienflora<br />
beseitigt wird <strong>und</strong> die versporten<br />
clostridien dadurch sogar noch<br />
den reiz zum Auskeimen erhalten.<br />
Die Gärreste aus Biogasanlagen sind<br />
zu erheblichen teilen mit pathogenen<br />
clostridien, auch clostridium botulinum,<br />
kontaminiert.<br />
durch das Ausbringen dieser gärreste<br />
auf grünfutterflächen <strong>und</strong><br />
äckern wird der meist zu silagen<br />
verarbeitete grünschnitt entweder<br />
direkt durch an den gräsern<br />
haftende Bakterien (Biofilm) oder<br />
durch einbringen von Bodenbestandteilen<br />
in das siliergut mit<br />
den Clostridien kontaminiert <strong>und</strong><br />
gelangt so in das tierfutter.<br />
Dieser Prozess der permanenten kontamination<br />
der pathogenen clostridien<br />
(über die Grünfutter, wie z.B.<br />
Silagen) mit der Herde verläuft meist<br />
über 2-3 Jahre. Der Landwirt sieht sehr<br />
unspezifische klinische Bilder. registriert<br />
wird in erster Linie der Leistungsabfall<br />
einzelner tiere, bzw. der Herde.<br />
in den Beständen schaukelt sich das<br />
Erkrankungsgeschehen auf. immer<br />
mehr clostridien gelangen in den tierkörper<br />
<strong>und</strong> können sich hier auch vermehren<br />
<strong>und</strong> das Botulinumtoxin mehr<br />
oder weniger produzieren. natürlich<br />
steigt auch die Erregerkonzentration<br />
im umfeld der tiere mehr <strong>und</strong> mehr.<br />
Sind bestimmte Grenzwerte erreicht,<br />
wird das klinische Bild des chronischen<br />
Botulismus mit Paresen (Lähmungen)<br />
etc. sichtbar.<br />
Die gesamte clostridienproblematik<br />
wurde eingehend auf der 9. Agrar- <strong>und</strong><br />
<strong>Veterinär</strong>- <strong>Akademie</strong> (AVA) – Hauptta-<br />
r i n D E r P r A X i S<br />
Unterstützen sie die „göttinger erklärUng“<br />
gung in Göttingen im März 2010 diskutiert.<br />
Besonders die referenten Prof.<br />
Dr. H. Böhnel <strong>und</strong> Prof. Dr. M. krüger<br />
wiesen mit nachdruck auf die bisher<br />
gemachten Beobachtungen hin. Dr.<br />
B. Schwagerick, Beratungstierärztin<br />
beim rGD MV, hat mit dieser Problematik<br />
betroffene Praxisfälle auf Milchviehbetrieben<br />
untersucht <strong>und</strong> auf der<br />
AVA-tagung den teilnehmenden <strong>Veterinär</strong>medizinern,<br />
in der regel Praktiker,<br />
vorgestellt. unter diesen umständen<br />
können sich auch die tierhalter, bzw.<br />
tierbetreuer, ja selbst tiermediziner<br />
mit dem Erreger infizieren. Der Mediziner<br />
Prof. Dr. D. Dressler, international<br />
anerkannter Botulinumspezialist,<br />
hat auf dieser 9. AVA-Haupttagung<br />
erstmalig auf das Erkrankungsbild bei<br />
vier Personen mit kontakt zu -an chronischem<br />
Botulismus erkrankten rindern-<br />
beschrieben.<br />
Die Häufung der Erkrankungsfälle von<br />
chronischem Botulismus bei tieren <strong>und</strong><br />
Menschen zwingt uns tierärzte, die<br />
wegen der intensiven kontakte zum<br />
Patienten-tier während der klinischen<br />
untersuchungen die ersten sind, die<br />
sich mit den Erregern infizieren können,<br />
darauf aufmerksam zu machen, dass<br />
hier eine ständig wachsende Gefahr<br />
für unsere tierbestände, für die tierhalter<br />
<strong>und</strong> Betreuer, incl. tiermediziner<br />
<strong>und</strong> die im umland der mit Gärresten<br />
gedüngten Grünland- <strong>und</strong> Ackerflächen<br />
lebenden Menschen entsteht.<br />
Das ges<strong>und</strong>heitliche risiko, das von<br />
Biogasanlagen ausgeht, muss von den<br />
politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich Verantwortlichen<br />
zur kenntnis genommen<br />
werden. Es besteht unbedingter Handlungsbedarf!<br />
Wir tierärzte fordern Forschungsprojekte,<br />
die sich mit diesen risiken<br />
intensiv auseinandersetzen <strong>und</strong><br />
Vorschläge zur lösung des Problems<br />
erarbeiten.<br />
Ernst-Günther Hellwig, Gründer <strong>und</strong><br />
Leiter der AVA <strong>und</strong> tierärztinnen <strong>und</strong><br />
tierärzte, teilnehmer der 9. AVA-<br />
Haupttagung<br />
Unterzeichnen können Sie im<br />
Internet unter www.ava1.de<br />
13
A k t u E L L E S<br />
BotUlinUMtoxikosen<br />
Der Begriff „Botulinumtoxikosen“ umfasst Erkrankungen, die<br />
durch Stoffwechselprodukte von clostridien (Botulinumtoxin)<br />
verursacht werden.<br />
clostridien sind anaerobe Bakterien, die ursprünglich den Boden<br />
als Habitat haben, aber auch im Meeresschlick, im intestinaltrakt<br />
von Mensch <strong>und</strong> tier, auf <strong>und</strong> in insekten, würmern, aber auch<br />
in <strong>und</strong> auf Pflanzen vorkommen können.<br />
Viele clostridien sind weitverbreitet, sie können regional unterschiedlich<br />
(geospezifisch) vorkommen <strong>und</strong> in bestimmten Gebieten<br />
zur normalen Bodenflora gehören. Sie können unter besonderen<br />
Lebensbedingungen überlebensformen (Sporen) bilden,<br />
die viele Jahre (Jahrzehnte, Jahrh<strong>und</strong>erte) lebensfähig bleiben.<br />
Durch weltweiten Handel mit tieren, tierprodukten, Pflanzen <strong>und</strong><br />
Pflanzenprodukten, durch tourismus, durch Staubstürme können<br />
clostridien weit verbreitet werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass<br />
plötzlich neue Erreger in Gegenden auftreten, in denen sie zuvor<br />
unbekannt waren.<br />
in diesem Beitrag soll besonders clostridium (c.) botulinum<br />
besprochen werden. ursprünglich war die Spezies c. botulinum<br />
dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder Stoffwechselprodukte<br />
gebildet haben, die als stärkste biologische Giftstoffe (Botulinumtoxin)<br />
gelten (10.000-fach stärkere toxische wirkung als<br />
Zyankali). nunmehr gibt es c. botulinum-Stämme, die apathogen<br />
sind <strong>und</strong> andere clostridienspezies, bei denen einzelne Stämme<br />
Botulinumtoxin bilden.<br />
Die klassische Einteilung von c. botulinum in 7 typen (A-G)<br />
wird derzeit durch moderne wissenschaftliche untersuchungen<br />
aufgefächert: Es gibt nunmehr etwa 20 Subtypen <strong>und</strong> etwa<br />
60-70 Serovare. Diese Vielfalt erklärt zum einen die bekannten<br />
klinischen unterschiede der Botulinumtoxikosen bei Mensch <strong>und</strong><br />
tier, andererseits kann man sich nicht mehr darauf berufen,<br />
dass einige typen nur für einige tierspezies oder den Menschen<br />
pathogen seien. Da es eine horizontale genetische übertragung<br />
für toxinbildung auf andere clostridien gibt, wird die Diagnose<br />
der ursächlichen Zusammenhänge wesentlich erschwert. Die<br />
Helge Böhnel / Frank Gessler<br />
BotUlinUMtoxikosen –<br />
inFektionsrisiken Für MensCh Und tier<br />
(unter besonderer Berücksichtigung von schwein bzw. rind)<br />
typisierung ist besonders bei der Frage des Einsatzes von impfstoff<br />
wichtig, da Botulinumtoxine als typspezifisch praktisch ohne<br />
kreuzreaktionen gelten.<br />
Die in der Bakteriologie übliche Diagnose hängt von der Gewinnung<br />
von Einzelkulturen ab, deren toxin bildende Eigenschaften<br />
dann nachgewiesen werden. Dies ist bei einzelnen typen bzw.<br />
Stämmen von c. botulinum fast unmöglich, was einen Einfluss<br />
auf die Herstellung von bestandsspezifischen impfstoffen hat<br />
(s.u.). Moderne molekularbiologische nachweisverfahren können<br />
einzelne toxingene oder Bausteine der clostridien nachweisen;<br />
es gibt derzeit aber kein einheitliches Verfahren, das die Präsenz<br />
von clostridien, die Botulinumtoxin produzieren können, von toxinen,<br />
die in verschiedenen Substraten gebildet worden sind, <strong>und</strong><br />
deren Gewinnung aus unterschiedlichen Matrices (z.B. organproben,<br />
Darminhalt, Boden- <strong>und</strong> Futterproben) ermöglichen. Das<br />
erschwert die Diagnose als Ganzes <strong>und</strong> die interpretation der<br />
Ergebnisse im Besonderen (s.u.).<br />
c. botulinum bildet sog. Biofilme. Das sind schwammartige<br />
Zusammenballungen unterschiedlicher Bakterien in einer Masse<br />
aus bakteriellen Exsudaten, die z.B. auf Pflanzen, in Silage, auf<br />
der Auskleidung des Magen-Darmtraktes <strong>und</strong> auf anderen oberflächen<br />
zu finden sind. Dadurch ist es unmöglich, eine genaue<br />
Zählung von Bakterien <strong>und</strong> eine dadurch hervorgerufene pathologisch/toxische<br />
wirkung zu bestimmen. Gleichfalls sind dadurch<br />
die sich im inneren der Biofilme befindlichen vegetativen Bakterienformen<br />
durch Medikamente oder Desinfektionsmittel nicht in<br />
der weise zu beeinflussen, wie es unter Laborbedingungen mit<br />
Einzelkolonien möglich ist (Abb. 1).<br />
Die von c. botulinum gebildeten toxine lassen sich in<br />
• neurotoxine, die z.B. im nervensystem wirken, <strong>und</strong> in<br />
• sonstige toxine (z.B. Hämolysine, cytotoxische Substanzen)<br />
trennen. Zusätzlich gibt es noch<br />
• Hüllsubstanzen, die die neurotoxine teilweise vor dem Einfluss<br />
von Verdauungsenzymen schützen.<br />
Die Gesamtheit der Stoffwechselprodukte von c. botulinum, die<br />
eigentlich die Bezeichnung „Botulinumtoxin“ darstellen sollte, ist<br />
14 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0
Abb. 1: Biofilmbildung durch c. botulinum<br />
das pathogene Prinzip. Sie wird durch andere Bakterientoxine <strong>und</strong><br />
Stoffwechselprodukte, durch Mykotoxine <strong>und</strong> z.B. biochemische<br />
Bestandteile in der direkten umgebung der Bakterien beeinflusst.<br />
unter der Bezeichnung „Botulinumtoxin“ wird aber meist nur das<br />
Botulinumneurotoxin verstanden, das als alleinigen Angriffspunkt<br />
nerv-Muskelsynapsen haben soll.<br />
in der Literatur ist eine Vielzahl von Beeinflussungen von körperzellen<br />
<strong>und</strong> regelkreisen beschrieben, die mit reinsubstanzen<br />
der neurotoxine meist in Zellkulturen nachgewiesen worden<br />
waren. obwohl diese Versuche meist mit toxinkonzentrationen<br />
durchgeführt wurden, die höher liegen können als gegebenenfalls<br />
tödliche Mengen unter natürlichen Bedingungen, ist darauf<br />
hinzuweisen, dass die alleinige wirkung von Botulinumtoxin auf<br />
die Muskelsynapsen nicht haltbar ist (Abb. 2). Es gibt Veröffentlichungen,<br />
die von ausschließlich vegetativ bedingten Störungen<br />
berichten.<br />
Die neurotoxine von c. botulinum werden in die typen A-G eingeteilt;<br />
es gibt Mischformen <strong>und</strong> Fälle von Mischinfektionen. im<br />
Gegensatz zu anderen toxikosen ist allerdings über die wirkung<br />
geringster Mengen von Botulinumtoxin über einen längeren<br />
Zeitraum wenig bekannt. neurotoxine haben eine kumulative wirkung,<br />
da einmal geschädigte neuronen für die Signalübertragung<br />
ausfallen <strong>und</strong> gegebenenfalls durch neubildung von Synapsen<br />
ersetzt werden müssen.<br />
Die Botulinumtoxinbildung erfolgt außerhalb des körpers( mit<br />
