HalbJahresbericht 2008
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HALBJAHRESBERICHT <strong>2008</strong>
HALBJAHRESBERICHT <strong>2008</strong>
02<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
selbst starke Wachstumsbremsen, wie die steigenden Preise oder die internationale Finanzmarktkrise, konnten der Konjunktur<br />
in Deutschland im ersten Halbjahr <strong>2008</strong> überraschend wenig anhaben. Die Wachstumsprognosen sind wieder<br />
über die Schwelle von 2 % gehoben worden. Mit weniger als 3,2 Mio. Arbeitslosen im Juni <strong>2008</strong> erreichte Deutschland<br />
den niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland waren im April über<br />
40 Mio. Menschen erwerbstätig. Dies sollte Mut machen, den eingeschlagenen Weg konsequent und mit weiteren<br />
Reformen fortzusetzen. Die Große Koalition lässt sich jedoch zunehmend von richtigen Akzentsetzungen abbringen<br />
und trifft insbesondere in der Sozialpolitik kurzatmige und wechselhafte Entscheidungen. Dadurch wird erfolgreichen<br />
Reformen ihre Wirkung genommen und der Konjunktur Dynamik entzogen. Das Wachstum des vergangenen Jahres<br />
wird die deutsche Volkswirtschaft in diesem Jahr nicht wiederholen können. Die hohen Energiepreise belasten Verbraucher<br />
und Unternehmen gleichermaßen. Auf dem Arbeitsmarkt hat der Abbau der Arbeitslosigkeit an Schwung<br />
verloren – umso fataler ist, dass gerade hier völlig falsche Signale gesetzt wurden. Die arbeitsmarktpolitischen Erfolge<br />
der Agenda 2010 werden kontinuierlich zunichtegemacht.<br />
Wirtschaftliche Dynamik, Wachstum und eine beschäftigungsfördernde Lohnpolitik sind gerade für diejenigen erforderlich,<br />
die keinen Arbeitsplatz haben und den Einstieg in Arbeit suchen. Staatlich vorgegebene Mindestlöhne verhindern<br />
den Einstieg in Arbeit und vernichten Arbeitsplätze. Die Referentenentwürfe zum Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
und Arbeitnehmer-Entsendegesetz stellen einen völlig inakzeptablen Angriff auf die Tarifautonomie dar: Dem Staat<br />
wird gesetzlich die Möglichkeit gegeben, vereinbarte Tarifverträge per Rechtsverordnung außer Kraft zu setzen. Wer<br />
auf diesem Weg Tarifverträge aushebeln will, verhindert zugleich betriebliche Bündnisse für Arbeit. Wer so mit Tarifverträgen<br />
und Betriebspartnerschaft umgeht, legt die Axt an die Wurzel der Tarifautonomie. Aufgrund der massiven<br />
Intervention der BDA wurden bereits erste Giftzähne aus den Entwürfen entfernt. So ist z. B. die regionale Anwendung<br />
der Gesetze und damit die Möglichkeit zur flächendeckenden Lohnfestsetzung in allen Branchen vom Tisch.<br />
Auch soll die Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes auf Mindestentgelte beschränkt werden und nicht<br />
mehr alle Arbeitsbedingungen umfassen. Die BDA wird sich weiter mit aller Vehemenz gegen diese Gesetzentwürfe<br />
wenden.<br />
Auch in vielen weiteren Bereichen der Sozialpolitik werden falsche Signale gesetzt: Statt den richtigen Weg der Verlängerung<br />
der Lebensarbeitszeit konsequent weiterzugehen, will die SPD die verfehlte Frühverrentungspolitik der Vergangenheit<br />
durch die Altersteilzeit-Subventionen auf einmal wiederbeleben. Statt das Ziel der nachhaltigen Senkung<br />
der Sozialabgaben weiterzuverfolgen, wird der verfassungswidrige Griff in die Tasche der Beitragszahler durch den Eingliederungsbeitrag<br />
fortgesetzt, wird ein Ausbildungsbonus mit Gießkannenförderung eingeführt, wird die Rentenformel<br />
zu Lasten der Beitragszahler manipuliert, werden Leistungsausweitungen und Beitragssatzanstieg in der Pflegeversicherung<br />
beschlossen. Das ist keine konsequente Reformpolitik, die den Aufschwung tragen kann.<br />
Damit der Aufschwung bei mehr Menschen ankommt, müssen sie mehr Netto vom Brutto in der Tasche haben. Das<br />
schafft mehr Beschäftigung und stärkt den privaten Konsum. Immerhin gibt es einen ersten hoffnungsvollen Ansatz<br />
in der politischen Agenda: Es wird über notwendige Entlastungen der Erwerbstätigen – vor allem der Leistungsträger<br />
unserer Gesellschaft – und über eine Steuer- und Abgabensenkung diskutiert. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die<br />
von uns im vergangenen Jahr mit der Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung eingeläutet und mit der<br />
Forderung nach „mehr Netto“ Anfang des Jahres verstärkt wurde. Die Senkung der Sozialabgaben ist das Gebot der<br />
Stunde. Die BDA hat einen ersten Schritt noch in diesem Jahr gefordert: Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung<br />
kann auf mindestens 2,8 % gesenkt werden, wenn der verfassungsrechtlich fragwürdige und systematisch verfehlte
03<br />
Eingliederungsbeitrag gestrichen wird. Weitere Beitragssatzsenkungen sind in den Sozialversicherungen möglich, wenn<br />
sie mit strukturellen Reformen einhergehen. Die BDA hat hierfür schlüssige und nachhaltige Konzepte entwickelt. Den<br />
Worten der Politik müssen nun Taten folgen.<br />
Der vorliegende Halbjahresbericht informiert Sie über die politischen Schwerpunkte unserer Arbeit im ersten<br />
Halbjahr <strong>2008</strong>.<br />
Dr. Reinhard Göhner<br />
Hauptgeschäftsführer der BDA<br />
Berlin, 30. Juni <strong>2008</strong>
04<br />
Beschäftigungspolitik ■ Arbeitslosenversicherung<br />
■ Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld<br />
II ■ Ältere Arbeitnehmer<br />
■ Betriebliche Personalpolitik ■ Zielgruppen<br />
des Arbeitsmarktes ■ Arbeitsmarktforschung<br />
und -statistik ■ ZeitarbeiT<br />
■ Reform der Selbstverwaltung ■ Fachkräftesicherung<br />
ARBEITSMARKT<br />
■ Integration ■ Geringfügige<br />
Beschäftigung ■ Bundesagentur<br />
für Arbeit ■ Entgeltfortzahlung ■ Unternehmenskultur<br />
■ Schwarzarbeit/Illegale<br />
Beschäftigung ■ Grundsicherung ■ Erwerbsbeteiligung<br />
Älterer ■ Altersteilzeit<br />
■ Arbeitsförderungsrecht ■ Personalführung<br />
■ Personalgewinnung ■ Personalbindung<br />
■ Personalentwicklung<br />
■ Personalcontrolling ■ Altersteilzeit<br />
■ Beschäftigungs- und Strukturpolitik<br />
der EU ■ Beschäftigungspolitik<br />
■ Arbeitslosenversicherung ■ Fürsor<br />
06 18<br />
Individualarbeitsrecht ■ Arbeitsrecht<br />
in der EU ■ Betriebsverfassungsgesetz<br />
■ Mitbestimmung ■ Unternehmensmitbestimmung<br />
■ Antidiskriminierung<br />
■ Arbeitszeitflexibilisierung ■ Mitbestimmung<br />
■ Betriebsübergang ■ Befristung<br />
■ Entgeltfortzahlung ■ Arbeitnehmererfindungsrecht<br />
ARBEITSRECHT ■ Kündigungsschutz<br />
■ Tarifrecht ■ Tarifvertragsrecht ■ Arbeitnehmerdatenschutz<br />
