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Frauen in Wohnungsnot - Obdach e.V.

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Ausgabe Sommer 2007<br />

Abgabe gegen<br />

e<strong>in</strong>e Spende von:<br />

€1,70<br />

davon 0,70<br />

für den<br />

Verkäufer<br />

Ke<strong>in</strong>e Wohnung<br />

Ke<strong>in</strong>e Arbeit<br />

Köpenickiade 2007<br />

S.17<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Wohnungsnot</strong><br />

S.3<br />

Suchtwochen 2007


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Das perfekte Umzugsteam<br />

Demnächst ist es so weit: die lange erwartete und<br />

dr<strong>in</strong>gend notwendige Renovierung des Gebäudekomplexes<br />

<strong>in</strong> der Rohrbacher Straße 62 kann starten! Bis<br />

Mitte Juli wohnten im Haupt- und Seitengebäude<br />

<strong>in</strong>sgesamt 26 Personen – dank der großzügigen<br />

Unterstützung von Stadt und GGH wurden für alle<br />

Bewohner angemessener Ersatzwohnraum gefunden.<br />

Hier können sie während der Umbauzeit, die<br />

voraussichtlich bis Ende dieses Jahres dauert,<br />

unterkommen.<br />

Für Menschen, die zum Teil sehr lange auf der Straße<br />

lebten, ist e<strong>in</strong> Umzug zunächst mit Ängsten und<br />

Verunsicherung verbunden: sie verlieren e<strong>in</strong>e<br />

Umgebung und zum Teil auch Nachbarn, an die sie<br />

sich mühsam gewöhnt hatten. Gibt es im neuen<br />

Quartier Möglichkeiten zum E<strong>in</strong>kaufen? Wie kommen<br />

wir zum OBDACH-Treff? Wie weit ist es zum Arzt oder<br />

zur Apotheke? Werden uns die neuen Nachbarn<br />

akzeptieren? Ist es sicher, dass wir wieder <strong>in</strong> unsere<br />

bisherigen Wohnungen zurückkehren? All diese<br />

Fragen erschweren e<strong>in</strong>en, wenn auch vorübergehenden,<br />

Ortswechsel.<br />

Da ist hilft es sehr, wenn es vertraute Menschen gibt,<br />

die beim Ausräumen, Transportieren, Aufbauen von<br />

Möbeln und der E<strong>in</strong>richtung der neuen Bleibe helfen.<br />

Das Bau- und Reparatur-Team von OBDACH e.V. mit<br />

Gerd, Jürgen, Werner und Uwe unter der Leitung von<br />

Jürgen W<strong>in</strong>disch hat dabei ganze Arbeit geleistet! Die<br />

sorgfältig durchdachte Planung der Teamleitung<br />

machte es möglich, die Umzüge aller 26 betroffener<br />

Mieter <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit und vollkommen reibungslos<br />

abzuwickeln. E<strong>in</strong> auf Umzüge spezialisiertes<br />

Unternehmen hätte es nicht schneller und besser<br />

machen können!<br />

Schon Wochen vor dem Umzugsterm<strong>in</strong> packten sie<br />

Kleidungsstücke, Geschirr und persönliche Habe <strong>in</strong><br />

Umzugskartons und lagerten sie e<strong>in</strong>. Sobald die ersten<br />

Wohnungen frei wurden, packten sie alles auf den<br />

Lieferwagen, der uns von „Helfern ohne Grenzen e.V.“<br />

zur Verfügung gestellt wurde. Gerd steuerte das Fahrzeug<br />

sicher durch die enge Hofe<strong>in</strong>fahrt zum Emmertsgrund<br />

und <strong>in</strong> den Ste<strong>in</strong>zeitweg. Das Team schleppte<br />

die Sachen <strong>in</strong> die neuen Wohnungen und baute die<br />

wichtigsten Möbel gleich auf. Sie sorgten sogar dafür,<br />

dass die wichtigsten Anschlüsse, wie Strom, Wasser<br />

und Fernsehen, funktionierten und überall Lampen<br />

<strong>in</strong>stalliert wurden.<br />

So konnten sich die Bewohner <strong>in</strong> ihrer neuen Heimat<br />

gleich wie zu Hause fühlen und richteten sich dort<br />

richtig gemütlich e<strong>in</strong>. Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em halben Jahr die<br />

Rückkehr <strong>in</strong> die vertraute Weststadt ansteht, werden<br />

ihnen die kompetenten und freundlichen Helfer des<br />

Teams von OBDACH e.V. auch den Rückzug wieder<br />

leicht machen.<br />

Dr. Alex Füller<br />

Mitglied des Vorstandes<br />

Inhalt<br />

Seite<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> <strong>Wohnungsnot</strong>…………………...3<br />

Transport……………………………………..4<br />

Heidelberger Tafel…………………………..5-6<br />

Es stürmt auf breiter Front ………………..7<br />

Ich lebe me<strong>in</strong> zehntes Leben ……………..8<br />

Der Sturm des Lebens……………………...9<br />

Lebenslauf …………………………………..10<br />

Soziale Sicherheit ………………………….11<br />

Suchtwoche ………………………………...12<br />

Alkohol-Mythen …………………………….13<br />

Sucht hat viele Gesichter ………………...14-15<br />

<strong>Obdach</strong>lose unerwünscht…………….......16<br />

Köpenickiade 2007………………………....17-19<br />

Büchertipps………………………………….20<br />

Gags Seite……..……….…………………....21<br />

Kle<strong>in</strong>anzeigen/Impressum………………...22<br />

Schmunzelseite……………………………..23<br />

Poesie………………………………………...24<br />

2


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> <strong>Wohnungsnot</strong><br />

Die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. geht <strong>in</strong> ihrer<br />

bundesweiten Schätzung zur Zahl der weiblichen<br />

Wohnungslosen im Jahr 2004 davon aus, dass ca.<br />

67.000 – das s<strong>in</strong>d ca. 23 % aller geschätzten<br />

Wohnungslosen – <strong>Frauen</strong> s<strong>in</strong>d. Im Jahr 2002 belief<br />

sich die geschätzte Anzahl der wohnungslosen <strong>Frauen</strong><br />

auf ca. 75.000. Bei den Personen, die ohne jede<br />

Unterkunft auf der Straße leben, liegt die Anzahl der<br />

<strong>Frauen</strong> nach Schätzungen der BAGW bei ca. 1.800 bis<br />

2.200 im Jahr 2002. Dies entspricht e<strong>in</strong>em<br />

prozentualen Anteil von um die 10 %. E<strong>in</strong>e Schätzung<br />

der auf der Straße lebenden <strong>Frauen</strong> für das Jahr 2004<br />

liegt nicht vor.<br />

Diese Zahlen bilden weibliche Wohnungslosigkeit nur<br />

begrenzt ab. <strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> <strong>Wohnungsnot</strong> s<strong>in</strong>d vor allem<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> Armuts- und Gewaltsituationen. Es s<strong>in</strong>d<br />

<strong>Frauen</strong>, die <strong>in</strong> verdeckter Wohnungslosigkeit bei<br />

Bekannten, Verwandten und Freund/-<strong>in</strong>nen leben.<br />

Oder <strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> <strong>Frauen</strong>häusern und anderen sozialen<br />

E<strong>in</strong>richtungen, die dort verbleiben, weil sie ke<strong>in</strong>e<br />

angemessene Wohnung f<strong>in</strong>den. H<strong>in</strong>zu kommen<br />

<strong>Frauen</strong>, deren Wohnungslosigkeit durch Prostitution<br />

verdeckt bleibt.<br />

Weibliche Wohnungslosigkeit ist e<strong>in</strong> Phänomen,<br />

welches <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Charakteristiken und weniger<br />

offenkundigen Ausprägungen erst langsam öffentlich<br />

wahrgenommen wird. Bisher angestammte Erklärungsund<br />

Hilfemuster der Wohnungslosenhilfe müssen sich<br />

noch an die anderen Notlagen und Bewältigungsstrategien<br />

von <strong>Frauen</strong> anpassen. Im S<strong>in</strong>ne des Gen<br />

der Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>gs kann dies auch e<strong>in</strong>e Qualifizierung<br />

der Hilfen für Männer <strong>in</strong> <strong>Wohnungsnot</strong> bedeuten.<br />

Durch die immer noch bestehende geschlechtsspezifische<br />

Verteilung von Erwerbsarbeit und E<strong>in</strong>kommen<br />

tragen <strong>Frauen</strong> e<strong>in</strong> spezifisches Armutsrisiko. Sie<br />

können durch die B<strong>in</strong>dung an die unbezahlte Tätigkeit<br />

<strong>in</strong> Haushalt und Familie relativ unvermittelt <strong>in</strong> wirtschaftliche<br />

Not geraten, da die Systeme der sozialen<br />

Sicherung ausschließlich an der Erwerbsarbeit ausgerichtet<br />

s<strong>in</strong>d. Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d die Möglichkeiten<br />

von <strong>Frauen</strong>, Erwerbsarbeit, Schwangerschaft, Erziehungszeiten<br />

und Reproduktionsarbeit (Haus- und<br />

Familienarbeit) zu verb<strong>in</strong>den, begrenzt, so dass<br />

zusätzliche Armutsrisiken drohen. Nicht zuletzt deshalb<br />

leben <strong>Frauen</strong> häufig <strong>in</strong> ökonomischer Abhängigkeit von<br />

Partnern und Ehemännern sowie Familie, Banken und<br />

Institutionen.<br />

Männliche Gewalt gegenüber <strong>Frauen</strong> ist als e<strong>in</strong><br />

weiteres Ursachenfeld für die <strong>Wohnungsnot</strong> von<br />

<strong>Frauen</strong> zu betrachten. Dabei ist es nicht nur die Flucht<br />

vor der Gewalt, die <strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> <strong>Frauen</strong>häuser oder <strong>in</strong> die<br />

verdeckte Wohnungslosigkeit zu Freund/-<strong>in</strong>nen und<br />

Verwandten treibt, sondern auch das Verbleiben <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er gewaltsamen oder konfliktbelasteten Beziehung.<br />

Aus Mangel an für sie erkennbaren Alternativen und<br />

Hilfen ertragen viele <strong>Frauen</strong> diese Form der<br />

<strong>Wohnungsnot</strong>.<br />

Die genannten Ursachen s<strong>in</strong>d frauenspezifisch.<br />

Sie ergänzen jene, die auf die Wohnungslosigkeit<br />

beider Geschlechter zutreffen. Hierzu gehören neben<br />

Armut und Arbeitslosigkeit auch psychische Erkrankungen,<br />

Drogensucht sowie die ungesicherte Heimund<br />

Haftentlassung<br />

Immer mehr <strong>Frauen</strong> leben auf der Straße<br />

In Baden-Württemberg gibt es immer mehr <strong>Obdach</strong>lose.<br />

Nach Angaben der Diakonie Württemberg ist die<br />

Zahl der <strong>Obdach</strong>losen <strong>in</strong> den vergangenen zehn Jahren<br />

um die Hälfte gestiegen. Bei <strong>Frauen</strong> habe sie<br />

sogar um das Dreifache zugenommen.<br />

Im vergangenen Jahr hätten <strong>in</strong> Baden-Württemberg<br />

rund 21.000 Menschen ke<strong>in</strong> eigenes Dach über dem<br />

Kopf gehabt, sagte Frieder Claus von der Diakonie<br />

Württemberg <strong>in</strong> Stuttgart. Als wesentliche Ursachen<br />

nannte er den Verlust der Arbeit, Abbau der Wohnbauförderung<br />

und weniger Wohngeld für Arbeitslose nach<br />

Hartz IV.<br />

Claus verwies darauf, dass die Wohnbauförderung<br />

gegenwärtig nur noch etwa zehn Prozent dessen<br />

betrage, was die öffentliche Hand Anfang der 80er<br />

Jahre aufgewendet habe. Darunter zu leiden hätten vor<br />

allem Hartz-IV-Bezieher. Viele von ihnen müssten sich<br />

preiswertere Wohnungen suchen. „Wer nichts Günstiges<br />

f<strong>in</strong>det, der bekommt die Miete nicht mehr<br />

ausreichend bezahlt", kritisiert Claus. In e<strong>in</strong>zelnen Regionen<br />

hätten deshalb Zwangsräumungen deutlich<br />

zugenommen.<br />

Mehr jüngere Menschen werden obdachlos<br />

Zugenommen habe auch die Zahl von jungen Arbeitslosen,<br />

die auf der Straße leben. „Für junge Leute unter<br />

25 Jahren werden ke<strong>in</strong>e Kosten für die Wohnung<br />

übernommen, wenn sie ohne besonderen Grund zu<br />

Hause ausziehen", bemängelt Claus.<br />

Den beträchtlichen Anstieg der Zahl obdachloser<br />

<strong>Frauen</strong> erklärte er unter anderem mit wachsender<br />

Armut bei Alle<strong>in</strong>erziehenden. Andererseits seien viele<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>in</strong> der Statistik nicht aufgetaucht. „Wir wussten,<br />

dass es bei <strong>Frauen</strong> e<strong>in</strong>e enorme Dunkelziffer gibt",<br />

berichtete er. Sie hätten ab und zu bei Männern<br />

Unterschlupf „unter E<strong>in</strong>satz ihrer Arbeitskraft oder ihres<br />

Körpers" gefunden. Das passiere heute aber immer<br />

weniger, weil die Armut allerorten wachse.<br />

3


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

BRUTALER "TRENDSPORT" IN DEN USA<br />

Teenager machen Jagd auf<br />

<strong>Obdach</strong>lose<br />

Alarmierende Zahlen aus den USA: Immer mehr<br />

gelangweilte Teenager, die zuvor niemals straffällig<br />

geworden s<strong>in</strong>d, lassen ihre Frustrationen an den<br />

Schwächsten aus. Sie misshandeln, demütigen und<br />

töten <strong>Obdach</strong>lose mit unvorstellbarer Brutalität.<br />

Milwaukee - "Es hat als Spiel angefangen", sagt<br />

Nathan M. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview des Nachrichtensenders<br />

CNN. Er habe e<strong>in</strong>fach nur Hasch rauchen und etwas<br />

tr<strong>in</strong>ken wollen, so der 15-Jährige. Zunächst hätten er<br />

und se<strong>in</strong>e Freunde Luis O., 16, und Andrew I., 17,<br />

geme<strong>in</strong>sam mit dem <strong>Obdach</strong>losen Rex Baum e<strong>in</strong> paar<br />

Bier getrunken. "Ke<strong>in</strong>e große Sache", sagt der<br />

Teenager.<br />

Sie stießen und traten den Wehrlosen, schlugen mit<br />

Felsbrocken, Ziegelste<strong>in</strong>en und e<strong>in</strong>em Baseballschläger<br />

auf ihn e<strong>in</strong>, schleuderten e<strong>in</strong>en Grill auf den<br />

Mann. Der 17-Jährige schmierte se<strong>in</strong>e Exkremente <strong>in</strong><br />

das Gesicht des Opfers. Anschließend versetzte er<br />

Baum e<strong>in</strong>en Schnitt mit dem Messer, "um zu sehen, ob<br />

er noch lebt".<br />

Als Baum sich nicht mehr regte, zerstörten die<br />

Teenager das Zeltlager des <strong>Obdach</strong>losen und<br />

versteckten den Toten unter e<strong>in</strong>er Plastikplane - <strong>in</strong> der<br />

Hoffnung, "dass die Tiere ihn fressen". Anschließend<br />

schlenderten sie auf e<strong>in</strong>en Snack zum nächstgelegenen<br />

McDonald's-Restaurant. Später hätten sie<br />

sich gefragt: "Was haben wir gerade getan?", so<br />

Moore, "aber es gibt ke<strong>in</strong>e rationale Erklärung dafür."<br />

Viermal mehr Attacken auf <strong>Obdach</strong>lose als 2000<br />

Der Gewaltexzess ereignete sich 2004, die drei<br />

Jugendlichen wurden gefasst und sitzen lange<br />

Haftstrafen ab. Doch die brutale Attacke auf e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Obdach</strong>losen war ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall <strong>in</strong> den USA, 2006<br />

wurden mehr Angriffe gezählt als <strong>in</strong> den acht Jahren<br />

zuvor. E<strong>in</strong>e Untersuchung der <strong>Obdach</strong>losenvere<strong>in</strong>igung<br />

"National Coalition of the Homeless" listet<br />

122 Übergriffe auf, etwa viermal so viele wie im Jahr<br />

2000. 20 Opfer kamen dabei ums Leben, der<br />

überwiegende Teil der Täter war jünger als 20 Jahre.<br />

"Es ist verstörend zu wissen, dass junge Menschen<br />

auch dann noch zutreten, wenn jemand schon am<br />

Boden liegt", sagte Michael Stoops, der Vorsitzende<br />

der <strong>Obdach</strong>losenvere<strong>in</strong>igung. "Wir wissen, dass dies<br />

nicht auf jeden Teenager zutrifft", so Stoops bei CNN,<br />

"aber manche betrachten das e<strong>in</strong>fach als amüsant"<br />

E<strong>in</strong>e Überwachungskamera filmt e<strong>in</strong>e Attacke auf<br />