anschließender Aufnahme meist über den Verdauungstrakt als<br />
intoxikation), oder innerhalb des körpers (nach Aufnahme von<br />
Bakterien mit anschließender toxinbildung als infektion, bei c.<br />
botulinum meist toxikoinfektion genannt.) unterschiedliche Faktoren<br />
bewirken das (sichtbare) klinische Bild (Abb. 3).<br />
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
• Muskulatur (glatt, Quergestreift, Herz<br />
• Organ bzw Zellkultur<br />
Gehirn kleinhirn Hippocampus<br />
A k t u E L L E S<br />
Zirbeldrüse rückenmark Hypophyse (VL/HL)<br />
Pankreas nebenniere Parotis<br />
Erythrocyten nasenschleimhaut Lungenendothel<br />
niere Harnblase Gebärmutter<br />
Samenleiter Spermie Fettgewebe<br />
Abb. 2: Angriffspunkte der pharmakologischen wirkungen von verschiedenen<br />
Botulinumtoxinen auf organsysteme<br />
toxintyp<br />
toxinmenge<br />
Aufnahmedauer<br />
Aufnahmeort<br />
tierart<br />
Vorerkrankung<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
Abb. 3: Faktoren zur Entstehung von klinischen Botulinumtoxikosen<br />
Bei einer reinen intoxikation liegt der Ausbruch der Erkrankung<br />
meist innerhalb weniger St<strong>und</strong>en nach der Aufnahme; das verursachende<br />
Futtermittel ist meist noch zu identifizieren. Bei einer<br />
nestförmigen toxinbildung im Futter kann aber das noch verfügbare<br />
Futter kein nachweisbares toxin enthalten, da u.u. alles toxin<br />
schon vorher aufgenommen worden war. Bei einer toxikoinfektion<br />
ist in der regel die Aufnahme eines bestimmten Futters nicht mehr<br />
nachzuvollziehen. Bei viszeralem Botulismus mit seiner schwach<br />
ausgeprägten Symptomatik bleibt wie bei vielen chronischen<br />
Erkrankungen eine spezifische krankheitsursache verborgen.<br />
Es ist gerechtfertigt für die klassische Bezeichnung „Botulismus“<br />
= wurstvergiftung unter pharmakologischen Gesichtspunkten die<br />
Bezeichnung „Botulinumtoxikose“, unter klinischen Erwägungen<br />
„Botulinumsyndrom“ zu verwenden. Bei „viszeralem Botulismus“<br />
wird das Vorherrschen von nicht-muskulären Symptomen, oft<br />
gefolgt vom tod, gekennzeichnet. Der klinische Verlauf der Botulinumtoxikose<br />
ist in Abb. 5 dargestellt. wie ersichtlich ist, hängt die<br />
wahrnehmung der Erkrankung auch von verschiedenen Faktoren<br />
bei der Diagnose ab (Erfahrung des untersuchers, Hilfsmittel wie<br />
Laboruntersuchungen, etc.).<br />
klinische Bilder bei viszeralem Botulismus (bei rind nachgewiesen,<br />
Aufstellung entsprechend dem neuesten Leitfaden zur Diagnostik<br />
des Botulinumsyndroms, bei Schwein nur teilweise nachgewiesen,<br />
teilweise vermutet) sind in Abb. 4 dargestellt.<br />
Die Labordiagnose beruht auf theoretischen <strong>und</strong> praktisch nachweisbaren<br />
Eigenschaften von c. botulinum <strong>und</strong> den Botulinumtoxinen.<br />
in etwa einem Drittel der Fälle wird ein klinischer<br />
Verdachtsfall nicht durch die Labordiagnose gestützt, auch wenn<br />
sonst keine andere krankheitsursache erkennbar bzw. nachweisbar<br />
ist. Beim tierversuch in der Maus zählt ein negatives Ergebnis<br />
15
A k t u E L L E S<br />
Rind Schwein<br />
Atyp. Festlieger (Milchfiebertherapie<br />
wirkungslos)<br />
Somnolenz, auffällige Ruhe im Stall,<br />
Verharren der Kühe, kaum Ohren- oder<br />
Schwanzbewegungen<br />
Ataxien, Muskelschwäche, v.a.<br />
Hintergliedmaße, vermehrtes Liegen,<br />
Zusammenbrechen<br />
Sehschwäche, ängstliches/ abartiges<br />
Verhalten<br />
Leistungsabfall <strong>und</strong> schneller<br />
Gewichtsverlust (Einzeltiere)<br />
Durchfall <strong>und</strong> Obstipationen gleichzeitig in<br />
einer Gruppe, hohler, gespannter Bauch<br />
Pansenfunktionsstörungen („fester Pansen“,<br />
Tympanie, Hypotonie, Wiederkauen<br />
schwach)<br />
Somnolenz, auffällige Ruhe im Stall,<br />
Körperliche Schwäche, Erdrücken von<br />
Ferkeln<br />
Leistungsabfall<br />
Durchfall <strong>und</strong> Obstipationen<br />
Verminderte Milchmenge trotz<br />
Oxytocingabe<br />
Muköses Speicheln, Schluckstörungen<br />
Labmagenverlagerungen, häufig ohne<br />
Heilung nach OP<br />
Vermehrt rauschbrandartige Entzündungen<br />
(subkutan, Euter- Schenkel- Ekzem z.B.)<br />
Schwere Klauen- /Gelenksentzündungen<br />
nach kleiner Verletzung (Klauenschnitt)<br />
Verstärkte Gefäßinjektion, Ödemneigung Ödemneigung (Gesäuge)<br />
(Triel, Euter)<br />
Atypische Pneumonien, kurzes, stoßartiges<br />
Husten<br />
Wehenschwäche, Nachgeburtsverhaltungen Wehenschwäche, Nachgeburtsverhaltungen<br />
Verringerte Wurfgröße<br />
Geburt lebensschwacher Kälber Geburt lebensschwacher Ferkel<br />
Abb. 4: klinische Bilder bei viszeralem Botulismus<br />
Abb. 4: Klinische Bilder bei viszeralem Botulismus<br />
nicht als nachweis, dass es sich nicht um eine Botulinumtoxikose<br />
handelt! Bei den modernen molekularbiologischen nachweisverfahren<br />
gibt es sowohl falsch positive als auch falsch negative<br />
Ergebnisse. Es gibt noch kein allgemein gültiges nachweisverfahren.<br />
Letztlich ist oft der tierarzt mit seiner klinischen (Verdachts-)<br />
Diagnose allein gelassen.<br />
Die wHo weist (für den Menschen) darauf hin, dass man bei durch<br />
Lebensmittel bedingten Erkrankungen keine Mindestinfektionsdosis<br />
angeben kann, da theoretisch ein einziges Bakterium für den<br />
Beginn einer Erkrankung ausreicht. wie bei anderen infektionskrankheiten<br />
kann man davon ausgehen, dass die wahrscheinlichkeit,<br />
dass es zu einer Erkrankung kommt, auch bei c. botulinum<br />
von der Anzahl der Bakterien <strong>und</strong> deren toxinbildungsvermögen<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls von dem bereits gebildeten toxin abhängt.<br />
Eine zeitliche Zuordnung von Generationszeit (Vermehrungsrate)<br />
<strong>und</strong> toxinbildung hängt von den im Einzelfall vorherrschenden<br />
Bedingungen ab. Früher war Botulismus dadurch gekennzeichnet,<br />
dass es sich in der regel um Erkrankungen einzelner tiere in einer<br />
Herde/in einem Betrieb handelte.<br />
Zum Zeitpunkt des Erkennens einer möglichen Erkrankung sind<br />
die betroffenen körperzellen durch resorbiertes toxin geschädigt.<br />
Dieses toxin kann therapeutisch nicht beeinflusst werden.<br />
Antibiotikagaben haben keinen Einfluss auf die toxinwirkung,<br />
4<br />
unter umständen steigern sie sogar die toxinbildung durch die<br />
betroffenen Bakterien. Antiseren müssen spezifisch sein, um das<br />
im Blut zirkulierende toxin zu neutralisieren. kreuzreaktionen<br />
zwischen verschiedenen toxin- bzw. Antitoxintypen erfolgen<br />
nicht. Entsprechend müssen impfstoffe gegen das entsprechende<br />
toxinspektrum wirken; kommerziell ist nur ein typ-cD-impfstoff<br />
mit Ausnahmegenehmigung zugelassen. Die Herstellung von<br />
bestandsspezifischen impfstoffen bedarf der isolierung des verursachenden<br />
Bakteriums.<br />
inFektionsrisiken<br />
im infektionsgeschehen ist eine wechselbeziehung zwischen<br />
Mikroorganismus <strong>und</strong> wirt zu sehen, die per se zuerst nicht durch<br />
eine etwaige wechselseitige Pathogenität ausgezeichnet ist. Manche<br />
clostridien können als kommensalen im Verdauungstrakt<br />
leben, manche werden zerstört <strong>und</strong> verdaut, manche dringen in<br />
organe ein oder werden durch Phagozyten verschleppt.<br />
in dieser übersicht wird „infektionsrisiko“ als Ges<strong>und</strong>heitsrisiko<br />
durch toxine verwendet, die außer- <strong>und</strong> innerhalb des körpers<br />
gebildet <strong>und</strong> resorbiert worden waren (s.o.). Eine toxikoinfektion<br />
wird durch Aufnahme von bakteriellen Formen ausgelöst, bereits<br />
gebildete geringe Mengen von toxin verstärken die Haftung der<br />
Bakterien im Darmkanal.<br />
ohne Bakterien ist eine toxinbildung nicht möglich. Die Herkunft der<br />
clostridien ist in der modernen Landwirtschaft unterschiedlich:<br />
natürliches Vorkommen in Boden, Meeresschlick<br />
kot <strong>und</strong> kadaver von Zugvögeln<br />
technologische Verbreitung durch<br />
• Biokompost<br />
• Gärrückstände der Biogasgewinnung<br />
tierexkremente (besonders der Massentierhaltung rind,<br />
Geflügel, Schwein) als Dünger, Düngehilfsmittel <strong>und</strong><br />
Bodenverbesserer<br />
• Mülldeponien<br />
• Landwirtschaftlich genutzte überflutungsflächen.<br />
16 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
•<br />
•<br />
•<br />
unter Praxisbedingungen werden clostridien bei kompostierung<br />
oder der sog. Hygienisierungsphase vor der Biogasgewinnung<br />
nicht nur nicht abgetötet, sie können sich sogar auch vermehren.<br />
Beim Anlegen von Mülldeponien ist keinerlei Beeinflussung von<br />
krankheitserregern vorgesehen.<br />
Auf landwirtschaftlich für Feldfrüchte genutzten Flächen können<br />
clostridiensporen sehr lange überleben (s.o.); bei einer späteren<br />
nutzung als weide oder zur Grünfuttergewinnung stellen die<br />
clostridiensporen ein Ges<strong>und</strong>heitsrisiko dar.<br />
•<br />
Landwirtschaftliche Verbreitung<br />
• Silagegewinnung unter nicht immer kontrolliertem<br />
maschinellen Einsatz
• Einsatz von pflanzlichen <strong>und</strong> tierischen Produkten mit<br />
weltweitem ursprung in der tierernährung<br />
• Massentierhaltung<br />
• tMr-Fütterung.<br />
• Verringerte körpereigene Abwehrmaßnahmen (höheres<br />
krankheitsrisiko) der hochgezüchteten Haustierrassen.<br />
• Ein erkranktes tier scheidet vermehrt clostridien aus,<br />
• Ein geimpftes tier scheidet wahrscheinlich weiterhin Bakterienformen<br />
aus, sicher bei anderen toxintypen,<br />
• ein ges<strong>und</strong> erscheinendes tier kann bereits chronisch, subklinisch<br />
erkrankt sein,<br />
• ein als ges<strong>und</strong> geschlachtetes tier kann in seinem Magendarmtrakt<br />
clostridien enthalten (träger).<br />
• Vor der Verwendung des Begriffs „viszeraler Botulismus“<br />
wurde jedes tier, das nicht offensichtlich an plötzlichem<br />
muskulären Botulismus erkrankt war, <strong>und</strong> beim Freisein von<br />
anderen bekannten krankheitsursachen als „ges<strong>und</strong>“ bezeichnet.<br />
Es konnte dann auch gegebenenfalls clostridien in seinen<br />
organen beherbergen. Diese Angaben des „natürlichen clostridienvorkommens“<br />
sind nunmehr alle zu hinterfragen.<br />
wie oben dargestellt, kommen Bakterien von außen in das<br />
Bezugssystem umwelt – tier/Mensch.<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Silage (rind)<br />
• Steigerung der Bakterienzahl<br />
• erhöhter Bodenanteil, wie z.B. tiefes Mähen, nasses<br />
wetter, hohe Arbeitsgeschwindigkeit, Festfahren des<br />
Silos mit verschmutzen treckerreifen<br />
• schlechte Silierung hat, wie z.B. durch nicht ausreichende<br />
Verfestigung, zu trockenes Silagegut, zu<br />
späte Ernte, fehlendes, unwirksames Silierhilfsmittel<br />
• Schimmelbefall<br />
• Eintrag von toten oder zuvor noch lebenden<br />
tieren<br />