■ Tarifverhandlungsrecht<br />
■ Streik- und Arbeitskampfrecht<br />
■ Arbeitsrechtliche Richtlinien<br />
■ Bürokratieabbau in der Sozialpolitik<br />
■ Tarifrecht ■ Mitbestimmung ■ Individualarbeitsrecht<br />
■ Arbeitsrecht in der EU<br />
■ Betriebsverfassungsgesetz ■ Unternehmensmitbestimmung<br />
■ Antidiskriminierung<br />
■ Arbeitszeitflexibilisierung<br />
■ Betriebsübergang ■ Kündigungsschutz<br />
■ Befristung ■ Urlaub ■ Entgeltfortzah<br />
Tarifautonomie ■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge<br />
■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Tarifbindung ■ Grundsatzfragen<br />
der Lohnpolitik ■ Gesetzlicher Mindestlohn<br />
■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie ■ Lohnpolitik<br />
■ Tarifverträge ■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
TARIFPOLITIKvon Tarifverträgen<br />
■ Tarifbindung ■ Lohnentwicklung<br />
■ Allgemeinverbindlicherklärung von<br />
Tarifverträgen 34<br />
■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Lohnentwicklung<br />
■ Grundsatzfragen der Lohnpolitik<br />
■ Gesetzlicher Mindestlohn ■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie<br />
■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge<br />
■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Tarifbindung ■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
von Tarifverträgen ■ Lohn-<br />
Gesundheit und Pflege ■ Rente und Ältere<br />
■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat ■ Krankenversicherung<br />
■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung ■ Rehabilitation<br />
■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz SOZIALE in SICHERUNG<br />
Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmenbedingungen<br />
■ Finanzierung ■ Soziale<br />
Selbstverwaltung 54<br />
■ Beitrags- und Melderecht<br />
■ Gesundheit und Pflege ■ Rente<br />
und Ältere ■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat<br />
■ Krankenversicherung ■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung<br />
■ Rehabilitation ■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz in Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmen<br />
Frühkindliche Bildung ■ Schulpolitik<br />
■ Hochschulpolitik ■ Ausbildung ■ Weiterbildung<br />
■ Europäische Bildungspolitik<br />
■ Kindergarten ■ Obligatorisches<br />
Vorschulcurriculum ■ Migranten ■ Kooperation<br />
von Schule und Wirtschaft<br />
■ Berufsbefähigung<br />
BILDUNG,<br />
■ Schlüsselqualifikationen<br />
■ Bildungsfinanzierung ■ Qualitätsmanagement<br />
BERUFLICHE ■ Lehrerbildung BILDUNG ■ MINT<br />
■ Berufsorientierung ■ Bildungsstandards<br />
■ Ganztagsschulen ■ Ökonomische<br />
Bildung 76 ■ Werteerziehung ■ Durchlässigkeit<br />
der Bildungsbereiche ■ Wissenschaft<br />
und Forschung ■ Akkreditierung<br />
■ Bachelor/Master ■ Hochschulreform<br />
■ Hochschulzugang ■ Studien- und<br />
Hochschulfinanzierung ■ Ausbildungsfähigkeit<br />
■ Ausbildungsmarkt ■ Ausbildungspakt<br />
■ Ausbildungsabgabe ■ Duale<br />
Ausbildung ■ Lebenslanges Lernen<br />
Europäische Sozialpolitik ■ Der europäische<br />
Integrationsprozess ■ Internationale<br />
Interessenvertretungen der<br />
Arbeitgeber ■ Sozialer Dialog ■ Europäische<br />
Zuwanderung ■ Dreigliedriger<br />
EU-Sozialgipfel ■ EU-Gipfel ■ Politische<br />
Schwerpunkte der Integration ■ Europäische<br />
EUROPÄISCHE Sozialpolitik ■ Der UND europäische Integrationsprozess<br />
INTERNATIONALE<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber<br />
■ Sozialer SOZIALPOLITIK<br />
Dialog ■ EU-Richtlinien<br />
■ Europäische Zuwanderung ■ Europäisches<br />
Arbeits- und Sozialrecht ■ Europäische<br />
100 Bildungspolitik ■ Dreigliedriger<br />
EU-Sozialgipfel ■ CSR ■ EU-Gipfel<br />
■ Politische Schwerpunkte der Integration<br />
■ Europäische Sozialpolitik<br />
■ Der europäische Integrationsprozess<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber ■ Sozialer Dialog
05<br />
Konjunktur und Wachstum ■ Indikatoren<br />
und Prognosen ■ Wirtschafts- und<br />
Finanzpolitik ■ Steuerpolitischer Arbeitskreis<br />
der Spitzenverbände ■ Kampagnen<br />
und Initiativen ■ Jahreswirtschaftsbericht<br />
■ Sachverständigenratsgutachten<br />
VOLKSWIRTSCHAFT<br />
■ Frühjahrs- und Herbstgutachten<br />
■ Prognosen des BIP ■ Prognose der Wirtschaftsentwicklung<br />
UND FINZANZEN ■ Arbeitskosten<br />
■ Produktivität ■ Einkommensverteilung<br />
■ Statistik ■ Föderalismus ■ Globalisierung<br />
116 ■ Finanzpolitik ■ Finanzplan des<br />
Bundes ■ Standort Deutschland im internationalen<br />
Vergleich ■ Mittelstandspolitik<br />
■ Demografie ■ Konjunktur und<br />
Wachstum ■ Indikatoren und Prognosen<br />
■ Wirtschafts- und Finanzpolitik ■ Steuerpolitischer<br />
Arbeitskreis der Spitzenverbände<br />
■ Kampagnen und Initiativen<br />
■ Jahreswirtschaftsbericht ■ Sachver<br />
Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
■ Elternzeit/Mutterschutz ■ Unternehmensethik<br />
■ CSR und CC ■ Wertevermittlung<br />
■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
■ Familienpolitik 130 und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Elternzeit/Mutterschutz ■ Unternehmensethik<br />
■ CSR und CC ■ Chancen<br />
von Frauen in der Wirtschaft<br />
■ Wertevermittlung ■ Familienpolitik<br />
und Chancengleichheit ■ Wirtschaftsethik<br />
■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos<br />
PRESSE- ■ Internet<br />
UND<br />
■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-<br />
Ton ÖFFENTLICHKEITSARBEIT<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
136 ■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos ■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-
07<br />
Beschäftigungspolitik ■ Arbeitslosenversicherung<br />
■ Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld<br />
II ■ Ältere Arbeitnehmer<br />
■ Betriebliche Personalpolitik ■ Zielgruppen<br />
des Arbeitsmarktes ■ Arbeitsmarktforschung<br />
und -statistik ■ ZeitarbeiT<br />
■ Reform der Selbstverwaltung ■ Fachkräftesicherung<br />
ARBEITSMARKT<br />
■ Integration ■ Geringfügige<br />
Beschäftigung ■ Bundesagentur<br />
für Arbeit ■ Entgeltfortzahlung ■ Unternehmenskultur<br />
■ Schwarzarbeit/Illegale<br />
Beschäftigung ■ Grundsicherung ■ Erwerbsbeteiligung<br />
Älterer ■ Altersteilzeit<br />
■ Arbeitsförderungsrecht ■ Personalführung<br />
■ Personalgewinnung ■ Personalbindung<br />
■ Personalentwicklung<br />
■ Personalcontrolling ■ Altersteilzeit<br />
■ Beschäftigungs- und Strukturpolitik<br />
der EU ■ Beschäftigungspolitik<br />
