Geschäftsbericht 2010
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5<br />
Vorwort<br />
6<br />
Beschäftigung<br />
24<br />
Soziale Sicherung<br />
52<br />
Arbeitsrecht<br />
74<br />
Tarifpolitik<br />
92<br />
Bildung<br />
116<br />
Europa und<br />
Internationales<br />
134<br />
Volkswirtschaft<br />
148<br />
Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
152<br />
Die BDA
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
die deutsche Wirtschaft hat beeindruckend robust<br />
auf den dramatischsten Wirtschaftseinbruch seit<br />
1945 reagiert und im Jahr <strong>2010</strong> in diesem Ausmaß<br />
für alle überraschend zugelegt. Bei aller berechtigten<br />
Freude darüber dürfen wir jedoch nicht<br />
übersehen: Wir sind keineswegs wieder bei der<br />
Wirtschaftsleistung des Jahres 2008 angelangt.<br />
Die bisherige positive konjunkturelle Entwicklung<br />
ist labil und äußeren Unwägbarkeiten ausgesetzt.<br />
Ob wir einen nachhaltigen Aufschwung<br />
erleben, kann derzeit niemand vorhersehen. Fest<br />
steht jedoch, dass die deutsche Wirtschaft alles<br />
darangesetzt hat und weiterhin alles unternimmt,<br />
um gestärkt aus der Krise herauszukommen.<br />
Den entscheidenden Beitrag zur Krisenbewältigung<br />
haben die Unternehmen, die Arbeitnehmer,<br />
die Tarif- und die Betriebspartner geleistet.<br />
Sie haben langfristig und in der unmittelbaren<br />
Reaktion auf die Krise richtig gehandelt. Die<br />
Tarifpartner haben die Tarifverträge in den vergangenen<br />
Jahren kontinuierlich modernisiert und<br />
flexibilisiert, die betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
erweitert und mit ihrer produktivitätsorientierten<br />
Lohnpolitik einen Beitrag zur Verbesserung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen<br />
Wirtschaft geleistet. Die Unternehmen haben<br />
sich ihrerseits mit Innovationen und großen Anstrengungen<br />
für den Wettbewerb gewappnet.<br />
Die Betriebspartner haben zur Sicherung der<br />
Beschäftigung betriebliche Bündnisse auf tarifvertraglicher<br />
Grundlage geschlossen. Die Arbeitnehmer<br />
haben in der Krise Einschränkungen<br />
hingenommen und sie sind es jetzt, die die wirtschaftliche<br />
Aufwärtsentwicklung ermöglichen. So<br />
haben wir Arbeitsplätze und damit die heute und<br />
in Zukunft für uns wichtigen Fachkräfte für unsere<br />
Betriebe gesichert. So haben wir gemeinsam<br />
den Standort Deutschland fit gemacht, um möglichst<br />
schnell aufzuholen, was in der Krisenzeit<br />
verloren gegangen ist. Daran müssen wir uns<br />
auch künftig klar orientieren.<br />
Möglich war dieses Zusammenwirken von<br />
Unternehmen, Betriebsräten und Tarifpartnern nur<br />
im Rahmen einer funktionierenden Tarifautonomie.<br />
Diese wird heute von Entwicklungen bedroht,<br />
derer die Tarifparteien nicht allein, sondern nur<br />
mit Hilfe des Gesetzgebers Herr werden können:<br />
In diesem Jahr hat das Bundesarbeitsgericht den<br />
Grundsatz der Tarifeinheit aufgehoben. Ohne Tarifeinheit<br />
droht eine Zersplitterung des Tarifvertragssystems.<br />
Was jahrzehntelang die Grundlage<br />
erfolgreich gelebter Tarifautonomie war, muss nicht<br />
zuletzt als Konsequenz und Erfahrung aus der Krise<br />
möglichst rasch wiederhergestellt werden. BDA<br />
und DGB haben deshalb gemeinsam einen Vorschlag<br />
vorgelegt, um die Tarifeinheit im geltenden<br />
Tarifvertragsgesetz gesetzlich zu regeln.<br />
Die Sicherung der Tarifeinheit war ein –<br />
enorm wichtiger – Teil der Arbeit der BDA. Der vorliegende<br />
<strong>Geschäftsbericht</strong> stellt die Schwerpunkte<br />
der politischen Inhalte und Konzepte in allen Bereichen<br />
der Sozialpolitik dar, mit denen sich die<br />
BDA im Jahr <strong>2010</strong> befasst hat.<br />
Dr. Reinhard Göhner<br />
Hauptgeschäftsführer der BDA<br />
Dezember <strong>2010</strong> | Berlin<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Vorwort 5
Erfolgskurs halten und verstärken<br />
Das auf den gemeinsamen Anstrengungen von<br />
Wirtschaft, Tarifpartnern und Politik beruhende<br />
„deutsche Arbeitsmarktwunder“ hat das Thema<br />
„Fachkräftesicherung“ mit ungeahnter Geschwindigkeit<br />
wieder auf die Agenda gebracht. Trotz der<br />
beschleunigten wirtschaftlichen Erholung haben<br />
zwar wichtige Branchen der deutschen Wirtschaft,<br />
wie die Metall- und Elektroindustrie, noch längst<br />
nicht das Niveau von 2008 erreicht; es wird aber<br />
bereits jetzt verstärkt spürbar, dass Deutschland<br />
unter wachsenden strukturellen Fachkräfteengpässen<br />
leidet. Während einerseits schon angesichts<br />
der demografischen Entwicklung eine<br />
schlüssige Gesamtstrategie zur Fachkräftesicherung<br />
immer drängender wird, gibt es andererseits<br />
noch viele Betriebe, die zur Überbrückung nachlaufender<br />
Einbrüche bei ihren Aufträgen auf das<br />
Instrument der Kurzarbeit angewiesen sind.<br />
Insgesamt erlebt der deutsche Arbeitsmarkt<br />
eine noch vor einem Jahr von niemandem für<br />
möglich gehaltene Erfolgs story: Für das nächste<br />
Jahr rechnet nun auch die Bundesregierung im<br />
Jahresdurchschnitt nur noch mit einer Arbeitslosenzahl<br />
von 2,9 Mio., das wäre der niedrigste<br />
Stand der Arbeitslosigkeit seit dem Wiedervereinigungsboom<br />
im Jahr 1992. Rund 40 % dieser<br />
Arbeitslosen haben jedoch keine Berufsausbildung,<br />
Hunderttausende haben sogar jahrelang<br />
nicht mehr gearbeitet. Hier besteht im Bereich<br />
der Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II noch ein<br />
gewaltiger Aktivierungsbedarf, um die in Deutschland<br />
im internationalen Vergleich inakzeptabel<br />
hohe Langzeitarbeitslosigkeit endlich entschieden<br />
abzubauen.<br />
Zugleich werden aber selbst bei einer optimalen<br />
Entfaltung der inländischen Arbeitspotenziale<br />
vor allem durch eine weitere Erhöhung der<br />
Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren, Menschen<br />
mit Migrationshintergrund und nicht zuletzt<br />
auch behinderten Menschen die wachsenden<br />
Fachkräfteengpässe nicht auszugleichen sein.<br />
Um hier drohende gewaltige Wachstumshemmnisse,<br />
die ganz erhebliche nachteilige Effekte<br />
auf Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland<br />
haben würden, so weit wie möglich zu vermeiden,<br />
ist auch eine gezielte Zuwanderung qualifizierter<br />
Fachkräfte unverzichtbar. Dadurch werden<br />
keine Arbeitskräfte im Inland verdrängt, sondern<br />
im Gegenteil bestehende Arbeitsplätze gesichert<br />
und neue zusätzlich geschaffen. Dazu muss allerdings<br />
im deutschen Zuwanderungsrecht, welches<br />
im Grundsatz immer noch von einer Abschottungsmentalität<br />
geprägt ist, eine neue Willkommenskultur<br />
für qualifizierte Fachkräfte etabliert<br />
werden.<br />
Vieles deutet darauf hin, dass der Arbeitsmarkt<br />
in Deutschland nach der tiefsten Krise<br />
seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland<br />
schnell wieder an die positive Entwicklung seit<br />
dem Jahr 2005 anknüpfen kann. Nicht zuletzt den<br />
Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre ist<br />
es zu verdanken, dass der jahrzehntelange kontinuierliche<br />
Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit nicht<br />
nur gestoppt, sondern umgekehrt werden konnte.<br />
Anstelle irreführender Diskussionen darüber, ob<br />
uns „die Arbeit ausgeht“, kann heute wieder das<br />
richtige Ziel der Vollbeschäftigung in den Blick<br />
genommen werden. Viele hunderttausend Menschen,<br />
die zuvor langzeitarbeitslos waren, konnten<br />
endlich wieder in Arbeit gebracht werden.<br />
Statt diese Erfolge zu würdigen, klagen die<br />
Gewerkschaften darüber, dass die Zahl der sog.<br />
atypischen, als prekär diffamierten Arbeitsverhältnisse<br />
gewachsen sei. Dabei haben gerade<br />
Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit-<br />
und nicht zuletzt auch Minijobs dazu beigetragen,<br />
dass viele Menschen, die vorher außen<br />
vor standen, jetzt wieder eine Arbeit haben. Die<br />
flexiblen Beschäftigungsmöglichkeiten erleichtern<br />
es Unternehmen vor allem auch nach der tiefen<br />
Krise, schneller neue Arbeitnehmer einzustellen.<br />
Wissenschaftliche Studien unterstreichen,<br />
dass sehr viele befristete Arbeitsverhältnisse in<br />
unbefristete übergehen und die durchschnittliche<br />
Beschäftigungsdauer in Deutschland insgesamt<br />
trotz der flexiblen Beschäftigungsverhältnisse<br />
sogar noch zugenommen hat. Es wäre ein verheerender<br />
Fehler, wollte man die vermeintlich<br />
prekäre Beschäftigung durch allgemeine Mindestlöhne,<br />
eine Strangulierung der Zeitarbeit oder<br />
generelle Einschränkungen der flexiblen Beschäftigung<br />
bekämpfen. Damit würde sich Deutschland<br />
wieder zurück in die arbeitsmarktpolitische Sackgasse<br />
manövrieren. Dies würde vielen Menschen<br />
ihre Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt<br />
nehmen und sie auf Kosten der Steuerzahler in<br />
8<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
ezahlter Arbeitslosigkeit einsperren. Dabei zeigen<br />
alle wissenschaftlichen Studien ganz klar:<br />
Arbeit ist der beste Schutz gegen Armut.<br />
Deshalb muss der arbeitsmarktpolitische<br />
Erfolgsweg konsequent weitergegangen und<br />
durch aktivierende Unterstützung von arbeitslosen<br />
Menschen ihr Einstieg in Beschäftigung und<br />
damit auch die Voraussetzung für Aufstieg für<br />
sie und ihre Familien geschaffen werden. Dazu<br />
war es richtig und unverzichtbar, dass die Bundesregierung<br />
bei der nach der Entscheidung des<br />
Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordenen<br />
Neugestaltung der Regelsätze zum Arbeitslosengeld<br />
II nicht von der strengen Bedürftigkeitsorientierung<br />
abgewichen ist. Die Bundesarbeitsministerin<br />
hat zu Recht gesagt, dass die Regelsätze<br />
zwar knapp bemessen sind, aber Arbeitslosengeld<br />
II kein Dauerzustand, sondern ein Übergang<br />
sein muss. Alles andere wäre auch den Menschen<br />
nicht zu erklären, die ihren Lebensunterhalt selbst<br />
verdienen, jeden Euro umdrehen müssen und mit<br />
ihren Steuern auch zur Finanzierung des Arbeitslosengelds<br />
II beitragen.<br />
Erwerbstätigkeit in Deutschland steigt, Arbeitslosigkeit geht zurück<br />
Anzahl der Erwerbstätigen und Arbeitslosen, saisonbereinigte Werte<br />
in Mio.<br />
in Mio.<br />
41,0<br />
6<br />
40,5<br />
5<br />
40,0<br />
4<br />
39,5<br />
3<br />
39,0<br />
2<br />
38,5<br />
1<br />
38,0<br />
0<br />
Feb<br />
04<br />
Jun<br />
04<br />
Okt<br />
04<br />
Feb<br />
05<br />
Jun<br />
05<br />
Okt<br />
05<br />
Feb<br />
06<br />
Jun<br />
06<br />
Okt<br />
06<br />
Feb<br />
07<br />
Jun<br />
07<br />
Okt<br />
07<br />
Feb<br />
08<br />
Jun<br />
08<br />
Okt<br />
08<br />
Feb<br />
09<br />
Jun<br />
09<br />
Okt<br />
09<br />
Feb<br />
10<br />
Jun<br />
10<br />
Okt<br />
10<br />
Erwerbstätigkeit (linke Skala)<br />
Arbeitslosigkeit (rechte Skala)<br />
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Bundesbank, <strong>2010</strong><br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 9
Arbeitslosigkeit als größtes Armutsrisiko<br />
Armutsgefährdungsquoten nach Personengruppen<br />
in %<br />
70<br />
60<br />
61<br />
50<br />
40<br />
33<br />
30<br />
24<br />
20<br />
14<br />
10<br />
10<br />
9<br />
10<br />
8<br />
9<br />
7<br />
8<br />
4<br />
3 3<br />
0<br />
gesamt<br />
arbeitslos<br />
geringfügig<br />
beschäftigt<br />
abhängig selbstständig<br />
unbefristet Vollzeit<br />
Teilzeit<br />
abhängig<br />
befristet<br />
Vollzeit<br />
abhängig<br />
unbefristet<br />
Vollzeit<br />
1993<br />
2008<br />
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, <strong>2010</strong><br />
10<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
Auch an der angesichts der demografischen<br />
Entwicklung und zur nachhaltigen Finanzierung<br />
der Rentenversicherung völlig unverzichtbaren<br />
„Rente mit 67“ darf nicht mehr gerüttelt werden.<br />
Der von der BDA zur Jahrtausendwende angestoßene<br />
Paradigmenwechsel zum Abbau von<br />
Frühverrentungs anreizen und für mehr Beschäftigung<br />
Älterer hat am Arbeitsmarkt bereits eine tiefe<br />
Erfolgsspur hinterlassen: Die Erwerbstätigenquote<br />
der 60- bis 64-Jährigen hat sich auf ca. 40 % in<br />
dieser Zeit bereits verdoppelt. In der öffentlichen<br />
Diskussion wird die Umsetzbarkeit der „Rente<br />
mit 67“ immer wieder in Frage gestellt, weil die<br />
Arbeitslosigkeit der 60- bis 64-Jährigen gerade in<br />
den letzten zwei Jahren sogar stark gestiegen sei.<br />
Tatsache ist aber: Mit zuletzt 7,6 % liegt sie nicht<br />
wesentlich über der allgemeinen Arbeitslosenquote<br />
und der vermeintliche Anstieg ist in Wahrheit<br />
nichts anderes als das Ergebnis der zumindest<br />
teilweisen Abschaffung der sog. 58er-Regelung:<br />
Diese Arbeitslosen mussten nicht mehr dem<br />
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und wurden<br />
deshalb in der Arbeitslosenstatistik einfach nicht<br />
mehr mitgezählt. Außerdem hat sich die Zahl der<br />
sozialversicherungspflichtig beschäftigten 60- bis<br />
64-Jährigen in den Jahren 2000 bis 2009 um<br />
60 % erhöht, während die Gesamtzahl aller sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten in diesem<br />
Zeitraum in etwa konstant geblieben ist. Statt den<br />
von interessierter Seite gemalten Zerrbildern zu<br />
unterliegen, muss die Arbeitsmarktpolitik deshalb<br />
auch in den nächsten Jahren den Erfolgskurs halten<br />
und verstärken.<br />
Arbeitsmarkt: auf dem Weg aus<br />
der Krise<br />
Der Arbeitsmarkt stand auch im Jahr <strong>2010</strong> noch<br />
im Zeichen der schwersten Wirtschaftskrise seit<br />
Bestehen der Bundesrepublik. Allerdings waren<br />
die Krisenfolgen weniger dramatisch, als es der<br />
Einbruch der Wirtschaftsleistung um fast 5 %<br />
im Vorjahr hatte befürchten lassen. Die bereits<br />
Ende des Jahres 2009 einsetzende leichte wirtschaftliche<br />
Erholung setzte sich Anfang <strong>2010</strong><br />
fort und gewann im weiteren Jahresverlauf an<br />
Fahrt. Insgesamt war der wirtschaftliche Aufholprozess<br />
– die Bundesregierung erwartet für das<br />
Gesamtjahr <strong>2010</strong> ein Wachstum von 3,4 % – so<br />
stark, dass sich die Befürchtungen eines „jobless<br />
growth“ beim Weg aus der Krise nicht bestätigten:<br />
Wurden Ende des letzten Jahres noch teilweise<br />
deutlich mehr als 4 Mio. Arbeitslose im<br />
Jahresschnitt <strong>2010</strong> befürchtet, dürfte sich nach<br />
den jüngsten Schätzungen jahresdurchschnittlich<br />
nur ein Wert von ca. 3,2 Mio. einstellen. Im<br />
Vergleich zum Krisenjahr 2009, in welchem die<br />
Arbeitslosenzahl bereits überraschend wenig<br />
gestiegen war, bedeutet dies einen Rückgang<br />
von ca. 200.000. Zudem fiel die Zahl der Arbeitslosen<br />
im Oktober <strong>2010</strong> erstmals seit zwei Jahren<br />
wieder unter die psychologisch wichtige Grenze<br />
von 3 Mio.<br />
Auch die Entwicklung der Zahl der sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten dokumentiert<br />
die wieder deutlich gestiegene Arbeitsnachfrage:<br />
Sie lag nach neuesten Zahlen (September <strong>2010</strong>)<br />
wieder bei knapp über 28 Mio. und übertraf damit<br />
das Niveau vor Krisenausbruch im Herbst 2008.<br />
Eine branchenbezogene Betrachtung fördert<br />
jedoch Unterschiede zutage: Während in Bereichen<br />
wie der stets im Aufschwung vorauslaufenden<br />
Zeitarbeit, dem Gesundheits- und Sozialwesen<br />
oder auch dem Gastgewerbe deutliche<br />
Stellenzuwächse zu verzeichnen waren, gingen<br />
im verarbeitenden Gewerbe krisenfolgenbedingt<br />
viele Stellen verloren. In Branchen wie der Metallund<br />
Elektroindustrie ist noch längst nicht wieder<br />
das Niveau des Jahres 2008 erreicht.<br />
Erwartungsgemäß ging die Inanspruchnahme<br />
von Kurzarbeit, welche in der Krise zahlreiche<br />
Arbeitsplätze gesichert hat, im Zuge des wirtschaftlichen<br />
Aufschwungs zurück. Nach den jüngsten<br />
Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit (BA)<br />
erhielten im September <strong>2010</strong> noch 220.000 Arbeitnehmer<br />
konjunkturelles Kurzarbeitergeld. Damit<br />
erreichte die Inanspruchnahme nur noch ein gutes<br />
Sechstel des Höhepunkts im Mai 2009, als es<br />
1,44 Mio. Bezieher gab. Für das Jahr <strong>2010</strong> rechnet<br />
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />
(IAB) insgesamt mit einem Jahresdurchschnitt<br />
von 600.000 Kurzarbeitern und damit noch<br />
gut der Hälfte des Vorjahreswerts.<br />
Ein besonderes Augenmerk verdient die<br />
Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer,<br />
welche sich in den vergangenen Jahren deutlich<br />
verbessert hat. Den dazu notwendigen Paradigmenwechsel<br />
– weg von der Frühverrentung, hin<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 11
zu mehr Beschäftigung Älterer – hatte die BDA<br />
maßgeblich mit angestoßen. Der Erfolg war<br />
durchschlagend: Von 2000 bis 2009 (neueste<br />
Zahlen) ist der Anteil der 55- bis 64-Jährigen in<br />
Beschäftigung von 37,6 % auf 56,2 % gestiegen<br />
(Eurostat <strong>2010</strong>). Auch die Erwerbsbeteiligung<br />
von Menschen im oberen Altersspektrum steigt<br />
deutlich an: 2009 waren fast 40 % der Personen<br />
zwischen 60 und 64 Jahren erwerbstätig – fast<br />
doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Diese Entwicklung<br />
zeigt die Erfolge der großen Anstrengungen<br />
der Unternehmen, durch eine demografiefeste<br />
und an Lebensphasen orientierte<br />
Personalpolitik ältere Arbeitnehmer zu gewinnen<br />
und zu halten. Weil sich die Zahl der Personen<br />
im erwerbsfähigen Alter nach Berechnungen des<br />
Statistischen Bundesamts in den kommenden<br />
20 Jahren um 7,5 Mio. Personen verringert, wird<br />
Beschäftigungsquote 55 bis 64Jähriger in Deutschland<br />
über dem EUDurchschnitt<br />
Anteil der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren an allen Personen<br />
dieser Altersgruppe (2009)<br />
in %<br />
80<br />
75<br />
70,0<br />
60<br />
56,2<br />
57,5 57,5<br />
45<br />
38,9<br />
46,0<br />
30<br />
15<br />
0<br />
Frankreich EU-27 Deutschland Dänemark Großbritannien Schweden<br />
Quelle: Eurostat, <strong>2010</strong><br />
12<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
das Thema „Beschäftigung Älterer“ in den kommenden<br />
Jahren noch stärker in den Mittelpunkt<br />
rücken.<br />
Nicht zuletzt aufgrund der nach wie vor ungelösten<br />
Verschuldungsproblematik vieler EU-Staaten<br />
und der anhaltenden Gefahr unvermittelt auftretender<br />
Währungsturbulenzen bestehen weiter<br />
Risiken gerade für ein exportorientiertes Land wie<br />
Deutschland. Bleiben derartige Schwierigkeiten<br />
jedoch aus, erwartet das IAB einen Rückgang der<br />
jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenzahl im Jahr<br />
2011 auf knapp unter 3 Mio. In diese Rechnung<br />
ist bereits mit einbezogen, dass das Arbeitskräfteangebot<br />
im Jahr 2011 allein durch den demografischen<br />
Effekt um knapp 100.000 Personen<br />
schrumpfen wird.<br />
Beschäftigungschancengesetz: richtige arbeitsmarktpolitische Signale<br />
des Gesetzgebers zum Jahreswechsel <strong>2010</strong>/2011<br />
Neben der funktionierenden Verantwortungspartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die<br />
vor allem in betrieblichen Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit ihren Ausdruck fand, leistete<br />
auch die Kurzarbeit einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigungsstabilisierung in dem noch von der Krise<br />
geprägten Jahr <strong>2010</strong>. Durch die von der BDA angestoßene und mit dem Beschäftigungschancengesetz<br />
umgesetzte Verlängerung der zunächst bis Ende dieses Jahres geltenden Regelungen zur erleichterten<br />
Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld bis zum 31. März 2012 kann der erfolgreiche Weg der Beschäftigungssicherung<br />
über Kurzarbeit auch 2011 beschritten werden. Diese Verlängerung ist angemessen<br />
und notwendig, um Unternehmen, bei denen die Krise erst später ankommt, in ähnlich wirksamer Weise<br />
zu helfen wie denen, die sofort vom Durchschlagen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft erfasst worden<br />
waren.<br />
Die Neuregelung des Beschäftigtentransfers wurde in ihrer Zielrichtung, den Einsatz von Transferkurzarbeitergeld<br />
und Transfermaßnahmen im Sinne der Kriterien von Wirkung und Wirtschaftlichkeit zu verbessern,<br />
unterstützt, in ihrer Ausgestaltung aber von der BDA kritisch begleitet. Im parlamentarischen<br />
Verfahren ist es gelungen, Profilingmaßnahmen durch qualitativ hochwertig arbeitende Träger von Transfermaßnahmen<br />
offen zu halten. In der Umsetzung des Beschäftigungschancengesetzes durch die BA<br />
wird die BDA weiterhin darauf achten, dass eine unnötige Bürokratisierung des Einsatzes von Transferkurzarbeitergeld<br />
und Transfermaßnahmen vermieden wird.<br />
Mit der Verlängerung einzelner zunächst bis Ende <strong>2010</strong> befristeter Arbeitsmarktinstrumente unter Bekräftigung<br />
der von der Koalition vereinbarten Zielsetzung, 2011 insgesamt die Arbeitsmarktinstrumente auf<br />
den Prüfstand zu stellen, gibt das Beschäftigungschancengesetz schließlich auch den richtigen Kurs in<br />
der Arbeitsmarktpolitik für das kommende Jahr vor. Entsprechend der langjährigen Forderung der BDA<br />
muss Ziel einer umfassenden Reform die grundlegende Vereinfachung der Arbeitsmarktinstrumente verbunden<br />
mit mehr Handlungsspielraum für die Arbeitsvermittler vor Ort sein, damit die von der BA erfolgreich<br />
praktizierte Steuerung der Arbeitsmarktförderung nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit fortgeführt<br />
und Fördermaßnahmen noch besser auf individuelle Bedarfe und die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts<br />
ausgerichtet werden können.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 13
Kurzarbeitergeld sicherte Beschäftigung in der Krise<br />
Personen<br />
1.600.000<br />
1.400.000<br />
1.200.000<br />
1.000.000<br />
800.000<br />
600.000<br />
400.000<br />
200.000<br />
0<br />
Apr MaiJun<br />
Jul AugSepOktNovDezJanFebMrz<br />
Apr MaiJun<br />
Jul AugSepOktNovDezJanFebMrz<br />
08 08 08 08 08 08 08 08 08 09 09 09 09 09 09 09 09 09 09 09 09 10 10 10<br />
Apr<br />
10<br />
MaiJun<br />
Jul AugSep<br />
10 10* 10* 10* 10*<br />
Kurzarbeiter gesamt<br />
Personen in Anzeigen<br />
* Angaben beruhen auf neuem Statistikverfahren der BA auf Grundlage der Abrechnungslisten der Betriebe (Teil des Kurzarbeitergeldantrags<br />
gem. § 325 Abs. 3 SGB III). Bisherige Kurzarbeiterstatistik basierte auf den sog. Betriebsmeldungen gem. § 320 Abs. 4 SGB III.<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Oktober <strong>2010</strong><br />
14<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
Fachkräftesicherung: schlüssige<br />
Gesamtstrategie dringend<br />
notwendig<br />
Das auf den gemeinsamen Anstrengungen von<br />
Wirtschaft, Sozialpartnern und Politik beruhende<br />
„deutsche Arbeitsmarktwunder“ hat das Thema<br />
„Fachkräfte“ in Höchstgeschwindigkeit wieder<br />
auf die politische Agenda gespült. Selbst im Krisenjahr<br />
2009 fehlten allein im sog. MINT-Bereich<br />
(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften,<br />
Technik) mehr als 60.000 Fachkräfte, wodurch<br />
nach Berechnungen des Instituts der deutschen<br />
Wirtschaft Köln (IW) ein volkswirtschaftlicher<br />
Wertschöpfungsverlust von 14,4 Mrd. € verursacht<br />
wurde. Laut einer Umfrage des DIHK vom<br />
August <strong>2010</strong> haben aktuell 70 % der Unternehmen<br />
generell (20 %) oder teilweise (50 %) Probleme<br />
bei der Besetzung offener Stellen. Rückläufige<br />
Bewerberzahlen in der dualen Ausbildung,<br />
zu geringe Absolventenzahlen an den deutschen<br />
Hochschulen und alternde Belegschaften in den<br />
Unternehmen belegen: Fachkräfteengpässe sind<br />
in Deutschland kein konjunkturelles Phänomen,<br />
sondern größtenteils ein strukturelles Problem.<br />
Diese Lage wird sich mit dem voranschreitenden<br />
demografischen Wandel weiter verschärfen.<br />
Vor dem Hintergrund einer bis zum Jahr 2030<br />
um ca. 7,5 Mio. zurückgehenden Bevölkerung<br />
im erwerbsfähigen Alter prognostizieren wissenschaftliche<br />
Studien, dass die Fachkräftelücke<br />
ohne gezielte Gegenmaßnahmen allein bis 2030<br />
auf 5,2 Mio. Arbeitskräfte anwachsen wird.<br />
Drohender Arbeitskräftemangel<br />
Bis 2030 geht das Arbeitskräftepotenzial um über 7 Mio. Personen zurück<br />
in Mio.<br />
52<br />
50<br />
rd. 1,6 Mio. weniger<br />
über 7 Mio. weniger<br />
48<br />
46<br />
44<br />
42<br />
40<br />
2030<br />
2029<br />
2028<br />
2027<br />
2026<br />
2025<br />
2024<br />
2023<br />
2022<br />
2021<br />
2020<br />
2019<br />
2018<br />
2017<br />
2016<br />
2015<br />
2014<br />
2013<br />
2012<br />
2011<br />
<strong>2010</strong><br />
2009<br />
2008<br />
2007<br />
2006<br />
2005<br />
Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, <strong>2010</strong><br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 15
Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass<br />
die Bundeskanzlerin auf dem „Zukunftsgipfel“<br />
in Meseberg im Juni dieses Jahres – vor allem<br />
auch auf Vorschlag des Arbeitgeberpräsidenten<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt – zugesagt hat, eine<br />
gemeinsame Arbeitsgruppe der Bundesregierung<br />
unter Beteiligung der Sozialpartner zum Thema<br />
„Fachkräftesicherung“ einzurichten. Arbeitgeberpräsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt hat auf dem<br />
Zukunftsgipfel die Position der Arbeitgeber ausführlich<br />
dargelegt. Dazu gehört zum einen, inländische<br />
Arbeitskräftepotenziale besser zu entfalten<br />
und auszuschöpfen. Zugleich müssen schon<br />
heute fehlende Fachkräfte durch eine bessere,<br />
arbeitsmarktorientierte Zuwanderungssteuerung<br />
gezielt im Ausland angeworben werden können.<br />
Um die sich immer mehr öffnenden Fachkräftelücken<br />
zu schließen, benötigt Deutschland dringend<br />
eine schlüssige Gesamtstrategie aus einem<br />
Bündel an Maßnahmen.<br />
Als ein Handlungsfeld müssen die bestehenden<br />
Potenziale am Arbeitsmarkt deutlich besser<br />
als bislang genutzt werden. Dafür gilt es, die<br />
Aktivierung Arbeitsuchender für Qualifizierung<br />
bzw. Vermittlung weiter zu verbessern. Weiterhin<br />
ist die aktive Erwerbsphase insgesamt auszuweiten.<br />
Dafür müssen junge Menschen früher<br />
ins Erwerbsleben eintreten können. Zugleich ist<br />
es ein wichtiges Ziel, mehr ältere Arbeitnehmer<br />
in Beschäftigung zu bringen und dort länger zu<br />
halten. Auch die Potenziale insbesondere von<br />
Arbeitskräfte der Zukunft: viel weniger Junge, mehr Ältere<br />
in 1.000 Personen<br />
1.600<br />
1.400<br />
Rückgang<br />
Mittlere: –5,5 Mio.<br />
Anstieg<br />
Ältere: +1,6 Mio.<br />
1.200<br />
Rückgang<br />
Junge: –2,4 Mio.<br />
1.000<br />
800<br />
600<br />
Alter 20 bis 64 zusammen:<br />
über 6 Mio. weniger<br />
20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Alter<br />
Bevölkerung <strong>2010</strong><br />
Bevölkerung 2030<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, <strong>2010</strong><br />
16<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
Frauen, Migranten und Menschen mit Behinderungen<br />
müssen besser als bisher genutzt werden.<br />
Um diese Handlungsfelder zu konkretisieren und<br />
die Beratungen in der Arbeitsgruppe der Bundesregierung<br />
vorzubereiten, hat die BDA eine eigene<br />
Arbeitsgruppe eingesetzt, die ein umfangreiches<br />
„Fachkräftepapier“ erarbeitet hat, das u. a. ein<br />
schnell umsetzbares Sofortprogramm zur Sicherung<br />
des Fachkräftebedarfs enthält. Erste Erfolge<br />
sind bereits sichtbar: So hat das Bundesministerium<br />
für Arbeit und Soziales (BMAS) gerade auch<br />
auf Drängen der BDA einen Gesetzentwurf vorgelegt,<br />
der wesentliche Erleichterungen bei der<br />
Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse<br />
vorsieht. Die BDA wird zudem weiterhin darauf<br />
dringen, die Arbeitsförderungsinstrumente stärker<br />
auf eine schnelle, passgenaue Vermittlung von<br />
Arbeitslosen auszurichten und Beschäftigungsbarrieren<br />
für Ältere, Frauen und behinderte Menschen<br />
weiter abzubauen. Doch selbst eine optimale<br />
Ausschöpfung der Handlungsoptionen zur<br />
besseren Nutzung und Erschließung bestehender<br />
inländischer Fachkräftepotenziale wird nicht ausreichen.<br />
Auch um kurzfristig schon längst bestehende<br />
Fachkräftelücken zu schließen, gilt es, den<br />
deutschen Arbeitsmarkt für qualifizierte Zuwanderung<br />
aus dem Ausland zu öffnen und den Standort<br />
Deutschland für bei uns benötigte Fachkräfte aus<br />
aller Welt attraktiv zu machen.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Fachkräftesicherung“<br />
Ältere Arbeitnehmer sind wieder gefragt!<br />
Beschäftigungsquote der 55 bis 64Jährigen<br />
in %<br />
60<br />
56,2<br />
55<br />
51,5<br />
53,8<br />
50<br />
48,4<br />
45<br />
41,8<br />
45,4<br />
40<br />
37,6 37,9<br />
38,9<br />
39,9<br />
35<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, <strong>2010</strong><br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 17
Zuwanderungsrecht:<br />
„Willkommenskultur“ für hoch<br />
qualifizierte Fachkräfte schaffen<br />
Der international sich immer mehr verstärkende<br />
„Wettbewerb um die besten Köpfe“ und die<br />
sich zukünftig weiter verschärfenden strukturellen<br />
Fachkräfteengpässe erfordern zwingend<br />
auch die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte<br />
aus dem Ausland. Die Zahlen des Statistischen<br />
Bundesamts, wonach im Jahr 2008 56.000 mehr<br />
Menschen aus Deutschland auswanderten, als<br />
neu hinzugezogen sind, und ein negativer Wanderungssaldobestand<br />
auch im Jahr 2009 belegen<br />
aber sogar einen gegenläufigen Trend. Deutschland<br />
benötigt deshalb ein effektives, unbürokratisches<br />
und an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts<br />
ausgerichtetes Zuwanderungsrecht, das<br />
den Unternehmen möglichst rasch auch bessere<br />
Möglichkeiten verschafft, schon heute fehlende<br />
Experten gezielt im Ausland anzuwerben.<br />
Das bestehende Zuwanderungsrecht wird<br />
diesen Anforderungen – auch nach den Reformen<br />
der vergangenen Jahre – noch nicht gerecht:<br />
Unnötige bürokratische Hürden erschweren die<br />
Arbeitsaufnahme und schrecken Fachkräfte aus<br />
dem Ausland eher ab. Das heutige Zuwanderungsrecht<br />
ist grundsätzlich immer noch Ausdruck<br />
einer Abschottungspolitik und fordert selbst für<br />
Akademiker – bis auf wenige Ausnahmen – die<br />
Durchführung einer Vorrangprüfung. Dabei hat<br />
die BA aufwendig zu prüfen, ob für das vom Ausländer<br />
angestrebte Beschäftigungsverhältnis in<br />
Deutschland oder ggf. sogar in Europa bevorrechtigte<br />
Arbeitnehmer (Deutsche, Unionsbürger,<br />
Schweizer) zur Verfügung stehen. Im Rahmen<br />
der Vorrangprüfung wird nicht nur nach Arbeitnehmern<br />
gesucht, die aufgrund ihrer Qualifikation<br />
den Arbeitsplatz unmittelbar besetzen könnten,<br />
sondern auch nach solchen, die erst noch eine<br />
Anpassungsqualifizierung erhalten müssten. Dies<br />
kann mehrere misslungene Besetzungsversuche<br />
umfassen und Monate dauern. Das Verfahren der<br />
Vorrangprüfung ist nicht nur langwierig und bürokratisch,<br />
sondern setzt auch ein falsches Signal,<br />
indem es dem Zuwanderungsinteressenten klar<br />
zu verstehen gibt, dass er – sei er auch noch so<br />
gut ausgebildet – auf dem deutschen Arbeitsmarkt<br />
nur als Lückenbüßer erwünscht ist, wenn<br />
kein einheimischer oder europäischer Arbeitnehmer<br />
für den Arbeitsplatz zu finden ist.<br />
Die BDA dringt gegenüber der Politik mit<br />
Nachdruck auf eine moderne arbeitsmarktorientierte<br />
Zuwanderungssteuerung, die gerade nicht<br />
wie in den letzten Jahrzehnten eine ungesteuerte<br />
Zuwanderung zu Lasten der Sozialsysteme beinhaltet,<br />
sondern Fachkräften aus aller Welt das<br />
Signal gibt, in Deutschland gebraucht zu werden<br />
und willkommen zu sein. Zentraler Ansatzpunkt<br />
hierfür ist die Einführung eines Punktesystems zur<br />
Steuerung der Zuwanderung, das insbesondere<br />
an den Kriterien Qualifikation, Berufserfahrung,<br />
Sprachkenntnisse und Arbeitsmarktbedarfe ausgerichtet<br />
ist. Dies bietet nicht nur Gewähr, dass<br />
wir die Menschen finden, die wir dauerhaft auf<br />
unserem Arbeitsmarkt brauchen, sondern erfüllt<br />
zugleich die Voraussetzungen für eine gelingende<br />
Integration in die Gesellschaft. Neben der Steuerung<br />
über ein systematisch und gezielt wirkendes<br />
Punktesystem werden dort, wo – schon heute<br />
in steigendem Umfang – Arbeitsplätze für hoch<br />
qualifizierte Kräfte nicht besetzt werden können,<br />
praxisorientierte zügige Anwerbemöglichkeiten<br />
benötigt. Das Zuwanderungsrecht muss dann<br />
die Möglichkeit zu einer unbürokratischen und<br />
schnellen Besetzung geben. Dies hat Arbeitgeberpräsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt kürzlich auf<br />
dem vierten Integrationsgipfel gegenüber der<br />
Bundeskanzlerin und bei einem ersten Gespräch<br />
der Arbeitsgruppe „Fachkräfte der Zukunft“ mit<br />
der Bundesarbeitsministerin noch einmal ausdrücklich<br />
betont.<br />
Deshalb tritt die BDA für folgende kurzfristig notwendige<br />
Reformen im Zuwanderungsrecht ein:<br />
• Abschaffung der bürokratischen Einzelfall-<br />
Vorrangprüfung insbesondere für zuwanderungswillige<br />
Ingenieure und IT-Fachkräfte,<br />
indem vor allem auch die Vorrangprüfung –<br />
wie jetzt schon nach dem Gesetz möglich –<br />
pauschal für einzelne Berufsgruppen und<br />
Wirtschaftszweige vorweggenommen wird.<br />
• Absenkung der Einkommensgrenze für die<br />
Niederlassungserlaubnis Hochqualifizierter<br />
von 66.000 € auf 40.000 €; zum Vergleich:<br />
Ein Juniorprofessor in Berlin erhält ein<br />
Grundgehalt von 41.000 €.<br />
18<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
• Dauerhafte Aufenthaltsperspektive für ausländische<br />
Absolventen deutscher Hochschulen,<br />
die innerhalb eines Jahres einen<br />
Job gefunden haben (bisher zunächst nur<br />
drei Jahre Aufenthaltserlaubnis).<br />
• Einführung einer „Blanket-Petition“ zur Erleichterung<br />
des internationalen Personalaustauschs<br />
innerhalb multinationaler Unternehmen.<br />
Dabei strafft die Erteilung einer<br />
Vorabgenehmigung für die Beschäftigung<br />
ausländischer Arbeitnehmer das Verfahren<br />
erheblich. Im Gegenzug muss das Unternehmen<br />
versichern, dass es notfalls für Lebensunterhalt<br />
und Krankenversicherung während<br />
der Dauer des Aufenthalts der ausländischen<br />
Arbeitnehmer und für eventuell anfallende<br />
Rückführungskosten aufkommt.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Zuwanderung und Integration“<br />
Nicht benötigte Finanzmittel aus der Insolvenzgeldumlage <strong>2010</strong> nicht<br />
zur Verminderung des Bundeszuschusses <strong>2010</strong> heranziehen<br />
Aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Jahr verbleibt Ende <strong>2010</strong> bei der allein von<br />
den Arbeitgebern finanzierten Insolvenzgeldumlage voraussichtlich ein Überschuss von 1,1 Mrd. €. Weil<br />
das BMAS von Insolvenzgeldausgaben 2011 in Höhe von ca. 900 Mio. € ausgeht, die folglich mit dem<br />
Überschuss abgedeckt sind, wurde der Umlagesatz für 2011 den gesetzlichen Vorgaben entsprechend<br />
auf 0,0 % festgelegt.<br />
Allerdings soll auf Betreiben des Bundesfinanzministers der Überschuss bei der Insolvenzgeldumlage<br />
bei der Höhe des Haushaltsdefizits der BA Ende <strong>2010</strong> berücksichtigt werden, um damit den nur für <strong>2010</strong><br />
gesetzlich vorgesehenen Bundeszuschuss (§ 434u SGB III) um diesen Betrag zu mindern. Dies führt faktisch<br />
zu einer Vereinnahmung der Umlagemittel für den Bundeshaushalt. Als Folge müssten die von den<br />
Arbeitgebern bereits gezahlten Gelder in Höhe von 1,1 Mrd. € im Jahr 2011 nochmals je zur Hälfte von den<br />
Beitragszahlern zur Arbeitslosenversicherung (Arbeitgebern und Arbeitnehmern) aufgebracht werden.<br />
Um dies zu verhindern, hat der BA-Verwaltungsrat einstimmig einen Haushaltsentwurf für 2011 verabschiedet,<br />
in dem die ca. 1,1 Mrd. € aus dem Haushalt <strong>2010</strong> in den Insolvenzgeldtitel des Haushalts 2011<br />
übertragen wurden. Auf diesem Weg sollte die Zweckbindung des eingesammelten Geldes gesichert und<br />
einem zweck- und rechtswidrigen Verschwinden im Bundeshaushalt vorgebeugt werden. Die Bundesregierung<br />
beabsichtigt allerdings, die Genehmigung des BA-Haushalts mit der Auflage zu versehen, dass<br />
der Überschuss aus der Insolvenzgeldumlage im Haushaltsjahr <strong>2010</strong> und nicht 2011 in Ansatz gebracht<br />
wird. Da der Haushaltsplan der BA 2011 nur mit Liquiditätshilfen des Bundes ausgeglichen ist, kann das<br />
BMAS den Haushaltsplan in der von der Bundesregierung genehmigten Fassung – also mit der Auflage –<br />
selbst feststellen.<br />
Die BDA hatte sich im Vorfeld der Haushaltsfeststellung gegenüber der Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminister<br />
und der Bundesarbeitsministerin mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, die Zweckbindung<br />
der durch die Insolvenzgeldumlage aufgebrachten Finanzmittel für Insolvenzgeldzahlungen nicht<br />
aufzubrechen und dementsprechend den Zuschuss des Bundes in Höhe des Ende <strong>2010</strong> bestehenden<br />
Defizits im Haushalt der BA ohne Berücksichtigung der zweckgebunden Insolvenzgeldmittel zu bemessen.<br />
Nachdem unsere Interventionen bei der Bundesregierung erfolglos geblieben sind, wird die BDA<br />
eine gerichtliche Klärung dieser Streitfrage über die Selbstverwaltung der BA anstreben.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 19
Fürsorgesystem Arbeitslosengeld<br />
II: Langzeitarbeitslosigkeit<br />
endlich besser bekämpfen<br />
Leistungsfähige Verwaltungsstrukturen für eine<br />
bessere Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit<br />
und ein auf zügige Beschäftigungsaufnahme<br />
ausgerichtetes Fürsorgesystem, dies<br />
waren wichtige Ziele und Schwerpunkte der<br />
arbeitsmarktpolitischen Tätigkeit der BDA im<br />
Jahr <strong>2010</strong>. Aus Anlass zweier Entscheidungen<br />
des Bundesverfassungsgerichts mussten bis zum<br />
1. Januar 2011 in der Grundsicherung für Arbeitsuchende<br />
sowohl verfassungsgemäße Verwaltungsstrukturen<br />
gefunden als auch die Regelsätze<br />
neu berechnet und festgelegt werden.<br />
Ergebnis der langen politischen Auseinandersetzungen<br />
über die Neuregelung der Verwaltungsstrukturen<br />
im SGB II war, die Zusammenarbeit<br />
von Arbeitsagenturen und Kommunen in<br />
sog. Jobcentern fortzusetzen sowie die Optionskommunen<br />
zu entfristen und ihre bisherige<br />
Anzahl von 69 auf maximal ca. 110 auszuweiten.<br />
Mit einer Grundgesetzänderung wurden diese<br />
Verwaltungsstrukturen schließlich verfassungsrechtlich<br />
verankert. Auch wenn die von der BDA<br />
favorisierte klare Verantwortung in Form der kommunalen<br />
Zuständigkeit für die Betreuung der Hilfebedürftigen<br />
politisch keine Mehrheit gefunden<br />
hat, wurden dennoch Verbesserungen gegenüber<br />
dem Status quo erreicht. Die Neuregelung<br />
bietet grundsätzlich die Chance, nun die Zusammenarbeit<br />
von Kommunen und Arbeitsagenturen<br />
auf eine bessere Basis als bisher zu stellen.<br />
Vertrauensvolle Zusammenarbeit ist die Voraussetzung<br />
dafür, dass vor Ort von Arbeitsagenturen<br />
und Kommunen gemeinsam passgenaue<br />
Lösungen für Menschen mit oft komplexen Vermittlungshemmnissen<br />
erarbeitet werden. Durch<br />
die Ausweitung der Zahl der Optionskommunen<br />
kann zudem eine größere Anzahl von Kommunen<br />
die Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II in<br />
Bundesverfassungsgericht: Entscheidung zum Eingliederungsbeitrag<br />
aufgeschoben<br />
Leider hat das Bundesverfassungsgericht die von der BDA angestoßenen und unterstützten Verfassungsbeschwerden<br />
mit Beschluss vom 2. August <strong>2010</strong> (veröffentlicht am 8. September <strong>2010</strong>) nicht zur<br />
Entscheidung angenommen, sondern die Beschwerdeführer auf den Rechtsweg zu den Sozialgerichten<br />
verwiesen. Dass das Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Eingliederungsbeitrags<br />
ausdrücklich offenlässt, war angesichts der Einholung von inhaltlichen Stellungnahmen und<br />
einer zweijährigen Prüfungszeit durchaus überraschend. Damit duldet das Bundesverfassungsgericht,<br />
dass sich der Bund entgegen der eigenen Rechtsprechung eines klaren verfassungsrechtlichen Verbots,<br />
Beitragsmittel für aus Steuern zu finanzierende Aufgaben zu verwenden, weiterhin massiv aus der Kasse<br />
der Arbeitslosenversicherung bedient. Allein im Jahr <strong>2010</strong> wurden auf diesem Weg zweckgerichtete Beiträge<br />
von ca. 5,3 Mrd. € willkürlich umgewidmet und zur allgemeinen Finanzierung des Bundeshaushalts<br />
missbraucht. Diesem Griff in die Tasche der Beitragszahler kann nur ein Riegel vorgeschoben werden,<br />
wenn die Frage der Verfassungswidrigkeit des Eingliederungsbeitrags über die Fachgerichte erneut an<br />
das Bundesverfassungsgericht herangetragen wird. Auf diesen Weg hat das Bundesverfassungsgericht<br />
in seiner Entscheidung ausdrücklich hingewiesen. Entsprechende Verfahren von Arbeitgebern und<br />
Arbeitnehmern vor den Sozialgerichten hatte die BDA bereits parallel zu den Verfassungsbeschwerden<br />
angestoßen und unterstützt. Eine Klage gegen den Aussteuerungsbetrag, die Vorgängerregelung zum<br />
Eingliederungsbeitrag, ist mittlerweile beim Bundessozialgericht anhängig.<br />
20<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
sachgerechter eigener Verantwortung wahrnehmen.<br />
Vor allem aber konnte sich die BDA mit ihrer<br />
Forderung durchsetzen, alle Grundsicherungsträger<br />
zu verpflichten, sich an einer bundeseinheitlichen<br />
Datenerfassung, Ergebnisberichterstattung,<br />
Wirkungsforschung und Leistungsvergleichen zu<br />
beteiligen. Die hierdurch gewährleistete vollständige<br />
Transparenz bei der Mittelverwendung und<br />
den dabei erzielten Wirkungen ist nicht zuletzt<br />
Voraussetzung dafür, dass ausreichende Verantwortlichkeit<br />
entsteht und ein selbstlernendes, sich<br />
kontinuierlich verbesserndes System geschaffen<br />
wird. Ein solches System ist dringend notwendig,<br />
um erwerbsfähige Hilfebedürftige besser zu aktivieren,<br />
gezielt die Integrationschancen in den ersten<br />
Arbeitsmarkt zu nutzen und so letztlich Langzeitarbeitslosigkeit<br />
erfolgreich zu bekämpfen.<br />
Die richtige Weichenstellung in der Grundsicherung<br />
für Arbeitsuchende wurde auch mit<br />
dem im Bundestag beschlossenen Gesetz zur<br />
Neubemessung der Regelsätze vorgenommen.<br />
Die Neuberechnung der Regelsätze gewährleistet<br />
einerseits die vom Bundesverfassungsgericht<br />
geforderte Transparenz im Berechnungsverfahren.<br />
Andererseits werden mit einer strengen Bedürftigkeitsorientierung<br />
neue Hürden für eine Beschäftigungsaufnahme<br />
gerade für gering Qualifizierte<br />
vermieden. Nur so kann das Ziel der Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II erreicht werden, den<br />
Selbsthilfewillen und die Eigenverantwortung<br />
erwerbsfähiger Hilfebedürftiger zu stärken, um<br />
durch den (Wieder-)Einstieg in Arbeit die Hilfebedürftigkeit<br />
dauerhaft zu überwinden und<br />
so schnell wie möglich wieder unabhängig von<br />
staatlichen Fürsorgeleistungen zu werden. Die<br />
BDA unterstützt auch die im Gesetz vorgesehene<br />
Regelung, Bildungs- und Teilhabebedarfe von<br />
Kindern zielgerichtet und ohne Verminderung von<br />
Arbeitsanreizen bei den Eltern besser nicht durch<br />
pauschale Regelsatzerhöhungen, sondern durch<br />
Sachleistungen insbesondere in Form von Gutscheinlösungen<br />
zu erfüllen. So kann sichergestellt<br />
werden, dass die notwendige Hilfeleistung bei<br />
Elterngeld: sinnvolle Neujustierung<br />
Mit den vorgesehenen Änderungen beim Elterngeld im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 wird<br />
die notwendige Konsolidierung des Bundeshaushalts vorangebracht und das Elterngeld inhaltlich sinnvoll<br />
neu justiert. Dies gilt insbesondere für die von der BDA geforderte Anrechnung von Elterngeld auf das<br />
Arbeitslosengeld II und den Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz. Bisher wurde Elterngeld<br />
gezahlt, obwohl der/die Betroffene bereits durch die Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II abgesichert ist<br />
und auch keine Arbeit zum Zwecke der Kinderbetreuung und -erziehung aufgegeben hat. Damit wurden<br />
die Fürsorgeleistungen zu Lasten der Solidargemeinschaft der Steuerzahler über die Bedürftigkeit hinaus<br />
geleistet und Anreize zur zügigen Rückkehr in das Erwerbsleben massiv verringert. Allerdings wurde im<br />
Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch eine Ausnahmeregelung eingefügt, die es Leistungsbeziehern<br />
ermöglicht, dass ein vor der Geburt erzieltes Einkommen von bis zu 300 € anrechnungsfrei bleibt. Wer<br />
z. B. vor der Geburt des Kindes 160 € netto verdient hat, erhält nach der Geburt diesen Betrag zusätzlich<br />
zum Arbeitslosengeld II. Gegen eine derartige Regelung spricht – ebenso wie gegen die heutige<br />
Gesetzeslage –, dass hierdurch erwerbsfähige Hilfebedürftige über den Existenz sichernden Bedarf der<br />
Familie hinaus zu Lasten der Solidargemeinschaft der Steuerzahler finanziell unterstützt würden. Weitere<br />
Bestandteile der beschlossenen Änderungen sind die Absenkung der Ersatzquote beim Elterngeld ab<br />
einem zu berücksichtigenden Einkommen von 1.200 € von 67 % auf 65 % sowie die Beschränkung der<br />
Berechnungsgrundlage des Elterngelds auf Einnahmen, die im Inland versteuert werden. Schließlich<br />
entfällt künftig der Elterngeldanspruch für Personen, die vor der Geburt ein Einkommen von mehr als<br />
250.000 € im Jahr erzielt haben.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 21
den Kindern von Fürsorgeempfängern ankommt<br />
und Bildungs- und Teilhabechancen tatsächlich<br />
wahrgenommen werden. Aufgrund ihrer Sachnähe<br />
sind in der Praxis vor allem die Kommunen<br />
gefordert, sicherzustellen, dass entsprechende<br />
Leistungen für die Kinder bereitstehen und in<br />
Anspruch genommen werden können. Letztlich<br />
kommt es darauf an, möglichst durch präventive<br />
Maßnahmen von Anfang an die heute leider noch<br />
viel zu oft stattfindenden „Sozialhilfekarrieren“ zu<br />
vermeiden.<br />
Ein Erfolg der BDA war es vor allem, dass<br />
der Gesetzgeber zum 1. Januar 2011 die Zuschläge<br />
zum Arbeitslosengeld II nach dem Bezug von<br />
Arbeitslosengeld abgeschafft hat. Diese Zuschläge<br />
dienen nicht mehr der Existenzsicherung und<br />
sind deshalb nicht zu rechtfertigen. Sie bilden<br />
sogar Hindernisse für eine möglichst zügige Aktivierung<br />
von Fürsorgeempfängern. Leider hat die<br />
Bundesregierung die Freibetragsregelung für<br />
eigenes Erwerbseinkommen beim Arbeitslosengeld<br />
II fast unverändert gelassen. Die BDA hatte<br />
sich nachdrücklich dafür eingesetzt, künftig die<br />
ersten 200 € des Hinzuverdiensts komplett auf<br />
die Fürsorgeleistung anzurechnen, im Gegenzug<br />
aber die heutigen Freibeträge für Einkommen bis<br />
800 € bzw. 1.000 € jeweils zu verdoppeln. Hierdurch<br />
würde der Anreiz für die Aufnahme einer<br />
Vollzeittätigkeit deutlich erhöht werden. Die Neuregelung<br />
sieht jedoch lediglich vor, dass vom<br />
Arbeitseinkommen zwischen 800 € und 1.000 €<br />
zukünftig 20 % statt 10 % behalten werden dürfen.<br />
Weil mit der Neuregelung weiterhin geringe<br />
Einkommen privilegiert werden, werden auch<br />
zukünftig Hilfebedürftige zum Verbleib im fast<br />
ungekürzten Leistungsbezug bei Hinzuverdienst<br />
eines Taschengelds regelrecht eingeladen. Die<br />
Fehlsteuerung der bestehenden Freibetragsregelung<br />
zeigt sich darin, dass heute fast 60 %<br />
der 1,3 Mio. erwerbstätigen Hilfebedürftigen ein<br />
Erwerbseinkommen von lediglich 400 € verdienen,<br />
viele hiervon sogar nur den anrechnungsfreien<br />
Betrag von 100 €. Auch nach der Reform bleibt<br />
es für den Hilfebedürftigen nach wie vor attraktiver,<br />
von erarbeiteten 200 € 120 € zu behalten als<br />
mit vierfacher Arbeitsleistung und dementsprechendem<br />
Verdienst von 800 € nur über weitere<br />
120 € mehr zu verfügen. Gemessen hieran kann<br />
von einer Umsetzung der Vereinbarung im Koalitionsvertrag,<br />
„den Anreiz zu erhöhen, eine voll<br />
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu<br />
suchen und anzunehmen“, keine Rede sein. Die<br />
richtige Ausgestaltung der Freibeträge muss deshalb<br />
auf der politischen Agenda bleiben.<br />
Wirtschaft wirbt: mehr Frauen in<br />
Beschäftigung und Führungspositionen<br />
Mehr Frauen in Beschäftigung zu bringen und<br />
auch den Frauenanteil in Führungspositionen<br />
zu erhöhen sind seit langem verfolgte Ziele der<br />
Wirtschaft. Die Unternehmen und der Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland sind nicht zuletzt angesichts<br />
des demografischen Wandels und eines<br />
wachsenden Fachkräftebedarfs künftig noch stärker<br />
auf die Potenziale gerade auch von Frauen<br />
angewiesen. Doch obwohl Frauen immer bessere<br />
Bildungsabschlüsse erzielen und inzwischen die<br />
Mehrheit der Abiturienten und Hochschulabsolventen<br />
in Deutschland stellen, können sie ihre<br />
Potenziale im Berufsleben noch nicht vollständig<br />
ausschöpfen.<br />
Nach wie vor tragen die Familienpolitik und<br />
der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen dazu<br />
bei, dass Frauen zu lange nach der Geburt ihres<br />
Kindes zu Hause bleiben und oft nur in Teilzeit<br />
arbeiten. Auch das deutsche Steuer- und Sozialversicherungsrecht<br />
setzen zu viele Anreize, die<br />
Erwerbstätigkeit zu reduzieren oder gar im Sinne<br />
des Alleinverdienermodells ganz aufzugeben.<br />
Dies wird durch ein tradiertes gesellschaftliches<br />
Rollenverständnis unterstützt, das die Familienund<br />
Erziehungsarbeit überwiegend als Aufgabe<br />
der Frau sieht. Damit kommen viele Frauen auch<br />
auf der Karriereleiter gar nicht erst so weit voran,<br />
um Aussicht auf eine Führungsaufgabe zu haben.<br />
Das Potenzial für weibliche Führungskräfte wird<br />
dadurch unnötig verknappt.<br />
Umso weniger ist es nachvollziehbar, dass<br />
zunehmend die Einführung einer gesetzlichen<br />
Quotenregelung für Aufsichtsräte und auch allgemein<br />
für Führungspositionen gefordert wird.<br />
Unabhängig von gravierenden verfassungsrechtlichen<br />
Einwänden werden mit Quoten lediglich<br />
Symptome, nicht aber die Ursachen des geringen<br />
Frauenanteils in Führungspositionen angegangen.<br />
Die BDA tritt weiterhin vehement dafür ein, die<br />
22<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung
Hindernisse, welche Frauen heute bei der Aufnahme<br />
einer Erwerbstätigkeit und beim beruflichen<br />
Aufstieg im Wege stehen, zu überwinden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
argumente > „Frauen in Führungspositionen“<br />
Beitrag zur Standortbestimmung<br />
der deutschen Personalarbeit:<br />
1. Deutsches HR-Forum<br />
Unter Schirmherrschaft von Arbeitgeberpräsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt fand am 14. Oktober <strong>2010</strong><br />
das 1. Deutsche HR-Forum in Berlin statt. Zielsetzung<br />
war eine Standortbestimmung der deutschen<br />
Personalarbeit. Der Arbeitgeberpräsident<br />
machte in seiner Eröffnungsrede deutlich, dass<br />
Fachkräftegewinnung und -sicherung ohne Zweifel<br />
herausragende Themen der betrieblichen Personalpolitik<br />
seien. Daher sei es wesentlich, die<br />
Lebensarbeitszeit zu verlängern, die Beschäftigungschancen<br />
von Frauen weiter zu verbessern<br />
und nicht zuletzt die Zuwanderung von ausländischen<br />
Fach- und Führungskräften als notwendig<br />
und als Chance für unser Land zu begreifen. Ein<br />
hochrangiger Teilnehmerkreis aus 150 Arbeitsdirektoren,<br />
Personalvorständen, Geschäftsführern,<br />
Wissenschaftlern und Politikern diskutierte über<br />
Themen wie „Change am Talentmarkt“, „Reputation<br />
des Managements“ oder das „System Arbeit<br />
unter dem Druck der Globalisierung“. Ausgewiesene<br />
Experten aus Praxis und Forschung<br />
beleuchteten in Vorträgen und Podiumsdiskussionen<br />
die zukünftigen strategischen, politischen<br />
und wissenschaftlichen Einflussfaktoren für ein<br />
modernes HR-Management. Stefan Lauer, Mitglied<br />
des Vorstands der Deutschen Lufthansa AG,<br />
stellte eindrucksvoll dar, wie Web 2.0 und Digital<br />
Natives nicht nur die Personalarbeit, sondern die<br />
gesamte Unternehmenskommunikation verändern<br />
könnten. Thomas Sattelberger, Personalvorstand<br />
der Deutschen Telekom AG, plädierte<br />
für einen europäischen Weg der Nachhaltigkeit in<br />
der Managemententwicklung. Hans Eberspächer,<br />
emeritierter Professor für Sportpsychologie, dessen<br />
Methoden in vielen Unternehmen eingesetzt<br />
werden, ging in seiner Dinnerspeech der Frage<br />
nach, inwiefern die mentalen Strategien und Trainingsmethoden<br />
des Spitzensports auf andere<br />
Bereiche wie die Wirtschaft übertragbar sind.<br />
Mit den erstmals vergebenen HR-Awards<br />
<strong>2010</strong> wurden Dr. Angelika Dammann, Personalvorstand<br />
bei SAP AG, und Prof. Dr. Dirk Sliwka von<br />
der Universität zu Köln geehrt. Ausgelobt wurden<br />
die Awards vom Personalmagazin, Deutschlands<br />
meistgelesener HR-Fachzeitschrift. Dr. Angelika<br />
Dammann wurde als „HR-Manager des Jahres“<br />
von der Jury wegen ihrer beispielhaften Karriere<br />
in- und außerhalb des Personalmanagements<br />
geehrt, in deren Rahmen sie äußerst erfolgreich<br />
unterschiedliche Veränderungsprojekte in internationalen<br />
Konzernen initiiert und begleitet hat.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Beschäftigung 23
Mehr Netto vom Brutto nicht aus<br />
den Augen verlieren<br />
CDU, CSU und FDP haben ihr im Koalitionsvertrag<br />
vom 24. Oktober 2009 vereinbartes Ziel, die Beitragssatzsumme<br />
in der Sozialversicherung „unter<br />
40 % vom Lohn zu halten“, im Jahr <strong>2010</strong> eingehalten.<br />
Erreicht wurde die Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge<br />
bei 39,6 % vor allem durch<br />
die Absenkung des Beitragssatzes zum Gesundheitsfonds<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
(GKV) von 15,5 % auf 14,9 % ab 1. Juli 2009<br />
(„Konjunkturpaket II“). Die daraus resultierenden<br />
Beitragsmindereinnahmen sind den gesetzlichen<br />
Krankenkassen durch einen um 6,3 Mrd. € erhöhten<br />
Bundeszuschuss voll kompensiert worden.<br />
Flankierend wurden die krisenbedingten Defizite<br />
in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung im<br />
laufenden Jahr vom Bund übernommen („Gesetz<br />
zur Stabilisierung der Finanzlage der Sozialversicherungssysteme“).<br />
Die Begrenzung des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes<br />
hat dazu beigetragen,<br />
bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue<br />
Beschäftigung zu schaffen. Obgleich der positive<br />
Beschäftigungseffekt niedrigerer Sozialversicherungsbeiträge<br />
im Wesentlichen auf der Verringerung<br />
der Arbeitskosten beruht, sind auch mit<br />
der Senkung der Arbeitnehmerbeiträge positive<br />
Wirkungen verbunden: Weniger Sozialversicherungsbeiträge<br />
bedeuten mehr Netto für die<br />
Beschäftigten und damit mehr Möglichkeiten für<br />
Konsum und Sparen. Gleichzeitig machen niedrigere<br />
Sozialversicherungsbeiträge legale Arbeit<br />
lohnender und verringern damit die Anreize zur<br />
Schwarzarbeit.<br />
Aber bereits im kommenden Jahr werden die<br />
Beitragssätze zur Sozialversicherung wieder über<br />
40 % steigen. Verantwortlich hierfür sind vor allem<br />
falsche Weichenstellungen in der Gesundheitspolitik:<br />
Denn das für 2011 erwartete Defizit von<br />
9 Mrd. € in der GKV soll nicht durch Ausgaben<br />
senkende Strukturreformen, sondern vor allem<br />
durch zusätzliche Beitrags- und Steuergelder<br />
beseitigt werden. Belastet werden insbesondere<br />
Arbeitgeber und Versicherte, deren Beitragssatzanteile<br />
um jeweils 0,3 Prozentpunkte angehoben<br />
werden sollen.<br />
Mit der Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes<br />
um 0,6 Prozentpunkte bricht die Koalition<br />
ihre Zusage, die Beiträge von Arbeitgebern und<br />
Arbeitnehmern zur Überwindung der Wirtschaftsund<br />
Finanzkrise stabil zu halten, und dies, obwohl<br />
die deutsche Wirtschaft das Vorkrisenniveau noch<br />
nicht wieder erreicht hat. Das ist besonders gravierend,<br />
weil gleichzeitig zum 1. Januar 2011 auch<br />
der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um<br />
0,2 Prozentpunkte steigen wird. Damit wächst die<br />
Beitragssatzsumme in der Sozialversicherung<br />
zum Jahreswechsel äußerst kräftig von 39,6 %<br />
auf 40,4 %. Durch den Beitragssatzanstieg wird<br />
das Gegenteil dessen erreicht, was die Bundesregierung<br />
im Koalitionsvertrag versprochen hat,<br />
nämlich für mehr Netto vom Brutto zu sorgen und<br />
die Personalzusatzkosten zu stabilisieren.<br />
Abgabenkeil: Deutschland<br />
belastet den Faktor Arbeit<br />
überdurchschnittlich<br />
Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(OECD) belastet kaum ein anderes Land Löhne<br />
und Gehälter so sehr mit Abgaben wie Deutschland.<br />
Von den Arbeitskosten des Arbeitgebers<br />
kamen bei einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener<br />
im Jahr 2009 gerade einmal 49,1 %<br />
als Nettolohn an, d. h., der Abgabenkeil betrug<br />
50,9 %. Unter den sieben führenden Industrienationen<br />
(G7) belegt Deutschland den ersten Platz vor<br />
Frankreich (49,2 %) und Italien (46,5 %). Deutlich<br />
niedrigere Belastungen des Faktors Arbeit weisen<br />
die angelsächsischen Staaten und Japan (32,5 %<br />
bis 29,2 %) auf. Aber auch im EU-Durchschnitt ist<br />
der Abgabenkeil mit 41,6 % erheblich schmaler<br />
als in Deutschland.<br />
Der deutsche Abgabenkeil eines alleinstehenden<br />
Durchschnittsverdieners setzt sich<br />
zurzeit aus drei ähnlich großen Teilen zusammen:<br />
Auf die Sozialversicherungsbeiträge des<br />
Arbeitgebers entfallen 16,3 Prozentpunkte, auf<br />
die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers<br />
17,3 Prozentpunkte und auf die Lohnsteuer<br />
inklusive Solidaritätszuschlag ebenfalls<br />
17,3 Prozentpunkte. Fast zwei Drittel des Abgabenkeils<br />
gehen somit auf Sozialversicherungsbeiträge<br />
zurück.<br />
26<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz wieder über 40 %<br />
in %<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
26,5<br />
32,4<br />
3,0<br />
11,4<br />
35,8<br />
4,3<br />
12,8<br />
41,1<br />
1,70<br />
6,5<br />
13,6<br />
42,0<br />
1,77<br />
6,5<br />
14,2<br />
39,9<br />
40,1 40,2<br />
40,4<br />
39,6 39,6 39,6<br />
1,77 2,02 2,02<br />
2,02<br />
2,02 2,02 2,02<br />
3,3<br />
3,3 2,8<br />
3,0<br />
2,8 2,8 2,8<br />
15,5 15,5<br />
14,9 14,9 14,9 14,9 14,9<br />
25<br />
1,3<br />
8,2<br />
20<br />
15<br />
17,0<br />
18,0 18,7<br />
19,3 19,5 19,9 19,9 19,9 19,9 19,9 19,9 19,9<br />
10<br />
5<br />
0<br />
1970<br />
1980 1990 2000 2005<br />
1. Januar<br />
2008<br />
1. Juli<br />
2008<br />
1. Januar<br />
2009<br />
1. Juli<br />
2009<br />
1. Januar<br />
<strong>2010</strong><br />
1. Juli<br />
<strong>2010</strong><br />
1. Januar<br />
2011<br />
Pfl egeversicherung (Durchschnitt)<br />
Arbeitslosenversicherung<br />
Krankenversicherung (Durchschnitt)<br />
Rentenversicherung<br />
Soweit nicht anders angegeben, jeweils zum Stichtag 1. Januar; im Bundesdurchschnitt<br />
Quellen: Bundesministerium für Gesundheit und Deutsche Rentenversicherung Bund; eigene Darstellung der BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 27
Der breite deutsche Abgabenkeil ist insbesondere<br />
das Ergebnis einer langfristig stark<br />
gestiegenen Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge.<br />
Erreichte die Beitragssatzsumme<br />
aus Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung<br />
1970 noch den Wert von 26,5 %, stieg sie<br />
bis 1990 bereits auf 35,8 %, blieb nach Einführung<br />
der Pflegeversicherung im Jahr 1995 noch<br />
knapp unter der 40%-Marke und erreichte 1999<br />
bei 42,1 % ihren bisherigen Höchststand. Deshalb<br />
bleibt es auch in Zukunft ein wichtiges politisches<br />
Ziel der BDA, den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz<br />
dauerhaft unter 40 % zu halten.<br />
Die leistungshemmende Wirkung des deutschen<br />
Steuer- und Beitragssystems wird noch<br />
deutlicher, wenn ergänzend zur durchschnittlichen<br />
Belastung des Faktors Arbeit mit Abgaben die marginale<br />
Abgabenlast betrachtet wird. Sie gibt an, wie<br />
viel Eurocent der Staat für sich beansprucht, wenn<br />
das Arbeitnehmerentgelt, also Bruttolohn plus<br />
Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, um<br />
1 € angehoben wird. Für den Durchschnittsverdiener<br />
ermittelt die OECD eine Grenzbelastung von<br />
63,3 %. Das bedeutet, dass dem Durchschnittsverdiener<br />
von einer Arbeitskostenerhöhung um 1 €<br />
gerade einmal 36,7 Eurocent netto verbleiben.<br />
Sozialbudget: Sozialleistungen<br />
haben kräftig zugenommen<br />
Das Sozialbudget, in dem die Bundesregierung<br />
regelmäßig alle Sozialausgaben zusammenfasst,<br />
hat sich im Jahr 2009 auf das neue Rekordniveau<br />
von 753,9 Mrd. € erhöht. Das sind 30,5 Mrd. €<br />
bzw. 4,2 % mehr als 2008. Von einem systematischen<br />
„Sozialabbau“ – wie ihn Gewerkschaften,<br />
Sozialverbände und die Partei DIE LINKE immer<br />
wieder behaupten – kann deshalb überhaupt keine<br />
Rede sein. Hierauf hat die BDA immer wieder<br />
hingewiesen. Verantwortlich für den überaus<br />
kräftigen Ausgabenanstieg sind nicht nur die krisenbedingten<br />
Mehrausgaben der Arbeitslosenversicherung,<br />
sondern vor allem auch die weiter<br />
steigenden Ausgaben in der Kranken-, Rentenund<br />
Pflegeversicherung.<br />
Mit Abstand größter Kostentreiber war die<br />