• Antrocknen, Eintrag über die Atemluft (tier, Mensch)<br />
• oraler Eintrag über Futter (tier), Hände (Mensch;<br />
Essen, rauchen)<br />
• Möglichkeit der toxinbildung<br />
• toxinbildung im Futter<br />
• toxinbildung im rachenraum, im Magen-Darm-trakt<br />
• orale toxin-Aufnahme über Futter (tier), Hände<br />
(Mensch)<br />
trockenfutterlagerung (Schwein, rind)<br />
• Steigerung der Bakterienzahl, Möglichkeit der toxinbildung<br />
• Schwitzwasser<br />
• regenwasser<br />
• Schadnager<br />
• mangelnde Sauberkeit im /am Futtertrog/-tisch<br />
• Vögel, z.B. Spatzen, Stare über dem Futtertisch<br />
• katzen<br />
• toxinbildung, Aufnahme von Sporen<br />
Antrocknen von verschmutztem Futter, Boden, kot an<br />
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
Klinische Intensität<br />
III<br />
II<br />
I<br />
a b c d<br />
~ 1 Tag<br />
~ 7 Tage<br />
Abb. 5: klinischer Verlauf der Botulinumtoxikose<br />
A k t u E L L E S<br />
Arbeitskleidung (Mensch)<br />
• Eintrag von Sporen in die wohnung<br />
• Gefahr für Säuglinge, alte, kranke Menschen (inhalation)<br />
• verschmutzte nahrung.<br />
Bei erkrankten tieren wird berichtet, dass der Zungentonus v.a.<br />
beim rind nachlässt <strong>und</strong> dass die benutzen; Gefahr für den untersucher<br />
durch Bakterien <strong>und</strong> toxine.<br />
Das biologische Gleichgewicht im Darm ist gegebenenfalls durch<br />
die Verfütterung von Prä- <strong>und</strong> Probiotika zu stabilisieren. inwieweit<br />
die teilweise nahe verwandten Bacillus spp. pathogene<br />
clostridium spp. beeinflussen, sollte untersucht werden.<br />
Ein Futterwechsel zu unverdächtigem Futter ist anzuraten. Generell<br />
sollten Futterwechsel nur innerhalb eines Zeitraumes von etwa<br />
5 tagen durchgeführt werden, um die Verdauung anzupassen<br />
<strong>und</strong> den clostridien weniger nährstoffe anzubieten.<br />
Futter von überflutungsflächen, Flächen, die mit Biokompost oder<br />
Biogasgülle gedüngt sind <strong>und</strong> Zupachtflächen von (unerkannt,<br />
bekannt betroffenen) anderen Betrieben ist als potentiell gefährlich<br />
anzusehen <strong>und</strong> nicht einzusetzen.<br />
trotz hoher kosten sollten importierte Futtermittel aus Lateinamerika<br />
<strong>und</strong> Asien auf krankheitserreger untersucht werden. Einmal<br />
importierte clostridien können sehr lange größte nachteile für<br />
landwirtschaftliche Betriebe haben. Das Problem der kosten für<br />
untersuchung <strong>und</strong> rückstellmuster durch importeure für etwa 6<br />
Monate ist nicht gelöst.<br />
Zukauf von (Jung-)tieren aus fremden Beständen sollte nur mit<br />
mikrobiologischem nachweis der clostridienunbedenklichkeit<br />
erfolgen. (Zwei nachweise im Abstand von etwa vier wochen).<br />
Generell ist festzuhalten:<br />
~ 4 Wochen<br />
0 = Intoxikation/Infektion I = nicht bemerkte subklinische Symptome<br />
II = sichtbare klinische Symptome III = Tod<br />
a = akute Intoxikation b = “chronische” Intoxikation<br />
c = verzögerte Intoxikation<br />
e = viszerale Infektion<br />
d = biphasische Intoxikation/Infektion<br />
f = “apathogene” Infektion/Intoxikation<br />
17<br />
e<br />
f<br />
~ Monate
A k t u E L L E S<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Ein verantwortungsvolles Betriebsmanagement muss dafür<br />
sorgen, die Zahl der clostridien möglichst zu reduzieren.<br />
Aber auch ein bestens geführter Betrieb ist nicht vor dem<br />
Eintrag von c. botulinum in den Betrieb von außen gefeit.<br />
Ein einmal betroffener Betrieb muss lernen mit dem krankheitserreger<br />
zu leben.<br />
Die gr<strong>und</strong>sätzliche Haftung bei der Erzeugung von Lebensmitteln<br />
ist dabei zu beachten.<br />
Es können Lebensmittel tierischen ursprungs (Schinken,<br />
Leber- <strong>und</strong> Blutwurst, räucherfisch aus Aquakultur) <strong>und</strong><br />
pflanzlichen ursprungs (Bohnen, Spargel, Pilze, Getreideprodukte)<br />
betroffen sein.<br />
AnMerkUngen<br />
Die Verwendung von Bioabfällen oder<br />
nachwachsenden rohstoffen zur Energiegewinnung<br />
durch Herstellung von Biogas<br />
wird allgemein als wünschenswert angesehen.<br />
in der öffentlichkeit spielt dabei<br />
die Produktion von Biogas die Hauptrolle;<br />
die Gärreste werden als guter Dünger<br />
angesehen.<br />
Die technische Ausgestaltung der Biogasgewinnung<br />
hat einen sehr hohen Grad<br />
erreicht. Die verschiedenen Systeme<br />
arbeiten relativ störungsfrei; der Ausstoß<br />
von Biogas kann gut geregelt werden.<br />
Allerdings besteht noch ein klärungsbedarf<br />
bei Fragen der Hygienisierung. Damit<br />
meint man das Abtöten von krankheitserregern<br />
im Laufe des Prozesses, so dass das<br />
Endprodukt „Gärrest“ unbedenklich als<br />
Bodenverbesserer bzw. Dünger eingesetzt<br />
werden kann.<br />
typen, Subtypen <strong>und</strong> Serovaren/toxivaren)<br />
ist eine Gruppe von krankheitserregern,<br />
die sich nur schwer mit den anderen clostridien<br />
vergleichen lassen. Da c. botulinum<br />
das derzeit stärkste bekannte biologische<br />
Stoffwechselprodukt produziert,<br />
(es gehört deshalb zu den Bioterrorismusagenzien),<br />
führen speziell Arbeitserlaubnis,<br />
Lagerung, tierversuche, Entsorgung<br />
etc. dazu, dass sich nur wenige wissenschaftler<br />
in Deutschland mit diesem keim<br />
befassen. in den letzten Jahren wurden<br />
Zusammenhänge zwischen Erkrankung<br />
von rind, Pferd <strong>und</strong> Mensch, von rind<br />
<strong>und</strong> Biogasgärresten, rind <strong>und</strong> rindergülle<br />
nachgewiesen. Es gibt allerdings keine<br />
flächendeckende untersuchung zum Vorkommen<br />
von c. botulinum in Deutschland,<br />
weder im Boden noch in der tierproduktion.<br />
Auch die Gewinnung von Futterpflanzen<br />
hat einen Einfluss auf die Vermehrung<br />
des c. botulinum.<br />
Vieles ist zum komplex Botulinumtoxikosen – Mensch <strong>und</strong> tier<br />
noch unbekannt. Moderne landwirtschaftliche Methoden lassen<br />
sich nicht mit Erfahrungen der kleinbäuerlichen tierhaltung<br />
von vor h<strong>und</strong>ert Jahren vergleichen, auch wenn Justinus kerner<br />
bereits zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gr<strong>und</strong>legende Erkenntnisse<br />
beschrieben hat. Manches, das teilweise noch als Hypothese<br />
beim Schwein angesehen wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />
nach einer c.-botulinum-impfung die krankheitssymptome verschwanden<br />
<strong>und</strong> sich die Betriebe wieder stabilisiert haben. �<br />
Referenten der 9. AVA-Haupttagung: Prof. Dr. Dr. med. vet.<br />
Helge Böhnel <strong>und</strong> PD Dr. med. vet. Frank Gessler<br />
Miprolab GmbH <strong>Veterinär</strong>diagnostik<br />
Marie-Curie-Str. 7, 37079 Göttingen<br />
•<br />
•<br />
winnung auf das Vorkommen von c.<br />
botulinum in den Gärrückständen<br />
Einfluss der technologie der Biogasgewinnung<br />
auf das Vorkommen von<br />
c.botulinum in aus der Landwirtschaft<br />
stammenden Lebensmitteln<br />
Einfluss der Abwässer von Biogasanlagen<br />
auf Ges<strong>und</strong>heit von bzw. Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung<br />
durch Fische <strong>und</strong><br />
Muscheln <strong>und</strong> gegebenenfalls auf Menschen<br />
in Badegewässern.<br />
zUsAMMenFAssUng<br />
clostridium botulinum ist ein krankheitserreger,<br />
der in Zusammenhang mit Biogasgewinnung<br />
ein Gefährdungspotenzial<br />
aufweist. umfassende untersuchungen<br />
sollten die Frage klären, durch welche<br />
technologie gegebenenfalls eine reduzierung<br />
bzw. Minimierung erfolgen kann,<br />
wenn c. botulinum eine Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung<br />
von tier <strong>und</strong> Mensch darstellt.<br />
in verschiedenen Studien wird „clostridium<br />
perfringens“ als indikatorkeim untersucht<br />
<strong>und</strong> bewertet. Dabei ist darauf hinzuweisen,<br />
dass es davon mehrere typen <strong>und</strong><br />
Subtypen gibt, die sich pathogen <strong>und</strong> die<br />
umwelt betreffend ganz unterschiedlich<br />
verhalten. Außerdem ist die Versporung<br />
besonders im Labor nicht immer gewährleistet<br />
bzw. man kann natürliche Verhältnisse<br />
nur schlecht nachstellen.<br />
in den letzten 15 Jahren treten gehäuft<br />
bei rindern <strong>und</strong> Geflügel, neuerdings<br />
Es ist somit davon auszugehen, dass c.<br />
botulinum bei der Biogasgewinnung ein<br />
besonderes Augenmerk erfordert. Folgende<br />
Fragen sind zu erforschen um eine<br />
Aussage machen zu können, ob c. botulinum,<br />
wie vermutet, in Zusammenhang mit<br />
der Biogasgewinnung eine Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung<br />
für Mensch <strong>und</strong> tier darstellt:<br />
• Prävalenz in rinderbeständen<br />
• Prävalenz in Gärrückständen<br />
• Prävalenz im Boden von mit Fäkalien<br />
oder Gärrückständen gedüngten landwirtschaftlichen<br />
Flächen<br />
• Ges<strong>und</strong>heitszustand von rindern nach<br />
der Ausbringung von Biogasgärrück-<br />
Hersteller <strong>und</strong> Betreiber von Biogasanlagen,<br />
Landwirte, Mikrobiologen <strong>und</strong><br />
Lebensmitteltechniker, Ärzte <strong>und</strong> tierärzte<br />
sollten zusammenarbeiten. Es ist darauf<br />
hinzuweisen, dass sich c. botulinum gegebenenfalls<br />
in der natur anreichern <strong>und</strong><br />
somit die Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung plötzlich<br />
offensichtlich werden kann.<br />
Es erscheint unverständlich, dass diese<br />
Fragen bis jetzt noch nicht geklärt sind.<br />
Eigentlich hätten derartige Szenarien<br />
bereits vor der Propagierung der Biogasgewinnung<br />
abschließend beurteilt werden<br />
müssen. �<br />
auch bei Pferden <strong>und</strong> anscheinend auch<br />
bei Schweinen, klinisch unterschiedliche<br />
Erkrankungen auf, die als Botulismus in<br />
•<br />
ständen<br />
Einfluss auf die Ges<strong>und</strong>heit der Landwirte<br />
in von Botulismus erkrankten tier-<br />
Prof. Dr. H. Böhnel<br />
Göttingen<br />
seiner klinisch akuten <strong>und</strong> chronischen beständen<br />
Form nachgewiesen werden. Verursacher • Einfluss auf die Ges<strong>und</strong>heit des in Bioist<br />
clostridium botulinum. Dieses clostri-<br />
18<br />
dium botulinum (mit derzeit etwa 70-100 •<br />
gasanlagen arbeitenden Personals<br />
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
Einfluss der technologie der Biogasge-
i n D E r P r A X i S<br />
einleitUng<br />
clostridien gehören zu den Bodenseuchenerregern. Sie kommen<br />
in der umwelt vor. Sie bilden taxonomisch eine eigene klasse,<br />
umfassen aber eine sehr heterogene Erregergruppe. Zurzeit geht<br />
man von ca. 200 verschiedenen Arten im Genus clostridium<br />
aus. Es sind Gram-positive, evolutionär sehr alte Erreger, die ausschließlich<br />