■ Arbeitslosenversicherung ■ Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II ■ Ältere<br />
Arbeitnehmer ■ Betriebliche Personalpolitik<br />
■ Zielgruppen des Arbeitsmarktes<br />
■ Arbeitsmarktforschung und -statistik<br />
■ ZeitarbeiT ■ Integration ■ Schwarzarbeit/Illegale<br />
Beschäftigung ■ Geringfügige<br />
Beschäftigung ■ Fachkräftesicherung<br />
■ Bundesagentur für Arbeit<br />
■ Entgeltfortzahlung ■ Reform der<br />
Selbstverwaltung ■ Arbeitsförderungsrecht<br />
■ Grundsicherung ■ Erwerbsbeteiligung<br />
Älterer ■ Altersteilzeit ■ Personalführung<br />
■ Personalgewinnung<br />
■ Personalbindung ■ Personalentwicklung<br />
■ Personalcontrolling ■ Unternehmenskultur<br />
■ Arbeitsgestaltung<br />
■ Beschäftigungspolitik ■ Zielgruppen<br />
des Arbeitsmarktes ■ Fachkräftesicherung<br />
■ Erwerbsbeteiligung ■ Arbeitsgestaltung<br />
■ Schwarzarbeit/Illegale<br />
Beschäftigung ■ Älterer Arbeitslosenversicherung<br />
■ Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld<br />
II ■ Ältere Arbeitnehmer<br />
■ Betriebliche Personalpolitik ■ Zielgruppen<br />
des Arbeitsmarktes ■ Arbeitsmarktforschung<br />
und -statistik ■ ZeitarbeiT<br />
■ Integration ■ Schwarzarbeit/Illegale<br />
Beschäftigung ■ Geringfügige Beschäftigung<br />
■ Fachkräftesicherung<br />
■ Bundesagentur für Arbeit ■ Entgeltfortzahlung<br />
■ Reform der Selbstverwaltung<br />
■ Grundsicherung ■ Erwerbsbeteiligung<br />
Älterer ■ Altersteilzeit<br />
■ Arbeitsförderungsrecht ■ Personalführung<br />
■ Personalgewinnung ■ Personalbindung<br />
■ Personalentwicklung<br />
■ Personalcontrolling ■ Unternehmenskultur<br />
■ Beschäftigungs- und Strukturpolitik<br />
der EU ■ Beschäftigungspolitik<br />
■ Personalgewinnung ■ Altersteilzeit
08<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Ohne Fortsetzung der<br />
Reformpolitik keine<br />
Vollbeschäftigung<br />
Aufgrund der sichtbaren beschäftigungspolitischen Erfolge<br />
in den Jahren 2006 und 2007 wird in der Politik<br />
endlich auch wieder das Ziel der Vollbeschäftigung<br />
als realisierbar anerkannt und verfolgt. Die positiven<br />
Wirkungen der Agenda 2010 und der Hartz-Reformen<br />
haben bewiesen: Vollbeschäftigung ist möglich, wenn<br />
die Politik die richtigen Rahmenbedingungen für mehr<br />
Wachstum und Beschäftigung stellt. Vollbeschäftigung<br />
anzustreben ist auch notwendig, denn Beschäftigung<br />
schützt am besten vor Armut. Arbeitslosigkeit ist und<br />
bleibt die Hauptursache für Armut in Deutschland. Deshalb<br />
darf die Bundesregierung die Chance auf einen<br />
weiteren nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit nicht<br />
durch politische Fehlentscheidungen wie Lohnzusatzkosten<br />
erhöhende, neue teure Ausgabenprogramme,<br />
bürokratische Hürden für den Jobmotor Zeitarbeit oder<br />
staatliche Mindestlöhne verspielen. Vermeintliche soziale<br />
Wohltaten verbauen gerade wenig qualifizierten<br />
Langzeitarbeitslosen den Weg zurück in Lohn und Brot<br />
und entfalten so ihre unsozialste Wirkung. Stattdessen<br />
müssen die Reformen am Arbeitsmarkt konsequent und<br />
konsistent fortgesetzt werden.<br />
Der Aufschwung am deutschen Arbeitsmarkt hat sich im<br />
ersten Halbjahr <strong>2008</strong> zwar fortgesetzt. Aber es ist auch<br />
klar erkennbar: Er hat an Kraft verloren. Fehler wie die reformpolitische<br />
Rückwärtsrolle zum wieder längeren Arbeitslosengeldbezug<br />
für Ältere seit Beginn dieses Jahres<br />
scheinen schon jetzt ihre Bremsspuren zu hinterlassen.<br />
Die Arbeitslosigkeit 55- bis 64-Jähriger ist im Gegensatz<br />
zum Vorjahr – in dem ein überproportionaler Rückgang<br />
der Arbeitslosigkeit erreicht werden konnte – zuletzt nur<br />
noch unterdurchschnittlich gesunken.<br />
Erfreulich ist, dass sich in der Regierungskoalition die<br />
Auffassung durchzusetzen scheint, dass der Beitrag zur<br />
Arbeitslosenversicherung weiter gesenkt werden kann<br />
und muss. Hierzu hat die BDA erneut den Anstoß gegeben<br />
und frühzeitig darauf hingewiesen, dass eine zusätzliche<br />
Senkung des Beitrags um 0,6 Prozentpunkte<br />
möglich ist, wenn der system- und verfassungswidrige<br />
Eingliederungsbeitrag zu den Kosten der staatlichen Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II beseitigt wird.<br />
Je anhaltender der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt<br />
ist, umso mehr bietet er gerade auch geringer Qualifizierten<br />
und Langzeitarbeitslosen bessere Beschäftigungsperspektiven.<br />
Im Jahresverlauf 2007 haben fast<br />
700.000 Arbeitslosengeld-II-Bezieher den Zugang in<br />
eine ungeförderte Erwerbstätigkeit geschafft. Umso<br />
schärfer tritt aber auch das Fortbestehen der Aktivierungsprobleme<br />
im Bereich der staatlichen Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II zu Tage. Hier entwickeln<br />
sich die Fortschritte trotz der guten Arbeitsmarktlage<br />
nur äußerst schleppend. Das muss für die Politik<br />
Mahnung genug sein, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />
zur Verfassungswidrigkeit der<br />
SGB-II-Arbeitsgemeinschaften schnellstens für eine<br />
gute, leistungsfähige Organisation zu sorgen. Dazu<br />
muss das Versprechen der „Leistung aus einer Hand“<br />
eingelöst werden. Ein Mega-Bundessozialamt mit dem<br />
Bundesarbeitsministerium an der Spitze wäre dabei ein<br />
Irrweg. Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände<br />
müssen stattdessen jetzt eine kommunale Lösung<br />
mit vollständiger Transparenz, Steuerung der Fördermaßnahmen<br />
nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit und<br />
nicht zuletzt einem finanziellen Eigeninteresse der<br />
Kommunen erarbeiten.<br />
Irreführend ist die Diskussion über eine angebliche massenhafte<br />
„Lohndrückerei“ von Arbeitgebern unter Hinweis<br />
auf Arbeitnehmer, die aufgrund von Bedürftigkeit<br />
ergänzend Arbeitslosengeld II beziehen (sog. „Aufstocker“).<br />
Der Vorwurf, immer mehr Menschen könnten<br />
trotz Vollzeitarbeit von ihrem eigenen Einkommen nicht<br />
leben, ist haltlos: Rund 70 % der „Aufstocker“ arbeiten<br />
lediglich in Teilzeit, 50 % sogar nur in einem Minijob,<br />
mit dem sich der Bezug von Arbeitslosengeld II, eigenem<br />
Erwerbseinkommen und Freizeit „optimieren“<br />
lässt. Von den Vollzeitbeschäftigten, die ohne Unterhaltsverpflichtung<br />
für eine Familie nur ihren eigenen Lebensunterhalt<br />
erwirtschaften müssen, waren nur 4.100<br />
ganzjährig auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen.<br />
Von allen Vollzeitbeschäftigten sind noch nicht<br />