GKV, deren Leistungsvolumen von 2004 bis<br />
2009 um insgesamt 30 Mrd. € zugenommen hat.<br />
Deutlich gestiegen sind in den Jahren 2008 und<br />
2009 mit fast 9 Mrd. € auch die Leistungsausgaben<br />
der gesetzlichen Rentenversicherung, nicht<br />
zuletzt, weil die große Koalition den Rentnern<br />
zwei Sonder-Rentenerhöhungen (zweimaliges<br />
Aussetzen der Riester-Treppe 2008 und 2009)<br />
zugebilligt hat. Und auch die zahlreichen Leistungsausweitungen<br />
in der Pflegeversicherung<br />
(„Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“) haben die<br />
Ausgaben des Sozialbudgets in den letzten beiden<br />
Jahren um insgesamt 2 Mrd. € erhöht.<br />
Das Verhältnis von Sozialaufwand zu Wirtschaftskraft<br />
hat sich 2009 deutlich von 29,0 % auf<br />
31,3 % verschlechtert. Der noch in den Jahren<br />
2004 bis 2008 zu beobachtende Trend rückläufiger<br />
Sozialleistungsquoten ist damit im Berichtsjahr<br />
abrupt beendet worden. Der zurückliegende<br />
kräftige Konjunkturaufschwung und der damit<br />
verbundene Rückgang der Sozialleistungsquote<br />
haben weitgehend verdeckt, dass die Kosten der<br />
sozialen Sicherung in einigen Teilbereichen massiv<br />
gestiegen sind.<br />
Rentenversicherung: Rentengarantie<br />
kostet 1,7 Mrd. € und<br />
ist systemwidrig<br />
Insbesondere um im Bundestagswahlkampf 2009<br />
eine Debatte über drohende Rentenkürzungen<br />
im Jahr <strong>2010</strong> zu vermeiden, hatte sich die große<br />
Koalition dazu entschlossen, eine Rentengarantie<br />
abzugeben. Danach dürfen die Altersbezüge der<br />
20 Mio. Rentner selbst dann nicht gekürzt werden,<br />
wenn die durchschnittlichen Pro-Kopf-Verdienste,<br />
also die Einkommen der Erwerbstätigen,<br />
sinken. Anlass für die Garantie war das Frühjahrsgutachten<br />
2009 der Wirtschaftsforschungsinstitute,<br />
das insbesondere durch die zunehmende<br />
Inanspruchnahme der konjunkturellen Kurzarbeit<br />
einen Rückgang der anpassungsrelevanten Löhne<br />
um über 2 % prognostiziert hatte. Dagegen<br />
vertrat die damalige Bundesregierung die Auffassung,<br />
die Bruttolöhne würden um rd. 1 % steigen.<br />
Nach der „Rentenwertbestimmungsverordnung<br />
<strong>2010</strong>“, die zum 1. Juli <strong>2010</strong> in Kraft getreten<br />
ist, war die anpassungsrelevante Lohnentwicklung<br />
in den alten Bundesländern mit minus 0,96 %<br />
tatsächlich negativ, während sie in den neuen<br />
28<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Bundesländern mit plus 0,61 % positiv ausfiel.<br />
Damit hat die Rentengarantie in Ostdeutschland<br />
keine Wirkung entfaltet, war aber für die Fortschreibung<br />
des Aktuellen Rentenwerts in Westdeutschland<br />
bedeutsam.<br />
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens<br />
zum „Gesetz zur Änderung des Vierten Buches<br />
Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse<br />
und zur Änderung anderer<br />
Gesetze“ hatte sich die BDA seinerzeit vehement<br />
gegen die Einführung der Rentengarantie ausgesprochen.<br />
Gegen die weitere Verwässerung der<br />
Rentenanpassungsformel sprechen vor allem folgende<br />
Gründe:<br />
Zum einen ist nicht zu begründen, warum<br />
Rentenbezieher eine umfassende Garantie ihrer<br />
Altersbezüge erhalten und jegliche Einkommenseinbußen<br />
für diesen Personenkreis kategorisch<br />
ausgeschlossen werden, obwohl gleichzeitig<br />
Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, wegen Kurzarbeit<br />
auf Gehalt verzichten oder zwecks Beschäftigungssicherung<br />
Lohnzugeständnisse machen,<br />
einen Einkommensverlust erleiden. Das Prinzip<br />
der lohnbezogenen Rente bedeutet, dass sich<br />
Immer mehr für Soziales – Sozialleistungsquote deutlich angestiegen<br />
Sozialbudget in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nominal<br />
in %<br />
35<br />
30<br />
28,3<br />
31,2 31,3<br />
30,2<br />
29,2 29,0<br />
31,3<br />
25,9<br />
25<br />
23,3<br />
20,9<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
1960<br />
1970 1980 1990 2000 2005 2006 2007 2008 s 2009 s<br />
Bis 1990: Westdeutschland; ab 2000: Gesamtdeutschland; s: geschätzte Zahlen<br />
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales; eigene Darstellung der BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 29
die Renten grundsätzlich an der Lohn entwicklung<br />
orientieren. Dieser Grundsatz kann nicht nur in<br />
guten Zeiten gelten, wenn die Löhne steigen, sondern<br />
muss auch im umgekehrten Fall Anwendung<br />
finden, wenn die Löhne sinken.<br />
Zum anderen erfordert die vom Gesetzgeber<br />
gewollte Absenkung des Rentenniveaus sogar,<br />
dass die Renten langsamer steigen als die Löhne<br />
und Gehälter. Von diesem Grundsatz wurde bei<br />
sinkenden Löhnen und Gehältern bereits nach<br />
altem Recht eine Ausnahme gemacht, weil in diesem<br />
Fall auf die Anwendung der zur langfristigen<br />
Dämpfung des Rentenniveaus vorgesehenen<br />
Faktoren verzichtet wird. Damit bleibt das Rentenniveau<br />
bei sinkenden Löhnen und Gehältern<br />
konstant. Die Anwendung der neu eingeführten<br />
Rentengarantie führt jetzt sogar dazu, dass das<br />
Rentenniveau bei sinkenden Löhnen steigt. Damit<br />
wird der mit den letzten Rentenreformen eingeschlagene<br />
Weg noch weiter konterkariert.<br />
Nicht zuletzt ist mit der Rentengarantie das<br />
Vertrauen in eine stetige, berechenbare und verlässliche<br />
Rentenpolitik beschädigt worden. Inzwischen<br />
vergeht kaum mehr ein Jahr, in dem der<br />
Gesetzgeber nicht in den Rentenanpassungsmechanismus<br />
eingreift. Deshalb ist inzwischen der<br />
Eindruck entstanden, dass die Höhe der jeweils<br />
nächsten Rentenanpassung mehr von politischer<br />
Opportunität als von zuvor vereinbarten gesetzlich<br />
festgelegten Regeln abhängt. Dabei ist gerade in<br />
der Alterssicherung Verlässlichkeit geboten. Insbesondere<br />
die heutigen Beitragszahler brauchen<br />
Planungssicherheit, um eine klare Perspektive für<br />
ihre ergänzende Eigenvorsorge zu haben.<br />
Da die Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern<br />
im vergangenen Jahr positiv war,<br />
sind durch die Rentengarantie ausschließlich in<br />
den alten Bundesländern Kosten entstanden.<br />
Nach dem jüngsten Rentenversicherungsbericht<br />
der Bundesregierung werden die Rentenausgaben<br />
in Westdeutschland im laufenden Jahr etwa<br />
167,0 Mrd. € betragen. Hinzu kommen 11,2 Mrd. €<br />
Zuschüsse der westdeutschen Rentenversicherungsträger<br />
zur Krankenversicherung der Rentner.<br />
Multipliziert man dieses Ausgabevolumen von insgesamt<br />
178,2 Mrd. € mit der unterlassenen Rentenkürzung<br />
von 0,96 %, errechnen sich für den Zeitraum<br />
drittes Quartal <strong>2010</strong> bis zweites Quartal 2011<br />
Mehrausgaben für die Rentenversicherung von<br />
1,7 Mrd. € infolge der Rentengarantie.<br />
Damit der Rentenversicherungsbeitragssatz<br />
auch langfristig unter 20 % gehalten werden kann,<br />
muss der Gesetzgeber insbesondere folgende<br />
rentenrechtliche Korrekturen auf den Weg bringen:<br />
Zum einen sollten Rentendämpfungen, die<br />
nach der Rentenanpassungsformel hätten erfolgen<br />
müssen, aber aufgrund von Schutzklauseln<br />
unterblieben sind, künftig in vollem Umfang – und<br />
nicht mehr nur jeweils zur Hälfte – bei der nächsten<br />
Rentenanhebung gegengerechnet und auf<br />
diese Weise nachgeholt werden. Zum anderen<br />
muss die fürsorgerisch motivierte Hinterbliebenenversorgung<br />
auf ihre ursprüngliche Aufgabe<br />
einer angemessenen Absicherung von Personen<br />
ohne ausreichendes Einkommen beschränkt<br />
werden. Erforderlich sind vor allem eine stärkere<br />
Anrechnung anderer Einkommen sowie engere<br />
Anspruchsvoraussetzungen für den bezugsberechtigten<br />
Personenkreis.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Gesetzliche Rentenversicherung“<br />
Altersarmut: hohes Beschäftigungsniveau<br />
ist beste Vorsorge<br />
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen<br />
Bundestags hat am 27. September <strong>2010</strong><br />
eine öffentliche Anhörung zum Thema „Altersarmut“<br />
durchgeführt, zu der die BDA als Sachverständige<br />
geladen war. Auf der Tagesordnung<br />
standen vor allem fünf Anträge der Oppositionsparteien,<br />
nach denen der behaupteten Gefahr<br />
künftig steigender Altersarmut vorrangig durch<br />
Korrekturen des Rentenrechts begegnet werden<br />
soll. Die BDA sieht hingegen grundsätzlich keinen<br />
Bedarf für neue rentenrechtliche Regelungen.<br />
Altersarmut ist in Deutschland erfreulicherweise<br />
selten. Auf „Grundsicherung im Alter“ waren am<br />
Jahresende 2009 gerade einmal 2,4 % der über<br />
64-Jährigen angewiesen. Das gegliederte Alterssicherungssystem<br />
aus allgemeiner und knappschaftlicher<br />
Rentenversicherung, Alterssicherung der<br />
Landwirte, berufsständischen Versorgungswerken<br />
und Beamtenversorgung ist gegenwärtig sehr<br />
gut in der Lage, auskömmliche Altersrenten zu<br />
30<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
gewährleisten. Personen, die mindestens 65 Jahre<br />
alt sind und nicht über ausreichende Mittel zum<br />
Lebensunterhalt verfügen, haben zudem Anspruch<br />
auf „Grundsicherung im Alter“. Diese Sozialleistung<br />
wird – im Gegensatz zur Sozialhilfe – sogar dann<br />
voll gewährt, wenn die Betroffenen ihre unterhaltspflichtigen<br />
Kinder in Anspruch nehmen könnten.<br />
Der Gesetzgeber hat damit bereits ein spezielles<br />
unteres Auffangnetz für Personen im Rentenalter<br />
geschaffen, das Altersarmut wirksam bekämpft.<br />
Um das Risiko künftiger Altersarmut weiter<br />
zu begrenzen, ist insbesondere der Ausbau der<br />
Erwerbsbeteiligung erforderlich. Mehr Beschäftigung<br />
insbesondere von Frauen und Älteren,<br />
die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch<br />
späteren Renteneintritt („Rente mit 67“) und der<br />
berufliche Aufstieg durch Bildung sind die Schlüssel,<br />
um bereits in der Erwerbsphase keine Sicherungslücken<br />
im Alter entstehen zu lassen. Wichtig<br />
ist jedoch, dass künftig auch die nicht rentenversicherungspflichtigen<br />
Selbstständigen staatlich<br />
geförderte Altersvorsorgeverträge („Riester-Rente“)<br />
abschließen können.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Altersarmut“<br />
„Rente mit 67“: Bundesregierung<br />
hält an Altersgrenzenanhebung<br />
fest<br />
Die Bundesregierung hält an der schrittweisen<br />
Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf<br />
67 Jahre fest, die 2012 beginnen und 2029 abgeschlossen<br />
sein soll. Das geht aus dem Bericht<br />
„Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt“ hervor,<br />
der vom Bundeskabinett am 17. November<br />
<strong>2010</strong> beschlossen wurde. Nach § 154 Abs. 4<br />
SGB VI hat die Bundesregierung den gesetzgebenden<br />
Körperschaften vom Jahr <strong>2010</strong> an regelmäßig<br />
alle vier Jahre über die Entwicklung der<br />
Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu berichten<br />
und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob<br />
die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze<br />
unter Berücksichtigung der Entwicklung der<br />
Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und<br />
sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin<br />
vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen<br />
Regelungen bestehen bleiben können.<br />
Der vorgelegte Bericht belegt eindeutig die<br />
positive Beschäftigungsentwicklung und -situation<br />
Älterer. Das gilt gerade für die Altersgruppe<br />
der 60- bis unter 65-Jährigen. Deren Erwerbstätigenquote<br />
hat sich seit dem Jahr 2000 beinahe<br />
verdoppelt und lag 2009 bei 38,4 %. Dies zeigt:<br />
Der von den Arbeitgebern eingeleitete und von<br />
der Politik durch den Abbau von Frühverrentungsregelungen<br />
unterstützte Paradigmenwechsel hin<br />
zu mehr Beschäftigung Älterer ist erfolgreich. Der<br />
Bericht der Bundesregierung verdeutlicht auch<br />
das große Engagement der Unternehmen und<br />
verweist auf zahlreiche Beispiele guter Praxis<br />
im Bereich der demografiefesten Personalpolitik,<br />
u. a. bei der Arbeitsgestaltung und -organisation,<br />
der Weiterbildung und der Laufbahngestaltung.<br />
Neben dieser positiven Beschäftigungsentwicklung<br />
älterer Arbeitnehmer weist die Bundesregierung<br />
in ihrem Bericht richtigerweise darauf<br />
hin, dass die Anhebung der Altersgrenze eine<br />
notwendige Maßnahme ist, um die im SGB VI<br />
festgeschriebenen Beitragssatz- und Niveausicherungsziele<br />
für die gesetzliche Rentenversicherung<br />
dauerhaft einzuhalten. Nach diesen darf der<br />
Rentenversicherungsbeitragssatz bis zum Jahr<br />
2030 den Wert von 22 % nicht überschreiten und<br />
das Rentenniveau vor Steuern nicht unter 43 %<br />
sinken.<br />
Für die „Rente mit 67“ spricht auch die konkrete<br />
Ausgestaltung der Altersgrenzenanhebung<br />
durch den Gesetzgeber: Durch die schrittweise<br />
Heraufsetzung der Regelaltersgrenze haben<br />
Versicherte und Betriebe noch 19 Jahre Zeit (bis<br />
2029), sich in ihren Dispositionen auf die Verlängerung<br />
der Lebensarbeitszeit einzustellen. Hinzu<br />
kommt, dass ein vorzeitiger Rentenzugang für<br />
langjährig Versicherte mit mindestens 35 Versicherungsjahren<br />
weiterhin ab 63 Jahren möglich<br />
sein wird, allerdings – wie bereits nach geltendem<br />
Recht – unter Inkaufnahme versicherungsmathematischer<br />
Rentenabschläge (0,3 % je vorgezogenen<br />
Monat). „Möglichkeiten einer weiter gehenden<br />
Flexibilisierung der Übergänge, einschließlich<br />
der Möglichkeiten von Teilzeitarbeit, Teilrente, und<br />
die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente vor<br />
Vollendung des 63. Lebensjahres“ will die Bundesregierung<br />
prüfen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 31
Betriebliche Altersvorsorge:<br />
Zweite Säule ist krisensicher<br />
aufgestellt<br />
In der vergangenen schwersten Wirtschafts- und<br />
Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik<br />
Deutschland war die betriebliche Altersvorsorge<br />
im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Aufgrund<br />
der langfristigen und sicherheitsorientierten<br />
Anlagestrategien der Versorgungswerke sowie<br />
der tragfähigen Insolvenzsicherung durch den<br />
Pensions-Sicherungs-Verein (PSV), den Träger<br />
der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge,<br />
musste kein Betriebsrentner um seine<br />
Leistungen fürchten. In diesen Zeiten bewährte<br />
sich das System der betrieblichen Altersvorsorge<br />
in Deutschland mit seiner zwei- bis dreistufigen<br />
Sicherung, in dem außer dem Versorgungsträger<br />
auch der Arbeitgeber und schließlich der PSV<br />
haften. Deshalb wird sich die BDA in den anstehenden<br />
Debatten auf nationaler und europäischer<br />
Ebene vor allem dafür einsetzen, den Sicherheitsvorteil<br />
der deutschen betrieblichen Altersvorsorge<br />
zu wahren.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Betriebliche Altersvorsorge“<br />
PSV-Beitragsstruktur: BDA-Konzeptentwurf<br />
weiterentwickelt<br />
Im Zuge der konjunkturellen Erholung und der<br />
damit einhergehenden günstigen Entwicklung<br />
des Insolvenzgeschehens ist der PSV-Beitragssatz<br />
<strong>2010</strong> auf 1,9 ‰ gesunken (Vorjahr 14,2 ‰).<br />
Auch unter Berücksichtigung, dass ein Teil des<br />
letztjährigen PSV-Beitrags (1,5 Promillepunkte)<br />
erst in diesem Jahr fällig wird, bewegt sich damit<br />
die PSV-Beitragsbelastung <strong>2010</strong> im Bereich der<br />
Durchschnittsbelastung seit Gründung des PSV<br />
im Jahr 1975 (3,2 ‰). Gleichwohl hat die außerordentlich<br />
hohe Beitragsbelastung im Jahr 2009 die<br />
Diskussion über die PSV-Beitragsstruktur aufleben<br />
lassen. Die BDA hat deshalb bereits im letzten<br />
Jahr einen Konzeptentwurf für eine neue Finanzierungsstruktur<br />
erarbeitet. Die darin vorgesehene<br />
stärker risikoorientierte Beitragsstruktur des PSV<br />
kann langfristig zu einer Senkung des Schadensvolumens<br />
des PSV führen, weil auf diese Weise<br />
Anreize für Maßnahmen zur Schadensvermeidung<br />
bzw. -reduzierung gesetzt werden. Seit der<br />
Veröffentlichung des ersten Konzept entwurfs hat<br />
ein intensiver fachlicher Austausch stattgefunden,<br />
der äußerst lohnend und hilfreich für die Weiterentwicklung<br />
des Konzepts war. Zum einen konnten<br />
entstandene Missverständnisse über Ziel und Wirkung<br />
des Konzepts ausgeräumt sowie Bedenken<br />
und Einwänden argumentativ begegnet werden.<br />
Zum anderen hat die Diskussion wichtige inhaltliche<br />
Anregungen gegeben und es ermöglicht, das<br />
bisherige Konzept weiterzuentwickeln.<br />
So hat die BDA den aktuellen Konzeptentwurf<br />
u. a. um einen Vorschlag für eine stärkere<br />
Verstetigung des PSV-Beitragssatzes ergänzt.<br />
Insbesondere nach dem sprunghaften Anstieg<br />
des PSV-Beitragssatzes von 1,8 ‰ 2008 auf das<br />
Rekordniveau von 14,2 ‰ im vergangenen Jahr<br />
war es zu Forderungen gekommen, die Volatilität<br />
des PSV-Beitragssatzes zu mindern. Der Vorteil<br />
läge vor allem in einer besseren Kalkulationssicherheit<br />
für Mitglieder. Zudem würde die prozyklische<br />
Wirkung, nach der die PSV-Beitragsbelastung<br />
eher bei schlechter wirtschaftlicher Lage<br />
steigt, gemildert.<br />
Die Entwicklung einer neuen, risikoorientierten<br />
PSV-Beitragsstruktur ist im vergangenen Jahr<br />
deutlich vorangekommen. Dennoch erhebt auch<br />
die aktuelle Diskussionsgrundlage noch nicht den<br />
Anspruch eines gesetzesreifen Vorschlags. Hierfür<br />
müssen noch weitere wichtige Fragen geklärt<br />
werden, insbesondere bedarf es auch noch<br />
Modellrechnungen, um die Verteilungswirkungen<br />
innerhalb der PSV-Mitglieder besser abschätzen<br />
zu können.<br />
EU-Grünbuch Pensionen:<br />
Weichen richtig stellen<br />
Am 7. Juli <strong>2010</strong> hat die EU-Kommission ein Grünbuch<br />
mit dem Titel „Angemessene, nachhaltige<br />
und sichere europäische Pensions- und Rentensysteme“<br />
veröffentlicht. Das Grünbuch, das von<br />
drei Generaldirektionen der EU (Beschäftigung<br />
und Soziales, Wirtschaft und Währung sowie Binnenmarkt)<br />
erarbeitet wurde, behandelt Fragen zur<br />
Alterssicherung in Europa im Allgemeinen und zur<br />
betrieblichen Altersvorsorge im Besonderen. Im<br />
32<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Grünbuch wird die derzeitige Situation der Alterssicherung<br />
beschrieben und eine Einschätzung der<br />
künftigen Entwicklung vorgenommen. Es beinhaltet<br />
14 als offen bezeichnete Fragen zur Alterssicherung,<br />
zu denen bis zum 15. November <strong>2010</strong><br />
Stellung genommen werden konnte. Auf der<br />
Grundlage der eingegangenen Stellungnahmen<br />
will die EU-Kommission im nächsten Jahr den weiteren<br />
gesetzgeberischen Handlungsbedarf überprüfen.<br />
In der BDA-Stellungnahme zum EU-Grünbuch<br />
wird vor allem betont, dass die mit dem<br />
Grünbuch angestoßene Debatte über die demografischen<br />
Herausforderungen in den Alterssicherungssystemen<br />
der EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich<br />
zu begrüßen ist. Zu unterstützen ist vor<br />
allem die Linie der EU-Kommission, die Mitgliedstaaten<br />
im Rahmen der EU-2020-Strategie zu<br />
einer Anpassung der Rentensysteme an die weiter<br />
steigende Lebenserwartung zu bewegen. Zutreffend<br />
ist insbesondere die Feststellung, dass die<br />
Verlängerung der Lebensarbeitszeit im Verhältnis<br />
zur Ruhestandsphase notwendig ist, um die Finanzierung<br />
der Alterssicherungssysteme nachhaltig zu<br />
sichern. Richtigerweise wird in dieser Analyse auch<br />
der Zusammenhang von unterlassenen Reformen<br />
der Alterssicherungssysteme und den daraus<br />
resultierenden Risiken für die öffentlichen Haushalte<br />
benannt. Die EU-Kommission liegt zudem<br />
mit ihrer Einschätzung richtig, dass aufgrund der<br />
notwendigen Reformen der nationalen Alterssicherungssysteme<br />
der betrieblichen und privaten<br />
Altersvorsorge künftig eine immer wichtigere Rolle<br />
zukommen wird, was auch in der Schwerpunktsetzung<br />
des Grünbuchs zum Ausdruck kommt.<br />
Für die BDA ist die offene Methode der<br />
Koordinierung der geeignete Rahmen. Ein weiter<br />
gehendes Verfahren seitens der EU sollte in Anbetracht<br />
der richtigen Prämisse des Grünbuchs,<br />
wonach die Gestaltung der Alterssicherungssysteme<br />
von den Mitgliedstaaten verantwortet werden<br />
muss, nicht erfolgen. Insbesondere wäre<br />
eine EU-weite Definition zur Angemessenheit von<br />
Rentenleistungen nicht hilfreich, da solche Definitionen<br />
nicht losgelöst von den Bedingungen in<br />
den Mitgliedstaaten gesetzt werden können.<br />
Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge<br />
sollte die EU – wie in der BDA-Stellungnahme<br />
deutlich gemacht – sehr zurückhaltend mit<br />
Regulierungsabsichten sein. Denn innerhalb der<br />
EU variiert die Ausgestaltung der betrieblichen<br />
Altersvorsorge in noch weit stärkerem Maß als<br />
bei den staatlichen Alterssicherungssystemen.<br />
Insbesondere besteht für einen EU-weiten einheitlichen<br />
Regelungsstandard der betrieblichen<br />
Altersvorsorge kein Bedarf. So ist vor allem die<br />
Aussage im Grünbuch, dass Betriebsrentenzusagen<br />
ein ernsthaftes Mobilitätshindernis für die<br />
Arbeitnehmer in der EU darstellten, in keiner<br />
Weise ausreichend belegt. Im Übrigen ist Arbeitnehmermobilität<br />
auch kein Selbstzweck und das<br />
Interesse der Arbeitgeber, Fachkräfte zu binden<br />
und zu halten, ebenfalls zu berücksichtigen. Die<br />
bisherigen Richtlinienvorschläge, die umfassende<br />
Standards in der betrieblichen Altersvorsorge<br />
vorsahen, hätten diese in Deutschland erheblich<br />
verteuert und mit zusätzlicher Bürokratie überzogen.<br />
Derartige Belastungen – die zu einem Rückzug<br />
der Arbeitgeber aus der freiwilligen betrieblichen<br />
Altersvorsorge führen würden – müssen<br />
jedoch vermieden werden, um das notwendige<br />
weitere Wachstum der betrieblichen Altersvorsorge<br />
nicht zu gefährden.<br />
Behutsamkeit ist auch bei der von der EU-<br />
Kommission im Grünbuch angekündigten Überprüfung<br />
der Pensionsfondsrichtlinie angebracht,<br />
schon weil diese Richtlinie erst in den letzten Jahren<br />
von den Mitgliedstaaten umgesetzt wurde.<br />
Das Regelwerk ist im Hinblick auf die strukturellen<br />
Unterschiede von ohne Gewinnerzielungsabsicht<br />
betriebenen Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge<br />
zu im Wettbewerb stehenden Lebensversicherungsunternehmen<br />
angemessen und<br />
grundsätzlich ausreichend. Insbesondere wäre<br />
die vollständige Übertragung der Vorgaben zur<br />
Eigenmittelausstattung (Solvency II) in die Pensionsfondsrichtlinie<br />
verfehlt, da sich in Deutschland<br />
die Risiken der Einrichtungen der betrieblichen<br />
Altersvorsorge wegen der subsidiären Arbeitgeberhaftung<br />
sowie des Insolvenzschutzes durch<br />
den PSV grundlegend von denen der privaten<br />
Lebensversicherungswirtschaft unterscheiden.<br />
Eine unnötig überhöhte Eigenmittelanforderung<br />
für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge<br />
würde die Träger unternehmen finanziell zusätzlich<br />
belasten, mit der Folge, dass diese mittelfristig<br />
ihre freiwilligen Zusagen einschränken müssten.<br />
Zudem darf der Anwendungsbereich der<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 33
Pensionsfondsrichtlinie in keinem Fall auf Direktzusagen<br />
und andere unbeaufsichtigte Formen der<br />
betrieblichen Altersvorsorge ausgedehnt werden,<br />
da bei diesen Organisationsformen kein Versorgungsträger<br />
Garantien für die Berechtigten übernimmt.<br />
An einem Regelungsbedürfnis fehlt es vor<br />
allem auch, weil in Deutschland der Arbeitgeber<br />
bei diesen Zusagen direkt verpflichtet ist und in<br />
dessen Insolvenzfall der PSV einspringt.<br />
Die im Grünbuch zu Recht aufgeworfene<br />
Frage nach einem probaten Unterscheidungskriterium<br />
zwischen Altersvorsorgesparen einerseits<br />
und sonstigen Sparvorgängen zur reinen Vermögensbildung<br />
andererseits sollte auch auf europäischer<br />
Ebene intensiv diskutiert werden. Für<br />
diesen Austausch bietet sich – wie bereits für die<br />
staatlichen Alterssicherungssysteme seit zehn<br />
Jahren praktiziert – die offene Methode der Koordinierung<br />
an, um auf diese Weise ein gemeinsames<br />
Verständnis für die Ziele und Anforderungen<br />
der zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge<br />
zu schaffen.<br />
Grünbuch lässt auf EU-Pläne schließen<br />
Die Struktur des Grünbuchs zeichnet sich durch 14 – als offen bezeichnete – Fragen sowie durch weitere<br />
Thesen im Fließtext aus. Die Aussagen bzw. Fragen beziehen sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:<br />
• Genereller Handlungsbedarf der EU, ob und welche Regelungen für Rentensysteme eingeführt<br />
werden müssen<br />
• Definition eines angemessenen Einkommens aus Rentenleistungen<br />
• Nachhaltigkeit der Alterssicherungssysteme<br />
• Automatische Anpassung der Alterssicherungssysteme an die demografische Entwicklung<br />
• Übertragbarkeit von Betriebsrentenansprüchen (wobei auf die Notwendigkeit einer entsprechenden<br />
Regelung im Text mehrfach hingewiesen wird)<br />
• Verbesserung von transnationalen Bedingungen für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge<br />
• Anwendungsbereich der Pensionsfondsrichtlinie, ggf. Einbeziehung von Direktzusagen<br />
• Überarbeitung der Solvabilitätsvorschriften für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge<br />
(Übertragung großer Teile aus Solvency II auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge wird<br />
angeregt)<br />
• Verbesserung des Insolvenzschutzes für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge<br />
• Mindestanforderungen an Informationen über Anwartschaften der betrieblichen Altersvorsorge<br />
34<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
EU-Finanzaufsicht: Interessen<br />
der betrieblichen Altersvorsorge<br />
angemessen sichern<br />
Die Errichtung einer zentralen europäischen<br />
Finanzaufsicht wurde vom Europäischen Parlament<br />
(EP) am 22. September <strong>2010</strong> beschlossen.<br />
Der Rat der EU-Finanzminister (ECOFIN)<br />
hat diesen Beschluss in seiner Sitzung vom<br />
17. November <strong>2010</strong> gebilligt. Entsprechend diesen<br />
Verordnungen werden zum 1. Januar 2011<br />
drei Finanzaufsichtsbehörden, von denen eine<br />
speziell für das Versicherungswesen und die<br />
betriebliche Altersvorsorge (EIOPA) zuständig<br />
sein soll, errichtet. Anders als die Vorgängereinrichtungen<br />
der entsprechenden Aufseherausschüsse<br />
sollen diese Behörden mit weitreichenden<br />
Kompetenzen ausgestattet werden.<br />
Das Ziel, die Finanzmarktaufsicht europaweit<br />
zu stärken, um einer erneuten Finanzmarktkrise<br />
vorzubeugen, ist grundsätzlich zu unterstützen.<br />
Insofern ist auch die Errichtung von zentralen Aufsichtsbehörden<br />
folgerichtig. Zu begrüßen ist vor<br />
allem, dass ursprüngliche Pläne der Kommission,<br />
die neue Aufsichtsbehörde EIOPA mit umfassenden<br />
Kompetenzen für die Setzung von Standards<br />
in der betrieblichen Altersvorsorge (z. B. Sterbetafeln,<br />
Rechnungszinssätze) auszustatten, auf<br />
Betreiben der BDA hin fallen gelassen wurden.<br />
Solche Standards müssen weiterhin auf nationaler<br />
Ebene gesetzt werden, weil nur auf diese Weise<br />
den nationalen Besonderheiten der betrieblichen<br />
Altersvorsorge hinreichend Rechnung getragen<br />
werden kann. Ebenfalls positiv ist, dass der Vorschlag<br />
des zuständigen EP-Ausschusses für Wirtschaft<br />
und Währung, einen eigenen europäischen<br />
Garantiefonds für Einrichtungen der betrieblichen<br />
Altersvorsorge einzuführen, auf Drängen der BDA<br />
nicht weiterverfolgt wurde. Ein solcher Garantiefonds<br />
wäre zum einen aufgrund der bestehenden<br />
deutschen Sicherungsmechanismen überflüssig.<br />
Zum anderen hätte die große Gefahr bestanden,<br />
dass deutsche Einrichtungen der betrieblichen<br />
Altersvorsorge für Einrichtungen in anderen Ländern<br />
einstehen müssten.<br />
Gemildert werden konnte zudem – auch<br />
auf Betreiben der BDA – die Gefahr einer doppelten<br />
Beaufsichtigung der Einrichtungen der<br />
betrieblichen Altersvorsorge durch die nationale<br />
Finanzaufsicht und durch EIOPA. So soll die<br />
Aufsicht im operativen Tagesgeschäft stets durch<br />
die nationale Aufsicht wahrgenommen werden.<br />
EIOPA soll bei EU-Rechtsverletzungen, in Krisenfällen<br />
sowie bei Meinungsverschiedenheiten<br />
zwischen zwei nationalen Aufsichtsbehörden<br />
„durchgreifen“ können. Hier wird das Zusammenspiel<br />
der Aufsichtsbehörden in der Praxis abzuwarten<br />
sein.<br />
Die BDA begrüßt, dass für die betriebliche<br />
Altersvorsorge eine eigene Interessengruppe<br />
bei EIOPA eingerichtet werden soll. Die konkrete<br />
Besetzung dieser Gruppe ist allerdings noch<br />
offen. Die BDA hat sich bei der Bundesregierung<br />
dafür eingesetzt, dass in die Gruppe genügend<br />
Sachverstand aus den Trägerunternehmen der<br />
betrieblichen Altersvorsorge aufgenommen wird<br />
sowie weitere Arbeitgeber, die die beaufsichtigten<br />
Durchführungswege der betrieblichen Altersvorsorge<br />
nutzen.<br />
Nationale Finanzaufsicht: Belange<br />
der betrieblichen Altersvorsorge<br />
stärker berücksichtigen<br />
Über die Struktur der Finanzaufsicht wird nicht<br />
nur in Europa, sondern auch auf nationaler Ebene<br />
diskutiert. So fordert der Koalitionsvertrag,<br />
dass die bisherige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(BaFin) künftig bei der<br />
Bundesbank angesiedelt werden soll. Seitdem<br />
wird um die konkrete Ausgestaltung der künftigen<br />
Aufsicht gerungen. Für die BDA steht bei<br />
dieser Debatte weniger die Frage der Kompetenzverteilung<br />
im Vordergrund als vielmehr eine<br />
stärkere Gewichtung der Belange der betrieblichen<br />
Altersvorsorge. Dies sollte auch in der künftigen<br />
Bezeichnung der Finanzaufsicht deutlich<br />
zum Ausdruck kommen. Aber auch die Aufsichtspraxis<br />
sollte Einrichtungen der betrieblichen<br />
Altersvorsorge weit stärker als eigenständige Art<br />
von Einrichtungen begreifen und nicht lediglich<br />
als „spezielle“ Lebensversicherungsunternehmen.<br />
Aus diesem Grund hat die BDA angeregt, auch in<br />
der nationalen Aufsicht – so wie auf europäischer<br />
Ebene in EIOPA – eine eigene Interessengruppe<br />
für die betriebliche Altersvorsorge als ergänzenden<br />
Fachbeirat einzurichten. Die Beteiligten<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 35
der BaFin sowie des Bundesministeriums der<br />
Finanzen haben eine Prüfung dieses Anliegens<br />
zugesagt.<br />
Gesetzliche Krankenversicherung:<br />
Finanzierungsreform belastet<br />
Arbeitgeber<br />
Am 17. Dezember <strong>2010</strong> hat der Bundesrat das<br />
„Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen<br />
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“<br />
(GKV-Finanzierungsgesetz) verabschiedet.<br />
Es beinhaltet die Anhebung des allgemeinen<br />
Beitragssatzes zur GKV von 14,9 % auf 15,5 %<br />
bei gleichzeitiger Festschreibung des Arbeitnehmer-<br />
und Arbeitgeberanteils, die Weiterentwicklung<br />
des Zusatzbeitrags und die Einführung eines<br />
Sozialausgleichs, Regelungen zur Ausgabenbegrenzung<br />
bei Ärzten, Krankenhäusern und den<br />
Krankenkassen sowie die Rückkehr von der dreijährigen<br />
zur einjährigen Wartefrist beim Wechsel<br />
in die private Krankenversicherung.<br />
Das primäre Ziel des Gesetzes, die Umsetzung<br />
der im Koalitionsvertrag vorgesehenen<br />
teilweisen Entkopplung der Krankheits- von den<br />
Arbeitskosten, wurde jedoch trotz der Weiterentwicklung<br />
des Zusatzbeitrags und der Festschreibung<br />
des Arbeitgeberanteils weitgehend nicht<br />
erreicht. Die kräftige Beitragssatzanhebung von<br />
14,9 % auf 15,5 % führt im Gegenteil kurzfristig<br />
sogar zu einer noch engeren Kopplung. Da auch<br />
nur der Teil des Ausgabenwachstums, der über<br />
die Grundlohnsummensteigerung hinausgeht,<br />
künftig über Zusatzbeiträge finanziert wird, bleibt<br />
die lohnbezogene Finanzierung der Krankenversicherung<br />
in der Hauptsache dauerhaft bestehen.<br />
Die Änderungen beim Zusatzbeitrag sind grundsätzlich<br />
sinnvoll und entsprechen den langjährigen<br />
Forderungen der BDA: Zum einen garantiert<br />
die ausschließlich einkommensunabhängige<br />
Erhebung, dass er seine Rolle als Preissignal voll<br />
entfalten kann und somit der Wettbewerb zwischen<br />
den Krankenkassen stimuliert wird. Zum<br />
anderen wird durch die Weiterentwicklung der<br />
bisherigen Überforderungsklausel (maximal 1 %<br />
des Einkommens bzw. 8 € pauschal) vermieden,<br />
dass Krankenkassen mit vielen einkommensschwachen<br />
Mitgliedern und vielen beitragsfrei<br />
Mitversicherten schlechtere Möglichkeiten der<br />
Finanzierung haben als Krankenkassen mit vielen<br />
einkommensstarken Mitgliedern und wenigen beitragsfrei<br />
Mitversicherten.<br />
Eine vollständige Abkopplung der Krankheitskostenfinanzierung<br />
von den Arbeitskosten<br />
gelingt damit jedoch bei Weitem nicht. Hierfür<br />
sind sehr viel weiter gehende Maßnahmen erforderlich.<br />
Die BDA tritt weiter dafür ein, die heutige<br />
Finanzierung auf eine einkommensunabhängige<br />
Gesundheitsprämie umzustellen, den Arbeitgeberanteil<br />
in den Bruttolohn auszuzahlen und für<br />
einkommensschwache Versicherte einen zielgenauen<br />
Sozialausgleich vorzusehen.<br />
Die für 2011 erwartete Finanzierungslücke in<br />
der GKV wird überwiegend mit der Beitragssatzanhebung<br />
(6,3 Mrd. €) und damit durch Arbeitgeber<br />
und Versicherte geschlossen, nur ein kleiner<br />
Teil (3,5 Mrd. €) wird über eine Begrenzung der<br />
Ausgabenzuwächse bei den Ärzten, Krankenhäusern<br />
und Krankenversicherungen gedeckt. Damit<br />
fallen die Einsparbemühungen viel zu bescheiden<br />
aus. Bei voraussichtlichen Gesamtausgaben<br />
von fast 180 Mrd. € machen sie gerade einmal<br />
2 % aus. Bei geschätzten Effizienzreserven in<br />
der GKV von bis zu 10 Mrd. € – was immerhin<br />
einem ganzen Beitragssatzpunkt in der GKV entspricht<br />
– bleibt der Gesetzgeber weit hinter den<br />
Einsparmöglichkeiten zurück. Anstatt mutig über<br />
die Ausgabenseite einen entscheidenden und vor<br />
allem einen nachhaltigen Beitrag zur Kostenbegrenzung<br />
– insbesondere über die Intensivierung<br />
des Wettbewerbs auf allen Ebenen – zu leisten,<br />
verteuert der Gesetzgeber durch die Anhebung<br />
des Arbeitgeberanteils von 7,0 % auf 7,3 % die<br />
Arbeitskosten und gefährdet damit die wirtschaftliche<br />
Erholung. Das widerspricht der Festlegung<br />
im Koalitionsvertrag, die Lohnzusatzkosten stabil<br />
zu halten.<br />
Zusätzliche bürokratische Belastungen für<br />
die Arbeitgeber bringt der Sozialausgleich. Dieser<br />
soll Versicherte vor einer finanziellen Überforderung<br />
durch Zusatzbeiträge schützen: Übersteigt<br />
der durchschnittliche Zusatzbeitrag innerhalb der<br />
GKV 2 % des beitragspflichtigen Einkommens<br />
des Arbeitnehmers (Rentners), soll der Arbeitgeber<br />
(Rentenversicherungsträger) den Versichertenanteil<br />
zur GKV um den übersteigenden Betrag<br />
reduzieren und an den Versicherten auszahlen.<br />
36<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Krankenversicherungskosten wachsen ungebremst<br />
in Mrd. €<br />
190<br />
180<br />
15,1<br />
170<br />
15,6<br />
160<br />
150<br />
2,5<br />
150,0<br />
4,0<br />
155,9<br />
7,2<br />
157,4<br />
158,0<br />
166,0<br />
4,2<br />
140<br />
137,8<br />
1,0<br />
140,1<br />
2,5<br />
140,3<br />
142,2<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
2003<br />
2004 2005 2006 2007 2008 2009 <strong>2010</strong> s 2011 s<br />
Beitragseinnahmen der GKV<br />
(inklusive Beiträgen aus geringfügiger Beschäftigung)<br />
Bundeszuschuss<br />
s: geschätzte Zahlen<br />
Quellen: Bundesministerium für Gesundheit; Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt; eigene Darstellung der BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 37
Die Abwicklung des Sozialausgleichs über die<br />
Arbeitgeber hat erhebliche Mehrbelastungen für<br />
die Betriebe bei der Entgeltabrechnung zur Folge:<br />
neue monatliche Nachweispflichten über die Höhe<br />
des erfolgten Sozialausgleichs, neue Meldepflichten<br />
bei Beschäftigten mit weiteren beitragspflichtigen<br />
Einnahmen und ein ganz neues Meldeverfahren<br />
zwischen Arbeitgebern und Krankenkassen.<br />
Einmaliges Entgelt ist in einem gesonderten, komplizierten<br />
Verfahren zu berücksichtigen. Aufwendige<br />
Rückrechnungen in der Entgeltabrechnung<br />
werden weiter zunehmen. Das Haftungsrisiko des<br />
Arbeitgebers im komplexen Beitragsrecht steigt<br />
abermals. Im Rahmen der Anhörung im Gesundheitsausschuss<br />
des Deutschen Bundestags hat<br />
sich die BDA deshalb sehr kritisch zum vorgesehenen<br />
Sozialausgleichsverfahren geäußert. Hier<br />
sowie bei zahlreichen weiteren Gesprächen hat sich<br />
die BDA mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass der<br />
Sozialausgleich nicht über die Arbeitgeber erfolgt,<br />
sondern über die gesetzlichen Krankenkassen. Sie<br />
sind bisher schon für den Schutz ihrer Versicherten<br />
vor Überforderung durch Zusatzbeiträge verantwortlich<br />
und entsprechend dem Zuzahlungsbefreiungsverfahren<br />
nach § 62 SGB V in der Lage, die<br />
gesamte Einkommenssituation ihrer Versicherten<br />
zu erfassen. Auf diese Weise kann der Sozialausgleich<br />
deutlich zielgenauer und damit gerechter<br />
organisiert werden.<br />
Einige Verbesserungen für die Arbeitgeber<br />
konnte die BDA im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens<br />
durchsetzen. Der Sozialausgleich bei<br />
sog. unständig Beschäftigten erfolgt ausschließlich<br />
durch die Krankenkassen. Und die höchst<br />
komplizierte sog. Störfallregelung für Wertguthaben<br />
in § 23b Abs. 2 SGB IV ist beim Sozialausgleichsverfahren<br />
nicht zu beachten.<br />
Sehr zu begrüßen ist die Rücknahme der<br />
sog. 3-Jahres-Regelung, für die sich die BDA<br />
starkgemacht hat. Damit ist ein Wechsel in die<br />
Handlungsbedarf in der gesetzlichen Krankenversicherung –<br />
überfällige Strukturreformen auf der Ausgabenseite angehen<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA, 18. Januar <strong>2010</strong> (Auszug)<br />
Auf der Ausgabenseite besteht dringender Reformbedarf: Dies zeigt sich bereits daran, dass Deutschland<br />
einerseits von allen OECD-Ländern die dritthöchsten öffentlichen Gesundheitsausgaben in Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts aufweist, andererseits beim medizinischen Leistungsstand aber nur einen<br />
mittleren Platz belegt. In vielen anderen Ländern sind die Menschen gesünder, leben länger, und das bei<br />
geringeren Kosten. Diese Diskrepanz offenbart gravierende Ineffizienzen im Leistungsgeschehen.<br />
Das BDA-Präsidium fordert, zur Effizienzsteigerung und Ausgabenbegrenzung in der GKV den Wettbewerb<br />
auf allen Ebenen zu intensivieren. Vertragsfreiheit ist dafür die zentrale Voraussetzung. Die<br />
Krankenkassen und ihre jeweiligen Verbände sollten daher das Recht erhalten, eigenständig mit Ärzten,<br />
Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern zu verhandeln sowie – unter Beachtung kartell- und<br />
wettbewerbsrechtlicher Vorschriften – Verträge über Preise, Mengen und Qualitäten abzuschließen. Darüber<br />
hinaus muss der Leistungskatalog der GKV auf eine Basissicherung begrenzt werden. Ziel sollte<br />
sein, dass grundsätzlich nur noch solche Leistungen finanziert werden, die notwendig, evidenzbasiert<br />
und wirtschaftlich sind. Notwendig ist auch der Ausbau der Eigenverantwortung der Versicherten: Mehr<br />
Selbstbeteiligung ist insbesondere in den Bereichen sinnvoll, in denen eine steuernde Wirkung auf das<br />
Verhalten der Versicherten zu erwarten ist.<br />
38<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
private Krankenversicherung – so wie bis zum Jahr<br />
2007 – wieder nach einmaligem Überschreiten der<br />
Jahresarbeitsentgeltgrenze möglich. Dadurch wird<br />
zum einen die in der vergangenen Legislaturperiode<br />
erfolgte Schwächung der privaten Krankenversicherung<br />
korrigiert, zum anderen entfallen für<br />
die Arbeitgeber die drei Jahre in die Vergangenheit<br />
gerichteten, äußerst aufwendigen Betrachtungen<br />
zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Gesetzliche Krankenversicherung“<br />
Kostenerstattung: Wettbewerb um<br />
die beste Versorgungsform<br />
Bereits nach geltendem Recht ist in der GKV die<br />
Wahl von Kostenerstattung statt von Sachleistungen<br />
möglich. Da von dieser Option aber nur<br />
wenig Gebrauch gemacht wird (nur rd. 0,2 % der<br />
Versicherten), hat die Bundesregierung im GKV-<br />
Finanzierungsgesetz das Kostenerstattungsprinzip<br />
als Instrument zur Förderung von Transparenz<br />
und Kostenbewusstsein gestärkt. Unter anderem<br />
sind die Bindungsfristen bei der Wahl von Kostenerstattungstarifen<br />
erheblich gekürzt worden.<br />
Ob Kostenerstattung zu mehr Kostenbewusstsein<br />
führt oder nicht, ist allerdings – sowohl<br />
in der Theorie als auch in der Praxis – nach wie<br />
vor umstritten. Zum einen steht dem Vorteil größerer<br />
Transparenz und Gestaltungsspielräume für<br />
die Versicherten der Nachteil verminderter Steuerbarkeit<br />
von Leistungen und zusätzlichen Verwaltungskosten<br />
auf der Kassenseite gegenüber.<br />
Zum anderen besteht auch im Sachleistungssystem<br />
die Möglichkeit, Leistungstransparenz und<br />
Kostenbewusstsein zu stärken, z. B. über Patientenquittungen<br />
und Zuzahlungsregelungen.<br />
Die BDA plädiert deshalb dafür, den Wettbewerb<br />
entscheiden zu lassen bzw. es jeder<br />
Krankenkasse freizustellen, ob und in welcher<br />
Ausgestaltung sie Kostenerstattung oder Sachleistungen<br />
anbietet. Gesetzliche Vorgaben zu<br />
Verwaltungskostenabschlägen oder Bindungsfristen<br />
bei Kostenerstattung sind kontraproduktiv. Sie<br />
behindern den Wettbewerb der Krankenkassen<br />
um die unter Qualitäts- und Kostenaspekten beste<br />
Versorgungsform. Sachgerecht ist einzig das<br />
Verbot einer Quersubventionierung der Kostenerstattung<br />
zu Lasten anderer Versichertenkollektive.<br />
Ein entsprechendes Positionspapier hat der<br />
BDA-Vorstandsausschuss „Soziale Sicherung“<br />
am 27. Oktober <strong>2010</strong> verabschiedet.<br />
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz:<br />
erster Schritt zu mehr<br />
Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb<br />
Am 17. Dezember <strong>2010</strong> hat der Bundesrat<br />
das Gesetz zur Arzneimittelmarktneuordnung<br />
(AMNOG) verabschiedet. Es sieht neben einer<br />
Nutzenbewertung neuer Arzneimittel innerhalb<br />
von drei Monaten ab Zulassung (sog. schnelle<br />
Nutzenbewertung) und Erstattungspreisverhandlungen<br />
zwischen Arzneimittelherstellern und dem<br />
GKV-Spitzenverband auch Regelungen zur konsequenten<br />
Anwendung von Wettbewerbs- und<br />
Kartellrecht auf die Vertragsbeziehungen zwischen<br />
Krankenkassen und Leistungserbringern<br />
sowie die Verstetigung und Weiterentwicklung<br />
von Rabattverträgen und eine Straffung der Regulierungsinstrumente<br />
im Arzneimittelbereich vor.<br />
Die BDA hat u. a. bei der Anhörung im<br />
Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags<br />
die schnelle Nutzenbewertung von<br />
Arzneimitteln und neuen Wirkstoffen sowie die<br />
vorgesehenen Neuregelungen zur Arzneimittelpreisfindung<br />
als ersten Schritt hin zu mehr Wirtschaftlichkeit<br />
in der GKV grundsätzlich begrüßt.<br />
Die schnelle Bewertung des (Zusatz-)Nutzens<br />
von neuen Medikamenten gegenüber einer Vergleichstherapie<br />
muss einen Beitrag dazu leisten,<br />
dass von den Krankenkassen in Zukunft<br />
im Arzneimittelbereich nur noch solche Leistungen<br />
übernommen werden, deren Nutzen und<br />
Wirtschaftlichkeit nachgewiesen sind. Die Einführung<br />
von Vertragsverhandlungen zwischen<br />
Arzneimittelherstellern und dem GKV-Spitzenverband<br />
über Erstattungsbeträge für Arzneimittel<br />
als neues Verfahren zur Arzneimittelpreisfindung<br />
für neue und innovative Arzneimittel führt zwar<br />
zu mehr Transparenz und einer angemessenen<br />
Berücksichtigung der Interessen beider Verhandlungspartner.<br />
Besser wäre es jedoch, wenn<br />
die Erstattungspreise im Wege wettbewerblicher<br />
Verhandlungen zwischen den Arzneimittelherstellern<br />
und den einzelnen Krankenkassen<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 39
zustande kämen. Positiv ist, dass die Neuregelungen<br />
im Bereich der GKV auch auf die private<br />
Krankenversicherung erstreckt werden und so<br />
nun auch hier die Möglichkeit der Kostensteuerung<br />
und Kostenbegrenzung verbessert wird.<br />
Die mit dem Gesetz ebenfalls erfolgte entsprechende<br />
Anwendung des Wettbewerbs- und<br />
Kartellrechts auf die GKV ist ebenfalls grundsätzlich<br />
zu begrüßen. Wenn Krankenkassen wie<br />
Unternehmen Verträge schließen (Selektivverträge),<br />
sollten für sie die gleichen wettbewerblichen<br />
Regelungen gelten. Denn Wettbewerb braucht<br />
einen staatlichen Regelungsrahmen, um sinnvoll<br />
funktionieren zu können. Wettbewerbsbeschränkungen,<br />
egal ob sie auf Seiten der Anbieter (Leistungserbringer)<br />
oder der Nachfrager (Krankenkassen)<br />
bestehen, sind schädlich. Die Anwendung<br />
des Wettbewerbs- und Kartellrechts auf die GKV<br />
muss daher gleichermaßen für die Anbieterseite<br />
(Leistungserbringer) und die Nachfragerseite<br />
(Krankenkassen) gelten. Dabei müssen auf Märkten<br />
mit vielen kleinen Anbietern oder Nachfragern<br />
(polypolistische Angebots- oder Nachfragestrukturen)<br />
Kooperationen, Zusammenschlüsse bzw.<br />
Arbeitsgemeinschaften – wie sie heute schon<br />
wettbewerbsrechtlich vorgesehen sind – auch<br />
künftig möglich sein, damit z. B. Leistungsanbieter<br />
mit kleinen Marktanteilen nicht dem Preisdiktat<br />
großer Nachfrager unterliegen. Wenn für Krankenkassen<br />
im selektivvertraglichen Bereich die<br />
gleichen wettbewerblichen Regelungen gelten<br />
wie für Unternehmen, so muss im Umkehrschluss<br />
aber auch gelten, dass dort, wo die Krankenkassen<br />
weiterhin kollektiv tätig werden müssen, das<br />
Wettbewerbsrecht ausgeschlossen ist und Kartellrecht<br />
keine Anwendung findet.<br />
Allerdings reicht es für eine wettbewerbliche<br />
Neuordnung der GKV nicht aus, das Wettbewerbs-<br />
und Kartellrecht auf die Vertragsbeziehungen<br />
zwischen Krankenkassen und<br />
Leistungserbringern anzuwenden. Darüber hinaus<br />
sollten die Beziehungen zwischen den Krankenkassen<br />
dem Wettbewerbsrecht unterworfen<br />
werden. Dies haben die Erfahrungen im Zusammenhang<br />
mit der Einführung von Zusatzbeiträgen<br />
deutlich gemacht. Es darf nicht mehr vorkommen,<br />
dass sich Krankenkassen bei der Bekanntgabe<br />
von Zusatzbeiträgen untereinander absprechen,<br />
um die damit verbundenen negativen<br />
Wettbewerbswirkungen zu mindern. Ebenso wie<br />
das Kartellrecht Autofahrer vor Absprachen über<br />
Benzinpreise schützt, muss dies auch für gesetzlich<br />
Krankenversicherte bei Absprachen über<br />
Zusatzbeiträge gelten. Dies zu verhindern hat<br />
der Gesetzgeber versäumt. Mindestens ebenso<br />
wichtig wie die Ausweitung des Wettbewerbsrechts<br />
auf die GKV ist darüber hinaus, wie von<br />
der BDA gefordert, die Ausweitung der wettbewerblichen<br />
Spielräume der Krankenkassen. Die<br />
Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen<br />
und Leistungserbringern sind nach wie vor ganz<br />
überwiegend kollektiv und damit nicht einzelvertraglich<br />
und damit wettbewerblich geregelt. Das<br />
vor allem muss sich ändern. Die Krankenkassen<br />
brauchen deutlich größere Spielräume, um die<br />
Versorgung ihrer Versicherten bestmöglich zu<br />
regeln. Dazu muss z. B. auch das Recht gehören,<br />
mit unwirtschaftlich arbeitenden Krankenhäusern<br />
keinen Versorgungsvertrag zu schließen oder auf<br />
einen gesonderten Hausärztevertrag zu verzichten.<br />
Auch diese notwendige Ausweitung der wettbewerblichen<br />
Spielräume wurde vom Gesetzgeber<br />
bisher versäumt.<br />
Erfreulich ist immerhin, dass auf das noch<br />
im Referentenentwurf vorgesehene Verbot von<br />
Pickup -Stellen (Bestell- und Abholservice für Arzneimittel,<br />
z. B. in Drogeriemärkten) verzichtet wurde.<br />
Die BDA hatte sich gegen diese Einschränkung<br />
des Arzneimittelvertriebs gewandt. Die für ein solches<br />
Verbot vorgebrachten Argumente, dass eine<br />
Abgabe von Arzneimitteln über Pickup-Stellen die<br />
Arzneimittelsicherheit beeinträchtige und der Eindruck<br />
entstehe, dass Arzneimittel wie „gewöhnliche“<br />
Waren in Geschäften frei erhältlich seien,<br />
war ebenso wenig überzeugend wie die angeblich<br />
gefährdete flächendeckende Versorgung der<br />
Bevölkerung mit Arzneimitteln. Vielmehr sollte im<br />
Interesse einer höheren Wettbewerbsintensität der<br />
Apothekenvertrieb liberalisiert werden, so wie es<br />
auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung<br />
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mehrfach<br />
vorgeschlagen hat. Dies verlangt auch die<br />
Abschaffung des wettbewerbsfeindlichen Mehrund<br />
Fremdbesitzverbots. Selbst wenn der Europäische<br />
Gerichtshof feststellt, dass das Fremdund<br />
Mehrbesitzverbot nicht gegen Europarecht<br />
verstößt, so ist diese Wettbewerbsbeschränkung<br />
keineswegs europarechtlich geboten. Bezahlbare<br />
Arzneimittel sind wichtiger als das Festhalten an<br />
40<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
überkommenen, zunftähnlichen Vertriebsstrukturen<br />
im Arzneimittelbereich. Hier besteht noch<br />
gesetzgeberischer Handlungsbedarf.<br />
Mit dem Gesetz wird schließlich auch die<br />
Regulierungsdichte im Arzneimittelbereich verringert,<br />
indem die Bonus-Malus-Regelung für Ärzte<br />
und die Regelung zur Verordnung besonderer<br />
Arzneimittel aufgehoben werden. Diese Straffung<br />
ist zwar notwendig, jedoch bei Weitem nicht<br />
ausreichend. Eine deutliche weitere Reduzierung<br />
der Regulierungsinstrumente im Arzneimittelbereich<br />
wäre möglich und nötig, wie wissenschaftliche<br />
Studien zeigen. Das vielschichtige Regulierungssystem<br />
im GKV-Arzneimittelmarkt umfasst<br />
demnach 27 Regulierungsinstrumente, die sich<br />
gegenseitig in unerwünschter Weise verstärken<br />
bzw. schwächen, überflüssig machen oder ihren<br />
angestrebten Effekt ausschließen. Die BDA fordert,<br />
dass alle bestehenden Instrumente – insbesondere<br />
auch im Hinblick auf ihre Wirkung auf<br />
die neu einzuführende schnelle Nutzenbewertung<br />
und die Vertragsverhandlungen zwischen GKV-<br />
Spitzenverband und Arzneimittelherstellern – auf<br />
bestehende Interdependenzen geprüft und auf<br />
das notwendige Mindestmaß reduziert werden.<br />
Europäische Sozialrechtskoordinierung:<br />
Verordnung (EG)<br />
Nr. 883/2004 bringt nicht nur<br />
Vorteile für die Arbeitgeber<br />
Nach Verabschiedung der Durchführungsverordnung<br />
(EG) Nr. 987/2009 im September 2009<br />
ist zum 1. Mai <strong>2010</strong> die Verordnung (EG)<br />
Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der<br />
sozialen Sicherheit in Kraft getreten. Die Verordnung<br />
regelt, welche Rechtsvorschriften im Bereich<br />
der sozialen Sicherungssysteme bei einer grenzüberschreitenden<br />
Erwerbstätigkeit anzuwenden<br />
sind, und ersetzt grundsätzlich die Verordnung<br />
(EWR) Nr. 1408/71, die bislang in diesem Bereich<br />
maßgeblich war. Ziel der neuen Verordnung ist<br />
es, im Bereich der Koordinierung der Systeme der<br />
sozialen Sicherheit klarere und einfachere Vorschriften<br />
für den Personenverkehr zu schaffen.<br />
Dies ist allerdings nur teilweise gelungen. Zu<br />
den positiven Neuerungen gehören insbesondere<br />
die Verlängerung des Entsendezeitraums von<br />
12 auf 24 Monate, die Umstellung beim Datenaustausch<br />
zwischen den zuständigen Trägern von<br />
Papierdokumenten auf elektronische Dokumente<br />
sowie die neuen Auskunftspflichten des zuständigen<br />
Sozialversicherungsträgers zum anzuwendenden<br />
Sozialversicherungsrecht. Jedoch ergeben<br />
sich durch die neue Verordnung auch einige<br />
Probleme in der Praxis. Diese beziehen sich vor<br />
allem auf den Wegfall des vereinfachten Verfahrenswegs<br />
bei kurzfristigen Entsendungen sowie<br />
den Wegfall der Sonderregelungen für das fliegende<br />
und fahrende Personal. Diese Probleme<br />
sollten bei der nationalen Umsetzung sowie bei<br />
den Beschlussfassungen der EG-Verwaltungskommission<br />
berücksichtigt werden. Dafür setzt<br />
sich die BDA in Gesprächen mit dem Bundesministerium<br />
für Arbeit und Soziales (BMAS), im<br />
Beratenden Ausschuss für die Koordinierung<br />
der Sozialversicherungssysteme sowie über<br />
BUSINESSEUROPE ein. Aktuell werden in diesem<br />
Zusammenhang Vorschläge für einfache und<br />
praktikable Verfahren für die Behandlung von in<br />
mehreren Mitgliedstaaten beschäftigten Personen<br />
des internationalen Transportgewerbes (z. B. Einführung<br />
einer sog. Home-Base-Regelung) vorangetrieben.<br />
Grenzüberschreitende Patientenrechte:<br />
EU-Patientenrechte-Richtlinie<br />
ist überflüssig<br />
Nachdem es dem Rat Ende 2009 nicht gelungen<br />
war, einen gemeinsamen Standpunkt zu verabschieden,<br />
war die geplante EU-Patientenrechte-<br />
Richtlinie vorerst gescheitert. Am 8. Juni <strong>2010</strong><br />
konnten die EU-Gesundheitsminister dann aber<br />
doch überraschenderweise eine politische Einigung<br />
über einen gemeinsamen Standpunkt erzielen.<br />
Diese kam auf Grundlage eines von Spanien<br />
Ende April <strong>2010</strong> vorgelegten neuen Kompromisstexts<br />
zustande. Bis auf Polen, Rumänien, die<br />
Slowakei und Portugal sprachen sich dabei alle<br />
Mitgliedstaaten für den Richtlinientext aus. Der<br />
gefundene Kompromiss sieht vor allem Änderungen<br />
in den Bereichen vor, die bislang von einigen<br />
Mitgliedstaaten als eine Gefahr für die finanzielle<br />
Tragfähigkeit ihrer Gesundheitssysteme angesehen<br />
wurden. So beinhaltet der Kompromiss z. B.<br />
eine Regelung, nach der für die Behandlungskosten<br />
der Auslandsrentner, die in ihrer Heimat<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 41
anfallen, der heimische Kostenträger und nicht das<br />
aushelfende System aufkommt. Ebenso ist vorgesehen,<br />
dass neben einem Vorabgenehmigungssystem<br />
(z. B. bei Krankenhausbehandlungen im<br />
Ausland) die Mitgliedstaaten die Übernahme der<br />
Kosten für eine grenzüberschreitende Behandlung<br />
auch ablehnen können, wenn durch die Übernahme<br />
ihre jeweiligen Sozialversicherungssysteme<br />
finanziell unterminiert bzw. eine ausgewogene<br />
Krankenhausversorgung gefährdet würde.<br />
Der Richtlinienvorschlag wird derzeit im EP<br />
in zweiter Lesung beraten. Wenn die Position<br />
des EP stark vom gemeinsamen Standpunkt des<br />
Rats abweichen sollte, schließt sich ein Vermittlungsverfahren<br />
an. Die BDA hat den Vorschlag als<br />
insgesamt überflüssig beurteilt und abgelehnt, da<br />
kein Regelungsbedarf besteht. Alle noch offenen<br />
Fragen zur Patientenmobilität lassen sich ebenso<br />
gut innerhalb des nationalen Rechts bzw. mit<br />
Hilfe der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 regeln.<br />
Auch ist für in Deutschland Versicherte die Kostenerstattungsmöglichkeit<br />
bereits weitgehend mit<br />
dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz zum<br />
1. Januar 2004 erfolgt. Zudem erfolgt in Deutschland<br />
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts<br />
schon heute die Übernahme der bei<br />
Auslandsrentnern im Versicherungsstaat anfallenden<br />
Behandlungskosten durch den heimischen<br />
Träger. Darüber hinaus birgt der Vorschlag die<br />
Gefahr, dass die EU ihren Einfluss auf die nationale<br />
Gesundheitspolitik ausweitet und damit<br />
das Subsidiaritätsprinzip unterlaufen wird. Eine<br />
ausführliche Stellungnahme zum Richtlinienentwurf<br />
hat die BDA in Zusammenarbeit mit der<br />
Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und<br />
-gestaltung (GVG) erarbeitet und in den Prozess<br />
eingespeist.<br />
Pflegeversicherung: Weiterentwicklungsgesetz<br />
belastet<br />
Beitragszahler<br />
Nach Berechnungen des Bundesministeriums<br />
für Gesundheit (BMG) hat die soziale Pflegeversicherung<br />
das Jahr 2009 mit einem Überschuss<br />
von 990 Mio. € abgeschlossen. Einnahmen von<br />
21,31 Mrd. € standen Ausgaben von 20,33 Mrd. €<br />
gegenüber. Grund für den Einnahmenüberschuss<br />
war vor allem die Anhebung des Beitragssatzes<br />
zum 1. Juli 2008 um 0,25 Prozentpunkte durch<br />
das „Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“. Hierdurch<br />
flossen den Pflegekassen 2009 rd. 2,6 Mrd. €<br />
zusätzlich an Beitragsmitteln zu. Insgesamt stiegen<br />
die Beitragseinnahmen 2009 um 7,8 % an.<br />
Auch auf der Ausgabenseite spiegeln sich<br />
die Maßnahmen des „Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes“<br />
deutlich wider. Vor allem die Anhebung<br />
der Sachleistungsbeträge bei häuslicher Pflege,<br />
die Erhöhung des Pflegegelds, die Steigerung<br />
der Pflegeleistungen bei stationärer Pflege (bei<br />
Pflege stufe III und in Härtefällen) sowie die bessere<br />
Betreuung von Personen mit eingeschränkter<br />
Alltagskompetenz haben bereits 2008 zu einem<br />
Ausgabenwachstum von 4,4 % beigetragen,<br />
das sich 2009 noch auf 6,2 % gesteigert hat. So<br />
ist die Zahl der Personen, die – insbesondere<br />
wegen Demenz – zusätzliche Betreuungsleistungen<br />
erhalten, von 70.000 (2007) auf 115.000 (2009)<br />
gestiegen. Gleichzeitig wurde die Betreuungsleistung<br />
von 460 € auf 1.200 € bzw. 2.400 € pro<br />
Jahr angehoben. Im stationären Bereich haben<br />
inzwischen – so das BMG – 70 % aller Pflegeheime<br />
zusätzliche Betreuungskräfte für demenziell<br />
erkrankte Heimbewohner eingestellt.<br />
Die Rücklagen der sozialen Pflegeversicherung<br />
haben sich zum Jahresende 2009 um rd.<br />
ein Viertel auf 4,80 Mrd. € bzw. 2,8 Monatsausgaben<br />
erhöht. Sie liegen damit in etwa wieder<br />
auf dem Niveau des Jahres 2003. Einen nennenswerten<br />
weiteren Rücklagenaufbau dürfte es<br />
<strong>2010</strong> jedoch nicht geben, da die Leistungssätze<br />
der Pflegeversicherung zum 1. Januar <strong>2010</strong><br />
nochmals angehoben worden sind. Bereits ab<br />
2011 werden die Beitragseinnahmen nicht mehr<br />
ausreichen, um die laufenden Ausgaben zu<br />
finanzieren. Um den drohenden Beitragssatzsteigerungen<br />
entgegenzuwirken – das BMG geht für<br />
das Jahr 2020 von einem Beitragssatz von 2,3 %<br />
aus –, sollten möglichst bald Reformmaßnahmen<br />
ergriffen werden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Pflegeversicherung“<br />
42<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Soziale Pflegeversicherung – positives Finanzergebnis nur durch<br />
Beitragssatzerhöhung<br />
Jahresüberschüsse und fehlbeträge<br />
in Mio. €<br />
1.200<br />
990<br />
900<br />
600<br />
630<br />
300<br />
0<br />
–300<br />
–30<br />
–130<br />
–60<br />
–380<br />
–360 –370<br />
–320<br />
–600<br />
–690<br />
–900<br />
–820<br />
–1.200<br />
1999<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
Quellen: Bundesministerium für Gesundheit und Bundesministerium für Arbeit und Soziales; eigene Darstellung der BDA; ohne Beachtung der<br />
einmaligen zusätzlichen Beiträge im Jahr 2006 durch die Vorverlegung der Beitragsfälligkeit (820 Mio. €)<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 43
Grundsätze zur Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA, 18. Januar <strong>2010</strong><br />
Kein anderer Sozialversicherungszweig wird so sehr durch die demografische Entwicklung getroffen wie<br />
die Pflegeversicherung. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen<br />
bis 2030 um rd. die Hälfte steigen wird. In ihren heutigen Strukturen ist die Pflegeversicherung jedoch<br />
in keiner Weise auf diese Entwicklung vorbereitet.<br />
Umlageverfahren durch kapitalgedeckte Risikovorsorge ergänzen<br />
Zur langfristigen Sicherung der Finanzierbarkeit von Pflegeleistungen ist eine ergänzende kapitalgedeckte<br />
Vorsorge unverzichtbar. Eine weiter ausschließliche Finanzierung über das heutige Umlagesystem<br />
würde angesichts der absehbaren demografischen Entwicklung zu massiven Beitragssatzsteigerungen<br />
in der Pflegeversicherung führen, damit die Arbeitskosten erhöhen und den Erhalt von Arbeitsplätzen<br />
erschweren. Außerdem käme es zu gravierenden Umverteilungen zu Lasten der nachfolgenden Generationen.<br />
In einem Kapitaldeckungssystem mit Alterungsrückstellungen ist die Demografieanfälligkeit demgegenüber<br />
erheblich geringer.<br />
Das BDA-Präsidium unterstützt daher die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, das bestehende Umlageverfahren<br />
durch eine verpflichtende und individualisierte kapitalgedeckte Vorsorge zu ergänzen.<br />
Pflegeprämienmodell mit sozialem Ausgleich einführen<br />
Die einseitig lohnbezogene Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung sollte durch Umstellung auf ein<br />
Pflegeprämienmodell mit sozialem Ausgleich ersetzt werden. Die BDA hat dazu ein umsetzungsfähiges<br />
Konzept entwickelt. Das Pflegeprämienmodell führt nicht nur zu einer deutlich beschäftigungsfreundlicheren<br />
Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung, es ist darüber hinaus auch weniger demografieanfällig<br />
und generationengerechter. Denn der Übergang vom Erwerbsleben in die Rente führt im Pflegeprämienmodell<br />
– anders als im bestehenden System mit lohnorientierten Beiträgen – nicht mehr zu Beitragsmindereinnahmen<br />
bei den Pflegekassen. Berechnungen haben ergeben, dass die fiskalischen Effekte der<br />
demografischen Veränderung durch die Einführung eines Pflegeprämienmodells bereits um ein Drittel<br />
