Andreas Reiners - Kulturmagazin Bodensee
Andreas Reiners - Kulturmagazin Bodensee
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Zwischen<br />
Bildreportage<br />
und Konzeptkunst:<br />
<strong>Andreas</strong><br />
<strong>Reiners</strong> „Fotografie<br />
auf Augenhöhe“<br />
8<br />
<strong>Andreas</strong> Reiner hat in den vergangenen<br />
Jahren mit einer Reihe von Foto-Reportagen<br />
bundesweit Aufmerksamkeit erregt,<br />
darunter Projekte über den ISAF-Einsatz in Afghanistan,<br />
die ehemalige Box-Weltmeisterin<br />
Rola El-Halabi und Selbstporträts von Menschen<br />
mit Behinderung. Die Städtische Galerie<br />
„Fähre“ in Bad Saulgau gibt nun erstmals<br />
einen umfassenden Überblick über das Werk<br />
des Biberacher Fotografen. <strong>Reiners</strong> Blick auf<br />
den Menschen richtet sich gezielt auf Bereiche,<br />
die häufig übersehen oder ausgeblendet<br />
werden: Das Unspektakuläre<br />
und Alltägliche, das Abseitige<br />
und Randständige,<br />
das sich oft verborgen vor<br />
unseren Augen und doch<br />
mitten in unserem Leben<br />
abspielt. Er rückt dabei<br />
Themen wie Krankheit, Armut,<br />
Behinderung oder Tod<br />
in den Fokus. Gleichzeitig<br />
zeigt er aber auch mit subtilem<br />
Humor, mit welch<br />
eigenwilligen Strategien<br />
die unterschiedlichsten<br />
sozialen Gruppen – von<br />
Landwirten bis zur Rocker-<br />
Gang - auf die Zumutungen<br />
der modernen Welt<br />
reagieren. Die Ausstellung<br />
„SichtlichMensch“ zeigt<br />
einen Querschnitt durch<br />
<strong>Andreas</strong> <strong>Reiners</strong> Schaffen,<br />
das sich zwischen klassischer<br />
Reportage, inszenierten<br />
Porträts und konzeptueller<br />
Kunst bewegt<br />
und schlaglichtartig unterschiedlichste<br />
Seiten unseres<br />
Menschseins sichtbar<br />
macht.<br />
<strong>Andreas</strong> <strong>Reiners</strong> Art zu fotografieren ist<br />
von einer erfrischenden Direktheit und Unmittelbarkeit,<br />
wie sie bei der heutigen Fotografen-Generation<br />
selten anzutreffen ist. Er<br />
folgt keiner künstlerischen Schule oder intellektuellen<br />
Theorie, sondern arbeitet „aus<br />
dem Bauch heraus“ und verlässt sich ganz<br />
auf seine Intuition. Im Mittelpunkt seiner Arbeit<br />
steht der Mensch, genauer: der Mensch<br />
am Rande der Gesellschaft, der Mensch in<br />
existenzieller Not oder in einer Extremsituation.<br />
Wir begegnen ihm in der Psychiatrie und<br />
im Hospiz, wir begegnen Krebskranken, Hartz<br />
IV-Empfängern, Autisten, verarmten Roma,<br />
Rockern und Behinderten. <strong>Reiners</strong> ungewöhnliches<br />
und sperriges Themenrepertoire,<br />
aber auch sein Zugang zu diesen Menschen,<br />
hat zweifelsohne mit seiner eigenen Lebensgeschichte<br />
zu tun. Er sucht oder findet seine<br />
Themen nämlich genau dort, wo er mit seiner<br />
Erfahrung anknüpfen kann: Situationen und<br />
Ereignisse, die ihm selbst alles abverlangt<br />
und an Grenzen geführt haben.<br />
Geboren im Jahr 1968 wächst <strong>Andreas</strong><br />
Reiner in wohlsituierten Verhältnissen auf.<br />
Der Vater, ein erfolgreicher mittelständischer<br />
Unternehmer, ist viel unterwegs und genießt<br />
großes Ansehen in der Gemeinde; die Mutter<br />
kümmert sich um das Geschäft. Als 1983<br />
der Vater überraschend an einem Herzschlag<br />
stirbt, gerät das Leben der Familie aus der<br />
Bahn. Die Mutter kommt über den Tod ihres<br />
Mannes nicht hinweg und macht ihrem<br />
Leben ein Ende. Damit nicht genug, geht es<br />
auch wirtschaftlich bergab, so dass <strong>Andreas</strong><br />
Reiner zeitweise nicht einmal mehr ein Dach<br />
über dem Kopf hat. Allen Widrigkeiten zum<br />
Trotz gelingt es ihm dennoch, beruflich und<br />
privat auf die Beine zu kommen. Der gelernte<br />
Zimmermann macht seinen eigenen Betrieb<br />
auf, doch zu sehr lastet die Vergangenheit<br />
auf ihm. Erst ist es die Zimmerei, dann auch<br />
die Ehe, die in die Brüche geht. Mit Unterbrechungen<br />
verbringt er anschließend zwei Jahre<br />
in der Psychiatrie, wird arbeitslos, lebt von<br />
Hartz IV, bis es ihm gelingt - mittlerweile 37
Jahre alt -, eine Ausbildung zum Fotografen zu<br />
machen und neu anzufangen.<br />