einmal 0,3 % alleinstehend und beziehen ergänzendes<br />
Arbeitslosengeld II. Die vollbeschäftigten „Aufstocker“<br />
erhalten im Übrigen im Durchschnitt einen Stundenlohn<br />
von rund 10,50 €. Die gesamte Diskussion über<br />
angebliche „Lohndrückerei“ hält keiner faktenbasierten<br />
Prüfung stand. Sie lenkt zudem vom eigentlichen Problem<br />
ab: Von ca. 5 Mio. Arbeitslosengeld-II-Beziehern<br />
geht gerade einmal ein Viertel überhaupt einer Beschäf-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
09<br />
tigung – meist sogar nur einem Minijob – nach. Die<br />
große Masse der erwerbsfähigen Fürsorgeempfänger erwirtschaftet<br />
dagegen keinen einzigen Euro zum eigenen<br />
Lebensunterhalt.<br />
Abbau der Arbeitslosigkeit<br />
verliert an Fahrt<br />
Die Lage am deutschen Arbeitsmarkt hat sich auch<br />
im ersten Halbjahr <strong>2008</strong> insgesamt zwar weiterhin<br />
positiv entwickelt, aber bei gedrosseltem Tempo.<br />
Die Fachkräftenachfrage der Unternehmen lag in<br />
den ersten sechs Monaten weiter auf einem hohen<br />
Niveau und die Zahl der Arbeitslosen erreichte Mitte<br />
des Jahres mit weniger als 3,2 Mio. (Juni <strong>2008</strong>) den<br />
niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Entsprechend hat<br />
sich auch bei der Beschäftigung der positive Entwicklungstrend<br />
vom vergangenen Jahr im ersten Halbjahr<br />
<strong>2008</strong> fortgesetzt. Erstmals in der Geschichte der<br />
Bundesrepublik Deutschland waren in einem April<br />
über 40 Mio. Menschen erwerbstätig, im März rund<br />
27,2 Mio. mit einem sozialversicherungspflichtigen<br />
Job. Besonders große Beschäftigungszuwächse im<br />
Vergleich zum Vorjahr gab es in den Bereichen unternehmensnahe<br />
Dienstleistungen, Gastgewerbe sowie<br />
auch im verarbeitenden Gewerbe. Dies zeigt, dass viele<br />
zuvor vom Arbeitsmarkt ausgeschlossene Menschen<br />
inzwischen vom Aufschwung profitiert und eine neue<br />
Perspektive erhalten haben.<br />
Allerdings verdichteten sich im ersten Halbjahr <strong>2008</strong><br />
auch die Signale, dass sich der positive Trend am Arbeitsmarkt<br />
verlangsamt. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit<br />
gegenüber dem Vorjahr hat sich in der ersten<br />
Jahreshälfte verkleinert – von mehr als 617.000 im Februar<br />
auf rund 529.000 im Mai. Obgleich weiterhin<br />
viele Unternehmen händeringend nach qualifizierten<br />
Fachkräften suchen, erreichte die Zahl der offenen Stellen<br />
insgesamt im ersten Halbjahr <strong>2008</strong> nicht mehr das<br />
hohe Niveau des Vorjahres. Bei den Arbeitsagenturen<br />
Rückgang der Arbeitslosigkeit von jANUAR BIS MAI <strong>2008</strong> (im Vergleich zum Vorjahr)<br />
– 450.000<br />
– 500.000<br />
– 529.000<br />
– 550.000<br />
– 563.000<br />
– 600.000<br />
– 624.000<br />
– 630.000<br />
– 617.000<br />
– 650.000<br />
Januar<br />
Februar März April Mai<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, <strong>2008</strong>
10<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
waren Mitte des Jahres (Mai) gut 12 % weniger offene<br />
Stellen für eine ungeförderte Beschäftigung am ersten<br />
Arbeitsmarkt gemeldet als noch vor einem Jahr.<br />
Leider hat sich auch der Abbau der Arbeitslosigkeit älterer<br />
Arbeitnehmer verlangsamt – bislang hatten gerade Ältere<br />
überproportional vom konjunkturellen Aufschwung<br />
profitiert. Gegen Ende des ersten Halbjahres <strong>2008</strong> ging<br />
die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe der über 55-Jährigen<br />
erstmals seit Monaten nur noch unterdurchschnittlich<br />
zurück. Es ist zu befürchten, dass sich hier schon<br />
die negativen Konsequenzen der Verlängerung des maximalen<br />
Arbeitslosengeldbezugs für ältere Arbeitslose<br />
auf bis zu 24 Monate bemerkbar machen. Sowohl die<br />
Wirtschaftsforschungsinstitute als auch die BDA hatten<br />
vor einer erneuten Verlängerung der Arbeitslosengeldbezugsdauer<br />
gewarnt.<br />
Insgesamt zeigt die Entwicklung am Arbeitsmarkt ganz<br />
deutlich, dass die Politik jetzt zügig ausstehende Reformen<br />
in Angriff nehmen muss, um den Beschäftigungsaufbau<br />
zu stützen, statt mit immer neuen Sozialausgaben<br />
vorgezogene Wahlgeschenke zu verteilen.<br />
Rückfall in alte ausgabenorientierte<br />
Arbeitsmarktpolitik<br />
verhindern<br />
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat in den letzten<br />
Jahren durch ihr neues Steuerungssystem, nach dem<br />
die Mittel in der Arbeitsmarktförderung nach Wirkung<br />
und Wirtschaftlichkeit eingesetzt werden, einen erheblichen<br />
Eigenbeitrag dazu geleistet, den Beitragssatz von<br />
Fachkräfteengpässe führen zu Wohlstandsverlusten<br />
Als hoch entwickeltes Industrieland ist Deutschland in besonderem Maße auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen.<br />
Mit dem konjunkturellen Aufschwung haben sich die Probleme der Unternehmen verschärft, offene<br />
Stellen für qualifizierte Fachkräfte zu besetzen. Damit verbunden sind erhebliche Wohlstandsverluste für die<br />
Gesellschaft insgesamt. Nachdem das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) bereits für das Jahr 2006 einen<br />
gesamtwirtschaftlichen Wohlstandsverlust infolge unfreiwilliger Vakanzen im Bereich hochqualifizierter<br />
Arbeit in Höhe von mindestens 18,5 Mrd. € errechnet hat, geht eine Anfang <strong>2008</strong> veröffentlichte Untersuchung<br />
des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) für das Jahr 2007 von einer Größenordnung von<br />
23 Mrd. € aus.<br />
Besonders gravierend sind die Stellenbesetzungsprobleme im Bereich der Ingenieure. So konnten nach einer Unternehmensumfrage<br />
vom Verband Deutscher Ingenieure (VDI) und dem IW, die im April <strong>2008</strong> vorgestellt wurde,<br />
im Jahr 2007 fast 70.000 Ingenieurstellen nicht besetzt werden. Probleme hatten dabei vor allem Unternehmen der<br />
Maschinen-, Fahrzeugbau- und der Elektroindustrie – hier stuften 75 % der befragten Unternehmen die Verfügbarkeit<br />
an Ingenieuren als „schlecht“ bzw. „sehr schlecht“ ein. Fachkräfteengpässe sind jedoch kein Problem allein<br />
der Industrieunternehmen. Nicht viel besser war die Lage z. B. im Dienstleistungsbereich: Auch hier konnte laut<br />
DIHK 2007 jedes dritte Unternehmen offene Stellen nicht besetzen.<br />
Da unbesetzte Stellen das wirtschaftliche Wachstum bremsen und den Aufschwung gefährden, ist die Politik gefordert,<br />