<strong>Obdach</strong>losen: Die Zahl der Übergriffe steigt.<br />

Irgendwann geriet das Zechgelage außer Kontrolle.<br />

Zunächst hätten sie Stöcke und Laub nach dem<br />

<strong>Obdach</strong>losen geworfen, kurze Zeit später habe Luis<br />

angefangen, Baum zu schlagen. "Zuerst dachten wir,<br />

das wäre nur Spaß", so Nathan, "irgendwann haben<br />

wir mitgemacht".<br />

Meist stammen die Täter aus Mittelschichtfamilien und<br />

s<strong>in</strong>d nie vorher straffällig geworden. Die Eltern ahnen<br />

<strong>in</strong> der Regel nicht das Ger<strong>in</strong>gste von den<br />

Freizeitaktivitäten ihrer K<strong>in</strong>der. Immer häufiger<br />

dokumentieren Teenager ihre Attacken mit Handys<br />

oder Kameras. E<strong>in</strong>ige sollen sich von der Videoreihe<br />

"Bumfights" <strong>in</strong>spiriert gefühlt haben, berichtet CNN. Die<br />

Filme zeigen <strong>Obdach</strong>lose, die für e<strong>in</strong> paar Dollar vor<br />

der Kamera aufe<strong>in</strong>ander losgehen. Gelegentlich führen<br />

Täter auch blutrünstige Computerspiele als Vorbild für<br />

die Misshandlungen an.<br />

4


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Die Heidelberger Tafel<br />

Die heidelberger tafel e. V. wurde 1995 gegründet und<br />

ist e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getragener geme<strong>in</strong>nütziger Vere<strong>in</strong>, mit zwei<br />

Vorsitzenden (Bertram Nisseler und Ingrid Gerstner)<br />

sowie e<strong>in</strong>er Schatzmeister<strong>in</strong> (B. Zeller).<br />

Die Idee, die h<strong>in</strong>ter der Tafelbewegung steckt, ist die,<br />

produzierte Überschüsse denjenigen zukommen zu<br />

lassen, die unter schwierigen Bed<strong>in</strong>gungen leben.<br />

Denn <strong>in</strong> unseren Augen macht es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, täglich<br />

große Mengen Lebensmittel wegzuwerfen, während<br />

viele Menschen Mühe haben, sich mit dem Nötigsten<br />

zu versorgen.<br />

Die Altersstruktur der ca. 30 Vere<strong>in</strong>smitglieder und<br />

MitarbeiterInnen reicht von 20 bis über 70 Jahre. Es<br />

arbeiten ausschließlich ehrenamtlich Studenten,<br />

Hausfrauen, Rentner, Arbeitslose und Berufstätige<br />

mite<strong>in</strong>ander, verbunden durch die Tafelidee.<br />

Regelmäßige Treffen und Mitgliederversammlungen<br />

dienen der Optimierung und Umsetzung von<br />

Vere<strong>in</strong>saufgaben und zum Austausch untere<strong>in</strong>ander.<br />

Der Vere<strong>in</strong> erhält ke<strong>in</strong>e staatlichen Zuschüsse und<br />

f<strong>in</strong>anziert sich daher ausschließlich aus Spenden, was<br />

e<strong>in</strong>e unabhängige und freie Arbeit, auch im politischen<br />

S<strong>in</strong>ne bedeutet.<br />

Die heidelberger tafel e.V. gibt die e<strong>in</strong>gesammelten<br />

Lebensmittel unentgeltlich an karitative E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>in</strong> Heidelberg und Umgebung weiter. Sie versorgt zum<br />

jetzigen Zeitpunkt täglich ca. 150 Menschen mit<br />

Lebensmitteln, was e<strong>in</strong>em monatlichen Umschlag von<br />

ca. 800 kg Lebensmittel entspricht.<br />

sie direkt an verschiedene E<strong>in</strong>richtungen, wie z.B. das<br />

SKM, das Schifferk<strong>in</strong>derheim <strong>in</strong> Mannheim oder eben<br />

die versch. WGs von „<strong>Obdach</strong> e.V.“. Zu Anfang wurde<br />

das Ganze mit e<strong>in</strong>em PKW bestritten, 1998 gab’s den<br />

ersten Mercedes-Vito gesponsert und seit Kurzem<br />

haben wir e<strong>in</strong>en neuen Vito im Tausch gegen den<br />

alten. Auch gespendet – weswegen wir auf den Inhalt<br />

der Aufkleber nicht wirklich E<strong>in</strong>fluss haben.<br />

Der Laden „Brot und Salz“ <strong>in</strong> der Plöck wird von der<br />

Diakonie organisiert. Mit diesem arbeiten wir natürlich<br />

zusammen, <strong>in</strong>dem wir Überschüsse (wo soll ich mit der<br />

ganzen Margar<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>) abgeben oder die Lagerräume<br />

im Keller nutzen dürfen, wenn wir zu viel Sachen von<br />

e<strong>in</strong>er Sorte gespendet bekommen. Unsere Lieferanten<br />

geben uns die Lebensmittel nur unter der<br />

Voraussetzung, dass sie nicht weiterverkauft werden.<br />

Geben wir D<strong>in</strong>ge an „Brot und Salz“, müssen wir<br />

deshalb vorher abklären, dass sie umsonst abgegeben<br />

werden oder eben die Erlaubnis e<strong>in</strong>holen, dass sie<br />

verkauft werden dürfen.<br />

Manche Stellen, z. B. das „Manna“, auch <strong>in</strong> der Plöck,<br />

holen auch, nach unserer Vermittlung, Lebensmittel<br />

selbst ab.<br />

Der Mercedes-Vito ist jeden Tag, manchmal auch<br />

mehrmals, unterwegs und es werden jeweils feste<br />

Touren gefahren.<br />

Ich arbeite seit Frühjahr 2005 bei der heidelberger tafel<br />

e. V. mit. Da ich selbst von Hartz VI lebe und<br />

ansonsten wenig zu verschenken habe, habe ich es<br />

sehr genossen, mit e<strong>in</strong>em Transporter voller<br />

Lebensmittel vorzufahren, die Tür aufzureißen und mit<br />

e<strong>in</strong>em großspurigen W<strong>in</strong>k auf die e<strong>in</strong>gesammelten<br />

Schätze vollmundig sagen zu können: „Nehmt Euch!“<br />

Natürlich werden die Sachen kontrolliert abgegeben,<br />

damit auch die letzte Stelle, die angefahren wird, noch<br />

genug bekommt. Wir geben Lebensmittel nur an<br />

Institutionen ab, nicht an E<strong>in</strong>zelpersonen, weil wir nicht<br />

beurteilen können, ob die das auch nötig haben. Die<br />

TafelhelferInnen selber nehmen sich pr<strong>in</strong>zipiell nichts.<br />

Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e „Liefertafel“, d.h. wir haben ke<strong>in</strong>e<br />

Abgabestelle oder e<strong>in</strong>en Laden, wie es das <strong>in</strong> vielen<br />

anderen Städten gibt, sondern holen mit unserem<br />

Transporter bei festen Spendern, meist Supermärkten,<br />

Bäckereien etc. übrige Lebensmittel ab und verteilen<br />

Manchmal gibt es Großspenden von Firmen, deren<br />

Ware kurz vor dem Ablauf des<br />

M<strong>in</strong>desthaltbarkeitsdatums steht und die auch<br />

außerhalb Heidelbergs abgeholt werden.<br />

5


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Wohlgemerkt handelt es sich hier nicht um<br />

verdorbene Ware, sondern um Ware, die dann nicht<br />

mehr verkauft werden darf, erfahrungsgemäß aber<br />

durchaus noch haltbar ist. So tragen wir zu e<strong>in</strong>er<br />

gesunden, abwechslungsreichen Ernährung bei. Im<br />

Übrigen wird bei der Abgabe darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass die Nahrungsmittel zum sofortigen Verbrauch<br />

bestimmt s<strong>in</strong>d.<br />

Z.B. hatten wir schon 300 kg Nudeln, den ganzen<br />

Laderaum voller Chips und Hunderte von Ch<strong>in</strong>a-<br />

Tütensuppen, die unser erster Vorsitzender im<br />

heroischen Selbstversuch auf Genießbarkeit getestet<br />

hat, von denen wahrsche<strong>in</strong>lich heute noch e<strong>in</strong> paar<br />

im Mitnahmeregal vom SKM rumliegen und die sich<br />

bei den Besprechungen zum „runn<strong>in</strong>g gag“<br />

entwickelten („Frau Soundso fragt an, ob wir auch<br />

ihre E<strong>in</strong>richtung beliefern können.“ „Haben wir nicht<br />

noch prima Ch<strong>in</strong>asuppen?“).<br />

Aber am beliebtesten bei den FahrerInnen s<strong>in</strong>d wohl<br />

die Junghenneneier, die laut EU-Norm zu kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d –<br />

quasi „Übungseier“ –, um verkauft werden zu dürfen,<br />

von denen es schon mal über tausend Stück gibt und<br />

bei deren Transport zum<strong>in</strong>dest ich wie der Osterhase<br />

fahre und schweißgebadet ankomme.<br />

Wir haben <strong>in</strong> der alten Eppelheimer Str. 38 im<br />

Selbsthilfebüro e<strong>in</strong>en Raum, <strong>in</strong> dem von montags bis<br />

freitags von 9 bis 11 Uhr jemand Bürodienst macht<br />

und Anrufe entgegennimmt, z. B. von SpenderInnen<br />

oder auch, um Fahrten zu koord<strong>in</strong>ieren. Auch das<br />

wird ausschließlich ehrenamtlich geleistet.<br />

Wir können immer Menschen brauchen, die vor allem<br />

tagsüber Zeit haben und körperlich <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d,<br />

Kisten zu schleppen!<br />

Gesucht s<strong>in</strong>d natürlich auch solche, die sich<br />

zutrauen, e<strong>in</strong>en Mercedes-Vito-Transporter zu<br />

fahren. Damit die FahrerInnen versichert s<strong>in</strong>d,<br />

müssen sie aber dem Vere<strong>in</strong> beitreten.<br />

Ach und noch was: Ich f<strong>in</strong>de das „<strong>Obdach</strong>-Blätt´l“<br />

richtig gut und habe wirklich jeden Artikel mit<br />

Interesse und Spannung gelesen – macht weiter so!<br />

Bett<strong>in</strong>a Kurz, heidelberger tafel e.V.<br />

Telefon:<br />

06221 - 16 65 79<br />

Fax:<br />

06221 - 16 13 31<br />

E-Mail:<br />

heidelberger_tafel@hotmail.com<br />

Internet:<br />

www.tafel.de/heidelberger_tafel<br />

Bürozeiten:<br />

Montag bis Freitag<br />

von 9:00 bis 11:00 Uhr,<br />

zu den übrigen Zeiten kann e<strong>in</strong>e<br />

Nachricht auf dem<br />

Anrufbeantworter h<strong>in</strong>terlassen<br />

werden.<br />

Tafeltreffen:<br />

Am ersten und dritten Dienstag<br />

im Monat<br />

um 20:00 Uhr<br />

im Selbsthilfe- und Projektebüro<br />

<strong>in</strong> der Alten Eppelheimer Straße<br />

38<br />

im Hof l<strong>in</strong>ks, Raum 3<br />

6


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Es stürmt auf breiter Front<br />

Die Zeichen stehen auf Sturm, das ist klar, ansonsten<br />

kann ich mir den Anstieg der Krim<strong>in</strong>alität nicht<br />

erklären, und er wird noch mehr steigen…Und auch der<br />

soziale Unfrieden, der sich wiederum bemerkbar macht<br />

durch Aktionen, die bestimmt ke<strong>in</strong>er gutheißt der e<strong>in</strong>en<br />

gesunden Menschenverstand hat, aber das wird leider<br />

Unausweichlich kommen….<br />

Jeder Mensch ist nicht vollkommen, und ich mag<br />

vielleicht auch Denkweisen haben die manchen nicht<br />

gefällt, aber im Endeffekt b<strong>in</strong> ich nur das Produkt der<br />

Gesellschaft und des Kapitalismus…….<br />

Wer gibt den Politikern das Recht<br />

Grundgesetzte zu untergraben?<br />

Wer gibt den Politikern das Recht die Spalte<br />

von Arm und Reich zu vergrößern?<br />

Wollen die wirklich Amerikanische Verhältnisse<br />

mit all se<strong>in</strong>en negativen Auswirkungen?<br />

Wollen die wirklich Stadtteile haben die e<strong>in</strong>em<br />

Ghetto gleich kommen?<br />

Diese Reform hartz4 sollte Arbeit br<strong>in</strong>gen!!Wo<br />

bitte ist den die Arbeit?<br />

Die Zeiten der Vollbeschäftigung s<strong>in</strong>d vorbei,<br />

es gibt ke<strong>in</strong>e “8″Millionen Arbeitsplätze!!!<br />

Subventionierte Hochtechnologie, renommierte<br />

Großprojekte <strong>in</strong> der Industrie, medienwirksame<br />

städtebauliche Prestigevorhaben s<strong>in</strong>d gut für das Ego<br />

von Politikern, schaffen aber ke<strong>in</strong>e Wege aus der<br />

Armut. Entvölkerte Landstriche im Osten, Slums <strong>in</strong> den<br />

Vorstädten der Ballungsräume s<strong>in</strong>d dadurch nicht<br />

zurückzuholen <strong>in</strong> den Wohlstandsschoß der<br />

Gesellschaft.<br />

Die Verarmung großer Teile der Bevölkerung nimmt zu.<br />

Sieben Millionen Menschen arbeiten für Niedriglöhne.<br />

Rund drei Millionen verdienen so wenig, dass sie trotz<br />

Arbeit e<strong>in</strong>en Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben.<br />

Und für die zukünftigen Alten wird mit der<br />

Rentenpolitik das Massenelend vorbereitet. Viele neue<br />

Jobs s<strong>in</strong>d von m<strong>in</strong>derer Qualität: 70 Prozent der neuen<br />

Vollzeitstellen werden von Zeitarbeitern besetzt, denn<br />

sie s<strong>in</strong>d billiger. Vom Aufschwung profitieren vor allem<br />

die Unternehmen, abhängig Beschäftigte sollen sich<br />

bescheiden, das ist die Devise der Regierung.<br />

Zu dieser sozialen Wirklichkeit gehört die Behandlung,<br />

welche die Job-Center-Bürokraten ihrer Klientel bei der<br />

Wohnungssuche angedeiht lassen. Sie lassen sie auf den<br />

Fluren vor ihren komfortablen Dienstzimmern ohne Not<br />

warten; dann behandeln sie sie von oben herab.<br />

In den Menschenschlangen der Job-Center stehen<br />

überwiegend junge Leute, viele von ihnen mit ihren<br />

Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern auf den Armen, so als wollten sie <strong>in</strong> der<br />

Bürokratie um Barmherzigkeit flehen.<br />

Sie werden so behandelt wie ich. Nur: Sie können sich<br />

nicht so wehren, wie ich es mit me<strong>in</strong>er Biografie kann.<br />

Muss es wirklich se<strong>in</strong>, dass diese Menschen am<br />

untersten Existenzm<strong>in</strong>imum leben müssen und um e<strong>in</strong>e<br />

neue Hose betteln müssen? Verschwendet unsere<br />

Gesellschaft nicht Milliarden für unnütze und<br />

belanglose Sachen? Warum schaut man weg?<br />

Die meisten Deutschen begreifen ja nicht e<strong>in</strong>mal, was<br />

hier vor sich geht. Sie lassen sich belügen und betrügen,<br />

ohne die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>greifens zu erkennen.<br />

Die DDR war e<strong>in</strong> Waisenknabe dagegen. Jeder<br />

wusste, womit er es zu tun hatte und was ihn erwartete.<br />

Hier f<strong>in</strong>det der Zer- und Verfall heimlich statt -<br />

kaschiert durch falsche Zahlen, falsche Umfragen,<br />

falsche Statistiken.<br />

Da hat man nun seitens der Wirtschaft und der<br />

etablierten Politik wochenlang, ne<strong>in</strong> monatelang, den<br />

Leuten e<strong>in</strong>gebläut, <strong>in</strong>dem man dem E<strong>in</strong>zelnen<br />

suggerierte:<br />

„ DU BIST DEUTSCHLAND!“ Und plötzlich muss<br />

man vielen Menschen <strong>in</strong> unserem Land seitens der<br />

Politik mitteilen, sie wären Teil e<strong>in</strong>er Zell geteilten<br />

Unterschicht. Aus „Du bist Deutschland!“ wird<br />

tatsächlich für viele Arme im Land:<br />

„DU BIST HARTZ IV!“<br />

Unsere verantwortlichen etablierten Politiker s<strong>in</strong>d mit<br />

deutscher Gründlichkeit und mit der zwischenzeitlichen<br />

E<strong>in</strong>führung preußischer Tugenden und dem dazu<br />

gehörenden Tunnelblick allesamt auf die Vorgaben der<br />

Wirtschaftsbosse here<strong>in</strong>gefallen oder wirkten aufgrund<br />

des FRAKTIONSZWANGS an dieser asozialen<br />

menschenverachtenden Gesetzgebung mit. Immer mehr<br />

Menschen im Land müssen sich mit prekärer<br />

Beschäftigung, Arbeit im Niedriglohnbereich, oder<br />

Sozialrenten über Wasser halten, auch diese Menschen<br />

könnten sagen:<br />

„ICH BIN HARTZ IV!“<br />

Doch die Armen <strong>in</strong> Deutschland dürfen e<strong>in</strong>fach nicht<br />