verringert werden können.<br />
Das BDA-Präsidium fordert, die bisherige Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung mittelfristig auf<br />
ein Pflegeprämienmodell mit sozialem Ausgleich umzustellen.<br />
Ausgabenentwicklung begrenzen<br />
Alle Anstrengungen, die nachhaltige Finanzierbarkeit der sozialen Pflegeversicherung durch Strukturanpassungen<br />
auf der Einnahmenseite zu sichern, werden vergeblich sein, wenn nicht gleichzeitig auf der<br />
Leistungsseite Begrenzungen vorgenommen werden. Das ist bislang zu kurz gekommen, im Gegenteil<br />
wurden mit der letzten Pflegereform die Leistungssätze angehoben und dynamisiert sowie neue Leistungsansprüche<br />
geschaffen.<br />
Das BDA-Präsidium fordert, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs<br />
aufwandsneutral umzusetzen, die gesetzliche Dynamisierung der Leistungssätze zumindest<br />
auszusetzen und endlich auch in der Pflegeversicherung einen Kosten- und Qualitätswettbewerb einzuführen<br />
– sowohl zwischen den Pflegekassen als auch zwischen den Leistungsanbietern.<br />
44<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
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Unfallversicherung: Reform des<br />
Leistungsrechts steht weiter aus<br />
Die Umsetzung der Organisationsreform der<br />
gesetzlichen Unfallversicherung, die 2008 mit<br />
dem Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz<br />
(UVMG) beschlossen wurde, steht bezüglich der<br />
Fusionen der gewerblichen Berufsgenossenschaften<br />
kurz vor dem Abschluss. Nach dem UVMG ist<br />
eine Reduktion der Berufsgenossenschaften auf<br />
neun Träger als Ziel vorgesehen. Anfang <strong>2010</strong><br />
gab es noch 13 Berufsgenossenschaften, zum<br />
1. Januar 2011 wird das Ziel von neun Berufsgenossenschaften<br />
erreicht sein. Bis zu diesem<br />
Datum werden die zwei noch ausstehenden<br />
Fusionen, zum einen der Zusammenschluss der<br />
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten<br />
mit der Fleischerei-Berufsgenossenschaft,<br />
zum anderen die Fusion der Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft,<br />
Maschinenbau- und<br />
Metall-Berufsgenossenschaft, Berufsgenossenschaft<br />
Metall Nord Süd und der Holz-Berufsgenossenschaft,<br />
erfolgen.<br />
Die Reform des Leistungsrechts, die eigentlich<br />
schon mit dem UVMG erfolgen sollte, steht<br />
jedoch weiter aus. Im Koalitionsvertrag von CDU,<br />
CSU und FDP ist zwar eine zielgenauere Ausgestaltung<br />
des Leistungsrechts vorgesehen, und<br />
ursprünglich war auch für Ende März <strong>2010</strong> die Vorlage<br />
von Eckpunkten zur Leistungsrechtsreform<br />
in Aussicht gestellt worden. Passiert ist bislang<br />
jedoch nichts. Wann es zur Vorlage von Reformvorschlägen<br />
kommen wird, ist derzeit unklar. Die<br />
BDA wird weiter auf eine Reform des Leistungsrechts<br />
dringen. Denn nur durch eine Reform des<br />
Leistungsrechts kann die seit langem überfällige<br />
Beitragsentlastung der Unternehmen – die vor<br />
dem Hintergrund der steigenden Beitragslast in<br />
der Kranken- und Arbeitslosenversicherung umso<br />
notwendiger wird – erreicht werden. Angesichts<br />
der erfreulicherweise immer weiter sinkenden<br />
Unfallzahlen ist es immer weniger nachvollziehbar,<br />
warum diese Präventionserfolge der Betriebe<br />
sich nicht endlich in deutlich geringeren Unfallversicherungsbeiträgen<br />
niederschlagen.<br />
Neue Arbeitsstättenregeln:<br />
Mehraufwendungen für Betriebe<br />
minimieren<br />
Im Arbeitsstättenausschuss (ASTA), einer Einrichtung<br />
im Geschäftsbereich des BMAS, und seinen<br />
Gremien wurde im Jahr <strong>2010</strong> intensiv über die<br />
Frage diskutiert, inwieweit für Betriebe und ihre<br />
Arbeitsstätten Bestandsschutz besteht, wenn die<br />
bisherigen Arbeitsstättenrichtlinien durch neue<br />
Arbeitsstättenregeln (ASR) ersetzt werden und<br />
diese höhere Anforderungen festschreiben, als<br />
dies bisher der Fall war. Die Arbeitsgruppen des<br />
ASTA waren bislang bei der Erarbeitung von ASR<br />
davon ausgegangen, dass die neuen Anforderungen<br />
nur für „Neubauten“ gelten. Das BMAS hat<br />
dem widersprochen und erklärt, dass es keinen<br />
Bestandsschutz für Arbeitsstätten über die Regelungen<br />
in § 8 ArbStättV hinaus gebe.<br />
Die BDA hat gegenüber dem BMAS nachdrücklich<br />
deutlich gemacht, dass die Frage<br />
des Bestandsschutzes enorme wirtschaftliche<br />
Bedeutung hat und höhere Anforderungen in<br />
ASR (z. B. bei Fluchtwegen) sehr teure Umbaumaßnahmen<br />
in den Betrieben zur Folge haben<br />
können. Das BMAS hat daraufhin ein Papier zum<br />
Thema „Bestandsschutz“ erarbeitet, welches im<br />
September <strong>2010</strong> vom ASTA verabschiedet wurde.<br />
Darin wird zwar festgestellt, dass es keinen<br />
Bestandsschutz für bestehende Arbeitsstätten<br />
gibt. Es wird jedoch zugleich deutlich gemacht,<br />
dass höhere Anforderungen in ASR nur dann<br />
festgelegt werden dürfen, wenn diese mit dem<br />
Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene<br />
sowie sonstigen gesicherten wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen für Sicherheit und Gesundheit der<br />
Beschäftigten begründet werden können. Sofern<br />
so angepasste Bestimmungen in bestehenden<br />
Arbeitsstätten umfangreiche Änderungen oder<br />
unverhältnismäßig hohen Aufwand zur Folge<br />
haben, sollen in den betreffenden ASR alternative<br />
Gestaltungslösungen beschrieben werden,<br />
die es den Arbeitgebern ermöglichen, ein vergleichbares<br />
Niveau von Sicherheit und Gesundheitsschutz<br />
zu erreichen.<br />
Die BDA wird sich weiter dafür einsetzen,<br />
dass im ASTA Regeln erarbeitet werden, die für<br />
die Betriebe praktikabel und handhabbar sind<br />
46<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Risiko eines Arbeitsunfalls so gering wie noch nie<br />
Meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter<br />
150<br />
132,7<br />
120<br />
102,5<br />
90<br />
76,4<br />
60<br />
52,1<br />
37,1<br />
30<br />
27,3 25,0<br />
0<br />
1960<br />
1970 1980 1990 2000 2005 2009<br />
Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV); eigene Darstellung der BDA<br />
Die Arbeitssicherheit in der gewerblichen Wirtschaft hat sich weiter verbessert. Im letzten Jahr war das<br />
Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, so gering wie noch nie in der 125-jährigen Geschichte der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung. 2009 lag die sog. Arbeitsunfallquote bei 25 Fällen je 1.000 Vollarbeiter. Vor<br />
20 Jahren war die Unfallquote mit einem Wert von knapp 52 noch mehr als doppelt so hoch wie heute.<br />
Auch die absolute Zahl der Arbeitsunfälle sank 2009 erneut deutlich, und zwar um 9,6 % auf 782.736.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 47
und keine überzogenen Anforderungen an das<br />
Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten stellen.<br />
Vor diesem Hintergrund müssen alle bereits<br />
beschlossenen oder noch in der Erarbeitung<br />
befindlichen ASR genau darauf hin geprüft werden,<br />
ob sie mit den beschriebenen Grundsätzen<br />
des „Bestandsschutzpapiers“ übereinstimmen.<br />
Künstliche optische Strahlung:<br />
Sonnenstrahlung aus der<br />
Verordnung verbannt<br />
Die Verordnung zum Schutz der Arbeitnehmer<br />
vor Gefährdungen durch künstliche optische<br />
Strahlung ist im Juli <strong>2010</strong> in Kraft getreten. Sie<br />
behandelt tatsächliche und mögliche gesundheitliche<br />
Gefährdungen insbesondere der Augen<br />
und der Haut von Beschäftigten im Umgang mit<br />
künstlicher optischer Strahlung bei der Arbeit.<br />
In dem rechtskräftigen Text ist, wie von der BDA<br />
gefordert, kein Hinweis auf den Arbeitsschutz vor<br />
Sonneneinwirkung mehr enthalten. Die in dem<br />
Referentenentwurf enthaltene Ausweitung auf<br />
den Arbeitsschutz vor Sonneneinwirkung hätte<br />
ein nationales Aufsatteln auf die europäischen<br />
Vorgaben bedeutet.<br />
Auf Wunsch des Bundesrats sind in die Verordnung<br />
zusätzlich Regelungen für den Einsatz<br />
eines fachkundigen Laserschutzbeauftragten<br />
analog einer bestehenden Unfallverhütungsvorschrift<br />
aufgenommen worden. Die BDA konnte<br />
eine Präzisierung der Regelungen zum Einsatz<br />
der Laserschutzbeauftragten durchsetzen und<br />
den Einsatz der speziell qualifizierten Fachkundigen<br />
ausschließlich auf die Verwendung von<br />
Lasern beschränken.<br />
Bei der praktischen Umsetzung der neuen<br />
Regelungen zum Arbeitnehmerschutz beim Einsatz<br />
künstlicher optischer Strahlen gilt es, aufwendige<br />
Messungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilungen<br />
zu vermeiden. Auch in der Verordnung<br />
selbst heißt es daher, dass der Messaufwand für<br />
eine ordnungsgemäße Gefährdungsbeurteilung<br />
bei Anwendung künstlicher optischer Strahlung<br />
in einem vertretbaren Rahmen gehalten werden<br />
solle, indem Informationen des Herstellers der<br />
verwendeten Arbeitsmittel oder aus anderen ohne<br />
weiteres zugänglichen Quellen verwendet werden.<br />
Die BDA wird sich durch direkte Beteiligung im<br />
Ausschuss für Betriebssicherheit dafür einsetzen,<br />
dass die für die Unternehmen erforderlichen Informationen<br />
auch tatsächlich verfügbar sind bzw.<br />
erstellt werden.<br />
Psychische Gesundheit:<br />
Unternehmen aktiv<br />
Übereinstimmend melden die Krankenkassen<br />
in ihren Statistiken zur Arbeitsunfähigkeit einen<br />
überproportional steilen Anstieg in der Diagnosegruppe<br />
„psychischer Störungen“. Eine trennscharfe<br />
Analyse, wodurch dieser Anstieg bedingt<br />
ist, ist jedoch ebenso wenig möglich wie die Ursachenerforschung<br />
behandlungsrelevanter psychischer<br />
Störungen selbst. Allgemein anerkannt ist<br />
die Tatsache, dass psychische Störungen das<br />
Ergebnis eines multifaktoriellen Geschehens<br />
sind. Neben Einflüssen aus dem Arbeitsalltag<br />
spielen personenbezogene Einflüsse wie auch<br />
genetische/konstitutionelle Faktoren und das<br />
Privatleben eine Rolle. Das Engagement der<br />
Betriebe zur Stärkung der psychischen Gesundheit<br />
ihrer Belegschaften reicht deshalb oft weit<br />
über die Arbeitssphäre hinaus. Allerdings sind<br />
der Beeinflussbarkeit psychischer Störungen<br />
durch unternehmerisches Handeln aufgrund der<br />
multifaktoriellen Hintergründe letztlich Grenzen<br />
gesetzt.<br />
Erfolgversprechende Ansätze bei Unternehmen<br />
trennen bei den Maßnahmen klar zwischen<br />
der psychischen Belastung aus Arbeitsinhalten<br />
(generelles Vorgehen) und der Pflege der psychischen<br />
Gesundheit im Betrieb (individuelle<br />
Ansprache). Dabei können gerade auch bei der<br />
individuellen Ansprache Unternehmen mit anderen<br />
Stellen, wie z. B. dem werksärztlichen Dienst<br />
und/oder speziellen Beratungsdiensten (z. B.<br />
Schuldnerberatung, Suchtberatung), zusammenarbeiten.<br />
Einerseits sollte auffälligem Verhalten<br />
über sensible Führungsarbeit möglichst frühzeitig<br />
nachgegangen werden und andererseits sollten<br />
Strukturen für Hilfestellungen zur Verfügung<br />
gestellt werden, die Mitarbeitern als Anlaufstellen<br />
in Krisenfällen bekannt sind. Grundsätzlich gilt,<br />
dass Mitarbeitern in Krisen möglichst frühzeitig<br />
und kompetent in ihrem eigenen, aber auch<br />
im Interesse der Unternehmen geholfen wird.<br />
48<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
Modelle eines koordinierten Vorgehens mit Krankenkassen<br />
haben sich bereits in verschiedenen<br />
Unternehmen bewährt. Neben der Bildung eigener<br />
innerbetrieblicher Strukturen und damit verzahnter<br />
Netzwerke wie psychotherapeutischer<br />
Einrichtungen bedienen sich Unternehmen vermehrt<br />
externer Anbieter für umfassende Mitarbeiter-<br />
und Organisationsberatung.<br />
Die BDA tritt im Rahmen ihres Engagements<br />
in der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz für eine<br />
sachliche Behandlung des Themas „Psyche“ im<br />
betrieblichen Kontext ein. Dabei ist der falschen<br />
Herleitung, dass psychische Belastung aus der<br />
Arbeitsaufgabe zur psychischen Störung der Mitarbeiter<br />
führt, entgegenzutreten. Ferner informiert<br />
die BDA über erfolgreiche Firmenbeispiele und<br />
fördert den Erfahrungsaustausch der Unternehmen,<br />
z. B. als Mitveranstalter des Kongresses<br />
„Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz – was<br />
können Unternehmen tun?“, der am 22. November<br />
<strong>2010</strong> stattgefunden hat. Inhaltlich wird das<br />
Thema kompetent in BDA-Gremien wie dem<br />
Arbeitskreis „Psychische Belastung“ und dem<br />
Ausschuss „Arbeitssicherheit“ bearbeitet.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit“<br />
Beitragseinzug: Verfahren muss<br />
vereinfacht werden<br />
Auf Initiative der BDA wird derzeit die Ausgestaltung<br />
der sog. Weiterleitungsstellen, die den<br />
Beitragseinzug zur Sozialversicherung für die<br />
Arbeitgeber erleichtern sollen, überarbeitet. Die<br />
bislang vorgesehene gesetzliche Konzeption<br />
greift deutlich zu kurz, insbesondere weil danach<br />
die Weiterleitungsstellen nicht alle Aufgaben einer<br />
Einzugsstelle übernehmen, sondern lediglich<br />
Beiträge und Meldungen gesammelt entgegennehmen<br />
und dann an die weiterhin zuständig bleibenden<br />
ca. 160 Einzugsstellen/Krankenkassen<br />
weiterleiten. Damit ist jedoch wenig gewonnen.<br />
Die Arbeitgeber müssten auch weiterhin Krankenkassenbeiträge<br />
nach Krankenkassenzugehörigkeit<br />
getrennt kalkulieren und ausweisen und<br />
sich mit einer Vielzahl von Krankenkassen in allen<br />
Fragen des Mitgliedschafts-, Melde- und Beitragsrechts<br />
auseinandersetzen.<br />
Deshalb sollten den Weiterleitungsstellen<br />
alle Aufgaben einer Einzugsstelle übertragen<br />
werden. Dann könnten die Arbeitgeber bei einer<br />
Stelle das gesamte Beitragseinzugsverfahren für<br />
alle ihre Beschäftigten durchführen. Um dies zu<br />
erreichen, sollte der Gesetzgeber den Krankenkassen<br />
die Möglichkeit geben, die Aufgabe einer<br />
Weiterleitungsstelle zu übernehmen und alleinige<br />
Einzugsstelle für einen Arbeitgeber zu werden,<br />
wenn der Arbeitgeber dies beantragt. Hierdurch<br />
würden die Arbeitgeber erheblich von bürokratischem<br />
Aufwand beim Beitragseinzug entlastet.<br />
Zudem würde der Wettbewerb um eine kostengünstige<br />
Administration des Beitragseinzugsverfahrens<br />
gefördert und würden Effizienzgewinne<br />
beim Beitragseinzug erreicht.<br />
Auf Ressortebene zeichnet sich derzeit ab,<br />
dass – entsprechend dem BDA-Vorschlag – die<br />
Arbeitgeber ab 2012 optional eine Krankenkasse<br />
als allein zuständige Beitragseinzugsstelle wählen<br />
können. Die Arbeitgeber, die von der Option<br />
Gebrauch machen, müssen dann auch nur noch<br />
einen monatlichen Beitragsnachweis ausstellen.<br />
Umlageverfahren U1:<br />
verpflichtende Teilnahme beenden<br />
Die BDA setzt sich dafür ein, die bisher verpflichtende<br />
Teilnahme am U1-Verfahren freiwillig zu<br />
machen. Beim U1-Verfahren wird dem Arbeitgeber<br />
das nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz<br />
bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers fortgezahlte<br />
Arbeitsentgelt von den Krankenkassen<br />
erstattet. Finanziert wird das U1-Verfahren durch<br />
eine Arbeitgeberumlage. Den verpflichtend einbezogenen<br />
Kleinbetrieben (Arbeitgeber mit bis<br />
zu 30 Arbeitnehmern) entstehen nach Berechnungen<br />
des Instituts der deutschen Wirtschaft<br />
Köln (IW) durch die Administration des U1-Verfahrens<br />
jährliche Verwaltungskosten von 566 Mio. €.<br />
Hinzu kommen die von den Arbeitgebern über die<br />
U1-Umlage zu finanzierenden Verwaltungskosten<br />
der Krankenkassen von 130 Mio. € im Jahr. Der<br />
einzelne Arbeitgeber muss das U1-Verfahren mit<br />
jeder Krankenkasse durchführen, bei der einer<br />
seiner Beschäftigten versichert ist. Dementsprechend<br />
sind – je nach Satzung der Krankenkasse –<br />
jeweils unterschiedliche Erstattungssätze (derzeit<br />
über 200) und damit auch unterschiedliche<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 49
Umlage sätze zugrunde zu legen und vom Arbeitgeber<br />
zu berücksichtigen.<br />
Für ein obligatorisches Ausgleichsverfahren<br />
von Entgeltfortzahlungskosten besteht aber gar<br />
keine Notwendigkeit. Über den bürokratischen<br />
Aufwand hinaus bewirkt es, dass Betriebe mit<br />
niedrigem Krankenstand (z. B. aufgrund betrieblicher<br />
Gesundheitsförderung) ohne Grund für<br />
Betriebe mit hohem Krankenstand finanziell eintreten<br />
müssen. Die über das U1-Verfahren hergestellte<br />
kollektive Finanzierung von Entgeltfortzahlungskosten<br />
setzt damit auch negative Anreize zur<br />
Fehlzeitenreduzierung, zur betrieblichen Gesundheitsförderung<br />
und zur Prävention.<br />
Das obligatorische U1-Verfahren muss deshalb<br />
beendet werden. Soweit Kleinbetriebe<br />
dennoch an einem solchen Ausgleichsverfahren<br />
teilnehmen wollen, kann dies auf freiwilliger<br />
Grundlage geschehen. Sollte trotz der genannten<br />
Bedenken weiter an einer obligatorischen Teilnahme<br />
festgehalten werden, gilt es, zumindest den<br />
bürokratischen Aufwand des Verfahrens zu minimieren:<br />
Das U1-Verfahren sollte bei einer Stelle<br />
durchgeführt werden können. Der Arbeitgeber<br />
hätte dann einen einzigen Ansprechpartner und<br />
für alle seine Beschäftigten einheitliche Beitragsbzw.<br />
Erstattungssätze und insbesondere einheitliche<br />
Erstattungsregeln. Dadurch könnte die Bürokratiebelastung<br />
der Arbeitgeber deutlich reduziert<br />
werden.<br />
Die BDA ist derzeit in Gesprächen mit der<br />
Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen,<br />
um eine baldige Freiwilligkeit des U1-Verfahrens<br />
zu erreichen. Verabredet ist bereits, dass<br />
mindestens die von der BDA vorgeschlagenen<br />
Verfahrensvereinfachungen umgesetzt werden<br />
sollen.<br />
ELENA-Verfahren: Datensatz verschlanken und weitere Papierbescheinigungen<br />
einbeziehen<br />
Die Grundidee des ELENA-Verfahrens ist zweifellos gut. Der Arbeitgeber meldet einmal im Monat einen<br />
schlanken Entgeltdatensatz, statt viele unterschiedliche Papierbescheinigungen für seine Arbeitnehmer<br />
ausfüllen zu müssen.<br />
In der Praxis stellt sich die Lage allerdings noch anders dar. Zunächst sollen nur drei Papierbescheinigungen<br />
durch ELENA ersetzt werden, die meisten Bescheinigungspflichten bestehen in Papierform fort.<br />
Hinzu kommt, dass es der Gesetzgeber trotz zahlreicher Aufforderungen versäumt hat, die Leistungsberechnung<br />
für die betroffenen Sozialleistungen zu vereinfachen. Deshalb ist der vom Arbeitgeber zu<br />
meldende ELENA-Datensatz nicht so schlank, wie er sein könnte und müsste.<br />
Daher müssen jetzt schnellstmöglich weitere und im Ergebnis alle Papierbescheinigungspflichten der<br />
Arbeitgeber wegfallen und zukünftig mit ELENA abgewickelt werden, so wie es richtigerweise im Koalitionsvertrag<br />
vereinbart ist. Zudem müssen die in den Leistungsgesetzen festgeschriebenen jeweils höchst<br />
unterschiedlichen Datenanforderungen für die Bewilligung von staatlichen Sozialleistungen endlich harmonisiert<br />
werden.<br />
50<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung
ELENA-Verfahren: Normenkontrollrat<br />
unterstützt Optimierungsvorschläge<br />
der BDA – Koalition<br />
plant Startverschiebung auf<br />
Kosten der Unternehmen<br />
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat am<br />
13. September <strong>2010</strong> ein umfangreiches Gutachten<br />
zu den Auswirkungen des elektronischen Entgeltnachweisverfahrens<br />
(ELENA-Verfahren) hinsichtlich<br />
der Be- und Entlastungen für Wirtschaft,<br />
Bürger und Verwaltung vorgelegt. Das Gutachten<br />
bestätigt, dass das Verhältnis von Aufwand<br />
und Entlastung für die Arbeitgeber leider bislang<br />
nicht befriedigend ist – weder für kleine noch für<br />
große Betriebe. Zu Recht drängt der NKR deshalb<br />
darauf, weitere Papierbescheinigungen in<br />
das ELENA-Verfahren einzubeziehen sowie die<br />
zugrunde liegenden rechtlichen Regelungen zu<br />
vereinheitlichen und damit den ELENA-Datensatz<br />
deutlich zu verkleinern. Er stellt sich damit voll und<br />
ganz hinter die Forderungen der BDA.<br />
Am 18. November <strong>2010</strong> haben die Koalitionsspitzen<br />
beschlossen, dass der verpflichtende<br />
Datenabruf im ELENA-Verfahren von 2012<br />
auf 2014 verschoben werden soll. Die BDA hatte<br />
sich u. a. gegenüber dem Bundeskanzleramt,<br />
das den Koalitionsausschuss vorbereitet hatte,<br />
mit allem Nachdruck gegen eine Verschiebung<br />
des Datenabrufs ausgesprochen. Der jetzige<br />
Beschluss sorgt für neue zusätzliche Bürokratie<br />
für die Betriebe, die bis zu zwei Jahre länger<br />
die gleichen Daten parallel sowohl elektronisch<br />
melden als auch auf Papierformularen bescheinigen<br />
müssen. Statt die Betriebe schnellstmöglich<br />
durch ELENA von Bürokratie zu entlasten, werden<br />
sie jetzt zusätzlich durch Doppelmeldungen<br />
belastet.<br />
Deshalb gilt es jetzt umso mehr, dass endlich<br />
weitere Papierbescheinigungen wegfallen bzw.<br />
mit dem ELENA-Verfahren abgewickelt werden<br />
und eine Entlastung der Betriebe auch tatsächlich<br />
erreicht wird. Die BDA setzt sich des Weiteren<br />
dafür ein, dass die beteiligten Behörden von<br />
der Option eines früheren Datenabrufs Gebrauch<br />
machen und diesen so früh wie möglich starten.<br />
Das gilt insbesondere für die Bundesagentur für<br />
Arbeit, die nach derzeitigem Stand ab 2012 zum<br />
Datenabruf in der Lage sein wird. Die bisher von<br />
den Arbeitgebern gemeldeten Daten würden dann<br />
wie vorgesehen Verwendung finden.<br />
Arbeitgebermeldewesen: bessere<br />
Koordinierung dringend geboten<br />
Bislang fehlt es im Arbeitgebermeldewesen an<br />
einer konsistenten IT-Strategie der öffentlichen<br />
Hand. Die notwendige Koordinierung der bestehenden<br />
Aktivitäten findet nicht statt, ein übergreifendes,<br />
abgestimmtes Konzept ist nicht erkennbar.<br />
Stattdessen gibt es heute mehrere parallele<br />
Verfahren, z. B. das DEÜV-Meldeverfahren, mit<br />
dem die Arbeitgeber mit der Sozialversicherung<br />
kommunizieren, das neue ELENA-Verfahren<br />
oder das ElsterLohn-Verfahren im Bereich der<br />
Finanzverwaltung. Zudem existieren elektronische<br />
Datenaustauschverfahren etwa für das Krankengeld<br />
und die Umlageverfahren U1/U2 nach dem<br />
Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG).<br />
Es ist dringend geboten, die zahlreichen<br />
Verfahren stärker zusammenzuführen und für die<br />
Zukunft ein gebündeltes, multifunktionales (Melde-)Verfahren<br />
zu etablieren. Die zu meldenden<br />
Daten müssen dabei auf das absolut Notwendige<br />
beschränkt werden. Dies verlangt, dass die für<br />
den Bezug von (Sozial-)Leistungen maßgeblichen<br />
Voraussetzungen aufeinander abgestimmt werden<br />
(Harmonisierung der Berechnungsgrundlagen).<br />
Hierdurch reduziert sich der Bürokratie- und<br />
Kostenaufwand sowohl auf Seiten der Arbeitgeber<br />
als auch bei den Empfängern der Meldungen. Ein<br />
gebündeltes Verfahren kann zudem datenschutzrechtliche<br />
Belange besser erfüllen.<br />
Die BDA hat hierzu einen Dialog mit dem<br />
NKR und den fachlich zuständigen Bundesministerien<br />
begonnen. Die Bundesregierung, die<br />
derzeit an einer „Strategie zur digitalen Zukunft<br />
Deutschlands“ arbeitet, hat die Berücksichtigung<br />
der BDA-Vorschläge und die Einbindung der BDA<br />
in das weitere Verfahren zugesagt.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Soziale Sicherung 51
Wichtige Weichenstellungen für<br />
ein zukunftsfähiges Arbeitsrecht<br />
Im zu Ende gehenden Jahr hat kein anderes Thema<br />
die Diskussion über das Arbeits- und Tarifrecht<br />
so beherrscht wie die Tarifeinheit. Im Sommer<br />
und Herbst fanden in dichter Folge Symposien,<br />
Diskussionsrunden und Vortragsveranstaltungen<br />
statt. Unabhängig davon, ob Gegner oder Befürworter<br />
der Tarifeinheit, vertritt die überwältigende<br />
Zahl der Beiträge die weitgehend unbestrittene<br />
Auffassung, der Gesetzgeber müsse handeln.<br />
Dem Grunde nach sind sich (fast) alle einig, dass<br />
die Zersplitterung des Tarifvertragssystems eine<br />
Gefahr für die Tarifordnung in Deutschland als<br />
solche darstellt. Ständige Arbeitskämpfe oder die<br />
Gefahr ständiger Arbeitskämpfe, wie sie z. B. im<br />
Vereinigten Königreich in den 70er Jahren des<br />
vergangenen Jahrhunderts zum Niedergang der<br />
britischen Industrie und vor allem zur Zerstörung<br />
der englischen Tarifautonomie beigetragen haben,<br />
werden als Bedrohung des sozialen Friedens<br />
erkannt. So klar der Befund ist, so unterschiedlich<br />
ist die Bereitschaft, hieraus die richtigen Schlüsse<br />
zu ziehen. Zur Sicherung der Tarifautonomie ist<br />
eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit unverzichtbar.<br />
BDA und DGB haben hierzu bereits im<br />
Juni Eckpunkte vorgeschlagen. Diese müssen<br />
noch im Jahr <strong>2010</strong> aufgegriffen werden und in<br />
einen Gesetzentwurf münden.<br />
Die in der letzten Legislaturperiode in das<br />
Bundesdatenschutzgesetz eingefügte Regelung<br />
zum Arbeitnehmerdatenschutz muss weiterentwickelt,<br />
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit<br />
müssen gewahrt oder, wo sie durch die Neuregelung<br />
verloren gegangen sind, neu begründet<br />
werden. Die Bundesregierung hat hierzu einen<br />
ersten Gesetzentwurf vorgelegt, der die Voraussetzungen<br />
eines modernen Datenschutzrechts im<br />
Beschäftigungsverhältnis noch nicht erfüllt. Der<br />
Entwurf strotzt vor neuer Unsicherheit und neuen<br />
unbestimmten Rechtsbegriffen, er beseitigt<br />
weitgehend wichtige Regelungsmechanismen,<br />
wie die Einwilligung des Arbeitnehmers oder<br />
die Betriebsvereinbarung, und ist geeignet, die<br />
Bekämpfung von Vertrags- und Gesetzesverstößen<br />
in den Unternehmen zu behindern. Diese<br />
Kriminalitäts- und Korruptionsbekämpfung ist ein<br />
wesentliches Anliegen im Sinne der Arbeitnehmer<br />
und der Arbeitgeber. Sie muss gewährleistet bleiben.<br />
Datenschutz steht nicht im Widerspruch zur<br />
Einhaltung unternehmensinterner Regeln (Compliance),<br />
er setzt diese vielmehr voraus, weil auch<br />
der Datenschutz Teil der unternehmensinternen<br />
Regelbefolgung ist. Daher muss Datenschutz seinen<br />
Beitrag leisten, die Einhaltung von Vertragspflichten<br />
und Gesetzen zu unterstützen.<br />
Gefährlich, überflüssig und bürokratisch ist<br />
der Vorschlag des Bundesministeriums für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend, ein Gesetz zur<br />
Familienpflegezeit zu schaffen. Es gibt bereits<br />
eine umfassende Zahl von Tarifverträgen und<br />
Betriebsvereinbarungen, die entsprechende Materien<br />
interessengerecht regeln. Darüber hinaus<br />
gibt es mit dem Pflegezeit- und dem Teilzeit- und<br />
Befristungsgesetz (TzBfG) weitere Ansprüche auf<br />
Arbeitszeitreduzierung. Langzeitkonten (Wertguthaben)<br />
können Pflegewünsche erleichtern helfen.<br />
Warum dann in einem eigenen Gesetz neben dem<br />
Pflegezeitgesetz ein weiterer Pflegezeitanspruch<br />
geschaffen werden soll, erschließt sich nicht. Dies<br />
gilt besonders auch für die Ausdehnung von Sonderkündigungsschutz<br />
und Kündigungsschutz.<br />
Beschäftigungsformen, die sich neben dem<br />
teilweise als „Normalarbeitsverhältnis“ apostrophierten<br />
unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis<br />
etabliert haben, haben einen wesentlichen Anteil<br />
daran, dass Beschäftigung gesichert und neue<br />
Beschäftigung geschaffen wird. Gerade die Krise<br />
und die Krisenbewältigung haben dies für zwei<br />
klassische Formen solcher Beschäftigungsverhältnisse<br />
gezeigt, nämlich Befristung und Zeitarbeit.<br />
Befristete Arbeitsverhältnisse sind neben<br />
der Zeitarbeit ein Motor für neue Beschäftigung.<br />
Ihre Weiterentwicklung ist sinnvoll und längst<br />
geboten. Zu Recht verspricht der Koalitionsvertrag<br />
daher Beschäftigungssuchenden und<br />
Arbeitslosen die Aufhebung des völlig widersinnigen<br />
Beschäftigungsverbots in Form des Ersteinstellungsgebots.<br />
Dies ist überfällig und wird von<br />
der BDA schon lange gefordert. Es ist höchst<br />
bedauerlich, dass sich bis heute keine Schritte<br />
abzeichnen, dem Versprechen des Koalitionsvertrags<br />
Taten folgen zu lassen. Dabei bleibt der<br />
Koalitionsvertrag noch weit hinter dem zurück,<br />
was die europäische Befristungsrichtlinie ermöglicht.<br />
Die Abschaffung des Ersteinstellungserfordernisses<br />
und seine Ersetzung durch ein<br />
54<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Neueinstellungserfordernis mit einer Karenzzeit<br />
von zwölf Monaten wären ein richtiger Schritt.<br />
Ein solcher macht zwar grundlegende Reformen<br />
im Individualarbeitsrecht generell nicht überflüssig,<br />
insbesondere das Beschäftigungshemmnis<br />
Kündigungsschutz muss angegangen werden, er<br />
zeigt aber, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland<br />
überhaupt noch reformfähig und -willig ist.<br />
Das Fehlen dieser Reformfähigkeit hat in<br />
erschreckender Weise den diesjährigen Deutschen<br />
Juristentag in der Abteilung Arbeitsrecht<br />
geprägt. In wilder Entschlossenheit haben<br />
200 Gewerkschaftssekretäre jede Reform des<br />
Arbeitsmarkts zu Gunsten von Beschäftigungsaufbau<br />
und Beschäftigungssicherung niedergestimmt.<br />
Im Bereich Zeitarbeit wurden sogar die<br />
eigenen Zeitarbeitstarifverträge „weggestimmt“.<br />
Diese Instrumentalisierung des Juristentags birgt<br />
große Gefahren für die wichtigste juristische<br />
Großveranstaltung innerhalb der Bundesrepublik.<br />
Zu keinem anderen Zeitpunkt trifft sich die gleiche<br />
Zahl hochkarätiger Wissenschaftler, Richter,<br />
Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Gewerkschaftsund<br />
Verbandsjuristen wie auf diesen alle zwei<br />
Jahre stattfindenden Treffen. Der offene Diskurs<br />
und das Ringen um die richtige Lösung müssen<br />
in allen Abteilungen gewahrt bleiben. Wer<br />
den Juristentag zum Spielball einer Interessengruppe<br />
macht, gefährdet seine Akzeptanz. Die<br />
Bereitschaft, nicht nur mit Mitgliedsbeiträgen die<br />
Organisation zu stützen, sondern darüber hinaus<br />
durch Engagement und eigene Beiträge den Treffen<br />
zum Erfolg zu verhelfen, kann empfindlichen<br />
Schaden erleiden. Die Ständige Deputation und<br />
der Abteilungsvorstand sind aufgefordert, denen<br />
durch gezielte Maßnahmen entgegenzuwirken,<br />
die den Ruf des Juristentags bleibend schädigen<br />
können.<br />
Die Bereitschaft von Arbeitgebern und<br />
Arbeitgeberverbänden, sich auf dem Juristentag<br />
zu engagieren, rührt von der Kenntnis her,<br />
dass Recht einem Staatswesen Struktur und<br />
Akzeptanz verschafft. Dies gilt nicht allein für<br />
das Arbeitsrecht und seine befriedende Wirkung<br />
auf Arbeitsbeziehungen, es gilt für die Rechtsordnung<br />
insgesamt. Auf europäischer Ebene<br />
erwächst dabei mit der EU-Kommission und vor<br />
allem mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)<br />
ein weiterer für Deutschland bedeutender, ja<br />
immer wichtiger werdender Mitspieler. Der EuGH<br />
etabliert sich faktisch zwischen Fachobergericht<br />
und Verfassungsgericht für die 27 Staaten<br />
der Europäischen Union. Wie alle Institutionen<br />
entwickelt der EuGH die Tendenz immer weiter,<br />
seine Kompetenzen tief in das nationale Recht<br />
hineinwirken zu lassen. Ein Beispiel des Jahres<br />
<strong>2010</strong> ist die sog. Kücükdeveci-Entscheidung,<br />
die dem Grunde nach das Ermessen der Richter<br />
in Luxemburg an die Stelle des Ermessens<br />
des deutschen Gesetzgebers bei der Umsetzung<br />
europäischer Richtlinien setzt. Diese Entscheidung<br />
wirft verschiedenste verfassungsrechtliche<br />
Fragen auf. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht<br />
(BVerfG) in seiner Lissabon-Entscheidung<br />
Grenzen für die rechtsprechende und rechtsetzende<br />
europäische Gewalt definiert, deren Einhaltung<br />
bedarf aber der Kontrolle. Diese Kontrolle<br />
kann das BVerfG nicht in jedem Einzelfall allein<br />
leisten, sie obliegt vielmehr in erster Linie Parlament<br />
und Regierung. Beide sind aufgefordert,<br />
Regelungsmechanismen zu entwickeln und auf<br />
europäischer Ebene durchzusetzen, die Rechtssicherheit<br />
und Rechtsvertrauen in der Bundesrepublik<br />
Deutschland stärken.<br />
Ein Beitrag, zwar nicht auf Ebene des Gesetzgebers<br />
oder der Rechtsprechung, wohl aber auf<br />
wissenschaftlichem Gebiet für mehr Rechtsklarheit<br />
zu sorgen, ist die Zeitschrift für Arbeitsrecht (ZfA),<br />
deren Redaktion in der bewährten Hand der BDA<br />
liegt. Sie gehört zu den großen bedeutenden,<br />
den Hintergrund beleuchtenden Zeitschriften des<br />
Rechts in Deutschland, vergleichbar dem „Archiv<br />
für die Civilistische Praxis“ oder der Zeitschrift „Der<br />
Staat“. Unsere ZfA ist in diesem Jahr 40 Jahre alt<br />
geworden. Die BDA wird auch weiter ihren Beitrag<br />
dazu leisten, der Stimme des Arbeitsrechts unbeeinflusst<br />
Gehör zu verschaffen. Dies ist, wie die<br />
Entwicklung in Rechtsprechung und Gesetzgebung<br />
zeigt, nie dringlicher gewesen als heute.<br />
Tarifeinheit gesetzlich regeln –<br />
Tarifautonomie sichern<br />
Am 7. Juli hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts<br />
(BAG) mit seinem Endurteil den Grundsatz<br />
der Tarifeinheit aufgegeben. Schon der Beschluss<br />
des Senats vom 27. Januar, den Zehnten Senat<br />
hierzu anzufragen, sowie die Zustimmung des<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 55
Zehnten Senats vom 23. Juni <strong>2010</strong> ließen diese<br />
Entscheidung erwarten. Dies kann zu einer Zersplitterung<br />
des Tarifvertragssystems, einer Spaltung<br />
der Belegschaften und einer Vervielfachung<br />
kollektiver Konflikte führen.<br />
Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer jederzeit<br />
damit rechnen müssen, Arbeitskämpfen<br />
einzelner Spartenorganisationen ausgesetzt zu<br />
sein, drohen englische Verhältnisse. Ständige<br />
Arbeitskämpfe unterschiedlicher Gruppen haben<br />
im Vereinigten Königreich in den 1970er Jahren<br />
die Tarifautonomie weitgehend zerstört und zur<br />
Deindustrialisierung des Landes beigetragen. Das<br />
deutsche System der Flächen- und Branchentarifverträge<br />
ist auf die Tarifeinheit angewiesen.<br />
Ohne die Tarifeinheit ist der Flächentarifvertrag,<br />
den die Sozialpartner in den letzten Jahren nachhaltig<br />
modernisiert und insbesondere durch Öffnungsklauseln<br />
attraktiver gestaltet haben, im Kern<br />
gefährdet.<br />
Die Tarifautonomie als Ausdruck der Koalitionsfreiheit<br />
hat sich in Deutschland bewährt: Auf<br />
Grundlage einer gewachsenen Vertrauenspartnerschaft<br />
zwischen den Sozialpartnern prägen<br />
Tarifverträge die Gestaltung der Arbeitsbedingungen.<br />
Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet, dass sich<br />
die Koalitionen im Wirtschaftsleben betätigen<br />
und Einfluss nehmen. Der Befriedungseffekt auf<br />
das Arbeits- und Wirtschaftsleben sowie die Planungssicherheit,<br />
die von Tarifverträgen ausgehen,<br />
sind dabei unverzichtbar.<br />
Die Tarifeinheit ist eine Säule der Tarifautonomie,<br />
weil sie der Zersplitterung des Tarifvertragssystems<br />
wirksam entgegenwirken kann. Der<br />
Gesetzgeber muss die Tarifeinheit im bestehenden<br />
Tarifvertragsgesetz gesetzlich regeln.<br />
In seinem Urteil betont das BAG, dass eine<br />
gesetzliche Grundlage für den Grundsatz der<br />
Tarifeinheit nicht bestehe. Die Ausgestaltung<br />
der Koalitionsfreiheit obliege dem Gesetzgeber.<br />
Bereits Anfang Juni haben BDA und DGB daher<br />
einen gemeinsamen Vorschlag vorgestellt, die<br />
Tarifeinheit gesetzlich zu regeln, um die Funktionsfähigkeit<br />
der Tarifautonomie zu sichern. Mit<br />
der Verständigung über diese Eckpunkte ist ein<br />
fast dreijähriger Erörterungsprozess mit dem DGB<br />
zu einem Abschluss gelangt.<br />
Der gemeinsame Vorschlag sieht folgende zentralen<br />
Elemente vor:<br />
• Bei sich überschneidenden, konkurrierenden<br />
Tarifverträgen hat derjenige Vorrang, an<br />
den die meisten Gewerkschaftsmitglieder<br />
im Betrieb gebunden sind. Schon bisher ist<br />
das Repräsentativitätsprinzip dort angewendet<br />
worden, wo gleich spezielle Tarifverträge<br />
aufeinandergestoßen sind (z. B. im Verhältnis<br />
von Flächen- zu Flächentarifvertrag oder<br />
von Haus- zu Haustarifvertrag).<br />
• Ein weiteres zentrales Element ist die Friedenspflicht.<br />
Diese wird im Tarifvertragsgesetz<br />
bestätigt. Während der Laufzeit eines Tarifvertrags,<br />
der für den Betrieb und die in ihm<br />
beschäftigten Arbeitnehmer maßgeblich ist,<br />
gilt die Friedenspflicht für alle Tarifverträge.<br />
Nach Ablauf der Friedenspflicht des repräsentativen<br />
Tarifvertrags kann jede Gewerkschaft<br />
ihre Ziele geltend machen und ggf. um diese<br />
Ziele auch einen Arbeitskampf führen.<br />
Wie bisher bedeutet die von BDA und DGB<br />
vorgeschlagene gesetzliche Regelung kein Monopol<br />
für bestimmte Tarifvertragsparteien. Sie schafft<br />
vielmehr Rechtsklarheit für den Fall einer Kollision<br />
unterschiedlicher Tarifverträge. Tarifeinheit hat nie<br />
bedeutet und wird auch zukünftig nicht bedeuten,<br />
dass Monopole für Tarifverhandlungen geschaffen<br />
werden. Es wird auch in Zukunft unterschiedliche<br />
Gewerkschaften geben und es wird auch Konkurrenz<br />
und Wettbewerb zwischen Gewerkschaften<br />
geben. Es soll lediglich sichergestellt sein, dass<br />
entsprechend dem bisherigen Grundsatz der<br />
Tarifeinheit Klarheit darüber besteht, welcher<br />
Tarifvertrag angewandt wird, und dass während<br />
der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrags Friedenspflicht<br />
besteht.<br />
Der Regelungsvorschlag zur Tarifeinheit<br />
steht einer vereinbarten Tarifpluralität nicht entgegen.<br />
Wenn Tarifverträge, die im selben Betrieb<br />
gelten, sich nicht in ihrem Anwendungsbereich<br />
überschneiden, können beide Tarifverträge im<br />
Betrieb angewendet werden. Es bleibt völlig unberührt,<br />
dass einvernehmlich mit unterschiedlichen<br />
Gewerkschaften für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen<br />
Tarifverträge vereinbart werden können.<br />
Die Rechtslage für eine solche vereinbarte<br />
56<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Tarifpluralität bleibt völlig unverändert. Das gilt<br />
auch für die Bildung von Tarifgemeinschaften<br />
verschiedener Gewerkschaften, die unverändert<br />
möglich sind. Es soll allein verhindert werden,<br />
dass die Tarifautonomie durch eine Vielzahl sich<br />
überschneidender Tarifverträge beliebig zerlegt<br />
werden kann. Ebenso möglich bleiben Anerkennungs-<br />
und Anschlusstarifverträge.<br />
Da es arbeits- oder tarifrechtliche Gründe<br />
gegen die Tarifeinheit nicht gibt, verlagert sich<br />
die Diskussion über eine gesetzliche Regelung<br />
immer stärker auf das Verfassungsrecht. Die<br />
Tarifeinheit als Ordnungssystem ist eine unverzichtbare<br />
Bedingung, um die von der Verfassung<br />
gewährleistete Tarifautonomie funktionsfähig zu<br />
halten. Die Tarifeinheit ist mit der Koalitionsfreiheit<br />
in diesem Sinne nicht nur zu vereinbaren, sie<br />
ist sogar von ihr geboten. Auch mehrere Verfassungsrechtler<br />
haben mittlerweile bestätigt, dass<br />
eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit auf der<br />
Grundlage des geltenden Art. 9 Abs. 3 GG möglich<br />
ist und von der Einschätzungsprärogative<br />
des Gesetzgebers gestützt wird. Dies hat auch<br />
die Diskussion auf dem vom Bundesministerium<br />
für Arbeit und Soziales (BMAS) am 7. September<br />
durchgeführten Symposium zur Tarifeinheit deutlich<br />
gemacht.<br />
Ob es sich bei der Tarifeinheit um eine Ausgestaltung<br />
oder einen Eingriff in die Tarifautonomie<br />
handelt, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben.<br />
Gute Gründe sprechen dafür, in der Tarifeinheit<br />
eine Ausgestaltung der Tarifautonomie zu sehen.<br />
Sowohl Ausgestaltung als auch Eingriff lassen<br />
sich vor dem Hintergrund einer Abwägung der<br />
unterschiedlichen aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden<br />
Rechte rechtfertigen.<br />
Der Vorschlag von BDA und DGB wird im<br />
Ergebnis dazu führen, dass Tarifverhandlungen<br />
und etwaige Arbeitskämpfe zeitlich synchronisiert<br />
werden und die Kooperation unterschiedlicher<br />
Tarifakteure zunehmen wird. In der Praxis wird es<br />
nur ganz selten zu Rechtsstreitigkeiten wegen der<br />
Repräsentativität kommen. Denkbar sind lediglich<br />
die beiden Fälle, dass der Arbeitnehmer einen<br />
Anspruch aus einem nicht repräsentativen Tarifvertrag<br />
einklagt oder dass der Arbeitgeber per einstweiliger<br />
Verfügung einen angedrohten Arbeitskampf<br />
einer Spartengewerkschaft stoppt.<br />
Mittlerweile liegen verschiedene Alternativkonzepte<br />
zur Neuregelung der Tarifeinheit vor.<br />
Alle Konzepte eint die Einschätzung, dass die<br />
Rechtsprechung des BAG die Tarifautonomie<br />
untergraben kann, weil sie deren Funktionsfähigkeit<br />
gefährdet. Es werden unterschiedliche<br />
Lösungsansätze vertreten. So hat etwa die Monopolkommission<br />
in ihrem XVIII. Hauptgutachten die<br />
Möglichkeit betont, Zwangstarifgemeinschaften<br />
vorzusehen. Diese Alternativkonzepte enthalten<br />
teils empfindlichere Eingriffe in die Tarifautonomie,<br />
teils sind sie nicht geeignet, nachhaltig Friedenswirkung<br />
und Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems<br />
zu garantieren. Sie stellen daher<br />
keine belastbare Alternative zu dem gemeinsamen<br />
Vorschlag von BDA und DGB dar.<br />
Auch der Vorschlag der Professorengruppe<br />
um Prof. Dr. Gregor Thüsing und Prof. Dr. Ulrich<br />
Preis stellt keine Alternative dar. Der Vorschlag<br />
regelt Tarifeinheit ausschließlich bezogen auf<br />
die jeweils betroffene Arbeitnehmergruppe. Maßgeblich<br />
soll also nach dem Mehrheitsprinzip die<br />
stärkere Organisation in der jeweiligen Arbeitnehmergruppe<br />
und nicht im gesamten Betrieb sein.<br />
Eine solche Regelung würde die Bildung weiterer<br />
Spartengewerkschaften noch fördern und die Zerfaserung<br />
der Tarifautonomie verstärken. Wenn auf<br />
die jeweilige Arbeitnehmergruppe abgestellt wird,<br />
würden sich immer kleinere Organisationseinheiten<br />
bilden, um ihre Individualinteressen durchzusetzen.<br />
Auch die Regelung im Vorschlag der Wissenschaftler<br />
zur tarifvertraglichen Friedenspflicht<br />
ist nicht zielführend. Die Friedenswirkung des<br />
Tarifvertragssystems wird nicht gesichert.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Tarifeinheit“<br />
Arbeitnehmerdatenschutz und<br />
Compliance in Einklang bringen<br />
Im Koalitionsvertrag haben sich CDU, CSU und<br />
FDP darauf geeinigt, den Arbeitnehmerdatenschutz<br />
neu zu regeln. Die Neuregelung soll<br />
Rechtsklarheit schaffen und die Bekämpfung von<br />
Korruption und Kriminalität in den Unternehmen<br />
unterstützen. Dieses Ziel verfolgt auch der am<br />
25. August <strong>2010</strong> vom Bundeskabinett beschlossene<br />
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 57
Beschäftigtendatenschutzes. Dieser Entwurf,<br />
der an die Stelle des am 1. September 2009 in<br />
das Bundesdatenschutzgesetz eingefügten –<br />
höchst unklaren – § 32 treten soll, erfüllt dieses<br />
selbst gesetzte Ziel nicht. Er schafft nicht die notwendige<br />
Rechtssicherheit für Arbeitgeber und<br />
Arbeitnehmer bei der Verwendung personenbezogener<br />
Daten im Arbeitsverhältnis und gewährleistet<br />
nicht die Erfüllung der Aufgabe, die die Unternehmen<br />
u. a. durch Gesetze übertragen erhalten<br />
haben, nämlich Korruption und Kriminalität zu<br />
bekämpfen (Compliance).<br />
Beschäftigtendatenschutz darf nicht Täterschutz sein<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA, 20. September <strong>2010</strong><br />
Das Präsidium der BDA begrüßt das Anliegen der Koalitionsparteien und der Bundesregierung, den<br />
Arbeitnehmerdatenschutz im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes klarzustellen und dabei rechtssichere<br />
Regelungen für Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung in den Unternehmen zu schaffen.<br />
Mit dem Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz vom 25. August hat die Bundesregierung einen<br />
Vorschlag für eine Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes vorgelegt. Dieser Entwurf bedarf jedoch<br />
erheblicher Korrekturen, um klare und rechtssichere Regelungen für den Datenschutz im Arbeitsverhältnis<br />
zu schaffen.<br />
Das Präsidium der BDA appelliert an Bundesrat und Bundestag, den vom Kabinett verabschiedeten<br />
Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz im parlamentarischen Verfahren praxistauglich zu machen.<br />
Arbeitgeber und Arbeitnehmer benötigen handhabbare Vorgaben zum Datenschutz.<br />
• Der Abschluss von Betriebsvereinbarungen zum Arbeitnehmerdatenschutz muss weiterhin eine<br />
Grundlage für die Erhebung, Nutzung und Verarbeitung von Daten sein können, auch wenn in einer<br />
solchen Betriebsvereinbarung teilweise von gesetzlichen Vorgaben abgewichen wird. Betriebsnahe<br />
Lösungen sind wichtig, um die gesetzlichen Vorgaben in den Betrieben anzuwenden und mit Leben<br />
zu erfüllen. Dem Ziel eines praxisnahen Arbeitnehmerdatenschutzes genügen solche Regelungen<br />
vielfach besser und nachhaltiger als gesetzliche Regelungen.<br />
• Eine gesetzliche Regelung muss ebenfalls den Datenaustausch zwischen Konzernunternehmen sicherstellen.<br />
Bisher wird ein solcher auf die Konzernstruktur zugeschnittener Datenschutz nicht gewährleistet.<br />
Um hier Abhilfe zu schaffen, fordert das Präsidium der BDA eine rechtssichere Möglichkeit, um z. B.<br />
Beschäftigtendaten von Konzerntöchtern an die Konzernmütter weitergeben zu können.<br />
• Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein wichtiges Anliegen.<br />
Arbeitnehmerdatenschutz muss die Bekämpfung von Korruption und Kriminalität unterstützen.<br />
Hierfür kann auch eine gezielte Videoüberwachung erforderlich sein, damit Unternehmen beweissicher<br />
einen konkreten Verdacht auf eine Straftat erhärten oder entkräften können.<br />
58<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Nationale wie internationale Vorschriften<br />
verlangen von Unternehmen, dass sie die Einhaltung<br />
der von ihnen selbst aufgestellten Regelungen<br />
ebenso prüfen und kontrollieren wie die<br />
Einhaltung staatlicher Normen. Rechtsklare und<br />
eindeutige Regelungen sind erforderlich, die<br />
den Arbeitnehmerdatenschutz als Teil der unternehmensinternen<br />
Compliance sicherstellen und<br />
gleichzeitig diese Compliance unterstützen. Vor<br />
diesem Hintergrund setzt sich die BDA dafür ein,<br />
dass der Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz<br />
im Gesetzgebungsverfahren deutlich<br />
nachgebessert wird.<br />
Arbeitnehmerdatenschutz muss die Bekämpfung<br />
von Korruption und Kriminalität unterstützen.<br />
Der Gesetzentwurf bleibt jedoch in gefährlicher<br />
Weise unbestimmt, was die Verhinderung<br />
von Pflicht-, Vertrags- und Gesetzesverstößen<br />
angeht. So soll z. B. die nicht offene Datenerhebung<br />
nur zulässig sein, wenn Straftaten oder<br />
Pflichtverstöße vorliegen, die eine Kündigung aus<br />
wichtigem Grund ermöglichen würden. Eine solche<br />
Prognose entscheidung darf dem Arbeitgeber<br />
nicht aufgebürdet werden, er kann sie nicht rechtssicher<br />
treffen. Der Bundesrat will die Bekämpfung<br />
von Korruption und Kriminalität sogar noch weiter<br />
einschränken. Präventive Datenerfassungen sollen<br />
danach nahezu ausgeschlossen sein.<br />
Die Analyse von möglichem Fehlverhalten<br />
durch gezielte Abgleiche von Daten muss wie<br />
bisher möglich bleiben. Die Bekämpfung von Korruption<br />
und Kriminalität muss auch durch eine<br />
gezielte Videoüberwachung erfolgen können,<br />
wenn ein konkreter Verdacht auf eine bestimmte<br />
Straftat vorliegt. Das im Gesetzentwurf vorgesehene<br />
rigorose Verbot einer gezielten Videoüberwachung,<br />
z. B. in Laden- und Verkaufsräumen, ist<br />
nicht akzeptabel.<br />
Betriebsvereinbarungen müssen auch weiterhin<br />
eine praktikable Grundlage für die Erhebung,<br />
Nutzung und Verarbeitung von Daten<br />
sein können. Selbst eine gelungene gesetzliche<br />
Regelung bedarf vielfach der Ergänzung durch<br />
Betriebsvereinbarungen, damit betriebliche Notwendigkeiten<br />
und Gegebenheiten abgebildet werden<br />
können. Der Gesetzentwurf führt jedoch zur<br />
faktischen Abschaffung der Betriebsvereinbarung<br />
als ergänzenden Regelungsinstruments neben<br />
dem Gesetz. Die bisherige Praxis würde hierdurch<br />
faktisch zum Leerlauf gebracht werden. Die<br />
Betriebsvereinbarung als bewährtes Regelungsinstrument<br />
zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber<br />
darf durch die gesetzlichen Neuerungen nicht auf<br />
das Abstellgleis gestellt werden.<br />
Die Einwilligung des Arbeitnehmers in die<br />
Erhebung, Nutzung und Verarbeitung seiner Daten<br />
muss grundsätzlich möglich sein, solange sie im<br />
Einzelfall nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.<br />
Nach dem Gesetzentwurf soll hingegen die Einwilligungsmöglichkeit<br />
nur noch ausnahmsweise<br />
bestehen. Die Einwilligung ist insbesondere unersetzlich<br />
für die Datenverarbeitung, die auf freiwilligen<br />
Leistungen des Arbeitgebers beruht. Wollen<br />
Arbeitnehmer Leistungen von Sozialeinrichtungen<br />
des Arbeitgebers wie Kindergärten in Anspruch<br />
nehmen, ist es in ihrem Interesse, durch ihre Einwilligung<br />
personenbezogene Daten freizugeben.<br />
Der pauschale weitgehende Ausschluss der Einwilligungsmöglichkeit<br />
ist nicht begründet. Die Arbeitnehmer<br />
würden hierdurch faktisch entmündigt.<br />
Eine gesetzliche Neuregelung des Arbeitnehmerdatenschutzes<br />
muss den Datenaustausch<br />
zwischen Konzernunternehmen erleichtern. Eine<br />
Konzernklausel ist unverzichtbar, um bestehende<br />
Rechtsunsicherheiten zu beseitigen und insbesondere<br />
bei einer konzerninternen Bündelung<br />
von Aufgaben die Voraussetzungen für eine<br />
Datenübermittlung zu schaffen. Solche Vorgaben<br />
fehlen bislang im Gesetzentwurf. Vor diesem Hintergrund<br />
ist z. B. wesentlich, eine rechtssichere<br />
Möglichkeit zu schaffen, Beschäftigtendaten von<br />
Konzerntöchtern an die Konzernmütter weiterzugeben.<br />
Die Klarstellung des geltenden Arbeitnehmerdatenschutzes<br />
im Bundesdatenschutzgesetz<br />
ist notwendig. Ein moderner Arbeitnehmerdatenschutz<br />
versteht sich als Teil der Unternehmenscompliance<br />
und sieht sich hierzu nicht im Widerspruch.<br />
Die BDA setzt sich im parlamentarischen<br />
Verfahren dafür ein, dass ein solcher Widerspruch<br />
nicht konstruiert wird und die Änderung des Arbeitnehmerdatenschutzrechts<br />
klare und rechtssichere<br />
Regeln für die Praxis zur Folge hat.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Arbeitnehmerdatenschutz“<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 59
Anonymisierte Bewerbungen<br />
blockieren ausgewogene<br />
Personalpolitik<br />
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)<br />
startete im Herbst <strong>2010</strong> unter Beteiligung von fünf<br />
Unternehmen ein Pilotprojekt, um die Praktikabilität<br />
und den Nutzen anonymisierter Bewerbungen<br />
– ohne Foto, Name oder Angaben über Alter,<br />
Geschlecht, Herkunft und Familienstand – zu<br />
testen.<br />
Die ADS will Arbeitnehmern den Zugang<br />
zum Arbeitsmarkt erleichtern. Tatsächlich werden<br />
aber durch solche anonymisierten Bewerbungen<br />
neben dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz<br />
(AGG) neue Einstellungshürden geschaffen.<br />
Sie wirken der Förderung der Vielfalt entgegen,<br />
verlängern die Bewerbungsverfahren und führen<br />
zu deutlich höheren Kosten.<br />
Die BDA lehnt daher das Vorhaben der ADS<br />
ab, anonymisierte Bewerbungen langfristig zum<br />
Standard in der Praxis zu machen. Vielfalt in der<br />
Beschäftigung ist den Arbeitgebern in Deutschland<br />
ein wichtiges Anliegen. Dies zeigt z. B. die<br />
von der Wirtschaft bereits 2006 ins Leben gerufene<br />
„Charta der Vielfalt“. Die Arbeitgeber sind im<br />
weltweiten Wettbewerb um Talente und in Zeiten<br />
wachsenden Fachkräftemangels auf die Potenziale<br />
und Talente aller Mitarbeiter angewiesen.<br />
Unternehmen können und wollen es sich nicht<br />
leisten, geeignete Bewerber nach unsachlichen<br />
Kriterien abzulehnen. Entscheidendes Kriterium<br />
bei der Auswahl geeigneter Bewerber ist und<br />
bleibt deren Qualifikation.<br />
Um der Forderung nach Anonymität zu entsprechen,<br />
müssten Bewerbungen unsinnigerweise<br />
notfalls auch kostenpflichtig von einem Dienstleister<br />
geschwärzt oder getrennt werden, um<br />
dann zum Vorstellungsgespräch doch wieder vollständig<br />
zusammengefügt zu werden. Das ist das<br />
Gegenteil des von der Bundesregierung versprochenen<br />
Bürokratieabbaus. Die Besetzung neuer<br />
Stellen und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze<br />
werden durch diesen bürokratischen Aufwand<br />
weiter verteuert.<br />
Die BDA wird sich dafür einsetzen, dass<br />
Unternehmen nicht über das AGG hinaus administrativ<br />
belastet werden, sondern endlich dem<br />
Versprechen der Entbürokratisierung Taten folgen.<br />
Jedem Unternehmen sollte die Möglichkeit<br />
belassen werden, den Prozess der Personalauswahl<br />
eigenverantwortlich und individuell zu gestalten.<br />
Es wäre ein Schaden für die Unternehmenskultur,<br />
wenn politischer Druck zur Diskriminierung<br />
von Unternehmen führt, die sich für die Beibehaltung<br />
des klassischen Bewerbungsverfahrens entscheiden.<br />
Anspruch auf Familienpflegezeit<br />
führt zu neuen Belastungen<br />
Unter dem Eindruck der demografischen Entwicklung<br />
und der steigenden Zahl pflegebedürftiger<br />
Menschen schlägt Bundesministerin Dr. Kristina<br />
Schröder für das Jahr 2011 die Einführung<br />
eines Rechtsanspruchs auf eine zweijährige Familienpflegezeit<br />
vor.<br />
Der bisher vorliegende Entwurf sieht vor,<br />
dass der Beschäftigte, der seinen Angehörigen<br />
pflegt, 50 % arbeiten und während dieser Zeit<br />
75 % seines bisherigen Gehalts bekommen soll.<br />
Nach Beendigung der Pflegephase arbeitet der<br />
Beschäftigte wieder 100 %, erhält jedoch nur<br />
75 % seines Gehaltes, bis das zusätzlich gezahlte<br />
Gehalt zurückgeflossen ist. Die Finanzierung<br />
soll über Arbeitszeitkonten erfolgen. Demzufolge<br />
soll der Arbeitnehmer für den 25%igen Lohnvorschuss<br />
das von ihm angesparte Guthaben einsetzen.<br />
Reicht dieses nicht aus, soll der Arbeitgeber<br />
einen Lohnvorschuss gewähren. Um eine Belastung<br />
des Arbeitgebers durch die Entgeltaufstockung<br />
auszuschließen, ist vorgesehen, dass dieser<br />
einen Anspruch auf die Gewährleistung eines<br />
zinslosen Darlehens durch das Bundesamt für<br />
Zivildienst geltend machen kann.<br />
Die Umsetzung des Entwurfs der Bundesministerin<br />
würde große betriebsorganisatorische<br />
Probleme mit sich bringen. Arbeitgeber würden<br />
mit neuer Bürokratie belastet und der Kündigungsschutz<br />
würde im Umweg über die Pflegezeit<br />
weiter ausgedehnt werden. Auch aus personalwirtschaftlicher<br />
Sicht ist der Entwurf nicht praxistauglich.<br />
Er blendet die Probleme und Folgen der<br />
60<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Neue Bürokratie durch anonymisierte Bewerbungen verhindern<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA, 20. September <strong>2010</strong><br />
Das Präsidium der BDA bekennt sich ausdrücklich zu diskriminierungsfreien Bewerbungsverfahren.<br />
Vielfalt in der Beschäftigung ist den Arbeitgebern in Deutschland ein wichtiges Anliegen. Der Vorschlag<br />
der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, anonymisierte Bewerbungen einzuführen, ist unnötig und<br />
kontraproduktiv. Die Arbeitgeber sind – noch verstärkt aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels –<br />
auf die Potenziale und Talente aller Mitarbeiter angewiesen. Schon aus demografischen Gründen wollen<br />
und können es sich Unternehmen nicht leisten, geeignete Bewerber nach unsachlichen Kriterien<br />
auszusortieren. Entscheidendes Kriterium bei der Auswahl geeigneter Bewerber ist und bleibt deren<br />
Qualifikation.<br />
Bewerbungen, bei denen sämtliche Angaben geschwärzt sind, aus denen man z. B. auf Alter, Geschlecht<br />
oder Herkunft schließen kann, sind für Personalverantwortliche unbrauchbar. Mit der Anonymisierung<br />
von Bewerbungsunterlagen geht allenfalls ein erhöhter bürokratischer Aufwand und somit ein verteuerter<br />
sowie verlängerter Bewerbungsprozess einher. Anonymisierte Bewerbungen behindern zudem existierende<br />
Maßnahmen zur Erhöhung der Vielfalt in den Belegschaften (Diversity Management). Unternehmen<br />
können ihren Bewerbungsprozess dann nicht mehr gezielt von Beginn an nach ausgewählten<br />
Kriterien steuern. Es muss auch künftig möglich bleiben, gemischte Teams mit unterschiedlichen Qualifikationen<br />
schnell und passgenau zusammenzustellen.<br />
Bisherige Erfahrungen mit anonymisierten Bewerbungen im Ausland zeigen, dass die erhofften positiven<br />
Effekte nicht belegbar sind. Spätestens das Bewerbungsgespräch führt zur Aufhebung der Anonymisierung.<br />
Sicher sind nur der bürokratische Mehraufwand und die höheren Kosten im Bewerbungsprozess.<br />
Das Präsidium der BDA fordert,<br />
• die Unternehmen nicht über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hinaus noch weiter administrativ<br />
zu belasten, sondern endlich dem Versprechen der Entbürokratisierung Taten folgen zu lassen;<br />
• die Besetzung neuer Stellen und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht durch weiteren bürokratischen<br />
Aufwand zu verteuern;<br />
• jedem Unternehmen die Möglichkeit zu belassen, den Prozess der Personalauswahl eigenverantwortlich<br />
und individuell zu gestalten. Es wäre ein Schaden für die Unternehmenskultur, wenn politischer<br />
Druck zur Diskriminierung von Unternehmen führt, die sich für die Beibehaltung des klassischen<br />
Bewerbungsverfahrens entscheiden. Als genereller – auch untergesetzlicher – Standard sind<br />
anonymisierte Bewerbungen kontraproduktiv.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 61
etrieblichen Organisation der Pflegezeit aus. Vor<br />
allem die Besetzung des frei werdenden Arbeitszeitvolumens<br />
kann die Betriebe schnell überfordern.<br />
Neue Mitarbeiter müssten innerhalb kürzester<br />
Zeit eingestellt und eingearbeitet werden. Bei<br />
der vorgesehenen Ankündigungsfrist von nur zwei<br />
Monaten entfällt der Transfer von Erfahrungswissen<br />
oder wird erheblich erschwert.<br />
Darüber hinaus birgt der vorgesehene Sonderkündigungsschutz<br />
die Gefahr des Missbrauchs.<br />
Arbeitnehmer können sich über die Geltendmachung<br />
der Familienpflegezeit einen Sonderkündigungsschutz<br />
von zwei Jahren verschaffen,<br />
während der Arbeitslohn um 25 Prozentpunkte<br />
aufgestockt wird. Soweit der Arbeitnehmer nicht<br />
über ein positives Arbeitszeitguthaben verfügt, soll<br />
der Lohnvorschuss in der sog. Nachpflegephase<br />
durch Nacharbeit wieder ausgeglichen werden.<br />
Der Arbeitgeber kann sich von einem die Familienpflegezeit<br />
in Anspruch nehmenden Arbeitnehmer<br />
praktisch so lange nicht trennen, wie der<br />
Arbeitnehmer seine Zeitschulden nicht abgeleistet<br />
hat. Denn im Fall einer nicht verhaltensbedingten<br />
Kündigung entfällt der Ausgleichsanspruch des<br />
Arbeitgebers. Wird also das Arbeitsverhältnis<br />
betriebs- oder personenbedingt gekündigt, würde<br />
dies faktisch zu einem besonderen Kündigungsschutz<br />
führen.<br />
Für die deutsche Wirtschaft ist die Vereinbarkeit<br />
von Pflege und Beruf ein Thema von großer<br />
Bedeutung. Viele Unternehmen bemühen sich,<br />
Fachkräfte mit Pflegeverantwortung durch passgenaue<br />
und individuell ausgehandelte Regelungen<br />
zu unterstützen und ihnen bei der Pflege zu<br />
helfen. Probleme können nicht über die Einführung<br />
eines Rechtsanspruchs auf Familienpflegezeit<br />
gelöst werden. Schon heute bestehen in Tarifverträgen<br />
hierzu individuelle Möglichkeiten. Auch<br />
über den allgemeinen Teilzeitanspruch und den<br />
Pflegezeitanspruch nach dem Pflegezeitgesetz<br />
bestehen bereits Instrumente, um das durch den<br />
Entwurf angestrebte Ziel der Vereinbarkeit von<br />
Pflege und Beruf zu erreichen. Mit einer Novelle<br />
des SGB IV ist mit Wirkung zum 1. Januar 2009<br />
die Verbindung von langfristigen Arbeitszeitkonten<br />
und Pflege gesetzlich geregelt worden.<br />
Ergebnisse des 68. Deutschen<br />
Juristentags enttäuschend und<br />
gefährlich für Beschäftigung<br />
Das Ausland schaut anerkennend auf das deutsche<br />
Jobwunder und das Weltwirtschaftsforum<br />
hat Deutschland zum wettbewerbsfähigsten Land<br />
in der Eurozone gekürt. Zurückgeführt wird dies<br />
auch auf eine gestiegene Flexibilität des Arbeitsmarkts<br />
und auf Beschäftigungsformen wie befristete<br />
Arbeitsverhältnisse und Zeitarbeit. Diese<br />
haben die Beschäftigung in der Wirtschaftskrise<br />
stabilisiert und im Anschluss den Aufbau von<br />
Beschäftigung ermöglicht. Die Beschlüsse des<br />
68. Deutschen Juristentags gehen an dieser Realität<br />
vorbei. Im eklatanten Widerspruch zu früheren<br />
Beschlüssen forderte die Mehrheit eine gesetzliche<br />
Beschränkung moderner Beschäftigungsformen.<br />
Notwendige Anpassungen der Rechtslage<br />
an die Arbeitsmarktsituation und die Erhöhung<br />
der Beschäftigungschancen von Arbeitslosen<br />
und Berufseinsteigern wurden durch die große<br />
Zahl von abstimmenden Gewerkschaftssekretären<br />
abgelehnt. In nicht nachvollziehbarer Weise hat<br />
sich der DGB mit seinen Vertretern z. B. auch für<br />
die faktische Abschaffung seiner eigenen Tarifverträge<br />