zügig eine schlüssige Gesamtstrategie zu entwickeln. Neben Verbesserungen im Bildungsbereich und weiteren<br />
Reformen am Arbeitsmarkt, die nicht zuletzt auf eine weitere Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen<br />
und älteren Arbeitnehmern abzielen müssen, ist nach wie vor eine stärker an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes<br />
orientierte Zuwanderung erforderlich.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Fachkräftesicherung“ veröffentlicht. Dieser ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
11<br />
6,5 % (bis 2006) auf aktuell 3,3 % fast zu halbieren. Zu<br />
Recht hat die Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag<br />
2005 versprochen, unwirksame und ineffiziente<br />
Arbeitsförderungsmaßnahmen abzuschaffen und so<br />
sicherzustellen, dass die „Mittel der Beitrags- und Steuerzahler<br />
künftig so effektiv und effizient wie möglich<br />
eingesetzt werden“.<br />
Statt diesen Koalitionsauftrag umzusetzen, droht mit<br />
dem jetzt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
(BMAS) vorgelegten Gesetzentwurf zur „Neuausrichtung<br />
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“<br />
eine Rolle rückwärts in die alte ausgabenorientierte<br />
Arbeitsmarktpolitik. Unter dem Vorwand einer stärkeren<br />
Ausrichtung der BA auf ihren sozialpolitischen<br />
Auftrag, der „einen höheren Stellenwert“ erhalten soll,<br />
stellt das BMAS das erfolgreiche Steuerungssystem der<br />
BA in Frage. Denn mit dem konsequenten Einsatz aller<br />
Fördermaßnahmen nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit<br />
wird auch sichergestellt, dass der sozialpolitische<br />
Auftrag der BA, Menschen wieder in Arbeit zu bringen<br />
und dabei z. B. gerade auch Frauen eine bestmögliche<br />
Unterstützung zu gewähren, in gezielter und optimierter<br />
Weise umgesetzt wird. Ohne eine Steuerung der<br />
Mittel nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit wird nicht<br />
nur der sozialpolitische Auftrag schlecht erfüllt, sondern<br />
es würden auch finanzielle Ressourcen vergeudet<br />
und Beitragszahler über das notwendige Maß hinaus<br />
belastet. Der sozialpolitische Auftrag der BA kann deshalb<br />
nicht durch die Verfolgung pauschaler programmatischer<br />
Ziele, sondern erfolgreich und sinnvoll nur<br />
im Rahmen des jetzigen Steuerungssystems der BA<br />
wahrgenommen werden. Andernfalls droht eine Rückkehr<br />
zur alten haushalterischen Punktlandung, bei der<br />
„Erfolg“ danach bemessen wurde, ob es gelungen war,<br />
die Haushaltsmittel vollständig auszugeben.<br />
Umgesetzt werden sollten diese veränderten Schwerpunkte<br />
in der Arbeitsmarktpolitik nach den ursprünglichen<br />
Vorstellungen des Arbeitsministeriums sogar durch<br />
einseitige eigene Zielvorgaben, wenn eine Zielvereinbarung<br />
mit der BA nicht zustande kommen sollte. Dieser<br />
Versuch, die selbstverwaltete Arbeitslosenversicherung<br />
durch die Ministerialbürokratie des BMAS zu steuern,
12<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
war im Eckpunkteentwurf des Ministeriums enthalten.<br />
Gegen die damit verbundene Zentralisierung und Verstaatlichung<br />
der Arbeitslosenversicherung hat die BDA<br />
intern und öffentlich protestiert, so dass die einseitigen<br />
Zielvorgaben nicht in den Gesetzentwurf übernommen<br />
wurden. Im Kern zeigt sich aber auf allen die BA betreffenden<br />
Feldern (SGB II und SGB III) seit geraumer Zeit<br />
der massive Versuch der Ministerialbürokratie, ihren<br />
Einfluss zu Lasten von Vorstand und Selbstverwaltung<br />
auszuweiten.<br />
Völlig unzureichend bleibt der Ministeriumsentwurf bei<br />
der Umsetzung des Koalitionsauftrages, den für die Vermittler<br />
vor Ort kaum noch überschaubaren Instrumentenkasten<br />
zu vereinfachen und zu verschlanken. Zwar<br />
werden Instrumente der Arbeitsförderung bei Einschaltung<br />
privater Dritter und Instrumente zur Aufnahme<br />
einer Beschäftigung, wie z. B. Bewerbungs- und Umzugskosten,<br />
richtigerweise zusammengefasst. Gleichzeitig<br />
versucht das Bundesarbeitsministerium jedoch,<br />
sich selbst für detaillierte Einzelregelungen gesetzlich<br />
ermächtigen zu lassen. Statt den Arbeitsvermittlern vor<br />
Ort Freiräume für einen effektiven Mitteleinsatz nach<br />
den Erfordernissen des Einzelfalls zu schaffen, hält das<br />
Bundesarbeitsministerium am Prinzip der Einzelinstrumente<br />
fest bzw. versucht sogar, im SGB II heute beste-<br />
Eingliederungsbeitrag statt Aussteuerungsbetrag –<br />
beides ist verfassungswidrig<br />
Im Jahr 2005 hat der Gesetzgeber den sog. Aussteuerungsbetrag eingeführt, durch den die Arbeitslosenversicherung<br />
bei jedem Übertritt aus dem Versicherungssystem in das Fürsorgesystem Arbeitslosengeld II mit pauschal<br />
10.000 € belastet wurde. Bis 2007 hat dies zu einer Gesamtbelastung von rund 10 Mrd. € geführt. Ein<br />
von BDA und DGB beauftragtes Gutachten hat die von Anfang an erhobenen verfassungsrechtlichen Zweifel<br />
an dieser Zweckentfremdung von Beitragsmitteln zu Gunsten des Bundes eindeutig bestätigt. Statt jedoch den<br />
Aussteuerungsbetrag zu beseitigen, hat der Gesetzgeber ihn Anfang <strong>2008</strong> durch den neuen Eingliederungsbeitrag<br />
ersetzt. Mit dem Eingliederungsbeitrag wird die Arbeitslosenversicherung nun hälftig mit den Kosten<br />
für die Arbeitsförderung und Verwaltung im staatlichen Fürsorgesystem Arbeitslosengeld II belastet, allein im<br />
Jahr <strong>2008</strong> mit geplanten 5 Mrd. €. Auch das neue Finanzierungsinstrument des Eingliederungsbeitrags ist verfassungswidrig,<br />
weil Mittel der Beitragszahler zur Finanzierung allgemeiner Staatsausgaben zweckentfremdet<br />
werden. Der Beitragssatz kann bei einer Streichung des Eingliederungsbeitrags sofort um 0,6 Prozentpunkte<br />
gesenkt werden.<br />
BDA und DGB werden einzelnen Beitragszahlern (Arbeitnehmern und Arbeitgebern) empfehlen, gegen den wegen<br />
des Eingliederungsbeitrags überhöhten Arbeitslosenversicherungsbeitrag bei den Sozialgerichten zu klagen. Ziel<br />
dieser Klagen ist es, ein Sozialgericht dazu zu veranlassen, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Eingliederungsbeitrags<br />
unmittelbar gemäß Art. 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen (konkrete Normenkontrolle).<br />
Wegen der Schwere des fortgesetzten Verfassungsverstoßes und weil der Bund mit dem Wechsel vom<br />
Aussteuerungsbetrag zum Eingliederungsbeitrag auf Zeit spielt, lässt die BDA parallel derzeit auch anwaltlich eine<br />