unter anaeroben Verhältnissen leben. Einige Arten sind<br />
aber auch aerotolerant. Es sind Sporenbildner, der größte teil ist<br />
beweglich, c. perfringens ist aber z. B. unbeweglich. Sie leben<br />
in der Mehrzahl saprophytisch in der umwelt (Boden, wasser)<br />
oder im Magen-Darm-trakt (MDt) von tieren <strong>und</strong> Menschen. Sie<br />
besitzen ein enormes metabolisches Potenzial. Sie sind Destruenten<br />
<strong>und</strong> verfügen darum über ein ganzes Arsenal degradierender<br />
Enzyme, wodurch sie in der Lage sind, organische Materialien<br />
abzubauen. Entsprechend ihrer bevorzugten Energiequellen werden<br />
proteolytische, saccharolytische <strong>und</strong> Harnsäure spaltende<br />
clostridien unterschieden. Der größte teil von ihnen ist nützlich.<br />
So geht die biotechnologische Acetonproduktion (rauchloses<br />
Schießpulver) durch c. acetobutylicum auf weizmann zurück.<br />
Einige Arten können Stickstoff im Boden frei fixieren (z.B. c. pasteurianum,<br />
c. acetobutylicum, c. butyricum). nur wenige Arten<br />
sind an den drei Erkrankungskomplexen-Gasödem, Enterotoxämie<br />
<strong>und</strong> toxikation beteiligt. obwohl diese Erkrankungskomplexe<br />
immer schon menschliche <strong>und</strong> tierges<strong>und</strong>heit bedrohten, scheint<br />
heute insbesondere in der nutztierhaltung ihre Bedeutung zu<br />
steigen. im rinderbereich müssen neben der leistungsbetonten<br />
Fütterung veränderte Erntetechnologien, Delegierung der Futterwerbung<br />
an Lohnunternehmer, geringe Schnitthöhe, Erntetempo<br />
(Sporeneintrag aus Boden, bes. in risikogebieten <strong>und</strong> Einarbeitung<br />
von tierleichen), ungünstige witterungsbedingungen,<br />
Belastung des Futters mit Mykotoxinen, Einsatz clostridienhaltiger<br />
Dünger (Gülle, Gärreste) angesehen werden.<br />
PAthogeneseMeChAnisMen<br />
Das pathogenetische Prinzip wird bis auf c. difficile ausschließlich<br />
durch die toxine realisiert. nur c. difficile verfügt über Adhäsine,<br />
kann so einen direkten Zell-zu-Zell-kontakt aufbauen. Von den<br />
ca. 200 bekannten clostridienarten sind 35 pathogen, 15 Arten<br />
(
Zitzenverletzungen, nach klauenschnitt, Stoßverletzungen, infektionen<br />
aus dem Magen-Darm-trakt nach direkter Schädigung der<br />
Schleimhaut durch Parasiten oder Eintrag von clostridien durch<br />
Parasitenwanderung, durch Dysbiosen etc. Dadurch können am<br />
Gasödem beteiligte clostridien in das Gewebe eindringen <strong>und</strong><br />
toxine bilden. Besonders ischämische Gewebe (Geburtsverletzungen,<br />
Quetschungen) sind für derartige infektionen prädestiniert.<br />
Es entstehen gangränöse, stinkende, anfänglich warme, später<br />
kalte Gewebsentzündungen mit Ausbreitungstendenz. Septikämien<br />
sind oft die Folge, im Falle von c. chauvoei, c. septicum ein<br />
häufiges Ergebnis der infektion.<br />
Enterotoxämien<br />
Die toxine werden im Darm gebildet. in schweren Enterotoxämiegeschehen<br />
bei kälbern werden die toxine resorbiert <strong>und</strong> in die<br />
Zirkulation abgegeben. Sie sterben dann oft perakut.<br />
Enterotoxämien kommen sowohl bei Saugkälbern (neonatale<br />
hämorrhagische Enteritis c. perfringens typ A, oft unter Beteiligung<br />
von c. sordellii <strong>und</strong> als nekrotische Enteritis c. perfringens<br />
typ c), bei Jungrindern als auch bei adulten tieren (HBS, c. perfringens<br />
typ A) vor. Für alle Altersgruppen gilt, dass in der regel<br />
eine Prädisponierung für die infektion vorliegt. Prädisponierende<br />
Faktoren sind beim kalb z.B. cryptosporidieninfektionen, cokzidiosen,<br />
abrupte Futterwechsel, unterkühlung, Dysbakteriosen<br />
nach Antibiosen, bei Jungrindern mykotoxinhaltige Futtermittel,<br />
hohe c. perfringens-konzentrationen in den Silagen, acidotische<br />
Fütterungsregimes, bei kühen (HBS) Mykosen durch Aspergillus<br />
spp. <strong>und</strong> Mucor spp.<br />
in einer Presseerklärung vom 25. April kilowattst<strong>und</strong>en Strom erzeugen. Der Bio-<br />
2010 des MunLV weist Minister uhlenmasseaktionsplan ist teil der klimastrateberg<br />
darauf hin, dass die Erzeugung gie der Landesregierung. „Der Ausbau<br />
von Biogas in nordrhein-westfalen rasant der Erneuerbaren Energien hat Vorrang.<br />
ansteige. Zu Beginn 2010 gäbe es fast unser Ziel ist es, ihren Anteil bis zum Jahr<br />
330 Biogasanlagen im Land <strong>und</strong> damit 2020 auf 30 Prozent zu steigern“, so der<br />
fast doppelt so viele wie im Jahr 2005. im<br />
vergangenen Jahr produzierten die Anla-<br />
umweltminister.<br />
gen 920 Millionen kilowattst<strong>und</strong>en Strom nicht nur das klima, auch die Landwirt-<br />
<strong>und</strong> deckten damit den durchschnittlichen schaft in nordrhein-westfalen profitiert<br />
Stromverbrauch von über 800.000 Men- vom Biogas-Boom. „Vielen Landwirten<br />
schen. Damit wurden alleine bei der Strom- wird ein sicheres zweites Einkommen<br />
produktion über 55.000 tonnen co2 ein- geboten“, so uhlenberg. Bei der nächsten<br />
gespart. „wir machen nordrhein-westfa- novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes<br />
len klimafre<strong>und</strong>lich. <strong>und</strong> wir haben noch sollten aber auch die konkurrenzen mit<br />
viel vor“, sagte umweltminister Eckhard der Lebensmittel- <strong>und</strong> Futtermittelproduk-<br />
uhlenberg. Bis Ende 2010 sollen mehr als tion bei der Förderung der Biogasanlagen<br />
n 400 u t Z Biogasanlagen t i E r P r A X i S über A k t u eine E L L Milliarde 3 3 | 2 0 1 0stärker<br />
beachtet werden. „ich will den<br />
r i n D E r P r A X i S<br />
Die ursache der Enterotoxämien liegt immer in der schlagartigen<br />
Vermehrung der clostridien im Magen-Darm-trakt. Dabei ist es<br />
unerheblich, ob durch die Aufnahme einer größeren clostridiensporenzahl<br />
oder durch das exzessive Vermehren der floraeigenen<br />
clostridien dieser Prozess initiiert wurde. Das Erkrankungsbild<br />
richtet sich nach der Menge <strong>und</strong> der Anzahl der gebildeten toxine.<br />
in der Mehrzahl der Fälle wird c. perfringens typ A, oft in<br />
kombination mit c. sordellii beim rind nachgewiesen. Bei Jungtieren<br />
kommen auch die c. perfringens typen c <strong>und</strong> E vor. Pathogenetisch<br />
spielen plötzliche Fütterungsumstellungen, clostridienhaltige,<br />
proteinreiche, an leicht verdaulichen kohlenhydraten reiche<br />
Futtermittel, trypsininhibitoren (kolostrum), trypsinmängel,<br />
alle umstände, die zu einer vermehrten Mukosproduktion führen,<br />
eine rolle. Durch große Mengen an leicht verdaulichen kohlenhydraten<br />
kommt es zum schnellen Absinken des Pansen-pH - wertes<br />
mit unvollständigem Abbau von kohlenhydraten, die den clostridien<br />
als Substrat für wachstum <strong>und</strong> Vermehrung der vegetativen<br />
Formen mit toxinbildung im Darm dienen. Durch die toxine<br />
kommt es zur Zerstörung der Darmfunktion <strong>und</strong> zum übertritt<br />
der toxine in den organismus mit intoxikationen <strong>und</strong> Ausbildung<br />
der jeweiligen Symptomatik. Akutes <strong>und</strong> perakutes Verenden ist<br />
möglich. Die größte Bedeutung hat in diesem kontext c. perfringens,<br />
obwohl auch c. septicum <strong>und</strong> c. sordellii im MDt erkrankter<br />
<strong>und</strong> verendeter tiere nachzuweisen sind. c. sordelli-toxine wirken<br />
synergistisch mit c. perfringens-toxinen.<br />
Toxikationen<br />
Die größte Bedeutung für rinder besitzt c. botulinum. c. tetani<br />
– intoxikationen treten beim rind eher sporadisch auf. c. botuli-<br />
Biogaserzeugung auf rekordniveau –<br />
Umweltminister Uhlenberg: „Vorrang für erneuerbare energien“<br />
Einsatz von Gülle verstärken <strong>und</strong> damit die<br />
Flächenkonkurrenz entschärfen“, erläutert<br />
umweltminister uhlenberg. �<br />
21
i n D E r P r A X i S<br />
num A, B, c, D, E-toxikoinfektionen treten häufig auch in Verbindung<br />
mit Enterotoxämien auf. Die tiere zeigen oft ungeformte,<br />
wässrige kotkonsistenz. Motilitätsstörungen des MDt stehen im<br />
Vordergr<strong>und</strong> des Geschehens. Das hier gebildete Botulinum-toxin<br />
transloziert <strong>und</strong> gelangt über Blut/-Lymphbahn an die cholinergen<br />
Synapsen. nachhandschwäche bis nachhandlähmungen,<br />
schwankender, breitbeiniger Gang, unsicherheit, überköten fallen<br />
auf. Durch die neurotoxinwirkung bekommen die tiere Schluckbeschwerden,<br />
Speicheln, haben schwache Lid- <strong>und</strong> ohrenreflexe,<br />
auffällig ist der fehlende Pupillenreflex bei Lichteinfall. Es sind<br />
die toxintypen A-E in den rinderbeständen nachweisbar. Die<br />
klinische Symptomatik ist in Abhängigkeit von der individuellen<br />
Belastung <strong>und</strong> der noch vorhandenen spezifischen (neutralisierende<br />
Antikörper) <strong>und</strong> unspezifischen (physiologische Mikrobiota<br />
des MDt, Mucine, Ganglioside, crP etc.) Abwehrkapazität der<br />
tiere sehr unterschiedlich. Meist ist die ursache für das Erkrankungsgeschehen<br />
in einem wechsel der Futtercharge zu suchen,<br />
die von suspektem Grünland gewonnen wurde. Als suspektes<br />
Grünland müssen folgende Grünlandflächen angesehen werden:<br />
Mehrfach überschwemmt, Staunässe tragend, mit Fremdgülle<br />
oder Gärresten aus Anlagen mit nicht hofeigenen kosubstraten<br />
gedüngt, mooriges Grünland, mit Grabenaushüben kontaminiert,<br />
mit hohem wildbesatz, Maulwurfshügeln besetzt.<br />
Labordiagnostik<br />
Die labordiagnostischen untersuchungen beziehen Probenmaterialien<br />
(kot, Pansensaft, Blut, Darminhalte, organe, bes. Leber,<br />
Gewebeproben etc.) erkrankter bzw. verendeter tiere sowie die<br />
kontaminierten Futtermittel ein. im Falle von Gasödeminfektio-<br />
Umfrage zu Botulismus auf<br />
der homepage der AVA<br />
Die Agrar- <strong>und</strong> <strong>Veterinär</strong>- <strong>Akademie</strong> (AVA) hat auf ihrer<br />
Homepage (www.ava1.de) eine nicht repräsentative<br />
umfrage zum thema „chronischer Botulismus“ durchgeführt.<br />
Die Frage lautete: Sehen Sie für Tier <strong>und</strong> Mensch<br />
ges<strong>und</strong>heitliche Gefahren (siehe Göttinger<br />
Erklärung) durch Cl. Botulinum, die evtl. durch<br />
Biogasanlagen-Restmasse eingetragen werden?<br />
Von den r<strong>und</strong> 700 Antworten sehen etwas über 50% eine<br />
ges<strong>und</strong>heitliche Gefährdung, knapp 30% der Antworten<br />
verneinen dies <strong>und</strong> 20% beantworteten die Frage mit<br />
„weiß nicht“. �<br />
nen sind die Erreger im w<strong>und</strong>sekret nachweisbar. ihr nachweis<br />
ist dann pathognomonisch. Zur Einschätzung der clostridiensituation<br />
im MDt bedarf es quantitativer Florauntersuchungen,<br />
die einerseits die clostridienlast abbilden müssen, andererseits<br />
Aufschluss über die wesentlichen normalflorakomponenten wie<br />