Hartz IV se<strong>in</strong>, sie s<strong>in</strong>d Menschen und ihre Würde ist<br />

laut unserem Grundgesetz unantastbar: Arm müssten sie<br />

alle nicht se<strong>in</strong>, denn Geld ist genug vorhanden <strong>in</strong><br />

unserem Land. Nur mit der Verteilung stimmt es nicht.<br />

Auch mit der E<strong>in</strong>sicht vieler Abgeordneter sche<strong>in</strong>t es<br />

nicht weit her zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Fehler gemacht zu haben<br />

und diesen korrigieren zu wollen. Aber sie s<strong>in</strong>d ja auch<br />

nicht HARTZ IV!<br />

Armut ist e<strong>in</strong>e tickende Zeitbombe. Sozial.<br />

Politisch. Geistig. Es ist die Aufgabe e<strong>in</strong>es<br />

jeden, sie zu bekämpfen. Armut ist hier<br />

existent, und nur wer h<strong>in</strong>schaut sieht sie.<br />

7


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Ich lebe me<strong>in</strong> zehntes Leben<br />

Me<strong>in</strong>e Ziele? Leben. Ke<strong>in</strong>em weh tun. Me<strong>in</strong>e Ruhe<br />

haben. Ich habe gerne me<strong>in</strong>e Ruhe und mache das,<br />

was mir me<strong>in</strong> Kopf bestimmt. Ich schätze, dass<br />

dieses Bedürfnis nach Ruhe schon immer <strong>in</strong> mir<br />

war. (Werner)<br />

Früher, als ich Platte <strong>in</strong> Husum gemacht habe, saß ich<br />

oft stundenlang am Meer. Jetzt b<strong>in</strong> ich tagsüber<br />

meistens am Rhe<strong>in</strong>. In der Natur kann man Ruhe<br />

f<strong>in</strong>den. Damit me<strong>in</strong>e ich nicht Stille oder Stillstand. In<br />

der Natur passiert eigentlich ständig etwas. Natürlich<br />

könnte ich mir auch e<strong>in</strong> Leben jenseits der Straße<br />

ausmalen. In e<strong>in</strong>er Blockhütte vielleicht, mit e<strong>in</strong>er Frau,<br />

mit der man zusammenlebt. Es wäre wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

gar nicht mal schwer, das zu erreichen. Die eigentliche<br />

Anstrengung liegt aber dar<strong>in</strong>, so etwas<br />

aufrechtzuerhalten, das ist das wirklich Schwierige. Ich<br />

habe e<strong>in</strong>e Zeitlang ganz normal gelebt, e<strong>in</strong>e<br />

Ausbildung gemacht, 16 Jahre gearbeitet, Steuern<br />

bezahlt und so weiter. Aber mit Mitte 30 b<strong>in</strong> ich dann<br />

weg. Etwas zu besitzen bedeutet Verantwortung zu<br />

übernehmen und ist mit Stress verbunden. Das will ich<br />

nicht. Vielleicht kann ich es auch nicht.<br />

Auf der Straße gibt es ke<strong>in</strong>e Freundschaft.<br />

Bekannte, Kumpels, klar. Aber Freunde? Für<br />

Freundschaft braucht man den Blick über den<br />

Tellerrand. Aber wenn du <strong>in</strong> der Vertiefung des<br />

Tellers lebst, hast Du nur e<strong>in</strong>e Möglichkeit:<br />

schwimmen. Da geht es nur ums Überleben. Früher<br />

oder später zerbricht darüber jede Freundschaft.<br />

Ich schlafe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Parkhaus am Zoo. In der<br />

Notunterkunft übernachte ich nur selten, denn wenn<br />

e<strong>in</strong> Junkie unter den anderen ist, muss man damit<br />

rechnen, dass der e<strong>in</strong>en beklaut. Ich stehe morgens<br />

um fünf Uhr auf und deponiere me<strong>in</strong>e Sachen. Leute,<br />

die Platte machen, haben alle ihre Plätze, wo sie ihre<br />

Sachen tagsüber so deponieren, dass sie normalen<br />

Menschen gar nicht auffallen. Wenn man Platte macht,<br />

entwickelt man e<strong>in</strong>en anderen Blick für das, was auf<br />

der Straße liegt. Geht man zum Beispiel<br />

samstagmorgens über die R<strong>in</strong>gstraßen, f<strong>in</strong>det man<br />

immer etwas. Später gehe ich schnorren, meistens<br />

nicht im Zentrum, sondern etwas außerhalb. Man<br />

braucht ungefähr 15 bis 20 Euro am Tag zum<br />

Überleben. Es gibt aber auch Tage, wo du nur drei<br />

Euro hast. Manchmal kommt jemand vorbei und drückt<br />

mir e<strong>in</strong>en Geldsche<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Hand. Warum mir jemand<br />

etwas gibt, <strong>in</strong>teressiert mich nicht. Allerd<strong>in</strong>gs sprechen<br />

e<strong>in</strong>en viele an und erzählen e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge, die sie nicht<br />

e<strong>in</strong>mal mit ihrer Frau oder ihrem Mann besprechen<br />

würden. Je abweisender die Leute s<strong>in</strong>d, umso<br />

freundlicher werde ich. Was die, die e<strong>in</strong>en als „Penner”<br />

anpöbeln, nämlich nicht wissen, ist: Dass es viele<br />

Gründe dafür geben kann, plötzlich auf der Straße zu<br />

landen. Jeder von denen könnte irgendwann<br />

dazugehören.<br />

Auf was kann man sich mehr verlassen als auf sich<br />

selbst? Klar ist das Leben auf der Straße<br />

gefährlich. Ich b<strong>in</strong> schon mit Spr<strong>in</strong>gerstiefeln<br />

zusammengetreten worden usw. Aber ich komme<br />

damit klar.<br />

Was man an e<strong>in</strong>em Tag bis elf Uhr nicht geschafft hat,<br />

schafft man dann auch nicht mehr. Man kann nichts<br />

erzw<strong>in</strong>gen. Ich fahre dann <strong>in</strong> den Rhe<strong>in</strong>park und lese.<br />

Oder ich lerne. Lernen macht Spaß. Zurzeit lerne ich<br />

Polnisch. Es gibt immer mehr Polen auf der Straße, die<br />

ke<strong>in</strong>er mag, deswegen mag ich sie. Informieren kann<br />

ich mich über das Radio. Zurzeit höre ich hier <strong>in</strong> Köln<br />

das Campus-Radio. Außerdem lese ich täglich die<br />

Tageszeitung, die wird <strong>in</strong> der Breiten Straße <strong>in</strong> Vitr<strong>in</strong>en<br />

ausgehängt. Manchmal treffe ich mich mit anderen<br />

Leuten: Im Moment helfe ich Olaf, e<strong>in</strong>em Punker, se<strong>in</strong>e<br />

Wohnung zu renovieren, damit der da ausziehen kann.<br />

Gestern war ich bei Maurice, der ist zu Fuß aus<br />

Burundi hierhergekommen. Er hat für uns etwas zu<br />

essen gemacht. Ich lebe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Parallelwelt mit<br />

eigenen Regeln, die aber auch positive Seiten hat: Ich<br />

habe <strong>in</strong> den letzten zehn Jahren unglaublich viele<br />

verschiedene Menschen kennengelernt, die mich<br />

e<strong>in</strong>fach so akzeptiert haben, wie ich b<strong>in</strong>.<br />

8


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Der Sturm des<br />

Lebens<br />

Viele <strong>Obdach</strong>lose s<strong>in</strong>d<br />

alkoholabhängig. Die<br />

Zahl derer, die We<strong>in</strong><br />

tr<strong>in</strong>ken oder sich<br />

betr<strong>in</strong>ken, ist sicherlich<br />

sehr hoch.<br />

Wenn man auch den<br />

Lebensweg dieser<br />

Alkoholiker nicht immer<br />

leicht zurückverfolgen<br />

kann, so ist doch sicher,<br />

dass ihr <strong>Obdach</strong>losendase<strong>in</strong><br />

diese Gewohnheit<br />

verstärkt, sowohl wenn<br />

man erst auf der Straße<br />

abhängig geworden ist, als auch wenn man es schon<br />

vorher war.<br />

Was führt dazu, dass diese Menschen soviel We<strong>in</strong><br />

tr<strong>in</strong>ken, dass sie fast ständig betrunken s<strong>in</strong>d?<br />

Der Grund, warum sie zu tr<strong>in</strong>ken begonnen haben, ist<br />

manchmal e<strong>in</strong> zufälliger und liegt weit zurück. Andere<br />

Male ist es e<strong>in</strong> Schritt auf e<strong>in</strong>em langen und<br />

komplizierten Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Randdase<strong>in</strong>. Auch wenn es<br />

nützlich ist, den Lebensweg dieser Alkoholiker zurück<br />

zu verfolgen, reicht es nicht aus, sich der<br />

Anfangsgründe bewusst zu werden, um sie von der<br />

Sucht zu befreien. Das gilt auch für sie selbst; alle<strong>in</strong><br />

das Wissen um die anfänglichen Gründe ihrer Lage<br />

reicht nicht aus, um ihnen zu helfen, vom Alkohol<br />

loszukommen. Viel wichtiger s<strong>in</strong>d die sogenannten<br />

„sekundären" Gründe, das heißt die Gründe, die eng<br />

mit dem Leben auf der Straße verbunden s<strong>in</strong>d, und<br />

das s<strong>in</strong>d nicht wenige.<br />

Die <strong>in</strong>nere und äußere Kälte<br />

An erster Stelle die Kälte. Auf der Straße s<strong>in</strong>d die<br />

Härten des W<strong>in</strong>ters manchmal unerträglich, und die<br />

<strong>Obdach</strong>losen haben oft nicht genügend Mittel, um sich<br />

vor ihr zu schützen. Das Tr<strong>in</strong>ken wird fast e<strong>in</strong>e<br />

Notwendigkeit, auch wenn das anfängliche Gefühl der<br />

Wärme e<strong>in</strong> Trugschluss ist. Das erklärt die Todesfälle<br />

durch Erfrieren, die es leider <strong>in</strong> jedem W<strong>in</strong>ter gibt.<br />

Nicht selten trifft man auf der Straße Alkoholiker, die<br />

stark unterernährt s<strong>in</strong>d, die sich kaum auf den Be<strong>in</strong>en<br />

halten können, nicht nur weil sie betrunken s<strong>in</strong>d,<br />

sondern e<strong>in</strong>fach weil sie entkräftet s<strong>in</strong>d. Denn je mehr<br />

man tr<strong>in</strong>kt, desto weniger isst man und desto weniger<br />

Appetit hat man.<br />

Die Nacht geht nie zu Ende<br />

Wenn man auf der Straße schläft, fällt es schwer<br />

e<strong>in</strong>zuschlafen. Die Orte, woh<strong>in</strong> die <strong>Obdach</strong>losen sich<br />

nachts zurückziehen, s<strong>in</strong>d nicht nur ohne jegliche<br />

Bequemlichkeit, sondern auch sehr lärmerfüllt. Wenn<br />

man getrunken hat, wird der Schlaf so tief, dass man<br />

weder Kälte noch unbequeme Lage noch das Chaos<br />

um sich herum wahrnimmt. Die Fe<strong>in</strong>d<strong>in</strong> E<strong>in</strong>samkeit<br />

Die größte Fe<strong>in</strong>d<strong>in</strong> für Menschen auf der Straße ist die<br />

E<strong>in</strong>samkeit. Man verbr<strong>in</strong>gt ganze Tage damit, <strong>in</strong> der<br />

Stadt mitten unter Hunderten von Menschen<br />

herumzulaufen, aber man ist alle<strong>in</strong>. Wenn man<br />

e<strong>in</strong>sam ist, werden die Last der Er<strong>in</strong>nerungen, die<br />

Sorgen um die Gegenwart und die Zukunft schwerer.<br />

Der e<strong>in</strong>zige Weg, um davor zu flüchten, besteht dar<strong>in</strong>,<br />

sich zu betäuben <strong>in</strong> der Hoffnung zu vergessen. Zur<br />

Kälte, zum Hunger und zur E<strong>in</strong>samkeit gesellt sich oft<br />

noch die Scham über die eigene Lebenslage.<br />

Der Alkohol verändert nicht nur objektiv das Leben<br />

dieser Menschen, sondern verändert auch ihren<br />

Charakter, ihren Gemütszustand, er bee<strong>in</strong>trächtigt ihr<br />

Handeln so sehr, dass sie sich nicht mehr als Herren<br />

ihrer selbst fühlen. Und das ist für sie e<strong>in</strong>e leidvolle<br />

Erfahrung, denn es ist e<strong>in</strong> Teufelskreis, der sich selbst<br />

erhält.<br />

Oft s<strong>in</strong>d diese Menschen nicht mehr jung und haben<br />

e<strong>in</strong>e Lebenskrise durchgemacht, die sie vielleicht<br />

überstanden hätten, wenn sie die nötige<br />

Unterstützung erfahren hätten. Doch dann wurde sie<br />

zum Anfang e<strong>in</strong>es stufenweisen aber unumkehrbaren<br />

Abstiegs aus der Gesellschaft heraus. Alkoholiker wird<br />

man nicht an e<strong>in</strong>em Tag, und je länger die<br />

Gewohnheit des Tr<strong>in</strong>kens andauert, umso schwieriger<br />

kommt man von ihr los.<br />

Für wen leben?<br />

Der Wunsch nach e<strong>in</strong>em "normalen" Leben erlischt <strong>in</strong><br />

diesen Menschen nicht, aber ihre aktuelle Lage ist so<br />

schwierig, dass er als e<strong>in</strong> unerfüllbarer Traum<br />

ersche<strong>in</strong>t. Ihre Existenz schwankt oft zwischen dem<br />

Wunsch, ihr Leben zu verändern, und der Angst,<br />

e<strong>in</strong>en Neuanfang nicht zu schaffen.<br />

Welchen Nutzen hat es, das Tr<strong>in</strong>ken aufzugeben,<br />

wenn das Leben danach wie vorher weitergeht ohne<br />

Wohnung und Arbeit? Warum wieder neu anfangen?<br />

Vielleicht sollte man sich aber fragen warum und für<br />

wen man aufhören soll. Nicht für die Familie, die es<br />

manchmal nicht gibt oder <strong>in</strong> der es zu e<strong>in</strong>em nicht<br />

wieder gut zu machenden Bruch gekommen ist; nicht<br />

für die Freunde, die man nicht hat, nicht wegen der<br />

eigenen beruflichen Fähigkeiten, die <strong>in</strong> vielen Fällen<br />

mit der Gesundheit verloren gegangen s<strong>in</strong>d oder die<br />

man niemals besessen hat. In den meisten Fällen<br />

fehlt es nicht am Wunsch aufzuhören, sondern an den<br />

Gründen, wegen denen man es tun soll.<br />

Dieses Problem ist eng mit der Lebensqualität dieser<br />

Alkoholiker verbunden, denn oft fehlt es ihnen an<br />

jeglichen materiellen D<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> Dach über dem<br />

Kopf, die Möglichkeit, sich regelmäßige Rhythmen<br />

und Gewohnheiten anzueignen, e<strong>in</strong>e Stabilität und<br />

e<strong>in</strong>e materielle Sicherheit im Alltagsleben wieder zu<br />

gew<strong>in</strong>nen, all das s<strong>in</strong>d unverzichtbare Voraussetzungen<br />

für e<strong>in</strong>e mögliche Wiedere<strong>in</strong>gliederung.<br />

Und die Lebensqualität besteht auch aus e<strong>in</strong>em Netz<br />

von menschlichen und sozialen Beziehungen, von<br />

Interessen und Erwartungen. Diese Verknüpfung<br />

ermöglicht e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> das soziale Umfeld,<br />

das für obdachlose Alkoholiker oftmals durch<br />

jahrelange Isolierung und Ausgrenzung völlig zerstört<br />

ist. Man kann nicht von Neuanfang sprechen, wenn<br />

man dieses Netz nicht wiederherstellt.<br />

9


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Lebenslauf<br />

Schon me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit ließ ahnen, dass me<strong>in</strong> Leben nicht<br />

<strong>in</strong> geregelten Bahnen verlaufen würde. Ich sprach der<br />

Älteste von drei K<strong>in</strong>dern und lebte mit me<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Großstadt im Kohlenpott. Me<strong>in</strong> Vater arbeitete auf<br />

Montage und war selten zu Hause, me<strong>in</strong>e Mutter trieb sich<br />

herum und lediglich me<strong>in</strong>e Oma sorgte für uns. Als sie<br />

starb musste ich für me<strong>in</strong>e jüngeren Geschwister sorgen,<br />

denn me<strong>in</strong>e Mutter kam immer seltener nach Hause und<br />

wenn, dann gab es ständig Stress und Prügel. Mit 14<br />

verließ ich fluchtartig me<strong>in</strong> „Zuhause“ und schlug mich<br />

durch nach Berl<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>zig me<strong>in</strong>e Geschwister taten mir leid,<br />

die ich zurücklassen musste, alles andere war mir egal. In<br />

Berl<strong>in</strong> lebte ich zunächst auf der Straße lernte schnell<br />

Gleichges<strong>in</strong>nte kennen und irgendwann nahmen mich e<strong>in</strong><br />

paar Leute mit <strong>in</strong> e<strong>in</strong> besetztes Haus. Ich bekam dort e<strong>in</strong><br />