unmittelbare Verfassungsbeschwerde vorbereiten. Zwar wäre mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des<br />
Eingliederungsbeitrags keine automatische Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung verbunden.<br />
Da jedoch anerkannt ist, dass die Beitragszahler nicht mit höheren Abgaben belastet werden dürfen, als dies zur<br />
Erfüllung der Aufgaben zur Arbeitslosenversicherung notwendig ist, besteht dann ein entsprechend hohes Beitragssatzsenkungspotenzial,<br />
das vom Gesetzgeber ausgeschöpft werden muss.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Arbeitslosenversicherung“ veröffentlicht. Dieser ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
13<br />
hende Freiräume wieder zurückzunehmen. Dabei kann<br />
der Arbeitsvermittler den konkreten Förderbedarf im jeweiligen<br />
Einzelfall vor Ort viel besser als der Gesetzgeber<br />
oder die Ministerialbürokratie feststellen.<br />
Arbeitslosengeld II: Kein zentralistisches<br />
„Bundessozialamt“<br />
im Arbeitsministerium<br />
Die von der BDA von Anfang an kritisierte Mischverwaltung<br />
aus Arbeitsagenturen und Kommunen für<br />
die Betreuung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern ist<br />
im Dezember 2007 vom Bundesverfassungsgericht<br />
für verfassungswidrig erklärt worden. Damit ist die<br />
Chance eröffnet, die dringend notwendige Aktivierung<br />
von Langzeitarbeitslosen voranzubringen, indem<br />
die Mischverwaltung abgeschafft und stattdessen der<br />
richtige Gedanke der SGB-II-Reform der „Leistung aus<br />
einer Hand“ in kommunaler Verantwortung organisatorisch<br />
verwirklicht wird.<br />
Stattdessen sieht jedoch der Vorschlag des Bundesarbeitsministers<br />
für sog. Kooperative Jobcenter eine<br />
Fortsetzung der Mischverwaltung in abgewandelter<br />
Form vor – mit Aufwertung des Ministeriums zu einem<br />
faktischen „Bundessozialamt“. Unter neuem Namen<br />
und ohne gesetzliche Grundlage sollen Kommunen und<br />
Arbeitsagenturen zusammenwirken – und dies unter der<br />
Führung eines Geschäftsführers, der von der Arbeitsagentur<br />
gestellt wird. Hinter der Fassade würden sich<br />
die Gewichte danach ganz erheblich zu Gunsten der<br />
Arbeitsagenturen als Teil dieses Bundessozialamtes verschieben.<br />
Denn das Jobcenter wäre vom BMAS über<br />
eine eigens zu schaffende SGB-II-Linie steuerbar. Ein<br />
„Mega-Bundessozialamt mit kommunaler Beteiligung“<br />
lehnt die Wirtschaft in Übereinstimmung mit allen Bundesländern<br />
entschieden ab.<br />
In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die vier<br />
Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft BDA, BDI,<br />
DIHK und ZDH dies kritisiert und sich für eine einheitliche<br />
Übertragung der Arbeitslosengeld-II-Ausführung<br />
auf die Kommunen ausgesprochen. Nur so können Reibungsverluste<br />
und „organisierte Verantwortungslosigkeit“<br />
vermieden werden. Die ganzheitliche Unterstützung von<br />
Menschen, die oft mit Schulden, familiären, gesundheitlichen<br />
und anderen Problemen zu kämpfen haben und<br />
nicht selten seit Jahren keiner geregelten Arbeit nachgegangen<br />
sind, ist eine ureigene Aufgabe der kommunalen<br />
Gemeinschaft und kann am besten dort erledigt werden.<br />
Hier lenkt inzwischen auch das BMAS ein, das nun insbesondere<br />
für arbeitsmarktferne Personen ein „kommunales<br />
Fallmanagement“ mit sozialintegrativen und beschäftigungsfördernden<br />
Maßnahmen vorschlägt.<br />
Unverzichtbar für eine gute Aufgabenerledigung ist dabei,<br />
dass auch im Bereich der Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld<br />
II vollständige Transparenz, eine Steuerung der<br />
Fördermaßnahmen nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit<br />
sowie nicht zuletzt ein finanzielles Eigeninteresse der
14<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Kommunen an einer guten Leistung hergestellt werden.<br />
Auch die Länder haben den Vorstoß des Bundesarbeitsministers<br />
für eine handstreichartige Übernahme einer<br />
kommunalen Kernaufgabe geschlossen abgelehnt. Die<br />
Stellungnahme der Länder hat allerdings auch deutlich<br />
gemacht, dass Knackpunkt jeder Organisationsreform die<br />
Finanzierungsfrage ist. Es wäre unverantwortlich, wenn<br />
die von allen Beteiligten als richtig erkannte „Leistung aus<br />
einer Hand“ an der Finanzierungsfrage scheiterte. Der<br />
Bund muss weiterhin seine Finanzierungsverantwortung<br />
für die Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II wahrnehmen.<br />
Zugleich muss bei einer Übertragung auf die Kommunen<br />
aber auch ein finanzielles Eigeninteresse hergestellt werden,<br />
womit ein begrenztes, überschaubares finanzielles<br />
Risiko, aber auch die Chance auf eine finanzielle Besserstellung<br />
bei gutem Wirtschaften verbunden ist. In den<br />
anstehenden Gesprächen zwischen Bund, Ländern und<br />
Kommunen über die zukünftige Organisation der Arbeitslosengeld-II-Verwaltung<br />
sollten in jedem Fall die 69 Optionskommunen,<br />
die bereits heute die gesamte Aufgabe<br />
Arbeitslosengeld II einheitlich ausführen, auf eine dauerhafte<br />
gesetzliche Grundlage gestellt und die Option den<br />
Kommunen generell geöffnet werden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Arbeitslosengeld<br />
II“ veröffentlicht. Dieser ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
„Aufstocker“-Zahlen kein<br />
Argument für Mindestlöhne<br />
Während sich die Lage am Arbeitsmarkt insgesamt auch<br />
im ersten Halbjahr <strong>2008</strong> erfreulich positiv entwickelt hat,<br />
kommt der Abbau der Arbeitslosigkeit im Bereich der Fürsorgeleistung<br />
Arbeitslosengeld II nur schleppend voran:<br />
Die Zahl der arbeitslosen Hilfeempfänger lag mit über<br />
2,3 Mio. im Mai <strong>2008</strong> gerade einmal um 10 % unter dem<br />
Niveau des Vorjahres, bei den Arbeitslosengeldempfängern<br />
ging die Arbeitslosigkeit hingegen im gleichen Zeitraum<br />
um 22 % zurück und sank zuletzt unter die Marke<br />
von 1 Mio. Damit verharrt der Anteil der Arbeitslosengeld-II-Bezieher<br />
an allen Arbeitslosen weiter bei über<br />
70 %. Rund die Hälfte von ihnen hat keine abgeschlossene<br />
Berufsausbildung und zählt somit zu den gering Qualifizierten.<br />
Es ist offensichtlich, dass für einen Großteil dieser<br />
Arbeitslosen der (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt<br />
nur über eine einfache, entsprechend geringer entlohnte<br />
Tätigkeit gelingen kann, dem dann der Aufstieg durch<br />
Qualifikation folgen soll. Um gerade Un- und Angelernten<br />