aerobe <strong>und</strong> anaerobe Gesamtkeimzahl, Gram-negative keimzahl,<br />
Bacteroides-, Lactobacillus-, Bifidobacterium-, Hefekeimzahlen<br />
geben sollten. Von den im MDt befindlichen clostridien lässt<br />
sich entgegen mancher Auffassungen nur c. perfringens wegen<br />
seiner unbeweglichkeit <strong>und</strong> des typischen wachstumsverhaltens<br />
kulturell problemlos nachweisen. Alle anderen pathogenetisch<br />
relevanten clostridien benötigen Spezialbehandlungen. will man<br />
einen überblick über den clostridiengehalt in der Probe bekommen,<br />
empfehlen sich das MPn-Verfahren nach Erhitzung der<br />
Probe <strong>und</strong> daraus dann der isolierungsversuch. natürlich kann<br />
man molekularbiologisch die für die einzelnen Erreger <strong>und</strong> toxine<br />
relevanten Gene nachweisen, doch dann hat man kein isolat, aus<br />
dem man unter umständen einen bestandsspezifischen impfstoff<br />
herstellen könnte. Der physiologische c. perfringens-keimgehalt<br />
pro Gramm kot liegt bei erwachsenen rindern ≤ 10 3 , bei kälbern<br />
können diese werte höher (ca. 10 5- 10 6 /g) liegen. Darüber liegende<br />
keimzahlen entsprechen nicht dem physiologischen wert.<br />
wesentlich ist der nachweis der relevanten toxine entweder in<br />
den isolaten über den toxingennachweis oder durch direkten<br />
toxinnachweis mittels ELiSA aus dem kot, wobei nicht für alle<br />
toxine Antikörper zur Verfügung stehen. Für c. botulinum gelten<br />
die oben genannten methodischen Vorgehensweisen nicht. Der<br />
Erreger entzieht sich in der regel dem kulturellen nachweis. nur in<br />
wenigen Fällen gelang bisher die isolierung. Es werden im untersuchungsmaterial<br />
direkt über den Maus-test bzw. ELiSA oder/<strong>und</strong><br />
Peroxidasetest bzw. nach Anreicherung von toxin/toxinen nach<br />
Erregervermehrung in einer Probe das oder die toxine nachgewiesen.<br />
Entscheidend ist jedoch der klinische Bef<strong>und</strong>. toxin- <strong>und</strong><br />
Erregernachweis bei ges<strong>und</strong>en kühen kommen auch vor. Aus<br />
unseren eigenen untersuchungen steht der Gehalt an mittels<br />
ELiSA nachweisbaren Botulinumtoxinen nach der Anreicherung in<br />
enger korrelation zur Sporenzahl im Substrat. Erst Sporenzahlen<br />
> 10 3 /g ergaben ein messbares toxinsignal. Diese Sporenzahlen<br />
sind nach unseren untersuchungen erst klinisch relevant. toxin<br />
<strong>und</strong> Sporen sind nicht gleichmäßig im Futter verteilt. Es empfiehlt<br />
sich eine repräsentative Mischprobe von ca. 100g. Der toxinnachweis<br />
erfolgt entweder im oben beschriebenen tierversuch oder<br />
mittels immunologischer tests (ELiSA). Beide testverfahren besitzen<br />
nicht die gleiche Spezifität <strong>und</strong> Sensitivität. Der ELiSA-test<br />
weist auch noch toxinbruchstücke nach, die vom Mausassay nicht<br />
mehr erfasst werden. �<br />
Prof. Dr. Monika Krüger<br />
Institut für Bakteriologie <strong>und</strong> Mykologie<br />
An den Tierkliniken 29<br />
04103 Leipzig<br />
Mail: mkrueger@rz.uni-leipzig.de<br />
Referentin der 9. AVA-Haupttagung<br />
22 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0
A k t u E L L E S<br />
im Jahr 2009 wurden durch den betreuenden tierarzt Herrn<br />
Dipl. vet. med. Achim Gerlach aus 18 Betrieben mit Verdacht<br />
auf chronischen Botulismus Blut- <strong>und</strong> kotproben von 171 kühen<br />
sowie Futtermittel aus diesen Betrieben an das institut für Bakteriologie<br />
<strong>und</strong> Mykologie zur bakteriologischen untersuchung<br />
eingesandt. in einem weiteren Bestand wurden wegen hochgradiger<br />
Erkrankung 15 kühe (5 tiere mit starkem Durchfall, 5 tiere<br />
extrem abgemagert, 5 tiere mit Lahmheiten) euthanasiert. Diese<br />
tiere waren massiv erkrankt, zum teil hochgradig abgemagert,<br />
in ihrem Verhalten gestört. Von diesen wurden die Proben durch<br />
Mitarbeiter des institutes selbst entnommen.<br />
Es wurden Leber, niere, Milz, Pansen-, ileum-, caecum- <strong>und</strong><br />
coloninhalt der tiere untersucht. im letzten Bestand, bestehend<br />
aus drei teilbeständen, ist hervorzuheben, dass die Situation hier<br />
besonders dramatisch war. Das Erkrankungsgeschehen begann<br />
bereits im Jahre 2007, zum Zeitpunkt des ersten Bestandsbesuches<br />
waren bereits ca. 60% der tiere hochgradig erkrankt. Das<br />
Erkrankungsbild war charakterisiert durch teilnahmslosigkeit,<br />
Bewegungsunlust, Liegenbleiben trotz Anregung durch klatschen<br />
auf den rücken. Die tiere zeigten keine Lautäußerungen, fielen<br />
durch unsicheren Gang, Schwanken, Muskelatrophie, vermindertes<br />
oder nicht ausgeführtes wiederkauen, Anlehen an die<br />
trennbügel, multiple Abszessbeulen, koordinationsstörungen<br />
(Vorderbeine wurden überkreuz gesetzt), struppiges <strong>und</strong> stark<br />
verschmutztes Fell sowie Schwierigkeiten bei der wasseraufnahme<br />
auf.<br />
Besonders beeindruckend war, dass der größte teil der tiere<br />
mindestens an einer Extremität lahm ging. Es handelte sich dabei<br />
meist nicht um Stützbeinlahmheiten wie sie z. B. bei klauenproblemen<br />
auftreten, sondern die tiere waren völlig unfähig, die<br />
jeweilige Extremität vorzuführen <strong>und</strong> aufzusetzen. Die ausgezehrt<br />
wirkenden tiere wiesen an den Gliedmaßen, besonders<br />
an den Fesselgelenken, im Bereich der gesamten Flanke, des<br />
rückens <strong>und</strong> der Vordergliedmaßen sowie an den Schultern<br />
zahlreiche gangränös-nekrotische, stinkende Geschwüre auf. Die<br />
Euter waren ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen: während<br />
einzelne Striche blass oder rötlich-schwarz verfärbt aber noch auf<br />
Berührung reagierten, waren andere kalt <strong>und</strong> berührungsunemp-<br />
krüger, Monika<br />
ChronisCher BotUlisMUs<br />
in MilChViehBeständen<br />
sChlesWig-holsteins<br />
findlich. tiefe nekrotische, schmerzfreie weitläufige Gasödeme<br />
am Euter wurden ebenfalls sichtbar. Die tiere setzten zum teil<br />
mühsam Harn ab, der Speichel war viskös, die Pupillenreaktion<br />
verzögert, der Schwanztonus verringert oder ganz verloren. Ein<br />
großer teil der tiere wirkte orientierungslos <strong>und</strong> ängstlich. Am<br />
auffälligsten waren jedoch die Bewegungsstörungen bei einem<br />
großen teil der tiere. im Magen-Darm-trakt der euthanasierten<br />
15 tiere konnten c. botulinum typ A <strong>und</strong> E bei fast allen tieren<br />
nachgewiesen werden. weitere clostridienspezies wie c. sporogenes,<br />
c. sordellii, c. bifermentans, c. tertium, c. subterminale<br />
wurden aus den Anreicherungskulturen der Probenmaterialien<br />
aus dem Magen-Darm-trakt diagnostiziert.<br />
in den Milzen gelang kein Erregernachweis, in der Leber bei<br />
einem tier (typ A), in der niere bei zwei tieren (1X typ c, 1x<br />
typ E). in den 171 kotproben war bei 46 tieren der c. botulinum<br />
typ A (26%) bei 30 tieren der typ cD (17,8%) in einem tier typ<br />
E (0,6%) nachzuweisen. Bei 16 (9,4%) tieren konnten im Blut<br />
erhöhte Antikörperspiegel gegen typ ABE, bei 9 (5,3%) tieren<br />
gegen cD festgestellt werden. in den 143 untersuchten Futtermitteln<br />
– 16 Grassilagen (3xE, 1xA), 3 Maissilagen (2xE), 13 Soyaschrote<br />
(2xE, 1xA), 115 kuhschrote (24xE, 11xA), 6 rapsschrote<br />
(3xA) – wurde in 31 Fällen c. botulinum typ E (21,7%) <strong>und</strong> in<br />
15 Fällen typ A (10,5%) nachgewiesen. Von 38 Stuhlproben der<br />
tierhalter einschließlich ihrer Familienangehörigen waren 7 für<br />
typ E (18,4%), 5 für typ A (13, 2%) <strong>und</strong> eine Probe für typ D<br />
(2,6%) positiv. Bei einem teil der tierhalter bzw. ihren Angehörigen<br />
konnte auf der Basis des klinischen Bef<strong>und</strong>es an der Medizinischen<br />
Hochschule Hannover die Diagnose Botulismus gestellt<br />
werden. Alle c. botulinum -nachweise wurden bis auf die oben<br />
erwähnten 100 kotproben mittels toxinanreicherung <strong>und</strong> ELiSA<br />
durchgeführt.<br />
Prof. Dr. Monika Krüger<br />
Institut für Bakteriologie <strong>und</strong> Mykologie<br />
An den Tierkliniken 29<br />
04103 Leipzig<br />
Mail: mkrueger@rz.uni-leipzig.de<br />
Referentin der 9. AVA-Haupttagung<br />
24 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0
A k t u E L L E S<br />
AntWorten AUF AnFrAgen An<br />
dAs BUndesMinisteriUM<br />
zU ChronisCheM BotUlisMUs<br />
26 n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
A k t u E L L E S<br />
AntWorten AUF AnFrAgen An<br />
dAs BUndesMinisteriUM<br />
zU ChronisCheM BotUlisMUs<br />
27
BUttersäUre<br />
Feuchtere Silagen bergen ein weiteres risiko in sich: höhere Sandgehalte,<br />
da der Sand besser an feuchtem Siliergut kleben bleibt.<br />
nicht nur, dass der Sand basisch, also einem Säuerungsprozess<br />
entgegenwirkt. Mit dem Sand kommen ebenfalls viele Bakterien,<br />
allen voran clostridien, mit ins Silo, die eine wünschenswerte<br />
Milchsäurebildung verringern bzw. verhindern.<br />
Auch wenn bislang wissenschaftlich kaum nachgewiesen wurde,<br />
dass höhere Gehalte an Buttersäure in der Silage zwingend die<br />
Futteraufnahme senken müssen, so ist anzunehmen, dass gerade<br />
der unangenehme Geruch der Buttersäure (nach Erbrochenem,<br />
nach ranziger Butter...) <strong>und</strong> die mögliche reizung der Augen <strong>und</strong><br />
Atemwege einer maximalen Futteraufnahme der kühe entgegenstehen<br />
kann.<br />
wenn also die witterungsbedingungen eher mäßig sind <strong>und</strong><br />
folglich kein starkes <strong>und</strong> schnelles Anwelken möglich ist – <strong>und</strong><br />
dieses weiß man normalerweise bereits beim Schneiden des Erntegutes<br />
–, dann ist es umso wichtiger, das Gras nicht „unmittelbar<br />
über’m Boden“ zu schneiden, sondern in einer Schnitthöhe von<br />
7-8 cm. Hierbei spielt dann auch wieder die Grünlandpflege eine<br />
enorm große rolle, denn je ebener der Boden ist, desto seltener<br />
„schiebt“ sich das Mähwerk in Erdhaufen <strong>und</strong> verschmutzt damit<br />
das Siliergut.<br />
BotUlisMUs<br />
Ein anderes Problem, welches ebenfalls untrennbar mit der Silageherstellung<br />
verb<strong>und</strong>en ist, stellt die Erkrankung Botulismus dar.<br />
Botulismus kann auf zwei Arten entstehen: entweder durch die<br />
direkte Aufnahme von Botulinumtoxin oder durch die Produktion<br />
des toxins in infizierten w<strong>und</strong>en, Abszessen oder geschädigten<br />
Darmabschnitten. in der regel erfolgt die Aufnahme des toxins<br />
über Futter (Silage, Heu), welches mit kadavern (zum Beispiel<br />
Mäusen oder ratten, rehkitzen) kontaminiert ist oder über Futter<br />
von überschwemmungsgebieten.<br />
clostridium botulinum, ist vor allem im Erdreich vorhanden. Der<br />
keim selbst ist unschädlich. Problematisch wird er dann, wenn er<br />
toxine produziert.<br />
Eine vergleichsweise neue Form dieser Erkrankung stellt der<br />