Zimmer, lernte schnorren, dass heißt um Geld betteln und<br />

lernte Alkohol und Drogen kennen. Ich er<strong>in</strong>nere mich, dass<br />

Alkohol mich damals nicht so sehr <strong>in</strong>teressierte, viel lieber<br />

brauchte ich Haschisch. Irgendwann lud mich e<strong>in</strong> Mädel<br />

auf e<strong>in</strong>e „Nase“ e<strong>in</strong>, sogleich zog mich Hero<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Bann. Um Abhängigkeit machte ich mir ke<strong>in</strong>e Gedanken,<br />

bevor ich merkte, was da los war, war es zu spät. Hier war<br />

der Punkt wo ich für die Droge leben musste, es g<strong>in</strong>g nur<br />

noch darum, Geld aufzutreiben, um die Sucht zu<br />

befriedigen. Das g<strong>in</strong>g soweit das ich mit e<strong>in</strong>em Kollegen<br />

versuchte, e<strong>in</strong>en Supermarkt zu überfallen, was gründlich<br />

<strong>in</strong> die Hose g<strong>in</strong>g. Ich wurde verhaftet und bekam drei Jahre<br />

Knast. Nach e<strong>in</strong>em Jahr durfte ich jedoch wieder aus dem<br />

Gefängnis und machte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>ik e<strong>in</strong>e<br />

Entwöhnungsbehandlung. Nach der Entlassung aus dieser<br />

Kl<strong>in</strong>ik wollte ich eigentlich me<strong>in</strong>e erste eigene Wohnung<br />

beziehen aber irgendwie kam ich damit nicht zurecht, ich<br />

kaufte mir e<strong>in</strong>en Schlafsack, e<strong>in</strong>en Rucksack, packte<br />

me<strong>in</strong>e sieben Sachen und trampte los, <strong>in</strong> Richtung<br />

Mittelmeer. Irgendwo <strong>in</strong> Höhe München traf ich auf e<strong>in</strong>em<br />

Parkplatz e<strong>in</strong> Mädchen, welche ähnliche Pläne hatte und<br />

wir beschlossen geme<strong>in</strong>sam weiter zu ziehen. Wir hatten<br />

e<strong>in</strong>e schöne Zeit, zogen durch Frankreich und Spanien. Es<br />

war wohl die schönste Zeit die ich bisher <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben<br />

hatte. Irgendwann me<strong>in</strong>te Angie, sie vermute, sie sei<br />

schwanger, sie wollte zurück nach Deutschland und wir<br />

schlugen uns durch <strong>in</strong> ihrer Heimatstadt Dieburg. Schnell<br />

war klar, sie war schwanger, im vierten Monat. Wir<br />

beschlossen, das K<strong>in</strong>d geme<strong>in</strong>sam groß zu ziehen. Wir<br />

bekamen Hilfe vom Sozialamt, mieteten e<strong>in</strong>e Wohnung<br />

und ich fand Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gärtnerei. Im Dezember wurde<br />

unser Sohn geboren, wir heirateten und alles war so wie<br />

es se<strong>in</strong> sollte und wie wir es uns gewünscht hatten. Doch<br />

dann schlug wieder das Schicksal zu. Me<strong>in</strong>e Frau wurde<br />

krank, man stellte Krebs fest und e<strong>in</strong>ige Monate später<br />

starb sie. Für mich brach die Welt zusammen, ich gab<br />

unsere Tochter zu den Schwiegereltern und packte wieder<br />

me<strong>in</strong>e Siebensachen. Wieder lebte ich auf der Straße,<br />

fand Ab und zu e<strong>in</strong>e Arbeit für wenige Tage, lebte jedoch<br />

die meiste Zeit vom betteln, oder dem, was ich <strong>in</strong> diversen<br />

Sozialstationen bekam. Während dieser Zeit f<strong>in</strong>g ich an<br />

sehr viel Alkohol zu tr<strong>in</strong>ken, so war ich jeden Abend<br />

ziemlich betrunken. Ich zog kreuz und quer durch<br />

Deutschland, und lebte <strong>in</strong> den Tag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Irgendwann kam<br />

ich nach Heidelberg. Hier lernte ich <strong>in</strong> der Innenstadt, am<br />

Bismarck Platz, e<strong>in</strong>e Gruppe Punks kennen. Unsere Tage<br />

verg<strong>in</strong>gen alle gleich, wir bettelten uns unser Geld<br />

zusammen was wir meist gleich wieder für Alkohol und<br />

Drogen ausgaben.<br />

Morgens besuchten wir e<strong>in</strong>e Tagesstätte vom SKM, wo wir<br />

zu essen bekamen, uns duschen konnten und auch neue<br />

Kleider bekamen.<br />

Anschließend g<strong>in</strong>g es am Bismarckplatz wie gehabt weiter<br />

und wir schliefen lange Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em alten Schuppen.<br />

Zufrieden war ich mit diesem Leben nicht, aber ich dachte ,<br />

es könnte alles noch schlimmer se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Sozialarbeiter,<br />

mit dem ich mich im SKM unterhielt, machte mir e<strong>in</strong>es<br />

Tages das ganze Elend bewusst. Er sagte, dass jeder e<strong>in</strong>e<br />

Chance hat und auch bekommen würde, wenn er sich<br />

darum bemüht. Er gab mir die Adresse vom <strong>Obdach</strong> e.V.<br />

und sagte mir dass man dort eventuell e<strong>in</strong> Zimmer<br />

bekommen könnte. In e<strong>in</strong>em hellen Moment begab ich<br />

mich dorth<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Sozialarbeiter unterhielt sich mit mir dort<br />

nahm me<strong>in</strong>e Personalien auf und me<strong>in</strong>te, ich solle<br />

gelegentlich mal wieder vorbeischauen, im Moment hätte<br />

er ke<strong>in</strong>e Unterkunft für mich. „Na ja“ dachte ich, war wohl<br />

nichts und zog enttäuscht von dannen. Umso verwunderter<br />

war ich, als wenig später der Streetworker vom SKM zu<br />

mir sagte ich solle mich im Büro des <strong>Obdach</strong> e.V. melden,<br />

die hätten nun e<strong>in</strong> Zimmer für mich. Und wirklich, ich<br />

bekam e<strong>in</strong> Zimmer und nach vier weiteren Jahren, welche<br />

ich auf der Straße gelebt hatte, konnte ich endlich wieder<br />

e<strong>in</strong>e Türe h<strong>in</strong>ter mir zu machen. Die Tage g<strong>in</strong>gen weiter<br />

wie gewohnt, und obwohl ich nun „Hartz 4 Kohle“ bekam<br />

schnorrte und soff ich zunächst weiter mit den andern<br />

Leuten von Bismarckplatz, bis e<strong>in</strong>es Morgens e<strong>in</strong><br />

Bekannter mir beim Frühstück im <strong>Obdach</strong>-Treff sagte,<br />

dass <strong>in</strong> der Wohngeme<strong>in</strong>schaft, <strong>in</strong> der er lebte, e<strong>in</strong> Zimmer<br />

frei sei und ich dort e<strong>in</strong>ziehen könnte, wenn ich me<strong>in</strong>en<br />

Alkoholkonsum <strong>in</strong> den grünen Bereich bekämen. Ich solle<br />

mich halt e<strong>in</strong>mal vorstellen kommen. Da ich sowieso nichts<br />

zu verlieren hatte, g<strong>in</strong>g ich dort vorbei. Ich kam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

schöne Wohnung, mit den drei Leuten welche dort lebten<br />

verstand ich mich auf Anhieb. Sie erzählten, dass sie alle<br />

auf der Straße gelebt hatten und wie sie ihre Probleme <strong>in</strong><br />

den Griff bekamen. Sie boten mir an, mir zu helfen. Nach<br />

e<strong>in</strong>em Gespräch mit der Betreuer<strong>in</strong>, welche die WG<br />

betreute, bekam ich e<strong>in</strong>en Mietvertrag und e<strong>in</strong><br />

wunderschönes Zimmer. E<strong>in</strong>ige Zeit später bekam ich,<br />

über die Heidelberger Dienste, e<strong>in</strong>en „1-Euro“-Job auf dem<br />

Recycl<strong>in</strong>ghof. Schnell bekam ich me<strong>in</strong> Leben wieder <strong>in</strong> den<br />

Griff. In der Zwischenzeit habe ich e<strong>in</strong>en Arbeitsvertrag,<br />

zunächst für e<strong>in</strong> Jahr verdiene ausreichend Geld, unsere<br />

Wohngeme<strong>in</strong>schaft ist für mich me<strong>in</strong>e Familie geworden<br />

und ich sehe wieder regelmäßig me<strong>in</strong>en Sohn an den<br />

Wochenenden.<br />

Das alles hätte ich sicher nie ohne die Hilfe des <strong>Obdach</strong><br />

eV. geschafft. E<strong>in</strong>e ganz besondere Hilfe war der, nie<br />

gekannte, fast mütterliche Beistand me<strong>in</strong>er Betreuer<strong>in</strong>,<br />

welche jederzeit e<strong>in</strong> offenes Ohr für mich hatte und mir mit<br />

Rat und Tat zur Seite stand. Dafür möchte ich mich hier<br />

von ganzem Herzen bedanken.<br />

(Anonym)<br />

10


Ausgabe 03 Sommer 07<br />

Soziale Sicherheit<br />

Viele Menschen unserer Gesellschaft streben<br />

nach der so genannten „sozialen<br />

Sicherheit“.<br />

In erster L<strong>in</strong>ie schließen diese Menschen<br />

Versicherungsverträge bei Gesellschaften<br />

ab, welche ihnen nach Ablauf der Vertragsdauer<br />

e<strong>in</strong>en Geldbetrag samt Prämie verspricht,<br />

welcher dann den Status Quo im<br />

Alter sichern soll. Dafür zahlt man dann<br />

während der Vertragslaufzeit monatlich e<strong>in</strong>.<br />

Ist das Sicherheit?<br />

Die Menschen haben viele Ängste, sie haben<br />

z.B. Angst davor, dass im Alter die gesetzliche<br />

Rente zu ger<strong>in</strong>g oder gar nicht ausbezahlt<br />

wird, da sie befürchten , dass der<br />

Staat dann endgültig pleite se<strong>in</strong> könnte.<br />

Begriffe wie Konjunktion, Inflation, Anarchie,<br />

Terrorismus, Arbeitslosigkeit und<br />

Hartz 4 geben der Angst unter anderem die<br />

Nahrung.<br />

Soziale Sicherheit, was heißt das eigentlich?<br />

Sicherheit ist klar, jeder will sich sicher<br />

fühlen. Dieses Gefühl ist e<strong>in</strong> menschliches<br />

Bedürfnis und die meisten kennen das Gefühl<br />

der Sicherheit und des sich sicher se<strong>in</strong>,<br />

zu m<strong>in</strong>destens bei uns, und jeder Mensch<br />

sollte es kennen, überall.<br />

Sozial, da wird’s schon schwieriger. Ah ja,<br />

es geht um die Menschen, um die Menschlichkeit,<br />

um das menschliche Zusammenleben.<br />

Der moderne Mensch wird noch durch Gene<br />

aus der Zeit der Frühmenschen kontrolliert<br />

und manipuliert. Auch wir folgen immer<br />

noch dem Drang uns sozial zu organisieren<br />

und zu arrangieren. In der Regel ist das <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie die Familie, die Bande sollte<br />

hier „natürlicherweise“ sehr stark se<strong>in</strong>, an<br />

zweiter Stelle kommen dann „natürlicherweise“<br />

die persönlichen Freunde und<br />

weitere Verwandte des E<strong>in</strong>zelnen.<br />

Nun s<strong>in</strong>d die Menschen aber auch stark<br />

geprägt von der Gesamtheit der Gesellschaft<br />

die sie umgibt, sie s<strong>in</strong>d gewissermaßen e<strong>in</strong>gebunden.<br />

Diese „große“ Gesellschaft wird<br />

angeführt, gelenkt, geleitet, wie auch immer,<br />

von e<strong>in</strong>er Regierung, welche sich wiederum<br />

hauptsächlich auf die Wirtschaft, das<br />

Rechtssystem, die Medien und die Wählerschaft<br />

stützt. Ich möchte das hier nicht bis<br />

<strong>in</strong>s Detail ausführen, aber der Treibstoff<br />

dieses Teils der Gesellschaft heißt „Geld“!<br />

Und nun hat der e<strong>in</strong>zelne Mensch Angst, das<br />

se<strong>in</strong>er Gesellschaft der Sprit , also das Geld<br />

ausgeht. Und was tut er. Er gibt heute gewissermaßen<br />

Treibstoff aus, verbraucht ihn<br />

also, weil er denkt, das er dann später zu<br />

e<strong>in</strong>er Zeit, wenn er denkt das es dann ke<strong>in</strong>en<br />

Treibstoff mehr gibt, Treibstoff bekommt,<br />

und zwar mehr als er dafür vorher hergegeben<br />

hat.<br />

Wer das glaubt, wer den Fehler <strong>in</strong> dieser<br />

Logik nicht erkennt, der hat allerd<strong>in</strong>gs<br />

Grund Angst zu haben.<br />

Soziale Sicherheit f<strong>in</strong>den wir somit nur bei<br />

unseren Mitmenschen, „natürlicherweise“<br />

bei unseren Familien und Freunden. Und der<br />

beste Weg e<strong>in</strong>e gute Familie zu haben, ist,<br />

e<strong>in</strong> gutes Familienmitglied zu se<strong>in</strong>. Der<br />

beste Weg gute Freunde zu haben, ist, e<strong>in</strong><br />

guter Freund zu se<strong>in</strong>.<br />

Und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er guten Geme<strong>in</strong>schaft, was will<br />

denn da dem E<strong>in</strong>zelnen noch schlechtes<br />

passieren, womit die Geme<strong>in</strong>schaft nicht<br />

fertig würde? Niemand würde auf der Straße<br />

leben müssen und ke<strong>in</strong>e Mutter würde mit<br />

ihren Sorgen alle<strong>in</strong>e fertig werden müssen,<br />

ke<strong>in</strong>er würde sich schämen müssen, um<br />

Hilfe zu bitten und niemand müsste Angst<br />

vor der Zukunft haben, wenn jeder Mensch<br />

Teil e<strong>in</strong>er wirklich sozialen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

wäre. Geld dagegen fühlt gar nichts, es<br />

kümmert sich nicht um die Menschen, es hat<br />

auch ke<strong>in</strong> Gewissen und wie viel es <strong>in</strong> der<br />

Zukunft wert se<strong>in</strong> wird, kann niemand mit<br />

absoluter Sicherheit vorhersehen.<br />

Ich möchte hier nicht zur Anarchie aufrufen,<br />

sondern daran er<strong>in</strong>nern, worum es eigentlich<br />

geht. Nicht um Geld. Es geht um die<br />

Menschen, um uns!<br />

Jörg Bender<br />

11


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Suchtwochen 2007<br />

In Deutschland wird zu viel Alkohol getrunken. Jeder<br />

Erwachsene tr<strong>in</strong>kt im Durchschnitt täglich mehr als vier<br />

Gläser Alkohol – mehr als die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) für gesundheitlich unbedenklich<br />

hält. Bezieht man nur E<strong>in</strong>wohner über 15 Jahre <strong>in</strong> die<br />

Berechnungen des Pro-Kopf-Konsums e<strong>in</strong>, und<br />

berücksichtigt man darüber h<strong>in</strong>aus die abst<strong>in</strong>ent<br />

lebenden Deutschen, so beträgt der Pro-Kopf-Konsum<br />

bereits ca. 14 Liter re<strong>in</strong>en Alkohols pro Jahr.<br />

Deutschland steht im Ländervergleich mit an der<br />

Spitze aller Industrienationen. Nur <strong>in</strong> Irland, Ungarn<br />

und Tschechien wird mehr als <strong>in</strong> Deutschland<br />

getrunken, während „klassische“ We<strong>in</strong>länder wie<br />

Frankreich und Italien ihren Konsum <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren zum Teil um mehr als 50 % gesenkt haben.<br />

Entscheidungshilfen anzubieten und das<br />

Bewusstse<strong>in</strong> für verantwortungsvollen<br />

Alkoholkonsum zu schärfen, das Bewusstse<strong>in</strong> für<br />

die Problematik zu vergrößern, den Alkoholkonsum<br />

zu reduzieren und die Stigmatisierung von<br />

Menschen mit Alkoholproblemen zu überw<strong>in</strong>den –<br />

das s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige Ziele der geplanten<br />