in der Zeitarbeit im Hinblick auf gesetzliche<br />
Öffnungsklauseln starkgemacht. Zudem wurde<br />
für einen generellen Mindestlohn gestimmt. Hier<br />
konnte allerdings ein Bekenntnis zur Tarifautonomie<br />
in den Beschlüssen fixiert werden.<br />
Der Deutsche Juristentag ist das zentrale<br />
rechtspolitische Forum für einen offenen Meinungsaustausch<br />
und eine offene Diskussion. Seine<br />
Bedeutung schwindet allerdings aufgrund der<br />
Instrumentalisierung durch den DGB zusehends.<br />
Die BDA wird weiterhin versuchen, dieser Instrumentalisierung<br />
entgegenzuwirken. Dies ist im<br />
Interesse der Unternehmen, vor allem aber auch<br />
im Interesse der Beschäftigungssicherung und<br />
der Schaffung neuer Beschäftigung. Sollte dieses<br />
nicht gelingen, muss über das weitere Engagement<br />
im Deutschen Juristentag neu nachgedacht<br />
werden.<br />
62<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Die Arbeitgeberverbands-Police der Funk Gruppe<br />
Die Funk Gruppe hat gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände für die über die BDA<br />
organisierten Verbände die Arbeitgeberverbands-Police entwickelt, die die wesentlichen Risiken eines Verbandes<br />
abdeckt.<br />
Ein ganz erheblicher Vorteil für Sie: Das Bedingungswerk geht deutlich über die am Markt erhältlichen Policen hinaus<br />
und schützt sowohl den Verband als auch die geschäftsführenden Organe umfangreich gegen die Kernrisiken. Somit sichern<br />
Sie den Verband mit nur einer Police vor den elementaren operativen und organschaftlichen Risiken ab.<br />
Der Versicherungsschutz umfasst die folgenden Sparten:<br />
- Vermögensschaden-Haftpflicht (für den Verband)<br />
- D & O-Haftpflicht (Vermögensschaden-Haftpflicht für die Organe)<br />
- Vermögensschaden-Rechtsschutz (ergänzende Rechtsschutz-Funktion für die Organe)<br />
- Straf-Rechtsschutz<br />
Die Inhalte der einzelnen Versicherungen sind aufgrund eines durchgeschriebenen Bedingungswerks optimal aufeinander<br />
abgestimmt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Policen, die insbesondere im D & O-Bereich oft eine Flut von Informationen<br />
vom Versicherungsnehmer verlangen, wird die Prämie zur BDA-Police anhand weniger Merkmale kalkuliert. Maßgeblich ist<br />
die Anzahl der tätigen Geschäftsführer, Referenten und Assistenten und ob noch weitere Verbände und/oder GmbHs mit<br />
berücksichtigt werden müssen (der Einschluss ist unter bestimmten Voraussetzungen ohne Weiteres möglich).<br />
Von besonderer Bedeutung ist, dass der gesamte Vorstand, das Präsidium sowie die Ehrenämter automatisch vom Versicherungsschutz<br />
umfasst sind; und zwar unabhängig davon, wie viele Personen den Gremien angehören. Sofern der mitversicherte<br />
Personenkreis im Interesse des Verbands Aufgaben in profit- oder non-profit-Organisationen wahrnimmt, sind<br />
diese ebenfalls im Rahmen des D & O-Bausteins vom Versicherungsschutz erfasst (bei profit-Organisationen nur, sofern<br />
ausschließlich Kontrollfunktionen ausgeübt werden).<br />
Durch die Bündelung verschiedener Risiken in nur einer Police reduzieren Sie nicht nur spürbar Ihren administrativen Aufwand,<br />
der üblicherweise bei der Risikoerfassung und -fortschreibung anfällt. Sie genießen gleichzeitig auch einen sehr<br />
spezifischen Versicherungsschutz zu einem außergewöhnlichen Preis-/Leistungsverhältnis.<br />
Haben wir Ihr Interesse geweckt? Gern stehen wir Ihnen auch in einem persönlichen Gespräch zur Verfügung.<br />
Bitte sprechen Sie uns an:<br />
Christian Mattheus<br />
fon +49 30 250092-724 | fax +49 30 250092-711<br />
E-Mail: c.mattheus@funk-gruppe.de
Befristungsrecht modernisieren –<br />
Beschäftigung unterstützen<br />
Befristete Arbeitsverhältnisse sind ein unverzichtbarer<br />
Jobmotor des deutschen Arbeitsmarkts. Sie<br />
bieten Arbeitsuchenden einen erfolgversprechenden<br />
Weg für einen Erst- oder Wiedereinstieg in<br />
Arbeit, insbesondere nach Arbeitslosigkeit. Die<br />
Regelungen über die Befristung von Arbeitsverhältnissen<br />
haben daher ganz wesentlich das<br />
Ziel, Beschäftigung zu fördern und Arbeitslosigkeit<br />
abzubauen. Eine Erhebung des Instituts der<br />
deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat ergeben, dass<br />
derzeit jedes zweite befristete Arbeitsverhältnis in<br />
ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt<br />
wird. Um das gesamte Potenzial von Befristungen<br />
zu erschließen, müssen sie unbürokratisch und<br />
rechtssicher ausgestaltet werden.<br />
• Dazu gehört es in erster Linie, das sog.<br />
Ersteinstellungserfordernis abzuschaffen. Es<br />
wirkt wie ein Beschäftigungsverbot. Dies<br />
wird auch im Koalitionsvertrag deutlich, in<br />
dem die Koalitionspartner erklärt haben,<br />
dass das Ersteinstellungsgebot Anschlussbeschäftigungsverhältnisse<br />
erschwert. Wie<br />
im Beschäftigungsförderungsgesetz sollte<br />
an dessen Stelle eine Karenzzeit eingeführt<br />
werden, die den Vorgaben der Befristungsrichtlinie<br />
auf europäischer Ebene entspricht.<br />
Danach wäre eine Dauer von drei Monaten<br />
ausreichend. Davon würden vor allem junge<br />
arbeitsuchende Menschen profitieren, die<br />
sich bereits in der Vergangenheit im Rahmen<br />
von befristeten Arbeitsverhältnissen engagiert<br />
gezeigt und Berufserfahrung gesammelt<br />
haben. Der Koalitionsvertrag spricht dabei<br />
von einer Zeitspanne von zwölf Monaten.<br />
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.<br />
• Die erleichterte Befristung muss ebenfalls zu<br />
einem effektiven Instrument weiterentwickelt<br />
werden, Arbeitslosigkeit zu beenden und den<br />
Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Ihr<br />
Potenzial bleibt heute noch vielfach ungenutzt.<br />
Denn diese Beschäftigungsmöglichkeit<br />
setzt voraus, dass der Arbeitsuchende vorher<br />
mindestens vier Monate beschäftigungslos<br />
gewesen ist und das 52. Lebensjahr vollendet<br />
hat. Das ist kontraproduktiv. Das Ziel muss<br />
sein, Arbeitslosigkeit (den häufigsten Fall<br />
der Beschäftigungslosigkeit) zu verhindern.<br />
Neben dem Eintritt von Arbeitslosigkeit sollte<br />
daher auf die Vermeidung von „drohender“<br />
Arbeitslosigkeit abgestellt werden. So lässt<br />
sich schon der Eintritt von Arbeitslosigkeit<br />
verhindern. Dabei sollte auch das Alter des<br />
Arbeitsuchenden keine Rolle mehr spielen.<br />
• Nach der Rechtsprechung des BAG dürfen<br />
zum Zeitpunkt der Verlängerung eines befristeten<br />
Arbeitsverhältnisses keinerlei sonstige<br />
Veränderungen in den Arbeitsvertrag aufgenommen<br />
werden – wie z. B. eine Gehaltserhöhung.<br />
Schon durch geringe gesetzliche<br />
Änderungen kann hier eine sinnvolle und praxisgerechte<br />
Regelung getroffen werden, die<br />
weniger bürokratisch ist und den Bedürfnissen<br />
beider Arbeitsvertragsparteien entspricht.<br />
• Gleichermaßen muss eine Heilungsmöglichkeit<br />
bei fehlender Schriftform der Befristungsabrede<br />
eingeführt werden. Die Befristungsabrede<br />
muss auch nach Arbeitsaufnahme noch<br />
schriftlich niedergelegt werden können.<br />
Eine solche Reform des Befristungsrechts<br />
macht eine umfassende Modernisierung des Kündigungsschutzrechts<br />
in Deutschland nicht obsolet.<br />
Das geltende Kündigungsschutzrecht ist eine<br />
Beschäftigungsbremse. Gerade kleinere und mittlere<br />
Unternehmen können die vom Kündigungsschutzrecht<br />
ausgehende Rechtsunsicherheit und<br />
Rechtsunklarheit ohne Beratung nicht meistern.<br />
Daher unterbleiben mögliche Neueinstellungen.<br />
Die Einführung einer Abfindungsoption für<br />
neu begründete Arbeitsverhältnisse, bei der die<br />
vertragliche Vereinbarung einer Abfindung an die<br />
Stelle des geltenden Kündigungsschutzrechts<br />
tritt, ist daher notwendig. Sie schafft Rechtssicherheit<br />
und Rechtsklarheit und lockert so die<br />
Beschäftigungsbremse Kündigungsschutz. Eine<br />
solche Abfindungsoption für Neueinstellungen<br />
ändert an der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />
für bestehende Arbeitsverhältnisse nichts.<br />
Sie schafft aber die notwendige Basis für die<br />
Begründung neuer Arbeitsverhältnisse.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Befristungen“<br />
64<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Flexible Erwerbsformen schaffen zusätzliche Arbeitsplätze<br />
1998<br />
20.252<br />
5.450<br />
2.536 1.789<br />
34.339<br />
1999<br />
20.156<br />
5.832<br />
2.842 1.786<br />
34.812<br />
2000<br />
20.212<br />
5.990<br />
2.744 1.842<br />
34.980<br />
2001<br />
20.126<br />
6.255<br />
2.740 1.821<br />
35.249<br />
2002<br />
19.845<br />
6.386<br />
2.543 1.858<br />
34.971<br />
2003<br />
19.009<br />
6.625<br />
2.603 1.960<br />
34.641<br />
2004<br />
18.700<br />
6.675<br />
2.478 2.076<br />
34.076<br />
2005<br />
18.380<br />
7.207<br />
3.075 2.291<br />
34.971<br />
2006<br />
18.792<br />
7.857<br />
3.389 2.317<br />
35.885<br />
2007<br />
19.185<br />
8.018<br />
3.291 2.323<br />
36.463<br />
2008<br />
19.595<br />
8.084<br />
3.465 2.306<br />
37.083<br />
0 4.000 8.000 12.000 16.000 20.000 24.000 28.000 32.000 36.000 40.000 Erwerbstätige in Tsd.<br />
„normales“ Arbeitsverhältnis<br />
Teilzeit<br />
befristete Tätigkeit<br />
Selbstständigkeit (ohne Beschäftigte)<br />
insgesamt<br />
„Normales“ Arbeitsverhältnis: unbefristete Tätigkeit mit mehr als 35 Stunden pro Woche<br />
Insgesamt: einschließlich Sonstiger; ohne Auszubildende<br />
Quellen: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 2009; Statistisches Bundesamt (Ursprungsdaten)<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 65
Kein Freibrief für vermeintliche<br />
Bagatellen im Arbeitsverhältnis<br />
Im vergangenen Jahr wurden in der öffentlichen<br />
Diskussion immer wieder Fälle dramatisiert, in<br />
denen Arbeitnehmern wegen vermeintlicher Bagatellstraftaten<br />
zu Lasten des Arbeitgebers fristlos<br />
gekündigt wurde. Anlass der öffentlichen Diskussion<br />
war der sog. Fall „Emmely“, über den das BAG<br />
zu entscheiden hatte (Urteil vom 10. Juni <strong>2010</strong>,<br />
2 AZR 541/09). Eine Supermarktkette hatte einer<br />
Kassiererin nach über 30-jährigem Bestehen des<br />
Arbeitsverhältnisses gekündigt, weil sie Pfandbons<br />
im Wert von 1,30 € unterschlagen hatte.<br />
Das BAG hat die fristlose Kündigung zwar für<br />
unwirksam erklärt. Es hat jedoch betont, dass die<br />
Tat der Klägerin an sich einen Kündigungsgrund<br />
darstellt. Zudem hat es klargestellt, dass auch<br />
Pflichtwidrigkeiten, die nur zu einem geringen<br />
oder sogar gar keinem Schaden führen, einen<br />
wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstellen<br />
können, der zur fristlosen Kündigung berechtigt.<br />
Es hat ferner klargestellt, dass die Kündigung<br />
wegen des dringenden Verdachts eines pflichtwidrigen<br />
Verhaltens neben der Kündigung wegen<br />
einer erwiesenen Tat weiterhin möglich ist.<br />
Beachtenswert sind auch die Ausführungen<br />
des BAG zur Videoüberwachung. Das BAG<br />
Vermeintliche Bagatellen führen zu erheblichem Schaden<br />
Erhebung zeigt: eigene Mitarbeiter für ein Viertel der Inventurdifferenzen verantwortlich, in %<br />
8,2<br />
20,4<br />
52,7<br />
18,7<br />
Mitarbeiter<br />
Lieferanten/Servicekräfte<br />
Kunden<br />
Organisation<br />
Quelle: EHI Retail Institute, <strong>2010</strong><br />
66<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
etont in seinem Urteil die besondere Bedeutung<br />
des Vertrauens des Arbeitgebers in die Redlichkeit<br />
des Arbeitnehmers als Grundlage des Arbeitsverhältnisses.<br />
Die praktizierte Videoüberwachung<br />
bedeute keine Einschränkung des Vertrauens des<br />
Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers.<br />
Jeder Arbeitnehmer habe sich ohnehin so<br />
zu verhalten, dass es um seinetwillen keiner Kontrolle<br />
bedürfe.<br />
Das BAG trägt den Besonderheiten des<br />
Einzelhandels Rechnung. Es weist auf die in der<br />
Summe hohen Einbußen durch eine Vielzahl von<br />
geringfügigen Schädigungen hin. Es macht klar,<br />
dass hier eine Arbeitnehmerin, die gerade als<br />
Kassiererin für die Sicherung und Verbuchung<br />
von Einnahmen zuständig ist, einen erheblichen<br />
Vertragsverstoß begeht, wenn sie eine Pflicht zum<br />
Schutz des Eigentums und des Vermögens des<br />
Arbeitgebers verletzt.<br />
Das BAG ist mit Recht davon ausgegangen,<br />
dass Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers<br />
auch bei geringwertigen Vermögensgegenständen<br />
an sich einen Kündigungsgrund darstellen.<br />
Dies entspricht auch ständiger Rechtsprechung<br />
des BAG. Insofern ist es auch konsequent, in<br />
der Folge eine Interessenabwägung im Einzelfall<br />
vorzunehmen. Dabei können die Interessen<br />
von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinreichend<br />
berücksichtigt werden.<br />
Einzelne Elemente der Begründung erwecken<br />
den Eindruck, dass es für die Frage des Vertrauens<br />
auf eine objektivierte Betrachtungsweise<br />
ankommt. Damit lässt das BAG jedoch unberücksichtigt,<br />
dass der Begriff des Vertrauens in erster<br />
Linie ein subjektives Moment enthält. Der Arbeitgeber<br />
entscheidet, ob er noch Vertrauen in die<br />
Redlichkeit eines Arbeitnehmers hat oder nicht.<br />
Die von der Entscheidung ausgehenden<br />
Fehlentwicklungen werden bereits jetzt deutlich.<br />
So hat das Landesarbeitsgericht Berlin-<br />
Brandenburg (Urteil vom 16. September <strong>2010</strong>,<br />
2 Sa 509/10) einen Betrug mit einem Schaden in<br />
Höhe von 160 € nicht für eine außerordentliche<br />
Kündigung ausreichen lassen.<br />
Parallel zur Entscheidung im Fall „Emmely“<br />
brachten die SPD, DIE LINKE und Bündnis 90 /<br />
Die Grünen Vorschläge zur Erweiterung des<br />
Kündigungsschutzes bei sog. Bagatelldelikten<br />
in den Bundestag ein (BT-Drs. 17/648, 17/649,<br />
17/1986). Im Ergebnis laufen die Vorschläge auf<br />
die Einführung eines Abmahnungserfordernisses<br />
hinaus, wenn ein Eigentums- oder Vermögensdelikt<br />
zu Lasten des Arbeitgebers begangen wurde<br />
und der wirtschaftliche Schaden nicht ins Gewicht<br />
fällt (SPD), geringfügig ist (Bündnis 90/Die Grünen)<br />
oder sich auf geringwertige Gegenstände<br />
bezieht (DIE LINKE).<br />
Die BDA hat im Rahmen der Anhörung<br />
vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des<br />
Deutschen Bundestags deutlich gemacht, dass<br />
die beschriebenen gesetzlichen Regelungen<br />
nicht erforderlich sind. Das Urteil des BAG vom<br />
10. Juni <strong>2010</strong> macht klar, dass jegliche Ansätze<br />
zur gesetzlichen Regelung der sog. Bagatellkündigungen<br />
überflüssig sind. Die Einführung eines<br />
generellen Abmahnungserfordernisses würde<br />
einen Freibrief für sog. Bagatelldelikte zu Lasten<br />
des Arbeitgebers bedeuten.<br />
Die BDA wird in der öffentlichen Diskussion<br />
weiter klarstellen, dass Eigentums- und Vermögensdelikte<br />
im Arbeitsverhältnis keine Bagatellen<br />
sind. Es darf keinen Freibrief für sog. Bagatelldelikte<br />
geben.<br />
Vertrauensschutz auf europäischer<br />
Ebene sichern<br />
Am 6. Juli <strong>2010</strong> hat das BVerfG in der Sache<br />
„Honeywell“ entschieden, dass die sog. Mangold-<br />
Folgeentscheidung des BAG im Ergebnis nicht zu<br />
beanstanden ist. Die Entscheidung verstärkt die<br />
durch mehrere Entscheidungen von EuGH und<br />
Arbeitsgerichten hervorgerufene Rechtsunsicherheit.<br />
Der EuGH hatte in seinem Urteil vom<br />
22. November 2005 in der Rechtssache „Mangold“<br />
(C-141/04) festgestellt, dass ein aus den<br />
Verfassungstraditionen hergeleiteter allgemeiner<br />
Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung<br />
sowie insbesondere Art. 6 Abs. 1 der<br />
Richtlinie 2000/ 78/ EG einer nationalen Regelung<br />
wie § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG zur erleichterten<br />
Befristungsmöglichkeit für Arbeitnehmer ab dem<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 67
52. Lebensjahr entgegenstehen. Das nationale<br />
Gericht müsse jede entgegenstehende Bestimmung<br />
des nationalen Rechts unangewendet lassen,<br />
auch wenn die Frist für die Umsetzung der<br />
Richtlinie noch nicht abgelaufen sei.<br />
Das BAG hatte diese Rechtsprechung in seiner<br />
Umsetzungsentscheidung vom 26. April 2006<br />
(7 AZR 500/04) bestätigt und es ferner abgelehnt,<br />
§ 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG aus Gründen<br />
des gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen<br />
Vertrauensschutzes auf eine vor dem 22. November<br />
2005 getroffene Befristungsabrede anzuwenden.<br />
Gegen dieses BAG-Urteil reichte der<br />
unterlegene Arbeitgeber Verfassungsbeschwerde<br />
ein, da der EuGH mit seiner Entscheidung seine<br />
Kompetenz überschritten und das BAG den verfassungsrechtlich<br />
gebotenen Vertrauensschutz<br />
nicht geachtet habe.<br />
Das BVerfG erkennt die Begründung des<br />
EuGH als falsch, sieht hierin aber keinen hinreichend<br />
qualifizierten Rechtsverstoß durch den<br />
EuGH. Der EuGH dürfe Rechtsfortbildung betreiben,<br />
solange diese nicht deutlich erkennbare,<br />
möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut<br />
dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändere<br />
oder ohne ausreichende Rückbindung an<br />
gesetzliche Aussagen neue Regelungen schaffe.<br />
Der EuGH habe aber auch einen Anspruch auf<br />
Fehlertoleranz. Es sei nicht Aufgabe des BVerfG,<br />
bei Auslegungsfragen des Unionsrechts seine<br />
Auslegung an die Stelle derjenigen des EuGH<br />
zu setzen. Im Hinblick auf die Versagung von<br />
Vertrauensschutz beanstandete das BVerfG das<br />
Urteil des BAG nicht.<br />
Durch die Entscheidung des BVerfG entsteht<br />
insbesondere für das deutsche Zivilrecht und<br />
damit auch für das Arbeitsrecht große Unsicherheit,<br />
wenn einschlägige Vorschriften entweder<br />
zur Umsetzung von Richtlinien dienen oder die<br />
Gefahr besteht, dass von interessierter Seite ein<br />
Konflikt z. B. mit der kürzlich in Kraft getretenen<br />
Grundrechtecharta der EU konstruiert wird.<br />
Der Beschluss des BVerfG ist insbesondere<br />
deshalb enttäuschend, weil er zum einen zu<br />
untragbarer Rechtsunsicherheit für den Rechtsanwender<br />
führt und zum anderen die in seiner<br />
Lissabon-Entscheidung vom 30. Juni 2009<br />
aufgestellten Kriterien zur Feststellung der Kompetenzüberschreitung<br />
des EuGH einschränkt.<br />
Denn die dort vom BVerfG betonte Gefahr mangelnder<br />
Legitimation europäischer Entscheidungen<br />
äußert sich besonders in der Rechtssache<br />
„Mangold“, indem der EuGH sein Urteil auf einen<br />
nicht existierenden allgemeinen Rechtsgrundsatz<br />
stützt.<br />
Es ist zu befürchten, dass Richter gesetzliche<br />
Regelungen mit dem Argument unangewendet<br />
lassen, dass diese gegen – geschriebenes<br />
oder ungeschriebenes – europäisches Primärrecht<br />
verstoßen. Durch das Inkrafttreten der<br />
Grundrechtecharta kann sich diese Gefahr noch<br />
potenzieren. Zwar sollen aus der Grundrechtecharta<br />
keinerlei neuen Rechte hergeleitet werden.<br />
Dies vermeidet aber, wie auch schon die Kücükdeveci-Entscheidung<br />
gezeigt hat, offenbar nicht<br />
die Herleitung zumindest negatorischer Ansprüche<br />
aus der Charta.<br />
Die Mangold- und die Kücükdeveci-Entscheidung<br />
des EuGH sowie die Bestätigung der<br />
Mangold-Folgeentscheidung des BAG durch die<br />
Entscheidung des BVerfG machen den Handlungsbedarf<br />
auf europäischer Ebene deutlich.<br />
Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV)<br />
sollte so angepasst werden, dass zumindest beim<br />
Rechtsstreit zwischen Privaten der EuGH die<br />
Obliegenheit hat, für Vertrauensschutz zu sorgen.<br />
Die zeitliche Wirkung eines Unanwendbarkeitsausspruchs<br />
muss begrenzt werden. Rechtsprechung<br />
und Gesetzgebung müssen daher klarstellen,<br />
dass der Rechtsanwender auf geltende<br />
Gesetze vertrauen kann. Urteile des EuGH zu der<br />
Wirksamkeit eines Gesetzes sollten daher im Verhältnis<br />
zwischen Privaten nur für die Zukunft Wirkung<br />
entfalten. Erst innerhalb dieser Zeit kann der<br />
Mitgliedstaat die angegriffene Norm anpassen.<br />
Rechtsprechung im Urlaubsrecht<br />
wirft immer neue Fragen auf<br />
Ein Beispiel für die Gefährdung zentraler Rechtsgrundsätze<br />
durch den EuGH ist dessen Entscheidung<br />
vom 20. Januar 2009 im Fall „Schultz-<br />
Hoff/Stringer“ (EuGH, verbundene Rechtssache<br />
C-250/06 bzw. C-520/06). Der EuGH hat damit<br />
auch das deutsche Urlaubsrecht grundlegend<br />
68<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
verändert. Die Folgen für die Unternehmen lassen<br />
sich bis heute nicht abschließend bewerten.<br />
Das BAG hat seine seit 1982 bestehende<br />
Rechtsprechung geändert, wonach der<br />
Urlaubsanspruch auch bei Erkrankung spätestens<br />
zum 31. März des Folgejahres verfiel. Das<br />
BAG gelangte zu dem Ergebnis, dass dies bei<br />
lang andauernder Erkrankung nicht mehr möglich<br />
ist, wenn der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit<br />
gehabt hat, den Urlaub zu nehmen. Zudem steht<br />
dem Arbeitnehmer nunmehr auch beim Ausscheiden<br />
aus dem Arbeitsverhältnis ein Urlaubsabgeltungsanspruch<br />
zu, selbst wenn er zum Zeitpunkt<br />
des Ausscheidens noch erkrankt war.<br />
Bereits mit Urteil vom 24. März 2009 hatte<br />
das BAG keinen Vertrauensschutz für Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer im Hinblick auf die seit<br />
1982 währende Rechtsprechung zumindest seit<br />
dem Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses des Landesarbeitsgerichts<br />
Düsseldorf an den EuGH vom<br />
2. August 2006 (12 Sa 486/06) gewährt. Das BAG<br />
hat dies mit seinem Urteil vom 23. März <strong>2010</strong><br />
noch erweitert. Mit Ablauf der Umsetzungsfrist für<br />
die Arbeitszeitrichtlinie am 23. November 1996<br />
habe für Arbeitgeber und Arbeitnehmer kein Vertrauensschutz<br />
mehr bestanden, bereits dann sei<br />
mit einer Rechtsprechungsänderung zu rechnen<br />
gewesen.<br />
Die Rechtsprechungsänderung des BAG<br />
bezieht sich primär auf den gesetzlichen Mindesturlaub<br />
sowie den Zusatzurlaub für schwerbehinderte<br />
Menschen (§ 125 SGB IX). Hinsichtlich<br />
des übergesetzlichen Urlaubs können die Tarifvertrags-<br />
bzw. Arbeitsvertragsparteien weiterhin<br />
Regelungen treffen, wonach der Urlaubsanspruch<br />
auch bei lang andauernder Erkrankung verfällt.<br />
Weder EuGH noch BAG haben darüber<br />
entschieden, wie lange dem Arbeitnehmer der<br />
Urlaubsanspruch erhalten bleibt. Sollte eine<br />
Ansammlung unbegrenzt möglich sein, so führt<br />
dies bei einer Erkrankung über Jahre hinweg zu<br />
untragbaren Ergebnissen. So könnte, wenn keine<br />
Begrenzung erfolgt, z. B. ein seit zehn Jahren<br />
erkrankter Arbeitnehmer für diesen Zeitraum den<br />
Urlaub ansammeln. Allein der gesetzliche Mindesturlaub<br />
würde einen Umfang von 200 Tagen<br />
haben.<br />
Im Rahmen der Sozialpartneranhörung hat<br />
sich die BDA auf europäischer Ebene dafür eingesetzt,<br />
dass die Arbeitszeitrichtlinie praxisgerecht<br />
angepasst wird. Eine Ansammlung des<br />
Urlaubsanspruchs über mehrere Jahre hinweg ist<br />
auch bei lang andauernder Erkrankung nicht vom<br />
Sinn und Zweck des Urlaubsanspruchs erfasst.<br />
Die Arbeitszeitrichtlinie muss daher in jedem Fall<br />
eine Verfallsregelung für den Urlaubsanspruch<br />
bei langjähriger Erkrankung vorsehen. Der<br />
Richtliniengeber sollte aber auch die Gelegenheit<br />
nutzen, die Rechtsprechung des EuGH im Fall<br />
„Schultz-Hoff/Stringer“ zu korrigieren und auch<br />
bei lang andauernder Erkrankung den Urlaubsanspruch<br />
strikt auf das Urlaubsjahr zu begrenzen.<br />
Darüber hinaus besteht auch auf deutscher<br />
Ebene Handlungsbedarf. Der deutsche Gesetzgeber<br />
muss im deutschen Recht klarstellen,<br />
dass für Altfälle vor der Entscheidung des EuGH<br />
vom 20. Januar 2009 Vertrauensschutz besteht.<br />
Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer mussten<br />
auch bei Ablauf der Umsetzungsfrist für die<br />
Arbeitszeitrichtlinie damit rechnen, dass eine derartig<br />
tief greifende Veränderung der Rechtsprechung<br />
zum Urlaubsrecht erfolgt.<br />
Überobligatorische Umsetzung<br />
der Europäischen Betriebsräterichtlinie<br />
vermeiden<br />
Am 15. September <strong>2010</strong> hat das Bundeskabinett<br />
den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie<br />
2009/38/EG über Europäische Betriebsräte (EBR)<br />
verabschiedet. Die neu gefasste Richtlinie muss<br />
bis zum 5. Juni 2011 in nationales Recht umgesetzt<br />
werden. Im Wesentlichen orientiert sich der<br />
Entwurf an den Vorgaben der Richtlinie und übernimmt<br />
diese. Er bedarf allerdings dort der Anpassung,<br />
wo er über die Vorgaben der Richtlinie hinausgeht<br />
oder den vorhandenen Spielraum nicht in<br />
einer Weise nutzt, die optimale Rechtssicherheit<br />
schafft.<br />
Nicht von der Richtlinie vorgegeben ist, dass<br />
Unterrichtung und Anhörung des EBR spätestens<br />
gleichzeitig mit den nationalen Arbeitnehmervertretungen<br />
durchzuführen sind. Die Richtlinie sieht<br />
hier eine vereinbarungsoffene Lösung vor.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 69
Auch die Übergangsregelung zum Bestandsschutz<br />
für Altvereinbarungen schöpft die Möglichkeiten<br />
der Richtlinie nicht in vollem Umfang aus.<br />
Sie widerspricht insbesondere dem der neuen<br />
Richtlinie zugrunde liegenden Konsens der Sozialpartner,<br />
der einen umfassenden Bestandsschutz<br />
von Altvereinbarungen vorsah. Es muss<br />
insoweit klargestellt werden, dass auch im Falle<br />
wesentlicher Strukturänderungen der Bestandsschutz<br />
greift, wenn die EBR-Vereinbarung im Einvernehmen<br />
von EBR und Unternehmensleitung<br />
angepasst wird. Hier muss auch darauf geachtet<br />
werden, dass die Regelung des Bestandsschutzes<br />
im Einklang mit den Umsetzungsgesetzen der<br />
anderen EU-Mitglieder erfolgt.<br />
Europäische Privatgesellschaft<br />
auf den Weg bringen<br />
Die Wirtschaft setzt sich auch weiterhin dafür<br />
ein, einen belastbaren Rechtsrahmen für eine<br />
Einführung der Europäischen Privatgesellschaft<br />
(EPG) auf europäischer Ebene zu schaffen.<br />
Zuletzt haben BDA und BDI erfolgreich auf einen<br />
Beschluss der Justizminister der Länder hingewirkt,<br />
mit dem die Bundesregierung aufgefordert<br />
wird, die Einführung der EPG voranzutreiben. Die<br />
EPG soll als einheitliche europäische Rechtsform<br />
eine Alternative zur deutschen GmbH sein,<br />
die überall in Europa ohne Kenntnis der dortigen<br />
Gesellschaftsrechte gegründet werden kann.<br />
Die deutsche Mitbestimmung ist in Europa<br />
isoliert und deswegen mit anderen Beteiligungssystemen<br />
in Europa und dem europäischen<br />
Modell der Verhandlungslösung nicht kompatibel.<br />
Ihre Neugestaltung ist überfällig. Der Streit über<br />
die deutsche Ausgestaltung sollte aber nicht die<br />
Einführung der EPG blockieren. Zu achten ist<br />
aber darauf, dass es nicht zu einer – auch nur mittelbaren<br />
– Ausdehnung der nicht systemgerechten<br />
deutschen Mitbestimmung kommt.<br />
Die Arbeitgeber bekennen sich zur Notwendigkeit<br />
einer europäischen Gesellschaftsform für<br />
mittlere und kleine Unternehmen. Die BDA wird<br />
den Prozess auf europäischer Ebene fördern. Bei<br />
der derzeit stattfindenden Kompromisssuche muss<br />
aber in jedem Fall sichergestellt werden, dass Mitbestimmung<br />
nicht noch ausgeweitet wird.<br />
Insolvenzrecht behutsam<br />
weiterentwickeln<br />
In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und<br />
FDP eine Reform des Insolvenzrechts angekündigt.<br />
Mit einer solchen Reform soll insbesondere<br />
die Fortführung von sanierungsfähigen Unternehmen<br />
erleichtert und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen<br />
ermöglicht werden. Die Wirtschafts- und<br />
Finanzkrise hat die Zahl der Unternehmensinsolvenzen<br />
deutlich erhöht. Die Krise hat an einigen<br />
Stellen des Insolvenzrechts Reformbedarf deutlich<br />
gemacht. Ein auf die Fortführung von Unternehmen<br />
gerichtetes Insolvenzrecht kann einen<br />
Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen leisten.<br />
Die Änderungen dürfen jedoch nicht zu Mehrbelastungen<br />
solventer Unternehmen führen und<br />
deren Arbeitsplätze gefährden.<br />
BDA und BDI haben daher im März <strong>2010</strong><br />
ein gemeinsames Positionspapier erstellt, um die<br />
Anforderungen der Wirtschaft an ein modernes,<br />
zukunftsfähiges Insolvenzrecht frühzeitig gegenüber<br />
Regierung und Abgeordneten zu unterstreichen.<br />
Die BDA setzt sich dafür ein, dass im<br />
Gesetzgebungsverfahren die Besonderheiten der<br />
Insolvenzanfechtung im Sozialversicherungsrecht<br />
angemessen berücksichtigt werden, um eine<br />
inkongruente Belastung der Beitrags- und Steuerzahler<br />
und eine damit einhergehende Gefährdung<br />
von Beschäftigung zu vermeiden.<br />
Derzeit liegt ein Diskussionsentwurf für ein<br />
Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung<br />
von Unternehmen vom Juli <strong>2010</strong> vor, der sich<br />
noch in der Ressortabstimmung befindet. Zudem<br />
wurden im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes<br />
Änderungen der Insolvenzordnung vorgenommen.<br />
Bürokratieabbau weiter<br />
vorantreiben<br />
Ein konsequenter Abbau von bürokratischen<br />
Lasten ist alternativlos. Eine Berechnung nach<br />
dem sog. Standardkostenmodell hat eine Belastung<br />
der deutschen Wirtschaft durch Bürokratie<br />
von rd. 48 Mrd. € ergeben. Es ist auch ein Verdienst<br />
des Nationalen Normenkontrollrats (NKR),<br />
70<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
permanent auf diesen Zusammenhang hingewiesen<br />
zu haben. Der NKR kommt damit vorbildlich<br />
seiner Aufgabe nach, die Reduzierung von<br />
Bürokratiekosten voranzutreiben. Die BDA hat<br />
gemeinsam mit anderen Verbänden bereits 2003<br />
umfangreiche Vorschläge zum Bürokratieabbau<br />
gemacht und damit gezeigt, wie dem Wachstumskiller<br />
Bürokratie wirksam zu Leibe gerückt<br />
werden kann.<br />
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel<br />
gesetzt, bis 2011 25 % dieser Bürokratielasten<br />
abzubauen. Bislang ist davon allerdings erst die<br />
Hälfte erreicht. Es ist daher sehr zu begrüßen,<br />
dass das Bundeskabinett mit Beschluss vom<br />
27. Januar <strong>2010</strong> Eckpunkte vorgestellt hat, mit<br />
denen sie den Bürokratieabbau weiter vorantreiben<br />
möchte. Die deutsche Wirtschaft hat permanent<br />
auf Möglichkeiten hingewiesen, bürokratische<br />
Regelungen abzubauen. Im Juni <strong>2010</strong> hat<br />
die BDA gemeinsam mit BDI und DIHK beispielhaft<br />
zwölf bis ins Detail ausgearbeitete Vorschläge<br />
vorgelegt, die zum Abbau von bürokratischen<br />
Hemmnissen beitragen können. Eine konsequente<br />
Umsetzung dieser Vorschläge würde den Bürokratieabbau<br />
spürbar vorantreiben und den Standort<br />
Deutschland attraktiver machen.<br />
Mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktion<br />
zur Änderung des Gesetzes zur Einsetzung<br />
eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) ist<br />
die Bundesregierung einen weiteren Schritt in die<br />
richtige Richtung gegangen. Der Gesetzentwurf<br />
zeigt, dass die Regierungsfraktionen ihre Versprechen<br />
aus dem Koalitionsvertrag ernst nehmen,<br />
den NKR zu stärken und den Bürokratieabbau<br />
zielgerichtet voranzutreiben. Positiv ist auch<br />
zu bewerten, dass der Begriff des Erfüllungsaufwands,<br />
der weiter ist als der Begriff der Bürokratiekosten,<br />
in das Gesetz aufgenommen werden<br />
soll. Dadurch wird die Prüfungskompetenz des<br />
NKR praxis gerecht erweitert.<br />
Neben dem Abbau von Bürokratie muss darauf<br />
geachtet werden, dass keine neuen Belastungen<br />
durch Bürokratie aufgebaut werden. Ein negatives<br />
Beispiel in dieser Hinsicht ist der Entwurf<br />
zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes.<br />
In diesem sind insgesamt 18 neue Informationspflichten<br />
enthalten, die gravierende bürokratische<br />
Belastungen für Unternehmen bedeuten.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Bürokratieabbau“ sowie unter www.arbeitgeber.de<br />
> Themen A–Z > Bürokratieabbau<br />
Belastungen durch Neuordnung<br />
der Rundfunkfinanzierung<br />
verhindern<br />
Am 15. Dezember haben die Ministerpräsidenten<br />
den Entwurf eines 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags<br />
(RÄStV) auf den Weg gebracht, mit dem<br />
ein neuer Rundfunkbeitrag eingeführt werden<br />
soll. Der Staatsvertrag soll im Jahr 2011 in den<br />
Länderparlamenten ratifiziert werden. 2012 soll<br />
die Umstellung organisatorisch vorbereitet werden.<br />
Ab Januar 2013 soll der neue Beitrag gelten.<br />
Die BDA hat den Entwurf des RÄStV gemeinsam<br />
mit zahlreichen anderen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden<br />
kritisiert und Nachbesserungen<br />
gefordert.<br />
Der Staatsvertrag sieht einen Wechsel von<br />
der gerätebezogenen Erhebung der Rundfunkgebühr<br />
hin zu einem wohnungs- und betriebsstättenbezogenen<br />
Rundfunkbeitrag vor. Jede<br />
Betriebsstätte muss ab 2013 – unabhängig von<br />
der tatsächlichen Nutzung eines Rundfunkgeräts –<br />
gestaffelt nach ihrer Beschäftigtengrößenklasse<br />
einen Rundfunkbeitrag entrichten. Dienstlich<br />
genutzte Kraftfahrzeuge und Hotelzimmer werden<br />
darüber hinaus gesondert herangezogen.<br />
Die Neuordnung führt in ihrer aktuellen<br />
Ausgestaltung zu zusätzlichen Belastungen und<br />
willkürlicher Ungleichbehandlung einzelner Branchen.<br />
Die Ministerpräsidenten haben den Forderungen<br />
der Wirtschaft insofern entsprochen, als<br />
Unternehmen mit bis zu acht Beschäftigten nun<br />
mit nur einem Drittel Beitrag belastet werden.<br />
Im Arbeitsentwurf des 15. RÄStV lag die Grenze<br />
für diese Beitragshöhe noch bei vier Beschäftigten.<br />
Damit werden kleine Unternehmen und<br />
einige Filialbetriebe im Vergleich zum Arbeitsentwurf<br />
entlastet. Zudem konnte die Wirtschaft sich<br />
dahingehend durchsetzen, dass pro Betriebsstätte<br />
ein nichtprivates Kraftfahrzeug beitragsfrei<br />
gestellt wird. Auch wurden die Auszubildenden<br />
bei der Definition der Beschäftigten herausgenommen,<br />
so dass sie bei der jeweiligen Berechnung<br />
des Beitrags keine Berücksichtigung finden.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht 71
Die Änderungen gehen aber nicht weit genug. Es<br />
ist weiterhin mit einer Mehrbelastung der Wirtschaft<br />
in Höhe von rd. 250 Mio. € im Vergleich zur<br />
jetzigen Gebühr zu rechnen.<br />
Die BDA hat sich für weitere Änderungen<br />
des Entwurfs des 15. RÄStV eingesetzt: Der<br />
Wechsel von einem geräteabhängigen zu einem<br />
geräteunabhängigen Finanzierungsmodell ist zwar<br />
im Grundsatz richtig und baut Bürokratie ab. Das<br />
neue Modell kann aber nur breite gesellschaftliche<br />
Akzeptanz finden, wenn es keine Systemwidrigkeiten<br />
und groben Ungleichbehandlungen enthält.<br />
Der Grundsatz, Beiträge unabhängig von der<br />
tatsächlichen Nutzung zu erheben, ist konsequent<br />
und uneingeschränkt umzusetzen. Die Belastung<br />
nichtprivater Kraftfahrzeuge zusätzlich zum<br />
bereits entrichteten Beitrag pro Betriebsstätte ist<br />
eine Abkehr vom geräteunabhängigen Ansatz. Sie<br />
belastet bestimmte Branchen willkürlich mehr als<br />
andere. Daran ändert auch die nachträglich eingeführte<br />
Befreiung eines Kraftfahrzeugs pro Betriebsstätte<br />
nichts. Das Gleiche gilt für die Erhebung nach<br />
Hotelzimmern. Diese Sondertatbestände müssen<br />
vollständig gestrichen werden. Mit dem Beitrag für<br />
die Unternehmen gestaffelt nach Beschäftigtengrößenklassen<br />
ist daher künftig die gesamte Rundfunknutzung<br />
der Wirtschaft abzugelten.<br />
Einige Branchen, darunter der Einzelhandel<br />
und die Gastronomie, beschäftigen eine<br />
besonders hohe Quote an Teilzeitkräften. In diesen<br />
Branchen wird es zu einer ungleich höheren<br />
Belastung kommen, weil jeder Teilzeitbeschäftigte<br />
mit Blick auf den Rundfunkbeitrag einem Vollzeitbeschäftigten<br />
gleichgestellt wird. Um für diese<br />
Branchen eine willkürliche Mehrbelastung zu vermeiden,<br />
muss die Definition von Beschäftigten im<br />
RÄStV konkretisiert werden. Erforderlich ist deshalb<br />
eine Umrechung der Teilzeitbeschäftigten auf<br />
Vollzeitäquivalente.<br />
Beitrags an den Beschäftigtengrößenklassen der<br />
Unternehmen statt an denen der Betriebsstätten<br />
orientieren. Nur so kann eine Gleichbehandlung<br />
gleich großer Unternehmen gewährleistet<br />
werden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Rundfunkbeitrag<br />
40 Jahre Zeitschrift für Arbeitsrecht<br />
– 40 Jahre im Dienste der<br />
Arbeitsrechtswissenschaft<br />
Im Jahr 1970 ist zum ersten Mal die ZfA erschienen.<br />
Sie hat sich schnell zu einer in Wissenschaft,<br />
Richterschaft und Praxis hoch angesehenen<br />
wissenschaftlichen Publikation entwickelt.<br />
Im Jahr ihres 40-jährigen Bestehens kann sie<br />
auf eine Vielzahl wegweisender grundsätzlicher<br />
und aktueller Beiträge zu allen wichtigen Fragen<br />
des Arbeitsrechts zurückblicken. Die Zeitschrift<br />
hat wichtige rechtspolitische Impulse geliefert.<br />
Die wissenschaftliche Qualität der Zeitschrift<br />
beruht auf einem hochkarätigen Herausgeberkreis,<br />
bestehend aus Wissenschaftlern, Richtern,<br />
Unternehmensvertretern und Verbandsjuristen.<br />
Als einzige arbeitsrechtliche Fachzeitschrift liefert<br />
die ZfA jährlich einen umfassenden Überblick<br />
über die gesamte Rechtsprechung der Arbeitsgerichte<br />
und alle wissenschaftlichen Beiträge zum<br />
Arbeitsrecht des jeweiligen Vorjahres.<br />
Nähere Informationen unter www.wolterskluwer.de/<br />
zfa<br />
Die geplante Staffelung nach Beschäftigtengrößenklassen<br />
je Betriebsstätte führt zu willkürlichen<br />
Ergebnissen, da gleich große Unternehmen<br />
unterschiedlich stark belastet werden. Dies gilt<br />
vor allem für Filialunternehmen, die so deutlich<br />
schlechter gestellt werden. Um filialintensive<br />
Branchen nicht gegenüber anderen Branchen<br />
zu benachteiligen, muss sich die Staffelung des<br />
72<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Arbeitsrecht
Tarifjahr <strong>2010</strong> – von der Krise in<br />
den Aufschwung<br />
Das Tarifjahr <strong>2010</strong> stand ganz im Zeichen einer<br />
wirtschaftlichen Entwicklung, die sich im Laufe<br />
des Jahres gänzlich gedreht hat. Während das<br />
erste Halbjahr noch von der anhaltenden Wirtschaftskrise<br />
geprägt war, verbesserte sich die<br />
wirtschaftliche Lage im zweiten Halbjahr schneller,<br />
als viele Prognosen zu hoffen gewagt hatten. Der<br />
Aufschwung erfasste viele Unternehmen in einem<br />
so hohen Maße, dass er sich in einer positiven<br />
Entwicklung am Arbeitsmarkt niedergeschlagen<br />
hat. Dass die Unternehmen in Deutschland<br />
den Rekordeinbruch so gut und zum großen Teil<br />
sogar viel besser überstanden haben als Unternehmen<br />
anderer europäischer Länder, ist nicht<br />
zuletzt einer äußerst verantwortungsvollen Tarifpolitik<br />
zu verdanken. Dazu gehörten moderate,<br />
produktivitätsorientierte Lohnerhöhungen in den<br />
letzten Jahren ebenso wie eine moderne Tarifpolitik,<br />
die den Betrieben durch Öffnungsklauseln<br />
mehr Flexibilisierungsspielräume bei Lohn und<br />
Gehalt, Sonderzahlungen oder Arbeitszeiten bietet.<br />
Letzteres gab den Betrieben den notwendigen<br />
Lohnpolitisches Augenmaß vor der Krise sichert Beschäftigung<br />
Index 2000 = 100<br />
120<br />
119,4<br />
115<br />
110<br />
108,9<br />
110,0<br />
105<br />
100<br />
100,4<br />
100,0 99,9<br />
98,9<br />
106,7<br />
99,3 99,2<br />
99,8<br />
101,5<br />
102,9 102,9 103,1<br />
95<br />
90<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 <strong>2010</strong><br />
Tarifl iche Stundenlöhne und -gehälter<br />
Produktivität<br />
Erwerbstätige<br />
<strong>2010</strong>: Prognose; Produktivität: reales Bruttoinlandsprodukt je Beschäftigtenstunde<br />
Quellen: Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt<br />
76<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
Tarifjahr 2011/2012 – Stabilisierungskurs halten<br />
Kündigungstermine<br />
Branche Tarifgebiete Beschäftigte<br />
in 1.000<br />
Gewerkschaft<br />
<strong>2010</strong><br />
11/10 Wohnungs-/Immobilienwirtschaft West + Ost 60 IG BAU/ver.di<br />
12/10 Steinkohlenbergbau<br />
Feinkeramische Industrie<br />
Energieversorgung – TG Vattenfall<br />
Deutsche Telekom AG Service<br />
Öffentlicher Dienst (Länder ohne Berlin)<br />
Hotel- und Gaststättengewerbe<br />
West<br />
Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West<br />
40<br />
8<br />
16<br />
50<br />
700<br />
111<br />
IG BCE<br />
IG BCE<br />
IG BCE/ver.di<br />
ver.di<br />
ver.di<br />
NGG<br />
2011<br />
01/11 Volkswagen AG West 100 IGM<br />
02/11<br />
02/11–04/11<br />
Textil- und Bekleidungsindustrie<br />
Chemische Industrie<br />
West<br />
West + Ost<br />
130<br />
550<br />
IGM<br />
IG BCE<br />
03/11<br />
03/11–04/11<br />
03/11–06/11<br />
03/11–07/11<br />
03/11–08/11<br />
Bauwirtschaft<br />
Druckindustrie<br />
Versicherungswirtschaft (Innendienst)<br />
Textilindustrie<br />
Zuckerindustrie<br />
Deutsche Lufthansa AG – Piloten<br />
Groß- und Außenhandel<br />
Einzelhandel<br />
Süßwarenindustrie<br />
Steine und Erden<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
West<br />
West + Ost<br />
700<br />
170<br />
170<br />
15<br />
6<br />
4,5<br />
1.600<br />
2.700<br />
50<br />
10<br />
IG BAU<br />
ver.di<br />
ver.di/DHV/DBV<br />
IGM<br />
NGG<br />
VC<br />
ver.di<br />
ver.di<br />
NGG<br />
IG BAU<br />
04/11 Holz- und kunststoffverarb. Industrie<br />
Systemgastronomie (BdS)<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
200<br />
80<br />
IGM<br />
NGG<br />
05/11 Energieversorgung – E.ON-Bereich 30 IG BCE<br />
06/11 Maler- und Lackiererhandwerk<br />
Energieversorgung – GWE-Bereich<br />
West + Ost 140<br />
8,5<br />
IG BAU<br />
IG BCE<br />
07/11 Dachdeckerhandwerk West + Ost 60 IG BAU<br />
08/11 Öffentlicher Dienst – Ärzte komm. KH<br />
GaLaBau<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
55<br />
80<br />
MB<br />
IG BAU<br />
09/11 Kautschukindustrie (ADK) West + Ost 43 IG BCE<br />
10/11 Stahlindustrie West 85 IGM<br />
12/11 Deutsche Post AG<br />
Deutsche Lufthansa AG – Boden + Kabine<br />
Energieversorgung – AVEU-Bereich<br />
Gebäudereinigerhandwerk<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
Ost<br />
West + Ost<br />
130<br />
50<br />
20<br />
340<br />
ver.di<br />
ver.di<br />
IG BCE<br />
IG BAU<br />
2012<br />
02/12 Glasindustrie<br />
Banken<br />
Öffentlicher Dienst (Bund und Gemeinden)<br />
Ost<br />
West + Ost<br />
West + Ost<br />
11<br />
260<br />
2.000<br />
03/12 Metall- und Elektroindustrie West + Ost 3.350 IGM<br />
IG BCE<br />
ver.di<br />
ver.di, dbb-TU<br />
04/12 Kfz-Gewerbe West + Ost 280 IGM<br />
06/12 Zeitarbeit (AMP + BVD) West + Ost 400 CGB<br />
07/12 Genossenschaftsbanken West + Ost 166 DBV/DHV<br />
08/12 Papier, Pappe und Kunststoffe<br />
verarbeitende Industrie<br />
West 90 ver.di<br />
Quelle: BDA-Tarifarchiv<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 77
Freiraum, sich schnell an die veränderten Rahmenbedingungen<br />
anzupassen. Allein durch die<br />
Arbeitszeitflexibilisierung konnten 2009 laut Institut<br />
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)<br />
1,2 Mio. Jobs gesichert werden.<br />
Die Herausforderung in der zweiten Jahreshälfte<br />
bestand darin, den Wachstums trend nicht<br />
sofort wieder auszubremsen. Kontraproduktiv<br />
waren vor diesem Hintergrund die mit dem Aufschwung<br />
reflexartig einhergehenden pauschalen<br />
Forderungen nach kräftigen Lohnerhöhungen,<br />
die von Gewerkschaften erhoben und die sogar<br />
aus den Reihen der Politik unterstützt wurden.<br />
Denn trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung<br />
hatten viele Unternehmen noch immer<br />
mit den Folgen der Krise zu kämpfen und bei<br />
Weitem noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht.<br />
Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass sich der<br />
Aufschwung – das bestätigen zahlreiche Wirtschaftsforschungsinstitute<br />
– nicht in diesem Ausmaß<br />
fortsetzen kann. Auslaufende Konjunkturprogramme<br />
und wachsende gesamtwirtschaftliche<br />
Risiken in wichtigen Exportmärkten werden die<br />
konjunkturelle Entwicklung 2011 bremsen. Hinzu<br />
kommt, dass Deutschland trotz verbesserter<br />
Wettbewerbsfähigkeit nach wie vor zu den teuersten<br />
Wirtschaftsstandorten weltweit zählt. Um den<br />
positiven Konjunkturverlauf dennoch nachhaltig<br />
aufrechterhalten zu können, müssen die Standortfaktoren<br />
in Deutschland stetig verbessert werden.<br />
Tarifpolitisch bedeutet dies vor allem, den Kurs<br />
einer branchengerechten und produktivitätsorientierten<br />
Lohnpolitik mit den notwendigen betrieblichen<br />
Gestaltungsspielräumen auch in Zukunft<br />
konsequent fortzusetzen. Der sich in der aktuellen<br />
wirtschaftlichen Entwicklung widerspiegelnde<br />
Erfolg dieses Wegs sollte Ansporn sein.<br />
Die meisten Tarifabschlüsse des Jahres<br />
<strong>2010</strong> standen im Schatten des Wirtschaftseinbruchs<br />
und trugen der sich daraus ergebenden<br />
besonderen Lage der Branchen und ihrer Betriebe<br />
Rechnung. Im Mittelpunkt stand damit in erster<br />
Linie die Beschäftigungssicherung. Zusätzliche<br />
Belastungen galt es so gering wie möglich zu<br />
halten. So lag die Tarifanhebung in der Mehrheit<br />
der Tarifabschlüsse in einer Spanne von 1,2 % bis<br />
ca. 2 %. In der chemischen Industrie wurde sogar<br />
ganz auf tabellenwirksame Tariflohnsteigerungen<br />
verzichtet. In anderen Branchen wurden die<br />
Entgelte erst nach zahlreichen Nullmonaten angehoben<br />
– zuweilen erst nach 12 bzw. 15 Monaten.<br />
Mehr als ein Drittel der Abschlüsse sahen in den<br />
ersten Monaten anstatt Lohnsteigerungen nicht<br />
tabellenwirksame Einmalzahlungen vor. In diesem<br />
Zusammenhang spielten auch in der diesjährigen<br />
Tarifrunde Öffnungsklauseln eine wichtige Rolle.<br />
Die Tarifabschlüsse sahen insbesondere Flexibilisierungsmöglichkeiten<br />
im Entgeltbereich vor – in<br />
erster Linie in Form von zeitlicher Verschiebung<br />
oder Kürzung von Einmalzahlungen. Vor dem Hintergrund<br />
wirtschaftlicher Unsicherheiten stand für<br />
die Betriebe das Streben nach Planungssicherheit<br />
im Mittelpunkt. So fielen die Laufzeiten mit größtenteils<br />
über 20 Monaten lang aus.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Tarifpolitik<br />
Tarifabschlüsse <strong>2010</strong> – Beweis<br />
verantwortungsvollen Handelns<br />
Die Zweiteilung des Tarifjahres <strong>2010</strong> zeigte sich<br />
auch in den Tariflohnforderungen der Gewerkschaften.<br />
In der ersten Jahreshälfte – als die Wirtschaft<br />
noch ganz im Zeichen der Krise stand, was<br />
für viele Unternehmen mit großen Unsicherheiten<br />
verbunden war – verzichteten die Gewerkschaften<br />
in zahlreichen Branchen wie der Metall- und<br />
Elektroindustrie, der chemischen Industrie und bei<br />
den Banken auf Forderungen nach tabellarischen<br />
Entgeltanhebungen – ein in der Geschichte der<br />
Bundesrepublik z. T. einmaliger Vorgang.<br />
Ein wichtiger Beitrag zur Beschäftigungssicherung<br />
war der am 18. Februar <strong>2010</strong> erzielte<br />
Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie.<br />
In bemerkenswerter Weise haben die Tarifpartner<br />
bei Inhalt und Zustandekommen Realitätssinn<br />
und Verantwortung gezeigt. So hat die IG Metall<br />
auf die sonst üblichen Rituale verzichtet und ist<br />
ohne konkrete Entgeltforderung in die vorgezogenen<br />
Verhandlungen gegangen. Der Verzicht auf<br />
eine lineare Tariferhöhung für <strong>2010</strong> hat dem massiven<br />
Einbruch der Branche Rechnung getragen.<br />
Dafür erhielten die Beschäftigten für die ersten elf<br />
Monate eine angemessene Einmalzahlung von<br />
320 €. Ab dem 1. April 2011 erfolgt eine Erhöhung<br />
der Tabellenentgelte um 2,7 %, die betrieblich<br />
um zwei Monate zeitlich sowohl nach vorne<br />
78<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
Branchentarifverträge <strong>2010</strong> – Basis für den Aufschwung<br />
Tarifbereich<br />
Laufzeit<br />
Eckpunkte Tarifabschluss<br />
Metall- und Elektroindustrie<br />
(01.05.10–31.03.12)<br />
Öffentlicher Dienst<br />
Bund und Gemeinden<br />
(01.01.10–29.02.12)<br />
Kautschukindustrie<br />
(01.12.09–30.09.11)<br />
Zeitarbeit AMP<br />
(01.07.10–30.06.12)<br />
Zeitarbeit BZA<br />
(01.07.10–31.10.13)<br />
Chemische Industrie<br />
(Apr/Mai/Jun 10–Feb/Mrz/Apr 11)<br />
Zeitarbeit BVD<br />
(01.07.10–30.06.12)<br />
Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende<br />
Industrie – West<br />
(01.05.10–31.08.12)<br />
Öffentlicher Dienst – Ärzte kommunale<br />
Krankenhäuser<br />
(01.01.10–31.08.11)<br />
Banken<br />
(01.05.10–29.02.12)<br />
Zuckerindustrie<br />
(01.04.10–31.03.11)<br />
Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau<br />
(01.09.10–31.08.11)<br />
Stahlindustrie (Nordwest)<br />
(01.09.<strong>2010</strong>–31.10.2011)<br />
320 € Einmalzahlung, 2,7 % ab 04/11 (betrieblich um 2 Monate verschiebbar)<br />
1,2 % ab 01/10, 0,6 % ab 01/11, 0,5 % ab 08/11;<br />
240 € zusätzliche Pauschale in 01/11 als soziale Komponente<br />
200 € Einmalzahlung in 04/10, 170 € Einmalzahlung in 10/10,<br />
2,1 % ab 01/11; 300 € ab 01/12 jährliche Einmalzahlung zur Verwendung für<br />
Langzeitkonten oder betriebliche Altersvorsorge<br />
3,4 % (Ost 4,1 %) ab 07/10 (E1 + E2 West, E2 Ost ab 10/10),<br />
2,0 % (Ost 2,5 %) ab 07/11; Branchenzuschlag für Einsatz in Metall- und<br />
Elektroindustrie: E1 Ost 0,60 €; sonst 0,40 €<br />
2,5 % ab 07/10, 2,5 % ab 05/11, 1,28 % (Ost 1,74 %) ab 11/11,<br />
2,5 % ab 11/12; EGr. 1 (Mindestlohn): stufenweise Anhebung bis 11/12<br />
auf 8,19 € West / 7,50 € Ost<br />
keine Entgelterhöhung<br />
550 € Einmalzahlung (für Schichtarbeiter bis 715 €) in 06/10;<br />
200 € Konjunkturbonus (für Schichtarbeiter bis zu 260 €) in 06/10<br />
3,6 % (Ost 4,1 %) ab 07/10 (E1 West ab 10/10), 2,2 % (Ost 1,7 %) ab 07/11;<br />
Branchenzuschlag bei Einsatz von Metall- und Elektroberufen in Metall- und<br />
Elektroindustrie: E1 Ost 0,60 €; sonst 0,40 €<br />
6 Nullmonate 05/10–10/10, 1,3 % ab 11/10, 1,5 % ab 05/11, 1,3 % ab 03/12<br />
400 € Einmalzahlung, 2,0 % ab 05/10<br />
300 € Einmalzahlung, 1,6 % ab 01/11<br />
2 Nullmonate 04/10–05/10, 2,5 % ab 06/10<br />
2,0 % (Ost 2,5 %) ab 09/10<br />
150 € Einmalzahlung, 3,6 % ab 10/10<br />
Quelle: BDA-Tarifarchiv<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 79
Löhne im internationalen Vergleich: Deutschland in Spitzengruppe<br />
Durchschnittliche Bruttostundenlöhne und -gehälter im verarbeitenden Gewerbe, 2009<br />
Norwegen<br />
34,08<br />
Schweiz<br />
Dänemark<br />
Luxemburg<br />
Deutschland<br />
(West)<br />
Finnland<br />
Deutschland<br />
Belgien<br />
Niederlande<br />
Irland<br />
Österreich<br />
Frankreich<br />
Schweden<br />
27,57<br />
26,89<br />
26,30<br />
25,76<br />
25,22<br />
24,60<br />
24,35<br />
22,13<br />
21,74<br />
30,94<br />
29,72<br />
28,75<br />
Italien<br />
Japan<br />
USA<br />
Großbritannien<br />
Kanada<br />
Deutschland<br />
(Ost)<br />
Spanien<br />
18,69<br />
18,13<br />
17,84<br />
17,26<br />
16,77<br />
16,68<br />
15,86<br />
Griechenland<br />
Slowenien<br />
11,76<br />
11,13<br />
Portugal<br />
Tschechische<br />
Republik<br />
Slowakische<br />
Republik<br />
Ungarn<br />
Polen<br />
7,94<br />
6,43<br />
5,77<br />
5,00<br />
4,77<br />
Rumänien<br />
Bulgarien<br />
2,55<br />
1,97<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40 in €<br />
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, <strong>2010</strong><br />
80<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
als auch nach hinten verschoben werden kann.<br />
Damit haben die Betriebspartner den notwendigen<br />
Gestaltungsspielraum, um die künftige wirtschaftliche<br />
Entwicklung zu berücksichtigen. Vor<br />
dem Hintergrund der vorherrschenden schnellen<br />
wirtschaftlichen Erholung haben einige große<br />
Unternehmen, insbesondere aus der Automobilindustrie,<br />
bereits angekündigt, die Tariflohnsteigerung<br />
auf den Februar vorziehen zu wollen. Zum<br />
Zeitpunkt des Tarifabschlusses stand die Sicherung<br />
der Beschäftigung in den Betrieben im Vordergrund.<br />
Dazu wurden die Möglichkeit zur Senkung<br />
der beim Arbeitgeber verbleibenden Kosten<br />
bei gesetzlicher Kurzarbeit sowie Gestaltungsspielräume<br />
für die betriebliche Beschäftigungssicherung<br />
ausgebaut. Die lange Laufzeit des Tarifvertrags<br />
von 23 Monaten gibt den Unternehmen<br />
Planungssicherheit. Vor dem Hintergrund dieser<br />
Laufzeit wird auch deutlich, dass die in der zweiten<br />
Jahreshälfte aufgekommene Diskussion von<br />
Politik und Gewerkschaften über höhere Lohnsteigerungen<br />
zur Unzeit geführt wurde.<br />
In der chemischen Industrie ist die IG BCE<br />
ebenfalls ohne konkrete Lohnforderung in die<br />
Tarifrunde gestartet. Bereits in der ersten bundesweiten<br />
Verhandlungsrunde am 21. April <strong>2010</strong><br />
konnte ein krisengerechter Tarifabschluss erreicht<br />
werden, der komplett auf tabellarische Entgeltanhebungen<br />
und damit auf eine Dauerbelastung<br />
der Unternehmen verzichtet. Die<br />
vereinbarte Einmalzahlung in Höhe eines Basisbetrags<br />
von 550 € ist moderat und bietet Raum<br />
für unternehmensspezifische Differenzierungen.<br />
Deutschland – fünfthöchstes Lohnniveau weltweit<br />
Kaum geht es mit den Konjunkturprognosen wieder nach oben, werden Forderungen nach kräftigen<br />
Lohnsteigerungen laut – nicht nur von den Gewerkschaften, von denen dies zu erwarten ist, sondern<br />
auch aus den Reihen der Politik. Sogar die französische Finanzministerin Christine Lagarde forderte<br />
mit Blick auf die Wettbewerbsposition anderer EU-Länder die Unternehmen in Deutschland dazu auf,<br />
die Löhne deutlich zu erhöhen.<br />
In der Tat hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland auch aufgrund der moderaten,<br />
produktivitätsorientierten Lohnentwicklung der letzten Jahre verbessert. Das bestätigte zuletzt<br />
auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die verantwortungsvolle<br />
Lohnpolitik ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem niedrigen Einkommensniveau.<br />
Ganz im Gegenteil: Im internationalen Vergleich der Bruttostundenlöhne und -gehälter belegt Deutschland<br />
nach wie vor eine Spitzenposition. Mit einem durchschnittlichen Stundenlohn im verarbeitenden<br />
Gewerbe von über 26 €, in Westdeutschland sogar von fast 28 €, steht Deutschland auf Platz 5 der<br />
weltweit höchsten Verdienste. Zum Vergleich: In Frankreich liegt der entsprechende Durchschnittslohn<br />
mit knapp über 22 € pro Stunde deutlich unter dem deutschen Einkommensniveau.<br />
Damit gehört Deutschland nach wie vor zu den teuersten Industriestandorten weltweit. Das Arbeitskostenniveau<br />
Deutschlands liegt mit über 34 € pro Stunde 23 % über dem Durchschnitt der anderen Industrieländer,<br />
Westdeutschland liegt mit über 36 € pro Stunde sogar 29 % darüber. Im Krisenjahr stiegen<br />
darüber hinaus die Lohnstückkosten stark an, im produzierenden Gewerbe sogar um 16 %. Das lag<br />
vor allem daran, dass die Produktivität in den Betrieben durch sinkende Auftragslagen, Kurzarbeit und<br />
Abschmelzen von Arbeitszeitkonten sank.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de > Themen A–Z > Arbeitskosten<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 81
Bei der Beschäftigungssicherung haben die<br />
Tarifparteien auf die Vermeidung von Entlassungen<br />
und den Erhalt der Fachkräfte durch regionale<br />
Netzwerke gesetzt. Im Bereich Ausbildung<br />
zeigt der Abschluss, dass die Tarifparteien nicht<br />
nur bestrebt sind, vorhandene Fachkräfte an die<br />
Branche zu binden, sondern auch in der Krise das<br />
hohe Niveau an Ausbildungsplätzen zu erhalten.<br />
Die Tarifpartner der chemischen Industrie setzten<br />
auf eine eher kurze Laufzeit von elf Monaten.<br />
Am 28. Februar <strong>2010</strong> übernahmen die Tarifpartner<br />
im öffentlichen Dienst von Bund und<br />
Kommunen nach einer schwierigen Suche nach<br />
einem Kompromiss das drei Tage zuvor getroffene<br />
Schlichtungsergebnis. Der Tarifabschluss<br />
sieht während der 26-monatigen Laufzeit ab<br />
Januar <strong>2010</strong> eine Entgeltanhebung von 1,2 %<br />
vor. Im darauf folgenden Jahr werden ab Januar,<br />
neben der Gewährung einer Einmalzahlung von<br />
240 €, die Tariflöhne um 0,6 % und ab August um<br />
0,5 % erhöht. Darüber hinaus wird die leistungsorientierte<br />
Vergütung bis 2013 in vier Stufen von<br />
1,0 % auf 2,0 % des Entgelts ausgebaut. Neben<br />
Einschränkungen bei der Regelung zur Altersteilzeit<br />
und dem Regelarbeitsentgelt wurde das sog.<br />
FALTER-Modell vereinbart. Bei diesem Modell zur<br />
flexiblen Altersteilzeitregelung können Beschäftigte<br />
zwei Jahre vor und zwei Jahre nach der<br />
abschlagsfreien Zugangsmöglichkeit in Altersrente<br />
ihre Arbeitszeit um die Hälfte reduzieren und<br />
mit einer Teilrente in Höhe von 50 % der jeweiligen<br />
Altersrente ausgleichen.<br />
Am 20. Mai <strong>2010</strong> einigten sich der Hauptverband<br />
Papier- und Kunststoffverarbeitung und<br />
ver.di in der dritten Verhandlungsrunde auf einen<br />
Abschluss, der den Betrieben durch eine lange<br />
Laufzeit von 28 Monaten Planungssicherheit gibt.<br />
Die Lohnentwicklung fällt mit sechs Nullmonaten<br />
und einer dreistufigen Entgeltanhebung von 1,3 %<br />
ab 1. November <strong>2010</strong>, 1,5 % ab 1. Mai 2011 und<br />
1,3 % ab 1. März 2012 moderat aus.<br />
Im Bankengewerbe war ver.di – anders als<br />
im öffentlichen Dienst – ohne konkrete Lohnforderung<br />
in die Verhandlung gegangen. Dafür hatten<br />
die Gewerkschaften den Gesundheitsschutz in<br />
den Fokus der Gewerkschaft gestellt. Im Ergebnis<br />
gelang am 10. Juni <strong>2010</strong> ein moderater Entgeltabschluss,<br />
in dem mit einer gemeinsamen Erklärung<br />
zum Gesundheitsschutz eine normative Regelung<br />
verhindert werden konnte. Die 22-monatige<br />
Laufzeit begann mit acht Nullmonaten und einer<br />
Einmalzahlung von 300 € zum 1. August <strong>2010</strong>. Ab<br />
1. Januar 2011 werden die Tariflöhne um 1,6 %<br />
angehoben. Zum betrieblichen Gesundheitsschutz<br />
wurde eine Erklärung verfasst, mit der keine unmittelbaren<br />
Rechte und Pflichten verbunden sind.<br />
Mit wachsender Auftragslage und Zuversicht<br />
der Wirtschaftsforschungsinstitute über die weitere<br />
Entwicklung der Konjunktur stiegen im zweiten<br />
Tarifhalbjahr die Forderungen der Gewerkschaften<br />
überproportional auf z. B. 6 % in der<br />
Stahl industrie. Auch für das Tarifjahr 2011 reißt<br />
das hohe Forderungsniveau nicht ab. So liegen<br />
die ersten Entgeltforderungen für Branchen, die<br />
Anfang 2011 ihre Tarifverhandlungen beginnen, in<br />
einer Spanne von 5 % bis 7 %.<br />
Der Tarifabschluss der westdeutschen Stahlindustrie<br />
vom 30. September <strong>2010</strong> erklärt sich vor<br />
allem vor dem Hintergrund der konjunkturellen<br />
Sondersituation der Branche. Nach einer Einmalzahlung<br />
von 150 € für den September folgte<br />
ab Oktober eine Entgeltanhebung um 3,6 % bei<br />
einer Gesamtlaufzeit von 14 Monaten. Darüber<br />
hinaus wurde ein „Tarifvertrag zur Bezahlung von<br />
Leiharbeitern“ vereinbart, der die Stahlunternehmen<br />
verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass Zeitarbeitnehmer<br />
gegen ihr Zeitarbeitsunternehmen<br />
einen Anspruch in der Höhe eines Vergleichsentgelts<br />
– nicht Equal Pay – haben. Diese Regelung<br />
ist rechtlich wie tarifpolitisch problematisch. Zeitarbeitnehmer<br />
sind nicht bei den Stahl-, sondern<br />
bei den Zeitarbeitsunternehmen angestellt und<br />
diese sind nicht Vertragspartei des Tarifvertrags<br />
der Stahlindustrie. Die Regelung zur Zeitarbeit<br />
kann damit keinesfalls Beispielcharakter für andere<br />
Branchen haben.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Tarifverhandlungen<br />
Gesundheitsförderung: kein<br />
Gegenstand der Tarifpolitik<br />
Die Gewerkschaften versuchen auf unterschiedlichen<br />
Wegen ihren Einfluss in den Unternehmen<br />
auszubauen. Aus diesem Grund gewinnt auch<br />
82<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
das Thema „Gesundheitsförderung“ als Gegenstand<br />
tarifpolitischer Forderungen zunehmend<br />
an Bedeutung. Im Rahmen der Kampagne „Gute<br />
Arbeit“ und im weiteren Kontext auch mit der<br />
Bekämpfung der „Rente mit 67“ werden verstärkt<br />
die mangelnde Berücksichtigung von gesundheitlichen<br />
Anforderungen von Beschäftigungen und<br />
angebliche Defizite im betrieblichen Gesundheitsschutz<br />
und in der Gesundheitsförderung angeprangert.<br />
Dahinter steht regelmäßig der Versuch,<br />
stärkeren Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen<br />
sowie auf Fragen der Arbeits- und<br />
Organisationsgestaltung zu nehmen. So findet<br />
sich immer häufiger die Forderung nach weiteren<br />
Instrumenten der betrieblichen Mitbestimmung,<br />
z. B. in Form von Arbeitskreisen und Gesundheitszirkeln.<br />
Deutsche Unternehmen sind durch bestehende<br />
Gesetze bereits umfassend zum Gesundheitsschutz<br />
vor konkreten berufsbedingten Gefahren<br />
und schädigenden Belastungen verpflichtet.<br />
Die betriebliche Gesundheitsförderung hat darüber<br />
hinausgehend das Ziel, Gesundheitsressourcen<br />
im jeweiligen Betrieb aufzubauen. Im Gegensatz<br />
zu dem durch gesetzliche Handlungspflichten<br />
geprägten Arbeits- und Gesundheitsschutz handelt<br />
es sich daher um eine Materie, die von den<br />
Unternehmen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen<br />
betrieblichen Gegebenheiten frei gestaltbar<br />
sein muss. So gibt es in den Betrieben bereits eine<br />
Vielzahl freiwilliger Maßnahmen zur Verbesserung<br />