„chronischer Botulismus“, von manchen wissenschaftlern neuerdings<br />
auch nur noch „Faktorenkrankheit“ genannt, dar. Diese<br />
Erkrankung soll durch die Besiedlung des Magen-Darmtraktes<br />
mit clostridium botulinum <strong>und</strong> dort durch dessen gebildetes<br />
Gift verursacht werden, wobei das krankheitsbild selbst noch<br />
nicht wissenschaftlich gesichert ist <strong>und</strong> auch andere Gründe, wie<br />
hygienische Mängel in den landwirtschaftlichen Betrieben oder<br />
Haltungs- <strong>und</strong> Fütterungsfehler für die Ausbildung dieser Erkrankungsform<br />
in Betracht kommen.<br />
n u t Z t i E r P r A X i S A k t u E L L 3 3 | 2 0 1 0<br />
r i n D E r P r A X i S<br />
Labmagenverlagerungen werden immer auch durch strukturschwache<br />
rationen gefördert.<br />
Binnen weniger St<strong>und</strong>en im Jahr wird die wohl wichtigste Gr<strong>und</strong>lage für<br />
Leistung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit der tiere gelegt.<br />
Buttersäurehaltige Silagen sind sicher keine bestmögliche Voraussetzung<br />
65<br />
für maximale Futteraufnahmen der kühe.<br />
Fotos Mahlkow-nerge
i n D E r P r A X i S<br />
während die Diagnose „Botulismus“ im Falle der klassischen<br />
Verlaufsform allein anhand der klinischen Symptome von einem<br />
erfahrenen tierarzt sicher zu stellen ist (anfänglich vorübergehend<br />
unruhiges bis aggressives Verhalten, stolpernder Gang,<br />
„pendelnder“ Schwanz, letztlich Festliegen in milchfieberähnlicher<br />
Haltung, gelähmte Zungen- <strong>und</strong> kaumuskulatur, Lähmung<br />
der Atemmuskulatur), gestaltet sich die Diagnostik der atypischen<br />
Verlaufsform – „chronischer Botulismus“ – deutlich schwieriger.<br />
Lähmungen der Hinterhand (schwankender Gang) bis hin zum<br />
Festliegen werden auch hier beobachtet. Die Futteraufnahme<br />
bleibt allerdings unbeeinträchtigt, da keine Lähmungen von Zungen-,<br />
kau- <strong>und</strong> Schluckmuskulatur stattfinden. Der direkte nachweis<br />
des toxins im Blut oder im Pansensaft ist zwar möglich, aber<br />
er gelingt relativ selten, da das Gift an die nervenzellen geb<strong>und</strong>en<br />
ist <strong>und</strong> deshalb meistens zu wenig freies toxin im Blut analysiert<br />
werden kann. Erhöhte Endotoxinwerte im Blut <strong>und</strong> sehr hohe<br />
keimzahlen an clostridium perfringens im kot können neben<br />
analysierten Mykotoxinen in der Silage <strong>und</strong> in der Gallenflüssigkeit<br />
sowie chronisch-entzündlichen Veränderungen der Darmschleimhaut<br />
die Diagnose sicherer machen.<br />
Besonders da eine therapie an Botulismus erkrankter rinder z.t.<br />
kaum möglich, zumindest aber sehr schwierig ist, müssen alle<br />
Anstrengungen der Vorbeuge gelten. <strong>und</strong> das beginnt bei der<br />
Silagebereitung. Zum einen ist größtes Augenmerk darauf zu<br />
legen, keine tierkadaver mit einzusilieren. Zum anderen spielt<br />
auch hier wieder die Schnitthöhe eine rolle. Je höher gemäht<br />
wird, desto weniger Sand <strong>und</strong> folglich clostridiensporen gelangen<br />
mit dem Erntegut ins Silo <strong>und</strong> damit in die Silage. weiterhin muss<br />
vernünftig angewelkt, maximal verdichtet <strong>und</strong> danach schnellstmöglich<br />
das Silo „dicht gemacht“ werden, um eine schnelle <strong>und</strong><br />
anhaltende pH-wert-Absenkung zu erreichen.<br />
listeriose<br />
Listeriose ist eine der häufigsten Erkrankungen des zentralen nervensystems<br />
bei rindern. Auch wenn der infektionsweg noch nicht völlig<br />
geklärt ist, so infizieren sich höchstwahrscheinlich vor allem abwehr-<br />
Interview mit Herrn Gerhard Landl, Chefentwickler<br />
des Praxis Management Programmes<br />
„ANIMAL-office“ zur Bestandsbetreuung<br />
HELLWIG: ich habe lange nach einer Manage-<br />
mentlösung für tierärzte der nutztierpraxis<br />
gesucht, welches alle Belange der tierärztlichen<br />
nutztierpraxis vereint. Dabei bin ich nun auf ihre<br />
Software gestoßen <strong>und</strong> war total begeistert, als<br />
mit kollege Gewessler in seiner Praxis dieses<br />
geschwächte tiere über Läsionen in Maul- oder nasenhöhle. Verursacht<br />
wird diese Erkrankung durch Listeria monocytogenes, welches<br />
in der umwelt weit verbreitet <strong>und</strong> sehr resistent ist. Betroffene tiere<br />
zeigen eine Störung des Allgemeinbefindens sowie Funktionsausfälle<br />
verschiedener Hirnnerven. Die Ausfallserscheinungen (Gleichgewichtsstörungen,<br />
ein leicht hängendes ohr ohne ohrabwehrreflex,<br />
„Schlotterkiefer“, Erbrechen, ausgeprägtes Speicheln) sind abhängig<br />
davon, welche Gehirnnerven betroffen sind.<br />
Da das Bakterium für seine Vermehrung einen pH-wert > 5 benötigt,<br />
ist es ausschließlich in wenig angesäuerten Silagen zu finden.<br />
So setzt die einzig wirksame Maßnahme im kampf gegen diese<br />
Erkrankung beim sachgemäßen Silieren an. Es geht also darum,<br />
innerhalb der ersten St<strong>und</strong>en nach Beginn des Silierprozesses den<br />
pH-wert so schnell wie möglich abzusenken. Das bedeutet:<br />
Gülledüngung: maximal 25-30 m3/ha als Einzelgabe (Pilzsporen),<br />
ges<strong>und</strong>e, junge Grasbestände <strong>und</strong> schmutzarme Ernte (verringerter<br />
keimbe-satz),<br />
Anwelken (Ziel: 35 -45 % tM),<br />
maximal mögliches Verdichten (kantenbefestigung, Einsatz<br />
von Siloverteilern,<br />
nachwalzen, zum Schluss feuchteres/nasses Futter),<br />
schnellstmögliches Abdecken (unterziehfolie + Silofolie +<br />
ganzflächig reifen + Vogelschutz + Sandsäcke),<br />
Entnahmevorschub: > 1-1,5 m im winter, > 2 m im Sommer<br />
<strong>und</strong><br />
regelmäßige Silokontrolle.<br />
66<br />
Programm vorstellte. AniMAL-office integriert, bewogen?<br />
n u t<br />
so<br />
Z<br />
genannte<br />
t i E r P r A<br />
zweite<br />
X i S<br />
Schiene,<br />
A k t u E<br />
sondern<br />
L L 3 3<br />
komplett<br />
| 2 0 1 0<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
als wohl einziges Praxis Management System im<br />
deutschsprachigen raum, umfassende Bestandsbetreuungsfunktionen<br />
direkt im EDV-System des<br />
tierarztes.<br />
LANDL: Ja, wir entwickeln im Großtierbereich<br />
schon viele Jahre <strong>und</strong> unsere Erfahrungen haben<br />
uns klar diesen weg aufgezeigt, der Erfolg in<br />
der Praxis bestätigt dies, <strong>und</strong> wir werden diesen<br />
weg ganz intensiv weiterarbeiten.<br />
HELLWIG: welche Erfahrungen haben Sie dazu<br />
•<br />
•<br />
Silagebereitung bedeutet: wenige St<strong>und</strong>en im Jahr entscheiden<br />
wie kaum eine andere Maßnahme vor allem über das Ges<strong>und</strong>heitsgeschehen<br />
der tiere! �<br />
Dr. Katrin Mahlkow-Nerge<br />
Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein<br />
24327 Blekendorf<br />
Mail: kmahlkow@lksh.de<br />
dAs AktUelle interVieW zUr tierärztliChen<br />
BestAndsBetreUUng (BB)<br />
LANDL: Der Druck kam wie immer vom<br />
Markt in diesem Fall von unseren k<strong>und</strong>en den<br />
tierärzten. Diese haben – wie viele andere<br />
übrigens auch – versucht Bestandsbetreuung<br />
nach den herkömmlichen Methoden in den<br />
Betrieben zu etablieren <strong>und</strong> sind, wie alle anderen,<br />
letztendlich gescheitert. nachdem wir uns<br />
mit der thematik intensiver auseinandergesetzt<br />
haben, kamen wir sehr schnell zum Schluss,<br />
dass Bestandsbetreuung für eine Vielzahl von<br />
Betrieben nur umsetzbar ist, wenn sie nicHt als
R I N D E R P R A X I S<br />
Die biochemisch nur grob skizzierte Gattung „Clostridium“<br />
umfasst ein breites genetisches Spektrum verschiedenster Bakterienarten.<br />
1993 werden in der Genusdefinition 82 Arten von<br />
Clostridien als stäbchenförmige, grampositive, streng anaerob<br />
wachsende <strong>und</strong> sporenbildende Bakterien beschrieben. 2009<br />
berichtet Scholz auf dem 26. Jenaer Clostridiensymposium von<br />
fast 200 Arten mit großer phylogenetischer Heterogenität. 5 neue<br />
Gattungen wurden inzwischen ausgegliedert, von weiteren 20<br />
ist die Rede. Außerdem wird eine verbreitete Sauerstofftoleranz<br />
erwähnt. Die Toxinbildung scheint ebenfalls nicht streng artgeb<strong>und</strong>en<br />
zu sein: Clostridium (C.) sporogenes läßt sich genetisch<br />
trotz seiner Atoxizität nicht von C. botulinum unterscheiden.<br />
Andererseits können C. baratii <strong>und</strong> C. butyricum ebenfalls Botulinumtoxine<br />
bilden. Da nicht die Bakterien selbst, sondern ihre<br />
Toxine pathogen wirken, sollte der Wirkung <strong>und</strong> Analyse der Toxine<br />
vorrangige Aufmerksamkeit geschenkt werden. Entsprechend<br />
der breit gefächerten Gattung Clostridium <strong>und</strong> ihrer zahlreichen<br />
Toxintypen gibt es clostridienbedingte Erkrankungen – Clostridiosen<br />
– in vielfacher Ausprägung. Schwere Verläufe bis hin zum<br />
plötzlichen Tod erfordern erhöhte Wachsamkeit in betroffenen<br />
Beständen. Beim erwachsenen Milchrind bereiten nach Erfahrungen<br />
des Rinderges<strong>und</strong>heitsdienstes Mecklenburg-Vorpommern<br />
(RGD MV) hauptsächlich folgende Clostridien bzw. deren Toxine<br />
Probleme: α-Toxin von C. perfringens Typ A gebildet, C. septicum,<br />
C. botulinum-Toxine (BoNT- Typen A,B,C,D), C. sordellii <strong>und</strong> C.<br />
chauvoei. Drei Symptomenkomplexe werden unterschieden: Enterotoxämien,<br />
Gasödemkrankheiten <strong>und</strong> Lähmungen. Alle Symptome<br />
können unter Beteiligung mehrerer Clostridienarten/-toxine<br />
in einem Bestand gleichzeitig auftreten, es kann aber auch ein<br />
klinischer Komplex (z.B. eine Botulinumtoxikose) dominieren. Eine<br />
sichere Diagnose kann helfen, größere Verluste durch schnelle<br />
Gegenmaßnahmen zu verhindern. Wesentlicher Bestandteil der<br />
Diagnostik ist die klinische Beurteilung.<br />
KliniK der Clostridiosen bei der MilChKuh<br />
1. Enterotoxämie<br />
Enterotoxämien werden bei der laktierenden Kuh häufig durch<br />
α-Toxin von C. perfringens Typ A hervorgerufen. Sie können<br />
allerdings in sehr unterschiedlicher Schwere auftreten - als vor-<br />
Birgit Schwagerick / Renate Rosenmöller<br />
Clostridienbedingte erKranKungen<br />
des MilChviehs<br />
Fallbeispiel: hemorrhagic bowel syndrom<br />
übergehende Indigestion im Rahmen einer Mischinfektion, oder<br />
als schwere Enterotoxämie, die mit Translokation <strong>und</strong> Intoxikation<br />
einhergeht. Nach mitunter kurzer Diarrhoe <strong>und</strong> leichtem<br />
Fieber läßt die Pansen-Darm-Motorik nach <strong>und</strong> eine Obstipation<br />
bis hin zur Ileussymptomatik entsteht. Die Kühe leiden unter<br />
Bauchschmerzen, Tympanien im Darm <strong>und</strong> teilweise im Pansen,<br />
der Panseninhalt wird hart, Ruktus <strong>und</strong> Wiederkauen sind<br />
eingeschränkt. Untertemperatur, Exsikkose, subkutane Ödeme<br />