Aktionswoche mit dem Thema „Alkohol –<br />

Verantwortung setzt die Grenze“.<br />

Nach der letzten Repräsentativerhebung zum Konsum<br />

von Alkohol aus dem Jahre 2003 gibt es <strong>in</strong><br />

Deutschland:<br />

- 6 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 69<br />

Jahren, die riskant Alkohol konsumieren. Riskanter<br />

Alkoholkonsum wird dann angenommen, wenn <strong>Frauen</strong><br />

täglich mehr als 20 Gramm und Männer mehr als 30<br />

Gramm Alkohol tr<strong>in</strong>ken.<br />

- 1,7 Millionen Menschen haben e<strong>in</strong>en schädlichen<br />

Alkoholkonsum. Sie berichten entweder von<br />

körperlichen Schäden (Leber, Bauchspeicheldrüse<br />

usw.) oder sozialen Problemen (Führersche<strong>in</strong>verlust,<br />

Eheprobleme, Verlust des Arbeitsplatzes usw.)<br />

- 1,7 Millionen Menschen <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d<br />

abhängig, sie s<strong>in</strong>d nicht mehr <strong>in</strong> der Lage, ihren<br />

Alkoholkonsum zu steuern. Sie s<strong>in</strong>d behandlungsbedürftig<br />

krank.<br />

- 74.000 Männer und <strong>Frauen</strong> sterben <strong>in</strong> jedem Jahr<br />

vorzeitig an alkoholbed<strong>in</strong>gten Krankheiten.<br />

- 20.000 K<strong>in</strong>der werden jedes Jahr mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

geboren, weil die Mütter <strong>in</strong> der Schwangerschaft<br />

Alkohol getrunken haben.<br />

Das E<strong>in</strong>stiegsalter für regelmäßigen Alkoholkonsum<br />

ist seit 1970 von 15 auf 13 Jahre zurückgegangen.<br />

Somit zählen heute schon K<strong>in</strong>der zu den<br />

Konsumenten. E<strong>in</strong> Grund hierfür mag das stetig<br />

wachsende Angebot an süß schmeckenden<br />

alkoholischen Getränken, genannt Alkopops, se<strong>in</strong>.<br />

Diese stellen e<strong>in</strong>e große Gefahr dar, weil es K<strong>in</strong>dern<br />

noch schwerer fällt als Erwachsenen,<br />

die Gefahren des Alkoholkonsums zu erkennen. Der<br />

k<strong>in</strong>dliche Organismus ist extrem anfällig für<br />

Schädigungen durch Alkohol. Je eher e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d beg<strong>in</strong>nt,<br />

alkoholische Getränke zu konsumieren, desto höher ist<br />

die Gefahr, dass es später e<strong>in</strong>mal alkoholkrank wird.<br />

Es s<strong>in</strong>d bereits jetzt ca. 100.000 K<strong>in</strong>der und<br />

Jugendliche bis zum Alter von 25 Jahren abhängig.<br />

Der hohe Alkoholkonsum verursacht erhebliche<br />

volkswirtschaftliche Schäden. Diese werden auf 22<br />

Mrd. Euro pro Jahr berechnet, wobei e<strong>in</strong> großer Teil<br />

auf die Interventionen im Gesundheitssystem entfällt.<br />

Auch hoher betriebswirtschaftlicher Schaden entsteht:<br />

Jeder 20ste Mitarbeiter <strong>in</strong> Betrieben und Unternehmen<br />

ist alkoholkrank. Durch die daraus folgenden<br />

Arbeitsausfälle, Unfälle und Produktionsschäden<br />

entstehen weitere Kosten <strong>in</strong> Milliardenhöhe, die<br />

vermeidbar<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

H<strong>in</strong>ter allen nüchternen Zahlen stehen menschliche<br />

Schicksale. Für e<strong>in</strong>e große Zahl von Menschen ist der<br />

Alkohol ihr wichtigster Lebens<strong>in</strong>halt. Sie<br />

vernachlässigen dafür soziale Beziehungen,<br />

Gesundheit und gesellschaftliches Leben. Suchtkranke<br />

werden sehr häufig ignoriert und von der Gesellschaft<br />

stigmatisiert, was es Alkoholabhängigen noch<br />

schwieriger macht, ihr Schicksal zu überw<strong>in</strong>den.<br />

Ungefähr acht Millionen Menschen s<strong>in</strong>d als Angehörige<br />

von Alkoholabhängigen betroffen. Die Substanz<br />

Alkohol zerstört oft den Familienzusammenhalt, da<br />

sich die Persönlichkeit der Abhängigen verändert,<br />

Angehörige unter der Belastung leiden und dieser<br />

häufig nicht standhalten können.<br />

Öffentlich geäußerte Ansichten über den richtigen<br />

Umgang mit Alkohol und dessen Wert beruhen selten<br />

auf solidem Wissen. Das gesellschaftliche<br />

Bewusstse<strong>in</strong> zum Thema Alkohol kann sich verändern,<br />

wenn Spielregeln e<strong>in</strong>gehalten werden und<br />

Aufklärungsarbeit greift. Die Aktionswoche - "Alkohol-<br />

Verantwortung setzt die Grenze" Suchtwoche 2007 will<br />

- wenn es erforderlich ist - helfen, Wege aus der Sucht<br />

zu weisen, die wissenschaftlich gesichert und<br />

praktikabel s<strong>in</strong>d. Alkohol ? - Du entscheidest!<br />

12


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Was stimmt und was nicht?<br />

Alkohol-Mythen<br />

Wärmt Alkohol wirklich? Ist das Betthupferl-Glas<br />

s<strong>in</strong>nvoll? Bier auf We<strong>in</strong> das lass se<strong>in</strong>, We<strong>in</strong> auf Bier<br />

das rat ich dir ... Doch was ist dran, an solchen<br />

Aussagen? Odysso hat verschiedene Alkohol-<br />

Mythen unter die Lupe genommen und dazu den<br />

Ernährungswissenschaftler Dr. Alexandr Parlesak<br />

befragt.<br />

Macht Strohhalmtr<strong>in</strong>ken schneller betrunken?<br />

E<strong>in</strong>e Hand hält e<strong>in</strong> Cocktailglas, <strong>in</strong> dem sich e<strong>in</strong><br />

Strohhalm bef<strong>in</strong>det<br />

Gehört zum Cocktail: der Strohhalm<br />

Alexandr Parlesak (A.P.): "Wenn man<br />

niedrigprozentige Getränke zu sich nimmt, spielt es<br />

überhaupt ke<strong>in</strong>e Rolle, ob man den Alkohol mit dem<br />

Strohhalm oder direkt tr<strong>in</strong>kt. Bei Hochprozentigem<br />

sieht das e<strong>in</strong> bisschen anders aus. Es gibt ke<strong>in</strong>e<br />

wissenschaftliche Studie dazu, aber beim Tr<strong>in</strong>ken<br />

mit dem Strohhalm umspült der Alkohol die<br />

Mundschleimhaut länger. Es kann se<strong>in</strong>, dass der<br />

Alkohol über die Mundschleimhaut direkt<br />

aufgenommen wird und direkt <strong>in</strong>s Blut gelangt. Er<br />

muss auf diese Weise nicht, so wie wenn er im<br />

Magen aufgenommen wird, durch die Leber<br />

h<strong>in</strong>durch, wo er teilweise wieder abgebaut wird.<br />

Dadurch kann es tatsächlich se<strong>in</strong>, dass man höhere<br />

Blutalkoholspiegel erreicht und dadurch tatsächlich<br />

betrunkener wird, wenn man hochprozentige<br />

Getränke mit dem Strohhalm zu sich nimmt."<br />

Bier auf We<strong>in</strong>, das lass se<strong>in</strong>?<br />

(A.P.): "Wissenschaftlich ist nicht zu belegen, dass<br />

die Verträglichkeit dadurch bed<strong>in</strong>gt ist. Man<br />

vermutet, dass diese Weisheit historisch bed<strong>in</strong>gt ist.<br />

Früher war es so, dass We<strong>in</strong> als das hochwertigere<br />

Getränk galt und Bier etwas für arme Leute war. Und<br />

wenn man das aus dieser Sicht betrachtet, dann ist<br />

es so, dass jemand der mit We<strong>in</strong> anfängt und später<br />

beim Bier landet, so etwas wie e<strong>in</strong>en sozialen<br />

Abstieg durchmacht. Während jemand der mit Bier<br />

anfängt und sich zum We<strong>in</strong> hocharbeitet,<br />

offensichtlich e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Zugew<strong>in</strong>n<br />

erlebt und dadurch e<strong>in</strong>e gesellschaftliche<br />

Verbesserung erfolgt", glaubt Prof. Falk Kiefer,<br />

Mediz<strong>in</strong>er am Zentral<strong>in</strong>stitut für Seelische<br />

Gesundheit <strong>in</strong> Mannheim, der auch zu den folgenden<br />

Aussagen Stellung bezieht.<br />

E<strong>in</strong> Rausch tötet Gehirnzellen?<br />

(A.P.): "Da ist was dran. Alkohol ist Nervengift,<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> höherer Konzentration. Man kann<br />

das beim Menschen schwer genau bestimmen, wie<br />

viele Nervenzellen absterben - man schätzt so<br />

20.000 bis 30.000 pro Rausch. Man muss aber<br />

sagen: Bei der Gesamtmenge an Nervenzellen, das<br />

s<strong>in</strong>d ungefähr 100 Milliarden, die jeder Mensch hat,<br />

spielt das ke<strong>in</strong>e große Rolle. Da spielt es eher e<strong>in</strong>e<br />

Rolle, dass Alkohol die Kommunikationzwischen den<br />

Nervenzellen stört. Konzentration und Gedächtnis<br />

s<strong>in</strong>d verm<strong>in</strong>dert, dadurch dass<br />

Alkohol die Nervenzellen <strong>in</strong> ihrer Funktion<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt."<br />

Das Betthupferl - Ist Alkohol gut fürs E<strong>in</strong>schlafen?<br />

(A.P.): "Alkohol erhöht die Bettschwere, weil Alkohol<br />

e<strong>in</strong> Medikament ist, das dämpft und betäubt und<br />

letzten Endes über ähnliche Rezeptoren wirkt, über<br />

die auch viele Schlafmittel wirken. Alkohol ist<br />

trotzdem nicht als Schlafmittel geeignet, weil die<br />

Schlafqualität schlechter wird. Das heißt: man kann<br />

e<strong>in</strong>schlafen wie bei e<strong>in</strong>er Betäubung, aber die<br />

Schlafqualität wird schlechter und führt dazu, dass<br />

man am nächsten Morgen weniger ausgeschlafen<br />

und weniger erholt ist."<br />

Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der und Betrunkene sagen die Wahrheit<br />

(A.P.): "Das ist bed<strong>in</strong>gt richtig. Alkohol führt dazu,<br />

dass die Hemmung, die Kontrolle über das, was man<br />

sagt, verm<strong>in</strong>dert ist oder verloren geht. Auch K<strong>in</strong>der<br />

s<strong>in</strong>d weniger kontrolliert <strong>in</strong> dem was sie sagen - das<br />

ist bei Betrunkenen ähnlich. Nur ob die Wahrheit<br />

ausgedrückt wird, ist oft zweifelhaft. Betrunkene<br />

reden unkontrollierter über das, was sie sonst<br />

vielleicht nicht sagen würden. Das kann mal e<strong>in</strong>e<br />

Wahrheit se<strong>in</strong>, die man sonst verschweigen würde,<br />

es kann aber auch genauso gut e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>heit<br />

oder Uns<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>, den man sonst richtigerweise auch<br />

nicht äußern würde."<br />

Schützt e<strong>in</strong>e gute Essensgrundlage vor e<strong>in</strong>em<br />

Vollrausch?<br />

(A.P.): "Das Essen, <strong>in</strong>sbesondere wenn es<br />

kohlehydrat- oder fettreich ist, kann die<br />

Alkoholaufnahme aus dem Magen verzögern. Das<br />

heißt: Der Alkohol, den man tr<strong>in</strong>kt, kommt nicht so<br />

schnell im Blut an, wenn man vorher was gegessen<br />

hat. Die Alkoholaufnahme kann, wenn man nichts<br />

gegessen hat, <strong>in</strong>nerhalb von dreißig M<strong>in</strong>uten<br />

vollständig abgeschlossen se<strong>in</strong>. Wenn man etwas<br />

gegessen hat, kann sich das auf zwei bis drei<br />

Stunden verzögern. Das heißt, bei e<strong>in</strong>em Sturztrunk<br />

ist die Alkoholmenge unmittelbar und schnell im Blut.<br />

Wenn man etwas gegessen hat, dann dauert das<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Zeit. Und bis der letzte Alkohol im Blut<br />

angekommen ist, ist der erste Alkohol schon wieder<br />

abgebaut. Das heißt, so e<strong>in</strong> maximaler Spiegel wird<br />

gar nicht erreicht."<br />

Stimmt es, dass Alkohol wärmt?<br />

(A.P.): "Subjektiv ist die Wahrnehmung richtig.<br />

Alkohol erweitert die Blutgefäße und führt dazu, dass<br />

das warme Blut aus dem Körper<strong>in</strong>neren <strong>in</strong> die<br />

Peripherie, also <strong>in</strong> die Arme und Be<strong>in</strong>e fließen kann.<br />

Das führt dazu, dass man Wärme verspürt <strong>in</strong> den<br />

Händen und Füßen und das ist angenehm. Das führt<br />

aber auch dazu, dass die Wärme an die Umgebung<br />

abgegeben wird. Man kann ungefähr sagen, dass<br />

pro halbe Flasche We<strong>in</strong>, also 50 Gramm Alkohol, die<br />

Körpertemperatur um e<strong>in</strong> halbes Grad s<strong>in</strong>kt."<br />

Thomas Niemietz<br />

13


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Sucht hat viele Gesichter<br />

Weit spannt sich der Bogen von den Opium-Rauchern<br />

im Ch<strong>in</strong>a des vorigen Jahrhunderts über die Flower-<br />

Power-Haschisch-Szene der 60er Jahre bis zum<br />

Ecstasy-Boom von heute. Auf den folgenden Seiten<br />

haben wir e<strong>in</strong>ige Informationen zum Thema Sucht<br />

zusammengestellt, zum e<strong>in</strong>en für diejenigen, die gerne<br />

e<strong>in</strong>mal genau wissen wollen, wie ihr Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Jahren aussehen dürfte, zum anderen als<br />

Argumentationshilfe für Interessierte und Eltern.<br />

E<strong>in</strong>ige Begriffe - kurz erklärt<br />

Sucht<br />

ist e<strong>in</strong> wissenschaftlich eigentlich überholter, da<br />

unscharfer Begriff. Er wurde 1964 von der<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugunsten des<br />

Begriffs „Drogenabhängigkeit" aufgegeben.<br />

Droge/Drogenabhängigkeit<br />

Zustand psychischer (seelischer) oder psychischer und<br />

physischer (körperlicher) Abhängigkeit von e<strong>in</strong>er Droge<br />

(=Substanz mit zentralnervöser Wirkung), die zeitweise<br />

oder fortgesetzt e<strong>in</strong>genommen wird Seelische<br />

Abhängigkeit ist das unbezw<strong>in</strong>gbare, gierige seelische<br />

Verlangen, mit der E<strong>in</strong>nahme der Droge fortzufahren<br />

und sie sich um<br />

jeden Preis zu beschaffen.<br />

Körperliche Abhängigkeit ist der E<strong>in</strong>bau der Droge <strong>in</strong><br />

den Organismus durch Stoffwechselanpassung.<br />

Toleranzerwerb und Dosissteigerung s<strong>in</strong>d Kennzeichen<br />

körperlicher Abhängigkeit. Der Organismus<br />

gew<strong>in</strong>nt durch die fortgesetzte Drogene<strong>in</strong>nahme die<br />

Fähigkeit, an sich giftige, manchmal tödliche,<br />

Substanzmengen zu verarbeiten. Um noch e<strong>in</strong>e<br />

spürbare Wirkung zu erreichen, muss daraufh<strong>in</strong> die<br />

Dosis (E<strong>in</strong>zeldosis und/oder E<strong>in</strong>nahmehäufigkeit)<br />

gesteigert werden.<br />

Entgiftung<br />

ist die Beseitigung der körperlichen Abhängigkeit und<br />

die spezifische Behandlung der Entzugsersche<strong>in</strong>ungen<br />

meist unter stationären Bed<strong>in</strong>gungen über maximal<br />

zwei bis drei Wochen.<br />

Entwöhnung<br />

bedeutet Beseitigung der seelischen Abhängigkeit<br />

durch überwiegend psychologische und<br />

sozialtherapeutische Behandlungsmaßnahmen von<br />

mehrmonatiger Dauer mit dem Ziel der persönlichen<br />

Nachreifung und Festigung des Willens zur Abst<strong>in</strong>enz.<br />

Entzugsersche<strong>in</strong>ungen<br />

Als körperliche Entzugsersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d<br />