der konkreten Arbeitsbedingungen und zur Förderung<br />
der Gesundheit der Mitarbeiter. Dabei ist<br />
zu berücksichtigen, dass eine wirksame Gesundheitsförderung<br />
nicht allein in der Verantwortung<br />
des Arbeitgebers liegt, sondern die Arbeitnehmer<br />
in hohem Maße Eigenverantwortung tragen.<br />
Arbeitnehmer verbringen nur einen Teil ihrer Zeit<br />
an ihrem Arbeitsplatz, so dass betriebliche Maßnahmen<br />
nur eine begrenzte Wirkung haben.<br />
Verpflichtungen auf tariflicher Ebene sind nicht<br />
geeignet, sinnvolle und auf den jeweiligen Betrieb<br />
zugeschnittene Lösungen zu unterstützen.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Tarifpolitik<br />
Jobmotor Zeitarbeit sichern<br />
Die Zeitarbeitsbranche hat sich zu einer Schlüsselbranche<br />
in Deutschland entwickelt. Den Unternehmen<br />
gibt sie die in einer zunehmend international<br />
verflochtenen Wirtschaft notwendige<br />
Flexibilität. Damit hat auch die Zeitarbeit einen<br />
wichtigen Anteil an der erfolgreichen Überwindung<br />
der Krise. Vor allem aber stellt sie sicher,<br />
dass sich der beginnende Aufschwung sehr frühzeitig<br />
in neuer Beschäftigung niederschlagen<br />
kann. Denn zu einem Zeitpunkt, der noch von großer<br />
Unsicherheit geprägt ist, sind Unternehmen<br />
kaum in der Lage, bereits die eigene Belegschaft<br />
aufzustocken. Damit profitiert auch der Arbeitsmarkt<br />
von der Zeitarbeit. Zudem ist Zeitarbeit für<br />
Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte ein<br />
unverzichtbares Sprungbrett in Beschäftigung.<br />
Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung<br />
der Zeitarbeit war es wichtig, dass im Frühjahr<br />
neue und vor allem rechtssichere Tarifverträge von<br />
den Tarifpartnern der Branche vereinbart wurden.<br />
Unsicherheiten über die Anwendung der Zeitarbeitstarifverträge<br />
waren u. a. entstanden vor dem<br />
Hintergrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts<br />
Berlin-Brandenburg zur Tarifunfähigkeit<br />
der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften<br />
für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen<br />
(CGZP), die am 14. Dezember <strong>2010</strong> vom<br />
Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG)<br />
bestätigt wurde. Diese Entscheidung betrifft nicht<br />
die geltenden Branchentarifverträge in der Zeitarbeit,<br />
vor allem nicht die Tarifwerke vom Arbeitgeberverband<br />
Mittelständischer Personaldienstleister<br />
(AMP) und vom Bundesverband Deutscher<br />
Dienstleistungsunternehmen (BVD). Diese neuen<br />
mehrgliedrigen Tarifverträge traten bereits<br />
Anfang <strong>2010</strong> in Kraft und wurden mit den christlichen<br />
Einzelgewerkschaften abgeschlossen. Nicht<br />
abschließend geklärt ist die Frage, ob die Entscheidung<br />
zur rückwirkenden Unwirksamkeit der<br />
alten Tarifverträge führen kann. Dazu hatte sich<br />
das BAG am Tag der Entscheidung nicht geäußert.<br />
Dagegen spricht die besondere rechtliche<br />
Konstruktion der Zeitarbeitsbranche, weshalb aufkommende<br />
Forderungen nach sofortigem Handlungsbedarf<br />
zurückzuweisen sind.<br />
Mit den langfristigen vom Bundesverband<br />
Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) mit den<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 83
DGB-Gewerkschaften und AMP und BVD mit den<br />
Christlichen Gewerkschaften vereinbarten Tarifabschlüssen<br />
wurden nicht nur neue, angemessene<br />
Entgelte vereinbart. Die Tarifpartner haben<br />
zudem Lösungen gefunden, mit denen Missbräuche,<br />
die – ausgelöst durch den Fall Schlecker – zu<br />
einer massiven öffentlichen Diskussion über die<br />
Zeitarbeit geführt haben, zukünftig tarifvertraglich<br />
ausgeschlossen sind. Wenn das Bundesministerium<br />
für Arbeit und Soziales (BMAS) zusätzlich<br />
mit einer „Drehtürklausel“ im Arbeitnehmerüberlassungsgestz<br />
(AÜG) reagieren will, ist dies<br />
damit eigentlich überflüssig, bei einer Orientierung<br />
an den tarifvertraglichen Klauseln aber auch<br />
unschädlich. Keinesfalls dürfen dadurch jedoch<br />
zusätzlich Hürden aufgestellt werden, die den<br />
arbeitsmarktpolitisch sinnvollen Einsatz von Zeitarbeit<br />
behindern.<br />
Die Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
für die EU-Mitgliedsländer Mittel-<br />
und Osteuropas ab 1. Mai 2011 darf nicht<br />
dazu führen, dass die Zeitarbeit in Deutschland<br />
beschädigt wird. Es ist zu erwarten, dass ohne<br />
ein Handeln des Gesetzgebers ab Mai 2011<br />
Zeitarbeitsunternehmen aus diesen Ländern mit<br />
deutlich niedrigeren Tariflöhnen am deutschen<br />
Zeitarbeitsmarkt aktiv werden. Diese Fälle hätten,<br />
auch wenn sie zahlenmäßig unbedeutend<br />
wären, eine Diskreditierung der gesamten Zeitarbeitsbranche<br />
zur Folge. Vor diesem Hintergrund<br />
unterstützt die BDA das Bestreben der Branche,<br />
die in Deutschland bereits flächendeckend geltenden<br />
untersten Löhne der Zeitarbeit auch auf<br />
ausländische Zeitarbeitsunternehmen und deren<br />
in Deutschland eingesetzte Arbeitnehmer zu<br />
erstrecken. Es geht damit nicht um die Einführung<br />
eines neuen Mindestlohns. In Deutschland<br />
gelten faktisch in der Zeitarbeit bereits flächendeckend<br />
tarifliche Mindestlöhne. Dies ist eine<br />
Folge der gesetzlichen Konstruktion. Wegen der<br />
ansonsten bestehenden Verpflichtung zum Equal<br />
Pay finden die Tarifverträge der Zeitarbeit zu<br />
fast 100 % unmittelbar oder durch Bezugnahme<br />
Anwendung. Die Tarifvertragsparteien der Branchen<br />
haben inzwischen mit einer einheitlichen<br />
Lohnuntergrenze auch die Voraussetzung für die<br />
Erstreckung geschaffen. AMP und BVD haben mit<br />
den Christlichen Gewerkschaften Mindestlohntarifverträge<br />
unterzeichnet, deren Entgelthöhe den<br />
Zeitarbeit – Erwartungen des Gesetzgebers erfüllt<br />
Elfter Bericht über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmer überlassungsgesetzes<br />
Zu Beginn des Jahres <strong>2010</strong> hat die Bundesregierung den Elften Bericht über Erfahrungen bei der Anwendung<br />
des AÜG veröffentlicht. Die Ergebnisse bestätigen die Bedeutung der Zeitarbeit für die Entwicklung<br />
auf dem Arbeitsmarkt und die zusätzlichen Beschäftigungschancen für Arbeitslose. Die Bundesregierung<br />
erkennt an, dass Zeitarbeit Brücken baut für den Einstieg oder die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Insbesondere<br />
für Langzeitarbeitslose sei Zeitarbeit eine unverzichtbare Chance auf einen Zugang zu sozialversicherungspflichtiger<br />
Beschäftigung. Die Erwartungen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der<br />
Reform 2002, zusätzliche Beschäftigung zu erschließen, hätten sich erfüllt. Zeitarbeit biete in der Regel<br />
voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Der überwiegende Teil der ehemaligen<br />
Zeitarbeitnehmer befinde sich auch mittelfristig weiterhin in Beschäftigung. Auch zeigen die Ergebnisse<br />
des Berichts, dass Zeitarbeit nicht zu Lasten der Stammbelegschaft geht.<br />
84<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
vom BZA mit den DGB-Gewerkschaften vereinbarten<br />
Mindestlöhnen entspricht. Die Mindestlohntarifverträge<br />
gelten bis Oktober 2013 und<br />
sehen stufenweise Erhöhungen bis 8,19 € (West)<br />
und 7,50 € (Ost) vor.<br />
Höchst problematisch ist der aus der FDP-<br />
Bundestagsfraktion unterbreitete Vorschlag einer<br />
zeitlichen Begrenzung der Tariföffnungsklausel<br />
im AÜG. Equal Pay würde Zeitarbeit in einem<br />
Maße verteuern und zu neuer Bürokratie in einem<br />
Umfang führen, dass ihr Einsatz in vielen Fällen<br />
nicht mehr stattfinden könnte. Dies hätte massive<br />
Auswirkungen nicht nur auf die Zeitarbeit, sondern<br />
auf die gesamte deutsche Wirtschaft. Betroffen<br />
wären zudem im besonderen Maße gering Qualifizierte<br />
und Langzeitarbeitslose, für die bisher Zeitarbeit<br />
eine Brücke in Beschäftigung ist. Ganz praktisch<br />
betrachtet richtet sich der Vorschlag zudem<br />
gegen den Mittelstand: Große Zeitarbeitsunternehmen<br />
werden eine Rotation der Zeitarbeitnehmer<br />
organisieren, wozu kleine und mittelständische<br />
Zeitarbeitsunternehmen und deren mittelständische<br />
Kunden kaum in der Lage sind. Darüber hinaus<br />
würde der Vorschlag nicht verhindern, dass in<br />
den ersten Monaten der Überlassung Zeitarbeitnehmer<br />
zu polnischen Tarifverträgen von unter<br />
5 € in Deutschland zum Einsatz kommen. Zeitarbeit<br />
ist eine eigenständige Branche, so dass auch<br />
eine eigene, branchenbezogene tarifvertragliche<br />
Vergütung gerechtfertigt ist. Wie in keiner anderen<br />
Branche werden die Arbeitsbedingungen in<br />
der Zeitarbeit flächendeckend von Tarifverträgen<br />
bestimmt. Eine Einschränkung der tariflichen Öffnungsklausel<br />
käme der staatlichen Zensur dieser<br />
Tarifverträge gleich.<br />
Mit dem Gesetz zur Verhinderung von Missbrauch<br />
in der Arbeitnehmerüberlassung, den das<br />
BMAS im zweiten Halbjahr vorgelegt hat, soll<br />
nicht nur eine „Drehtürklausel“ zur Verhinderung<br />
künftiger „Schlecker-Fälle“ eingebaut werden. Es<br />
soll zugleich die europäische Zeitarbeitsrichtlinie<br />
2008/104/EG in das deutsche Recht umgesetzt<br />
werden. Der Entwurf sieht u. a. Ansprüche des<br />
Zeitarbeitnehmers gegen den Einsatzbetrieb auf<br />
Information über freie Arbeitsplätze und Zugang<br />
zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten<br />
vor. Dabei setzt sich die BDA mit Nachdruck dafür<br />
ein, dass die Umsetzung der Zeitarbeitsrichtlinie<br />
Zeitarbeit – Zugang zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung<br />
Tätigkeit der Arbeitnehmer vor Zeitarbeit, in %<br />
7,6<br />
8,5<br />
47,8<br />
36,0<br />
beschäftigt<br />
weniger als 1 Jahr arbeitslos<br />
1 Jahr und länger arbeitslos<br />
noch nie beschäftigt<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Stichtag: 31. Dezember 2009<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 85
auf das wirklich Notwendige beschränkt wird, also<br />
kein „gold plating“ betrieben und dadurch neue<br />
Beschäftigungshürden aufgebaut werden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Zeitarbeit<br />
Branchenmindestlöhne müssen<br />
Ausnahme bleiben<br />
Erfreulicherweise hat die Regierungskoalition<br />
einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn eine<br />
Absage erteilt und sich klar zur Tarifautonomie<br />
bekannt. Dementsprechend war die Entscheidung<br />
folgerichtig, dass zukünftig alle Mindestlohnverordnungen<br />
nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
(AEntG) nur unter Beteiligung des Tarifausschusses<br />
zustande kommen sollen. Damit wird in<br />
der Praxis der Zustand wiederhergestellt, der bis<br />
1998 geltendes Recht war. Die begrüßenswerte<br />
Stärkung der Rolle des Tarifausschusses hat die<br />
BDA dazu veranlasst, die Kriterien nochmals klarzustellen,<br />
nach denen den Arbeitgebervertretern<br />
im Tarifausschuss die Zustimmung zu Anträgen<br />
empfohlen werden kann.<br />
Bundesverwaltungsgericht stärkt Rechtsschutz gegen die staatliche<br />
Erstreckung von Tarifverträgen<br />
Nach zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) wird das BMAS bzw. die entsprechenden<br />
Landesministerien zukünftig stärker darauf achten müssen, dass bei der Allgemeinverbindlicherklärung<br />
(AVE) von Tarifverträgen nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) und Erlass einer Verordnung<br />
nach dem AEntG die gesetzlichen Vorgaben genau beachtet werden.<br />
Das BVerwG hatte am 28. Januar <strong>2010</strong> (8 C 19.09) die bereits von den Vorinstanzen festgestellte<br />
Rechtswidrigkeit der Postmindestlohn-Verordnung bestätigt. Nach Auffassung des Gerichts waren die<br />
Rechtspositionen der Kläger (mehrere private Konkurrenten der Post und deren Verbände) im Rahmen<br />
des Verordnungsverfahrens nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das Gericht betonte, dass für den<br />
Erlass einer Mindestlohnverordnung nach dem AEntG der Beteiligung der Betroffenen wegen des Verzichts<br />
auf weiter gehende inhaltliche oder formelle Vorgaben ein besonderes Gewicht zukomme. Insbesondere<br />
wegen der unmittelbaren und tief greifenden Wirkung einer Rechtsverordnung im Hinblick auf<br />
verfassungsrechtlich geschützte Positionen der Betroffenen sei diese von besonderer Bedeutung.<br />
Da die Verordnung bereits an formalen Fehlern litt, musste sich das Gericht nicht mit den massiven Folgen<br />
dieser Monopolsicherungsverordnung auseinandersetzen: Der Postmindestlohn hatte bereits kurz<br />
nach seinem Erlass tausende Arbeitsplätze gekostet. Vor dem Hintergrund des Koalitionsvertrags ist<br />
davon auszugehen, dass Branchenmindestlöhne nur noch staatlich verordnet werden können, wenn der<br />
paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzte Tarifausschuss zustimmt. Die Arbeitgeber<br />
werden einem neuen gegen Wettbewerb und Beschäftigung gerichteten Postmindestlohn jedenfalls<br />
nicht zustimmen.<br />
In einer zweiten Entscheidung hat das BVerwG am gleichen Tag betroffenen Arbeitgebern die Möglichkeit<br />
eingeräumt, mit einer Feststellungsklage unmittelbar gegen die AVE von Tarifverträgen nach dem<br />
TVG vorzugehen (8 C 38.09). Damit ist die bisher umstrittene Frage geklärt, ob und mit welcher Klageart<br />
Arbeitgeberverbände Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten in Anspruch nehmen und die AVE<br />
inhaltlich überprüfen lassen können.<br />
86<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
Branchenmindestlöhne weiterhin Ausnahmeinstrument<br />
Branche Laufzeit Mindestentgelt in €/Stunde<br />
West<br />
Ost<br />
Abfallwirtschaft inklusive Straßenreinigung<br />
und Winterdienst<br />
01.01.11–31.08.11 8,24<br />
Bauhauptgewerbe 01.09.10–30.06.11 ML I: 10,90<br />
ML II: 12,95<br />
01.07.11–30.11.11 ML I: 11,00<br />
ML II: 13,00<br />
9,50<br />
9,75<br />
Bergbauspezialarbeiten auf<br />
Steinkohlebergwerken<br />
24.10.09–31.12.10 ML I: 11,17<br />
ML II: 12,41<br />
Dachdeckerhandwerk 19.03.10–31.12.10 10,60<br />
01.01.11–31.12.11 10,80<br />
Elektrohandwerk 01.01.11–31.12.11 9,70 8,40<br />
01.01.12–31.12.12 9,80 8,65<br />
01.01.13–31.12.13 9,90 8,85<br />
Gebäudereinigerhandwerk 10.03.10–31.12.10 ML I: 8,40<br />
ML II: 11,13<br />
01.01.11–31.12.11 ML I: 8,55<br />
ML II: 11,33<br />
Maler- und Lackiererhandwerk 01.09.10–30.06.11 ML I: 9,50<br />
ML II: 11,50<br />
01.07.11–29.02.12 ML I: 9,75<br />
ML II: 11,75<br />
ML I: 6,83<br />
ML II: 8,66<br />
ML I: 7,00<br />
ML II: 8,88<br />
9,50<br />
9,75<br />
Pflegedienste<br />
(Altenpflege)<br />
01.08.10–31.12.11 8,50 7,50<br />
01.01.12–30.06.13 8,75 7,75<br />
01.07.13–31.12.14 9,00 8,00<br />
Wach- und Sicherheitsgewerbe<br />
(Antrag gestellt)<br />
regional differenzierte Mindestlöhne<br />
01.01.11–30.04.11 6,53–8,46 6,25–6,53<br />
01.05.11–29.02.12 6,53–8,60<br />
01.03.12–31.12.12 7,00–8,75<br />
01.01.13–30.06.13 7,50–8,90<br />
Wäschereidienstleistungen<br />
im Objektkundengeschäft<br />
01.04.10–31.03.11 7,65 6,50<br />
01.04.11–31.03.12 7,80 6,75<br />
01.04.12–31.03.13 8,00 7,00<br />
Quelle: BDA-Tarifarchiv<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 87
Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Lohnfestsetzung – Grundsätze<br />
der Arbeitgeber zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und<br />
zur Anwendung des Arbeitnehmer-Entsende- und Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA, 18. Januar <strong>2010</strong> (Auszug)<br />
2. Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen als Ausnahmeinstrument<br />
Das BDA-Präsidium empfiehlt den Arbeitgebervertretern im paritätisch besetzten Tarifausschuss, einem<br />
Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit von Mindestlohntarifverträgen grundsätzlich zuzustimmen, wenn die<br />
geltenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und<br />
• beide Tarifvertragsparteien die Allgemeinverbindlichkeit des Mindestlohntarifvertrags wollen,<br />
• es sich bei dem tarifvertraglich vereinbarten Mindestlohn um die unterste Lohngruppe handelt,<br />
• eine beträchtliche Anzahl von Arbeitnehmern der Branche erheblich unter den jeweils geltenden<br />
Tariflöhnen beschäftigt wird,<br />
• der Mindestlohn auch im Verhältnis zu anderen, vergleichbaren Branchen nicht überdurchschnittlich<br />
hoch ist und<br />
• durch die Allgemeinverbindlichkeit keine in der Branche konkurrierenden Tarifverträge verdrängt<br />
werden.<br />
3. Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf Entsendeprobleme beschränken und<br />
Missbrauch unterbinden<br />
Die Aufnahme weiterer Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kann in Betracht kommen, wenn<br />
unerwünschte soziale Verwerfungen durch Entsendearbeitnehmer nachgewiesen sind und ein Mindestlohntarifvertrag<br />
besteht, der zuvor nach den Regeln des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich<br />
erklärt wurde. Diese Situation kann für vereinzelte Branchen entstehen, wenn ab dem 1. Mai 2011 die<br />
volle Freizügigkeit für die Arbeitnehmer aus den EU-Mitgliedsländern Mittel- und Osteuropas besteht.<br />
Für die Arbeitgeber beurteilen sich auch Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) aus Branchen<br />
des Entsendegesetzes nach den gleichen Maßstäben wie AVE-Anträge aus anderen Branchen. Es gelten<br />
daher auch für das Verfahren nach dem Entsendegesetz die unter 2. aufgestellten Grundsätze, wobei<br />
die jeweilige Entsendeproblematik in der betreffenden Branche zu berücksichtigen ist.<br />
4. Keine Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />
Das Mindestarbeitsbedingungengesetz ist – aus guten Gründen – von keiner Bundesregierung jemals<br />
angewandt worden. Die BDA sieht auch in Zukunft keinen Sinn darin, dieses Gesetz anzuwenden. Wir<br />
wenden uns gegen jede Form staatlicher Lohnfestsetzung. Der Staat sollte sich aus der Lohngestaltung<br />
heraushalten. Anders als in anderen europäischen Ländern mit z. T. gesetzlichen Mindestlöhnen gibt es<br />
in der Bundesrepublik Deutschland eine funktionierende Tarifautonomie, ein gesetzlich garantiertes Mindesteinkommen<br />
und schon heute einen gesetzlichen Schutz vor sittenwidrigen Löhnen.<br />
88<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
Erstmals hatte der Tarifausschuss beim Gebäudereiniger-<br />
und Dachdeckerhandwerk Gelegen -<br />
heit, entsprechend der Festlegung der Regierungskoalition<br />
auch im Rahmen des Verordnungsverfahrens<br />
nach dem AEntG sein Votum<br />
abzugeben. Unter Berücksichtigung der besonderen<br />
Situation in diesen Branchen konnte der Tarifausschuss<br />
in beiden Fällen zustimmen. Die neue<br />
Mindestlohnverordnung für die Gebäudereinigung<br />
ist am 10. März <strong>2010</strong> und die für das Dachdeckerhandwerk<br />
am 19. März <strong>2010</strong> in Kraft getreten.<br />
Für die Pflegebranche hatte der Gesetzgeber<br />
vor dem Hintergrund der unter besonderem<br />
verfassungsrechtlichem Schutz stehenden spezifischen<br />
kirchenrechtlichen Regelungen des<br />
„Dritten Weges“ Sonderregelungen im AEntG<br />
geschaffen. Die auf dieser Basis unter Beteiligung<br />
des Arbeitgeberverbands Pflege eingerichtete<br />
Pflegekommission konnte sich nach intensiven<br />
Verhandlungen einstimmig auf die Festsetzung<br />
von Mindestentgelten verständigen. Dabei wurde<br />
sichergestellt, dass keine in der Branche bestehenden<br />
Tarifverträge außer Kraft gesetzt wurden.<br />
Die vom BMAS daraufhin erlassene Verordnung<br />
trat zum 1. August <strong>2010</strong> in Kraft und gilt bis zum<br />
31. Dezember 2014. Sie sieht Mindestentgelte<br />
in Höhe von 8,50 € (West, inklusive Berlin) und<br />
7,50 € (Ost) vor, die ab Juli 2013 auf 9 € (West)<br />
und 8 € (Ost) ansteigen. Die Verordnung gilt für<br />
Pflegebetriebe, die überwiegend ambulante Krankenpflegeleistungen<br />
für Pflegebedürftige erbringen,<br />
und Arbeitnehmer, die Grundpflegedienstleistungen<br />
durchführen.<br />
Für den Bereich der Aus- und Weiterbildung<br />
hat das BMAS dem Antrag auf Erlass einer Mindestlohnverordnung<br />
inzwischen eine Absage<br />
erteilt. Die Arbeitgebervertreter im Tarifausschuss<br />
hatten den entsprechenden Antrag bereits im<br />
August 2009 wegen fehlender rechtlicher Voraussetzungen<br />
abgelehnt. So gab es erhebliche Zweifel<br />
an der Wirksamkeit des Tarifvertrags, der in einer<br />
Art „In-sich-Geschäft“ zwischen den Gewerkschaften<br />
und einem von deren Unternehmen dominierten<br />
Zweckverband abgeschlossen worden war.<br />
Zudem fehlte dem Tarifvertrag die notwendige<br />
Repräsentativität, da die in der Zweckgemeinschaft<br />
organisierten Unternehmen nur einen Bruchteil der<br />
Beschäftigten der beruflichen Aus- und Weiterbildungsbranche<br />
beschäftigen. Diesen Bedenken hat<br />
sich nun wohl auch das BMAS angeschlossen und<br />
den Antrag zu Recht abgelehnt.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
sowie Allgemeinverbindlicherklärung<br />
Kein gesetzlicher Mindestlohn<br />
durch die Hintertür<br />
Auf Landesebene zeigt sich die Tendenz, die<br />
Spielräume für gesetzliche Lohnvorgaben im<br />
Bereich der öffentlichen Vergabe auszureizen.<br />
Zunehmend beschränken sich die Bundesländer<br />
nicht auf die notwendigen Korrekturen der<br />
vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2008 für<br />
europarechtswidrig erklärten früheren Tariftreueklauseln.<br />
Statt die richtigen Lehren zu ziehen und<br />
verzerrende Eingriffe in die Wirtschaftsordnung<br />
ganz zu unterlassen, gehen einige Landesgesetzgeber<br />
wieder deutlich über die vom EuGH<br />
gesteckten Grenzen hinaus und sehen teilweise<br />
sogar die Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestlöhnen<br />
vor. In der Diskussion sind vergabespezifische<br />
Mindestlöhne von 7,50 € bis sogar<br />
10 €. Durch Rechtsverordnung, teilweise auch<br />
unter Mitwirkung einer Mindestlohnkommission,<br />
soll zudem eine regelmäßige Anpassung dieses<br />
Vergabemindestlohns möglich sein.<br />
Über den Umweg des Vergaberechts wird<br />
damit versucht, einem flächendeckenden Mindestlohn<br />
Vorschub zu leisten. Dabei ist das Vergaberecht<br />
nicht vorgesehen und auch nicht geeignet<br />
zur Durchsetzung von allgemeinen politischen,<br />
sozialen oder gesellschaftspolitischen Zielen.<br />
Zudem begegnen die aktuellen Entwicklungen verfassungsrechtlichen<br />
Bedenken. Die Festsetzung<br />
von Löhnen ist Sache der Tarifvertragsparteien. Mit<br />
vergaberechtlichen Mindestlohnregelungen greift<br />
der Landesgesetzgeber massiv in den durch Art. 9<br />
Abs. 3 GG geschützten Bereich der Koalitionen<br />
ein. Auch auf Landesebene gilt der Vorrang der<br />
Tarifautonomie vor staatlicher Lohnfestsetzung.<br />
Schließlich missachten vergabespezifische Mindestlohnregelungen<br />
auf Landesebene, dass der<br />
Bundesgesetzgeber bereits abschließend Regelungen<br />
zu Mindestlöhnen erlassen hat. Bei dem<br />
Mindestarbeitsbedingungengesetz, dem TVG und<br />
dem AEntG handelt es sich um ein Gesamtkonzept,<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik 89
mit dem die Möglichkeiten zur Regelung von Mindestlöhnen<br />
und die Erstreckung von Tarifverträgen<br />
auf Dritte umfassend geregelt werden sollten. Die<br />
aufgeführten Gesetze erlauben bewusst keinen<br />
generellen branchenübergreifenden Mindestlohn,<br />
was dem Landesgesetzgeber keinen Spielraum<br />
belässt.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen A–Z > Mindestlohn<br />
Rechtsprechung zu Flashmob<br />
mit Verfassungsbeschwerde<br />
angegriffen<br />
Die Diskussion über die Zulässigkeit von sog.<br />
Flashmob-Aktionen geht auf verfassungsrechtlicher<br />
Ebene weiter. In seiner Entscheidung vom<br />
22. September 2009 (1 AZR 972/08) hatte das<br />
BAG entschieden, dass gewerkschaftlich organisierte<br />
Aktionen, bei denen die Teilnehmer durch<br />
den koordinierten Kauf von Kleinstartikeln oder<br />
das Stehenlassen von vollen Einkaufswagen in<br />
einem Einzelhandelsgeschäft ihren Tarifforderungen<br />
Nachdruck verleihen wollen, von der Arbeitskampffreiheit<br />
gedeckt und auch verhältnismäßig<br />
sind. Der Handelsverband Berlin-Brandenburg<br />
hat gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde<br />
eingelegt, in deren Rahmen auch die BDA<br />
gegenüber dem Bundesverfassungsgericht Stellung<br />
bezogen hat. Im Fokus stand dabei, dass<br />
den Arbeitgebern entgegen der Auffassung des<br />
BAG keine wirksamen Gegenmaßnahmen zur<br />
Verfügung stehen. Weiter wurde darauf hingewiesen,<br />
dass die für den Flashmob charakteristische<br />
Einbeziehung von Dritten und insbesondere<br />
die damit einhergehende Abkopplung vom<br />
Arbeitsverhältnis gerade zu einer Paritätsstörung<br />
zu Lasten des Arbeit gebers führt. Zudem ist die<br />
erhebliche Eigentums- und Besitzstörung durch<br />
den Flashmob nicht ausreichend gewürdigt worden.<br />
Schließlich hat die BDA auch betont, dass<br />
es nicht Aufgabe des BAG ist, innere Schwächen<br />
der Gewerkschaften auszugleichen.<br />
90 BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Tarifpolitik
Mit neuen Bildungskonzepten den<br />
Herausforderungen begegnen<br />
Der strukturelle Fachkräftemangel, der die Wettbewerbs-<br />
und Innovationsfähigkeit Deutschlands<br />
heute schon und künftig verstärkt gefährdet, wird<br />
durch Defizite in allen Stufen des Bildungssystems<br />
und durch den demografischen Wandel gravierend<br />
verschärft.<br />
Neben einem zukunftsfesten, arbeitsmarktorientierten<br />
Zuwanderungskonzept zur gezielten<br />
Anwerbung jetzt benötigter Fachkräfte und der<br />
Fortsetzung der heute schon auf hohem Niveau<br />
von den Unternehmen geleisteten betrieblichen<br />
Aus- und Weiterbildung bedarf es tief greifender<br />
Reformen im Bildungssystem zur Förderung der<br />
Ausbildungsreife von Jugendlichen, einer Erhöhung<br />
der Zahl der Hochschulabsolventen, insbesondere<br />
auch durch eine größere Durchlässigkeit<br />
für beruflich Qualifizierte ohne Abitur, und einer<br />
Stärkung der MINT-Bildung (Mathematik, Informatik,<br />
Naturwissenschaft und Technik) in allen<br />
Bildungsstufen.<br />
Der erforderliche Ausbau des Kindergartens<br />
zur ersten Stufe des Bildungssystems mit systematischer<br />
Sprachförderung und die bedarfsgerechte<br />
Ausweitung der Ganztagsschule zur individuellen<br />
und systematischen Förderung aller Schüler und<br />
Schülerinnen bis zur Ausbildungsreife sind nur zu<br />
realisieren, wenn die demografische Rendite, die<br />
sich rechnerisch aus rückläufigen Schülerzahlen<br />
ergibt, im Bildungssystem verbleibt. Es werden<br />
mehr und umfassender qualifizierte Erzieher und<br />
Lehrer gebraucht, die leistungsorientiert bezahlt<br />
werden. Den Schulen muss mehr Selbstständigkeit,<br />
Finanz- und Personalverantwortung eingeräumt<br />
werden, um Profil entwickeln und sich im<br />
Wettbewerb verbessern zu können.<br />
Dem Fachkräftemangel<br />
entgegenwirken<br />
Gut qualifizierte Mitarbeiter sind die entscheidende<br />
Voraussetzung dafür, dass Deutschland langfristig<br />
wettbewerbs- und innovationsfähig bleibt.<br />
Insbesondere der Mangel an Nachwuchs in den<br />
MINT-Qualifikationen verschärft sich und erweist<br />
sich jetzt schon und mit zunehmender Tendenz<br />
als Wachstums- und Innovationsbremse. Wenn<br />
wir dem Fachkräftemangel jetzt nicht entschieden<br />
entgegenwirken, droht die schon heute bestehende<br />
MINT-Lücke sehr bald den Höchststand von<br />
rd. 150.000 fehlenden MINT-Fachkräften aus dem<br />
vergangenen Aufschwung noch zu übertreffen.<br />
Die Zahl der offenen Stellen im MINT-Segment<br />
wird regelmäßig auf Basis einer vom Institut<br />
der deutschen Wirtschaft Köln (IW) empirisch<br />
erhobenen Meldequote hochgerechnet. Stellt<br />
man diese der Zahl an Arbeitsuchenden mit entsprechenden<br />
Qualifikationen gegenüber, ergibt<br />
sich bereits jetzt ein Fachkräfteengpass von rd.<br />
84.000 Personen, rd. die Hälfte davon in Ingenieurberufen.<br />
Der Fachkräftemangel bei Ingenieuren,<br />
Naturwissenschaftlern, Informatikern und<br />
Technikern ist in Deutschland kein konjunkturelles,<br />
sondern ein strukturelles Problem, das selbst<br />
während der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland<br />
fortbestand. Allein für altersbedingt ausscheidende<br />
Fachkräfte braucht die deutsche Wirtschaft<br />
jährlich 50.000 bis 60.000 Nachwuchskräfte.<br />
Weitere rd. 50.000 MINT-Professionals jährlich<br />
brauchen die Unternehmen, um zu expandieren.<br />
Die zu erwartende Zahl an Hochschulabsolventen<br />
kann diesen hohen Bedarf bei Weitem nicht<br />
decken. Nach Prognosen des IW ergibt sich aus<br />
diesem Missverhältnis zwischen MINT-Absolventenzahl<br />
und MINT-Bedarf bis 2020 eine Lücke von<br />
über 230.000 Personen.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Fachkräftesicherung“<br />
Naturwissenschaftlich-technische<br />
Bildung stärken<br />
Quantität und Qualität des MINT-Unterrichts an<br />
Schulen verbessern, noch mehr junge Menschen<br />
für MINT begeistern und das Bewusstsein für<br />
die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung<br />
von MINT erhöhen – das sind Hauptziele<br />
der bildungspolitischen Initiative „MINT Zukunft<br />
schaffen“ von BDA und BDI und zahlreichen Partnerinitiativen<br />
der Unternehmen und Verbände<br />
(www. mintzukunftschaffen.de) mit Partnern aus<br />
Politik und Wissenschaft. Um den Fachkräftebedarf<br />
94<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
im MINT-Bereich mittelfristig zu decken, muss die<br />
naturwissenschaftlich-technische Bildung gestärkt<br />
und zukunftsfähig gestaltet werden. Wir brauchen<br />
insgesamt mehr und besseren MINT-Unterricht.<br />
Auf dem Weg dorthin ist es inhaltlich ein zentrales<br />
Moment und politisch ein unverzichtbares Signal,<br />
dass alle Schulen, die daran interessiert sind,<br />
eine MINT-freundliche Schule zu werden, von der<br />
Wirtschaft ein entsprechendes Angebot erhalten.<br />
Die Initiative „MINT Zukunft schaffen“ erhält<br />
daher einen neuen, zusätzlichen Handlungsschwerpunkt:<br />
Weiterführende Schulen können<br />
von den Partnern der Initiative nach bestimmten<br />
verabredeten Mindeststandards als „MINT-freundliche<br />
Schule“ anerkannt und ausgezeichnet werden.<br />
Neben der bereits bestehenden Markierung<br />
und Förderung von Best-Practice-Schulen mit<br />
großer Strahlkraft, wie sie insbesondere durch die<br />
Initiative MINT-EC von Gesamtmetall vorgenommen<br />
wird, ist es hierbei das Ziel, möglichst alle<br />
weiterführenden Schulen in den Prozess einzubeziehen,<br />
die willens und auf dem Weg sind, eine<br />
„MINT-freundliche Schule“ zu werden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
„MINT Zukunft schaffen“<br />
Akademiker: der Millionenbedarf<br />
So viele Hochschulabsolventen werden in Deutschland gebraucht<br />
<strong>2010</strong>–2014<br />
660.000 605.000 1.265.000<br />
2015–2019<br />
765.000 595.000 1.360.000<br />
2020–2024<br />
860.000<br />
500.000<br />
1.360.000<br />
0 300.000 600.000<br />
900.000 1.200.000 1.500.000 Anzahl<br />
aufgrund der demografi schen Entwicklung<br />
aufgrund struktureller Veränderungen<br />
insgesamt<br />
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, <strong>2010</strong><br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 95
MINT-Botschafterkonferenz<br />
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und<br />
Technik können anschaulich und spannend<br />
sein – wie es gelingt, für MINT zu faszinieren, und<br />
wie die mittlerweile über 3.600 MINT-Botschafter<br />
ihr Engagement gestalten, wurde auf der MINT-<br />
Botschafterkonferenz am 4. November <strong>2010</strong> im<br />
Haus der Deutschen Wirtschaft präsentiert und<br />
mit über 200 Teilnehmern diskutiert. Auf dem<br />
Marktplatz der Möglichkeiten präsentierten Partner<br />
der MINT-Initiative ihre MINT-Ideen sowie<br />
Einstiegsmöglichkeiten und Karrierewege in MINT-<br />
Berufen.<br />
In ihrer Video-Grußbotschaft an die Konferenz<br />
unterstrich Bundeskanzlerin Dr. Angela<br />
Merkel die Notwendigkeit, Kinder bereits früh die<br />
Faszination naturwissenschaftlicher Phänomene<br />
hautnah erleben zu lassen. Sie begrüße es<br />
sehr, dass die Initiative „MINT Zukunft schaffen“<br />
die verschiedenen Ansätze der MINT-Förderung<br />
bündle. Alle Beteiligten, von den Kindern und<br />
Jugendlichen selbst über die Wirtschaft bis hin<br />
MINT-Fachkräfte fehlen selbst in Krisenzeiten<br />
Entwicklung der bundesweiten MINT-Fachkräftelücke<br />
Anzahl<br />
200.000<br />
160.000<br />
120.000<br />
80.000<br />
40.000<br />
0<br />
Aug<br />
2000<br />
Aug<br />
2001<br />
Aug<br />
2002<br />
Aug<br />
2003<br />
Aug<br />
2004<br />
Aug<br />
2005<br />
Aug<br />
2006<br />
Aug<br />
2007<br />
Aug<br />
2008<br />
Aug<br />
2009<br />
Aug<br />
<strong>2010</strong><br />
MINT gesamt<br />
Ingenieure<br />
Datenverarbeitungsfachleute<br />
Techniker<br />
Naturwissenschaftler<br />
Quellen: Institut der deutschen Wirtschaft Köln auf Basis von Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit, <strong>2010</strong>; IW-Zukunftspanel, 2009<br />
96<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
zur Wissenschaft, profitierten davon. Die MINT-<br />
Botschafter wüssten am besten, wie man Kindern<br />
und Jugendlichen naturwissenschaftliche und<br />
technische Fragen nahebringen könne, und fungierten<br />
dabei als Vorbilder.<br />
Herausragende Botschafteraktivitäten wurden<br />
mit dem erstmals verliehenen MINT-Botschafterpreis<br />
ausgezeichnet. Der erste Preis ging an<br />
Alexander Heinrich, Bundessprecher „junge Deutsche<br />
Physikalische Gesellschaft“ (jDPG) in Bad<br />
Honnef. „Mathemacherin“ Carla Cederbaum vom<br />
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-<br />
Einstein-Institut, AEI) und Dr. Renate Puchta, u. a.<br />
Autorin naturwissenschaftlichen Lehrmaterials für<br />
Kinder, folgen auf den Plätzen 2 und 3.<br />
Thomas Sattelberger, Vorsitzender der Initiative<br />
„MINT Zukunft schaffen“ und Personalvorstand<br />
der Deutschen Telekom AG, zeigte sich<br />
beeindruckt, wie die insgesamt zwölf ausgezeichneten<br />
MINT-Botschafter insbesondere Mädchen<br />
und Jugendliche mit Migrationshintergrund<br />
in Schule und Ausbildung für MINT begeistern.<br />
Jeder fehlende Experte mit naturwissenschaftlich-technischem<br />
Hintergrund, so Sattelberger,<br />
bedeute einen volkswirtschaftlichen Schaden<br />
von 230.000 € pro Jahr. Daher sei es dringend<br />
notwendig, die Zahl der Studierenden insgesamt<br />
und vor allem in MINT-Fächern erheblich zu erhöhen.<br />
Beruflich Qualifizierten wie etwa einem studierwilligen<br />
Mechatroniker den Zutritt zur Uni zu<br />
erschweren kritisierte er als schlicht fahrlässig<br />
und volkswirtschaftlich unvernünftig.<br />
Arbeitgeberpreis für Bildung <strong>2010</strong><br />
verliehen<br />
Die deutschen Arbeitgeber engagieren sich seit<br />
Jahrzehnten mit eigenen Konzepten für bessere<br />
Bildung in Deutschland. Der Deutsche Arbeitgeberpreis<br />
für Bildung spielt dabei eine herausragende<br />
Rolle. Im Jahr <strong>2010</strong> wurde er bereits zum<br />
elften Mal an vorbildliche Bildungseinrichtungen<br />
vergeben.<br />
Stiftung der Deutschen Wirtschaft: Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit<br />
Die Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw) trägt zur Bildungsgerechtigkeit in Deutschland bei. Dies ist<br />
das Fazit des Jahres <strong>2010</strong>. Es war von wissenschaftlich belegten Erfolgen im Übergangsmanagement<br />
von der Schule zur weiterführenden Schule, in die Ausbildung oder in ein Studium geprägt. Im Hauptschüler-Programm<br />
„Zeig, was Du kannst!“ z. B. haben 46 % der Teilnehmer im direkten Anschluss an die<br />
Schule den Sprung in eine Ausbildung geschafft. Im Bundesdurchschnitt gelingt dies nur 25 % der Hauptschüler.<br />
37 % wollen auf einer weiterführenden Schule einen höheren Abschluss erreichen. Überdurchschnittlich<br />
viele Abiturienten führte das Programm „MINToring“ in ein MINT-Studium. 75 % der Teilnehmer<br />
haben sich dazu entschlossen, zum Wintersemester <strong>2010</strong>/2011 oder nach Zwischenstationen wie Wehroder<br />
Zivildienst ein MINT-Studium aufzunehmen. Dass familiäre Bildungstraditionen beeinflussbar sind,<br />
bewies auch der „Studienkompass“. Er richtet sich an angehende Abiturienten aus nichtakademischen<br />
Elternhäusern. Hier haben 93 % der Teilnehmer die feste Absicht, ein Studium zu beginnen. Bundesweit<br />
sind es aus dieser Zielgruppe lediglich 24 %.<br />
Als Vorstandsvorsitzender verabschiedet wurde Dr. Klaus Murmann, Namensgeber des Studienförderwerks<br />
der sdw und Ehrenpräsident der BDA. Er trug in seinem 13-jährigen Engagement maßgeblich zur<br />
Entwicklung der Stiftung bei: Sie begann ihre operative Arbeit 1995 mit 21 Stipendiaten, heute sind es<br />
1.650. Mit diesen nahmen im Jahr <strong>2010</strong> über 4.000 junge Menschen an ihren Programmen teil. Nachfolger<br />
ist der Unternehmer Ingo Kramer, Präsident der Unternehmensverbände im Lande Bremen und<br />
Präsidiumsmitglied der BDA.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 97
Unter dem Motto „Startchancen verbessern –<br />
individuell fördern“ wurde der Preis in diesem Jahr<br />
in Kooperation mit Telekom und Deutscher Bahn<br />
verliehen. Die Expertenjury hat Lernkonzepte ausgewählt,<br />
die jungen Menschen mit unterschiedlichen<br />
Talenten und Förderbedarfen eine optimale<br />
Unterstützung bieten. Gerade für diejenigen mit<br />
schlechten Startchancen sollen die Weichen für<br />
ihre Bildungsbiografie positiv gestellt werden. Die<br />
Preisträger sind:<br />
• Kategorie „Frühkindliche Bildung“:<br />
Evangelische Kindertageseinrichtung<br />
Melsbach (Rheinland-Pfalz)<br />
• Kategorie „Schule“:<br />
Hessenwaldschule Weiterstadt<br />
• Kategorie „Berufsschule“:<br />
Berufsbildende Förderschule<br />
„Robert Blum“ Leipzig<br />
• Kategorie „Hochschule“:<br />
Fachhochschule Gelsenkirchen<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Initiativen > Arbeitgeberpreis für Bildung sowie<br />
unter www.mediathek.arbeitgeber.de<br />
Reformen der frühkindlichen<br />
Bildung voranbringen<br />
Im Februar <strong>2010</strong> führte die BDA eine Umfrage unter<br />
den Ministerien durch, die auf Bundes- und Landesebene<br />
für frühkindliche Bildung zuständig sind.<br />
Sie wurden um ihre Einschätzung gebeten, wie es<br />
im Zusammenhang mit dem Kinderförderungsgesetz<br />
um die Reformen in den Bundesländern steht.<br />
Viele Länder erkennen einen wachsenden Bedarf<br />
an akademisch ausgebildeten Frühpädagogen und<br />
erhöhen die Anzahl der Studienplätze oder richten<br />
neue Studiengänge ein. Die Nachfrage nach<br />
Betreuungsplätzen entwickelt sich regional sehr<br />
unterschiedlich – gerade in den neuen Bundesländern<br />
liegt das Angebot oft schon weit über den bundesweit<br />
angestrebten 35 %. Wo ein Betreuungsgeld<br />
thematisiert wird, lässt sich der zukünftige Bedarf<br />
besonders schwer abschätzen. Des Weiteren zeigten<br />
sich als Handlungsfelder, dass Zusatzqualifikationen<br />
des Personals im MINT-Bereich erfasst,<br />
die Sprachförderung verstärkt und Öffnungszeiten<br />
bedarfsgerecht gestaltet werden sollen.<br />
Selbstständige Schule –<br />
Kernthema der Wirtschaft<br />
Die deutsche Wirtschaft sieht im Leitbild der<br />
Selbstständigen Schule den entscheidenden<br />
Hebel für eine Qualitätsverbesserung der nach wie<br />
vor viel zu oft unzureichenden Schulleistungen.<br />
Im internationalen Vergleich sind solche Schulsysteme<br />
erfolgreich, die durch klare Zielvorgaben<br />
und Zielkontrollen einerseits und selbstständige<br />
Einzelschulen andererseits gekennzeichnet<br />
sind. Inzwischen ist die Selbstständige Schule<br />
zwar politischer Konsens in Sonntags reden, aber<br />
noch lange nicht Realität – vielmehr stagniert die<br />
Umsetzung in den Bundesländern.<br />
Die aktuelle Positionierung von BDA und<br />
BDI „Selbstständige Schule – Haushalt und Personalverantwortung<br />
neu gestalten“ schlägt daher<br />
eine Änderung der bestehenden Schulfinanzierung<br />
vor, die den Schulen neue Handlungs- und<br />
Gestaltungsmöglichkeiten gibt und finanzielle<br />
Anreize schafft – auch bei den einzelnen Lehrkräften<br />
–, um die Qualität von Lehren und Lernen<br />
deutlich zu verbessern. Vizepräsident Dr. Gerhard<br />
F. Braun stellte das völlig neue Konzept am<br />
15. April <strong>2010</strong> der Öffentlichkeit mit einem sehr<br />
positiven Presseecho vor. Die Vorschläge sehen<br />
ein Finanzbudget für die einzelne Schule, einen<br />
Sozialindex und ein Sozialbudget für besonders<br />
belastete Schulen sowie eine leistungsorientierte<br />
Besoldung für Lehrkräfte vor.<br />
Diese Positionierung fand viel Zustimmung<br />
bei Bund und Ländern, vor allem auch bei Schulleitungen;<br />
mehrere Gespräche mit Politikern<br />
fanden dazu statt. Das Thema „Selbstständige<br />
Schule“ bleibt das schulpolitische Kernanliegen<br />
der Arbeitgeber, das sie gegenüber den Kultusministerien<br />
wie der Bildungsverwaltung vor allem<br />
in den Landesverbänden, aber auch auf Bundesebene<br />
mit Tagungen und weiteren Gesprächen<br />
mit Entscheidungsträgern sowie im Netzwerk<br />
SCHULEWIRTSCHAFT weiter vorantreiben.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Schulpolitik“<br />
98<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
BDA/BDI-Position „Selbstständige Schule – Haushalt und Personalverantwortung<br />
neu gestalten“<br />
• Schulen erhalten ein Finanzbudget, das sich an Zahl und Förderbedarf ihrer Schüler orientiert. Es<br />
ersetzt die bisherige komplexe und intransparente Form der Ausstattung durch Lehrerstellen und<br />
zweckgebundene Zuschläge.<br />
• Schulen entscheiden selbstständig, wie sie das Finanzbudget nach ihrem Bedarf einsetzen – welches<br />
pädagogische Personal sie einstellen, welche Zusatzmaßnahmen sie angehen –, und können<br />
so auf den individuellen Förderbedarf ihrer Schüler zielgerichteter eingehen.<br />
• Die Ziele der Schule orientieren sich an den Bildungsstandards und Qualitätsrahmen der Länder<br />
sowie am eigenen Profil. Bei der regelmäßigen Evaluation wird Rechenschaft über die Verwendung<br />
des Finanzbudgets gegeben. Schulleitungen brauchen für diese neuen Aufgaben entsprechende<br />
Qualifizierung und Unterstützung.<br />
• Schulen stehen vor höchst unterschiedlichen Herausforderungen, je nachdem, was ihre Schüler<br />
an Lernvoraussetzungen mitbringen. In Deutschland prägt vor allem die soziale Lage die Bildungschancen<br />
der Kinder. Schulen mit hohen Anteilen sozial schwacher Schüler können weniger voraussetzen<br />
und müssen die Startnachteile ausgleichen. Mit dem Sozialindex wird die soziale Lage der<br />
Schüler erfasst und daraus ein Sozialbudget errechnet, das besonders belastete Schulen zusätzlich<br />
erhalten.<br />
• Der Sozialindex ist notwendige Voraussetzung, um die Vergleichbarkeit von Schulen herzustellen:<br />
Erst beim Vergleich von Schulen mit ähnlicher Ausgangslage wird die jeweilige pädagogische Leistung<br />
der einzelnen Schule deutlich. Unterschiedliche Erfolge bei gleicher Startposition zeigen, dass<br />
und wo Verbesserungen in der jeweiligen Schule ansetzen müssen.<br />
• Zur Qualitätsverbesserung in der Schule gehört eine leistungsorientierte Lehrerbesoldung. Sie<br />
ermöglicht besonders leistungsfähigen und engagierten Lehrkräften den Erhalt von Zulagen und<br />
Prämien. Zuteilung und Höhe der Prämien ergeben sich aus Zielvereinbarungen von Lehrkräften<br />
und Schulleitung.<br />
• Eine Schule mit Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten wird auch für den Lehrernachwuchs<br />
attraktiv sein und neue, engagierte Lehrkräfte anziehen.<br />
• Mit Angeboten von Unternehmen, Verbänden und Bildungswerken und Aktivitäten im Bereich<br />
SCHULEWIRTSCHAFT unterstützt die Wirtschaft Schulen konkret durch die Vermittlung von Knowhow<br />
im Management, in Qualitätssicherung und Personalführung.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 99
Wettbewerb und Netzwerk<br />
„Starke Schule“<br />
Der Wettbewerb „Starke Schule 2011 – Deutschlands<br />
beste Schulen, die zur Ausbildungsreife<br />
führen“ von BDA, Bundesagentur für Arbeit (BA),<br />
Gemeinnütziger Hertie-Stiftung und Deutsche<br />
Bank Stiftung wurde in diesem Jahr ausgeschrieben<br />
und durchgeführt. Gegenüber 2009 konnte die<br />
Zahl der Bewerbungen von 594 auf 609 gesteigert<br />
werden. In der Jury sind die Arbeitgeber sehr gut<br />
vertreten: Von insgesamt 42 Jurymitgliedern sind<br />
20 von der BDA nominiert worden, dabei 13 Mitglieder<br />
allein aus den Arbeitskreisen SCHULE-<br />
WIRTSCHAFT.<br />
Der Wettbewerb ist nicht Selbstzweck, sondern<br />
dient auch der Gewinnung von Schulen für<br />
ein Netzwerk. Die Schulen erhalten zahlreiche<br />
Möglichkeiten der Fortbildung und Vernetzung.<br />
Die BDA führt die jährliche große Netzkonferenz<br />
im Haus der Deutschen Wirtschaft durch.<br />
Dabei präsentierten im Mai Siegerschulen ihre<br />
Ständig steigende Bewerberzahlen beim Schulwettbewerb<br />
„Starke Schule“<br />
Wettbewerbsbeteiligung 1999 bis 2011<br />
Anzahl der Bewerbungen<br />
700<br />
600<br />
594<br />
609<br />
500<br />
502<br />
400<br />
317<br />
300<br />
200<br />
174<br />
100<br />
88 86<br />
0<br />
Hauptschulpreis<br />
1999<br />
Hauptschulpreis<br />
2001<br />
Hauptschulpreis<br />
2003<br />
Hauptschulpreis<br />
2005<br />
Hauptschulpreis<br />
2007<br />
Starke<br />
Schule<br />
2009<br />
Starke<br />
Schule<br />
2011<br />
Quelle: Gemeinnützige Hertie-Stiftung<br />
100<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
ausgezeichneten Konzepte und stellte die BDA<br />
gemeinsam mit SCHULEWIRTSCHAFT das<br />
Instrument „PROFILehrer“ sowie den Leitfaden<br />
„Berufs orientierung“ vor, der gemeinsam mit der<br />
Bertelsmann Stiftung erarbeitet worden war. Im<br />
Rahmen der Netzkonferenz erhielt „Starke Schule“<br />
<strong>2010</strong> die Auszeichnung „365 Orte – Deutschland<br />
Land der Ideen“. Der Wettbewerb und das<br />
Netzwerk werden wissenschaftlich begleitet und<br />
evaluiert.<br />
Standards zur ökonomischen<br />
Bildung jetzt umsetzen<br />
Die deutsche Wirtschaft fordert schon seit vielen<br />
Jahren eine bessere ökonomische Bildung<br />
an allgemeinbildenden Schulen. Rückendeckung<br />
erhält sie dabei von den Gewerkschaften und<br />
ganz besonders von den Schülern selbst. Deren<br />
Interesse an wirtschaftlichen Themen ist ungebrochen.<br />
Über 70 % der Schüler wünschen sich<br />
ein eigenes Schulfach „Wirtschaft“. Leider ist<br />
ökonomische Bildung in den allgemeinbildenden<br />
Schulen nach wie vor meist nur ein Randthema –<br />
von fachfremden Lehrkräften und bestenfalls in<br />
Fächerverbünden unterrichtet.<br />
Zwei wissenschaftliche Gutachten sollen zu<br />
diesen gesellschaftlich bedeutsamen Zielen beitragen.<br />
Die 17 Mitgliedsverbände des Gemeinschaftsausschusses<br />
der Deutschen Gewerblichen<br />
Wirtschaft, zu denen auch die BDA und der<br />
BDI gehören, gaben sie in Auftrag. Sie definieren,<br />
was Schüler am Ende ihrer Schulzeit über<br />
wirtschaftliche Zusammenhänge wissen müssen<br />
und was das für die Lehrerbildung bedeutet. Am<br />
6. Oktober <strong>2010</strong> wurden diese in einer gemeinsamen<br />
Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt.<br />
Als Leitidee gilt, dass der ökonomisch gebildete<br />
Mensch seine Interessen in der heutigen<br />
Wirtschaft und Gesellschaft mündig vertreten,<br />
sachkundig urteilen und verantwortlich handeln<br />
kann:<br />
• Als Verbraucher betrifft das erforderliche<br />
ökonomische Wissen etwa Konsumentscheidungen,<br />
Geldanlage oder den Abschluss von<br />
Kredit- und Versicherungsverträgen.<br />
• In seiner Rolle als Erwerbstätiger trifft er Entscheidungen<br />
bezüglich seiner Ausbildung<br />
und der Berufswahl. Unternehmerisches<br />
Denken hilft Selbstständigen ebenso wie<br />
Arbeitgebern oder Arbeitnehmern, die sich im<br />
Interesse ihres Unternehmens einsetzen.<br />
• Schließlich umfasst die Rolle des Wirtschaftsbürgers<br />
seine Eigenschaften als Transferempfänger,<br />
Beitrags- und Steuerzahler, Wähler<br />
und engagierter Bürger.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeit geber.de ><br />
kompakt > „Ökonomische Bildung“ sowie unter<br />
www.arbeitgeber.de > Themen A–Z > Ökonomische<br />
Bildung<br />
Bundesweite Schulbuchanalyse<br />
setzt Schlusspunkt zum Jahresthema<br />
2009/<strong>2010</strong><br />
Wirtschaftliche Zusammenhänge spielen heute<br />
in fast allen Lebensbereichen eine Rolle. Doch<br />
die ökonomischen Kenntnisse vieler junger Menschen<br />
lassen stark zu wünschen übrig. Dem<br />
Nachwuchs sind seine Wissenslücken durchaus<br />
bewusst: Fast drei Viertel der 14- bis 24-Jährigen<br />
interessieren sich für das Thema „Wirtschaft“. Sie<br />
möchten im Unterricht mehr über Wirtschaft erfahren,<br />
als ihnen zurzeit geboten wird.<br />
Mit seinen Aktivitäten und Projekten zum<br />
Jahresthema 2009/<strong>2010</strong> „Ökonomische Bildung<br />
stärken – Schule und Wirtschaft in der Sozialen<br />
Marktwirtschaft“ gab das Netzwerk SCHULE-<br />
WIRTSCHAFT bundesweit vielfältige Impulse. Die<br />
praxisnahen Angebote reichten von Schülerfirmen,<br />
Wirtschaftsplanspielen über Lehrerfortbildungen<br />
und Schülerwettbewerbe bis zur Veröffentlichung<br />
von Unterrichtsmaterialien. Die Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
SCHULEWIRTSCHAFT plant die<br />
Einführung eines bundesweiten Wirtschaftsplanspiels<br />
für diese Zielgruppe.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 101
Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse<br />
einer bundesweiten Studie zum Bild von Unternehmern<br />
und Wirtschaft in Schulbüchern im<br />
Dezember <strong>2010</strong> setzt SCHULEWIRTSCHAFT<br />
einen Schlusspunkt zum Jahresthema. Die vom<br />
IW erarbeitete Studie zeigt, dass Unternehmer in<br />
Schulbüchern noch immer eine „Blackbox“ sind,<br />
die nur selten beleuchtet wird. Dabei sind Schulbücher<br />
nach wie vor Leitmedien der Erziehung<br />
und Bildung von Jugendlichen im öffentlichen<br />
Schulsystem. Sie geben offizielles Wissen weiter<br />
und strukturieren – in Anlehnung an Lehrpläne<br />
– den Unterricht. Mit seiner Analyse ging das<br />
IW daher der Frage nach, welche Vorstellungen<br />
von Sozialer Marktwirtschaft in den Schulbüchern<br />
begründet und auf welche Weise darin Unternehmer<br />
als Akteure im Wertschöpfungsprozess<br />
dargestellt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass<br />
die Soziale Marktwirtschaft, ihre Merkmale und<br />
Funktionsweisen in einem Großteil der untersuchten<br />
Schulbücher nicht angemessen dargestellt<br />
werden. Unternehmerische Verantwortung<br />
oder die Bedeutung von Gewinn und Investitionen<br />
werden in Geschichts- und Erdkundebüchern<br />
fast gar nicht angesprochen. Auch kommen<br />
z. B. Unternehmensformen und Arbeitsabläufe in<br />
Unternehmen nur selten vor. Stattdessen werden<br />
Unternehmen meist eingebettet in einen formalen<br />
„Wirtschaftskreislauf“, der Automatismus und<br />
staatliche Lenkung suggeriert: Wirtschaftswachstum<br />
im Allgemeinen, Industrieansiedlung und<br />
Existenzgründung im Besonderen werden so in<br />
der Verantwortung kommunaler oder staatlicher<br />
Stellen gesehen.<br />
Nähere Informationen unter www.schulewirtschaft.de<br />
Erfolgreiche Zusammenarbeit mit<br />
der Bundesagentur für Arbeit<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT<br />
und BA haben im Rahmen ihrer intensivierten<br />
Zusammenarbeit ein Arbeitsmittel für Lehrkräfte<br />
der Sekundarstufe I entwickelt, das ihnen eine<br />
Bewertungs- und Entscheidungshilfe bei der Einschätzung<br />
von Berufsorientierungsangeboten an<br />
die Hand gibt. Zugleich werden die wichtigsten<br />
Erfolgsfaktoren einer gelingenden Berufsorientierung<br />
anschaulich dargestellt. Dazu gehören ein<br />
Berufsorientierungskonzept an der Schule, inhaltliche,<br />
organisatorische und Verfahrenskriterien<br />
sowie Prozesscontrolling, Dokumentation und<br />
Evaluation der Berufsorientierung.<br />
Die Checkliste „Gelungene Berufsorientierung<br />
an Schulen der Sekundarstufe I“ wurde von<br />
Pädagogen, Ausbildungsleitern, Berufsberatern<br />
und Vertretern aus einigen Kultusministerien der<br />
Länder entwickelt und von Lehrkräften an Schulen<br />
der Sekundarstufe I bundesweit erprobt. Pädagogen<br />
können die Checkliste auch herunterladen<br />
und nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen<br />
anpassen. Die Checkliste wurde im November<br />
<strong>2010</strong> veröffentlicht und über die Kultusministerien<br />
allen Schulen der Sekundarstufe I zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Zwischen BA-Vorstand Raimund Becker und<br />
den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Ulrich Wiethaup und Ernst Baumann fand ein<br />
Gespräch in Nürnberg statt. Darin wurde eine erste<br />
Bilanz der Zusammenarbeit zwischen BA und Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
gezogen sowie die künftigen<br />
Themenfelder und Aktivitäten im Rahmen der<br />
Kooperation abgesteckt.<br />
Nähere Informationen unter www.schulewirtschaft.de.<br />
Positive Bilanz des Projekts<br />
„Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT<br />
Ostdeutschland“<br />
Vor zwei Jahren wurde vom Beauftragten der Bundesregierung<br />
für die neuen Bundesländer zusammen<br />
mit der BDA und SCHULEWIRTSCHAFT<br />
das Projekt „Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT<br />
Ostdeutschland“ gestartet. Unterstützt wurde die<br />
Initiative durch die strategische Partnerschaft mit<br />
der BA und der Deutschen Kreditbank.<br />
Gefördert wurden die regionalen Arbeitskreise<br />
SCHULEWIRTSCHAFT in Ostdeutschland bei<br />
der Entwicklung und Durchführung von Kooperationsprojekten<br />
zwischen Schulen und Unternehmen<br />
mit dem Ziel, Fachkräfte in der Region auszubilden<br />
und zu halten. Das Projekt leistete einen<br />
Beitrag, die praxisbezogene Berufsorientierung<br />
zu verbessern, leistungsstarke Schülerinnen und<br />
102<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
Schüler für die Region zu begeistern, leistungsschwächere<br />
Jugendliche aufzufangen sowie die<br />
Praxisnähe der MINT-Fächer zu fördern.<br />
Am 5. November <strong>2010</strong> wurden die Ergebnisse<br />
des Projekts im Haus der Deutschen Wirtschaft<br />
vorgestellt. Arbeitgeberpräsident Prof.<br />
Dr. Dieter Hundt dankte dem Ehrenamt in den<br />
Arbeitskreisen und den Projektmitarbeitern. Der<br />
Erfolg des Engagements schlug sich u. a. in der<br />
Gründung von mehr als 20 neuen SCHULEWIRT-<br />
SCHAFT-Arbeitskreisen in den zurückliegenden<br />
zwei Jahren nieder. Der Bundesinnenminister<br />
und Beauftragte der Bundesregierung für die<br />
neuen Bundesländer, Dr. Thomas de Maizière,<br />
betonte die Bedeutung der Initiative nach 20 Jahren<br />
Wiedervereinigung vor dem Hintergrund der<br />
rückläufigen demografischen Entwicklung in den<br />
neuen Bundesländern und der Probleme bei<br />
der Sicherung des Fachkräftenachwuchses. Mit<br />
dem Projekt wurde die Arbeit in den regionalen<br />
Arbeitskreisen SCHULEWIRTSCHAFT gestärkt.<br />
Die ehrenamtlichen Akteure wurden ermutigt,<br />
Projekte über eine längere Laufzeit anzugehen<br />
bzw. gute Ansätze zu verstetigen. Ziel ist es, die<br />
Produkte in die Fläche zu tragen und die Netzwerkarbeit<br />
zu vertiefen.<br />
Die entstandenen Produkte, z. B. ein Imagefilm<br />
über die Projektarbeit und eine Netzwerkbroschüre,<br />
sind auf der Projekt-Website verfügbar.<br />
Nähere Informationen unter www.schulewirtschaftostdeutschland.de<br />
Ausbildungsmarkt – Unternehmen<br />
sichern ihren Fachkräftenachwuchs<br />
Bereits zum Ende des Vermittlungsjahres am<br />
30. September konnte eine positive Zwischenbilanz<br />
auf dem Ausbildungsmarkt gezogen werden.<br />
Das ist nicht selbstverständlich. Denn in vielen<br />
Betrieben ist die Entscheidung über Ausbildung<br />
noch im Schatten der Wirtschaftskrise getroffen<br />
worden. Die Unternehmen haben aber gezeigt,<br />
dass sie vorausschauend agieren und selbst<br />
unter schwierigen Rahmenbedingungen an Ausbildung<br />
festhalten, um sich auch mittelfristig Fachkräftenachwuchs<br />
zu sichern.<br />
So haben die Betriebe <strong>2010</strong> 17.200 Ausbildungsplätze<br />
mehr (4,2 %) angeboten als vor<br />
einem Jahr. Die Zahl der Bewerber ist in etwa<br />
konstant geblieben, so dass sich die Chancen<br />
junger Menschen auf Ausbildung weiter verbessert<br />
haben. Zu beachten ist, dass sich die Zahl der<br />
Bewerber regional unterschiedlich entwickelt. In<br />
den neuen Bundesländern ist sie mit 13 % erneut<br />
stark zurückgegangen, in den letzten drei Jahren<br />
hat sie sich sogar halbiert.<br />
Zum 30. September gab es auch wieder – wie<br />
bereits in den beiden Vorjahren – mehr unbesetzte<br />
Ausbildungsplätze als noch unvermittelt gemeldete<br />
Ausbildungsbewerber. Das Angebot überstieg die<br />
Nachfrage um 7.300: Zum 30. September <strong>2010</strong><br />
waren noch 12.300 Bewerber bei den Arbeitsagenturen<br />
als unvermittelt registriert. Ihnen standen<br />
19.600 unbesetzt gemeldete Ausbildungsplätze<br />
gegenüber. Die Aussichten für die Nachvermittlung<br />
waren ausgezeichnet: Dementsprechend<br />
konnte die Zahl der noch unvermittelt gemeldeten<br />
Bewerber bis November weiter auf 8.100 reduziert<br />
werden. Ihnen stehen noch ausreichend Angebote<br />
(über 14.000 unbesetzte Ausbildungsplätze<br />
und offene EQ-Plätze) gegenüber. Eine endgültige<br />
Bilanz der Nachvermittlung wird im Januar 2011<br />
gezogen.<br />
Stabil haben sich auch die Ausbildungsverträge<br />
entwickelt. Insgesamt wurden bis<br />
Ende September 560.070 Ausbildungsverträge<br />
abgeschlossen, ein nur leichtes Minus gegenüber<br />
dem Vorjahr von 0,8 %. Erfreulich ist, dass<br />
bei den betrieblichen Verträgen ein leichtes Plus<br />
(0,1 %) zu verzeichnen ist, das Minus insgesamt<br />
also auf die außerbetrieblichen Plätze zurückzuführen<br />
ist.<br />
Ihre Zusagen aus dem bestehenden Ausbildungspakt<br />
hat die Wirtschaft Ende September z. T.<br />
bereits erfüllt – die Anstrengungen gehen weiter.<br />
So wurden bis zu diesem Zeitpunkt 58.400 neue<br />
Ausbildungsplätze (Zusage: 60.000) sowie 36.200<br />
neue Ausbildungsbetriebe (Zusage: 30.000) eingeworben.<br />
Eine Gesamtbilanz der Paktzusagen wird<br />
im Januar 2011 vorgelegt.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Ausbildungsmarkt“<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 103
Ausbildungspakt – mit neuen<br />
Partnern weiterentwickelt<br />
Der „Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftesicherung“<br />
hat in den letzten Jahren erheblich<br />
dazu beigetragen, die Situation auf dem Ausbildungsmarkt<br />
trotz teilweise schwieriger Rahmenbedingungen<br />
zu verbessern. Der Lenkungsausschuss<br />
Ausbildungspakt hat daher in seiner<br />
Sitzung am 26. Oktober <strong>2010</strong> beschlossen, den<br />
Pakt bis 2014 fortzusetzen und weiterzuentwickeln.<br />
Neue Paktpartner sind die Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) sowie die Integrationsbeauftragte<br />
der Bundesregierung.<br />
Die Wirtschaft hat sich im Zuge der Gespräche<br />
zur Verlängerung intensiv dafür eingesetzt,<br />
dass sich die veränderte Lage auf dem Ausbildungsmarkt<br />
(Bewerberrückgang) im Pakt widerspiegelt<br />
und insgesamt realistische Ziele vereinbart<br />
werden, die mit eigenen Beiträgen der<br />
Paktpartner auch tatsächlich erreichbar sind. Der<br />
Ausbildungspakt wird angesichts rückläufiger<br />
Bewerberzahlen stärker auf die Fachkräftesicherung<br />
und Ausbildungsreife ausgerichtet.<br />
Die Wirtschaft strebt an, pro Jahr 60.000<br />
neue Ausbildungsplätze, 30.000 neue Ausbildungsbetriebe<br />
und 40.000 Plätze für Einstiegsqualifizierung<br />
einzuwerben. Dies ist aber kein<br />
Selbstzweck, da es angesichts des Bewerberrückgangs<br />
schwierig sein kann, weitere Angebote<br />
einzuwerben. Es wird zudem deutlich gemacht,<br />
dass alle Paktpartner zur Erfüllung dieser Ziele<br />
ihren Beitrag leisten müssen, vor allem im Hinblick<br />
auf die Ausbildungsreife. Denn nur so stehen<br />
überhaupt genügend geeignete Bewerber für die<br />
Ausbildungsplätze zur Verfügung.<br />
Die Bilanzierung des Ausbildungspakts erfolgt<br />
weiterhin insbesondere anhand der Gegenüberstellung<br />
von unbesetzten Ausbildungsplätzen<br />
und unvermittelten Bewerbern. Anschließend<br />
werden weitere Daten – etwa zu den Bewerbern,<br />
die in Alternativen gemündet sind, aber ihren<br />
Die sieben zentralen Handlungsfelder des Ausbildungspakts<br />
<strong>2010</strong> –2014:<br />
• Ausbildungsreife sicherstellen<br />
• Berufsorientierung ausbauen und weiterentwickeln<br />
• Jugendliche und Betriebe besser zusammenbringen<br />
• alle Potenziale erschließen<br />
• neue Ausbildungsplätze und neue Ausbildungsbetriebe gewinnen<br />
• Übergangssystem neu strukturieren und effizienter gestalten<br />
• Datenlage verbessern<br />
104<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
Zukunft bewegen.<br />
„Wir bewegen Zukunft.<br />
Weil Vielfalt erfolgreich ist.“<br />
Bei der Deutschen Bahn tragen weltweit 290.000 Frauen und Männer aus<br />
130 Ländern dazu bei, dass Menschen und Güter sicher ihr Ziel erreichen. Es ist<br />
diese Vielfalt, die den DB-Konzern erfolgreich macht und seine Zukunftsfähigkeit<br />
sichert. Bei der Deutschen Bahn ist Chancengleichheit eine Selbstverständlichkeit.<br />
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können auf die DB als Arbeitgeber vertrauen –<br />
auf sichere Arbeitsplätze, gute Entwicklungsmöglichkeiten und Unterstützung bei<br />
der Vereinbarung von Familie und Beruf. Genauso wie auf eine gerechte Entlohnung,<br />
eine verlässliche Altersvorsorge und individuelle Gesundheitsprogramme.<br />
Mehr Informationen zur DB als Arbeitgeber finden Sie unter<br />
www.deutschebahn.com/karriere.