<strong>und</strong> Muskelschwäche in der Hinterhand kommen dazu. Tiere<br />
mit schwerer Intoxikation liegen fest, erleiden einen toxischen<br />
Schock (verwaschene Skleren, lackartiges Blut) <strong>und</strong> verenden<br />
am Multiorganversagen. Häufig perakut ohne deutliche Klinik<br />
verläuft das Hemorrhagic Bowel Syndrome (HBS) , bei dem ein<br />
C. perfringens-Typ A-Überwuchs im Dünndarm unter starker<br />
α-Toxinbildung nachgewiesen wurde. C. perfringens gehört einerseits<br />
nicht zur physiologischen Dünndarmflora, hat andererseits<br />
aber die kürzeste Generationszeit aller Darmbakterien (Köhler,<br />
2009), ein rasantes Keimwachstum ist also plausibel. Die Kühe<br />
verbluten praktisch in den Darm. Der akut-klinische Verlauf wird<br />
an Hand eines Fallbeispieles beschrieben. Beteiligt waren außerdem<br />
Botulinum-Neurotoxine. Eine weitere vermutlich darmassoziierte<br />
perakute Toxikoinfektion wird durch C. sordellii ausgelöst.<br />
Sie führt zum akuten Kreislaufversagen mit plötzlichem Herztod.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich sind immer die Kühe mit der höchsten Leistung<br />
vorrangig betroffen.<br />
2. Gasödemkrankheiten<br />
Nach banalen Verletzungen (Schürfw<strong>und</strong>e, Klauenschnitt),<br />
bekanntlich auch über eine insuffiziente Schleimhaut der Verdauungsorgane,<br />
dringen vorrangig C. septicum <strong>und</strong> in entsprechenden<br />
Distrikten C. chauvoei ins Gewebe mit den bekannten<br />
Folgen des (Para-)Rauschbrandes: Entstehung von gasig-ödematös-stinkenden,<br />
kalten, meist schmerzlosen Gewebsentzündungen<br />
mit rascher Ausbreitungstendenz. Oftmals verlaufen die<br />
Gewebsveränderungen unter der unverletzten Haut, z.B. an der<br />
Hüfte, der Flanke oder dem Rücken. Auch trockene Nekrosen<br />
sind möglich. Die Gasödeme können sich schnell ausbreiten <strong>und</strong><br />
in 1-2 Tagen zum Tode führen oder auch als abgekapselter Eiterherd<br />
mit anschließender Fistelbildung in ein chronisches Stadium<br />
übertreten.<br />
24 N U T Z T I E R P R A X I S A K T U E L L 3 1 | 2 0 0 9
3. Lähmungen<br />
Neben dem bekannten, akuten (<strong>und</strong> seltenen) Intoxikationsbotulismus<br />
werden häufig Botulismussymptome in Verbindung mit<br />
clostridienbedingten Enterotoxämien beobachtet. Darmdystonien<br />
gehen oft in aufsteigende, zunehmende Hinterhandlähmungen<br />
über. Durch Nachhandschwäche bedingt entstehen schwankender,<br />
zögerlicher, breiter <strong>und</strong> unsicherer Gang, Überköten,<br />
Ausgrätschen (auf trittfestem Boden), Nachziehen der Klauen,<br />
„Robbensitz“ <strong>und</strong> letztendlich Festliegen. Weitere Auswirkungen<br />
der Neurotoxine sind Schluckprobleme, muköser Speichel, eine<br />
hängende Unterlippe, schwacher Lid- <strong>und</strong> Ohrenreflex <strong>und</strong> vor<br />
allem verzögerte oder fehlende Pupillenreaktion auf Lichteinfall<br />
(Mydriasis). Die Zunge wird mühsam bewegt, aber nicht komplett<br />
paralysiert. Das Tier wirkt insgesamt somnolent. Diese „Kopfsymptomatik“<br />
zählt als sog. Bulbärparalyse zu den typischen Merkmalen<br />
des Botulismus.<br />
anaMnese<br />
Die Anamnese untermauert die Diagnose hauptsächlich durch<br />
Offenlegung verschiedener Quellen für einen erhöhten Clostridieneintrag<br />
ins Futter, damit in den Verdauungstrakt der Kuh<br />
<strong>und</strong> letztlich in die Umgebung. In fast allen Fällen besteht ein<br />
zeitlicher Zusammenhang zum Einsatz einer neuen Futtercharge,<br />
in der Regel Grassilage von suspekten Flächen, für die folgende<br />
Aspekte zutreffen:<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
Überschwemmungen, Staunässe traten in ungewöhnlicher<br />
Intensität auf<br />
Fremdgülle- <strong>und</strong> Biogasoutputdüngung (Hühner-, Schweinegülle,<br />
Schlachtabfälle), oftmals zu kurz vor dem Schnitt<br />
Niedermoorgebiete in extensiver Bewirtschaftung, starke<br />
Verkrautung, mangelhafte, nicht termingerechte Pflege<br />
Grabenaushub wurde auf Grünland verteilt<br />
(z.B. Marschgebiete)<br />
Starker Wildbesatz (Vögel, Maulwürfe, Füchse, Nager)<br />
Lage des Grünlandes im Rauschbrand-/<br />
Tetanusendemiegebiet<br />
Natürlich wirken sich Fehler bei der Silierung wie mehrfaches<br />
Öffnen des Silos, um spätere Schnittpartien ins gleiche Silo<br />
einzuarbeiten, mangelhafte Verdichtung <strong>und</strong> Abdeckung sowie<br />
Anlage des Silos auf Erde verstärkend aus, lösen alleine aber keine<br />
Clostridiose aus. Nach Erfahrung des RGD MV gibt es nur sehr<br />
selten optimale Grassilos, andererseits beschränken sich die offensichtlichen<br />
Clostridiosen auf eine geringere Anzahl von Betrieben<br />
in bestimmten Regionen. Obwohl auch Mutterkühe unter Streß<br />
schon erkrankten, scheinen (vor allem zugekaufte) Holstein-<br />
Friesian (HF)- Hochleistungskühe im postpartalen Zeitraum <strong>und</strong><br />
mit der höchsten Leistung zuerst <strong>und</strong> am schwersten zu leiden.<br />
Kühe aus eigener Aufzucht <strong>und</strong> anderer Rassen mit geringerer<br />
Leistung erweisen sich als stabiler.<br />
Neben der Leistungsveranlagung des HF-Rindes muss auch die<br />
N U T Z T I E R P R A X I S A K T U E L L 3 1 | 2 0 0 9<br />
R I N D E R P R A X I S<br />
veränderte Erntetechnologie ins Kalkül gezogen werden. Gerade<br />
in Risikogebieten führt eine Grasernte mit geringer Schnitthöhe<br />
unter hohem Erntetempo bei womöglich ungünstigem Wetter zur<br />
Clostridienbelastung durch das Futter.<br />
Mitunter wurden im Vorfeld der Clostridiose Futtermittel wie<br />
Getreide, Sojaschrot oder Biertreber mit erhöhten Myko-/Endotoxingehalten<br />
eingesetzt.<br />
labordiagnostiK<br />
Bakteriologisch sollten möglichst (semi-)quantitative Nachweise<br />
angewendet werden. Der Anteil der Clostridien an der Gesamtflora,<br />
vor allem aber ihre Toxinbildung im Darm, entscheidet über die<br />
Krankheitsschwere. Eine einfache Darmfloraanalyse, nach der ein<br />
hoher Gehalt an Sporenbildnern (>10 4 KbE/g) bei gleichzeitigem<br />
Fehlen von physiologischen Darmkeimen festgestellt wird, gibt<br />
wichtige Anhaltspunkte. Verschiedene Clostridien wie C. perfringens<br />
werden problemlos angezüchtet. Ausschlaggebend ist ihre<br />
Fähigkeit zur Toxinbildung, die bei C. perfringens z.B. genetisch<br />
nachweisbar <strong>und</strong> quantifizierbar ist. C. botulinum hingegen ist<br />
schwer anzuzüchten <strong>und</strong> wird nur über seine Toxine nachgewiesen,<br />
auf die es aber letztlich ankommt. Beim Botulismusnachweis<br />
stellt der direkte Toxinnachweis mittels Mausbioassay aus Organproben<br />
wie Pansen, Dünndarm <strong>und</strong> Leber die sicherste Methode<br />
dar. In Kotproben von klinisch ges<strong>und</strong>en Kühen wird nach Erfahrung<br />
des RGD MV mitunter auch BoNT gef<strong>und</strong>en. Daher stellt der<br />
alleinige Toxinnachweis aus dem Kot ohne vorhandene Klinik kein<br />
sicheres Diagnostikum dar. Serologische Untersuchungen r<strong>und</strong>en<br />
das Bild ab: In betroffenen Herden haben kranke Kühe eher<br />
niedrige Titer, noch ges<strong>und</strong>e Tiere hohe Titer. Eine alleinige serologische<br />
Untersuchung ist wenig aussagekräftig, da Antikörper<br />
gegen Botulinumtoxine weit verbreitet auch in ges<strong>und</strong>en Herden<br />
gef<strong>und</strong>en werden.<br />
Die Pathologie entspricht der Klinik: Enteritiden, Hämorrhagien,<br />
Kreislaufstauungen, Nekrosen <strong>und</strong> Gasödeme werden häufig<br />
gef<strong>und</strong>en. Bei Botulismus gibt es vielfach unspezifische Bef<strong>und</strong>e.<br />
Beim HBS fällt die schwere hämorrhagische Dünndarmentzündung<br />
auf.<br />
Die Differenzialdiagnostik umfasst vor allem die Stoffwechseldiagnostik<br />
<strong>und</strong> die Abklärung weiterer infektiöser Darmerkrankungen<br />
sowie neurologischer Erkrankungen. Salmonellosen, Listeriosen,<br />
Paratuberkulose, Hirnrindennekrose, Kupfer- <strong>und</strong> Selenmangel<br />
sowie Ketosen/Azidosen können leicht ausgeschlossen werden.<br />
Tollwut, Aujeszkysche Krankheit <strong>und</strong> Vergiftungen (Blei, Selen,<br />
Mutterkorn, Schierling) sind als –nicht so wahrscheinliche Krankheiten-<br />
ggf. auch zu berücksichtigen.<br />
beKäMpFung <strong>und</strong> therapie<br />
Neben dem Absetzen verdächtiger Futtermittel – in der Regel also<br />
der Grassilage – müssen natürlich Maßnahmen zur Reduzierung<br />
25
Der Darm bei HBS<br />
R I N D E R P R A X I S<br />
Ein Grassilo, das viszeralen Botulismus hervorgerufen hat<br />
der Clostridienlast ergriffen werden. Dazu gehören der Ausschluß<br />
belastungsverdächtiger Flächen aus der Silageproduktion bzw.<br />
Beweidung, sorgfältige, schmutzarme Grasernte, einwandfreier<br />
Silobau <strong>und</strong> Einsatz von Natriumnitrit als Silierhilfsmittel. Silobewirtschaftung<br />
<strong>und</strong> Fütterung sollten optimal laufen. Mit Mykotoxinen<br />
belastete Futtermittel müssen gemieden werden. Durch C.<br />
perfringens hervorgerufene Erkrankungen können im Notfall mit<br />
Penicillinen behandelt werden. Für einzelne akut betroffene Kühe<br />
hat sich der Drench mit einer Mischung aus Leinsamen, Bierhefe,<br />
Pansenstimulans <strong>und</strong> Propylenglycol in Verbindung mit parenteraler<br />
Vitamin-B-Gabe <strong>und</strong> Antiphlogistikaeinsatz bewährt. Bei<br />
Mischclostridiosen <strong>und</strong> (Para-) Rauschbrandfällen half eine handelsübliche<br />
10fach-Vakzine. Das HBS konnte erfolgreich mit einer<br />
stallspezifischen C.-perfringens-Vakzine bekämpft werden. Botulinumtoxikosen<br />
wurden bisher fast immer durch Einsatz der BoNT-<br />
Typ CD-Toxoidvakzine der südafrikanischen Firma Onderstepoort<br />
eingedämmt. Mit dem Impferfolg bewahrheitet sich letztendlich<br />
die Diagnose.<br />
Fallbeispiel: heMorrhagiC bowel syndroMe<br />
Anamnese <strong>und</strong> Klinik<br />
Von 164 Holstein-Friesian-Milchkühen des als gepflegt <strong>und</strong> leistungsstark<br />
eingeschätzten Bestandes A. sind Anfang Juli 2007<br />
innerhalb von 14 Tagen 52 Kühe verendet bzw. notgetötet worden.<br />
Das Krankheitsgeschehen konzentrierte sich zuerst auf die<br />
erste Leistungsgruppe, hier vorrangig auf die Kühe mit der höchsten<br />
Leistung. Die Färsen in der Belegung blieben ges<strong>und</strong>, obwohl<br />
sie im gleichen Stall gegenüber standen <strong>und</strong> sowohl die gleiche<br />
Grassilage wie auch Futterreste der Kühe bekamen. Die Kühe<br />
zeigten zunächst Atmungsstörungen (exspiratorische Dyspnoe),<br />
tippelten unsicher, kamen dann mit verspanntem, schmerzhaftem<br />
Abdomen <strong>und</strong> Pansenatonie zum Festliegen <strong>und</strong> verendeten<br />
häufig in autoauskultatorischer Haltung innerhalb von St<strong>und</strong>en.<br />
Sie hatten kein Fieber. Vereinzelt traten Schluckstörungen auf:<br />