Schmerzzustände (an Gliedern, Rücken, Leib,<br />

Gelenken und Nerven) anzusehen, aber auch stark<br />

ausgebildete vegetative Ersche<strong>in</strong>ungen, etwa Zittern,<br />

Frieren, Schweißausbrüche. Ferner s<strong>in</strong>d Durchfall,<br />

Erbrechen, Übelkeit, Schw<strong>in</strong>del und Abgeschlagenheit<br />

hier zuzurechnen.<br />

Demgegenüber bestehen seelische Entzugsersche<strong>in</strong>ungen<br />

aus Unruhezuständen, Angst,<br />

dem Drang zu erneuter Drogene<strong>in</strong>nahme aus<br />

depressiven Verstimmungen bis h<strong>in</strong> zu Selbstmordgedanken.<br />

Sie s<strong>in</strong>d es, die Abhängige immer wieder<br />

dazu br<strong>in</strong>gen, erneut mit der E<strong>in</strong>nahme der Droge<br />

fortzufahren und abhängig zu bleiben.<br />

Abst<strong>in</strong>enz<br />

bedeutet völliger Verzicht auf Drogene<strong>in</strong>nahme.<br />

Zunächst ist sie die Voraussetzung für e<strong>in</strong>e<br />

erfolgreiche<br />

Behandlung, danach muss sie beibehalten werden, da<br />

selbst e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>imaldosis der Droge - auch nach langer<br />

Enthaltsamkeit - e<strong>in</strong>en schweren Rückfall auslösen<br />

kann.<br />

Quelle: Lehmann, Grüner, „Abhängig vom Alkohol?",<br />

Freiburg 1985<br />

Verschiedene Drogen und ihre Folgen und<br />

Gefahren<br />

Medikamente<br />

Medikamente s<strong>in</strong>d synthetische oder natürliche Stoffe,<br />

mit denen man die Beschaffenheit, den Zustand oder<br />

die Funktion des menschlichen Körpers bzw. seelische<br />

Zustände bee<strong>in</strong>flussen kann. Wer sie zwanghaft und<br />

fortgesetzt alle<strong>in</strong> wegen ihrer seelischen Wirkung<br />

e<strong>in</strong>nimmt, ist abhängig. Die Schätzungen über die Zahl<br />

der Betroffenen schwanken zwischen 200.000 und<br />

800.000. Medikamentenabhängigkeit ist e<strong>in</strong>e<br />

unauffällige Sucht. Oft ist das Suchtmittel anfänglich<br />

auch durch ärztliche Verschreibung legitimiert.<br />

Arzneimittel können heimlich e<strong>in</strong>genommen werden<br />

und machen ke<strong>in</strong>e „Fahne". Ihr Missbrauch hat sich <strong>in</strong><br />

den letzten 2 Jahrzehnten ausgeweitet. Die<br />

Pharma<strong>in</strong>dustrie hat unzählige neue Präparate auf den<br />

Markt geworfen. Darunter viele freiverkäufliche, die sie<br />

durch offensive Verkaufs- und Werbestrategien als P<br />

problemloser <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> der Käufer rückt. Fast<br />

70 % der Betroffenen s<strong>in</strong>d <strong>Frauen</strong>.<br />

Alkohol<br />

Der Konsum alkoholischer Getränke ist <strong>in</strong> unserer<br />

Gesellschaft <strong>in</strong> viele soziale Handlungen e<strong>in</strong>gebettet.<br />

Kaum e<strong>in</strong> Ereignis, das ke<strong>in</strong>en Anlass böte:<br />

Geburtstage, Betriebsferien, Stress und Feierabend,<br />

auch e<strong>in</strong>en Schrecken begießen wir erst e<strong>in</strong>mal.<br />

Tr<strong>in</strong>kgründe werden gesucht und gefunden. Alkohol ist<br />

dementsprechend das <strong>in</strong> unserem Kulturkreis am<br />

häufigsten missbrauchte Suchtmittel. Es gibt ihn<br />

jederzeit und überall zu kaufen. In der Bundesrepublik<br />

s<strong>in</strong>d rund 1,5 Millionen Menschen schwer<br />

alkoholgefährdet oder alkoholabhängig. Auf 2<br />

alkoholabhängige Männer kommt e<strong>in</strong>e<br />

alkoholabhängige Frau. Jugendliche und K<strong>in</strong>der<br />

kommen immer früher <strong>in</strong> Kontakt mit Alkohol. Gerade<br />

der Organismus Heranwachsender reagiert besonders<br />

empf<strong>in</strong>dlich auf Giftstoffe. Alkohol ist e<strong>in</strong> Zellgift.<br />

Häufiger und übermäßiger Gebrauch führt zu nicht<br />

wieder gut zu machenden organischen Schäden.<br />

14


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Illegale Drogen und Schnüffelstoffe<br />

Illegale Drogen s<strong>in</strong>d Stoffe, deren Besitz oder Vertrieb<br />

nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten ist und<br />

strafrechtlich verfolgt wird. Die Konsumenten illegaler<br />

Drogen s<strong>in</strong>d ganz überwiegend Heranwachsende. Die<br />

Zahl der Abhängigen liegt bei rund 50.000. Von 10<br />

Betroffenen s<strong>in</strong>d 4 <strong>Frauen</strong>. Neben Hero<strong>in</strong> ist Cannabis<br />

(Haschisch) die am häufigsten missbrauchte Droge.<br />

Der Konsum von Koka<strong>in</strong>, das lange Zeit als re<strong>in</strong>e<br />

„Schikeriadroge" galt, nimmt zu. Seltener werden<br />

Halluz<strong>in</strong>ogene (LSD, Meskal<strong>in</strong> und Psilocyb<strong>in</strong>)<br />

konsumiert, die e<strong>in</strong>e starke seelische Abhängigkeit<br />

erzeugen. Sie rufen starke S<strong>in</strong>nestäuschungen hervor,<br />

die zu unkontrollierter Risikobereitschaft und dadurch<br />

zu selbstzerstörerischen Fehlhandlungen führen<br />

können. Auf sie wird an dieser Stelle nicht näher<br />

e<strong>in</strong>gegangen. E<strong>in</strong>e spezielle Gefahr geht von der<br />

Illegalität dieser Stoffe aus. Wer sie konsumieren<br />

möchte, handelt zwangsläufig krim<strong>in</strong>ell und kommt mit<br />

e<strong>in</strong>em entsprechenden Milieu <strong>in</strong> Berührung. E<strong>in</strong>e<br />

Ersche<strong>in</strong>ung unserer Zeit ist die Schnüffelsucht, das<br />

E<strong>in</strong>atmen organischer Lösungsmittel. Überwiegend<br />

K<strong>in</strong>der („Schnüffelk<strong>in</strong>der") verschaffen sich auf diese<br />

Weise gewohnheitsmäßig Rauscherlebnisse.<br />

Nikot<strong>in</strong><br />

Nikot<strong>in</strong> ist neben Alkohol das andere allgeme<strong>in</strong><br />

akzeptierte Genussgift unserer Gesellschaft, das es<br />

immer und überall zu kaufen gibt. Rund 36% der<br />

Bundesbürger über 14 Jahre rauchen 15 Zigaretten<br />

täglich. Diese Zahlen s<strong>in</strong>d seit Jahren <strong>in</strong> etwa gleich<br />

geblieben. Verschoben hat sich <strong>in</strong>dessen die<br />

Zusammensetzung der Raucher, immer mehr von ihnen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>Frauen</strong> und Jugendliche. Während es Männern<br />

über 30 zunehmend gel<strong>in</strong>gt, mit dem Rauchen<br />

aufzuhören. Nach der Motivation und der Häufigkeit, mit<br />

der der e<strong>in</strong>zelne zur Zigarette greift, werden 3 Typen<br />

von Rauchern unterschieden: Genuss-, Gewohnheitsund<br />

Erleichterungsraucher. In jedem Fall ist Rauchen<br />

extrem gesundheitsgefährdend. Neben Nikot<strong>in</strong>,<br />

Teerstoffen und Kohlenoxid enthält der Tabakrauch<br />

noch über 1000 weitere Substanzen. Neben seelischer<br />

gibt es vom Nikot<strong>in</strong> auch e<strong>in</strong>e spezifische körperliche<br />

Abhängigkeit, die jedoch ohne Entgiftungsbehandlung<br />

überwunden werden kann. Rauchen wird zunehmend<br />

als Sucht verstanden. Das heißt, den Rauchern wird<br />

zuerkannt, dass sie zur Entwöhnung Hilfe brauchen.<br />

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat<br />

e<strong>in</strong> mehrwöchiges Lernprogramm erarbeitet, das gute<br />

Erfolge verzeichnet. Krankenkassen und Volkshochschulen<br />

bieten Kurse an.<br />

Süchtiges Verhalten<br />

Von süchtigem Verhalten spricht man, wenn e<strong>in</strong><br />

Mensch zwanghaft immer dieselbe Verhaltensweise<br />

wiederholt, weil er sich von ihr (erfolglos) Befriedigung<br />

erhofft. Das heißt, e<strong>in</strong>e bestimmte Verhaltensweise wird<br />

anstelle e<strong>in</strong>er Droge als Suchtmittel e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Putzsucht und Arbeitssucht, Streitsucht und Rachsucht,<br />

Fernsehsucht, Machtsucht, Eß-Sucht, Spielsucht,<br />

Eifersucht und Sehnsucht - der Volksmund hat schon<br />

lange entdeckt, dass es süchtiges Verhalten auch ohne<br />

Abhängigkeit von Drogen gibt. Unter Fachleuten ist die<br />

Bezeichnung Sucht für e<strong>in</strong> derartiges Verhalten<br />

umstritten. Viele fürchten e<strong>in</strong>e „Inflationierung des<br />

Suchtbegriffs" und me<strong>in</strong>en, e<strong>in</strong>e Ausdehnung des<br />

Suchtbegriffs auf zahlreiche menschliche<br />

Verhaltensweisen würde dazu führen, dass der Begriff<br />

Sucht untauglich zur Beschreibung Behandlungsbedürftiger<br />

Suchtkrankheiten wird. Körperliche<br />

Abhängigkeit und schmerzhafte Entzugsersche<strong>in</strong>ungen<br />

gibt es bei Verhaltensweisen nicht. Andererseits ist dies<br />

auch bei zahlreichen Drogen nicht der Fall. Betrachtet<br />

man dagegen die seelische Abhängigkeit, so s<strong>in</strong>d die<br />

Parallelen e<strong>in</strong>deutig. Nicht mehr anders zu können<br />

(Wiederholungszwang) und nicht mehr aufhören zu<br />

können (Kontrollverlust) s<strong>in</strong>d zentrale Merkmale<br />

seelischer Abhängigkeit, die sowohl für süchtiges<br />

Verhalten als auch für Drogenabhängigkeit zutreffen.<br />

Menschen, die an süchtigem Verhalten leiden, leugnen<br />

und verharmlosen dies nicht anders als<br />

Drogenabhängige. Andere Interessen und Bedürfnisse<br />

werden auch von ihnen vernachlässigt und ihr soziales<br />

Leben ist nachhaltig gestört. Ohne fachkundige<br />

Beratung und Psychotherapie oder Teilnahme an e<strong>in</strong>er<br />

Selbsthilfegruppe gel<strong>in</strong>gt es vielen Betroffenen nicht,<br />

dieses Verhalten abzulegen. Vor allem zwei süchtige<br />

Verhaltensweisen haben <strong>in</strong> den vergangenen zwei<br />

Jahren Schlagzeilen gemacht. Zum e<strong>in</strong>en das<br />

Glücksspielen an Geldspielautomaten, zum anderen<br />

das gestörte Eßverhalten.<br />

Glücksspiel<br />

Geldspielautomaten, das waren früher re<strong>in</strong>e<br />

„Groschengräber". Nach Gelde<strong>in</strong>wurf konnte nur noch<br />

das<br />

Drehen der Zahlenscheiben beobachtet werden. Durch<br />

Start/Stopp- und Risikotasten wird dem Spieler an den<br />

modernen Geräten das Gefühl vermittelt, er sei aktiv<br />

am Spiel beteiligt - se<strong>in</strong>es Glückes Schmied. Aus dem<br />

re<strong>in</strong>en Geld- wurde so e<strong>in</strong> Glücksspielautomat, der mit<br />

se<strong>in</strong>er Sche<strong>in</strong>herausforderung e<strong>in</strong>e wesentlich stärkere<br />

Fasz<strong>in</strong>ation ausübt. Der zwanghafte Spieler nimmt jede<br />

Gelegenheit zum Spielen wahr, und er spielt bis er alles<br />

verloren hat. Viele Spieler ru<strong>in</strong>ieren sich dadurch<br />

f<strong>in</strong>anziell. Der Zwang, Geld zum Spielen zu beschaffen,<br />

lässt nicht wenige krim<strong>in</strong>ell werden. Der tage- bzw.<br />

nächtelange Aufenthalt <strong>in</strong> Spielhallen und die damit<br />

e<strong>in</strong>hergehende ständige optische und akustische<br />

Reizüberflutung belasten die Gesundheit und br<strong>in</strong>gen<br />

für viele e<strong>in</strong> gestörtes Eßverhalten.<br />

Das andere süchtige Verhalten, das derzeit <strong>in</strong> der<br />

Öffentlichkeit viel diskutiert wird, ist das gestörte<br />

Eßverhalten. Hier s<strong>in</strong>d mehr als 90 % der Betroffenen<br />

<strong>Frauen</strong>.<br />

15


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

<strong>Obdach</strong>lose unerwünscht<br />

Am 10. Dezember, mitten <strong>in</strong> der schönsten<br />

Vorweihnachtszeit, erschien im Report Ma<strong>in</strong>z der<br />

ARD e<strong>in</strong> Bericht über das zukünftige Vorgehen der<br />

Deutschen Bahn gegen <strong>Obdach</strong>lose.<br />

Der erste Schritt dazu: Im Bahnhof Zoo <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

werden die <strong>Obdach</strong>losen aus dem Bahnhofsgebäude<br />

„entfernt". Sicherheitskräfte mit roten<br />

Baretts sorgen dafür, dass nichts und niemand<br />

mehr das Auge des zahlenden Fahrgastes stört.<br />

Rauchen, Betteln und der Verkauf der<br />

<strong>Obdach</strong>losenzeitungen auf dem Bahngelände<br />

werden verboten. Und dies alles gilt nicht nur für<br />

Berl<strong>in</strong> - die Verbote werden auf alle Bahnhöfe<br />

ausgeweitet und überall Schilder ausgehängt, auf<br />

denen steht, dass „Herumlungern" verboten sei.<br />

Bahnchef Mehdorns zweiter Schritt soll die<br />

Schließung der Bahnhofsmissionen oder zum<strong>in</strong>dest<br />

der Essensausgabe se<strong>in</strong>.<br />

Die Bahnhofsmission, die von beiden Kirchen<br />

unterhalten wird, ist seit über 100 Jahren<br />

Anlaufstelle für Menschen <strong>in</strong> Not. Die Mitarbeiter<br />

s<strong>in</strong>d fast alle ehrenamtlich tätig. Nicht nur<br />

<strong>Obdach</strong>lose, sondern auch Verirrte, Ausreißer und<br />

normale Bahnkunden, die den letzten Zug verpasst<br />

haben und nur noch wenig Geld im Portemonnaie<br />

haben, s<strong>in</strong>d Kunden der Bahnhofsmission.<br />

<strong>Obdach</strong>losen bietet die Mission oft die e<strong>in</strong>zige<br />

Möglichkeit zu e<strong>in</strong>em warmen Essen, e<strong>in</strong>er<br />

Beratung oder e<strong>in</strong> paar freundlichen Worten. Laut<br />

e<strong>in</strong>em Sprecher der Bahn lockt jedoch gerade die<br />

Essensausgabe der Bahnhofsmission „<strong>Obdach</strong>lose,<br />

Drogenabhängige und Alkoholiker" an. Und<br />

deshalb will man die Missionen von ihrem<br />

angestammten Platz vertreiben - am besten weit<br />

außerhalb und ihre Kundschaft soll auch mit. Denn<br />

was man nicht sieht, existiert bekanntermaßen<br />

nicht.<br />

So e<strong>in</strong>fach ist das.<br />

So e<strong>in</strong>fach ist das aber gar nicht. Soziale Probleme<br />

können sicher nicht <strong>in</strong> den Bahnhöfen gelöst<br />

werden, das ist e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>e gesellschaftliche<br />

Aufgabe. Dennoch s<strong>in</strong>d die Bahnhöfe oft die<br />

e<strong>in</strong>zigen Plätze, die bei Kälte und Regen e<strong>in</strong>en<br />

Schutz bieten. Wo die Passanten auch mal e<strong>in</strong>en<br />

Euro übrig haben, die man direkt im Warmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Bier oder e<strong>in</strong>e Bratwurst umsetzen kann. Damit<br />

s<strong>in</strong>d übrigens auch die <strong>Obdach</strong>losen „Kunden" der<br />