Vermittlungswunsch aufrechterhalten haben –<br />
analysiert, um ggf. erforderliche Handlungsansätze<br />
ausfindig machen zu können.<br />
Die Arbeitgeberverbände tragen mit vielen<br />
Initiativen zur Umsetzung des Pakts bei,<br />
etwa durch Unterstützung ausbildender Betriebe,<br />
Berufsvorbereitung schwächerer Jugendlicher<br />
und Berufsorientierung von Schülern. Eine<br />
besondere Rolle spielt gerade bei der stärkeren<br />
Fokussierung des Pakts auf Ausbildungsreife und<br />
Berufsorientierung das bundesweite Netzwerk<br />
SCHULEWIRTSCHAFT. Es steht z. B. für die<br />
Zusage, jeder interessierten Schule einen Partner<br />
aus der Wirtschaft zu vermitteln. Zudem wird es<br />
sein Augenmerk künftig stärker auf die Berufsorientierung<br />
junger Migranten richten.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeit geber.de ><br />
kompakt > „Ausbildungspakt“ und unter www.arbeit -<br />
geber.de > argumente > „Wir bilden aus!“ sowie<br />
unter www.arbeitgeber.de > Themen A–Z > Ausbildungspakt<br />
Zukunft der Jugendwohnheime<br />
sichern<br />
Für Arbeitgeber stellt Mobilität auf dem Ausbildungsmarkt<br />
ein wichtiges Anliegen dar. Es nützt<br />
allen Beteiligten, wenn Bewerber und Ausbildungsbetrieb<br />
möglichst gut zueinander passen. In einigen<br />
Regionen Deutschlands schlägt obendrein schon<br />
heute die demografische Entwicklung drastisch auf<br />
das Matching durch. Für viele Ausbildungsbetriebe<br />
bleibt dann aus Mangel an Bewerbern nur noch die<br />
Alternative, junge Menschen aus weiter entfernten<br />
Regionen zu rekrutieren. Andererseits können viele<br />
Bewerber eine spezielle Ausbildung, die ihren<br />
Interessen und Neigungen entspricht, oft nur fernab<br />
des Heimatorts finden. Jugendwohnheime senken<br />
in diesen Fällen eine entscheidende Hürde,<br />
die einer Realisierung der vorhandenen Mobilitätsbereitschaft<br />
oft im Wege steht. Die BDA setzt sich<br />
daher zusammen mit dem DGB für den Erhalt von<br />
Jugendwohnheimen ein. In einer gemeinsamen Initiative<br />
fordern die Sozialpartner die Politik auf, die<br />
fachliche und finanzielle Verantwortung zu klären.<br />
Insbesondere für den Erhalt der Bausubstanz werden<br />
in den kommenden Jahren Investitionen fällig.<br />
Ohne angemessene finanzielle Unterstützung<br />
werden in Zukunft Wohnheime schließen müssen.<br />
Auf Drängen der BDA wurde eine Zusage der Bundesregierung<br />
in den Text des Ausbildungspakts<br />
<strong>2010</strong>–2014 aufgenommen, den Bedarf und ggf. die<br />
Möglichkeiten der Finanzierung zu prüfen.<br />
Flexible Strukturen in der<br />
Ausbildung nutzen<br />
Den Empfehlungen des Innovationskreises Berufliche<br />
Bildung aus dem Jahr 2007 folgend wird<br />
in jedem Neuordnungs- oder Modernisierungsverfahren<br />
von Ausbildungsordnungen die Chance<br />
zur Bildung von Berufsgruppen geprüft. Ziel<br />
ist es, Schnittmengen verschiedener Berufe im<br />
Rahmen flexibler Strukturmodelle zu nutzen und<br />
damit mehr berufliche Mobilität zu ermöglichen<br />
und auch die Beschulung zu vereinfachen. Dabei<br />
bieten sich zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten,<br />
um einerseits dem betrieblichen Bedarf an<br />
praxisorientierten Ausbildungsordnungen und<br />
andererseits dem politischen Ziel, eine zu starke<br />
Spezialisierung von Berufen zu vermeiden, Rechnung<br />
zu tragen. Wichtig ist aber der Grundsatz:<br />
Ausbildung folgt keinem Einheitsmodell. BDA und<br />
BDI sind an allen Neuordnungsverfahren durch<br />
Sachverständige aus den betroffenen Branchen<br />
beteiligt. Neuordnungsverfahren gehören damit<br />
zu den Kernaktivitäten von BDA und BDI in der<br />
Berufsbildung. In den jeweiligen Verfahren liegt<br />
der Fokus darauf, möglichst flexible Ausbildungsstrukturen<br />
zu verankern – entsprechend dem<br />
BDA-Strukturmodell „2 + x“. Ziel muss es immer<br />
sein, möglichst vielen Betrieben die Ausbildung zu<br />
ermöglichen, aber gleichzeitig durch die Formulierung<br />
der Mindeststandards die Qualität der Ausbildung<br />
zu sichern. Die Vielfalt der ausbildenden<br />
Betriebe stellt gerade bei branchenübergreifenden<br />
Berufen häufig eine große Herausforderung<br />
dar. Zunehmend wird wichtig, die unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen der Jugendlichen bei der<br />
Gestaltung von Berufen zu beachten und auch<br />
dies im Rahmen flexibler Modelle zu berücksichtigen,<br />
die den Einstieg in Ausbildung erleichtern,<br />
aber gleichzeitig leistungsstarken Jugendlichen<br />
eine hochwertige Qualifizierung ermöglichen.<br />
Zum 1. August <strong>2010</strong> konnte die Ausbildung<br />
in elf modernisierten Berufen starten. In allen Verfahren<br />
wurden bedarfsgerechte flexible Modelle<br />
106<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
Jugendwohnen hilft, Mobilität zu realisieren<br />
Potenziale liegen brach<br />
Schulabgänger, die grundsätzlich<br />
bereit sind, einen Ausbildungsplatz<br />
über 100 km entfernt anzunehmen,<br />
wenn ein Platz im „Lehrlingswohnheim“<br />
vorhanden ist<br />
246.000<br />
Bewerber aus über<br />
100 km Entfernung<br />
126.000<br />
Auszubildende, die ihre<br />
Mobilität realisieren<br />
20.000<br />
Auszubildende im Jugendwohnen<br />
15.000<br />
0 100.000 200.000<br />
300.000<br />
400.000 Personen<br />
Quelle: Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism e. V.), <strong>2010</strong><br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 107
genutzt. So wurden z. B. bei der Modernisierung<br />
des Papiertechnologen umfangreiche neue Qualifikationserfordernisse<br />
im Rahmen von Pflicht- und<br />
Wahlqualifikationen berücksichtigt. Damit bleibt<br />
den Betrieben in Zukunft die Freiheit, je nach ihren<br />
Anforderungen Qualifikationsbausteine zu wählen.<br />
Dennoch bleibt ein einheitlicher Ausbildungsstandard<br />
gewährleistet. Eine Besonderheit bietet<br />
die Ausbildung zum/zur Böttcher/-in. Hier besteht<br />
auf der Grundlage eines gemeinsamen Rahmenlehrplans<br />
die Möglichkeit, in Österreich die Schule<br />
zu besuchen. Die niedrige Zahl an Auszubildenden<br />
und die vergleichbaren Kompetenzanforderungen<br />
in beiden Ländern machen dies möglich.<br />
Damit stellt dieser traditionelle Handwerksberuf<br />
ein besonderes Beispiel für die europäische<br />
Zusammenarbeit in der Berufsbildung dar. Die<br />
Ausbildung zum/zur Feinwerkmechaniker/-in wurde<br />
um einen Schwerpunkt Zerspanungstechnik<br />
ergänzt. Auch hier wurden flexible Strukturen<br />
genutzt und kein eigener Beruf entwickelt, sondern<br />
ein zusätzlicher Schwerpunkt in einem bestehenden<br />
Beruf gewählt. Die zwei neu geordneten Berufe<br />
Geomatiker/-in und Vermessungstechniker/-in<br />
sind über gemeinsame Ausbildungsinhalte von<br />
einem Jahr zu Beginn der Ausbildung miteinander<br />
verbunden. Die beiden Berufe Kartograf/-in und<br />
Bergvermessungstechniker/-in wurden in die neuen<br />
Profile integriert und bestehen als eigenständige<br />
Berufe nicht mehr fort.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Moderne Strukturen in der dualen<br />
Ausbildung“<br />
Modernisierung der Ausbildungsordnungen konkret<br />
Neu geordnet wurden die Berufe:<br />
Böttcher/-in, Büchsenmacher/-in, Feinwerkmechaniker/-in, Geomatiker/-in (ehemals Kartograf/-in),<br />
Milchtechnologe/-technologin, Papiertechnologe/-technologin, Pferdewirt/-in, Revierjäger/-in, Segelmacher/-in,<br />
Technische(r) Konfektionär/-in, Vermessungstechniker/-in<br />
Im weiteren Erarbeitungsverfahren für die Neuordnung zum 1. August 2011 befinden sich die<br />
Berufe:<br />
Augenoptiker/-in, Bootsbauer/-in, Buchbinder/-in, Buchhändler/-in, Drucktechnologe/-technologin,<br />
Fachkraft für Lederverarbeitung (zweijähriger Beruf), Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice,<br />
Mediengestalter/-in Flexografie, Packmitteltechnologe/-technologin, Printmedienverarbeiter/-in,<br />
Technische(r) Produktdesigner/-in, Technische(r) Systemplaner/-in, Tourismuskaufmann/-frau (ehemals<br />
Reiseverkehrskaufmann/-frau), Siebdrucktechnologe/-technologin, Verfahrensmechaniker/-in für Kunststoff-<br />
und Kautschuktechnik<br />
In der beruflichen Fortbildung wurden im Berichtsjahr folgende Verordnungen erlassen<br />
(nach § 53 BBiG):<br />
Industriefachwirt/-in, Personaldienstleistungsfachwirt/-in<br />
Im Neuordnungs- bzw. Erlassverfahren befinden sich die Fortbildungsverordnungen:<br />
Betriebswirt/-in (HwO), Fachkaufmann/-frau für Büromanagement, Fachwirt/-in für Logistik/Güterverkehr,<br />
Fachwirt/-in für Personenverkehr/Mobilitätsdienstleistungen, Kraftverkehrsmeister/-in, Meister/-in für<br />
Lagerwirtschaft, Polier/-in, Sportfachwirt/-in, Tourismusfachwirt/-in<br />
108<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
Mehrwert des DQR als Transparenzinstrument<br />
nicht gefährden<br />
Die Erprobung des Entwurfs eines Deutschen<br />
Qualifikationsrahmens (DQR), die im Mai 2009<br />
in den vier Berufs- bzw. Tätigkeitsfeldern<br />
Metall/ Elektro, IT, Handel und Gesundheit begonnen<br />
hat, ist abgeschlossen. Ziel dieser Phase war<br />
es, die Praxistauglichkeit der DQR-Beschreibungen<br />
zu testen und erste exemplarische Zuordnungen<br />
von Qualifikationen vorzunehmen. Auf<br />
der Grundlage der Empfehlungen der Arbeitsgruppen,<br />
in denen jeweils Vertreter der betroffenen<br />
Branchen mitgewirkt haben, wurde der Entwurf<br />
des DQR teilweise überarbeitet. Die finale<br />
Abstimmung findet Ende des Jahres statt. Aus<br />
der Sicht der Wirtschaft war es dabei wichtig, die<br />
konsequente Orientierung an Handlungskompetenz<br />
als Leitkriterium für die Einstufung von Qualifikationen<br />
beizubehalten. Dies scheint gelungen,<br />
so dass der DQR grundsätzlich geeignet ist, Qualifikationen<br />
anhand des Niveaus der vermittelten<br />
Handlungskompetenz vergleichbar zu machen.<br />
Auf der Grundlage des finalen Entwurfs<br />
wird über die zukünftige Zuordnung von Qualifikationen<br />
entschieden. Dabei dienen die Empfehlungen<br />
der Experten der Arbeitsgruppen als<br />
Beratungsgrundlage. Diese sind bezüglich der<br />
beruflichen Bildung zu divergierenden Ergebnissen<br />
gekommen, die grundsätzlich eine Zuordnung<br />
der dualen Ausbildung auf den DQR-Niveaus 3–5<br />
zulassen. Die berufliche Aufstiegsfortbildung findet<br />
sich in den Vorschlägen der Arbeitsgruppen<br />
in den Niveaus 5–7 wieder. Dies bestätigt Forderungen<br />
von BDA und BDI, in der beruflichen Bildung<br />
differenzierte Zuordnungen vorzunehmen,<br />
um die Vielfalt und damit Attraktivität beruflicher<br />
Qualifikationen sichtbar zu machen. Wirtschaftsseitig<br />
erfolgte mit den Kammerorganisationen<br />
eine Einigung, in der Startphase des DQR aus<br />
Gründen der Umsetzbarkeit und Praktikabilität<br />
zunächst pauschale Zuordnungen vorzunehmen<br />
(zweijährige Berufe DQR-Niveau 3, dreijährige<br />
Berufe DQR-Niveau 4). Diese können anschließend<br />
in Neuordnungsverfahren oder auch außerhalb<br />
eines entsprechenden Verfahrens aufgrund<br />
eines speziellen Antrags korrigiert werden. Mittelfristig<br />
würde es dadurch zu differenzierten Zuordnungen<br />
(Niveaus 3–5) der dualen Ausbildung<br />
kommen und damit der Mehrwert des DQR als<br />
Transparenz instrument sichergestellt werden. Die<br />
Wirtschaft wird diesen Verfahrensvorschlag in die<br />
weitere Abstimmung einbringen.<br />
Umstritten ist derzeit der Vorschlag der KMK,<br />
die allgemeine und fachgebundene Hochschulreife<br />
auf DQR-Niveau 5 zu verorten. Dies hätte zur<br />
Folge, dass dem Abitur in der Regel die Vermittlung<br />
einer höheren Handlungskompetenz zugeordnet<br />
wird als einer dualen Ausbildung – was<br />
sowohl von Wirtschaft als auch Gewerkschaften<br />
vehement abgelehnt wird. Eine derartige Einstufung<br />
stellt den Mehrwert des DQR als Transparenzinstrument<br />
grundsätzlich in Frage und wird<br />
daher von BDA und BDI nicht mitgetragen. Der<br />
Arbeitskreis DQR wird im November den Entwurf<br />
eines DQR abschließend beraten. Die konkrete<br />
Zuordnung von Qualifikationen sowie das diesbezügliche<br />
Verfahren werden im Frühjahr 2011 im<br />
Mittelpunkt stehen.<br />
Europäische Zusammenarbeit in<br />
der beruflichen Bildung fortsetzen<br />
Die EU-Bildungsminister beschlossen im Dezember<br />
in Brügge den strategischen Rahmen für die<br />
zukünftige Zusammenarbeit in der beruflichen<br />
Bildung in Europa (Fortsetzung des 2002 gestarteten<br />
Kopenhagen-Prozesses). Bereits im Juni<br />
hatte die EU-Kommission mit der Mitteilung „Ein<br />
neuer Impuls für die europäische Zusammenarbeit<br />
in der beruflichen Aus- und Weiterbildung<br />
zur Unterstützung der Strategie Europa 2020“<br />
wesentliche Punkte hervorgehoben. Im Fokus<br />
steht die Attraktivitätssteigerung der beruflichen<br />
Bildungssysteme durch eine stärkere Ausrichtung<br />
am Bedarf des Arbeitsmarkts und einen verbesserten<br />
Übergang in die Hochschulen. Die größere<br />
Flexibilität in der Berufsbildung, eine stärkere Orientierung<br />
an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts,<br />
die Lern ergebnisorientierung sowie die engere<br />
Zusammenarbeit mit den Hochschulen entsprechen<br />
den bildungspolitischen Forderungen von<br />
BDA und BDI und werden daher begrüßt.<br />
Neue Fragen wirft insbesondere die Initiative<br />
„Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen“<br />
auf. Die EU-Kommission plant u. a. die<br />
Entwicklung eines europäischen Rahmens für<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 109
Qualifikationen, Kompetenzen und Berufe (European<br />
Skills Competences and Occupations Taxonomy,<br />
ESCO), der als gemeinsame sprachliche<br />
und operative Grundlage für Bildung und Beschäftigung<br />
dienen soll und den Abgleich von Qualifikationen<br />
und der Arbeitsmarktnachfrage erleichtern<br />
soll. Auf europäischer Ebene sollen für jeden Beruf<br />
die relevanten Kompetenzen definiert werden. Die<br />
entsprechenden Beschreibungen sollen zukünftig<br />
Grundlage für die Formulierung von Stellenprofilen,<br />
Lebensläufen, Lehrplänen u. Ä. sein. Die BDA<br />
sieht die Initiative skeptisch. Die EU-Kommission<br />
hat bislang nicht ausreichend deutlich gemacht,<br />
welcher Mehrwert mit einer entsprechenden Klassifikation<br />
verbunden ist – insbesondere auch im<br />
Verhältnis zu dem enormen Aufwand, den die<br />
Erstellung eines alle Berufe umfassenden Instruments<br />
erfordert. Grundsätzlich bestehen Zweifel<br />
an der Umsetzbarkeit eines derart ambitionierten<br />
Vorhabens. Befürchtet werden auch Auswirkungen<br />
auf das nationale Bildungssystem, z. B. die<br />
zukünftige Formulierung von Ausbildungsordnungen,<br />
aber auch auf die Klassifikation der Berufe<br />
<strong>2010</strong>, die wiederum Grundlage für den Tätigkeitsschlüssel<br />
und damit für das Arbeitgebermeldeverfahren<br />
zur Sozialversicherung ist. Die BDA wird<br />
diese Position in die weiteren Abstimmungsprozesse<br />
einbringen.<br />
Im Ausland erworbene Qualifikationen<br />
transparent machen<br />
Die Bundesregierung hat im Dezember 2009<br />
Eckpunkte zur Verbesserung der Feststellung<br />
und Anerkennung von im Ausland erworbenen<br />
beruflichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen<br />
beschlossen. Diese sehen einen Anspruch<br />
auf ein Verfahren vor, in dem geprüft wird, ob<br />
und in welchem Maße im Ausland erworbene<br />
Qualifikationen deutschen Ausbildungen entsprechen.<br />
Ausdrückliches Ziel ist es, die Chancen auf<br />
dem Arbeitsmarkt für alle Personen mit im Ausland<br />
erworbenen beruflichen Qualifikationen und<br />
Berufsabschlüssen zu verbessern, die sich rechtmäßig<br />
in Deutschland aufhalten. Die BDA begrüßt<br />
das Anliegen der Bundesregierung, durch eine<br />
verbesserte Anerkennung die Integration von<br />
Migranten zu fördern. Es müssen Wege gefunden<br />
werden, Qualifikationen für den Arbeitsmarkt<br />
besser verwertbar zu machen. Voraussetzung<br />
hierfür ist insbesondere, verständlich zu machen,<br />
welche Kompetenzen im Rahmen einer Qualifikation<br />
erworben wurden. Die BDA fordert daher<br />
Verfahren, die möglichst effizient und unbürokratisch<br />
die vorhandenen Kompetenzen dokumentieren.<br />
Neben den üblichen Äquivalenzverfahren, in<br />
denen ausländische Qualifikationen inhaltlich mit<br />
den entsprechenden inländischen Qualifikationen<br />
verglichen und die vorhandenen Defizite festgestellt<br />
werden, müssen ergänzend Möglichkeiten<br />
geschaffen werden, Kompetenzen auch unabhängig<br />
von formalen Qualifikationen zu dokumentieren<br />
– ggf. auch als Grundlage für spätere Nachqualifizierungsmaßnahmen.<br />
Die BDA hat hierzu die Position „Integration<br />
in den Arbeitsmarkt erleichtern. Im Ausland erworbene<br />
Qualifikationen transparenter machen“ veröffentlicht.<br />
Die Hochschule der Zukunft:<br />
das Leitbild der Wirtschaft<br />
Autonomie, Ergebnisorientierung und gesellschaftliche<br />
Verantwortung der Hochschulen wie<br />
auch eine wettbewerblich organisierte Spitzenförderung<br />
in Forschung und Lehre prägen die aktuelle<br />
hochschulpolitische Reformagenda. Zwar<br />
sind diese Anstrengungen zur Modernisierung<br />
der Hochschulen zu begrüßen und weisen in die<br />
richtige Richtung. Doch um für die Herausforderungen<br />
der Zukunft gerüstet zu sein, sind weitere<br />
Verbesserungen notwendig. So müssen die<br />
Hochschulen der Zukunft viel stärker als bisher<br />
ihre zentrale gesellschaftliche Rolle als Bildungsund<br />
Weiterbildungsort für hoch qualifizierte Fachkräfte,<br />
als soziales Sprungbrett, Innovationsquelle<br />
und Zukunftslaboratorium wahrnehmen. Für ihre<br />
Leistungen in Lehre, Studium und Weiterbildung,<br />
Forschung und Technologietransfer müssen sie<br />
zudem angemessen und leistungsorientiert ausgestattet<br />
werden und die Möglichkeit erhalten,<br />
mit Partnern in Wirtschaft und Gesellschaft ungehindert<br />
zusammenzuarbeiten. Auch die Politik ist<br />
gefragt: Um der in den nächsten Jahren stark steigenden<br />
Nachfrage nach Studienplätzen gerecht<br />
werden zu können, benötigen die Hochschulen<br />
zusätzliche Mittel – in Anbetracht des aufkommenden<br />
Fachkräftemangels ist dies eine wichtige<br />
Investition in die Zukunft.<br />
110<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
Die Hochschule der Zukunft: das Leitbild der Wirtschaft<br />
Die Hochschule in der Gesellschaft: Die Hochschule der Zukunft identifiziert und deckt den Bedarf an<br />
wissenschaftlicher Bildung und Forschung und erschließt ständig neue Wissensgebiete. Dadurch kommt<br />
ihr in der Wissensgesellschaft eine Schlüsselrolle für gesellschaftliche Entwicklung, Innovation und die<br />
Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte zu. Die Hochschullandschaft weist eine große Vielfalt an Einrichtungen<br />
auf, die zusammenarbeiten, aber auch im Wettbewerb miteinander stehen. Neben staatlichen<br />
nehmen gleichberechtigt auch Hochschulen in privater Trägerschaft eine wichtige Rolle ein.<br />
Die Hochschule als Organisation: Die Hochschule der Zukunft verfügt über ein hohes Maß an Autonomie<br />
und entwickelt eigenständig ihr Profil. Sie handelt unternehmerisch und agiert unabhängig von<br />
direkten staatlichen Eingriffen im nationalen und internationalen Wettbewerb. Mit ihren Partnern, insbesondere<br />
in der Wirtschaft, arbeitet die Hochschule eng zusammen und sorgt dafür, dass ihr Profil zu den<br />
Anforderungen ihrer Stakeholder passt.<br />
Studium und Lehre: Die Hochschule der Zukunft gestaltet ein hochwertiges wissenschaftliches Studienangebot<br />
in Bachelor- und Masterstudiengängen sowie Promotionsprogrammen. Bei der Gestaltung ihrer<br />
Studienangebote berücksichtigt sie die stärkere Verflechtung von Bildungs- und Erwerbsphasen und orientiert<br />
sich inhaltlich und organisatorisch an der Nachfrage der Studieninteressierten und an den Anforderungen<br />
des Arbeitsmarkts. Sie ermöglicht Abiturienten ebenso wie beruflich Qualifizierten den Hochschulzugang<br />
und gestaltet ein transparentes und effizientes Auswahl- und Zulassungsverfahren.<br />
Internationalisierung: Um Studierende auf Tätigkeiten im Ausland vorzubereiten, ihnen interkulturelle<br />
Kompetenzen und vielfältige Sprachkenntnisse zu vermitteln und die weltbesten Forscherteams<br />
zusammenzubringen, verfolgt die Hochschule eine Strategie der Internationalisierung. Ihre Studierenden<br />
erhalten die Möglichkeit, Studienabschnitte, Forschungsphasen oder Praktika im Ausland zu<br />
absolvieren. Die Hochschule gewährleistet eine umfassende Anrechnung im Ausland erworbener Studienleistungen.<br />
Hochschulfinanzierung: In der Forschung wird der größte Teil der staatlichen Mittel in von der Wissenschaft<br />
selbst organisierten Wettbewerbsverfahren sowie über anwendungsorientierte staatliche Programme<br />
vergeben. In der Lehre wird ein Drittel der staatlichen Ausgaben über die von den Studierenden nachgefragten<br />
Lehrleistungen an die Hochschulen verteilt. Die Hochschule kann Studienbeiträge erheben, um<br />
zusätzliche Lehrleistungen zu finanzieren. Darüber hinaus wirbt die Hochschule private Drittmittel ein und<br />
bietet ihre Leistungen am Markt an.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 111
BDA und BDI haben im Februar <strong>2010</strong><br />
das gemeinsame Leitbild „Die Hochschule der<br />
Zukunft“ veröffentlicht und hierin eine umfassende<br />
Vision einer Hochschule im Jahr 2020 formuliert<br />
– mit praktischen Implikationen für Hochschulen,<br />
Politik und Gesellschaft. Die Wirtschaft wirbt<br />
bei den Verantwortlichen nachdrücklich für eine<br />
Umsetzung dieses Leitbilds.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Hochschulpolitik“, „Hochschulfinanzierung“<br />
und „Quartäre Bildung“<br />
Europäischer Hochschulraum<br />
eröffnet – Bologna-Prozess<br />
geht weiter<br />
1999 setzten sich die Bildungsminister von<br />
30 europäischen Staaten in der Bologna-Erklärung<br />
das Ziel, bis <strong>2010</strong> einen gemeinsamen Europäischen<br />
Hochschulraum zu schaffen und dafür<br />
vergleichbare Studienstrukturen und akademische<br />
Abschlüsse zu vereinbaren. Der anschließende<br />
Bologna-Prozess hat in den letzten elf<br />
Jahren die Hochschullandschaft in Europa grundlegend<br />
verändert und auch in Deutschland zur<br />
flächendeckenden Einführung der neuen Studienabschlüsse<br />
Bachelor und Master geführt, in<br />
denen inzwischen bereits 43 % aller Studierenden<br />
Immer mehr Studierende an deutschen Hochschulen<br />
Studienanfängerquote 1995 bis 2009 nach OECD-Verfahren,<br />
einschließlich Verwaltungsfachhochschulen<br />
in %<br />
50<br />
46,0<br />
45<br />
43,3<br />
40<br />
36,1<br />
37,1<br />
38,9<br />
37,1 37,0<br />
35,7<br />
37,1<br />
40,3<br />
35<br />
33,5<br />
31,3<br />
30<br />
26,8<br />
29,2<br />
25<br />
1995 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
2008 2009<br />
<strong>2010</strong>*<br />
* vorläufi ge Berechnung<br />
Quellen: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Hochschulstatistik<br />
112<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
eingeschrieben sind. Auch Qualitätsverbesserungen<br />
an Hochschulen, die grenzüberschreitende<br />
Mobilität der Studierenden, eine stärkere Orientierung<br />
der Studienangebote an den Erfordernissen<br />
der Arbeitswelt, der Ausbau der Weiterbildung<br />
sowie die Öffnung der Hochschulen für Berufstätige<br />
wurden als Ziele des Bologna-Prozesses definiert<br />
und in nationale Strategien übersetzt.<br />
Mittlerweile nehmen bereits 47 Staaten am<br />
Bologna-Prozess teil. Am 11. und 12. März <strong>2010</strong><br />
tagten deren Bildungsminister in Budapest und<br />
Wien, um anlässlich des Zieljahres <strong>2010</strong> eine<br />
Bilanz zu ziehen und – wie in der Bologna-Erklärung<br />
vorgesehen – den Europäischen Hochschulraum<br />
zu eröffnen. Die BDA nimmt regelmäßig<br />
an den Beratungen zum Bologna-Prozess auf<br />
europäischer Ebene teil und war daher auch<br />
auf dieser Konferenz in der Delegation von<br />
BUSINESSEUROPE vertreten.<br />
Die Bilanz der bisherigen Erfolge des Bologna-Prozesses<br />
fällt gemischt aus. Zwar ist die formale<br />
Umsetzung der Studienreform überall weit<br />
vorangeschritten. Problematisch ist allerdings,<br />
dass die inhaltliche Umsetzung der Reform ideen<br />
vielerorts noch aussteht. So kann von einer Ausrichtung<br />
des Studiums an klar formulierten Kompetenzzielen<br />
sowie einer umfassenden Internationalisierung<br />
der Hochschulen in den meisten<br />
Ländern noch keine Rede sein. Immerhin hat der<br />
Bologna-Prozess aber einen europaweiten Diskurs<br />
über den Reformbedarf an den Hochschulen<br />
initiiert.<br />
Bologna-Prozess: Erfolge erkennbar<br />
Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität von Universitätsabsolventen<br />
mit Bachelor und Diplom im Vergleich<br />
Bachelor<br />
Diplom<br />
Durchschnittliches Alter bei Studienabschluss in Jahren 24,8 28,0<br />
Internationale Mobilität in % 42,0 43,0<br />
Durchschnittliche Dauer der Arbeitsplatzsuche in Monaten 3,0 2,9<br />
Anteil der Vollzeitbeschäftigten Absolventen in % 85,0 85,0<br />
Anteil mit hoher berufl icher Zufriedenheit in % 63,0 66,0<br />
Quelle: INCHER-Kassel KOAB graduate surveys 2009 und <strong>2010</strong><br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 113
In Deutschland finden die neuen akademischen<br />
Abschlüsse große Akzeptanz auf dem<br />
Arbeitsmarkt. Bachelorabsolventen finden attraktive<br />
und ihrem Ausbildungsniveau entsprechende<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten. Die stärker ausgeprägte<br />
Strukturierung der Bachelorstudiengänge<br />
hat zudem dazu geführt, dass deutlich mehr<br />
Studierende ihr Studium in der Regelstudienzeit<br />
abschließen können. Auch die internationale<br />
Mobilität der Studierenden hat sich positiv entwickelt:<br />
Seit Jahren steigt die Zahl deutscher Studierender<br />
im Ausland stetig an. 15 % der Bachelorabsolventen<br />
haben einen Teil ihres Studiums im<br />
Ausland absolviert; unter Einbeziehung anderer<br />
studienbezogener Auslandsaufenthalte, wie etwa<br />
Praktika und Sprachkurse, sind dies sogar etwa<br />
40 %. Allerdings hat es auch in Deutschland bei<br />
der Umsetzung der Bologna-Reform Fehlentwicklungen<br />
gegeben, die nun dringend korrigiert werden<br />
müssen. So sind die Studienabbruchquoten<br />
in den vergangenen Jahren gerade in den wichtigen<br />
MINT-Fächern deutlich angestiegen. Die stärkere<br />
Strukturierung des Studiums hat vielfach zu<br />
einer Überregulierung und hoher Prüfungsdichte<br />
geführt. Zahlreiche Studiengänge wurden zudem<br />
auch hierzulande kaum inhaltlich reformiert und<br />
bleiben damit „alter Wein in neuen Schläuchen“.<br />
„Bachelor Welcome!“ <strong>2010</strong><br />
Die deutsche Wirtschaft hat die Bologna-Reform<br />
stets unterstützt. Bereits in den Jahren 2004, 2006<br />
und 2008 haben sich Personalvorstände führender<br />
Unternehmen in Deutschland im Rahmen der<br />
Initiative „Bachelor Welcome!“ mit einer gemeinsamen<br />
Erklärung zur Umstellung auf die gestufte<br />
Studienstruktur bekannt und ihre Zusagen und<br />
Forderungen in diesem Prozess formuliert. Die<br />
deutsche Wirtschaft engagiert sich auch in Zukunft<br />
entschieden für die konsequente Umsetzung der<br />
Hochschulreform im Geiste der Bologna-Idee.<br />
Am 21. Oktober <strong>2010</strong> wurde im Haus der Deutschen<br />
Wirtschaft die vierte „Bachelor Welcome!“-<br />
Erklärung zwischen 43 Personalvorständen abgestimmt<br />
und unterzeichnet. Nach mehr als zehn<br />
Jahren Studienreform wurde eine Zwischenbilanz<br />
gezogen und neue Ziele für eine Weiterentwicklung<br />
der Reform wurden definiert.<br />
Einig waren sich die Personalvorstände darin,<br />
dass bei der bisherigen Studienreform bereits<br />
große Fortschritte erzielt wurden. So ist in den<br />
letzten zehn Jahren die Bildungsbeteiligung deutlich<br />
gestiegen, zugleich sind die Studierenden<br />
zufriedener denn je mit den Studienbedingungen<br />
an den Hochschulen. Der Erfolg der Bachelorabsolventen<br />
auf dem Arbeitsmarkt korrespondiert mit<br />
den insgesamt sehr guten Erfahrungen der Unternehmen<br />
mit den neuen Studienabschlüssen. Um<br />
die Reform zum Erfolg zu führen, sind allerdings<br />
weitere Schritte notwendig. So müssen Bachelor-<br />
und Masterphase konsequenter als bisher als<br />
getrennte Studienphasen gestaltet werden, um<br />
noch bessere Übergänge zwischen Hochschule<br />
und Berufswelt zu ermöglichen. Die im Vergleich<br />
zu den Diplomstudiengängen kürzeren Bachelorprogramme<br />
müssen dabei eine breite wissenschaftliche<br />
Ausbildung ohne detaillierte inhaltliche<br />
Spezialisierung zum Ziel haben, Forschungs- und<br />
Praxisbezüge enthalten und Kompetenzvermittlung<br />
mit Persönlichkeitsbildung kombinieren. Auf<br />
Internationalität darf hierbei keinesfalls verzichtet<br />
werden, sie stellt in einer globalen Wirtschaft vielmehr<br />
eine zentrale Kompetenz dar.<br />
Die Bologna-Reform wird erst dann zur<br />
Erfolgsgeschichte, wenn sie nicht an der Hörsaaltür<br />
endet. Hochschulen und Arbeitgeber sind<br />
deshalb künftig noch stärker gefordert, Hand in<br />
Hand zu arbeiten. Die Unterzeichner der Erklärung<br />
verstehen sich dabei als integraler Bestandteil<br />
der Studienreform und sichern zu, die Vielfalt<br />
der Abschlüsse und Bildungswege stärker in ihrer<br />
Personalentwicklung zu verankern. Unterschiedliche<br />
Karrierewege und lebenslanges Lernen sind<br />
bereits heute selbstverständlicher Teil der betrieblichen<br />
Personalpolitik, werden aber in Zukunft noch<br />
mehr an Bedeutung gewinnen. Die Personalvorstände<br />
waren sich nicht nur darin einig, die unterschiedlichen<br />
Bologna-Abschlüsse konsequent<br />
beim Recruiting berücksichtigen und Stellenprofile<br />
entsprechend zuschneiden zu wollen. Sie erklärten<br />
auch, duale Studiengänge auszubauen und passende<br />
Rahmenbedingungen für das berufsbegleitende<br />
Studium der Mitarbeiter zu schaffen.<br />
Für Personalvorstände und -verantwortliche<br />
in den Unternehmen besteht jederzeit die Möglichkeit,<br />
durch eine Online-Unterzeichnung die<br />
„Bachelor Welcome!“-Erklärung <strong>2010</strong> zu unterstützen.<br />
Näheres finden Sie auf der Internetseite<br />
des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft<br />
114<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung
unter www.stifterverband.info. Nach der Verabschiedung<br />
und Unterzeichnung der „Bachelor<br />
Welcome!“-Erklärung <strong>2010</strong> stellte der Vorsitzende<br />
der Initiative, Thomas Sattelberger, die zentralen<br />
Forderungen und Zusagen der Personalvorstände<br />
der Öffentlichkeit vor. Zu der Veranstaltung „Bologna<br />
zum Erfolg führen“ trafen sich am 21. Oktober<br />
<strong>2010</strong> rd. 200 Vertreter aus Wirtschaft, Hochschule,<br />
Studentenschaft und Politik.<br />
Im Dialog mit den Studierenden<br />
Die Proteste an den Hochschulen, die im Herbst<br />
2009 einen Höhepunkt erreichten, haben deutlich<br />
gemacht, dass viele Studierende mit den derzeitigen<br />
Studienbedingungen unzufrieden sind und<br />
sich vor allem eine deutlich verbesserte Ausstattung<br />
der Hochschulen, mehr Möglichkeiten der<br />
individuellen Schwerpunktsetzung im Studium und<br />
ein stärkeres Augenmerk auf die soziale Situation<br />
der Studierenden wünschen. Auf Einladung von<br />
BDA und BDI fand im Februar erstmals ein hochschulpolitischer<br />
Gedankenaustausch mit verschiedenen<br />
Studierendenvertretern statt. Das Gespräch<br />
diente vor allem dazu, mehr über Standpunkte,<br />
Interessen und Prioritäten der Studierenden zu<br />
erfahren und Gemeinsamkeiten zu identifizieren.<br />
So betonten die Studierenden ihre Unterstützung<br />
für die Ziele der Bologna-Reform, bemängelten<br />
aber zugleich eine fehlende Einbindung<br />
der studentischen Perspektive in den bisherigen<br />
Umsetzungsprozess. Da die Gestaltung von Studium<br />
und Lehre unmittelbare Auswirkungen auf<br />
ihre berufliche Zukunft habe, seien Studierende<br />
stark daran interessiert, hieran stärker als bisher<br />
beteiligt zu werden. Da sie zudem über die notwendige<br />
Expertise verfügten, sei studentische<br />
Mitwirkung für alle Akteure ein Gewinn. Die Studierenden<br />
wünschten sich daher eine stärkere<br />
Einbeziehung in hochschulpolitische Dialoge und<br />
begrüßten das Interesse der Wirtschaft an der<br />
studentischen Perspektive.<br />
Ein verstärkter direkter Dialog zwischen Studierenden<br />
und Arbeitgebern kann gerade für die<br />
Weiterentwicklung von Studium und Lehre neue<br />
Impulse setzen und stellt daher für die Wirtschaft<br />
eine große Bereicherung dar. BDA und BDI werden<br />
den Dialog mit den Studierenden in Zukunft in<br />
vielfältigen Formaten fortsetzen und intensivieren.<br />
Stipendien fördern, Kooperation<br />
stärken<br />
Am 9. Juli <strong>2010</strong> hat der Bundesrat das Gesetz<br />
zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms<br />
verabschiedet und damit das sog.<br />
Deutschland-Stipendium ins Leben gerufen. Ziel<br />
ist zunächst für 2011, dass 10.000 zusätzliche<br />
Stipendien eingerichtet werden. Langfristig sollen<br />
aus dem Programm 8 % der Studierenden ein<br />
Stipendium erhalten.<br />
Durch das Deutschland-Stipendium sollen<br />
verstärkt private Mittelgeber für eine finanzielle<br />
Unterstützung leistungsstarker Studierender<br />
gewonnen werden. Eingeworbene private Mittel<br />
werden vom Bund in gleicher Höhe mit öffentlichen<br />
Geldern ergänzt. Die Verantwortung für die<br />
Einwerbung der privaten Stipendienmittel liegt bei<br />
den einzelnen Hochschulen. Dadurch sollen diese<br />
auch Anreize erhalten, sich stärker mit ihrem<br />
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld zu<br />
vernetzen.<br />
Zentrale Voraussetzungen für den Erfolg des<br />
Programms sind eine angemessene Einbindung<br />
und Beteiligung der privaten Geldgeber sowie die<br />
Entwicklung nachhaltiger Kooperationsstrategien<br />
seitens der Hochschulen. Denn erst hierdurch<br />
wird für viele Unternehmen eine Zusammenarbeit<br />
mit Hochschulen bei der Einrichtung von Stipendien<br />
interessant. Das belegen auch Erfahrungen<br />
aus Nordrhein-Westfalen, wo ein ähnliches<br />
Programm bereits im vergangenen Jahr initiiert<br />
worden ist. BDA und BDI haben sich daher im<br />
Gesetz gebungsverfahren mit Erfolg dafür eingesetzt,<br />
dass nun eine Mitwirkung der privaten Mittelgeber<br />
an der Formulierung der Auswahlkriterien<br />
wie auch am Auswahlverfahren vorgesehen ist.<br />
Noch in diesem Jahr werden BDA und BDI<br />
zusammen mit dem Stifterverband eine Handreichung<br />
für interessierte Unternehmen und Verbände<br />
herausgeben.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Bildung 115
Europäische Union: mehr<br />
Konzentration auf die großen<br />
Fragen erforderlich<br />
Das Jahr <strong>2010</strong> war das erste Amtsjahr einer neuen<br />
Kommission und das erste Jahr der Europäischen<br />
Union unter dem Vertrag von Lissabon. Der<br />
Vertrag von Lissabon verschafft mehr Klarheit: Die<br />
Kompetenzen zwischen der Europäischen Union<br />
und den Mitgliedstaaten sind besser abgegrenzt,<br />
unterstützt durch ein neu eingeführtes Klagerecht<br />
der nationalen Parlamente. Der Vertrag erleichtert<br />
die Entscheidungsfindung, indem die Mehrheitsentscheidungen<br />
im Ministerrat ausgeweitet, die<br />
Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit<br />
einer Gruppe von Mitgliedstaaten vereinfacht<br />
sowie die Mitentscheidung des Europäischen<br />
Parlaments als Regelgesetzgebungsverfahren<br />
eingeführt wurden.<br />
In der Vergangenheit wurden wichtige Entscheidungen,<br />
die für die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Wirtschaft und die Vollendung des Binnenmarkts<br />
maßgeblich waren, oft über lange Zeit im<br />
Rat blockiert. Dieser Stillstand wird durch die Einführung<br />
von Mehrheitsentscheidungen als Regel<br />
in vielen Bereichen aufgehoben. Kernthemen der<br />
Sozialpolitik wie soziale Sicherheit und Arbeitnehmerschutz,<br />
Mitbestimmung und Kündigungsschutz<br />
oder auch Beschäftigungsbedingungen<br />
von Arbeitnehmern aus Drittstaaten verbleiben in<br />
der Einstimmigkeit. Einer schleichenden Kompetenzverschiebung<br />
in der Sozialpolitik wird so ein<br />
verlässlicher Riegel vorgeschoben.<br />
Diese institutionellen Reformen schaffen vor<br />
allem durch die Aufwertung des Europäischen<br />
Parlaments eine neue Balance zwischen den<br />
europäischen Institutionen. Für die BDA hat sich<br />
deutlich gezeigt, dass es immer wichtiger ist, ihre<br />
Argumente verstärkt im Europäischen Parlament<br />
vorzubringen und dafür zu sorgen, dass die Anliegen<br />
der Wirtschaft dort verstanden werden und in<br />
die politische Arbeit einfließen.<br />
Nach einer Phase mit weitgehendem politischem<br />
Stillstand im Jahr <strong>2010</strong> und einigen Anlaufschwierigkeiten<br />
der neuen Kommission herrscht<br />
nun geradezu ein Aktionismus, der zu einem<br />
Wirrwarr von politischen Einzelinitiativen führt.<br />
Das Große und Ganze scheint aus dem Blick zu<br />
geraten. Wichtig wäre es, sich konzentriert mit der<br />
nachhaltigen Bewältigung der Folgen der Finanzund<br />
Wirtschaftskrise, mit der Schaffung einer<br />
neuen europäischen Stabilitätskultur und mit der<br />
Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit der<br />
EU zu beschäftigen. Das gilt für Kommission und<br />
Parlament gleichermaßen. Letzteres verzettelte<br />
sich monatelang in einen geradezu absurden<br />
Streit über die Frage, ob die Mitgliedstaaten der<br />
EU vier oder sechs Wochen mehr Mutterschutz<br />
benötigen.<br />
Der Notfall Griechenland war in diesem Jahr<br />
eine Zerreißprobe für die Europäische Union.<br />
Und diese „hausgemachte“ Krise ist noch nicht<br />
überstanden. Weitere ähnliche Fälle können<br />
derzeit nicht ausgeschlossen werden. Die klare<br />
Position der Bundesregierung, Finanzhilfen für<br />
Griechenland nur unter der Bedingung nachhaltiger,<br />
glaubwürdiger Reformen und angemessener<br />
wirksamer Sparmaßnahmen in Griechenland<br />
zu ermöglichen, war im politischen und ökonomischen<br />
Interesse der gesamten EU und damit<br />
auch Griechenlands und Deutschlands. Denn die<br />
Summe der Stabilisierungsmaßnahmen von und<br />
für Griechenland diente in der Zusammenschau<br />
der Stabilität des Euro und damit der Währungsunion.<br />
Die von Griechenland ausgelöste Krise<br />
des Euro hat deutlich vor Augen geführt, dass der<br />
Stabilitätspakt dringend gestärkt werden muss,<br />
damit die Währungsunion künftig solchen Krisen<br />
vorbeugt und im Falle ihres Eintretens für ihre<br />
Bewältigung gerüstet ist.<br />
BDA und BDI haben sich in einer Erklärung<br />
„Für eine neue europäische Stabilitätspolitik“<br />
im Juni des Jahres gemeinsam positioniert: Die<br />
Eurozone muss eine Stabilitätsgemeinschaft bleiben.<br />
Erst die zwingend notwendige Schaffung<br />
einer Insolvenzoption für überschuldete Mitgliedstaaten<br />
wird auch Gläubiger überschuldeter Staaten<br />
angemessen an den Konsolidierungsmaßnahmen<br />
beteiligen. Die Verhängung von Sanktionen<br />
bei Überschreitung der Schuldengrenzen im Rahmen<br />
des Stabilitäts- und Wachstumspakts muss<br />
einem Automatismus unterworfen sein; erst dies<br />
schließt den schädlichen politischen „Kuhhandel“<br />
aus. Neben den ohnehin vorgesehenen Strafzahlungen<br />
sollte der Fokus zukünftig stärker auf das<br />
abgestufte Einfrieren von EU-Mitteln bis hin zur<br />
118<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Sperrung aller EU-Mittel inklusive der Agrarmittel<br />
gerichtet werden. Mitgliedstaaten, die wiederholt<br />
gegen Defizitkriterien und Korrekturauflagen verstoßen,<br />
sollten vorübergehend ihr Stimmrecht im<br />
Rat verlieren. Es ist ein wichtiger Teilerfolg auf<br />
dem Weg zu einer neuen Stabilitätskultur, dass<br />
es nach der deutsch-französischen Initiative beim<br />
EU-Gipfel am 28. und 29. Oktober gelungen ist,<br />
alle Staats- und Regierungschefs der EU davon<br />
zu überzeugen, dass ein permanenter Krisenmechanismus<br />
– mit der damit verbundenen Änderung<br />
des EU-Vertrags – eingerichtet werden<br />
muss. Auf dem Gipfel am 16. und 17. Dezember<br />
haben die EU-Staats- und Regierungschefs die<br />
Ergänzung des Lissabon-Vertrags zur Stabilisierung<br />
der Europäischen Währungsunion auf den<br />
Weg gebracht und zugleich betont, dass damit<br />
keine Übertragung weiterer Souveränitätsrechte<br />
verbunden ist. Diese angestrebte Vertragsergänzung<br />
unterstreicht das gemeinsame europäische<br />
Interesse an einem dauerhaften Stabilitätsmechanismus<br />
unter strengen Bedingungen. Weitere<br />
Schritte bleiben jedoch erforderlich und dringlich.<br />
So muss zügig eine Schärfung des EU-Stabilitätspakts<br />
gelingen, um das Risiko eines Abgleitens<br />
in eine Transferunion zu verhindern. Alle EU-<br />
Staaten müssen zudem die Konsolidierung ihrer<br />
Staatshaushalte vorantreiben.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen > Europa/Internationales > Standort<br />
Europa<br />
EU 2020 – Strategie für ein<br />
zukunftsfähiges Europa<br />
Die neue Kommission hat als übergreifendes<br />
Arbeitsprogramm für ihre Amtszeit die Reformstrategie<br />
EU 2020 erarbeitet, die die Staats- und<br />
Regierungschefs der EU beim Gipfeltreffen am<br />
17. Juni <strong>2010</strong> angenommen haben. Sie ist die<br />
Nachfolgerin der Lissabon-Strategie, die dieses<br />
Jahr ausläuft. Die EU-2020-Strategie enthält<br />
ein klares Bekenntnis, den Reformprozess<br />
in Europa zu beschleunigen: „Entweder stellen<br />
wir uns gemeinsam der unmittelbaren Herausforderung<br />
des wirtschaftlichen Aufschwungs und<br />
auch den längerfristigen Problemen (Globalisierung,<br />
Ressourcenknappheit, Alterung), damit<br />
wir die jüngsten Verluste ausgleichen, unsere<br />
Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen, unsere<br />
Produktivität steigern und längerfristig dem Wohlstand<br />
in der Union den Weg bereiten. Oder wir<br />
machen mit langsamen und weitgehend unkoordinierten<br />
Reformen weiter und riskieren dauerhafte<br />
Wohlstandseinbußen, ein schleppendes<br />
Wirtschaftswachstum mit der möglichen Folge<br />
hoher Arbeitslosenzahlen, sozialer Spannungen<br />
und relativer Bedeutungslosigkeit Europas auf der<br />
Weltbühne.“ Dieser richtigen Grundorientierung<br />
für ein zukunftsfähiges Europa müssen auch die<br />
konkreten politischen Handlungen in der EU und<br />
allen Mitgliedstaaten entsprechen. Die ökonomischen,<br />
sozialen und ökologischen Folgekosten<br />
werden erheblich sein, wenn die Wettbewerbsfähigkeit<br />
jetzt nicht nachhaltig verbessert wird.<br />
Der Europäische Rat hat sich darauf verständigt,<br />
bis 2020 eine Beschäftigungsquote von 75 %<br />
zu erreichen. Die Zielsetzung wird von der BDA<br />
voll unterstützt. Aufgrund der alternden Gesellschaft<br />
muss das Arbeitskräftepotenzial in Zukunft<br />
sehr viel besser ausgeschöpft werden als bisher.<br />
Das Flexicurity-Konzept, das durch eine Optimierung<br />
des Zusammenwirkens von aktiver Arbeitsmarktpolitik,<br />
Arbeitsrecht, sozialer Sicherung<br />
und lebenslangem Lernen die Beschäftigungschancen<br />
maximiert, spielt für die Erreichung des<br />
Beschäftigungsziels eine Schlüsselrolle. Es ist<br />
daher erfreulich, dass dem Flexicurity-Konzept<br />
in der EU-2020-Strategie entsprechende Priorität<br />
für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zugesprochen<br />
wird. Jetzt geht es darum, dass die<br />
bereits 2007 vom Europäischen Rat beschlossenen<br />
Flexicurity-Grundsätze für einen flexiblen<br />
und sicheren Arbeitsmarkt tatsächlich umgesetzt<br />
werden. Die europäischen Sozialpartner leisten<br />
ihren Beitrag dazu und sind mit dem Sozialdialogprojekt<br />
„Inclusive Labour Markets“ gerade dabei,<br />
die Umsetzung der Flexicurity-Grundsätze auf<br />
Ebene der Mitgliedstaaten gemeinsam zu prüfen.<br />
Die EU-Kommission hat angekündigt, im ersten<br />
Halbjahr 2012 eine neue Flexicurity-Mitteilung<br />
vorzulegen. Die BDA wird gemeinsam mit den<br />
Arbeitgeberverbänden der drei dann rotierenden<br />
EU-Präsidentschaftsländer Polen, Ungarn und<br />
Dänemark frühzeitig Vorschläge erarbeiten, um<br />
die Debatte wie auch die Mitteilung selbst in die<br />
richtige Richtung zu lenken.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 119
Die BDA hat sich seit langem dafür eingesetzt,<br />
dass die EU-Kommission im Rahmen des<br />
Steuerungsmechanismus der Lissabon-Strategie<br />
die Reformdefizite der Mitgliedstaaten sehr viel<br />
ungeschminkter aufzeigen muss, als sie das<br />
bisher getan hat. Durch die Staatsschuldenkrise<br />
Griechenlands und die damit verbundene Frage<br />
nach besserer makroökonomischer Überwachung<br />
hat das Thema neue Priorität bekommen.<br />
Entscheidend ist, den Druck zur Umsetzung<br />
der gemeinsam beschlossenen Leitlinien der<br />
EU- 2020-Strategie zu erhöhen. Die EU-Kommission<br />
muss ihre Rolle dabei entschlossener<br />
wahrnehmen, wenn die EU-2020-Strategie nicht<br />
ein zahnloser Papiertiger bleiben und genauso<br />
scheitern soll wie die Lissabon-Strategie. Die<br />
EU-Kommission hat es selbst sehr weitgehend<br />
in der Hand, durch ihre Aktivitäten und Initiativen<br />
die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft<br />
nachhaltig zu stärken. Weniger ist dabei oft<br />
mehr! Die BDA fordert ein konsequentes Belastungsmoratorium<br />
für die gesamte europäische<br />
Wirtschaft. Dieses Belastungsmoratorium muss<br />
neben der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auch die<br />
Steuer-, Industrie- und Energiepolitik umfassen.<br />
Zusätzliche Belastungen sind Gift für Konjunktur<br />
und Beschäftigung. Sie stärken die Wettbewerber<br />
und schwächen die europäische Wirtschaft. Statt<br />
unnötiger Regulierungen sollte die EU-Kommission<br />
die Vorgaben für den gemeinsamen Binnenmarkt<br />
entschlossen durchsetzen: für offene Märkte,<br />
gegen Protektionismus, für Wettbewerb und<br />
gegen Subventionen.<br />
Das erste Amtsjahr der neuen Kommission<br />
war zwar von der einen großen Leitidee „EU 2020“<br />
geprägt, diese scheint jedoch noch nicht Eingang<br />
in die konkreten Initiativen der einzelnen Kommissare<br />
und Generaldirektionen gefunden zu haben.<br />
Vielmehr ist der Wirrwarr an Einzelinitiativen überraschend.<br />
Da kommen generelle Rundumschläge,<br />
oder es werden Themen gebündelt, die inhaltlich<br />
nicht zusammengehören. In der europäischen<br />
Sozialpolitik kommen Initiativen nicht mehr „nur“<br />
aus der Generaldirektion Beschäftigung und Soziales,<br />
sondern zunehmend von anderen Kommissaren<br />
und Generaldirektionen – z. T. völlig unkoordiniert<br />
– in Zusammenhang mit Themen wie<br />
Binnenmarkt, Industriepolitik, Handel, Bildung,<br />
Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft sowie Inneres.<br />
Aktuelle Beispiele sind die industriepolitische<br />
Mitteilung von Industriekommissar Antonio Tajani,<br />
in der nun überraschend Umstrukturierung eine<br />
wesentliche Rolle spielt, oder die Mitteilung zum<br />
Binnenmarkt („Single Market Act“) von Binnenmarktkommissar<br />
Michel Barnier, in der eine Überarbeitung<br />
der Entsenderichtlinie angekündigt wird<br />
und Ansatzpunkte für eine europäische Regelung<br />
des Streikrechts enthalten sind.<br />
Binnenmarktakte – Stärkung des<br />
Binnenmarkts nicht durch unnötige<br />
sozialpolitische Initiativen<br />
konterkarieren<br />
Aufbauend auf dem Bericht „Eine neue Strategie<br />
für den Binnenmarkt“, den der ehemalige Binnenmarkt-<br />
und Wettbewerbskommissar Mario Monti<br />
im Mai <strong>2010</strong> vorgelegt hatte, hat die Kommission<br />
die Mitteilung „Auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte<br />
– für eine in hohem Maße wettbewerbsfähige<br />
soziale Marktwirtschaft“ vorgelegt. Die<br />
Binnenmarktakte beinhaltet 50 sehr unterschiedliche<br />
Vorschläge – angefangen bei den Verfahren<br />
der europäischen Produktnormung über die<br />
Energieinfrastruktur, die sozialen Rechte von<br />
Arbeitnehmern bis hin zu Produktsicherheit und<br />
Passagierrechten. Sie ist ein Sammelsurium, das<br />
eine innere Kohärenz vermissen lässt. Manche<br />
Vorschläge sind geeignet, notwendige Impulse für<br />
die Vollendung des Binnenmarkts und die Verbesserung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit zu geben, wenn<br />
sie tatsächlich verabschiedet und dann konsequent<br />
umgesetzt werden, so z. B. das EU-Patent<br />
und die Vorschläge zur weiteren Liberalisierung<br />
der Dienstleistungsmärkte. Andere Vorschläge<br />
hingegen dürften für den Binnenmarkt eher<br />
schädlich sein, so z. B. mehrere sozialpolitische<br />
Vorschläge, etwa die Überprüfung der Pensionsfondsrichtlinie,<br />
ein europäischer Rahmen zur Antizipation<br />
von Umstrukturierungen und Vorschläge<br />
zu Corporate Social Responsibility (CSR).<br />
Zu einem wichtigen sozialpolitischen Thema,<br />
nämlich der grenzüberschreitenden Entsendung,<br />
ist es nicht zuletzt dank der intensiven Bemühungen<br />
von BUSINESSEUROPE und BDA gelungen,<br />
die endgültige Fassung der Binnenmarktakte zu<br />
verbessern. In internen Vorentwürfen der Kommission<br />
befand sich ein – wohl auf Druck der<br />
Gewerkschaften als Reaktion auf die Urteile des<br />
120<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Rechtssachen<br />
„Viking“, „Laval“, „Rüffert“ und „Kommission<br />
gegen Luxemburg“ eingebrachter – Vorschlag,<br />
eine europäische Regelung des Streikrechts<br />
aufzunehmen. In der verabschiedeten Binnenmarktakte<br />
wird nunmehr nur noch klargestellt, dass<br />
die Kommission den Grundrechten, einschließlich<br />
des Rechts auf Kollektivmaßnahmen, Rechnung<br />
trägt – dies ist eine Selbstverständlichkeit. Außerdem<br />
wird die Kommission einen Vorschlag vorlegen,<br />
um die Umsetzung der Entsende richtlinie<br />
zu verbessern, was grundsätzlich zu begrüßen<br />
ist. Verbesserungsbedarf besteht insbesondere<br />
dabei, die Zusammenarbeit zwischen den nationalen<br />
Verwaltungen zu verbessern, um eine effektive<br />
und gezielte Bekämpfung von Missbräuchen zu<br />
gewährleisten. Dabei muss auch die in einigen Mitgliedstaaten<br />
offensichtlich fehlende Bereitschaft<br />
adressiert werden, bei der Missbrauchsbekämpfung<br />
mit den nationalen Verwaltungen der anderen<br />
Mitgliedstaaten konsequent zu kooperieren.<br />
Die Kommission muss auf eine Intensivierung der<br />
Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten<br />
und der Kommission, eine verbesserte Koordination<br />
von Kontrollinstrumenten sowie den Austausch<br />
von „good practices“ drängen.<br />
Dagegen ist die von der Kommission in diesem<br />
Zusammenhang ebenfalls vorgeschlagene<br />
klärende Bestimmung zum Verhältnis der sozialen<br />
Grundrechte zu den Grundfreiheiten des Binnenmarkts<br />
nicht dazu geeignet, die praktische<br />
Umsetzung der Entsenderichtlinie zu verbessern.<br />
Die Entsenderichtlinie berührt selbstverständlich<br />
nicht das Recht, Tarifverträge auszuhandeln,<br />
abzuschließen und durchzusetzen sowie Arbeitskampfmaßnahmen<br />
zu ergreifen. Der EuGH hat<br />
in den Rechtssachen „Viking“, „Laval“, „Rüffert“<br />
und „Kommission gegen Luxemburg“ die Autonomie<br />
der Mitgliedstaaten bei der Rechtsetzung im<br />
Bereich der kollektiven Rechte, z. B. des Streikrechts,<br />
anerkannt und einen angemessenen Ausgleich<br />
zwischen dem Recht der Gewerkschaften<br />
auf Ausübung kollektiver Rechte und den Grundfreiheiten<br />
vorgenommen. Es besteht daher in diesem<br />
Bereich kein Klärungs- oder gar Handlungsbedarf.<br />
Die Binnenmarktakte enthält weitere sozialpolitisch<br />
relevante Vorschläge, die sehr kritisch<br />
zu werten sind. Dazu gehören die Überprüfung<br />
der Pensionsfondsrichtlinie, der vorgesehene<br />
Rahmen für die Antizipation von Umstrukturierungen<br />
und last but not least eine Konsultation zur<br />
Transparenz bezüglich der Verantwortung der<br />
Unternehmen in den Bereichen Soziales, Ökologie<br />
und Achtung der Menschenrechte (CSR).<br />
Die Kommission schließt in dem Konsultationspapier,<br />
das sie am 22. November <strong>2010</strong> vorgelegt<br />
hat, legislative Initiativen ausdrücklich nicht aus.<br />
Dies ist umso unverständlicher, als die Kommission<br />
parallel dazu bereits für 2011 eine Mitteilung<br />
zu CSR angekündigt hat, die freilich von einem<br />
anderen Kommissar, Antonio Tajani, vorbereitet<br />
wird. Beide Initiativen scheinen nicht koordiniert<br />
zu sein – es entsteht die Gefahr eines Wildwuchses<br />
sich widersprechender Initiativen verschiedener<br />
Kommissare. Die in diesem Zusammenhang<br />
mit „Transparenz“ gemeinte Mitteilungspflicht<br />
über CSR-Aktivitäten ist abzulehnen. Gerade die<br />
freiwillige CSR-Berichterstattung entwickelt sich<br />
zurzeit sehr dynamisch. Jedwede Regulierung in<br />
diesem Bereich hätte zur Folge, dass Unternehmen<br />
sich darauf konzentrieren würden, nur noch<br />
die bürokratischen Vorgaben zu erfüllen, anstatt<br />
gemeinsam mit den Stakeholdern nach den für sie<br />
angemessenen kreativen Lösungen zu suchen.<br />
Die Kommission sollte ihren auf Freiwilligkeit<br />
beruhenden Ansatz – wie er z. B. in der Europäischen<br />
CSR-Allianz zum Ausdruck kommt – fortsetzen.<br />
Die BDA wird sich in diesem Sinne in die<br />
Konsultation, die noch bis zum 24. Januar 2011<br />
läuft, einbringen.<br />
Die Kommission hat auch angekündigt, die<br />
Entwicklung innovativer Unternehmensprojekte<br />
im sozialen Bereich zu unterstützen. Die BDA<br />
hat dazu u. a. einen europäischen Preis zu CSR<br />
vorgeschlagen. Die jetzt in der Binnenmarktakte<br />
vorgeschlagene Einführung von „Ethiklabels“<br />
ist jedoch kontraproduktiv: Sie hätte zur Folge,<br />
dass Unternehmen ohne ein entsprechendes<br />
Label unter den Generalverdacht gestellt<br />
würden, unethisch zu handeln. Dabei sind alle<br />
Unternehmen, die sich an die geltende Rechtsordnung<br />
halten und durch ihre Geschäftstätigkeit<br />
zu Wachstum und Beschäftigung beitragen, gute<br />
Unternehmen.<br />
Mit einem weiteren Vorschlag der Binnenmarktakte<br />
will die Kommission den Rechtsrahmen<br />
für die europäische Normung ändern. Auch<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 121
dieser Vorschlag ist nicht nachvollziehbar, denn<br />
die derzeitigen Strukturen zur europäischen Produktnormung<br />
haben sich in der Praxis bewährt.<br />
Gegenwärtig findet die Meinungsbildung über die<br />
wesentlichen Inhalte der Normung in sog. Spiegelgremien<br />
bei den nationalen Normungsorganisationen<br />
statt. In Deutschland ist dies das Deutsche<br />
Institut für Normung (DIN). Aus diesen Gremien<br />
werden Experten in die europäischen Normungsgremien,<br />
z. B. das Europäische Komitee für Normung<br />
(CEN), entsandt. Damit wird die Akzeptanz<br />
der europäischen Normung in den Mitgliedstaaten<br />
gewährleistet und gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip<br />
Rechnung getragen. Die angekündigte<br />
rechtliche Änderung der europäischen Normung<br />
lässt befürchten, dass die Verfahren zentralisiert<br />
und die Finanzierung über Steuergelder – anstatt<br />
wie in Deutschland über private Beiträge – festgeschrieben<br />
werden soll. Diese Ansätze wären kontraproduktiv<br />
für die Akzeptanz der Normen und<br />
würden außerdem politischer Einflussnahme Tür<br />
und Tor öffnen.<br />
Die BDA wird sich in der nun anstehenden<br />
Konsultation zur Binnenmarktakte dafür einsetzen,<br />
dass die positiven Vorschläge vorangetrieben<br />
und die kontraproduktiven Vorschläge verbessert<br />
oder aufgegeben werden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Themen > Europa/Internationales > Standort<br />
Europa<br />
Klares Bekenntnis der euro päischen<br />
Sozialpartner zum Binnenmarkt<br />
Die europäischen Sozialpartner beschäftigen<br />
sich ebenfalls mit dem Funktionieren des Binnenmarkts,<br />
und zwar aus dem Blickwinkel seines<br />
Beitrags zur sozialen Konvergenz. Seit Anfang<br />
2009 haben sie die Entscheidungen des EuGH in<br />
den Rechtssachen „Viking“, „Laval“, „Rüffert“ und<br />
„Kommission gegen Luxemburg“ im Sozialen Dialog<br />
gemeinsam analysiert. Ausgegangen war die<br />
Initiative zu der gemeinsamen Analyse vom früheren<br />
EU-Kommissar Vladimír Špidla. Als Reaktion<br />
auf die Rechtsprechung des EuGH sah sich<br />
Špidla mit massiven Forderungen von Gewerkschaften<br />
und Teilen des Europäischen Parlaments<br />
konfrontiert, die Entsenderichtlinie zu verschärfen.<br />
Angesichts der drohenden Polarisierung bei<br />
der Revision der Entsenderichtlinie zwischen den<br />
EU-Mitgliedstaaten bat Špidla die europäischen<br />
Sozialpartner, das Thema im Sozialen Dialog zu<br />
analysieren, um zu einem gemeinsamen Ansatz<br />
zu kommen. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert<br />
– und als Erfolg für BUSINESSEUROPE<br />
und BDA zu werten –, dass es gelungen ist, im<br />
Abschlussbericht von <strong>2010</strong> das klare Bekenntnis<br />
beider Sozialpartner zum Binnenmarkt zu verankern<br />
und die erhebliche Bedeutung des Binnenmarkts<br />
für die soziale Konvergenz in Europa zu<br />
unterstreichen. Zu den Fragen der Vereinigungsfreiheit<br />
und des Streikrechts ist eine gemeinsame<br />
Positionierung dagegen nicht möglich gewesen.<br />
Daher wurden zu diesem Themenkomplex zwei<br />
getrennte Abschnitte mit den jeweiligen Positionen<br />
von Arbeitgebern und Gewerkschaften formuliert.<br />
Dadurch ist sichergestellt, dass die Arbeitgeberposition<br />
zu der Rechtsprechung des EuGH<br />
deutlich und unverfälscht artikuliert wird.<br />
Bewältigung von Unternehmensumstrukturierungen:<br />
kein Bedarf<br />
für zusätzliche Regulierung<br />
Nachdem das Thema „Antizipation und Bewältigung<br />
von Umstrukturierungen“ lange nicht auf der<br />
Regulierungsagenda der Kommission gestanden<br />
hatte, waren im Sommer in der Brüsseler Lobbyistenszene<br />
informelle Entwürfe für einen Richtlinienvorschlag<br />
mit drastischen Vorschlägen für<br />
Unternehmen aufgetaucht. Dazu gehörten z. B.<br />
die Verpflichtung für Unternehmen, gemeinsam<br />
mit Arbeitnehmervertretern Mehrjahrespläne zur<br />
Entwicklung des Beschäftigungs- und Kompetenzbedarfs<br />
aufzustellen, die die öffentlichen Stellen<br />
überprüfen sollten, sowie ein Anspruch der<br />
Arbeitnehmer auf Weiterbildung, der mindestens<br />
45 Stunden pro Jahr umfassen sollte. Letztlich<br />
stellte sich heraus, dass es sich dabei um einen<br />
Text handelte, der ausschließlich von einer Beratungsfirma<br />
erstellt worden und der Kommission<br />
nicht bekannt war.<br />
Die Kommission hat ihrerseits das Thema<br />
sowohl in der Binnenmarktakte als auch in<br />
der industriepolitischen Mitteilung vom Oktober<br />
<strong>2010</strong> aufgegriffen und eine Konsultation der<br />
122<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Sozialpartner zu einem europäischen Rahmen für<br />
die Antizipation industrieller Umstrukturierungen<br />
angekündigt. Auf europäischer Ebene besteht<br />
bereits ein umfassender Regulierungsrahmen, um<br />
Umstrukturierungen von Unternehmen konstruktiv<br />
zu gestalten. Dazu gehören u. a. Richtlinien zum<br />
Betriebsübergang, zur Information und Konsultation<br />
der Arbeitnehmer, zur Einrichtung von Europäischen<br />
Betriebsräten oder zu Massenentlassungen.<br />
Zusätzliche Regulierung ist daher nicht<br />
erforderlich. Ergänzend zu diesem legislativen<br />
Rahmen haben die europäischen Sozialpartner<br />
im Jahre 2003 mit den „Orientations for reference<br />
in managing change and its social consequences“<br />
Leitlinien für Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />
zum Thema „Umstrukturierungen“ erarbeitet. Vor<br />
diesem Hintergrund gibt der von der Kommission<br />
angekündigte europäische Rahmen für die Antizipation<br />
industrieller Umstrukturierungen Anlass<br />
zur Sorge. Ein rechtsverbindlicher europäischer<br />
Rahmen würde der Vielfältigkeit und Komplexität<br />
von Umstrukturierungsprozessen nicht gerecht<br />
werden und die Gefahr bergen, diese unnötig zu<br />
erschweren. Da die Sozialpartner beim Umgang<br />
mit Umstrukturierungsprozessen eine wesentliche<br />
Rolle spielen, werden die Arbeitgeber die Konsultation<br />
jedoch konstruktiv begleiten. Ausgangspunkt<br />
dazu müssen die Leitlinien der Sozialpartner<br />
aus dem Jahre 2003 sein. Immerhin ist die<br />
nun angekündigte offene Konsultation der Kommission<br />
eine deutliche Verbesserung gegenüber<br />
früheren Überlegungen, die ausschließlich auf<br />
eine Richtlinie abzielten. Insoweit hat die intensive<br />
Überzeugungsarbeit der Wirtschaft in den vergangenen<br />
Jahren Wirkung gezeigt.<br />
Revision der Mutterschutzrichtlinie<br />
– Beschluss des Europäischen<br />
Parlaments kontraproduktiv<br />
und korrekturbedürftig<br />
Das Europäische Parlament hat in der Plenarabstimmung<br />
im Oktober <strong>2010</strong> beschlossen, die<br />
Mutterschutzfrist von 14 auf 20 Wochen bei voller<br />
Lohnfortzahlung zu verlängern und zusätzlich<br />
einen zweiwöchigen voll bezahlten Vaterschaftsurlaub<br />
einzuführen.<br />
Es begründet dieses Vorhaben doppelt,<br />
nämlich mit dem Gesundheitsschutz und mit dem<br />
Erfordernis besserer Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf. Die Arbeitgeber bekennen sich selbstverständlich<br />
zum Gesundheitsschutz für jede<br />
schwangere Frau und junge Mutter. Dieser ist mit<br />
dem gegenwärtigen EU-Standard von 14 Wochen<br />
Mutterschutzfrist vollumfänglich gewährleistet.<br />
Im Hinblick auf das Ziel besserer Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familienleben ist nur die<br />
Gesamtschau von Mutterschutz und Elternzeit<br />
angemessen. Hier liegt Deutschland an der Spitze<br />
und gehört zu den Ländern mit den familienfreundlichsten<br />
Regelungen in der EU. Dies gilt sowohl in<br />
Bezug auf die Dauer (162 Wochen, im Vergleich zu<br />
27 Wochen wie z. B. in Belgien) als auch in Bezug<br />
auf die finanzielle Ausstattung der Familien.<br />
Der Beschluss des Europäischen Parlaments<br />
zeigt einen erschreckenden Realitätsverlust<br />
und setzt dem schon überflüssigen Kommissionsvorschlag<br />
noch eins drauf. Die Verlängerung<br />
des Mutterschaftsurlaubs von 14 auf 20 Wochen<br />
bei voller Lohnfortzahlung sowie ein zweiwöchiger<br />
voll bezahlter Vaterschaftsurlaub würden alleine<br />
die deutschen Arbeitgeber und öffentlichen Haushalte<br />
nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts<br />
mit ca. 1,7 Mrd. € pro Jahr zusätzlich belasten.<br />
Die darüber hinaus vom Parlament beschlossene<br />
Ausweitung des Kündigungsschutzes auf<br />
mindestens sechs Monate nach Beendigung des<br />
Mutterschutzes sowie überzogene arbeitsschutzrechtliche<br />
Neuregelungen und Dokumentationspflichten<br />
in Bezug auf „reproduktive Risiken bei<br />
der Bewertung des Arbeitsplatzes“ würden sich<br />
am Ende gegen die Frauen selbst richten, weil sie<br />