die Rückkehr in Beschäftigung zu erleichtern, hat sich<br />
das Anfang 2005 eingeführte Kombi-Einkommen aus eigenem<br />
Erwerbseinkommen und ergänzender staatlicher<br />
Fürsorgeleistung als hilfreich erwiesen. Es stellt sicher,<br />
dass auch bei einem geringen Erwerbseinkommen aus<br />
einer einfachen Tätigkeit letztlich immer ein existenzsicherndes<br />
Gesamteinkommen erreicht wird. Inzwischen<br />
gibt es rund 1,3 Mio. „Aufstocker“, die zusätzlich zum<br />
Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II erhalten (letzte<br />
verfügbare Daten für Januar <strong>2008</strong>).<br />
Bedenklich ist, dass in der anhaltenden Mindestlohndebatte<br />
die vom Ansatz her richtige, bedürftigkeitsorientierte<br />
Kombi-Einkommens-Regelung immer wieder als Instrument<br />
zur angeblichen „Lohndrückerei“ diffamiert wird.<br />
Das in diesem Zusammenhang beharrlich wiederholte Argument,<br />
immer mehr Menschen wären wegen „Hartz IV“<br />
arm trotz Arbeit, ist geradezu absurd und entpuppt sich<br />
bei genauerem Hinsehen als haltlos: Von 1,3 Mio. „Aufstockern“<br />
ist fast niemand wegen eines extrem niedrigen<br />
Arbeitslohnes bedürftig. Zentrale Ursache für den ergänzenden<br />
Fürsorgebezug sind vor allem die geringe Arbeitszeit<br />
sowie Unterhaltspflichten für die Familie – rund<br />
70 % der „Aufstocker“ haben nur einen Minijob oder sind<br />
teilzeitbeschäftigt. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten<br />
ist nach den letzten Daten der BA hingegen inzwischen<br />
sogar rückläufig. Nach Erkenntnissen der BA steigen seit<br />
Herbst 2007 die „Aufstocker“-Zahlen nur noch bei Minijobbern<br />
und anderen Teilzeitbeschäftigten weiter an. Viele<br />
Erwerbstätige sind bedürftig, weil sie als Alleinverdiener<br />
einen Haushalt versorgen müssen. Fast drei Viertel der<br />
„Aufstocker“ mit einem Vollzeitjob leben nach Erhebungen<br />
der BA in Mehrpersonenhaushalten, viele von ihnen<br />
mit Kindern. Die familiäre Situation des Arbeitnehmers ist<br />
für das Gesamteinkommen zu berücksichtigen, nicht aber<br />
für den Lohn. Über den Lohn entscheidet die Produktivität<br />
der Tätigkeit. Die Familienförderung für ein existenzsicherndes<br />
Gesamteinkommen ist und bleibt hingegen<br />
originäre staatliche Aufgabe. Zumal bei einem Alleinverdiener<br />
wegen des familiär bedingten höheren Grundbedarfs<br />
selbst Stundenlöhne weit oberhalb der von den<br />
Gewerkschaften geforderten 7,50 € oft nicht ausreichen,<br />
um aus dem Kreis der „Aufstocker“ herauszufallen. Man<br />
stelle sich vor: Ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei<br />
Kindern über 14 Jahren und durchschnittlichen Unter-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
15<br />
kunftskosten wäre ohne jede Qualifikation bzw. in einer<br />
sehr einfachen Tätigkeit und müsste trotzdem mindestens<br />
13 € brutto pro Stunde (40-Stunden-Woche) verdienen,<br />
weil er nur dann den Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld<br />
II vollständig verlieren würde. Ein solcher Mensch<br />
bliebe dauerhaft arbeitslos.<br />
Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) zum Lohnniveau von „Aufstockern“<br />
belegen entsprechend auch, dass der Vorwurf des<br />
„Lohndumpings“ vor allem bei vollzeiterwerbstätigen<br />
„Aufstockern“ geradezu absurd ist: Diese haben einen<br />
durchschnittlichen Stundenlohn von über 10 €. Hinzu<br />
kommt, dass nur ein geringer Teil der „Aufstocker“ längerfristig<br />
ergänzende Leistungen erhält. Untersuchungen<br />
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)<br />
zeigen, dass im Jahr 2005 weniger als 63.000 Vollzeitbeschäftigte<br />
das ganze Jahr über ergänzend Arbeitslosengeld<br />
II bezogen haben, lediglich 4.100 von ihnen<br />
waren Alleinstehende. Die Mehrheit der erwerbstätigen<br />
Hilfebezieher überwindet also den Leistungsbezug bereits<br />
nach kurzer Zeit – vor allem, wenn sie einen Vollzeitjob<br />
annehmen: Nach zehn Monaten haben bereits<br />
fast zwei Drittel der vollzeitbeschäftigten „Aufstocker“<br />
den Ausstieg aus der Hilfebedürftigkeit geschafft.<br />
Insgesamt zeigt sich: Dass Erwerbstätige ergänzend<br />
zum Arbeitseinkommen staatliche Leistungen beziehen,<br />
ist kein Indiz für ein Problem von „working poor“ in<br />
Deutschland und auch als Kronzeuge der Befürworter<br />
gesetzlicher Mindestlöhne ist die Zahl der „Aufstocker“<br />
völlig ungeeignet. Notwendig sind gerade nicht beschäftigungsschädliche<br />
gesetzliche Mindestlöhne und<br />
weitere Regulierungen im Bereich einfacher Arbeit, die<br />
Beschäftigungsperspektiven gerade für geringer Qualifizierte<br />
und Langzeitarbeitslose vernichten, sondern eine<br />
bessere Erschließung von Beschäftigungspotenzialen in<br />
diesem Bereich und nicht zuletzt eine bessere Aktivierung<br />
und Vermittlung arbeitsloser Fürsorgeempfänger.<br />
Dazu gehört auch eine konsequente Weiterentwicklung<br />
der im Kern richtigen Kombi-Einkommens-Regelung.<br />
Gesetzliche Fehlanreize, die es derzeit oft attraktiv machen,<br />
sich mit einem kleinen „Hinzuverdienst“ dauerhaft<br />
im Bezug staatlicher Fürsorgeleistungen einzurichten<br />
– der extrem hohe Anteil an „Aufstockern“ mit<br />
Mini- bzw. Teilzeitjob ist hierfür bezeichnend –, müssen<br />
endlich beseitigt werden. Die BDA fordert dazu seit<br />
langem, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen,<br />
bis zu 200 € eigenes Bruttoerwerbseinkommen künftig<br />
voll auf die Fürsorgeleistung anzurechnen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Kombi-<br />
Einkommen“ und den kompakt „Mindestlohn“ sowie die<br />
argumente „Mindesteinkommen statt Mindestlohn“ und<br />
„Niedriglohnbereich: Sprungbrett in Beschäftigung“ veröffentlicht.<br />
Diese sind über www.bda-online.de abrufbar.<br />
Ganzjährige „Aufstocker“<br />
62.800 Vollzeitbeschäftigte<br />
4.100 Alleinstehende<br />
5.600 Alleinerziehende<br />
mit Kindern unter 18 Jahren<br />
19.700 Paare ohne Kinder<br />
241.500 Sonstige<br />
(Teilzeitbeschäftigte,<br />
Minijobber etc.)<br />
33.400 Paare mit Kindern<br />
unter 18 Jahren<br />
Quelle: IAB, 2005<br />
304.300 Gesamt<br />
62.800 Vollzeitbeschäftigte
16<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Zuwanderung: Deutschland<br />
bleibt auf der Bremse<br />
Deutschland steht in Sachen Zuwanderung weiterhin<br />
auf der Bremse und verspielt damit wichtige Chancen<br />
im internationalen Wettbewerb um die „besten Köpfe“.<br />
Anders als auf der Klausur der Bundesregierung im August<br />