Ausgestattet mit einem Sensorium für<br />
„schwierige“ Themen entwickelt er eine fotografische<br />
Sprache, die sich „auf Augenhöhe“<br />
mit den Menschen bewegt, denen er sich in<br />
seinen Projekten widmet. Die Menschen spüren,<br />
dass <strong>Andreas</strong> Reiner einer ist, der sich<br />
ohne Wenn und Aber auf sie einlässt. Einer,<br />
der weiß, wie es sich anfühlt, wenn man „ganz<br />
unten“ ist. So sind Ehrlichkeit, Vertrauen und<br />
Respekt die Grundlage für die zahlreichen<br />
Projekte, die <strong>Andreas</strong> Reiner in nur wenigen<br />
Jahren umsetzt und die von der klassischen<br />
Bildreportage über das inszenierte Porträt<br />
bis zum konzeptuellen Ansatz reichen.<br />
In seinen Reportagen – etwa über den<br />
Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr 2011<br />
oder die Roma 2012 – knüpft er an die Tradition<br />
des klassischen Bildjournalismus. Im<br />
Vordergrund steht bei ihm immer die Nähe<br />
zu seinem Thema und den Menschen – eben<br />
eine Begegnung „auf Augenhöhe“. Ob er sich<br />
dem Thema Demenz nähert, dem Alltag in<br />
einer psychiatrischen Klinik oder einer Wohngruppe<br />
von Menschen mit Autismus, stets ist<br />
es die Mischung von Nähe, Respekt und Achtung<br />
für sein Gegenüber bei gleichzeitiger dokumentarischer<br />
Sachlichkeit und Strenge, die<br />
seine Bilder auszeichnet. Er lässt sich nicht<br />
von den Inhalten überrumpeln und zu effekthascherischen<br />
Dramatisierungen hinreißen,<br />
sondern in seiner unprätentiösen Bildsprache<br />
eine Ahnung dieser Lebenswirklichkeiten<br />
entstehen, die weit weg ist von jeglichem Voyeurismus.<br />
Eine Sonderstellung in seinem Werk nehmen<br />
die Selbstporträts von Behinderten ein.<br />
Hier agiert er nicht selbst als Fotograf, sondern<br />
verfolgt einen konzeptuellen Ansatz,<br />
bei dem die Menschen sich selber per Selbstauslöser<br />
fotografieren. Diese Bilder, die nur<br />
das Gesicht der behinderten Menschen vor<br />
schwarzem Hintergrund zeigen, lassen kein<br />
Abschweifen zu. Sie zwingen uns diesen<br />
Menschen ins Gesicht zu schauen, so wie sie<br />
sind und wie sie sich selbst sehen. Es sind<br />
verstörende Bilder, in deren radialer Reduktion<br />
<strong>Andreas</strong> <strong>Reiners</strong> „Fotografie auf Augenhöhe“<br />
einen Kulminationspunkt erreicht. Im<br />
Bemühen um größtmögliche Authentizität<br />
überwindet er hier den klassischen Antagonismus<br />
zwischen Objekt und Subjekt in der<br />
Fotografie. Er stellt zwar den Rahmen und die<br />
Form für das fotografische Geschehen, löst<br />
sich aber aus der Rolle des kontrollierenden<br />
Betrachters und lässt die Porträtierten selbst<br />
über das Bildgeschehen bestimmen.<br />
<strong>Andreas</strong> Ruess<br />
Zur Ausstellung in der „Fähre“ ist ein umfangreicher<br />
Katalog erschienen mit Textbeiträgen<br />
u.a. von Herlinde Koelbl. Die berühmte<br />
Fotografin bemerkt darin: „<strong>Andreas</strong> <strong>Reiners</strong><br />
fotografische Stärke liegt in der Strenge, im<br />
Weglassen und auf den richtigen Moment<br />
warten. Seine Themen sind Menschen, die<br />
an den Rändern der Gesellschaft leben, die<br />
nicht dazu gehören können oder wollen. Ihnen<br />
verleiht er Stimme und Gewicht.“<br />
<strong>Andreas</strong> Reiner: geboren 1968 in Göppingen,<br />
Lehre als Zimmermann mit anschließender<br />
Meisterschule, später Ausbildung zum Fotografen.<br />
Veröffentlichungen aus zahlreichen<br />
Fotoreportagen (u.a. Auschwitz, Hospiz, Afghanistan,<br />
Rola El-Halabi, Menschen mit Behinderung)<br />
in STERN, Christ & Welt, SPIEGEL,<br />
Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Zeitung,<br />
STERN-TV. Seit 2007 selbständiger Fotograf.<br />
Lebt in Biberach-Galmutshöfen.<br />
15.6.-15.9.2013<br />
Städtische Galerie Fähre I Altes Kloster<br />
Bad Saulgau I Hauptstr. 102/1 I 88348 Bad<br />
Saulgau T07581-207-166 I Di-So 14-17 I www.<br />
bad-saulgau.de<br />
Katalog mit zahlreichen Abbildungen und<br />
Textbeiträgen von Herlinde Koelbl, <strong>Andreas</strong><br />
Öhler und <strong>Andreas</strong> Ruess. 144 Seiten, Hardcover,<br />
Preis: 24 Euro<br />
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