deren Beschäftigung weiter unnötig erschwerten.<br />
Nur 1,4 % aller deutschen Unternehmen haben<br />
mehr als 500 Beschäftigte – die vielen kleinen<br />
und mittleren Betriebe haben keinerlei Kapazität<br />
für solche überflüssige zusätzliche Bürokratie.<br />
Auch die vom Europäischen Parlament<br />
beschlossene Anrechnungsoption von Elternzeit<br />
auf die verlängerte Mutterschutzfrist ist zwar von<br />
den Initiatoren gut gemeint, aber bleibt mit erheblichen<br />
Mehrkosten für die deutsche Wirtschaft verbunden<br />
und ist daher abzulehnen.<br />
Der Beschluss des Europäischen Parlaments<br />
geht zur Weiterbehandlung an den Ministerrat.<br />
Dort gibt es zunehmend Einsicht, dass<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 123
Mutterschutz und Elternzeit – Deutschland in der Spitzengruppe<br />
Slowakei<br />
28<br />
156<br />
184<br />
Tschechien<br />
28<br />
156<br />
184<br />
Litauen<br />
18<br />
156<br />
174<br />
Polen<br />
18<br />
156<br />
174<br />
Frankreich<br />
16<br />
156<br />
172<br />
Spanien<br />
16<br />
156<br />
172<br />
Deutschland<br />
14<br />
156<br />
162*<br />
Ungarn<br />
24<br />
104<br />
128<br />
Österreich<br />
16<br />
104<br />
120<br />
Bulgarien<br />
48<br />
45<br />
93<br />
Estland<br />
20<br />
72<br />
92<br />
Schweden<br />
14<br />
72<br />
86<br />
Großbritannien<br />
26<br />
52<br />
78<br />
Irland<br />
28<br />
42<br />
70<br />
Luxemburg<br />
20<br />
48<br />
68<br />
Italien<br />
20<br />
40<br />
60<br />
Dänemark<br />
18<br />
40<br />
58<br />
Slowenien<br />
15<br />
37<br />
52<br />
Lettland<br />
16<br />
32<br />
48<br />
Griechenland<br />
17<br />
28<br />
45<br />
Finnland<br />
23<br />
21<br />
44<br />
Niederlande<br />
16<br />
26<br />
42<br />
Rumänien<br />
24<br />
18<br />
42<br />
Malta<br />
14<br />
24<br />
38<br />
Zypern<br />
Portugal<br />
Belgien<br />
13<br />
18<br />
12<br />
17<br />
12<br />
15<br />
31<br />
29<br />
27<br />
0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 in Wochen<br />
Elternzeit<br />
Mutterschutz<br />
insgesamt<br />
* Anrechnung der Mutterschutzfrist auf Gesamtdauer Elternzeit gem. § 15 Abs. 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz<br />
Quellen: COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES, Brussels, SEC(2008) 2526/2, COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT<br />
accompanying the Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL amending Council Directive<br />
92/85/ EEC, Impact Assessment Report {COM(2008) 600} {SEC(2008) 2527}<br />
124<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
jedwede Lösung Mutterschutz und Elternzeit in<br />
einer Gesamtbetrachtung würdigen muss und<br />
Länder mit so weit reichenden Bestimmungen zur<br />
Elternzeit wie z. B. Deutschland nicht benachteiligen<br />
darf. Insbesondere dürfen für Unternehmen<br />
keine zusätzlichen Kosten entstehen. Die Bundesregierung<br />
hat im weiteren Gesetzgebungsverfahren<br />
im Ministerrat die volle Unterstützung der<br />
Arbeitgeber, diesen sozialpolitischen Irrweg des<br />
Europäischen Parlaments nicht mitzugehen.<br />
Kommission startet zweiten<br />
Anlauf zur Revision der Arbeitszeitrichtlinie<br />
Nachdem die Revision der Arbeitszeitrichtlinie<br />
Anfang 2009 scheiterte, weil das Parlament einen<br />
in letzter Minute in den Verhandlungen zwischen<br />
Kommission, Parlament und Ministerrat (Trilog)<br />
erreichten Kompromiss dennoch ablehnte, versucht<br />
die Kommission die Rahmenbedingungen<br />
für einen zweiten Anlauf zur Revision der bestehenden<br />
Arbeitszeitrichtlinie abzustecken. Derzeit<br />
wird auf der Grundlage von Art. 154 des Vertrags<br />
über die Arbeitsweise der Europäischen Union<br />
eine Sozialpartnerkonsultation durchgeführt. Die<br />
BDA war an der ersten Stufe der Sozialpartnerkonsultation<br />
beteiligt und hat sich für eine Weiterentwicklung<br />
hin zu mehr Individualisierung,<br />
Differenzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung<br />
ausgesprochen. Die Umsetzung<br />
der Arbeitszeitflexibilisierung steht in engem<br />
Zusammenhang mit der Korrektur der EuGH-<br />
Urteile zu Bereitschaftszeit und Urlaub.<br />
So hat der EuGH in den Fällen „Jaeger“<br />
und „SIMAP“ geurteilt, dass Bereitschaftsdienst<br />
vollständig als Arbeitszeit anzusehen ist. Damit<br />
gilt Bereitschaftszeit uneingeschränkt, also auch<br />
die inaktiven Phasen, als Arbeitszeit. Deutschland<br />
hat dieses Urteil durch Rechtsänderungen<br />
umgesetzt. Folge dieser Anpassung sind höhere<br />
Kosten, vor allem dort, wo Bereitschaftsdienst<br />
eine wichtige Rolle spielt. Mit einer Korrektur dieser<br />
EuGH-Rechtsprechung durch eine entsprechende<br />
Klarstellung in der Arbeitszeitrichtlinie<br />
könnte das deutsche Arbeitszeitgesetz wieder zu<br />
Gunsten der Arbeitszeitflexibilität geändert und<br />
die hohen Kosten für die Unternehmen zurückgenommen<br />
werden. Dabei muss die Möglichkeit<br />
zur Abweichung von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit<br />
(„opt out“) unangetastet bleiben.<br />
Ferner hat der EuGH in der Entscheidung<br />
Schultz-Hoff/Stringer geurteilt, dass Urlaub nicht<br />
verfällt, wenn Arbeitnehmer so lange krank sind,<br />
dass sie ihren Jahresurlaub nicht antreten können.<br />
So können im Extremfall über mehrere Jahre<br />
Urlaubsansprüche auflaufen, ohne dass der Zweck<br />
des Urlaubsrechts, nämlich die notwendige Erholung<br />
des Arbeitnehmers von seiner Erwerbsarbeit,<br />
erfüllt würde. Damit wird das deutsche Urlaubsrecht<br />
(§ 7 Abs. 3 BUrlG) ausgehebelt; nach der bisherigen<br />
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
verfallen entsprechende Jahresurlaubsansprüche<br />
spätestens zum 31. März des Folgejahres.<br />
Die BDA wird auf die Kommission einwirken,<br />
um auf der Grundlage der Sozialpartnerkonsultation<br />
einen Richtlinienvorschlag vorzulegen, der<br />
die beschriebene Rechtsprechung des EuGH korrigiert.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „EU-Arbeitszeitrichtlinie“<br />
Grünbuch Alterssicherung – offene<br />
Konsultation wirklich offen halten<br />
Die Kommission hat im Juli <strong>2010</strong> eine europaweite<br />
öffentliche Diskussion zur Frage gestartet, wie<br />
angemessene, nachhaltige und sichere Pensionen<br />
und Renten gewährleistet werden können und wie<br />
die EU die entsprechenden nationalen Bemühungen<br />
am besten unterstützen kann. Sie bringt zum<br />
Ausdruck, dass es in allen Mitgliedstaaten immer<br />
mehr ältere Menschen gibt, weshalb die aktuellen<br />
Systeme für die Alterssicherung unter massivem<br />
Druck stehen, den die Wirtschafts- und Finanzkrise<br />
noch verstärkt hat. Das Konsultationsdokument,<br />
ein Grünbuch mit einer Reihe von Fragen,<br />
lädt alle Interessierten ein, ihre Meinungen und<br />
Ideen zur Lösung der Pensions- und Rentenproblematik<br />
einzubringen und zu skizzieren, welchen<br />
Beitrag die EU dazu leisten kann. Das Grünbuch<br />
will den EU-Rahmen für die Alterssicherung einer<br />
ganzheitlichen und umfassenden Überprüfung<br />
unterziehen. Daher handelt es sich bei der Konsultation<br />
um eine gemeinsame Initiative der EU-<br />
Kommissare László Andor (Beschäftigung, soziale<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 125
Angelegenheiten und Chancengleichheit), Michel<br />
Barnier (Binnenmarkt und Dienstleistungen) und<br />
Olli Rehn (Wirtschaft und Währung). Im Grünbuch<br />
sollen die Synergien zwischen Wirtschafts- und<br />
Sozialpolitik und der Regulierung der Finanzmärkte<br />
genutzt werden, weshalb so verschiedene Themen<br />
angerissen werden wie z. B.:<br />
• Verlängerung des Arbeitslebens<br />
• Binnenmarkt für Pensionen und Renten<br />
• Mobilität von Pensionen und Renten innerhalb<br />
der EU<br />
• die zukünftige Solvenzregelung für Pensionsfonds<br />
• das Risiko der Arbeitgeberinsolvenz<br />
• Grundlagen für fundierte Entscheidungen<br />
und Governance auf EU-Ebene<br />
Nachdem die Konsultationsfrist Mitte November<br />
<strong>2010</strong> abgelaufen ist, wird die Kommission alle<br />
Beiträge zusammenstellen und in einem Sammeldokument<br />
veröffentlichen. Da das Europäische<br />
Parlament mit seinen Beratungen zum Grünbuch<br />
diese Frist nicht einhalten konnte, wird es<br />
seine Stellungnahme erst Anfang 2011 vorlegen.<br />
Erst dann soll nach Angaben der Kommission<br />
über nächste Schritte beraten werden; denkbare<br />
Ansätze wären ein Weißbuch oder einzelne Initiativen<br />
zu Fragen, an denen bereits vor dem Grünbuch<br />
gearbeitet wurde. Angesichts dieser Aussagen<br />
ist es umso unverständlicher, dass in der<br />
Binnenmarktakte vom Oktober <strong>2010</strong> bereits eine<br />
isolierte Überprüfung der Pensionsfondsrichtlinie<br />
angekündigt wird. Wenn es dabei bliebe, würde<br />
die von der Kommission zu Recht angestoßene<br />
Debatte über die demografischen Herausforderungen<br />
in den Alterssicherungssystemen der Mitgliedstaaten<br />
vorschnell entwertet. Insgesamt ist<br />
zu sehen, dass Aktionismus kein guter Ratgeber<br />
ist. Gerade im Bereich der Altersvorsorge kommt<br />
es auf Stabilität und Verlässlichkeit an. Verunsicherung<br />
durch immer neue Initiativen schadet<br />
dort, wo Vertrauen wachsen sollte.<br />
Richtlinienvorschlag zur konzerninternen<br />
Entsendung von Drittstaatsangehörigen<br />
weist den Weg<br />
Die EU-Kommission hat im Juli <strong>2010</strong> einen Sektorrichtlinienvorschlag<br />
zur konzerninternen Entsendung<br />
von Drittstaatsangehörigen (Intra-Corporate<br />
Transferees, ICTs) vorgelegt mit dem Ziel,<br />
den unternehmensinternen Transfer von „Schlüsselpersonal“<br />
aus Drittstaaten in die EU und innerhalb<br />
der EU zu vereinfachen und zu standardisieren.<br />
Dadurch soll die innereuropäische Mobilität<br />
erleichtert und die EU als Arbeitsstandort wettbewerbsfähiger<br />
und attraktiver für multinationale<br />
Unternehmen gemacht werden.<br />
Dieser Richtlinienvorschlag war lange überfällig<br />
und steht vom Ansatz her als Beispiel für<br />
sinnvolle Regulierung im Interesse der Unternehmen<br />
und um den Standort Europa attraktiver<br />
zu machen. Die Vorschläge adressieren einen<br />
Bedarf, den die Unternehmen bereits lange artikuliert<br />
haben. Damit gibt die Kommission ein richtiges<br />
Signal an global agierende Unternehmen,<br />
die ihr Personal effektiv und schnell in all ihren<br />
Unternehmensteilen einsetzen müssen.<br />
Der Richtlinienvorschlag beinhaltet neben<br />
der Errichtung eines transparenten und einheitlichen<br />
Verfahrens zur Zulassung von ICTs<br />
einheitliche Mindeststandards im Hinblick auf<br />
die Zulassungsvoraussetzungen, die Mobilität<br />
zwischen Mitgliedstaaten und die Bedingungen<br />
der Familienzusammenführung. Darüber hinaus<br />
gewährt der Vorschlag den ICTs bestimmte<br />
Rechte insbesondere bezüglich der Arbeits- und<br />
Beschäftigungsbedingungen sowie sozialer<br />
Absicherung. Der Richtlinienvorschlag findet auf<br />
folgende drei Personengruppen Anwendung:<br />
Führungskräfte, Fachkräfte mit Branchenkenntnissen<br />
und besonderem Fachwissen sowie auf<br />
Trainees mit Hochschulausbildung. Für die ersten<br />
beiden Gruppen ist eine maximale Aufenthaltsdauer<br />
von drei Jahren, für die Trainees von<br />
einem Jahr vorgesehen.<br />
Um die richtige Zielsetzung zu erreichen,<br />
muss sich der Anwendungsbereich der Richtlinie<br />
an der betrieblichen Praxis ausrichten. Insbesondere<br />
muss noch klargestellt werden, dass der<br />
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BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Richtlinienvorschlag nicht nur die Konstellation<br />
einer Entsendung, sondern auch den Fall einer<br />
Versetzung erfasst.<br />
Sektoraler Richtlinienvorschlag zu<br />
Saisonarbeitnehmern: Subsidiaritätsprinzip<br />
berücksichtigen<br />
Die EU-Kommission verfolgt mit dem Vorschlag<br />
das Ziel, einheitliche Mindeststandards für die<br />
Einreise und den Aufenthalt von Saisonarbeitnehmern<br />
aus Drittstaaten festzulegen, Rechte für diese<br />
Personengruppe festzuschreiben sowie Ausbeutung<br />
von Saisonarbeitskräften vorzubeugen.<br />
Voraussetzung für die Beschäftigung soll sein,<br />
dass zwischen dem Saisonarbeitnehmer aus dem<br />
Drittstaat und dem in der EU niedergelassenen<br />
Arbeitgeber direkt ein oder mehrere befristete<br />
Arbeitsverträge geschlossen werden.<br />
Nicht geregelt wird in dem Richtlinienvorschlag<br />
die Möglichkeit von Saisonarbeitnehmern,<br />
sich im Rahmen ihrer Tätigkeit innerhalb der EU in<br />
mehreren Mitgliedstaaten aufzuhalten.<br />
Saisonarbeitnehmer aus Drittstaaten sollen<br />
schneller und unbürokratischer in der EU beschäftigt<br />
werden können. Nur wird aus deutscher Sicht<br />
darauf zu achten sein, dass die deutschen Saisonbranchen<br />
im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten<br />
die gleichen Wettbewerbsbedingungen<br />
erhalten und nicht durch zu restriktive nationale<br />
Kontingente eingeschränkt werden.<br />
Dennoch gibt es zwei grundsätzliche Bedenken:<br />
Es zeichnet sich erstens ab, dass Saisonarbeitnehmer<br />
zunehmend – vor allem in grenznahen<br />
Regionen – grenzüberschreitend eingesetzt werden,<br />
etwa in der Hotellerie oder Landwirtschaft.<br />
Eine EU-Regelung zur Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern<br />
aus Drittstaaten muss daher genau<br />
dieses Thema aufgreifen, um einen echten Mehrwert<br />
zu bieten. Leider klammert der Richtlinienvorschlag<br />
genau diesen Aspekt aus. Deshalb ist der<br />
Richtlinienentwurf in der aktuellen Fassung im Hinblick<br />
auf das Subsidiaritätsprinzip höchst fraglich,<br />
da er lediglich den Einsatz von Saisonarbeitnehmern<br />
im jeweiligen Mitgliedstaat regelt. Die Branchendefinition<br />
im Richtlinienvorschlag ist zu weit<br />
gefasst. Es muss zweitens sicher gestellt werden,<br />
dass die Mitgliedstaaten die in den Anwendungsbereich<br />
dieser Richtlinie fallenden Branchen selbst<br />
definieren können, um möglichem Missbrauch<br />
begegnen zu können.<br />
Gender Equality Strategy: weiter<br />
auf freiwillige Konzepte setzen<br />
Am 21. September <strong>2010</strong> hat die EU-Kommission<br />
ihre neue EU-Gleichstellungsstrategie <strong>2010</strong>–<br />
2015 vorgelegt. Die neue Strategie löst den EU-<br />
Fahrplan für Gleichstellung 2006–<strong>2010</strong> ab. Zwei<br />
Themen aus diesem Strategieplan sind für die<br />
Arbeitgeber zentral, „Gleiches Entgelt für gleichwertige<br />
Arbeit“ und „Gleichstellung in Entscheidungsprozessen“.<br />
Die EU-Kommission geht in ihrer Mitteilung<br />
von einer durchschnittlichen geschlechtsspezifischen<br />
Lohndifferenz in der EU von derzeit 17,8 %<br />
aus. Dabei geht sie allerdings kaum auf die Ursachen<br />
dieser strukturellen Lohnunterschiede ein,<br />
die sich aus unterbrochenen Berufsbiografien und<br />
einem hohen Anteil von Teilzeitarbeit ergeben.<br />
Zudem spielt die geschlechtsspezifische Berufswahl<br />
bei der Lohndifferenz eine große Rolle, Frauen<br />
sind überdurchschnittlich oft in Bereichen mit<br />
geringeren Qualifikationserfordernissen und entsprechend<br />
niedrigeren Löhnen tätig. Hierzu zählen<br />
vor allem Tätigkeiten in einfachen und sozialen<br />
Dienstleistungen.<br />
Die EU-Kommission will nun den Ursachen<br />
für die geschlechtsspezifische Lohndifferenz auf<br />
den Grund gehen und erklärt in ihrer Mitteilung,<br />
dass sie die Lohntransparenz verbessern möchte.<br />
Es soll untersucht werden, welche Auswirkungen<br />
Vertragsformen wie Teilzeitarbeit oder befristete<br />
Arbeitsverträge auf die Lohngleichheit haben.<br />
Dazu will sie auch die Sozialpartner konsultieren.<br />
Die Kommission will zudem Initiativen für gleiches<br />
Entgelt am Arbeitsplatz – wie etwa Garantiesiegel,<br />
Selbstverpflichtungen und Auszeichnungen<br />
für vorbildliche Arbeitgeber – unterstützen. Ferner<br />
denkt sie an die Einführung eines „Europäischen<br />
Tags für gleiches Entgelt“ analog zum deutschen<br />
„Equal Pay Day“.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 127
Die BDA setzt sich dafür ein, dass in der<br />
öffentlichen Debatte viel stärker die strukturellen<br />
Aspekte unterschiedlicher beruflicher Biografien<br />
berücksichtigt werden. Es gibt ausreichend Zahlen<br />
und Fakten, die dies belegen und die eine fundierte<br />
Grundlage für den Dialog mit der Kommission<br />
zu diesem Thema bieten.<br />
Die Kommission stellt fest, dass Frauen in<br />
Führungspositionen immer noch stark unterrepräsentiert<br />
sind. Sie nennt explizit die Beteiligung in<br />
politischen Ämtern und in Aufsichtsräten der größten<br />
börsennotierten Unternehmen in der EU. Die<br />
EU-Kommission will Möglichkeiten gezielter Initiativen<br />
zur Verbesserung des Geschlechtergleichgewichts<br />
in Entscheidungsprozessen prüfen.<br />
Die zuständige Kommissarin für Justiz und<br />
Chancengleichheit, Viviane Reding, hat sich insbesondere<br />
zur Thematik „Frauen in Führungspositionen“<br />
mehrfach in der Presse und auf Veranstaltungen<br />
geäußert. Dabei hat sie angekündigt,<br />
sich im Frühjahr 2011 mit Vertretern börsennotierter<br />
Unternehmen treffen zu wollen, um mit ihnen<br />
freiwillige Maßnahmen zu erörtern, um echte<br />
Fortschritte zu erzielen. Reding machte sehr deutlich,<br />
dass sie – falls keine spürbaren Fortschritte<br />
im Jahr 2011 erreicht würden – spätestens 2012<br />
regulative Maßnahmen einleiten werde, um den<br />
Anteil von Frauen in Aufsichtsräten börsennotierter<br />
Unternehmen zu erhöhen.<br />
Die BDA unterstützt das Ziel, mehr Frauen<br />
in Führungspositionen zu bringen, lehnt aber eine<br />
gesetzliche Quote zur Erreichung dieses Ziels<br />
ab. Sie ist derzeit mit zahlreichen Unternehmen<br />
im Dialog, um zielführende Wege für freiwillige<br />
Maßnahmen zu erarbeiten und die zahlreichen<br />
Good-Practice-Beispiele als Gesprächsgrundlage<br />
für den Dialog mit der EU-Kommission aufzuarbeiten.<br />
Sozialer Dialog: Vorhaben des<br />
geltenden Arbeitsprogramms<br />
erfolgreich umsetzen<br />
Im Rahmen des europäischen Sozialen Dialogs<br />
wurde Anfang <strong>2010</strong> nach schwierigen Verhandlungen<br />
eine „Autonome Rahmenvereinbarung“ zum<br />
Thema „Inclusive Labour Markets“ unterzeichnet.<br />
Damit wird ein Thema aus dem gemeinsamen<br />
Arbeitsprogramm des europäischen Sozialen Dialogs<br />
abgearbeitet.<br />
Das Ziel dieser autonomen Rahmenvereinbarung<br />
ist es:<br />
• Themen der Integration in den Arbeitsmarkt<br />
gemeinsam anzusprechen<br />
• Unternehmen und Sozialpartnerorganisationen<br />
zu sensibilisieren und zu informieren<br />
• Unternehmen und Sozialpartnerorganisationen<br />
Handlungsansätze zur Überwindung<br />
von Hindernissen bei der Integration in den<br />
Arbeitsmarkt anzuzeigen<br />
Die Vereinbarung wird nun von den nationalen<br />
Sozialpartnern entsprechend ihren jeweils<br />
eigenen Gepflogenheiten praxisnah umgesetzt.<br />
Für Deutschland kommen – wie bereits mit bestehenden<br />
autonomen Vereinbarungen wie z. B. zu<br />
Telearbeit, Chancengleichheit, Stress praktiziert –<br />
gemeinsame BDA/DGB-Empfehlungen, Praxisseminare,<br />
Leitfäden für die betriebliche Praxis etc.<br />
in Frage.<br />
Zudem wird derzeit mit dem Europäischen<br />
Gewerkschaftsbund an einer Analyse zu den Auswirkungen<br />
des Klimawandels auf die Beschäftigung<br />
und der Identifizierung möglicher gemeinsamer<br />
Maßnahmen gearbeitet. Damit entwickeln die<br />
Sozialpartner einen wichtigen Input für die europäische<br />
Debatte zu „Green Jobs“.<br />
Die Arbeitgeber haben die EU-Kommission<br />
von ihrem Vorhaben einer Mitteilung zum sektoralen<br />
Sozialen Dialog ganz abbringen können. Sie<br />
wollte ursprünglich mehr Druck auf die Sozialpartner<br />
ausüben, Ergebnisse im Sinne der Kommission<br />
zu liefern. Genau dies hätte deshalb massiv<br />
dem Autonomieprinzip widersprochen. Sozialpartner<br />
sind niemals Erfüllungsgehilfen Dritter, sondern<br />
handeln in eigener Verantwortung.<br />
Auch ist es den europäischen Sozialpartnern<br />
gelungen, sich gemeinsam zur EU-2020-Strategie<br />
zu äußern. Sie rufen dazu auf, Wachstum<br />
zum Maßstab des Erfolgs der EU-2020-Strategie<br />
zu machen. Mindestens 2 % durchschnittliches<br />
128<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Wachstum sollten in der EU in den kommenden<br />
Jahren erreicht werden, um dadurch rd. 6,5 Mio.<br />
zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Dieses<br />
gemeinsame Bekenntnis ist nun Grundlage für<br />
Überlegungen weiterer Folgeaktivitäten im europäischen<br />
Sozialen Dialog.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Europäischer Sozialer Dialog“<br />
Corporate Social Responsibility:<br />
Bundesregierung setzt richtige<br />
Schwerpunkte<br />
Das Bundeskabinett hat am 6. Oktober <strong>2010</strong><br />
einen CSR-Aktionsplan verabschiedet, der auf<br />
Empfehlungen des von der Bundesregierung<br />
initiierten und moderierten deutschen CSR-<br />
Forums aufbaut. Der Kabinettsbeschluss stellt<br />
für die Wirtschaft einen großen Erfolg dar: Der<br />
freiwillige Charakter von CSR wird bestätigt, das<br />
große Engagement der Unternehmen gewürdigt<br />
und die Rollenverteilung zwischen Regierungen<br />
und Unternehmen klar voneinander abgegrenzt.<br />
Bereits in früheren CSR-Foren haben<br />
sich Befürworter von CSR-Berichterstattungspflichten,<br />
CSR-Labels und einer Verknüpfung<br />
von CSR mit Instrumenten der Exportförderung<br />
nicht durchsetzen können. Die BDA hat gemeinsam<br />
mit BDI, DIHK und ZDH und den Vertretern<br />
der Unternehmen aufgrund intensiver Überzeugungsarbeit<br />
erreicht, dass die vom CSR-Forum<br />
im Konsens verabschiedeten Empfehlungen vor<br />
allem auf mehr und bessere Informationen zu<br />
CSR, besseren Erfahrungsaustausch und mehr<br />
Bewusstseinsbildung abzielen. In der nun verabschiedeten<br />
CSR-Strategie ist die Bundesregierung<br />
diesem pragmatischen Ansatz gefolgt.<br />
Konkrete Maßnahmen, die sich die Bundesregierung<br />
vornimmt, sind z. B. passgenaue praktische<br />
Hilfestellungen durch Beratungs- und Coachingprogramme,<br />
insbesondere für kleine und mittlere<br />
Unternehmen, und die Auslobung eines neuen<br />
CSR-Preises der Bundesregierung.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Corporate Social Responsibility“<br />
EU-Kommission muss den praxisorientierten<br />
Ansatz der Europäischen<br />
CSR-Allianz weiterführen<br />
Jetzt kommt es darauf an, dass sich ein praxisorientierter<br />
Ansatz auch auf europäischer Ebene durchsetzt.<br />
Der EU-Unternehmenskommissar Antonio<br />
Tajani hat angekündigt, im ersten Halbjahr 2011<br />
eine Mitteilung zu CSR vorzulegen, mit der die seit<br />
2006 praktizierte Europäische CSR-Allianz fortgeschrieben<br />
werden soll. Themenschwerpunkte der<br />
Mitteilung werden voraussichtlich CSR-Berichterstattung,<br />
Menschenrechte sowie die stärkere Aufnahme<br />
von CSR in die Außenbeziehungen der EU<br />
sein. Es ist darauf zu achten, dass die EU-Kommission<br />
ihren praxis orientierten, auf Freiwilligkeit<br />
basierenden Ansatz nicht verlässt, keine verbindlichen<br />
Regulierungen für Unternehmen im Bereich<br />
CSR ins Auge fasst. Aus dem Europäischen Parlament,<br />
von Nichtregierungsorganisationen und<br />
sogar von einigen Regierungen wird z. B. Druck<br />
in Richtung einer verpflichtenden CSR-Berichterstattung<br />
sowie der Aufnahme von CSR-Verpflichtungen<br />
in bilaterale Handelsabkommen der EU<br />
gemacht. Auch andere Kommissare nehmen das<br />
Thema „CSR“ auf. So hat Binnenmarktkommissar<br />
Michel Barnier im Rahmen des „Single Market Act“<br />
angekündigt, die öffentliche Beschaffung sowie<br />
den Zugang zu Finanzierung mit CSR-Aktivitäten<br />
der Unternehmen verknüpfen zu wollen.<br />
Die BDA hat gemeinsam mit dem italienischen<br />
Schwesterverband Confindustria im Juli <strong>2010</strong> mit<br />
Kommissar Antonio Tajani gesprochen, um für die<br />
Beibehaltung des auf Freiwilligkeit basierenden<br />
Ansatzes zu CSR zu werben. Tajani zeigte sich<br />
dabei offen für konstruktive Vorschläge von Seiten<br />
der Wirtschaft. BDA und Confindustria haben<br />
in einem gemeinsamen Schreiben von Arbeitgeberpräsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt und Confindustria-Präsidentin<br />
Emma Marcegaglia an Kommissar<br />
Tajani insbesondere die Einrichtung eines<br />
„CSR-Helpdesks“, also einer zentralen Anlaufstelle<br />
innerhalb der Kommission, bei der Unternehmen<br />
Auskunft zu konkreten Fragestellungen<br />
und Informationen erhalten, sowie die Vergabe<br />
eines europäischen CSR-Preises vorgeschlagen.<br />
Für die Wirtschaft kommt es nun darauf an,<br />
der Gefahr verbindlicher CSR-Regulierungen für<br />
Unternehmen durch einen konstruktiven Ansatz<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 129
entgegenzutreten, indem sie der EU-Kommission<br />
Initiativen vorschlägt, die den freiwilligen Charakter<br />
von CSR nicht konterkarieren.<br />
OECD-Leitsätze für multinationale<br />
Unternehmen: Beitritt weiterer<br />
Staaten fördern<br />
Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen<br />
enthalten anerkannte Grundsätze für verantwortliches<br />
unternehmerisches Verhalten bei<br />
Auslandsinvestitionen in den Bereichen Soziales,<br />
Umwelt, Antikorruption, Steuern, Verbraucher,<br />
Berichterstattung, Forschung und Wettbewerb.<br />
Ihren besonderen Status erhalten die auf Freiwilligkeit<br />
basierenden OECD-Leitsätze dadurch,<br />
dass sich alle Regierungen der OECD-Mitglieder<br />
zu ihrer Förderung verpflichtet und nationale Kontaktstellen<br />
zur Kontrolle der eingegangenen Verpflichtungen<br />
eingerichtet haben und dass sie auch<br />
den Beitritt von Nicht-OECD-Staaten zu den Leitlinien<br />
ermöglichen. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen<br />
können vor den nationalen<br />
Kontaktstellen Beschwerden gegen Unternehmen<br />
einbringen, die nach ihrer Auffassung im Rahmen<br />
ihrer Auslandsinvestitionen gegen die Leitsätze<br />
verstoßen. Neben den 33 OECD-Ländern haben<br />
Ägypten, Argentinien, Brasilien, Estland, Lettland,<br />
Litauen, Marokko, Rumänien und Peru die Leitsätze<br />
unterzeichnet.<br />
Seit Juni <strong>2010</strong> werden diese OECD-Leitsätze<br />
überarbeitet. Die OECD steht vor einer wichtigen<br />
politischen Weichenstellung: Soll für die Leitsätze<br />
eine möglichst große weltweite Verbreitung<br />
angestrebt werden – was nur gelingt, wenn sie<br />
nicht zusätzliche Hürden aufbauen – oder sollen<br />
die Leitsätze inhaltlich um genau solche Hürden<br />
erweitert werden? Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen<br />
drängen darauf, zusätzliche<br />
Hürden zu errichten, indem die Anwendungsbestimmungen<br />
über Auslandsinvestitionen hinaus auf<br />
die Zuliefererketten ausgedehnt und neue Sanktionen<br />
für die Unternehmen eingeführt werden.<br />
Nach Auffassung der BDA muss die Verbreitung<br />
der OECD-Leitsätze auf weitere Nicht-<br />
OECD-Staaten, wie z. B. die restlichen BRIC-<br />
Staaten, oberste Priorität haben, um ein möglichst<br />
weites „level playing field“ für die deutschen<br />
Unternehmen sicherzustellen. Dies würde die<br />
Wirkung der Leitsätze klar verbessern. Das deutsche<br />
BIAC-Netzwerk von BDA und BDI hat diese<br />
Position im Rahmen seiner letzten Sitzung<br />
mit OECD-Generalsekretär Angel Gurría intensiv<br />
diskutiert. Diese BDA-Position ist auch von BIAC<br />
(The Business and Industry Advisory Committee<br />
to the OECD), dem Arbeitgeber-Dachverband bei<br />
der OECD, übernommen worden.<br />
ISO 26000 zur gesellschaftlichen<br />
Verantwortung – ausdrücklich<br />
nicht zertifizierbar<br />
Die Norm ISO 26000 „Guidance on social responsibility“<br />
wurde am 1. November <strong>2010</strong> von der<br />
Internationalen Organisation für Normung (ISO)<br />
veröffentlicht. Die entsprechende deutsche Norm<br />
wird als DIN ISO 26000 „Leitfaden zur gesellschaftlichen<br />
Verantwortung“ im Januar 2011<br />
erscheinen.<br />
Die deutsche Wirtschaft hatte von Beginn<br />
der Initiative an große Bedenken gegen die<br />
ISO 26000 geltend gemacht. Eine auf technische<br />
Sachverhalte ausgerichtete Normung kann<br />
den besonderen Charakter, die Komplexität und<br />
Vielfalt des gesellschaftlichen Engagements von<br />
Unternehmen und Organisationen nicht sinnvoll<br />
und zielführend erfassen. Trotz dieser nicht<br />
nur von der Wirtschaft geäußerten Vorbehalte<br />
beschloss das technische Lenkungsgremium<br />
der ISO im Juni 2004 ein Projekt zur Erarbeitung<br />
einer ISO-Norm „Guidance on social responsibility“.<br />
Die deutsche Wirtschaft hat sich an diesem<br />
Projekt nur unter der Prämisse beteiligt, Unternehmen<br />
und Organisationen einen Leitfaden zu<br />
gesellschaftlicher Verantwortung zu bieten, der<br />
weder ein neues Managementsystem beschreibt<br />
noch zur Drittzertifizierung geeignet ist.<br />
Diese grundlegende Zielsetzung ist mit der<br />
verabschiedeten Norm ISO 26000 „Leitfaden zur<br />
gesellschaftlichen Verantwortung“ voll erreicht<br />
worden. Sie ist als Leitfaden konzipiert, der strategische<br />
Planung und Umsetzung von gesellschaftlicher<br />
Verantwortung in Unternehmen und sonstigen<br />
Organisationen im weitesten Sinne erleichtern soll.<br />
Die ISO 26000 weist explizit darauf hin, dass es<br />
sich um keine Managementsystemnorm handelt.<br />
130<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Sie ist weder für Zertifizierungszwecke noch für<br />
gesetzliche oder vertragliche Anwendungen vorgesehen<br />
und auch nicht geeignet: „This International<br />
Standard provides guidance to users and is neither<br />
intended nor appropriate for certification purposes.<br />
Any offer to certify to ISO 26000 or any claim to be<br />
certified to ISO 26000 would be a misrepresentation<br />
of the intent and purpose of this International<br />
Standard“ (Quelle: FDIS ISO 26000, Seite VIII).<br />
Die BDA hat gemeinsam mit dem BDI und dem<br />
ZDH am 26. Oktober <strong>2010</strong> eine Informationsveranstaltung<br />
zur ISO 26000 durchgeführt. Zudem<br />
hat sich die BDA mit dem federführenden Bundesministerium<br />
für Arbeit und Soziales und den beteiligten<br />
Bundesressorts über eine Stellungnahme<br />
zur Nichtzertifizierbarkeit der ISO 26000 verständigt,<br />
die mit Veröffentlichung der ISO 26000 am<br />
1. November auf den Webseiten aller Herausgeber<br />
publik gemacht wurde. Damit wird einer breiten<br />
Öffentlichkeit der eingeschränkte Anwendungsbereich<br />
der Norm verdeutlicht.<br />
Unternehmen und Menschenrechte:<br />
UN-Sonderbeauftragter<br />
entwirft Empfehlungen<br />
In den Vereinten Nationen gibt es gefährliche<br />
Bestrebungen, transnational tätige Unternehmen<br />
völlig unabhängig von – und im Zweifel im Gegensatz<br />
zu – den nationalen Rechtsordnungen, in<br />
denen sie tätig sind, zur Einhaltung konkreter<br />
dem Bereich der Menschenrechte zugeordneter<br />
Normen zu verpflichten. Eine als „Draft Norms“<br />
bekannt gewordene Initiative ist auch dank extrem<br />
intensiver Lobbyarbeit der BDA und ihres internationalen<br />
Dachverbands IOE (International Organisation<br />
of Employers) im UN-Menschenrechtsrat<br />
verhindert worden. Der UN-Generalsekretär hat<br />
nun den Harvard-Völkerrechtler Prof. John Ruggie<br />
beauftragt, ein praxistaugliches Konzept zu<br />
dieser Problematik zu erarbeiten.<br />
Prof. John Ruggie hat in engem Kontakt mit<br />
der Wirtschaft den Entwurf von Empfehlungen zur<br />
Stärkung der unternehmerischen Verantwortung<br />
für Menschenrechte erarbeitet, die im Juni 2011<br />
vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet werden<br />
sollen. Sein Konzept basiert auf den drei<br />
Säulen „Protect – Respect – Remedy“ (Schützen<br />
– Respektieren – Abhelfen):<br />
• Protect: Es ist Aufgabe des Staates, die<br />
Menschen auf seinem Territorium vor Menschenrechtsverletzungen<br />
durch nichtstaatliche<br />
Akteure zu schützen.<br />
• Respect: Es ist die Pflicht der Unternehmen,<br />
die Menschenrechte, so wie sie durch die<br />
jeweilige nationale Gesetzgebung konkretisiert<br />
werden, zu respektieren und die dazu<br />
nötigen Managementstrukturen aufzubauen.<br />
• Remedy: Es müssen juristische wie nichtjuristische<br />
Beschwerdemechanismen entwickelt<br />
und gestärkt werden, um die Abhilfe bei<br />
Menschenrechtsverletzungen, die von Unternehmen<br />
begangen werden, zu verbessern.<br />
Von der BDA wird dieses Konzept positiv<br />
bewertet, da es klar die Verantwortlichkeiten der<br />
verschiedenen Akteure unterscheidet und zu einer<br />
Klärung des komplexen Themas „Menschenrechte<br />
und Unternehmen“ beiträgt.<br />
Allerdings gibt es Druck von Nichtregierungsorganisationen<br />
und Gewerkschaften, die<br />
völlig losgelöst von den zentralen menschenrechtlichen<br />
Fragen von Prof. John Ruggie u. a. fordern,<br />
eine verpflichtende CSR-Berichterstattung sowie<br />
die Aufnahme von CSR als Kriterium in die öffentliche<br />
Auftragsvergabe als Empfehlungen aufzunehmen.<br />
Der BDA-Arbeitskreis zu CSR hat im<br />
vergangenen August den Empfehlungsentwurf<br />
mit Prof. John Ruggie persönlich diskutiert und<br />
eindringlich davor gewarnt, solche nicht menschenrechtsbezogene<br />
politische Forderungen der<br />
Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften<br />
in die Empfehlungen aufzunehmen. In dem<br />
am 22. November <strong>2010</strong> vorgelegten Entwurf der<br />
Empfehlungen wird die Rollenverteilung zwischen<br />
Regierungen und Wirtschaft klar vorgenommen<br />
und werden die Regierungen in deutlichen Worten<br />
aufgefordert, die Menschenrechte um- und<br />
durchzusetzen. Dies wird von der BDA begrüßt.<br />
Allerdings bleibt Ruggie an wichtigen Punkten,<br />
wie z. B. der extraterritorialen Rechtsprechung<br />
und der Frage der Berichterstattung sowie zur<br />
Behandlung der Zulieferkette, zu unklar. Damit<br />
öffnet er gegensätzlichen Interpretationen Tür und<br />
Tor. Abzulehnen ist darüber hinaus die Empfehlung<br />
Ruggies, die Vergabe von Exportkrediten mit<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 131
Menschenrechtsanforderungen zu verknüpfen.<br />
Dadurch droht das Instrument der Exportkredite<br />
mit unnötigen bürokratischen Hürden belastet<br />
zu werden. Die BDA wird sich in diesem Sinne in<br />
enger Zusammenarbeit mit der IOE in den Prozess<br />
weiter einbringen, um sicherzustellen, dass<br />
die Empfehlungen Ruggies tatsächlich praxistauglich<br />
sind.<br />
ILO muss sich inhaltlich<br />
modernisieren<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat in<br />
diesem Jahr durch ihre Beteiligung am G20-Prozess<br />
an politischem Gewicht gewonnen. Sie<br />
berät die G20 in Arbeitsmarktfragen und sozialpolitischen<br />
Angelegenheiten. Darüber hinaus hat<br />
sie auf dem G20-Gipfel in Toronto eine „globale<br />
Trainingsstrategie“ vorgelegt. Die BDA konnte<br />
gemeinsam mit der IOE erreichen, dass die<br />
Beschäftigungsfähigkeit eine zentrale Säule in<br />
dieser Trainingsstrategie ist.<br />
Die BDA begrüßt, dass die ILO verstärkt mit<br />
anderen internationalen Organisationen und Initiativen<br />
wie der G20 und dem Internationalen Währungsfonds<br />
zusammenarbeitet. Dies ist allein aus<br />
Gründen der „Policy Coherence“ wichtig. Gerade<br />
vor dem Hintergrund der Krise müssen klare Botschaften<br />
von den internationalen Organisationen<br />
kommen. Allerdings muss die ILO dieser neuen<br />
Bedeutung Rechnung tragen, indem sie sich auch<br />
inhaltlich modernisiert und sich sehr viel stärker<br />
den sozialen und wirtschaftlichen Realitäten und<br />
Entwicklungen gegenüber öffnet. Dazu gehört<br />
z. B., dass sie sich nicht länger weigert, das Thema<br />
„Flexicurity“ zu behandeln.<br />
Gemeinsam mit der IOE setzt sich die BDA<br />
darüber hinaus dafür ein, dass die ILO das Thema<br />
„Demografische Entwicklung“ stärker behandelt.<br />
Die Alterung der Gesellschaften wird die zentrale<br />
arbeitsmarkt- und sozialpolitische Herausforderung<br />
für viele Staaten und Regierungen, vor<br />
allem in Europa und China. Gemeinsam mit der<br />
neuen für Europa zuständigen Regionalkoordinatorin<br />
der ILO diskutierten die europäischen und<br />
zentralasiatischen Mitglieder der IOE auf dem<br />
Regionaltreffen in Malta am 9. und 10. September<br />
<strong>2010</strong> diese Thematik. Deutlich wurde, dass keine<br />
Einzelmaßnahmen, sondern nur Maßnahmenbündel<br />
in Bezug auf Zuwanderung, Ausbildung,<br />
Arbeitsmarkt und unternehmerische Rahmenbedingungen<br />
helfen werden.<br />
Ein Beispiel für unternehmensrelevantes<br />
Handeln der ILO ist der auf Initiative der BDA<br />
2009 eingerichtete Help Desk. Der ILO Help Desk<br />
ist eine kostenlose Beratungsstelle für Management<br />
und Belegschaften sowie Arbeitgeber- und<br />
Arbeitnehmerorganisationen. Er bietet praxisrelevante<br />
Informationen zu den ILO-Arbeitsnormen.<br />
Seit seiner Einrichtung im März 2009 bis September<br />
<strong>2010</strong> hat der Help Desk mehr als 300 Anfragen<br />
beantwortet, mit steigender Tendenz.<br />
OECD: Reformmotor auf nationaler<br />
und internationaler Ebene<br />
Die OECD gewinnt an Bedeutung sowohl für die<br />
Politikgestaltung auf nationaler Ebene wie auch<br />
in den internationalen Prozessen, vor allem im<br />
Rahmen der G20. Gerade in Deutschland hat die<br />
OECD immer wieder als Reformmotor gewirkt:<br />
Im Bereich Bildung und im Arbeitsmarktbereich<br />
hat die OECD großen Einfluss auf die deutsche<br />
Politik gehabt. Auch die im März <strong>2010</strong> im OECD-<br />
Deutschlandbericht aufgestellten Analysen und<br />
Forderungen werden von der BDA weitgehend<br />
geteilt: Der Bericht unterstreicht, dass die deutschen<br />
Exporterfolge das Ergebnis von hoher<br />
Wettbewerbsfähigkeit und Spitzenprodukten für<br />
die Weltmärkte sind. Damit hat der Bericht einen<br />
wichtigen Beitrag zur Versachlichung der sehr einseitig<br />
geführten Debatte über das „Exportmodell<br />
Deutschland“ geleistet. Die OECD empfiehlt in<br />
diesem Zusammenhang, neben dem Exportsektor<br />
die Binnenwirtschaft durch Deregulierung des<br />
Dienstleistungssektors als zweite Wachstumssäule<br />
zu stärken. Insbesondere die Ausführungen der<br />
OECD zum Kündigungsschutz werden von der<br />
deutschen Wirtschaft unterstützt. Sie bekräftigten<br />
die Auffassung der BDA, den Kündigungsschutz<br />
durch ein Abfindungsoptionsmodell zu ergänzen.<br />
Dies würde die Anzahl der Arbeitsgerichtsprozesse<br />
vermindern und frühzeitig Rechtssicherheit<br />
für die Parteien schaffen. Die deutsche Politik ist<br />
aufgerufen, die Empfehlungen der OECD ernst zu<br />
nehmen.<br />
132<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales
Wichtige horizontale Themen der OECD sind<br />
darüber hinaus die bereits beschriebene Überarbeitung<br />
der OECD-Leitsätze, die Arbeiten der<br />
OECD in Finanzmarktfragen sowie die Studien<br />
der OECD in den Bereichen demografische Entwicklung<br />
und Migration. Zudem beschäftigt sich<br />
die OECD intensiv mit den Zusammenhängen<br />
von Wachstum, Beschäftigung und Klimawandel.<br />
Durch das große gemeinsame Engagement von<br />
BDA und BIAC konnte erreicht werden, dass die<br />
OECD nicht mehr ein „Green-Jobs“-Konzept, das<br />
auf die Beschäftigung im Umweltschutz abzielt<br />
und sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in<br />
dieser Nischenbranche reduziert, sondern stattdessen<br />
eine „Green-Growth“-Strategie verfolgt,<br />
die auf nachhaltiges Beschäftigungswachstum<br />
generell abzielt und nicht Anlass für einen Subventionswettlauf<br />
sein wird.<br />
Die BDA hat gemeinsam mit dem BDI auch<br />
im Jahr <strong>2010</strong> den Dialog zwischen der deutschen<br />
Wirtschaft und der OECD weiter gefördert. Im<br />
Rahmen des deutschen BIAC-Netzwerktreffens<br />
diskutierten im April <strong>2010</strong> unter Vorsitz von Randolf<br />
Rodenstock deutsche Wirtschaftsvertreter mit<br />
OECD-Generalsekretär Angel Gurría zu aktuellen<br />
Themen. Sie unterstrichen dabei die Notwendigkeit,<br />
gemeinsam mit der OECD auf weitere Strukturreformen<br />
in Deutschland hinzuarbeiten, protektionistische<br />
Tendenzen in der Weltwirtschaft zu<br />
bekämpfen und die Reform der Finanzmärkte zu<br />
unterstützen.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Europa und Internationales 133
Konjunkturelle Entwicklung: Vorkrisenniveau<br />
noch nicht erreicht<br />
Die Konjunktur in Deutschland hat sich im Jahr<br />
<strong>2010</strong> deutlich schneller erholt als in den meisten<br />
anderen Ländern. Mit geschätzten 3,7 %<br />
Wirtschaftswachstum für das Gesamtjahr liegt<br />
Deutschland an der Spitze der G7-Staaten. Innerhalb<br />
Europas ist Deutschland zur Konjunkturlokomotive<br />
geworden. Der Euroraum wird voraussichtlich<br />
um 1,6 % wachsen. Die Industrieländer<br />
kommen insgesamt auf ein Plus von 2,3 %, die<br />
Schwellenländer auf 7,6 %. Insbesondere deren<br />
wirtschaftliche Dynamik ist für die exportorientierte<br />
deutsche Wirtschaft von hoher Bedeutung –<br />
sowohl im Abschwung wie auch im Aufschwung.<br />
Nachdem die deutsche Wirtschaft vom<br />
Einbruch der Weltwirtschaft zur Jahreswende<br />
2008/2009 besonders stark getroffen worden<br />
war und in der Folge das reale Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) 2009 um 4,7 % eingebrochen war,<br />
profitierte sie im Aufschwung von der starken<br />
Konjunkturerholung mit verminderter Dynamik<br />
Bruttoinlandsprodukt 2006 bis 2011 (preisbereinigt, verkettet)<br />
Veränderung gegenüber Vorjahr in %<br />
4,5<br />
3,4<br />
3,7<br />
3<br />
2,7<br />
2,2<br />
1,5<br />
1,0<br />
0<br />
–1,5<br />
–3<br />
–4,5<br />
–4,7<br />
–6<br />
2006 2007 2008 2009 <strong>2010</strong> 2011<br />
Quellen: Statistisches Bundesamt, <strong>2010</strong>; Angaben für <strong>2010</strong> und 2011 Prognose des Jahresgutachtens <strong>2010</strong>/2011<br />
136<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft
Exportorientierung. Dabei wirkte sich das auf<br />
Investitionsgüter ausgerichtete Exportsortiment<br />
der deutschen Unternehmen sehr günstig aus.<br />
Denn gerade in den schnell wachsenden Schwellenländern<br />
Asiens und Lateinamerikas zog die<br />
Investitionsdynamik wieder stark an.<br />
Die konjunkturelle Expansion Deutschlands<br />
hat sich bis zur Jahresmitte <strong>2010</strong> erheblich<br />
beschleunigt. Im zweiten Quartal nahm das reale<br />
BIP mit 2,3 % gegenüber dem ersten Quartal zu,<br />
so stark wie nie zuvor im vereinigten Deutschland.<br />
Nachdem zunächst der Exportsektor die Konjunktur<br />
angeschoben hatte, sorgte zuletzt die Binnennachfrage<br />
für deutlich mehr Fahrt. Sie wird zunehmend<br />
zum zweiten Standbein des Aufschwungs.<br />
Auch im zweiten Halbjahr dürfte das reale BIP<br />
spürbar steigen, wenn auch jeweils schwächer als<br />
im zweiten Quartal. Dafür sprechen weiter hohe<br />
Auftragseingänge und ein ungebrochen positives<br />
Konsumklima der Verbraucher. Neben einem<br />
Exportplus von 15,5 % rechnet der Sachverständigenrat<br />
für das Gesamtjahr mit 9,2 % höheren<br />
Ausrüstungsinvestitionen und mit einem um 0,1 %<br />
Produktion noch nicht auf Vorkrisenniveau<br />
Gesamtwirtschaft: Produktion, Effektivverdienste und Beschäftigung<br />
Index 1. Q. 2008 = 100<br />
104<br />
102<br />
100<br />
98<br />
96<br />
94<br />
92<br />
1. Q.<br />
2008<br />
2. Q.<br />
2008<br />
3. Q.<br />
2008<br />
4. Q.<br />
2008<br />
1. Q.<br />
2009<br />
2. Q.<br />
2009<br />
3. Q.<br />
2009<br />
4. Q.<br />
2009<br />
1. Q.<br />
<strong>2010</strong><br />
2. Q.<br />
<strong>2010</strong><br />
BIP, nominal, saisonbereinigt<br />
Bruttolöhne und -gehälter monatlich je Arbeitnehmer, saisonbereinigt<br />
Erwerbstätige, saisonbereinigt<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, <strong>2010</strong>; eigene Berechnungen der BDA<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft 137
höheren privaten Konsum gegenüber dem Vorjahr.<br />
Trotz der kräftigen Beschleunigung zur Jahresmitte<br />
bewegt sich die Produktion auf einem Niveau,<br />
das dem der Jahreswende 2006/2007 entspricht<br />
und damit noch weit unter dem Vorkrisenniveau<br />
des Jahres 2008 liegt. Weder die zuletzt gestiegene<br />
Arbeitsproduktivität noch die Arbeitszeit in den<br />
von der Rezession besonders betroffenen Wirtschaftszweigen<br />
konnten bislang zu den Werten<br />
vor Ausbruch der Krise zurückkehren.<br />
Die in jüngster Zeit von Teilen der Politik<br />
und Wissenschaft geforderten kräftigen Lohnerhöhungen<br />
sind daher unbegründet. Die Produktion<br />
hat sich noch nicht vollständig erholt. Zudem<br />
belasten die Unternehmen die hohen Kosten der<br />
Beschäftigungssicherung, die während der Krise<br />
angefallen sind und die erst wieder erarbeitet<br />
werden müssen. Außerdem belegt die Entwicklung<br />
der seit dem Jahr 2009 sogar noch gestiegenen<br />
Effektivverdienste, dass ein angeblicher<br />
Nachholbedarf bei den Löhnen auf breiter Front<br />
nicht existiert. Daher sollte die in den letzten Jahren<br />
erfolgreiche Lohnpolitik mit Augenmaß fortgesetzt<br />
und der Gesamtsituation der deutschen<br />
Wirtschaft angemessen Rechnung getragen<br />
werden.<br />
Ausblick 2011: Auslandsimpulse<br />
schwächer – Binnennachfrage<br />
trägt die Expansion<br />
Auch die Aussichten für das kommende Jahr sind<br />
gut. Zwar wird sich die Dynamik abschwächen, das<br />
BIP dürfte aber immer noch um gut 2 % zulegen.<br />
Deutschlands Wirtschaftsleistung könnte im Verlauf<br />
des Jahres 2011 wieder das Niveau vor Ausbruch<br />
der Finanz- und Wirtschaftskrise erreichen.<br />
Der Aufschwung wird im kommenden Jahr maßgeblich<br />
von der Binnenwirtschaft getragen. Dafür<br />
sprechen die starke Arbeitsmarktentwicklung und<br />
die etwas schwächere Weltkonjunktur. Dennoch<br />
ist ein Anhalten der wirtschaftlichen Erholung kein<br />
Selbstläufer. Es bestehen erhebliche konjunkturelle<br />
Risiken: Neben der weiter schwelenden<br />
Finanzkrise, dem Anhalten der Schulden- und Vertrauenskrise<br />
im Euroraum, der Gefahr einer neuen<br />
Rezession in den USA und einer Abschwächung<br />
des chinesischen Wachstums droht Protektionismus<br />
die Weltwirtschaft zu behindern.<br />
Exportorientierung Deutschlands:<br />
Kritik ist unberechtigt<br />
Die im Zuge der abklingenden Weltwirtschaftskrise<br />
vergleichsweise schnelle Erholung Deutschlands<br />
lässt hierzulande alle profitieren, Unternehmen<br />
ebenso wie öffentliche und private Haushalte.<br />
Doch der Erfolg der exportorientierten deutschen<br />
Wirtschaft ruft auch Kritiker auf den Plan. So werden<br />
im In- und Ausland Warnungen laut, Deutschland<br />
sei zu einseitig auf den Außenhandel fixiert.<br />
Forderungen nach Ankurbelung der Binnennachfrage<br />
haben inzwischen auch in der deutschen<br />
Politik Konjunktur. Bei genauer Betrachtung zeigt<br />
sich jedoch, dass die Exportorientierung Deutschlands<br />
richtig ist und der private Konsum stärker<br />
als vermutet.<br />
Der Aufholprozess der Weltwirtschaft setzt<br />
sich gegenwärtig fort. Aufgrund des Nachholbedarfs<br />
vieler Länder, insbesondere der Schwellenländer<br />
Asiens und Lateinamerikas, dürfte die<br />
Vertiefung der weltweiten Arbeitsteilung weiter<br />
große Chancen für die auf Investitionsgüter spezialisierten<br />
deutschen Unternehmen bieten. Nach<br />
Angaben des Bundesverbands Großhandel,<br />
Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) wird sich<br />
der Weltmarktanteil Deutschlands im Jahr 2011<br />
von 9 % auf 9,5 % erhöhen. Die Aussichten der<br />
größten Volkswirtschaft Europas, weiterhin zu den<br />
Globalisierungsgewinnern zu zählen, sind offenbar<br />
gut, nicht zuletzt auch deshalb, weil Exporte<br />
vorhandene Arbeitsplätze sichern und neue<br />
schaffen. Inzwischen ist fast jeder vierte Arbeitsplatz<br />
direkt vom Export abhängig.<br />
Mit steigenden Güter- und Dienstleistungsexporten<br />
nimmt nicht nur das Wirtschaftswachstum<br />
zu, sondern auch der private Konsum. Sein<br />
Anteil am deutschen BIP lag im Jahr 2009 bei<br />
58,9 %. Frankreich, wo die ausländische Kritik an<br />
einer angeblich zu geringen privaten Nachfrage in<br />
Deutschland am lautesten wurde, kommt selbst<br />
auf 58,3 %. Auch die Quote privater Konsumausgaben<br />
in der gesamten Eurozone lag im Jahr<br />
2009 mit 57,6 % des BIP unter der Konsumquote<br />
Deutschlands. Nach Berechnungen des Instituts<br />
der deutschen Wirtschaft Köln zieht der Konsum<br />
bei 1 % Lohnanstieg nur um 0,2 % an, infolge<br />
einer um 1 % höheren Beschäftigung dagegen<br />
138<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft
um 0,8 %. Das bedeutet: Vor allem eine beschäftigungsorientierte<br />
Lohnpolitik stärkt den privaten<br />
Konsum.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
argumente > „Deutsche Exportstärke – schlecht für<br />
Europa?“<br />
Haushaltskonsolidierung<br />
2011–2014: erforderlich und<br />
ohne soziale Schieflage<br />
Mit dem am 26. November <strong>2010</strong> vom Bundesrat<br />
verabschiedeten Haushaltsbegleitgesetz 2011<br />
gelingt der Einstieg in die notwendige Konsolidierung<br />
des Bundeshaushalts. Dieses Konsolidierungspaket<br />
ist ein wichtiger Schritt, um die Anforderungen<br />
der Schuldenbremse erfüllen zu können und insbesondere<br />
bis 2016 einen strukturell nahezu ausgeglichenen<br />
Bundeshaushalt zu erreichen.<br />
Zu begrüßen ist insbesondere die richtige<br />
Schwerpunktsetzung: Zum einen wird stärker<br />
auf der Ausgaben- als auf der Einnahmeseite<br />
angesetzt, zum anderen wird vorrangig im konsumtiven<br />
Bereich gespart und nicht – wie häufig<br />
in der Vergangenheit – bei den Investitionen.<br />
Durch diese Gewichtung wird der Gefahr entgegengewirkt,<br />
dass die Haushaltskonsolidierung<br />
zu einer Wachstumsabschwächung führt. Die<br />
mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 geplanten<br />
Weltwirtschaftlicher Aufholprozess setzt sich fort<br />
Entwicklung des Welthandels<br />
Index 2005 = 100<br />
140<br />
132<br />
124<br />
116<br />
108<br />
100<br />
92<br />
2005 2006 2007 2008 2009 <strong>2010</strong> 2011<br />
Quellen: CPB, Den Haag; Prognose des DIW Berlin<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft 139
Einnahmeverbesserungen führen allerdings<br />
teilweise zu erheblichen Mehrbelastungen einzelner<br />
Branchen, die sich letztlich auch negativ<br />
auf die Beschäftigung auswirken können. Die<br />
im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens<br />
erreichten Korrekturen für die energieintensiven<br />
Unternehmen sind daher zu begrüßen, da dies<br />
Arbeitsplätze sichert, die andernfalls gefährdet<br />
wären. Insgesamt ist durch die Korrekturen<br />
das vorgesehene Konsolidierungsvolumen nicht<br />
gefährdet.<br />
Die BDA hat sich bei der öffentlichen Anhörung<br />
im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags<br />
am 4. Oktober <strong>2010</strong> ausführlich zu den<br />
sozialpolitischen Komponenten des Haushaltsbegleitgesetzes<br />
2011 positioniert und dabei die von<br />
der Bundesregierung vorgesehenen Konsolidierungsmaßnahmen<br />
im Wesentlichen begrüßt:<br />
• Die Absenkung der Ersatzquote beim Elterngeld<br />
ab einem zu berücksichtigenden Einkommen<br />
von 1.200 € von 67 % auf 65 % ist<br />
angemessen. Diese Maßnahme trägt dazu<br />
bei, dass sich eine frühzeitige, vor Ablauf der<br />
Höchstdauer des Elterngeldbezugs erfolgende<br />
vollständige oder teilweise Rückkehr an<br />
den Arbeitsplatz stärker lohnt.<br />
• Die Aufhebung der Anrechnungsfreiheit<br />
des Elterngelds bei Bezug von Leistungen<br />
nach dem SGB II und nach § 6a Bundeskindergeldgesetz<br />
(BKGG) ist richtig. Es<br />
entspricht dem Subsidiaritätsgebot, staatliche<br />
Transferleistungen wie das Arbeitslosengeld<br />
II (ALG II) nur zu gewährleisten,<br />
soweit der Einzelne nicht selbst über ein<br />
ausreichendes Einkommen verfügt. Deshalb<br />
ist es konsequent, auf das ALG II das<br />
gesamte Einkommen, also auch das Elterngeld,<br />
anzurechnen. Zugleich wird mit der<br />
geplanten Änderung ein Konstruktionsfehler<br />
der bisherigen Regelung beseitigt: Das<br />
Elterngeld ist ein Ausgleich für entfallendes<br />
Erwerbseinkommen. Es ist daher für Empfänger<br />
von ALG II nicht gerechtfertigt, weil<br />
bei ihnen kein Erwerbseinkommen entfällt,<br />
und auch nicht notwendig, weil bei ihnen der<br />
Lebensunterhalt bereits durch das ALG II<br />
gesichert wird.<br />
• Die ursprünglich noch im Regierungsentwurf<br />
vorgesehene Nichtberücksichtigung von<br />
pauschal besteuerten Einnahmen bei der<br />
Berechnung des Elterngeldanspruchs war<br />
fragwürdig, weil eine derart unterschiedliche<br />
Behandlung von Erwerbseinkommen nicht<br />
mit der abgabenrechtlichen Sonderbehandlung<br />
der Minijobs gerechtfertigt werden kann.<br />
Die Bedenken der BDA wurden vom Haushaltsausschuss<br />
des Deutschen Bundes tags<br />
aufgenommen.<br />
• Die Beschränkung der Berechnungsgrundlage<br />
des Elterngelds auf Einnahmen, die im<br />
Inland versteuert werden, ist zu begrüßen.<br />
Das Elterngeld ist eine von den Steuerzahlern<br />
finanzierte Leistung. Diese deshalb auch<br />
nur Eltern zu gewähren, die in Deutschland<br />
Steuern zahlen oder deren Einkommen dem<br />
im Inland versteuerten Einkommen gleichgestellt<br />
ist, ist daher sinnvoll.<br />
• Der Wegfall des befristeten Zuschlags für<br />
Empfänger der Grundsicherung ist richtig.<br />
Die befristeten Zuschläge – die beim Übergang<br />
vom ALG I zum ALG II in Höhe von fast<br />
bis zur Hälfte des Regelsatzes gezahlt werden<br />
– verleiten dazu, in Arbeitslosigkeit zu<br />
verharren. Die gut gemeinte teilweise Abfederung<br />
von Einkommenseinbußen wendet<br />
sich so letztlich gegen den Hilfeempfänger<br />
selbst, weil dieser nicht den erforderlichen<br />
finanziellen Anreiz zur Beschäftigungsaufnahme<br />
erhält.<br />
• Die Streichung der vom Bund finanzierten<br />
Rentenversicherungsbeiträge für ALG-II-<br />
Empfänger ist sachgerecht. Aufgabe der<br />
Grundsicherung für Arbeitsuchende ist es,<br />
Bürgern, die in einer akuten Notlage nicht<br />
für sich selbst sorgen können und über kein<br />
ausreichendes Einkommen und Vermögen<br />
verfügen, zu unterstützen. Ziel kann dagegen<br />
nicht sein, darüber hinaus schon vorab<br />
aus Steuermitteln mit Blick auf eine unter<br />
Umständen erst Jahrzehnte später oder<br />
auch gar nicht eintretende Bedürftigkeit im<br />
Alter staatliche Vorsorge zu leisten. Schließlich<br />
bedeutet Bedürftigkeit in jungen Jahren<br />
keineswegs zwangsläufig, dass auch im<br />
Alter Bedürftigkeit besteht. Im Übrigen ist<br />
140<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft
Haushaltskonsolidierung 2011 bis 2014 – ohne soziale Schieflage<br />
in Mio. €, nur Bund 2011 2012 2013 2014<br />
Haushaltsbegleitgesetz 2011 2.778 4.619 5.469 4.594<br />
• Einführung einer Luftverkehrsteuer für Abfl üge in<br />
Deutschland<br />
• Einschränkung der durch die ökologische Steuerreform<br />
eingeführten Steuerbegünstigung für Unternehmen des<br />
produzierenden Gewerbes<br />
• Änderung der Insolvenzordnung zur Stärkung der<br />
öffentlichen Hand<br />
1.000 1.000 1.000 1.000<br />
830 620 1.500 1.500<br />
148 169 169 169<br />
• Begrenzung des Elterngelds 430 430 430 405<br />
• Wegfall befristeter Zuschläge für ALG-II-Empfänger 210 210 210 200<br />
• Weiterer Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung –2.000<br />
• Wegfall der Rentenversicherungspfl icht für<br />
ALG-II-Empfänger<br />
• Wegfall der Erstattung einigungsbedingter Leistungen an<br />
die Rentenversicherung<br />
• Höherer GRV-Bundeszuschuss als Folge des Wegfalls der<br />
Erstattung einigungsbedingter Lasten und des Konstanthaltens<br />
des RV-Beitragssatzes im Jahr 2014 bei 19,9 %<br />
• Streichung der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen<br />
Heizkostenkomponente beim Wohngeld<br />
1.850 1.840 1.830 1.750<br />
300 270 240 210<br />
–60 –50 –40 –770<br />
70 130 130 130<br />
Normales Haushaltsverfahren 5.400 8.900 13.600 17.400<br />
• Dividende der Bahn 500 500 500 500<br />
• Ersatz von Pfl icht- durch Ermessensleistungen zur zielgenaueren<br />
Förderung im Bereich SGB II und SGB III<br />
2.000 4.000 5.000 5.000<br />
• Effi zienzverbesserungen bei der Arbeitsvermittlung 1.500 3.000<br />
• Reform der Streitkräfte 1.000 3.000<br />
• Einsparungen bei disponiblen Ausgaben der Ministerialverwaltung<br />
1.500 2.500 3.100 3.100<br />
• Kürzung von Verwaltungsausgaben 800 800 800 800<br />
• Verschiebung des Baubeginns des Berliner Stadtschlosses<br />
auf 2014<br />
100 100 200<br />
• Einsparungen bei den Zinsausgaben 500 1.000 1.500 2.000<br />
Erhöhung der Tabaksteuer 200 480 660 830<br />
Einführung einer Kernbrennstoffsteuer 2.300 2.300 2.300 2.300<br />
Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer 2.000 2.000 2.000<br />
Gesamtkonsolidierungsvolumen 10.678 18.299 24.029 27.124<br />
Quellen: Haushaltsbegleitgesetz, 2011; Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen; Entwurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft 141
zu berücksichtigen, dass im Gegenzug zur<br />
Streichung der Pflichtbeiträge für ALG-II-<br />
Empfänger im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehen<br />
ist, dass ALG-II-Zeiten künftig als<br />
Anrechnungszeit gelten. Hierdurch verbessert<br />
sich sogar in den meisten Fällen der<br />
Schutz von ALG-II-Empfängern bei Erwerbsminderung.<br />
Das hängt mit dem im Rentenrecht<br />
verankerten Prinzip der Gesamtleistungsbewertung<br />
zusammen. Danach bemisst<br />
sich der Wert der bis zum 60. Lebensjahr<br />
anzurechnenden Zurechnungszeit nach der<br />
durchschnittlichen Höhe der zuvor entrichteten<br />
Beiträge. Zeiten des Bezugs von ALG II<br />
führen bislang – aufgrund der monatlichen<br />
Bemessungsgrundlage von 205 € – regelmäßig<br />
zu einer Senkung der durchschnittlichen<br />
Beitragsleistung und damit zu einer<br />
Senkung des Erwerbsminderungsrentenanspruchs.<br />
Die Streichung der Rentenversicherungsbeiträge<br />
für ALG-II-Empfänger<br />
und der Wegfall der Erstattung einigungsbedingter<br />
Leistungen durch den Bund haben<br />
unmittelbar zur Folge, dass auf die gesetzliche<br />
Rentenversicherung im Jahr 2011 Mindereinnahmen<br />
von fast 2,1 Mrd. € zukommen.<br />
Der Umfang der Mindereinnahmen<br />
soll in den Folgejahren stetig abnehmen<br />
und im Jahr 2014 noch knapp 1,2 Mrd. €<br />
betragen. Diese finanziellen Folgewirkungen<br />
sind akzeptabel, weil sie ohne kurzfristigen<br />
Beitragssatzanstieg in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung finanziert werden<br />
können und die Einhaltung der langfristigen<br />
Beitragssatzziele von 20 % bis 2020 bzw.<br />
22 % bis 2030 möglich bleibt. Schließlich<br />
ist zu berücksichtigen, dass die Rentenversicherung<br />
weniger als andere Ausgabenbereiche<br />
von den Konsolidierungsanstrengungen<br />
betroffen wird. Obwohl rd. ein<br />
Viertel aller Ausgaben des Bundeshaushalts<br />
auf die Rentenversicherung entfällt, beträgt<br />
ihr Anteil an den gesamten Ausgabenkürzungen<br />
des Konsolidierungspakets für den<br />
4-Jahres-Zeitraum 2011 bis 2014 lediglich<br />
ein Siebtel.<br />
• Die auf das kommende Jahr beschränkte<br />
Anhebung des Bundeszuschusses an<br />
die gesetzliche Krankenversicherung um<br />
2 Mrd. € ist zumindest insoweit zu begrüßen,<br />
als sie die Entscheidung erleichtert haben<br />
wird, den Arbeitgeberbeitrag im kommenden<br />
Jahr nicht noch stärker als von 7,0 % auf<br />
7,3 % anzuheben.<br />
Die verbesserte konjunkturelle Lage stärkt<br />
die Chancen für eine baldige Haushaltskonsolidierung.<br />
Die staatlichen Defizite werden geringer<br />
als noch vor einem Jahr erwartet ausfallen. Für<br />
<strong>2010</strong> erwarten die Forschungsinstitute in ihrem<br />
Herbstgutachten ein gesamtstaatliches Budgetdefizit<br />
von voraussichtlich 3,8 % und für 2011 ein<br />
gesamtstaatliches Budgetdefizit von 2,7 % des<br />
BIP. Keinesfalls darf die verbesserte konjunkturelle<br />
Entwicklung, die auch zu einer verbesserten<br />
Entwicklung bei den Steuereinnahmen geführt<br />
hat, zu einem Abrücken von den vereinbarten<br />
Sparbeschlüssen führen. Denn die verbesserte<br />
konjunkturelle Lage bedeutet im Ergebnis nicht,<br />
dass sich das strukturelle Haushaltsdefizit verringert<br />
hat. Zudem hat sich die Staatsschuldenquote<br />
auch <strong>2010</strong> noch weiter von der Maastrichter Obergrenze<br />
in Höhe von 60 % des BIP entfernt – sie<br />
liegt inzwischen über 70 %.<br />
Das für die Einhaltung der verfassungsrechtlich<br />
verankerten Schuldenbremse maßgebliche<br />
strukturelle Defizit wird für den Bund mit<br />
rd. 53 Mrd. € veranschlagt. Mit den bislang vorgesehenen<br />
Maßnahmen wird bis 2014 eine Verringerung<br />
auf rd. 25 Mrd. € angestrebt. Da mit<br />
dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 allein nur gut<br />
ein Fünftel des von der Regierungskoalition in<br />
der Kabinettsklausur am 6. und 7. Juni <strong>2010</strong> vereinbarten<br />
Konsolidierungspakets in Höhe von ca.<br />
80 Mrd. € für den Zeitraum 2011 bis 2014 umgesetzt<br />
wird, kommt es daher darauf an, dass die<br />
Regierung konsequent an den beschlossenen<br />
Konsolidierungsanstrengungen festhält. Über das<br />
Jahr 2014 hinaus muss zudem sichergestellt werden,<br />
dass bis 2016 das strukturelle Defizit weiter<br />
gesenkt und die verfassungsrechtliche Obergrenze<br />
des Bundes für sein strukturelles Haushaltsdefizit<br />
in Höhe von 0,35 % des BIP nicht überschritten<br />
wird.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Volkswirtschaft > Öffentliche Finanzen<br />
142<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft
Großbaustelle Europäische Währungsunion<br />
– Stabilitäts- und<br />
Wachstumspakt schärfen<br />
Ausgelöst durch eine erhebliche Korrektur des<br />
griechischen Staatsdefizits nach oben sind die<br />
Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen<br />
im Frühjahr <strong>2010</strong> stark gestiegen. Der Abstand<br />
zum Zinssatz für deutsche Staatsanleihen wuchs<br />
in relativ kurzer Zeit dramatisch an, von 136 Basispunkten<br />
im Oktober 2009 auf 524 Basispunkte im<br />
Mai <strong>2010</strong>, so dass sich für Griechenland Schwierigkeiten<br />
bei der Refinanzierung fälliger Anleihen<br />
abzeichneten. Es entstanden erhebliche Zweifel,<br />
ob das Land seine Schuldenlast würde tragen<br />
können. Dies hat auch den Euro erheblich<br />
belastet. Der Außenwert des Euro schmolz in der<br />
Zeit von Dezember 2009 bis Juni <strong>2010</strong> von dem<br />
Rekordniveau von 1,51 $ auf 1,19 $ zusammen.<br />
Angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit<br />
eines seiner Mitglieder drohte die Währungsunion<br />
zu zerbrechen, mit schwer zu kalkulierenden Konsequenzen<br />
für die deutsche Wirtschaft.<br />
In dieser Notlage stellten die Euroländer im<br />
April zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds<br />
(IWF) Griechenland ein Hilfspaket<br />