Bahn.<br />

Die meisten Leute haben ke<strong>in</strong>e Probleme mit den<br />

<strong>Obdach</strong>losen. Auch auf Befragungen des<br />

Reporterteams reagierten die meisten Bahnkunden<br />

liberal. Ich persönlich habe auch eher etwas gegen<br />

Taschendiebe, und seien sie noch so ordentlich<br />

angezogen, als gegen e<strong>in</strong>en <strong>Obdach</strong>losen, der<br />

mich um e<strong>in</strong>e Mark bittet.<br />

Die Bahn jedoch besteht auf ihren Besitzrechten an<br />

den Bahnhöfen und sieht so e<strong>in</strong>e Handhabe,<br />

unliebsame Gäste vom Gelände zu entfernen, um<br />

hier Platz für hübsche und überteuerte Geschäfte<br />

zu machen. Andererseits gehört die Bahn AG<br />

immer noch dem Bund, wird von Steuergeldern<br />

subventioniert und somit hat auch der Bürger e<strong>in</strong>en<br />

- <strong>in</strong>direkten - Anteil an der Bahn AG. Somit hat die<br />

Bahn juristisch nicht unbed<strong>in</strong>gt die Möglichkeit,<br />

gegen Bürger „Hausrecht" auszuüben. Und auch<br />

Bürger ohne Wohnsitz s<strong>in</strong>d immer noch Bürger.<br />

Arbeitslosigkeit und <strong>Obdach</strong>losigkeit können jeden<br />

treffen, <strong>in</strong>sbesondere bei der sich ständig<br />

verschlechternden Wirtschaftslage.<br />

Was kann man gegen diese Ungerechtigkeit der<br />

Bahn tun? Würde e<strong>in</strong> Boykott S<strong>in</strong>n machen? Im<br />

Grunde würde es sicher S<strong>in</strong>n machen - aber man<br />

hat oft e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Wahl, weil viele Leute die<br />

Bahn beruflich nutzen. Man kann natürlich Protest<br />

e<strong>in</strong>legen. Die Bahn mit Briefen und Mails<br />

überschütten. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Maßnahme.<br />

Und man kann auch - sofern man privat unterwegs<br />

ist - mal ziemlich abgerissen aussehen und sich<br />

von den Rotkappen (dem Sicherheitsdienst der<br />

Bahn) gewaltsam entfernen lassen - und sich dann<br />

mit dem gültigen Ticket als Kunde outen. Denn<br />

e<strong>in</strong>e Kleiderordnung lassen wir uns nun wirklich<br />

nicht aufzw<strong>in</strong>gen.<br />

Was wichtig ist: man kann die Bahnhofsmissionen<br />

unterstützen. Mit Arbeitskraft, Sach- und<br />

Geldspenden.<br />

Aber jeder muss für sich selbst se<strong>in</strong>e Konsequenz<br />

ziehen.<br />

16


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Köpenickiade 2007<br />

E<strong>in</strong> Leserbrief, den ich ohne weiteren Kommentar<br />

veröffentliche.<br />

„Ohne Arbeit ke<strong>in</strong> Pass, ohne Pass ke<strong>in</strong>e Arbeit" -<br />

das war der HAUPTMANN VON KÖPENICK, zu<br />

e<strong>in</strong>er Zeit, als <strong>in</strong> England die „Titanic" gebaut wurde<br />

mit Rettungsbootplätzen ausschließlich für die 1.und<br />

2.Klasse.<br />

Die Menschen <strong>in</strong> der 3.Klasse wurden nicht mehr als<br />

Menschen behandelt. Man ließ sie ohne Rettungsmöglichkeiten<br />

e<strong>in</strong>gesperrt im Unterdeck mit dem<br />

untergehenden Schiff schlichtweg versaufen.<br />

Soviel zur Achtung der Menschen damals - aber<br />

heute, so sche<strong>in</strong>t - s<strong>in</strong>d wir gar nicht so weit davon<br />

entfernt, <strong>in</strong> unserer ach so aufgeklärten,<br />

„demokratischen" Vernunftswelt...... anbei e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressanter<br />

Bericht zum Thema Wohnungs- und<br />

Arbeitssuche, unter anderem veröffentlicht auf<br />

www.ciao.com.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Verbreitung dieses Artikels streben wir,<br />

(Manuela Verch-Schumacher, Bad Salzungen, Autor<br />

dieses Berichtes, rehauge61@yahoo.de und Michael<br />

Benscheid, Remscheid, lieber_harald@yahoo.de) an,<br />

um zu zeigen, was <strong>in</strong> diesem Land tatsächlich<br />

abläuft! Von daher würden wir e<strong>in</strong>e Veröffentlichung<br />

sehr begrüßen.<br />

Bericht:<br />

Hartz IV? Gibt es e<strong>in</strong>en Weg aus dieser Sozialfalle?<br />

Ihr Job ist aus welchen Gründen auch immer<br />

verloren? Ihr Arbeitslosengeld I Anspruch ist erschöpft?<br />

Dann s<strong>in</strong>d Sie hier richtig und herzlich<br />

willkommen im Kreis der ALG II Empfänger- im<br />

Volksmund auch Hartz IV Abhängige genannt!<br />

Sie wollen wieder unabhängig se<strong>in</strong>, wollen sich die<br />

Vorurteile:<br />

„Hartz IV = Arbeitsscheu und Faul“ nicht länger<br />

gefallen lassen?<br />

Ich rate Ihnen, schaffen Sie sich e<strong>in</strong> dickes Fell an<br />

und schlucken Sie alle Vorurteile die sich Ihnen jeden<br />

Tag aufs Neue <strong>in</strong> den Weg stellen, denn e<strong>in</strong>en Weg<br />

zurück aus ALG II gibt es kaum.<br />

Sicher, die deutsche Wirtschaft boomt und es gibt<br />

weniger Arbeitslose – diese Mitteilungen <strong>in</strong> den<br />

Zeitungen und Fernsehberichten lassen Arbeitssuchende,<br />

gerade <strong>in</strong> den neuen Bundesländern,<br />

e<strong>in</strong>en Hoffnungsschimmer <strong>in</strong> die Augen steigen –<br />

allerd<strong>in</strong>gs, wie sieht die Wirklichkeit aus?<br />

Wir s<strong>in</strong>d drei Langzeitarbeitslose, die unverschämterweise<br />

dem Staat auf der Tasche liegen – Hartz IV<br />

Empfänger. Jeden Monat Überleben tra<strong>in</strong>ieren mit<br />

345 Euro – jeder der dies e<strong>in</strong>mal erlebt hat wird nicht<br />

mehr die Nase rümpfen über die Bezieher von ALGII,<br />

sondern nur noch mitleidige Blicke verschenken.<br />

Wir. Das s<strong>in</strong>d: männlich, 46 Jahre - seit 2004 <strong>in</strong><br />

Thür<strong>in</strong>gen wohnend, weiblich, 45 Jahre (ich) seit<br />

2001 <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen wohnend und männlich, 43 Jahre,<br />

seit 2005 nicht mehr <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen sondern wieder <strong>in</strong><br />

NRW wohnend.<br />

Freunde, die sich zusammen gefunden haben, um<br />

aus diesem Kreislauf Hartz IV herauszukommen.<br />

Doch wie stellt man es an – heraus zu kommen?<br />

Bewerbungen schreiben, selbstverständlich, an<br />

potentielle Arbeitgeber. Initiativ oder auf Angebote<br />

e<strong>in</strong>gehend verfasst man diese Bewerbungen. 1, 2, 3<br />

...... 50..... mehr.<br />

Resonanz bekommt man kaum – egal wie viel Mühe<br />

man sich mit der Bewerbung gegeben hat, <strong>in</strong> den<br />

seltensten Fällen bekommt man die Chance auf e<strong>in</strong><br />

Vorstellungsgespräch, noch weniger bekommt man<br />

die Bewerbungsmappen zurück. Anfangs hat es<br />

e<strong>in</strong>en zerstört, immer wieder die Absagen zu<br />

bekommen, heutzutage erträgt man die Absagen<br />

leichter, denn die Unternehmen geben kaum noch die<br />

Mappen zurück. Die Bewerbungsmappen die man<br />

tagtäglich verschickt - <strong>in</strong> der Hoffnung, doch mal e<strong>in</strong>e<br />

Ros<strong>in</strong>e herauszupicken – s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en ALGII<br />

Empfänger wertvoll, aber die Unternehmen haben<br />

selber e<strong>in</strong>en Sparkurs und dieser heißt: ke<strong>in</strong> Porto<br />

unnötig ausgeben. Also landen diese Mappen<br />

manchmal <strong>in</strong> der Ablage P wie Papierkorb oder <strong>in</strong><br />

irgende<strong>in</strong>em Aktenraum wo sie still vor sich h<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>stauben.<br />

Doch auf e<strong>in</strong>mal wird man fündig, man hat e<strong>in</strong>e<br />

Adresse bekommen, wo man sich e<strong>in</strong>gehend über<br />

e<strong>in</strong>e Arbeitsaufnahme <strong>in</strong>formieren kann. Man besucht<br />

diese Veranstaltung und man staunt: Nicht weit von<br />

hier, <strong>in</strong> den Niederlanden- da wird unsere Arbeitskraft<br />

gesucht. Da s<strong>in</strong>d wir nicht zu alt, da s<strong>in</strong>d wir ke<strong>in</strong><br />

Abschaum, weil unser E<strong>in</strong>kommen die Quelle Hartz<br />

IV ist- da, genau da, könnte man wieder Fuß fassen,<br />

e<strong>in</strong>e Aufgabe bekommen und e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen<br />

erarbeiten ohne dem eigenen K<strong>in</strong>d sagen zu müssen:<br />

Ich kann Dir nichts kaufen weil das ALGII dafür nicht<br />

vorgesehen ist.<br />

Wir haben diese Arbeitsquelle entdeckt, haben uns<br />

beworben, e<strong>in</strong> paar Zeilen nur – ohne den uns<strong>in</strong>nig<br />

übermäßigen Standard der hier herrscht und wir<br />

haben die Aussage bekommen: Ja, wir hätten Arbeit<br />

für Sie und wir wollen Sie – wenn Sie hier im Grenzbereich<br />

wohnen würden.<br />

Das heißt Umzug! Überlegen müssen wir nicht lange,<br />

e<strong>in</strong> weiterer Freund (me<strong>in</strong> Freund) will mitkommen, er<br />

lebt zwar nicht von Hartz IV, sondern hat e<strong>in</strong>e Arbeitjedoch<br />

ist er alle<strong>in</strong> erziehend und bekommt hier <strong>in</strong><br />

Thür<strong>in</strong>gen 1038 €netto als Masch<strong>in</strong>enbauer.<br />

Übrigens, 2 €weniger als er vor e<strong>in</strong>em Jahr ALGI<br />

hatte!<br />

Nun s<strong>in</strong>d wir schon 4 Erwachsene. Me<strong>in</strong>e Tochter, 20<br />

und Soldat auf Zeit, ist begeistert von unserem Vorhaben.<br />

Wieder zurück <strong>in</strong> die Heimat gehen und nicht mehr<br />

jeden Cent der Mutter geben zu müssen, damit sie<br />

dem Bruder z.B. e<strong>in</strong>e neue Hose kaufen kann- selber<br />

nach der Bundeswehrzeit e<strong>in</strong>e bessere Chance zu<br />

bekommen als <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen- sie will mit. Also s<strong>in</strong>d wir<br />

nun 5 Erwachsene.<br />

17


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

18<br />

Me<strong>in</strong> Sohn? Er will hier <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen bleiben. Nicht nur,<br />

weil es hier landschaftlich so wunderschön ist - er hofft<br />

darauf, nach dem sozialen Jahr im Krankenhaus hier <strong>in</strong><br />

Bad Salzungen, e<strong>in</strong>e Ausbildungsstelle zu bekommen.<br />

Er hat alles dafür gegeben, sogar 12 Tage am Stück<br />

gearbeitet hat ohne e<strong>in</strong>e Tag frei zu bekommen!<br />

Die Hoffnung wird zerstört. Auf Grund se<strong>in</strong>es<br />

Notendurchschnittes von 3,5 sagt der Kl<strong>in</strong>ikleiter, dass<br />

es e<strong>in</strong>e Gefahr für das Krankenhaus wäre, ihn mit<br />

se<strong>in</strong>en schlechten Noten e<strong>in</strong>zustellen.<br />

Nächste Hoffnung zerstört.<br />

Also s<strong>in</strong>d wir jetzt 6 Menschen an Bord. Menschen, die<br />

von hier weg wollen um e<strong>in</strong>e menschenwürdige Arbeit<br />

aufnehmen zu können. E<strong>in</strong>en Job, wo man was leisten<br />

kann und darf und auch e<strong>in</strong>e dementsprechende<br />

Bezahlung für die geleistete Arbeit bekommt.<br />

Wir machen uns an die Arbeit. Wir sprechen nochmals<br />

persönlich mit den Personalmitarbeitern <strong>in</strong> den<br />

Niederlanden. Sie sagen: Ja, wir wollen Euch – aber<br />

Ihr müsst hierher ziehen.<br />

Also gehen wir auf die Suche nach e<strong>in</strong>er neuen Bleibe.<br />

E<strong>in</strong>er Unterkunft, die bezahlbar ist und dennoch nicht<br />

zu den „Slums“ e<strong>in</strong>er deutschen Großstadt zählt. Auch<br />

wenn wir hier <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen Hartz IV bekommen, so<br />

haben wir dennoch unsere Würde nicht verloren. Noch<br />

nicht…<br />

Aus Kostengründen haben wir uns entschlossen, dass<br />

wir e<strong>in</strong>e Wohngeme<strong>in</strong>schaft gründen. Wir kennen uns<br />

viele Jahre, kennen e<strong>in</strong>ander die Macken, die wir<br />

haben und, wir wollen f<strong>in</strong>anziell wieder auf die Be<strong>in</strong>e<br />

kommen.<br />

Die Suche geht los - die erste Besichtigung, die zweite,<br />

die dritte… Jede Besichtigung scheitert an der<br />

Tatsache, dass wir zwar arbeiten wollen aber derzeit<br />

auf Kosten des Staates schmarotzen(??). E<strong>in</strong>en<br />

Arbeitsvertrag wollen die Vermieter sehen – können<br />

wir nicht anbieten, da es nun mal so gehandhabt wird,<br />

dass man e<strong>in</strong>e Wohnung vorweisen muss, um e<strong>in</strong>en<br />

Arbeitsvertrag zu bekommen. Sicher haben wir derzeit<br />

e<strong>in</strong>e Wohnung – nur nicht da wo sie se<strong>in</strong> sollte.<br />

Nämlich im Grenzgebiet zu den Niederlanden – denn<br />

da wird unsere Arbeitskraft gesucht.<br />

Versuche, dies den Vermietern klar zu machen<br />

scheitern kläglich. Du bekommst jetzt Hartz IV, weil Du<br />

nicht arbeitest – wieso sollen wir glauben dass Du<br />

überhaupt arbeiten gehen willst? (Die Gedanken<br />

potentieller Vermieter) Alarmglocken schrillen bei den<br />

Vermietern – das s<strong>in</strong>d arbeitsscheue Subjekte, die da<br />

me<strong>in</strong>e schöne Wohnung haben wollen- das s<strong>in</strong>d<br />

Mietnomaden – Schmarotzer, nicht genug das sie<br />

Hartz IV abkassieren, jetzt wollen diese Subjekte auch<br />

noch an unser Hab und Gut!<br />

Manch e<strong>in</strong> Vermieter will souverän die Abneigung<br />

überbrücken, sagt: Gegen Hartz IV habe ich nichtsaber<br />

wenn Sie e<strong>in</strong>en Tag die Miete zu spät zahlen<br />

werde ich Ihre Möbel aus dem Fenster schmeißen.<br />

(Diese Wohnung hatte nicht e<strong>in</strong>mal im Badezimmer<br />

e<strong>in</strong>e Türe!)<br />

E<strong>in</strong> anderer Vermieter fragt: Haben Sie überhaupt<br />

Möbel? Sie können hier nicht e<strong>in</strong>fach auf der Erde<br />

hausen wie die Penner. E<strong>in</strong> anderer befürchtet: Da<br />

gehen bestimmt sämtliche Hartz IV Empfänger hier e<strong>in</strong><br />

und aus und werden das schöne neu renovierte<br />

Treppenhaus verschandeln.<br />

"Vorurteile, Vorurteile, Vorurteile……………"<br />

Wir versuchen es anders, gehen zur ARGE und fragen<br />

nach, was wir tun können, um hier <strong>in</strong> der anderen<br />

Stadt Fuß zu fassen. Die Mitarbeiter schauen uns an<br />

als kämen wir von e<strong>in</strong>er anderen Galaxie. Arbeiten <strong>in</strong><br />

den Niederlanden? Davon habe ich ja noch nie gehört.<br />

(Anmerkung: <strong>in</strong> diesem Arbeitsamt, wo die ARGE sitzt,<br />

werden die Veranstaltungen „Arbeiten <strong>in</strong> den<br />

Niederlanden“ abgehalten). Wir klären die<br />

Sachbearbeiter<strong>in</strong> auf und bekommen ke<strong>in</strong>e<br />

aussagefähige Antwort, weil die Dame mit dieser<br />

Situation überfordert ist. Aber, sie gibt uns e<strong>in</strong>e Liste<br />

von Wohnungsgesellschaften mit, wenigstens etwas.<br />

Mit neuem Mut stürzen wir uns auf die Adressen –<br />

suchen uns auf e<strong>in</strong>er Autobahnraststätte e<strong>in</strong>en Bank<br />

und telefonieren mit dem Handy alle Nummern ab.<br />

„Guten Tag, wir suchen e<strong>in</strong>e Wohnung oder e<strong>in</strong> Haus<br />

für 6 Personen“ „ So große Wohnungen haben wir<br />

nicht, aber mit zwei Wohnungen, 3 und 4 Zimmer,<br />

könnten wir Ihnen weiterhelfen“ „ Ja, gut, das wäre<br />

auch ok, können wir uns die Objekte e<strong>in</strong>mal<br />

anschauen?“ „Selbstverständlich! Wo arbeiten Sie<br />

denn und was verdienen Sie denn? Wir verlangen auf<br />

jeden Fall e<strong>in</strong>e Schufaauskunft von Ihnen!“. „ Wir<br />

bekommen derzeit ALGII und können e<strong>in</strong>e Arbeitsstelle<br />

<strong>in</strong> den Niederlanden antreten, sobald wir hier an<br />

diesem Ort e<strong>in</strong>e Wohnung haben.“ „Sie bekommen<br />

Hartz IV? Das ist schlecht, dann haben Sie sicherlich<br />

e<strong>in</strong>e schlechte Schufaauskunft und an solche Leute<br />

vermieten wir nicht!“ „Ja, wir haben jeder von uns<br />

negative E<strong>in</strong>träge <strong>in</strong> der Schufa- nicht wegen der<br />