Futter wurde im Maul bewegt, aber nicht mehr abgeschluckt. Die<br />
Wasseraufnahme gelang ebenfalls nicht. Schaumiger Speichel<br />
entstand. Das Sensorium blieb klar, aber das Anheben des Kopfes<br />
erschien schwierig. Der Schwanztonus wirkte bei wenigen Tieren<br />
eingeschränkt. Teilweise reagierten die Tiere auf Hautreizungen<br />
hypersensibel. Der Pupillenreflex blieb erhalten. Die Konjunktiven<br />
erschienen verwaschen. Einige Tiere verharrten in robbensitzartiger<br />
Haltung. Der Kot erschien unauffällig, in Einzelfällen lackartigklebrig.<br />
Allgemein zeigte sich die Herde zu ruhig. Die Kühe liefen<br />
langsam <strong>und</strong> unwillig.<br />
Fütterung<br />
Die Kühe wurden in zwei Leistungsgruppen mit entsprechender<br />
TMR gefüttert.<br />
Mitte Juni 2007 gelangte Grassilage von 2006, die sich aus dem<br />
III. Schnitt einer Intensivweide <strong>und</strong> dem II. Schnitt von Extensivflächen<br />
zusammensetzte (Grassilage III/II), in langsam steigender<br />
Menge zum Einsatz. Seit dem 26.6.07 wurde dann Roggengras-<br />
26 N U T Z T I E R P R A X I S A K T U E L L 3 1 | 2 0 0 9<br />
Ein Kuh mit enteraler Clostridiose<br />
Foto Schwagerick<br />
Foto Schwagerick<br />
Foto Schwagerick
silage neu in die Ration integriert. Eine neue Charge Sojaschrot<br />
wurde ab 28.06.07 gefüttert. Anschließend wurde der Anteil<br />
Roggengrassilage nochmals erhöht. Nachdem am gleichen Tag<br />
die erste Kuh sowie an den Folgetagen etliche weitere Kühe zum<br />
Festliegen kamen, erfolgte am 08.07.07 eine erneute Umstellung:<br />
Die Roggengrassilage <strong>und</strong> die Grassilage, die sensorisch suspekt<br />
erschienen, wurden durch Grassilage vom I. Schnitt ersetzt. Bei<br />
der Roggengrassilage handelte es sich um den aus Platzmangel<br />
auf Erde befindlichen Anfang des Silos. Das Gras des II. Schnittes<br />
stammt von Naturschutzflächen eines ehemals meliorierten<br />
Niedermoorgebietes. Normalerweise werden diese Flächen nur<br />
zur Färsenweide oder Heugewinnung genutzt. Erstmals säte der<br />
Landwirt 2006 Kleegras nach <strong>und</strong> silierte das gemähte Gras des<br />
II. Schnittes. Beim Einfahren des Grases regnete es. Es gelangten<br />
Teile von Grabenaushub mit ins Silo. Das Gras des III/II. Schnittes<br />
wurde schräg an die Silage des vorhergehenden Schnittes 2006<br />
„ransiliert“, so dass sich die Partien überlappend in einem Silo<br />
befanden. Die Maissilage aus der Ernte 2006 blieb unverändert<br />
im Einsatz.<br />
Betriebsdaten – Milchleistungsprüfung (MLP)<br />
Nach der Milchleistungsprüfung im Juni 2007 hielt sich die Milchleistung<br />
seit März 2007 konstant auf hohem Niveau bei außerdem<br />
hohen Fett- <strong>und</strong> Eiweißwerten: 31,2 l Melkdurchschnitt bei<br />
4,29 % Fett- <strong>und</strong> 3,30 % Eiweißgehalt sowie eine Zellzahl von 176<br />
Tausend wurden berechnet. Insgesamt ergab die MLP ein Leistungsniveau<br />
von über 9000 l. Bis Juni 2006 wurden jedoch nur<br />
etwa 8500 l erreicht, d.h. dass innerhalb eines halben Jahres eine<br />
Leistungssteigerung von knapp 500 l stattfand. Die Spitzenkuh<br />
schaffte im Juni 2007 eine Tagesmilchleistung von 54,9 l.<br />
Bekämpfung<br />
Neben dem Absetzen der fraglichen Silagen wurde Penicillin-<br />
Streptomycin dreimal im 24-stündigen Rhythmus, am 12.07.07<br />
beginnend, zunächst an 10 kranke Kühe verabreicht. Diese überlebten<br />
dann im Gegensatz zu den unbehandelten erkrankten<br />
Kühen zu über 50 % <strong>und</strong> erholten sich. Darauf hin wurde die<br />
ganze Kuhherde in gleicher Weise behandelt. Neben der Rationsänderung<br />
zeigte diese Maßnahme die größte Wirkung. Die<br />
Jungrinder ab 4. Lebensmonat (Absetzer) erhielten eine Impfung<br />
mit Covexin 8 ® (Fa. ESSEX). Später wurden die Kühe <strong>und</strong> über<br />
ein halbes Jahr alle Zutreter zweifach mit einer stallspezifischen<br />
C.-perfringens-Vakzine (Fa. IDT) geimpft.<br />
Labordiagnostik<br />
1. Pathologie<br />
5 Kühe gelangten zur Sektion. Alle gemeinsam litten unter einer<br />
hämorrhagischen Entzündung des Labmagens <strong>und</strong> Dünndarms:<br />
„Gerötete <strong>und</strong> ödematisierte Labmagenschleimhaut, hochgradige<br />
Tympanie des Jejunums, beide mit rot- bis schwarzbrauner Flüssigkeit<br />
gefüllt; mittel- bis hochgradig blutiger Darminhalt; 11 m<br />
Jejunum mit Anschoppung von schwarz-roter Flüssigkeit“ lauteten<br />
die Bef<strong>und</strong>e.<br />
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Bei 2 Kühen fand man vermehrt Kies <strong>und</strong> Sand im Labmagen <strong>und</strong><br />
Duodenum. Weiterhin gab es Stauungserscheinungen in Lunge<br />
<strong>und</strong> Niere auf Gr<strong>und</strong> einer Herz-Kreislauf-Insuffizienz, Blutungen<br />
<strong>und</strong> mehrfach zu hohe Pansensaft-pH-Werte. Der Dünndarm<br />
war durchweg mit Clostridium perfringens besiedelt, bei 4 von 5<br />
Tieren hochgradig in Reinkultur. In einem Fall konnte histologisch<br />
eine direkte Besiedlung der Jejunumschleimhaut festgestellt<br />
werden. Bei einem Rind kam Clostridium septicum hinzu, die<br />
Besiedlung betraf auch den Uterus <strong>und</strong> die Unterhaut (schnelle<br />
Autolyse).<br />
2. Weitere Untersuchungen<br />
zur Clostridienbestimmung<br />
Im Duodenum zweier <strong>und</strong> im Jejunum dreier untersuchter Kühe<br />
fand man Clostridium perfringens <strong>und</strong> alpha-Toxintiter bis 1:32.<br />
Aus dem Duodenum zweier Kühe konnte Botulinumneurotoxin<br />
(BoNT) Typ CD isoliert werden. Bei einem von diesen Tieren<br />
gelang zusätzlich der Nachweis von Typ C1- <strong>und</strong> C2- Toxin-Genen<br />
(PCR) sowie von BoNT (nicht spezifiziert) aus der Leber. Bei dem<br />
anderen Tier wurde BoNT (nicht spezifiziert) im Panseninhalt<br />
gef<strong>und</strong>en. BoNT-Antikörper wurden in stark wechselnder Konzentration<br />
nachgewiesen. Aus dem Kot zweier weiterer Kühe gelang<br />
der Nachweis von BoNT- potenten Clostridiumstämmen Typ CD.<br />
3. Futtermitteluntersuchungen<br />
Roggengrassilage:<br />
Zu hohe Rohaschegehalte gab es in der Boden- <strong>und</strong> Deckschicht,<br />
hier auch Hefen mit 10 8 KbE/g. Mesophile Bakterien <strong>und</strong> Schimmelpilze<br />
traten in erhöhter Konzentration auf. BoNT Typ AB ließ<br />
sich direkt bestimmen. Hinter der Anschnittfläche bei überdurchschnittlichem<br />
Nährstoffgehalt <strong>und</strong> für dieses Futtermittel rel.<br />
niedrigem Rohasche- <strong>und</strong> Kaliumgehalt wurde der Siliererfolg<br />
(nach DLG) mit „gut“ bewertet. Allerdings enthielt die Probe fast<br />
29 g/kg TS Ethanol.<br />
Grassilage III/II. Schnitt 2006:<br />
Bei einem Rohaschegehalt von 129 g/kg TS <strong>und</strong> entsprechendem<br />
Kaliumgehalt von 39 g/kg TS sowie 27,7 g/kg TS Buttersäure <strong>und</strong><br />
23,6 % Ammoniakanteil am Gesamtstickstoff lag erwartungsgemäß<br />
der pH-Wert mit 6,55 oberhalb des Grenzwertes. Die<br />
schwere Fehlsilierung zeigte sich dann auch bei der mikrobiellen<br />
Untersuchung, nach der 10 7 KbE/ g Hefen gef<strong>und</strong>en wurden.<br />
Diese Silage galt als verdorben <strong>und</strong> nicht verkehrsfähig.<br />
Grassilage I. Schnitt:<br />
Abgesehen von einem hohen Eisengehalt (1071 mg/kg TS),<br />
der tendenziell in allen Konservaten dieses Betriebes gemessen<br />
wurde, entspricht die Silage der Norm. Die Gärqualität wurde<br />
als „gut“ eingeschätzt, die mikrobiologische Beschaffenheit entsprach<br />
den Anforderungen an qualitätsgerechtes Kuhfutter. In<br />
beiden Grassilagen fiel die Untersuchung auf BoNT negativ aus.<br />
Maissilage:<br />
Die Maissilage wies in jeder Hinsicht eine gute Qualität auf.<br />
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Sojaschrot:<br />
Im Sojaschrot ist mit 10 4 KbE/g Aspergillus flavus eine bedenkliche<br />
Belastung mit diesem potentiellen Mykotoxinbildner bestimmt<br />
worden, die Aflatoxinkonzentration lag mit 9 μg/kg OS allerdings<br />
unter der zulässigen Höchstgrenze von 20 μg/kg. Außerdem<br />
konnten per PCR C.-perfringens-Toxin-Gene Typ alpha <strong>und</strong> epsilon<br />
nachgewiesen werden, jedoch kein BoNT.<br />
Interpretation<br />
Die Krankheit brach nach einer Futterumstellung bei Kühen mit<br />
sehr hoher Leistung aus. Einerseits gelangten ca. 7 Tage vor Ausbruch<br />
neue, mikrobiologisch bedenkliche Gr<strong>und</strong>futter in die TMR.<br />
Insbesondere die Grassilage III/II. Schnitt dürfte die Pansenflora<br />
in Mitleidenschaft gezogen haben. Andererseits gab es innerhalb<br />
einer Woche zwei Rationsumstellungen. Alle mikrobiologischen<br />
Bef<strong>und</strong>e führten zum gleichen Ergebnis: Der obere Verdauungstrakt<br />
der Hochleistungskühe litt unter einer Überwucherung<br />
<strong>und</strong> pathogenen Kolonisierung durch Clostridien, insbesondere<br />
durch Clostridium (C.) perfringens Typ A, verb<strong>und</strong>en mit starker<br />
α-Toxinbildung. Beteiligt waren weiterhin C. botulinum-Toxine Typ<br />
C1, C2 <strong>und</strong> D. Die Botulinumtoxine schränken auf jeden Fall die<br />
Verdauung der Ingesta ein, schaffen damit vielleicht den Nährboden<br />
für die explosionsartige Vermehrung von C. perfringens. Bei<br />
einigen Kühen wurden postmortal erstaunlich hohe Pansensaft<br />
- pH-Werte gemessen. Man fand größere Sand- <strong>und</strong> Kiesanschoppungen<br />
im Magen <strong>und</strong> Dünndarm. Regional bedingt enthält der<br />
Boden viel Eisen, das durch Erdverschmutzung der Silagen (s.<br />
Eisengehalte) in großer Menge in den Verdauungstrakt der Kühe<br />
gelangte <strong>und</strong> die Darmflora ebenfalls nachteilig beeinflussen<br />
konnte. Durch das Sojaschrot fand zusätzlich noch ein Eintrag<br />
von Aspergillus fumigatus statt. Die Kühe sind mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
am Hemorrhagic Bowel Syndrome, das in neuerer<br />
Literatur entsprechend beschrieben wird, erkrankt <strong>und</strong> verendet.<br />
Epikrise<br />
Die Herde erholte sich innerhalb weniger Wochen. Fragliche Grünflächen<br />
werden nicht mehr zur Silageproduktion genutzt. Auf<br />
sachgerechten Silobau wird geachtet. Rationsumstellungen erfolgen<br />
mit größter Vorsicht. Im Dezember 2007 erreichte die Herde<br />
wieder die alte Leistungsstärke (9500 kg). Bis heute gab es keine<br />
weiteren Probleme. Es mußten etliche Jungkühe zugekauft werden.<br />
Der wirtschaftliche Schaden beträgt etwa 110 000,- €. �<br />
Literatur bei den Verfassern<br />
Birgit Schwagerick<br />
Rinderges<strong>und</strong>heitsdienst der Tierseuchenkasse<br />
von Mecklenburg-Vorpommern<br />
(www.tskmv.de/ Schwagerick@googlemail.com)<br />
Renate Rosenmöller<br />
Praktizierende Tierärztin in Neu Vorwerk<br />
(Rosenmoeller@t-online.de)<br />
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