von insgesamt 110 Mrd. € über drei Jahre zur Verfügung.<br />
Denn im Falle einer Insolvenz war eine<br />
Kettenreaktion zu befürchten, in deren Folge nicht<br />
nur systemrelevanten Gläubigerbanken in anderen<br />
Ländern eine Insolvenz gedroht hätte. Vielmehr<br />
hätte die notwendige Stützung dieser Banken<br />
einige Staaten überfordert, deren Schulden<br />
durch Bankenkrise und Rezession ohnehin schon<br />
rasch zugenommen hatten oder schon vorher auf<br />
einem hohen Niveau waren.<br />
Auch die Zahlungsfähigkeit anderer Euroländer<br />
wurde in wachsendem Maße angezweifelt.<br />
Neben Griechenland wurden die Länder Portugal,<br />
Irland, Spanien (PIGS) und gelegentlich auch<br />
Italien (PIIGS) genannt. Ein ernstes Krisensignal<br />
kam von dem Interbankenmarkt, auf dem sich<br />
gegenseitiges Misstrauen breitmachte. Deshalb<br />
beschloss der ECOFIN-Rat am 9. Mai <strong>2010</strong> auf<br />
einer Sondersitzung einen Schutzschirm zur<br />
Sicherung der Stabilität des Euro; hierfür wurden<br />
insgesamt 750 Mrd. € – wiederum gemeinsam<br />
mit dem IWF – bereitgestellt. Für diesen<br />
Rettungsschirm gründeten die Euroländer in<br />
Luxemburg die Zweckgesellschaft „Europäische<br />
Finanzmarkt stabilisierungsfazilität“ (EFSF), in der<br />
sie ihren Anteil von 440 Mrd. € eingebracht haben.<br />
Das Hilfspaket für Griechenland und der Schutzschirm<br />
für den Euro haben vorübergehend ihre<br />
stabilisierende Wirkung entfaltet. Dies zeigte sich<br />
auch an der Entwicklung des Euro, der im Oktober<br />
<strong>2010</strong> erstmals wieder oberhalb von 1,40 $<br />
notierte. Nach dem Antrag Irlands, den Schutzschirm<br />
mit 85 Mrd. € in Anspruch zu nehmen, ging<br />
die Notierung allerdings bis Ende November <strong>2010</strong><br />
wieder auf 1,30 $ zurück.<br />
Die wiederholten Aufwärtskorrekturen des<br />
griechischen Staatsdefizits haben die Schwächen<br />
des Stabilitäts- und Wachstumspakts zur<br />
Einhaltung der Maastrichtkriterien offengelegt und<br />
gezeigt, wie gefährlich eine ungehemmte Verschuldung<br />
selbst einzelner Mitgliedsländer für die<br />
Stabilität der gesamten Währungsunion werden<br />
kann. Regeln zur Vorsorge liegen im prinzipiellen<br />
Interesse aller Mitgliedstaaten. Die BDA hat daher<br />
in einer gemeinsamen Erklärung mit dem BDI im<br />
Juni <strong>2010</strong> eine Insolvenzordnung für zahlungsunfähige<br />
Staaten gefordert, um negative Auswirkungen<br />
einer Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds der<br />
Eurozone begrenzen zu helfen. Insofern war es ein<br />
Erfolg, dass im Rahmen des EU-Gipfels im Oktober<br />
<strong>2010</strong> vereinbart wurde, den Stabilitätspakt zu<br />
verschärfen und mit einer begrenzten Vertragsänderung<br />
einen Krisenbewältigungsrahmen für den<br />
Fall einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eines<br />
Mitglieds der Eurozone zu schaffen. Ende November<br />
<strong>2010</strong> haben sich auf dem Finanzministerrat die<br />
Länder der Eurogruppe und die EU-Kommission<br />
auf Grundzüge eines künftigen dauerhaften Europäischen<br />
Stabilitätsmechanismus (ESM) verständigt.<br />
Dieser Mechanismus soll den bis Mitte 2013<br />
befristeten Euro-Rettungsschirm ablösen. Kernelemente<br />
sollen sein: Konditionalität, Finanzhilfen und<br />
Gläubigerbeteiligung. Hilfen sollen nur unter strengen<br />
Konsolidierungsauflagen und nach genauer<br />
Schuldentragfähigkeitsanalyse gewährt werden.<br />
Mit der auf dem Gipfel am 16. und<br />
17. Dezember beschlossenen Ergänzung des<br />
Lissabon-Vertrags haben die EU-Staats- und<br />
Regierungschefs eine entsprechende Änderung<br />
auf den Weg gebracht und einen wichtigen Schritt<br />
zur Stabilisierung des Euro getan. Aus Sicht der<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft 143
BDA unterstreicht die angestrebte Vertragsergänzung<br />
das gemeinsame europäische Interesse an<br />
einem dauerhaften Stabilitätsmechanismus unter<br />
strengen Bedingungen. Zur Beruhigung der Märkte<br />
ist als zweiter Schritt erforderlich, dass zügig<br />
eine Schärfung des EU-Stabilitätspakts gelingt,<br />
um das Risiko eines Abgleitens in eine Transferunion<br />
zu verhindern. Alle EU-Staaten müssen<br />
zudem die Konsolidierung ihrer Staatshaushalte<br />
vorantreiben.<br />
Reform der Gemeindefinanzen:<br />
mindestens gewerbesteuerliche<br />
Hinzurechnungen beseitigen<br />
Der im Koalitionsvertrag enthaltene Prüfauftrag<br />
zur Reform der Kommunalfinanzen sollte genutzt<br />
werden, um einerseits die Unternehmensbesteuerung<br />
in Deutschland grundlegend zu reformieren<br />
und andererseits den Gemeinden eine stetige und<br />
verlässliche Finanzierungsbasis zur Verfügung zu<br />
stellen. Die mit Beschluss des Bundeskabinetts<br />
vom 24. Februar <strong>2010</strong> eingesetzte Kommission<br />
soll dabei insbesondere den Ersatz der Gewerbesteuer<br />
durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer<br />
und einen kommunalen Zuschlag auf die<br />
Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem<br />
Hebesatz prüfen.<br />
In die falsche Richtung geht dagegen der von<br />
den Gemeinden in die Reformkommission eingebrachte<br />
Vorschlag, die Gewerbesteuer stärker als<br />
bisher schon um ertragsunabhängige Kostenkomponenten<br />
auszuweiten. Allerdings belasten die<br />
jetzt schon vorhandenen ertragsunabhängigen<br />
Komponenten die unternehmerische Substanz,<br />
da die Unternehmen selbst in Verlustjahren Steuern<br />
zahlen. Dies ist auf die Einführung gewerbesteuerlicher<br />
Hinzurechnungen im Rahmen der<br />
Unternehmensteuerreform 2008 zurückzuführen:<br />
Seitdem werden zur Ermittlung des Gewerbeertrags<br />
dem Gewinn 25 % aller Zinsen und 25 %<br />
der Finanzierungsanteile von gezahlten Mieten,<br />
Pachten und Leasingraten hinzugerechnet. Allerdings<br />
hat nicht zuletzt die Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
gezeigt, dass insbesondere die Gewerbesteuer<br />
extrem konjunkturanfällig ist – trotz ihrer<br />
ertragsunabhängigen Elemente. Die Einnahmen<br />
der Gewerbesteuer sind darüber hinaus zwischen<br />
den Gemeinden ungleichmäßig verteilt.<br />
Steuern auf Kosten, wie sie die Gewerbesteuer<br />
derzeit enthält, sind investitionsfeindlich.<br />
Sie schmälern das Eigenkapital der Unternehmen<br />
und müssen daher beseitigt werden. Ebenso<br />
schädlich wäre eine etwaige Sondergrundsteuer<br />
für Gewerbebetriebe. Deshalb darf die Kommission<br />
zur Reform der Kommunalfinanzen nicht<br />
scheitern. Zum Mindestumfang des noch für<br />
<strong>2010</strong> erwarteten Abschlussberichts der Reformkommission<br />
muss die vollständige Beseitigung<br />
der – durch die Unternehmensteuerreform 2008<br />
eingeführten – sog. gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen<br />
von Kostenbestandteilen wie Mieten,<br />
Pachten und Leasingraten gehören.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Unternehmensteuern“<br />
Lohnsteuerabzugsmerkmale –<br />
kostenintensive Arbeitgeberinformationspflicht<br />
verhindert<br />
Bis Januar 2012 sollen die bisherige Lohnsteuerkarte<br />
und das damit verbundene Verfahren vollständig<br />
durch ein neues, papierloses Verfahren<br />
mit elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen<br />
(ELStAM) ersetzt werden. Die BDA begrüßt diesen<br />
Übergang ausdrücklich, weil damit grundsätzlich<br />
sowohl für die Unternehmen als auch<br />
für die Finanzverwaltung deutliche Vereinfachungen<br />
verbunden sind. Bereits <strong>2010</strong> entfällt<br />
die Zusendung einer neuen Lohnsteuerkarte für<br />
den Veranlagungszeitraum 2011 an die Einkommensteuerpflichtigen.<br />
Daher wird die Gültigkeit<br />
der Lohnsteuerkarten <strong>2010</strong> bis zur erstmaligen<br />
Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale<br />
verlängert. Arbeitgeber müssen<br />
deshalb die Lohnsteuerkarte <strong>2010</strong> im Übergangszeitraum<br />
weiter aufbewahren.<br />
Das Bundesfinanzministerium (BMF) wird<br />
den genauen Beginn und die damit verbundene<br />
Beendigung des Übergangszeitraums noch<br />
in einem gesonderten BMF-Schreiben bekannt<br />
geben. Nach dem Starttermin ist der Arbeitgeber<br />
verpflichtet, die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer<br />
für den ELStAM-Abruf anzumelden und<br />
die von der Finanzverwaltung bereitgestellten<br />
ELStAM für die nächste Lohnabrechnung elektronisch<br />
abzurufen, ins Lohnkonto zu übernehmen<br />
144<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft
und dann bei der Abführung der Lohnsteuer anzuwenden.<br />
Zudem besteht bei dem neuen Verfahren<br />
die fortwährende Pflicht des Arbeitgebers, elektronisch<br />
von der Finanzverwaltung bereitgestellte<br />
Änderungen der ELStAM abzurufen. Im Rahmen<br />
einer Härtefallregelung wird es für diejenigen<br />
Arbeitgeber, die nicht in der Lage sind und für die<br />
es nicht zumutbar ist, die ELStAM der Arbeitnehmer<br />
elektronisch abzurufen, ein papiergebundenes<br />
Ersatzverfahren geben.<br />
Gegen die im Rahmen des Regierungsentwurfs<br />
zum Jahressteuergesetz <strong>2010</strong> vorgesehene<br />
neue Arbeitgeberinformationspflicht, wonach<br />
der Arbeitgeber verpflichtet werden soll, die elektronischen<br />
Lohnsteuerabzugsmerkmale nach<br />
§ 39e EStG in der Lohn- und Gehaltsabrechnung<br />
der Arbeitnehmer deutlich erkennbar auszuweisen,<br />
hat sich die BDA erfolgreich im Rahmen der<br />
öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses<br />
des Deutschen Bundestags am 29. September<br />
<strong>2010</strong> zum Jahressteuergesetz <strong>2010</strong> ausgesprochen.<br />
Sachlich nicht gerechtfertigt und unter<br />
dem Gesichtspunkt der Bürokratiekosten unverhältnismäßig<br />
war die in § 52b Abs. 5 EStG-E<br />
geplante Regelung, wonach der Arbeitgeber und<br />
nicht die Finanzverwaltung die Arbeitnehmer<br />
über die ELStAM informieren soll. Damit wäre<br />
eine neue bürokratische Belastung der Arbeitgeber<br />
geschaffen worden, die – ausweislich des<br />
Gesetzentwurfs zum Jahressteuergesetz <strong>2010</strong> –<br />
95 Mio. € Kosten bei den Arbeitgebern verursacht<br />
hätte. Ein entsprechendes ELStAM-Informationsschreiben<br />
der Verwaltung kostet dagegen<br />
mit ca. 15 Mio. € weniger als ein Sechstel des für<br />
die Arbeitgeber berechneten Aufwands und stellt<br />
damit die deutlich kostengünstigere Lösung dar.<br />
Der BDA ist es gelungen, die Finanzpolitiker im<br />
Deutschen Bundestag zu überzeugen, dass eine<br />
neue Arbeitgeberinformationspflicht unter diesen<br />
Umständen unverhältnismäßig wäre. Der Deutsche<br />
Bundestag hat deshalb den Regierungsentwurf<br />
geändert und die Finanzverwaltung mit<br />
der Bekanntgabe der ELStAM beauftragt. Den<br />
Arbeitgebern bleibt dadurch der drohende Bürokratieaufwand<br />
in Höhe von 95 Mio. € erspart.<br />
Auch der Bundesrat hat in seiner Sitzung am<br />
26. November <strong>2010</strong> schließlich dieser Regelung<br />
zugestimmt, nachdem noch der Bundesrats-<br />
Finanzausschuss ihm die Einberufung des Vermittlungsausschusses<br />
empfohlen hatte, um die<br />
Erstinformationspflicht über die Arbeitgeber wieder<br />
in das Gesetz aufzunehmen. Hiergegen hatte<br />
sich die BDA in einem Schreiben an die Chefs<br />
der 16 Regierungskanzleien gewandt und so<br />
erreichen können, dass endgültig auf die Einführung<br />
der Arbeitgeberinformationspflicht verzichtet<br />
wurde.<br />
Darüber hinaus hat sich die BDA gegenüber<br />
der Finanzverwaltung erfolgreich für die Zurverfügungstellung<br />
des maschinellen Anfrageverfahrens<br />
(MAV) für Arbeitgeber zur erleichterten Übernahme<br />
der steuerlichen Identifikationsnummer<br />
der Arbeitnehmer eingesetzt, nachdem der für<br />
April <strong>2010</strong> vorgesehene Start von der Finanzverwaltung<br />
verpasst worden war.<br />
In einem BMF-Schreiben vom November<br />
2009 war erklärt worden, dass der nach Maßgabe<br />
der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung<br />
authentifizierte Arbeitgeber zur erleichterten<br />
Übernahme der steuerlichen Identifikationsnummer<br />
in das Lohnkonto die Identifikationsnummer<br />
des Arbeitnehmers für die Übermittlung der<br />
Lohnsteuer bescheinigung <strong>2010</strong> beim Bundeszentralamt<br />
für Steuern erheben kann (§ 41b Abs. 2<br />
EStG). Ziel dieses maschinellen Verfahrens ist<br />
es, beim Arbeitgeber eine aufwendige, kostenintensive<br />
wie fehleranfällige „händische“ Eingabe<br />
zu vermeiden.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
Service > Elektronische Lohnsteuerabzugsmerk -<br />
male<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung –<br />
Gesetzesänderung verschärft<br />
Zielkonflikt<br />
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung<br />
steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung<br />
steuerlicher Vorschriften am 15. April <strong>2010</strong><br />
wurde die Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
erneut vom Gesetzgeber ausgeweitet. Mit<br />
dem Gesetz wurde § 3 Nr. 39 Satz 2 EStG neu<br />
formuliert, so dass Arbeitnehmer nun Anteile an<br />
ihren Unternehmen auch dann steuerbegünstigt<br />
erhalten, wenn diese durch Entgeltumwandlung<br />
finanziert werden. Vor der Änderung beschränkte<br />
sich die steuerliche Förderung auf zusätzliche,<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft 145
neben dem Arbeitslohn gewährte Leistungen des<br />
Arbeitgebers. Am 1. April 2009 war ein neues Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz<br />
in Kraft getreten,<br />
mit dem die Grenze für die steuerliche Förderung<br />
der Mitarbeiterkapitalbeteiligung von 135 €<br />
auf 360 € jährlich angehoben wurde. Ebenfalls<br />
erhöht wurden auch der Fördersatz zur Arbeitnehmersparzulage<br />
und die Einkommensgrenzen, bis<br />
zu denen die Arbeitnehmersparzulage gewährt<br />
wird.<br />
Die BDA hat bereits im Vorfeld der öffentlichen<br />
Anhörung vor dem Finanzausschuss<br />
des Deutschen Bundestags am 9. Februar <strong>2010</strong><br />
zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen<br />
Wirtschaft schriftlich Stellung zum Entwurf<br />
des Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher<br />
EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerrechtlicher<br />
Vorschriften bezogen. Zur Ausweitung der<br />
steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
auf Entgeltumwandlungen hat sich<br />
die BDA kritisch geäußert und vom Gesetzgeber<br />
gefordert, die Konkurrenzsituation zwischen der<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung und der betrieblichen<br />
Altersvorsorge zu berücksichtigen und eine<br />
Benachteiligung der betrieblichen Altersvorsorge<br />
zu vermeiden.<br />
zu betreiben. Damit jedoch würde der notwendige<br />
Ausbau der ergänzenden Altersvorsorge unnötig<br />
gebremst.<br />
Ob solche Effekte tatsächlich verstärkt eintreten,<br />
bleibt abzuwarten. Der Gesetzgeber hat<br />
die Hinweise der BDA aufgenommen und die Förderanreize<br />
bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
begrenzt, indem er die Entgeltumwandlung bei der<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung in der Bemessungsgrundlage<br />
aller Sozialversicherungsbeiträge belassen<br />
hat. Insofern besteht zumindest im Bereich des<br />
Sozialversicherungsbeitragsrechts keine Begünstigung<br />
von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen gegenüber<br />
der betrieblichen Altersvorsorge.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de ><br />
kompakt > „Mitarbeiterkapitalbeteiligung“<br />
Zwar ist Mitarbeiterkapitalbeteiligung aufgrund<br />
der damit verbundenen positiven Effekte<br />
(u. a. Stärkung der Motivation und Identifikation<br />
der Mitarbeiter, Förderung unternehmerischen<br />
Denkens und Handelns) grundsätzlich zu befürworten.<br />
Die nun realisierte staatliche Förderung<br />
ist allerdings fragwürdig: Denn anders als die<br />
betriebliche Altersvorsorge bleibt die Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
sowohl im Zeitpunkt der<br />
Einzahlung bei einer Höhe von bis zu 360 € als<br />
auch bei der späteren Entnahme steuerfrei. Es<br />
ist nicht nachvollziehbar, warum Mitarbeiterkapitalbeteiligungen<br />
steuerlich stärker gefördert<br />
werden als betriebliche Altersvorsorge, für die<br />
sehr viel strengere Anforderungen gelten (z. B.<br />
grundsätzlich keine Auszahlung vor Vollendung<br />
des 60. Lebensjahres, lebenslange Rentenzahlungen<br />
in der Leistungsphase, Schutz bei Insolvenz<br />
des Arbeitgebers). Wegen der steuerlichen<br />
Bevorzugung könnten sich Arbeitnehmer veranlasst<br />
sehen, vorrangig in die Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
zu investieren und den Aufbau einer<br />
betrieblichen Altersvorsorge erst an zweiter Stelle<br />
146<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft
Eliten in Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft<br />
48. Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung<br />
Die Walter-Raymond-Stiftung wurde 1959 von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
als rechtlich unselbstständige Institution gegründet. Die Verantwortung für die Tätigkeit der Stiftung<br />
trägt der Vorstand. Im Rahmen des Kolloquiums <strong>2010</strong> übernahm Frau Heide Franken, Vorstandsvorsitzende<br />
der Randstad Stiftung und Geschäftsführerin Corporate Affairs von Randstad Deutschland, von<br />
Dr. Eckart John von Freyend, Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und Mitglied des<br />
Aufsichtsrats der IVG Immobilien AG, das Amt der Sprecherin des Stiftungsvorstands.<br />
Im Rahmen des Kolloquiums <strong>2010</strong> wurde das Thema „Soziale Marktwirtschaft – Eliten in Verantwortung<br />
für Wirtschaft und Gesellschaft“ intensiv diskutiert. Den Auftakt gaben Vorträge von Bundestagspräsident<br />
Prof. Dr. Norbert Lammert MdB, vom Unternehmer Arndt G. Kirchhoff, vom stellvertretenden Vorsitzenden<br />
der EVP-Fraktion im Europaparlament, Othmar Karas MdEP, vom Chefvolkswirt der Allianz SE<br />
Prof. Dr. Michael Heise sowie den Wissenschaftlern Prof. Dr. Theresia Theurl, Prof. Dr. Kai Arzheimer,<br />
Prof. Dr. Heinz Bude und Prof. Dr. Günther Schulz.<br />
Geprägt war der Diskurs von der Eingangsfrage, welcher Ordnungsrahmen die geeigneten Voraussetzungen<br />
für verantwortliches Handeln der Eliten in Wirtschaft und Politik schafft. Angesichts der jüngsten<br />
Finanzmarktkrise stand im Mittelpunkt der Diskussion u. a. das Prinzip der Haftung – nicht allein für<br />
den unternehmerischen, sondern auch für die politischen Entscheidungsbereich. Ausgiebig wurde darüber<br />
beraten, in welcher Beziehung die Verantwortungsbereiche von Staat und Markt zueinander stehen,<br />
inwieweit sich Leistungsprinzip und soziale Verantwortung in einem Spannungsverhältnis befinden und<br />
wie die Eliten von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Auch die Frage nach der europäischen<br />
Dimension stand im Mittelpunkt des Kolloquiums. Die Vorträge und Ergebnisse des Kolloquiums liegen<br />
im Band 50 der Großen Reihe der Walter-Raymond-Stiftung vor.<br />
Das nächste Kolloquium der Stiftung findet Ende März 2011 unter dem Titel „Die Schuldenkrise und die<br />
Governance der Europäischen Union: Legitimität, Funktionalität, Pluralität“ statt. Inhaltlich soll den Fragen<br />
nachgegangen werden, warum bestimmte Institutionen nicht funktionieren, wie Konstruktionsfehler<br />
vermieden werden könnten, wie stark und konsequent künftig das Subsidiaritätsprinzip umgesetzt werden<br />
kann und welchen Weg die Europäische Union im Interesse der Bürger einschlagen sollte.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Volkswirtschaft 147
Seriös, sachlich und kompetent:<br />
Pressearbeit der BDA<br />
BDA nutzt neue und bewährte<br />
Wege der Kommunikation<br />
An schlagzeilenträchtigen Themen hat es im zu<br />
Ende gehenden Jahr <strong>2010</strong> wahrlich keinen Mangel<br />
gegeben. Der unerwartet starke Aufschwung,<br />
die überraschend gute Lage am Arbeitsmarkt<br />
und die Sorge um den zunehmenden Fachkräftemangel<br />
bestimmten im Wesentlichen die mediale<br />
Agenda des Jahres. Aber auch unser Anliegen,<br />
die Tarifeinheit zu sichern, unsere Position zur<br />
Gesundheitsreform, zum Datenschutz und zur<br />
Einführung einer Pflegezeit fanden in den Medien<br />
breiten Widerhall.<br />
Die Intensität war hoch: In zahlreichen Statements,<br />
Interviews, Presseerklärungen und Pressekonferenzen<br />
hat sich Arbeitgeberpräsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt gegenüber Presse, Funk,<br />
Fernsehen und Online-Redaktionen geäußert.<br />
Dabei setzte die BDA auf sachliche und seriöse<br />
Argumente, denn sie fördern die Glaubwürdigkeit<br />
der Arbeitgeber. Die Pressearbeit der BDA und ihr<br />
Verhältnis zu den Journalisten von Presse, Funk<br />
und Fernsehen sind geprägt von Offenheit und<br />
gegenseitigem Vertrauen. In einer schnelllebigen<br />
Zeit rasch zu agieren und zu reagieren – das<br />
gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Presseund<br />
Öffentlichkeitsarbeit. Damit leistet sie einen<br />
wichtigen Beitrag zur Verbreitung und Durchsetzung<br />
der Positionen der deutschen Arbeitgeber.<br />
Im Unterschied zu früher spielen in der täglichen<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit das Internet und<br />
neue Kommunikationstechnologien eine immer<br />
wichtigere Rolle. Die BDA beschränkt sich daher<br />
im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
mittlerweile nicht auf die bewährten Kommunikationswege<br />
wie Pressemitteilungen, Pressekonferenzen<br />
oder Interviews, sondern nutzt auch die<br />
modernen Kanäle wie z. B. Blogs, Twitter, Facebook,<br />
Flickr, RSS-Feeds und Bewegtbild-Kommunikation.<br />
Sie stellen neue Herausforderungen dar,<br />
die die BDA in diesem Jahr weiter angenommen<br />
hat.<br />
In der internen Kommunikation setzt die BDA<br />
weiterhin auf eine enge Vernetzung mit den Pressestellen<br />
der Mitgliedsverbände. Im Arbeitskreis<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kommen die<br />
Pressesprecher von BDA und Mitgliedsverbänden<br />
mehrmals im Jahr zusammen, um Erfahrungen<br />
auszutauschen und medienrelevante Themen zu<br />
diskutieren.<br />
Neuer Informationsdienst „Arbeitgeber aktuell“ gestartet<br />
Seit Juni stellt der neue Informationsdienst „Arbeitgeber aktuell“ vierteljährlich kurz und prägnant die<br />
jeweils wichtigsten Arbeitsschwerpunkte und Aktivitäten der BDA dar. Am Ende der jeweiligen Kurzdarstellungen<br />
weisen wir auf weiterführende Texte und Stellungnahmen zu den einzelnen Themen hin. Die<br />
Rubrik „Kurz notiert“ enthält zusätzliche Meldungen zu aktuellen Themen und Initiativen. Unter „Veranstaltungen“<br />
wird auf aktuelle Veranstaltungen von und mit der BDA hingewiesen. „BDA intern“ informiert<br />
über Interna, Publikationen und Sitzungstermine.<br />
Die Internetfassungen von „Arbeitgeber aktuell“ stehen unter www.arbeitgeber.de > Broschüren > „Arbeitgeber<br />
aktuell“ zum Download zur Verfügung.<br />
150<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Internet und eigene Publikationen<br />
Als wichtigste und schnellste Informationsquelle<br />
hat sich längst die Internetseite www.arbeitgeber.<br />
de etabliert. Seit dem Relaunch im November<br />
2008 ist die Zahl der Nutzer kontinuierlich<br />
angestiegen. Der Internetauftritt der BDA hält Medien,<br />
Politik, Unternehmen und interessierte Bürger<br />
täglich mit den neuesten Informationen auf dem<br />
Laufenden. Wenn nötig, wird die Startseite mehrmals<br />
am Tag überarbeitet, um der Aktualität gehorchend<br />
unterschiedliche Themen in den Fokus zu<br />
rücken. In der Beliebtheitsskala ganz oben rangieren<br />
vor allem die übersichtlichen und prägnanten<br />
Info-Angebote kompakt und argumente. Als neues<br />
Angebot ist in diesem Jahr der Bereich „Service“<br />
hinzugekommen, der in übersichtlicher Form alle<br />
Serviceangebote der BDA zusammenstellt. Hier<br />
findet sich u. a. auch der Online-Shop, über den<br />
die Nutzer viele interessante Broschüren der BDA<br />
bestellen können. Darüber hinaus gibt es zahlreiche<br />
Verlinkungen zu weiterführenden Partnerwebseiten<br />
und -initiativen.<br />
Neben der BDA-Internetseite gibt es mit dem<br />
„BDA Newsletter“ und dem „Euro-Info“ weitere<br />
Informationsdienste. Die Dienste können kostenfrei<br />
über die Internetseite abonniert werden. Darüber<br />
hinaus ist die BDA mit der Beilage „Arbeitgeber<br />
– Das BDA-Spezial zur unternehmerischen<br />
Sozialpolitik“ in der Zeitschrift PERSONAL vertreten.<br />
BDA jetzt auch mit Online-<br />
Mediathek<br />
In der Online-Kommunikation geht die BDA mit<br />
der Zeit. So hat auf der Homepage der BDA am<br />
25. November <strong>2010</strong> die Mediathek ihre Pforten<br />
geöffnet. Unter www. mediathek.arbeitgeber.de können<br />
interessierte Nutzer dank intelligentem Streaming<br />
Videos und Bewegtbild-Beiträge in bester<br />
Qualität und ohne Pufferzeiten online und mobil<br />
verfolgen.<br />
Die Mediathek bietet aktuell u. a. Filmbeiträge<br />
vom Deutschen Arbeitgebertag in Berlin an, darunter<br />
die Eröffnungsrede von Arbeitgeberpräsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt, die Rede von Bundeskanzlerin<br />
Dr. Angela Merkel und Beiträge aus den<br />
verschiedenen Diskussionsforen. Darüber hinaus<br />
können interessierte Nutzer auf Imagefilme,<br />
Lehr- und Wirtschaftsfilme zurückgreifen. Auch<br />
die Möglichkeit des Hochladens eigener Beiträge<br />
besteht. Zudem ist das Abspielen der Videos<br />
auf mobilen Geräten wie iPhone, iPad oder iPod<br />
Touch möglich.<br />
kompakt und argumente erfolgreich<br />
Weiterhin gehören die Informationsdienste kompakt und argumente zu den beliebtesten Publikationen<br />
der BDA. Auch im vergangenen Jahr haben wir die Reihen um weitere Themen erweitert. Auf jeweils<br />
einem Blatt geben sie einen schnell Einstieg in ein Thema und greifen aktuelle Themen aus der öffentlichen<br />
Debatte auf. Durch ihre inhaltliche Prägnanz statten sie Mitgliedsverbände und Unternehmen mit<br />
Hintergrundinformationen, Argumenten und Botschaften der Arbeitgeber für Gespräche, Vorträge und<br />
Diskussionen aus und informieren über Dienstleistungen, Veranstaltungen und Publikationen der BDA.<br />
Seit August können diese Dienste in der jeweils aktuellen Fassung bei Interesse auch auf den eigenen<br />
Webpräsenzen unserer Mitgliedsverbände angezeigt werden.<br />
Die jeweils aktuellen Fassungen der kompakt und argumente sind unter www.arbeitgeber.de > kompakt<br />
bzw. argumente abrufbar. Sie können jeweils auch über einen Newsletter abonniert werden.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 151
Deutscher<br />
Arbeitgebertag<br />
wieder ein<br />
Medien ereignis<br />
Zu den medialen Highlights des Jahres gehört traditionell der Deutsche Arbeitgebertag, der am<br />
23. November <strong>2010</strong> in Berlin stattfand. Arbeitgeberpräsident Prof. Dr. Dieter Hundt warb in seiner Rede<br />
vor den mehr als 1.500 Gästen u. a. für eine Fortsetzung der flexiblen und produktivitätsorientierten Tarifpolitik<br />
der vergangenen Jahre. Gleichzeitig betonte er, dass die deutsche Wirtschaft noch längst nicht aus<br />
der Talsohle der schwersten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise heraus sei, sondern sich mitten in einem<br />
Aufholprozess befinde.<br />
Die Äußerungen des Arbeitgeberpräsidenten wurden von über 170 akkreditierten Medienvertretern aufgegriffen,<br />
wodurch eine breite Medienberichterstattung erreicht wurde. Besondere Beachtung fand auch<br />
die Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, traditionell Gast auf dem Deutschen Arbeitgebertag.<br />
Aber auch die Auftritte von EU-Kommissar Günther Oettinger, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-<br />
Walter Steinmeier, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle sowie von Cem Özdemir, dem Bundesvorsitzenden<br />
von Bündnis 90/Die Grünen, und dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen<br />
Bundestag, Dr. Hans-Peter Friedrich, fanden ein breites Echo.<br />
Die Präsenz des Deutschen Arbeitgebertags und der BDA reichte von den großen TV-Nachrichten bis<br />
zu Titelseiten der regionalen und überregionalen Zeitungen. Insgesamt gab die Veranstaltung den politischen<br />
Botschaften der Arbeitgeber über den Tag hinaus Stimme und Gewicht.<br />
Wer nicht live vor Ort dabei sein konnte, besaß wie bereits im Vorjahr die Möglichkeit, auf der Internetseite<br />
der BDA den kompletten Deutschen Arbeitgebertag live zu verfolgen.<br />
Nähere Informationen unter www.mediathek.arbeitgeber.de<br />
154<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 155
156<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
Geschäftsführerkonferenz<br />
in<br />
Dresden<br />
Auf Einladung der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft fand die Geschäftsführerkonferenz der BDA<br />
am 25. und 26. Mai <strong>2010</strong> in Dresden statt. Eine Vielzahl von Themen bestimmte die Tagesordnung – von<br />
der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise bis zu Zukunftsfragen der sozialen Sicherung und<br />
des Arbeitsmarkts. Entscheidungsträger aus der Politik standen Rede und Antwort.<br />
Unter den Schlagworten „demografiefest“ und „zukunftstauglich“ diskutierten der Parlamentarische<br />
Staatssekretär Daniel Bahr MdB, Professor Günter Neubauer und Dr. Doris Pfeiffer über den Handlungsbedarf<br />
in der Kranken- und Pflegeversicherung. Zur Debatte über die Zukunft der sozialen Sicherung<br />
nahm die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast MdB, Stellung. Im Dialog mit<br />
Anton F. Börner erläuterte der Kreditmediator der Bundesregierung, Hans-Joachim Metternich, seine Aufgaben<br />
bei der Sicherung der Unternehmensfinanzierung. Dass zur Krisenbewältigung auch eine nachhaltige<br />
und stringente Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gehören muss, hob Steffen Kampeter MdB,<br />
Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, hervor. Die Standpunkte der SPD<br />
zur Wirtschafts- und Sozialpolitik nach der Krise vertrat die Generalsekretärin, Andrea Nahles MdB. In<br />
der Podiumsdiskussion „Weichenstellungen für eine moderne Arbeitsmarktpolitik“ tauschten Bertram<br />
Brossardt, Annelie Buntenbach, Dr. Carsten Linnemann MdB und Landrat Erich Pipa ihre Standpunkte<br />
aus. Von Seiten der BDA zeigten Arbeitgeberpräsident Prof. Dr. Dieter Hundt und Hauptgeschäftsführer<br />
Dr. Reinhard Göhner in ihren Reden die Schwerpunkte der Arbeit der BDA auf.<br />
Als ausgezeichneter Gastgeber erwies sich die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft bei der Ausrichtung<br />
der traditionellen Abendveranstaltung. Im historischen Ambiente des Dresdener Residenzschlosses<br />
wurden die Konferenzteilnehmer auf eine beeindruckende Zeitreise in die Epoche August des Starken<br />
geführt. Mit einem Besuch in den Schatzkammern Dresdens war der gemeinsame Abend einer der Höhepunkte<br />
des diesjährigen „Familientreffens der BDA“.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 157
PArLAMentArischer<br />
ABenD<br />
erneut Grosser<br />
erfoLG<br />
Der Parlamentarische Abend am 14. September <strong>2010</strong> von BDA, BDI und DIHK war wieder ein großer<br />
Erfolg. Mit der Mitwirkung von vielen politischen Amtsträgern und rd. 1.000 Gästen bot der Abend eine<br />
gute Gelegenheit zum Austausch zwischen Vertretern von Politik, Unternehmen und Verbänden. Bundestagspräsident<br />
Prof. Dr. Norbert Lammert hielt das Grußwort.<br />
158<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
Für eine bessere<br />
frühkindliche<br />
Bildung und<br />
Betreuung<br />
<strong>2010</strong> lag für die BDA ein bildungspolitischer Schwerpunkt bei der frühkindlichen Bildung. Nachdem<br />
Anfang des Jahres auf einer BDA-Tagung mit dem DGB die Frage der zielführenden Aus- und Fortbildung<br />
des Personals im Kindergarten als neu verstandener Bildungseinrichtung thematisiert wurde, stand<br />
auf einer weiteren großen Veranstaltung die Umsetzung des Kinderförderungsgesetzes im Fokus. Das<br />
Gesetz sieht vor, dass bis 2013 35 % der unter Dreijährigen ein Betreuungsangebot erhalten und ein<br />
Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem ersten Lebensjahr besteht.<br />
Unter dem Titel „Für eine bessere Kinderbetreuung – Chancen für Kinder, Chancen für Eltern“ hatten<br />
BDA, BDI, Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und Deutsches Jugendinstitut in das Haus der Deutschen<br />
Wirtschaft geladen. Bundesministerin Dr. Kristina Schröder hob auf die Unzufriedenheit der Eltern mit<br />
der zu geringen Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab und bekannte sich zum geplanten Ausbau mit<br />
Rechtsanspruch auf Betreuung für 2013. Die dynamische Entwicklung der Betreuungsangebote zeige,<br />
dass das ehrgeizige Ziel erreicht werden könne. Der Bund stellt 4 Mrd. € der benötigten 12 Mrd. €<br />
für den Ausbau zur Verfügung – hier werde nicht gespart. Dr. Gerhard F. Braun, BDA-Vizepräsident,<br />
unterstrich im Gespräch mit Monika Jones die Relevanz einer guten Kinderbetreuung für den Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland. Dies gelte zum einen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die noch<br />
längst nicht erreicht sei, zum anderen für eine möglichst frühe und wirksame Förderung der Kinder, ihre<br />
Bildungs- und Lebenschancen.<br />
Es besteht erheblicher Nachholbedarf – aber die Kommunen sehen sich kaum in der Lage, die Beschlüsse<br />
umzusetzen, wie der Deutsche Städte- und Gemeindebund verdeutlichte. Die quantitative Umsetzung<br />
des Rechtsanspruchs auf Betreuung würden sie gewährleisten, aber keinesfalls mit der angestrebten<br />
Qualität. Als Kernproblem geißelte Ilse Wehrmann, Expertin für Frühpädagogik, dass die Qualität der<br />
Kinderbetreuung von der Finanzkraft der einzelnen Kommune abhänge und damit die Ungerechtigkeit<br />
weiter wachse. Sie forderte bundesweite Qualitätsstandards mit Kontrollen. Prof. Dr. Thomas Rauschenbach<br />
verwies darauf, dass Bildung im Kindergarten nicht Schulbildung sei – lebensweltliche Orientierung<br />
sei gefragt, nicht Fächerdenken. Der Kindergarten mit seinen Anregungen sei für alle Kinder wichtig,<br />
nicht nur für bildungsferne Schichten. Die 160 Teilnehmer aus Frühpädagogik, Kommunen, Verbänden<br />
und Politik diskutierten engagiert mit. Im Nachgang zur Tagung formierte sich eine Expertenrunde unter<br />
Leitung von KAS und BDA, die die weiteren Umsetzungsschritte prüft.<br />
Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de > kompakt > „Frühkindliche Bildung“<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 159
erfoLGreicher<br />
Auftritt Der<br />
wirtschAft BeiM<br />
2. ÖkuMenischen<br />
kirchentAG in<br />
München<br />
Der 2. Ökumenische Kirchentag (ÖKT) vom 12. bis 16. Mai <strong>2010</strong> in München war das kirchliche und<br />
gesellschaftspolitische Großereignis in diesem Jahr. Die BDA war hier gemeinsam mit zahlreichen Mitgliedsverbänden<br />
und weiteren Partnern unter dem Motto „Verantwortung übernehmen – Zukunft gestalten“<br />
vertreten, um einer breiten Öffentlichkeit das vielfältige gesellschaftliche und soziale Engagement<br />
der Wirtschaftsverbände vorzustellen.<br />
Neben rd. 1.500 Kirchentagsbesuchern waren auch viele prominente Gäste aus Kirche, Politik und Wirtschaft<br />
am Messestand der Wirtschaft zu Gast, um sich über die vielseitigen bildungs- und gesellschaftspolitischen<br />
Initiativen der Verbände zu informieren. Zusätzlich zu den Projektpräsentationen am Stand<br />
fanden Foren statt, die sich mit aktuellen sozial- und wirtschaftspolitischen Themen befassten. An den<br />
drei Messetagen kamen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kirchen so u. a. über die Themen „Arbeitswelt<br />
im Wandel“, „Soziale Marktwirtschaft gestalten“ und „Bildung ist Zukunft“ ins Gespräch. Das junge<br />
Publikum wurde mit einem „Chancenfl ipper“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eingeladen, sich<br />
wirtschaftspolitischen Themen spielerisch zu nähern.<br />
Einen Höhepunkt bildete der Empfang der Wirtschaft, zu dem die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft<br />
eingeladen hatte und den sie gemeinsam mit der BDA, dem Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer<br />
und dem Bund Katholischer Unternehmer durchführte. Über 300 Gäste folgten der Einladung und erlebten<br />
eine lebendige Diskussion zum Thema „Damit ihr Hoffnung habt. Soziale Marktwirtschaft nachhaltig<br />
gestalten“.<br />
Die zum ÖKT in München geschaffene Internetpräsenz www.wirtschaft-kirchentag.de wird von den<br />
Arbeitgeberverbänden weiterhin genutzt, um unter dem Motto „Verantwortung übernehmen – Zukunft<br />
gestalten“ auf ihre zahlreichen Projekte und Initiativen aufmerksam zu machen. In den Rubriken „Bildung<br />
+ Wissenschaft“, „Arbeit + Leben“ und „Gesellschaft + Umwelt“ wird das Engagement der Verbände<br />
dargestellt. Veranstaltungshinweise und die Dokumentation zurückliegender Aktivitäten ergänzen das<br />
Online-Angebot.<br />
Nähere Informationen unter www.wirtschaft-kirchentag.de<br />
160<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 161
162<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
Bilanzveranstaltung<br />
SCHULEWIRSCHAFT<br />
Ostdeutschland<br />
Die Folgen des demografischen Wandels sind in den neuen Bundesländern deutlich zu spüren: In den<br />
vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Schulabgänger nahezu halbiert. Bereits heute haben<br />
70 % der Unternehmen in Ostdeutschland Probleme, offene Stellen zu besetzen. Und noch immer wandern<br />
viele junge Menschen in Richtung Westdeutschland ab.<br />
Vor zwei Jahren wurde vom Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer zusammen<br />
mit BDA und SCHULEWIRTSCHAFT das Projekt „Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT Ostdeutschland“<br />
gestartet, damit in Ostdeutschland der Fachkräftenachwuchs nicht ausgeht. Unterstützt wurde die Initiative<br />
durch die strategische Partnerschaft mit der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Kreditbank<br />
AG.<br />
Am 5. November <strong>2010</strong> zogen Förderer, Kooperationspartner und Aktive in einer gemeinsamen Veranstaltung<br />
im Haus der Deutschen Wirtschaft eine positive Bilanz der zweijährigen Zusammenarbeit im Netzwerk.<br />
Akteure aus 18 von insgesamt 30 entwickelten Einzelprojekten stellten sich an einzelnen Stationen<br />
nach der Präsentation ihrer Aktivitäten den Fragen der interessierten Teilnehmer.<br />
Arbeitgeberpräsident Prof. Dr. Dieter Hundt appellierte in seiner Rede an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />
die aktuellen Herausforderungen in Chancen umzuwandeln und dafür Sorge zu tragen, dass der<br />
ostdeutsche Fachkräftenachwuchs nicht in den Westen abwandert. Er dankte allen Akteuren und Förderern<br />
für ihr Engagement.<br />
In einer von zwei Brandenburger Schülern moderierten Podiumsdiskussion mit Bundesinnenminister<br />
Dr. Thomas de Maizière, Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, und Dr. Patrick<br />
Wilden, Vorstandsmitglied der Deutschen Kreditbank AG, wurden die Chancen und Perspektiven junger<br />
Menschen in Ostdeutschland diskutiert. Dr. de Maizière betonte, dass ostdeutsche Schulabgänger aufgrund<br />
des demografischen Wandels gute Aussichten haben, in ihrer Heimat einen spannenden Job zu<br />
finden.<br />
Nähere Informationen unter www.schulewirtschaft-ostdeutschland.de<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 163
BoLoGnA zuM<br />
erfoLG führen<br />
Nach 2004, 2006 und 2008 bekannten sich am 21. Oktober <strong>2010</strong> Personalvorstände führender Unternehmen<br />
in Deutschland im Rahmen der Initiative „Bachelor Welcome!“ mit einer gemeinsamen Erklärung zur<br />
Umstellung auf die gestufte Studienstruktur und formulierten ihre Zusagen und Forderungen in diesem<br />
Prozess. Im Jahr <strong>2010</strong> – nach mehr als zehn Jahren Studienreform – wurde Zwischenbilanz gezogen und<br />
Ziele für eine Weiterentwicklung der Reform defi niert. Am Nachmittag des 21. Oktober <strong>2010</strong> wurde die<br />
„Bachelor Welcome!“-Erklärung in einer gemeinsamen Veranstaltung von BDA, BDI und Stifterverband<br />
für die Deutsche Wissenschaft präsentiert. Vertreter der Studierenden, der Hochschulen, der Politik und<br />
der Wirtschaft diskutierten, wie Bologna gemeinsam zum Erfolg geführt werden kann.<br />
164<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
GirLs’ DAY:<br />
JuBiLäuM <strong>2010</strong><br />
iM hAus Der<br />
Deutschen<br />
wirtschAft<br />
Der Girls’ Day feierte <strong>2010</strong> ein rundes Jubiläum: Er fand am 26. April zum zehnten Mal statt. Der Einladung<br />
von BDA und der Initiative „MINT Zukunft schaffen“ zum diesjährigen Event sind 40 Mädchen<br />
gefolgt. In zwei Workshops wurden Vorurteile gegenüber „Frauen und Technik“ aufs Korn genommen. Die<br />
Teilnehmerinnen entwickelten Ideen dazu, welche Vorurteile zum Thema „Frauen und Technik“ existieren<br />
und wie diese bildhaft dargestellt werden können. Darüber hinaus überlegten die Mädchen, wie eine<br />
MINT-Zeitung aussehen könnte, die speziell ihren Interessen entspricht. Die klare Botschaft des Tages<br />
war: Frauen und naturwissenschaftlich-technische Berufe – das passt hervorragend zusammen!<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 165
Die 70 Mitgliedsverbände der BDA<br />
• Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e. V.<br />
• Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (Agv MoVe)<br />
• Arbeitgeberverband der Cigarettenindustrie<br />
• Arbeitgeberverband der Deutschen Immobilienwirtschaft e. V.<br />
• Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie (ADK) e. V.<br />
• Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland<br />
• Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes e. V.<br />
• Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen e. V. – Eisenbahnen, Berg- und Seilbahnen, Kraftverkehrsbetriebe –<br />
• Arbeitgeberverband Luftverkehr e. V. (AGVL)<br />
• Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP)<br />
• Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste e. V.<br />
• Arbeitgeberverband Pflege e. V.<br />
• Arbeitgeberverband Postdienste e. V.<br />
• Arbeitgeberverband Stahl e. V.<br />
• Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß e. V.<br />
• Arbeitsgemeinschaft Keramische Industrie e. V.<br />
• Arbeitsgemeinschaft Schuhe/Leder<br />
• BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.<br />
Wirtschafts- und Arbeitgeberverband<br />
• BdKEP Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e. V.<br />
• Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V.<br />
• Bundesarbeitgeberverband Glas und Solar e. V.<br />
• Bundesverband der Systemgastronomie BdS e. V.<br />
• Bundesverband der Zigarrenindustrie e. V. (BdZ)<br />
• Bundesverband Deutscher Dienstleistungsunternehmen e. V.<br />
• Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V.<br />
• Bundesverband Druck und Medien e. V.<br />
• Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V.<br />
• Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V.<br />
• Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BZA)<br />
• Deutscher Braunkohlen-Industrie-Verein e. V.<br />
• Deutscher Bühnenverein Bundesverband der Theater und Orchester<br />
• Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e. V. (DEHOGA)<br />
• DSSV e. V. Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen<br />
• GESAMTMETALL Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V.<br />
• Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e. V.<br />
• Gesamtverband der Deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. – Arbeitgeberverbund –-<br />
• Gesamtverband Steinkohle e. V. (GVSt)<br />
• Handelsverband Deutschland – HDE Der Einzelhandel<br />
• Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V.<br />
• Hauptverband der Deutschen Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V.<br />
• Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung (HPV) e. V.<br />
• Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Steine und Erden<br />
• Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Telekommunikation (ArgeTel)<br />
• Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Verkehr (SAV)<br />
• Unternehmerverband Deutsches Handwerk (UDH)<br />
• Verband der Deutschen Säge- und Holzindustrie e. V.<br />
• Verband Deutscher Reeder e. V.<br />
• Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e. V. (VDZ)<br />
• Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e. V. (VdDD)<br />
• Verein der Zuckerindustrie<br />
• Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie e. V.<br />
• Vereinigung der Arbeitgeberverbände energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmungen (VAEU)<br />
• Vereinigung Rohstoffe und Bergbau<br />
• VKS – Verband der Kali- und Salzindustrie e. V.<br />
• Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V.<br />
• ZGV – Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen e. V.<br />
166<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
Landesvereinigungen<br />
UVNord – Vereinigung<br />
der Unternehmensverbände<br />
in Hamburg<br />
und Schleswig-Holstein<br />
e. V.<br />
Vereinigung der<br />
Unternehmensverbände für<br />
Mecklenburg-Vorpommern e. V.<br />
Unternehmerverbände<br />
Niedersachsen e. V.<br />
Die Unternehmensverbände<br />
im Lande Bremen e. V.<br />
unternehmer nrw<br />
Landesvereinigung der<br />
Unternehmensverbände<br />
Nordrhein-Westfalen e. V.<br />
Vereinigung der<br />
Unternehmensverbände<br />
in Berlin und Brandenburg e. V.<br />
Arbeitgeber- und<br />
Wirtschaftsverbände<br />
Sachsen-Anhalt e. V.<br />
Vereinigung der Sächsischen<br />
Wirtschaft e. V. (VSW)<br />
Vereinigung der<br />
hessischen<br />
Unternehmerverbände<br />
e. V.<br />
Verband der Wirtschaft<br />
Thüringens e. V.<br />
Landesvereinigung<br />
Unternehmerverbände<br />
Rheinland-Pfalz (LVU)<br />
Vereinigung der<br />
Saarländischen<br />
Unternehmensverbände<br />
e. V.<br />
Vereinigung der<br />
Bayerischen Wirtschaft e. V.<br />
Arbeitgeber Baden-Württemberg<br />
– Landesvereinigung<br />
Baden-Württembergischer<br />
Arbeitgeberverbände e. V.<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 167
BDA-Präsidium<br />
Präsident<br />
• Prof. Dr. Dieter Hundt<br />
Präsident Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
Aufsichtsratsvorsitzender Allgaier Werke GmbH<br />
Ehrenpräsident<br />
• Prof. Dr. Klaus Murmann<br />
Ehrenpräsident Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
vorm. Vorstandsvorsitzender Sauer-<br />
Danfoss Inc.<br />
Vizepräsidenten<br />
• Dr. h. c. Josef Beutelmann<br />
Vorsitzender Arbeitgeberverband der<br />
Versicherungsunternehmen in Deutschland<br />
Vorsitzender der Vorstände Barmenia<br />
Versicherungen<br />
• Dr. Gerhard F. Braun<br />
Präsident Landesvereinigung Unternehmerverbände<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Geschäftsführender Gesellschafter Karl Otto<br />
Braun GmbH & Co. KG<br />
• Dr. Eckhard Cordes<br />
Vorstandsvorsitzender Metro AG<br />
• Martin Kannegiesser<br />
Präsident GESAMTMETALL Gesamtverband<br />
der Arbeitgeberverbände der Metall- und<br />
Elektro-Industrie<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
Herbert Kannegiesser GmbH<br />
• Otto Kentzler<br />
Präsident Zentralverband des<br />
Deutschen Handwerks<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
Kentzler GmbH & Co. KG<br />
• Dr. Walter Koch<br />
Gesellschafter Dillinger Fabrik<br />
gelochter Bleche GmbH<br />
• Randolf Rodenstock<br />
Präsident Vereinigung der<br />
Bayerischen Wirtschaft<br />
Geschäftsführender Gesellschafter Optische<br />
Werke G. Rodenstock GmbH & Co. KG<br />
• Dr. h. c. Eggert Voscherau<br />
Präsident Bundesarbeitgeberverband Chemie<br />
Aufsichtsratsvorsitzender BASF SE<br />
Präsidiumsmitglieder<br />
• Dr. Frank Appel<br />
Vorstand Arbeitgeberverband Postdienste<br />
Vorstandsvorsitzender Deutsche Post AG<br />
• Peter Barz<br />
Vorsitzender Arbeitgebervereinigung<br />
Nahrung und Genuß<br />
Aufsichtsratsmitglied Unilever<br />
Deutschland Holding GmbH<br />
• Anton F. Börner<br />
Präsident Bundesverband Großhandel,<br />
Außenhandel, Dienstleistungen<br />
Persönlich haftender Gesellschafter<br />
Börner + Co. KG<br />
• Hans-Dieter Bremer<br />
Präsident Vereinigung der Unternehmensverbände<br />
für Mecklenburg-Vorpommern<br />
Geschäftsführer Beton-Service GmbH<br />
• Wolfgang Brinkmann<br />
Vizepräsident Gesamtverband der<br />
deutschen Textil- und Modeindustrie<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
F.W. Brinkmann GmbH<br />
• Dr. Jürgen Deilmann<br />
Ehrenmitglied im Präsidium der Bundesvereinigung<br />
der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
Gesellschafter Deilmann Montan GmbH<br />
• Dr. Rainer V. Dulger<br />
Vorstandsmitglied Arbeitgeber Baden-Württemberg<br />
– Landesvereinigung Baden-Württembergischer<br />
Arbeitgeberverbände<br />
Geschäftsführender Gesellschafter ProMinent<br />
Dosiertechnik GmbH<br />
168<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
• Brigitte Ederer<br />
Vorstandsmitglied Siemens AG<br />
• Goetz von Engelbrechten<br />
Vizepräsident Unternehmerverbände<br />
Niedersachsen<br />
• Bodo Finger<br />
Präsident Vereinigung der<br />
Sächsischen Wirtschaft<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
Chemnitzer Zahnradfabrik GmbH & Co. KG<br />
• Günther Fleig<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Hanns Martin Schleyer-Stiftung<br />
• Heide Franken<br />
Geschäftsführerin Randstad<br />
Deutschland GmbH & Co. KG<br />
Vorstandssprecherin Walter-Raymond-Stiftung<br />
• Hartmut Geldmacher<br />
Vorsitzender Vereinigung der Arbeitgeberverbände<br />
energie- und versorgungswirtschaftlicher<br />
Unternehmungen<br />
Vorstandsmitglied E.ON Energie AG<br />
• Wolfgang Goebel<br />
Präsident Bundesverband<br />
der Systemgastronomie<br />
Vorstandsmitglied McDonald´s<br />
Deutschland Inc.<br />
• Dr. Reinhard Göhner<br />
Hauptgeschäftsführer Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
• Ulrich Grillo<br />
Präsident WirtschaftsVereinigung Metalle<br />
Vorstandsvorsitzender Grillo-Werke AG<br />
• Dr. Rüdiger Grube<br />
Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG<br />
• Helmut Heinen<br />
Präsident Bundesverband<br />
Deutscher Zeitungsverleger<br />
Geschäftsführer Heinen-Verlag GmbH<br />
• Klaus Hering<br />
Vizepräsident Hauptverband der<br />
Deutschen Bauindustrie<br />
Gesellschafter NOBA Schlüsselfertigbau GmbH<br />
• Dr. Fritz-Heinz Himmelreich<br />
vorm. Hauptgeschäftsführer Bundesvereinigung<br />
der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
• Ingrid Hofmann<br />
Vizepräsidentin Bundesverband Zeitarbeit<br />
Personal-Dienstleistungen<br />
Geschäftsführende Gesellschafterin<br />
I.K. Hofmann GmbH<br />
• Burkhard Ischler<br />
Präsident Vereinigung der Unternehmensverbände<br />
in Berlin und Brandenburg<br />
Leiter Berliner Büro der Leitung Siemens AG<br />
• Dr. Eckart John von Freyend<br />
Präsident Institut der deutschen Wirtschaft Köln<br />
• Arndt G. Kirchhoff<br />
Vorsitzender der Geschäftsführung<br />
Kirchhoff Automotive GmbH<br />
• Helmut F. Koch<br />
Vorsitzender Arbeitgeberverband Stahl<br />
Aufsichtsratsmitglied Mannesmannröhren-<br />
Werke GmbH<br />
• Ingo Kramer<br />
Präsident Die Unternehmensverbände<br />
im Lande Bremen<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
Firmengruppe J. Heinr. Kramer<br />
• Harald Krüger<br />
Vorstandsmitglied BMW AG<br />
• Lothar Lampe<br />
Präsident Gesamtverband der Deutschen<br />
Land- und Forstwirtschaftlichen<br />
Arbeitgeberverbände<br />
• Stefan H. Lauer<br />
Präsident Arbeitgeberverband Luftverkehr<br />
Vorsitzender Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehr<br />
Vorstandsmitglied Deutsche Lufthansa AG<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 169
• Horst-Werner Maier-Hunke<br />
Präsident unternehmer nrw<br />
Landes vereinigung der Unternehmensverbände<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Geschäftsführer DURABLE Hunke &<br />
Jochheim GmbH & Co. KG<br />
• Dr. Arend Oetker<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
Dr. Arend Oetker Holding GmbH & Co. KG<br />
• Prof. Dieter Weidemann<br />
Präsident Vereinigung der hessischen<br />
Unternehmerverbände<br />
• Wolfgang Zahn<br />
Präsident Verband der Wirtschaft Thüringens<br />
Geschäftsführer Robert Bosch Fahrzeugelektrik<br />
Eisenach GmbH<br />
• Wilfried Porth<br />
Vorstandsmitglied Daimler AG<br />
• Dr. Wolfgang Pütz<br />
Vizepräsident Bundesverband<br />
Druck und Medien<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
J.F. Ziegler KG<br />
• Josef Sanktjohanser<br />
Präsident Handelsverband Deutschland –<br />
HDE Der Einzelhandel<br />
Vorstandsmitglied REWE-Zentral-AG<br />
• Thomas Sattelberger<br />
Vorstandsmitglied Deutsche Telekom AG<br />
• Jürgen Schulte-Laggenbeck<br />
Vizepräsident Handelsverband Deutschland –<br />
HDE Der Einzelhandel<br />
Vorstandsmitglied Otto (GmbH & Co. KG)<br />
• Ulrich Sieber<br />
Vorsitzender Arbeitgeberverband<br />
des privaten Bankgewerbes<br />
Vorstandsmitglied Commerzbank AG<br />
• Margret Suckale<br />
Senior Vice President Global HR Executive<br />
Management and Development BASF SE<br />
• Bernd Tönjes<br />
Präsident Gesamtverband Steinkohle<br />
Vorstandsvorsitzender RAG Aktiengesellschaft<br />
• Uli Wachholtz<br />
Präsident UVNord – Vereinigung der<br />
Unternehmensverbände in Hamburg<br />
und Schleswig-Holstein<br />
Geschäftsführer Karl Wachholtz Verlag<br />
GmbH & Co. KG<br />
170<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA
BDA-Vorstand<br />
Neben den gewählten<br />
Mitgliedern des Präsidiums<br />
gehören folgende Damen<br />
und Herren dem Vorstand an:<br />
• Prof. Thomas Bauer<br />
• Michael Behrendt<br />
• Dr. Rolf Bender<br />
• Oswald Bubel<br />
• Ulrich Alfred Büchner<br />
• Prof. Dr. Hubert Burda<br />
• Frank Dupré<br />
• Martin Empl<br />
• Volker Enkerts<br />
• Ernst Fischer<br />
• Florian Gerster<br />
• Rainer Göhner<br />
• Thomas Greiner<br />
• Klemens Gutmann<br />
• Jörg Hagmaier<br />
• Siegfried Hanke<br />
• Theo Hermann<br />
• Franz Bernd Köster<br />
• Thomas Kretschmann<br />
• Peter Kurth<br />
• Dr. Johannes F. Lambertz<br />
• Rainer J. Marschaus<br />
• Reinhard Müller-Gei<br />
• Dr. Christoph E. Palmer<br />
• Rudolf Pfeiffer<br />
• Eberhard Potempa<br />
• Hanns-Jürgen Redeker<br />
• Ralph Rieker<br />
• Prof. Dr. Markus Rückert<br />
• Manfred Rycken<br />
• Jürgen Schitthelm<br />
• Dirk Schlüter<br />
• Birgit Schwarze<br />
• Johannes Schwörer<br />
• Dr. Theo Spettmann<br />
• Dr. Heinrich Spies<br />
• Norbert Steiner<br />
• Dr. Sven Vogt<br />
• Ulrich Weber<br />
• Dietmar Welslau<br />
• Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia<br />
Vorsitzende<br />
der Ausschüsse<br />
• Dr. Gerhard F. Braun<br />
BDA/BDI-Fachausschuss<br />
Bildung | Berufliche Bildung<br />
• Hans-Dieter Bremer<br />
Ausschuss Arbeitssicherheit<br />
• Prof. Dr. Michael Heise<br />
Ausschuss für Volkswirtschaft -<br />
liche Fragen<br />
• Klaus Hofer<br />
Ausschuss Betriebliche<br />
Altersvorsorge<br />
• Ingrid Hofmann<br />
Ausschuss Betriebliche<br />
Personalpolitik<br />
• Michael Klein<br />
Ausschuss Arbeitsmarktfragen<br />
• Dr. Walter Koch<br />
Ausschuss Haushalt<br />
• Stefan H. Lauer<br />
Ausschuss Arbeitsrecht<br />
• Dr. Wolfgang Pütz<br />
Ausschuss Lohn- und<br />
Tarifpolitik<br />
• Randolf Rodenstock<br />
Ausschuss Soziale Sicherung<br />
• Margret Suckale<br />
Ausschuss Sozialpolitik<br />
in der EU<br />
Gemeinsames Präsidium<br />
von BDA und BDI*<br />
Alternierende Vorsitzende<br />
• Prof. Dr. Dieter Hundt<br />
• Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Keitel<br />
Weitere Mitglieder des Präsidiums<br />
• Dr. h. c. Josef Beutelmann<br />
• Dr. Gerhard F. Braun<br />
• Dr. Eckhard Cordes<br />
• Dr. Klaus Engel<br />
• Ulrich Grillo<br />
• Dr. Heinrich Hiesinger<br />
• Martin Kannegiesser<br />
• Otto Kentzler<br />
• Dr. Walter Koch<br />
• Friedhelm Loh<br />
• Dr. Arend Oetker<br />
• Randolf Rodenstock<br />
• Prof. Dr. Dr. h. c. August-Wilhelm Scheer<br />
• Jürgen R. Thumann<br />
• Dr. h. c. Eggert Voscherau<br />
• Matthias Wissmann<br />
• Dr. E. h. Manfred Wittenstein<br />
* Stand: 1. Januar 2011<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA 171
Organigramm<br />
Präsident<br />
Prof. Dr. Dieter Hundt<br />
Sekretariat<br />
Ulrike Kümpel-Moderau<br />
T -1004<br />
F -1005<br />
Hauptgeschäftsführer<br />
Mitglied der Hauptgeschäftsführung<br />
Dr. Reinhard Göhner<br />
Alexander Gunkel**<br />
Sekretariat<br />
Anne-Katrin Biereigel<br />
T -1008<br />
F -1015<br />
hgf.mail@arbeitgeber.de<br />
Sekretariat<br />
Ulrike Kümpel-Moderau<br />
Marina Reikowski<br />
T -1007/1006<br />
F -1005<br />
hgf.mail@arbeitgeber.de<br />
Verwaltung und<br />
Verbandsorganisation<br />
Soziale Sicherung<br />
Volkswirtschaft |<br />
Finanzen | Steuern,<br />
Walter-Raymond-<br />
Stiftung<br />
Arbeitsrecht<br />
Lohn- und<br />
Tarifpolitik<br />
Abteilungsleitung<br />
Ulrich Hüttenbach**<br />
Martin Pulm<br />
Abteilungsleitung<br />
Dr. Volker Hansen<br />
Gert Nachtigal<br />
Abteilungsleitung<br />
Ottheinrich<br />
Freiherr von Weitershausen<br />
Dr. Oliver Perschau*<br />
Abteilungsleitung<br />
Roland Wolf<br />
Thomas Prinz*<br />
Abteilungsleitung<br />
Rainer Huke*<br />
Sekretariat<br />
Janet Wiecker<br />
T -1100<br />
F -1105<br />
Sekretariat<br />
Ingrid Schramm<br />
Heike Bozan<br />
T -1600<br />
F -1605<br />
Sekretariat<br />
Cornelia Hentschel<br />
T -1950<br />
F -1955<br />
Sekretariat<br />
Manuela Hahn<br />
Beate Murtezani<br />
Simone Scharf<br />
T -1200<br />
F -1205<br />
Sekretariat<br />
Marina Fahrentholtz<br />
Katrin Franz<br />
T -1300<br />
F -1305<br />
organisation@arbeitgeber.de<br />
soziale.sicherung@arbeitgeber.de<br />
volkswirtschaft@arbeitgeber.de<br />
arbeitsrecht@arbeitgeber.de<br />
tarifpolitik@arbeitgeber.de<br />
Kaufmännische Assistenz<br />
Katrin Altmann*<br />
Adressverwaltung<br />
Thomas Bieche<br />
Manuel Schiller<br />
Referenten (m/w)<br />
Stefan Haussmann<br />
Dr. Martin Kröger<br />
Susanne Lexa<br />
Saskia Osing*<br />
Florian Swyter<br />
Referenten (m/w)<br />
Elisaveta Gomann<br />
Dr. Hans-Jürgen Völz<br />
Referenten (m/w)<br />
Nora Braun<br />
Martin Eckstein<br />
Katharina Ludewig<br />
Kerstin Plack<br />
Dr. Anita Schmitz-Witte<br />
Referenten (m/w)<br />
Kora Kleine<br />
Paul Noll<br />
Dr. Mandy Reichel<br />
Natalia Stolz<br />
Einkauf und Services<br />
Sven Kochanowski<br />
einkauf.mail@arbeitgeber.de<br />
Bibliothek<br />
Anke Beyer-Stamm<br />
Arbeitswissenschaft<br />
Norbert Breutmann<br />
Organisation<br />
Kornelia Wendt<br />
Redaktion SAE<br />
Barbara Braun<br />
Tarifarchiv<br />
Astrid Bohn<br />
Michaela Grebasch<br />
Service<br />
Frank Halup<br />
Astrid Leu<br />
Finanzen<br />
Martin Pulm<br />
Gudrun Häntsch<br />
Sirpa Ohm<br />
Viola Rieche<br />
fi nanzen.mail@arbeitgeber.de<br />
Informations- und<br />
Kommunikationstechnik<br />
Martin Brüning<br />
Thomas Hyrbaczek<br />
Christian Seipp<br />
Hans-Jürgen Tunze<br />
iuk.mail@arbeitgeber.de<br />
Sekretariat<br />
Carola Wünsche<br />
T -1604<br />
F -1605<br />
soziale.sicherung@arbeitgeber.de<br />
Institut für Sozial- und<br />
Wirtschaftspolitische<br />
Ausbildung<br />
Ottheinrich<br />
Freiherr von Weitershausen<br />
Sekretariat<br />
Ellen Dumschat<br />
T -1954<br />
F -1955<br />
info@iswa-online.de<br />
Personal<br />
Astrid Zippel<br />
Katrin Rennicke<br />
personal.mail@arbeitgeber.de
T +49 30 2033-0<br />
F +49 30 2033-1055<br />
bda@arbeitgeber.de<br />
www.arbeitgeber.de<br />
Stand: 1. Januar 2011<br />
** Qualitätsmanagementkoordinator<br />
* Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
Mitglied der Hauptgeschäftsführung<br />
Peter Clever<br />
Sekretariat<br />
Manuela Poniwaß<br />
T -1009<br />
F -1015<br />
hgf.mail@arbeitgeber.de<br />
Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Planung |<br />
Koordination |<br />
Grundsatzfragen<br />
Arbeitsmarkt<br />
Bildung |<br />
Berufliche Bildung<br />
Europäische Union<br />
und Internationale<br />
Sozialpolitik<br />
Abteilungsleitung<br />
Dr. Uwe Mazura*<br />
Jörg Swane<br />
Abteilungsleitung<br />
Christina Ramb**<br />
Kristian Schalter<br />
Abteilungsleitung<br />
Dr. Jürgen Wuttke*<br />
Alexander Wilhelm<br />
Abteilungsleitung<br />
Dr. Barbara Dorn<br />
Dr. Donate Kluxen-Pyta<br />
Tanja Nackmayr<br />
Abteilungsleitung<br />
Renate Hornung-Draus<br />
Antje Gerstein*<br />
Matthias Thorns<br />
Sekretariat<br />
Claudia Jungkowski<br />
Claudia Kurschat<br />
T -1800<br />
F -1805<br />
Sekretariat<br />
Kati Hildebrandt<br />
T -1070<br />
F -1075<br />
Sekretariat<br />
Susan Peronne<br />
Marion Blumauer<br />
T -1400<br />
F -1405<br />
Sekretariat<br />
Katja Rasch<br />
Allmuth Rudolf<br />
Sevim Ünal<br />
T -1500<br />
F -1505<br />
Sekretariat<br />
Bianca Voyé*<br />
Marion Hirte<br />
Janine Spolaczyk<br />
T -1900<br />
F -1905<br />
presse@arbeitgeber.de<br />
grundsatz@arbeitgeber.de<br />
arbeitsmarkt@arbeitgeber.de<br />
bildung@arbeitgeber.de<br />
europa@arbeitgeber.de<br />
Referenten (m/w)<br />
Arne Franke<br />
Franziska Caroline Lerch<br />
Dr. Viktor Otto<br />
Andreas Timm<br />
Referenten (m/w)<br />
Tabea Kölbel<br />
Referenten (m/w)<br />
Christian Dorenkamp<br />
Georgia Heine<br />
Torsten Petrak<br />
Silvia Schneider<br />
Referenten (m/w)<br />
Henning Dettleff<br />
Petra Gießler<br />
Yvonne Kohlmann<br />
Susanne Müller*<br />
Dr. Irene Seling<br />
Referenten (m/w)<br />
Anton Bauch<br />
Julia Kaute<br />
Stefan Sträßer<br />
Leiter der Pressestelle<br />
Dr. Viktor Otto<br />
Büro des Präsidenten<br />
und des Hauptgeschäftsführers<br />
Kristian Schalter<br />
Benjamin Koller<br />
Betriebliche<br />
Personalpolitik<br />
Dr. Alexander Böhne<br />
Jana Schimke<br />
BDI/BDA<br />
The German Business<br />
Representation<br />
Antje Gerstein*<br />
Brigitte De Vita<br />
Andres Rojas del Rio<br />
Sekretariat<br />
Sabrina Paul<br />
T -1020<br />
F -1025<br />
Sekretariat<br />
Janine Schaefer<br />
T -1410<br />
F -1405<br />
Organisation<br />
Astrid Schwarz<br />
T +32 2 792 10 50<br />
F +32 2 792 10 55<br />
bph.mail@arbeitgeber.de<br />
arbeitsmarkt@arbeitgeber.de<br />
bruessel@arbeitgeber.de
BDA | Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
Mitglied von BUSINESSEUROPE<br />
Hausadresse:<br />
Haus der Deutschen Wirtschaft<br />
Breite Straße 29, 10178 Berlin<br />
Briefadresse:<br />
11054 Berlin<br />
T +49 30 2033-1070<br />
F +49 30 2033-1075<br />
grundsatz@arbeitgeber.de<br />
www.arbeitgeber.de<br />
Redaktionsschluss: 20. Dezember <strong>2010</strong><br />
Fotografie:<br />
Thomas Köhler | www.photothek.net<br />
Tobias Koch | www.fotostudio-koch.de<br />
DIHK; Jens Schicke<br />
vbw | www.vbw-bayern.de<br />
Foto Engler | www.pressefoto-engler.de<br />
Christian Kruppa | www.christiankruppa.de<br />
adisa, Aeolos, Nikada, Uko_Jesita | iStockphoto.com<br />
moonrun, Olly, RRF, SVLuma | fotolia.de<br />
misterQM | photocase.de<br />
174<br />
BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2010</strong> | Aus dem Leben der BDA