Unwilligkeit zum zahlen sondern weil das Geld für die<br />

alten Verpflichtungen nicht gereicht hat“ „E<strong>in</strong>trag ist<br />

E<strong>in</strong>trag – wer da dr<strong>in</strong> steht wird auch die Miete nicht<br />

pünktlich zahlen und darauf verzichten wir, Guten<br />

Tag!“……….<br />

Manche Vermieter zeigen großes Verständnis für<br />

Hartz IV Empfänger, sagen: Ach, da kann man<br />

doch drüber reden, kommen Sie e<strong>in</strong>fach mal<br />

vorbei…Man fährt h<strong>in</strong> und dann bekommt man<br />

Fragen gestellt, die dermaßen <strong>in</strong>s Intimste gehen,<br />

dass ich verzweifelt heulend die Gespräche<br />

abgebrochen habe. Nicht nur, dass der Vermieter<br />

Kontonummer, Steuernummer, Gehaltsnachweise<br />

(woher sollen wir die bitte schön nehmen?) sehen<br />

will, er will auch mit dem Sachbearbeiter me<strong>in</strong>er<br />

Bank sprechen, mit allen me<strong>in</strong>en Vorvermietern<br />

und me<strong>in</strong>en ehemaligen Arbeitgebern. Er will<br />

Arbeitszeugnisse sehen – damit er e<strong>in</strong>en<br />

Überblick hat ob wir jemals schon gearbeitet<br />

hätten. Und, er will den neuen Arbeitsvertrag


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

sehen, damit er sich davon überzeugen kann, ob<br />

das alles was wir erzählen auch die Wahrheit ist!<br />

Als wir ihm erklären, dass es e<strong>in</strong>en Arbeitsvertrag erst<br />

dann gibt wenn wir e<strong>in</strong>e Wohnung im Grenzgebiet<br />

nachweisen können, ist se<strong>in</strong>e Reaktion: „ Na, dann<br />

weiß ich ja, dass Sie hier nur gelogen haben…“<br />

Nach 10 Tagen <strong>in</strong>tensiver Suche, über 3500<br />

gefahrenen Kilometern bei der größten Hitze geben wir<br />

entnervt auf. Wir haben kaum noch Geld um nach<br />

Hause fahren zu können. Aber aufgeben werden wir<br />

nicht. Die Zeit sitzt uns zwar im Genick, ewig warten die<br />

Niederländer nicht auf uns- aber sobald wir es können –<br />

sprich wenn es Geld gegeben hat, werde ich wieder<br />

fahren und mit unserem Freund weiter auf Suche<br />

gehen.<br />

Es heißt <strong>in</strong> dem ALGII Gesetz: Man soll bereit se<strong>in</strong> der<br />

Arbeit gegebenenfalls h<strong>in</strong>terher zu reisen, dazu s<strong>in</strong>d wir<br />

bereit. Aber wenn man sich mitten <strong>in</strong> dem Film<br />

„Hauptmann von Köpenick“ bef<strong>in</strong>det ist es e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nloses<br />

Unterfangen.<br />

Wir s<strong>in</strong>d nicht nur der Arbeit h<strong>in</strong>terher gefahren, wir<br />

haben uns mit schlimmsten Bed<strong>in</strong>gungen herum<br />

geschlagen. Kaum Geld <strong>in</strong> der Tasche, 10 Tage<br />

schlafen auf dem Fußboden bei e<strong>in</strong>em Bekannten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 1 Zimmer Wohnung, weil man sich ke<strong>in</strong> Zimmer<br />

irgendwo leisten kann und Beschimpfungen,<br />

Beleidigungen usw. erlebt. Aber wir geben nicht auf –<br />

wir wollen weg aus Hartz IV, weg aus der Schande als<br />

arbeitsscheu zu gelten und wieder re<strong>in</strong> <strong>in</strong>s das normale<br />

soziale Leben.<br />

Wir wollen e<strong>in</strong>e Arbeit mit e<strong>in</strong>em menschenwürdigen<br />

Lohn und dafür werden wir kämpfen.<br />

Diesen Gedanken dies hier aufzuschreiben trage ich<br />

schon seit e<strong>in</strong>er Woche mit mir herum. Irgendwie fehlte<br />

mir der Anstoß es zu tun. Heute jedoch war <strong>in</strong> der<br />

Salzunger Tafel e<strong>in</strong> Mitglied des Deutschen<br />

Bundestages, die Vorsitzende des Petitionsausschusses.<br />

Mit ihr hat unser Freund sich unterhalten<br />

und sie hat ihn gebeten, dies alles nieder zu schreiben<br />

und ihr zukommen zu lassen. Und so ist dieser Bericht<br />

entstanden.<br />

Diese ganzen Zeilen s<strong>in</strong>d leider ke<strong>in</strong> Märchen, schon<br />

gar nicht e<strong>in</strong> modernes Märchen. Es ist, und wer den<br />

Film kennt, der weiß wie ich es me<strong>in</strong>e, die Auferstehung<br />

des Films vom Hauptmann Köpenick. Damals hieß es:<br />

Ohne Arbeit ke<strong>in</strong>en Pass und ohne Pass ke<strong>in</strong>e Arbeit.<br />

Heute heißt die Geschichte: Ohne Arbeit ke<strong>in</strong>e<br />

Wohnung und ohne Wohnung ke<strong>in</strong>e Arbeit.<br />

Fazit: Wir wollen arbeiten und s<strong>in</strong>d bereit dafür, wieder<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>s kalte Wasser zu spr<strong>in</strong>gen und wieder e<strong>in</strong>mal<br />

von vorne anzufangen – aber wenn man ALG II<br />

bekommt dann ist man mit e<strong>in</strong>em Ka<strong>in</strong>smerkmal<br />

versehen. Ca. 80 potentielle Vermieter haben uns dies<br />

sehr deutlich gezeigt!<br />

19


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Büchertipps<br />

Robert Sw<strong>in</strong>dells<br />

Eiskalt<br />

Orig<strong>in</strong>al: Stone Cold<br />

Carlsen TB<br />

ISBN 3-551-37230-6<br />

(K<strong>in</strong>der ab 12)<br />

L<strong>in</strong>k ist von zu Hause abgehauen und lebt auf der<br />

Straße.<br />

Ohne G<strong>in</strong>ger, der ihm das Schnorren beibr<strong>in</strong>gt und<br />

Plätze zum Aufwärmen und Schlafen kennt, hätte er<br />

den W<strong>in</strong>ter nicht überlebt. Doch dann ist G<strong>in</strong>ger<br />

plötzlich spurlos verschwunden. Was L<strong>in</strong>k nicht ahnt:<br />

In der Stadt treibt e<strong>in</strong> Killer se<strong>in</strong> Unwesen, der es auf<br />

<strong>Obdach</strong>lose abgesehen hat. L<strong>in</strong>k macht sich auf die<br />

Suche nach G<strong>in</strong>ger, doch auch ihn hat der Killer<br />

längst im Visier...<br />

K.A. Chausse / N. Preußer / W.<br />

Wittich: Wohnhaft<br />

ISBN 3-9231-54-9, 252 Seiten<br />

Die Autoren verdeutlichen die Zusammenhänge<br />

zwischen dem Zurückschrauben der sozialstaatlichen<br />

Sicherungssysteme und der Zunahme von Armut,<br />

br<strong>in</strong>gen Beiträge zur Empire der Verelendung und<br />

stellen Projekte zukunftsorientierter Sozialpolitik vor.<br />

E<strong>in</strong> Leitfaden Hrsg. v. d. Bayer. Verwaltungsschule<br />

Fortbildung & Praxis Bd.7<br />

Eugen Ehmann<br />

Hrsg.: Bayerische Verwaltungsschule, München;<br />

<strong>Obdach</strong>losigkeit ist seit e<strong>in</strong>igen Jahren auch auf<br />

dem Land und <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>städten e<strong>in</strong> Thema, auf<br />

das Kommunalverwaltungen reagieren müssen.<br />

Den unter Handlungsdruck stehenden<br />

Mitarbeitern der Ordnungs- und Sozialämter<br />

fehlen oftmals die wichtigsten rechtlichen<br />

Grundlagen. Die Dokumentation erläutert <strong>in</strong><br />

knapper, praxisbezogener Form die rechtlichen<br />

differenziert zwischen den Zahlungen der<br />

H<strong>in</strong>tergründe für die Maßnahmen der Geme<strong>in</strong>de<br />

und stellt Musterbescheide, Ablaufpläne und<br />

praktische Handlungsanleitungen zur Verfügung.<br />

Besondere Aufmerksamkeit gilt den Kostenrisiken,<br />

die für die Geme<strong>in</strong>de bestehen.<br />

Vorgestellt und erläutert werden Vorgehensweisen<br />

zur Kontaktaufnahme mit <strong>Obdach</strong>losen,<br />

die sachliche und örtliche Zuständigkeit von<br />

Geme<strong>in</strong>den und Sozialämtern sowie Maßnahmen<br />

zur Wohnungsversorgung, bei<br />

drohender Zwangsräumung und zur Selbsthilfe.<br />

Die Rechtsgrundlage zur E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Geme<strong>in</strong>deunterkunft und der Ausstattungsstandard<br />

e<strong>in</strong>er Unterkunft s<strong>in</strong>d dokumentiert. Im<br />

Bereich der F<strong>in</strong>anzierung wird differenziert<br />

zwischen den Zahlungen der Sozialämter an die<br />

Geme<strong>in</strong>den und der Abtretung von<br />

Sozialleistungen der <strong>Obdach</strong>losen.<br />

20


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

21


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

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Ausgabe war der 15.7..2007<br />

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22


Ausgabe 03 / Sommer 07<br />

Schmunzelecke<br />

E<strong>in</strong>e Frau setzte sich auf e<strong>in</strong>e<br />

Parkbank und ruhte sich von<br />

e<strong>in</strong>em langen Bummel durch die<br />

Stadt aus. Etwas später kam<br />

e<strong>in</strong> Penner und sagte zu ihr:<br />

„Hallo, Schatz, wie wär's mit<br />

e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Spaziergang zu<br />

zweit?" – „Wie können Sie es<br />

wagen?" empörte sich die Frau,<br />

„Ich b<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>es von<br />

Ihren Flittchen!" - "Also," sagte<br />

der Penner, „was machst<br />

Du dann <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Bett?"<br />

❁ ❁ ❁ ❁<br />

Im Dorf ist Hochwasser.<br />

Fritzchen stört an allen Ecken<br />

und Enden. Telegrafiert die<br />

Mutter der Tante <strong>in</strong> der Stadt:<br />

„Wir haben Hochwasser, kann<br />

Fritzchen e<strong>in</strong> paar Tage zu dir<br />

kommen?“ – „Klar.“, antwortet<br />

die Tante. Nach e<strong>in</strong> paar<br />

Tagen steht Fritzchen wieder<br />

zu Hause vor der Tür: „Hier<br />

habt ihr euer Fritzchen wieder,<br />

schickt mir lieber das<br />

Hochwasser.“<br />

❁ ❁ ❁ ❁<br />

„Herr Doktor, ist das e<strong>in</strong>e<br />

seltene Krankheit die ich<br />

habe?" "Blöds<strong>in</strong>n, die<br />

Friedhöfe s<strong>in</strong>d voll davon!"<br />

Fragt der Kellner beim erstellen der<br />

Rechnung: „Was hatten sie?" – „Dass<br />

weiß wohl nur der Koch, aber bestellt<br />

hatte ich Hühnchen.“<br />

✫<br />

„Leider kann ich die<br />

Ursache Ihrer<br />

Krankheit nicht<br />

f<strong>in</strong>den“, sagt der<br />

Internist zur Patient<strong>in</strong>,<br />

„aber vielleicht liegt<br />

es am Alkohol.“ „Gut“,<br />

sagt sie, „dann<br />

komme ich wieder -<br />

wenn Sie nüchtern<br />

s<strong>in</strong>d.“<br />

Kommt e<strong>in</strong> Sozialpädagoge<br />

zum Standesamt, um die<br />

Geburt se<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

anzumelden. Fragt der<br />

Standesbeamte: „Ist es e<strong>in</strong><br />

Junge oder e<strong>in</strong> Mädchen?“<br />

Antwortet der Sozialpädagoge:<br />

„Lassen Sie das noch offen:<br />

Das soll es später e<strong>in</strong>mal selbst<br />

entscheiden!“<br />

♦ ♦ ♦♦♦♦♦<br />

♦♦<br />

Kommt e<strong>in</strong>e Oma zum Arzt und<br />

sagt. Ich glaub ich hab mir den Fuß<br />

gebrochen. Sagt der Arzt nach der<br />

Untersuchung: Sie dürfen 4 Wochen<br />

ke<strong>in</strong>e Treppen mehr steigen. Nach<br />

e<strong>in</strong>er Woche kommt die Oma wieder<br />

und fragt wie lange es denn noch<br />

dauert. Der Arzt sagt noch drei<br />

Wochen. Nach zwei Wochen kommt<br />

sie wieder und sagt: Es ist mir egal<br />

wie lange das noch dauert, aber ich<br />

habe die Schnauze voll immer die<br />

Regenr<strong>in</strong>ne raufzuklettern.<br />

Die Polizei fährt ihre Runde auf der Autobahn, auf<br />

e<strong>in</strong>mal sieht sie auf dem Sicherheitsstreifen e<strong>in</strong><br />

Auto stehen, dessen Fahrer kräftig <strong>in</strong> das<br />

Auspuffrohr bläst. Beide Polizisten steigen aus.<br />

Fragt der e<strong>in</strong>e den Mann: „Was bitte tun Sie da?“<br />

Der Mann: „Ich habe e<strong>in</strong>e Delle <strong>in</strong> der Beifahrertür<br />

und versuche sie nun durch Druckluft raus zu<br />

bekommen!“ Der Polizist zu se<strong>in</strong>em Kollegen: „E<strong>in</strong><br />

Irrer - lass uns fahren.“ E<strong>in</strong>e ganze Weile später<br />

fängt der anderer Polizist an zu lachen und me<strong>in</strong>t:<br />

„Wirklich e<strong>in</strong> Irrer, dieser Idiot bläst und bläst -<br />

dabei hat er vergessen, das Seitenfenster zu<br />

schließen.“<br />

23


Higdelberg<br />

Am Sonntag kam es dazu, dass die Sonne schien.<br />

Die Massen beströmten die Neckarwiesen.<br />

Gelassen nahm es der Fluss, er sah gar nicht h<strong>in</strong>.<br />

Den Menschen war das nicht bewusst und ließen ihn fließen.<br />

Viel Volk flaniert <strong>in</strong> den Farben der Wahl<br />

Flussaufwärts betuckert den Neckar e<strong>in</strong> Schiff<br />

Rechts über der E<strong>in</strong>fahrt <strong>in</strong>s Neckartal<br />

Bekommt dann das Bild se<strong>in</strong>en letzten Schliff:<br />

Zur Zierde des Ganzen s<strong>in</strong>d dort oben<br />

Sandste<strong>in</strong>e zurecht und zusammen geschoben<br />

Zwar lädiert, doch perforiert <strong>in</strong> zierlicher Manier<br />

Die ganze Welt schickt schließlich Leute hierher<br />

Unterhalb dieser Würdigkeit steht<br />

Die Altstadt voll von Universität<br />

Durchzogen von Straßen und w<strong>in</strong>kligen Gassen<br />

Um die, die hier s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>durch zu lassen<br />

Die Plätze, Straßen und viele Gebäude<br />

S<strong>in</strong>d Anlaufpunkte verschiedener Leute<br />

Und wo Moden, Wissen und Kirchlichkeit s<strong>in</strong>d<br />

Dort s<strong>in</strong>d auch Orte, wo man was tr<strong>in</strong>kt<br />

Dort geht der Sonntag, an dem die Sonne schien, dah<strong>in</strong><br />

Unter Lichtern verschw<strong>in</strong>den die Menschen mit ihren Wegen<br />

Unter Dichtern ist es angesagt, die Wirklichkeit zu fliehen<br />

Für Montagmorgen melden die Nachrichten Regen<br />

Re<strong>in</strong>hard Strauß

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