2007 in Meseberg vereinbart, sind keine ernsten<br />
politischen Initiativen der Bundesregierung erkennbar,<br />
das geplante Konzept für eine „arbeitsmarktadäquate<br />
Zuwanderung“ jetzt schnell umzusetzen. Im deutschen<br />
Bundestag ist eine Initiative der FDP-Fraktion zur Einführung<br />
eines Punktesystems für die Steuerung der Zuwanderung<br />
qualifizierter Fachkräfte leider auf Ablehnung<br />
aus dem Regierungslager gestoßen.<br />
Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern – neuerdings<br />
auch Frankreich, das seinen Arbeitsmarkt jetzt umfassend<br />
für Arbeitnehmer aus den der EU 2004 beigetretenen<br />
Staaten öffnen will – will die Koalition leider an<br />
ihrem in Europa zunehmend isolierten Kurs festhalten:<br />
Die vorhandenen weitgehenden Beschränkungen auch<br />
für die dritte und letzte Phase des Übergangs sollen offensichtlich<br />
bis 2011 aufrechterhalten werden. Damit<br />
würde die Koalition es nicht nur versäumen, die jetzige<br />
gute Arbeitsmarktlage mit wachsenden zum Teil ungedeckten<br />
Fachkräftebedarfen für die grundsätzliche Öffnung<br />
des Arbeitsmarktes zu nutzen, sondern auch jeden<br />
Spielraum in der Gestaltung eines pragmatischen Übergangs<br />
zur vollen Freizügigkeit aufgeben. Denn zum<br />
Ende der dritten Phase, im Mai 2011, muss der Arbeitsmarkt<br />
bedingungslos für Arbeitnehmer aus den neuen<br />
EU-Mitgliedstaaten – mit Ausnahme von Rumänien und<br />
Bulgarien – geöffnet werden. Die BDA wird deshalb in<br />
der politischen Diskussion weiterhin auf die Schädlichkeit<br />
für unsere wirtschaftliche und soziale Entwicklung<br />
einer derartigen passiven Politik hinweisen.<br />
Zur Verbesserung des Personalaustausches in international<br />
tätigen Unternehmen mit deutscher Beteiligung<br />
wird die BDA einen eigenen Gesetzesvorschlag vorlegen.<br />
Damit soll verhindert werden, dass Projekte<br />
und Aktivitäten global agierender Unternehmen aus<br />
Deutschland weg ins Ausland verlagert werden, weil<br />
es leichter ist, Deutsche für Kurzzeitprojekte ins Ausland<br />
zu bringen, als Ausländer nach Deutschland zu<br />
holen. Der Gesetzesvorschlag sieht – ähnlich dem<br />
US-amerikanischen Modell der Blanket-Petition – die<br />
Möglichkeit eines vereinfachten, beschleunigten Verfahrens<br />
vor. Dabei soll durch die Erteilung einer Vorabgenehmigung<br />
für die Beschäftigung aller im Rahmen<br />
des internationalen Personalaustausches beschäftigten<br />
ausländischen Mitarbeiter eine erhebliche Verfahrens-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
17<br />
straffung erreicht werden. Im Gegenzug muss das Unternehmen<br />
versichern, dass es notfalls für Lebensunterhalt<br />
und Krankenversicherung während der Dauer<br />
des Aufenthaltes der ausländischen Arbeitnehmer einschließlich<br />
der eventuell anfallenden Rückführungskosten<br />
aufkommt.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Zuwanderung“<br />
und den kompakt „Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
für die EU-8-Staaten“ veröffentlicht. Diese sind über<br />
www.bda- online.de abrufbar.<br />
Auch aus der Sicht anerkannter Arbeitswissenschaftler<br />
ist die Aussagefähigkeit des DGB-Index stark in Zweifel<br />
zu ziehen. So scheidet eine betriebliche Anwendung zur<br />
Erfassung des angeblichen Bedarfs bei der Verbesserung<br />
der Arbeitssituation schon deshalb aus, weil auch Sachverhalte<br />
abgefragt werden, die im Wesentlichen nicht<br />
oder nicht allein im Einflussbereich des Unternehmens<br />
liegen, wie z. B. die subjektiv empfundene Angst des<br />
Einzelnen bezüglich der eigenen beruflichen Zukunft.<br />
Die unternehmensrelevante Aussagekraft des Index tendiert<br />
daher gegen null.<br />
Arbeitswirklichkeit in Deutschland<br />
widerlegt DGB-Index<br />
„Gute Arbeit“<br />
Der Begriff „Gute Arbeit“ ist derzeit ein Schwerpunkt gewerkschaftlicher<br />
Aktivitäten und wird u. a. als Argument<br />
für Mindestlöhne, (noch) mehr Mitbestimmung oder für<br />
eine weitgehende gesetzliche Regulierung von Praktika<br />
herangezogen. Der DGB beauftragte das Internationale<br />
Institut für empirische Sozialökonomie (INIFES) mit der<br />
Entwicklung des Index „Gute Arbeit“, um die Einkommens-<br />
und Arbeitsbedingungen in Deutschland zu messen.<br />
INIFES kam für das Jahr 2007 zu dem zweifelhaften<br />
Ergebnis, dass die Arbeit in Deutschland nach DGB-<br />
Maßstab mehrheitlich „mittelmäßig bis schlecht“ sei.<br />
Tatsächlich sind die Arbeitsbedingungen in Deutschland<br />
gut und haben sich stetig verbessert. So wird laut<br />
einer aktuellen Studie des BMAS zum Thema „Unternehmenskultur,<br />
Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement“<br />
(2007) die Arbeitszufriedenheit von den Beschäftigten<br />
in den Unternehmen mehrheitlich positiv<br />
bewertet. Zwei Drittel der Befragten stimmten darüber<br />
hinaus der Aussage „Alles in allem kann ich sagen, dies<br />
hier ist ein sehr guter Arbeitsplatz“ überwiegend zu.<br />
Schlussendlich gaben ebenfalls 77 % der Befragten hinsichtlich<br />
des Mitarbeiterengagements an, dass sie noch<br />
mindesten fünf Jahre bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber<br />
bleiben wollen. Ähnlich Positives bestätigen auch andere<br />
Studien und ermitteln für Deutschland im internationalen<br />
Vergleich Spitzenwerte bei der Zufriedenheit mit<br />
den Arbeitsinhalten oder der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit.<br />
Damit erweisen sich die Ergebnisse des DGB-Index als<br />
ein Zerrbild der Arbeitswirklichkeit in Deutschland.<br />
Der Begriff „Gute Arbeit“ prägt darüber hinaus auch<br />
die Phantomdiskussion über die angebliche „Generation<br />
Praktikum“. Die im April <strong>2008</strong> veröffentlichte<br />
Studie „Was ist gute Arbeit? Anforderungen an den Berufseinstieg“<br />
des BMAS (durchgeführt wiederum von<br />
INIFES) versucht die Situation junger Berufseinsteiger<br />
mit abgeschlossener Berufsausbildung abzubilden. Die<br />
Erfahrungen der Berufseinsteiger mit Praktika werden<br />
dabei als Begründung für gesetzlichen Regulierungsbedarf<br />
herangezogen, um die angeblich „prekäre“ Situation<br />
der „Generation Praktikum“ zu verbessern. Auch<br />
hier stellt sich die tatsächliche Situation aber anders<br />
dar als behauptet: Nicht etwa eine ganze Generation,<br />
sondern lediglich jeder Fünfte zwischen 18 und 34 Jahren<br />
hat nach der Ausbildung überhaupt ein Praktikum<br />
absolviert. Praktika nach der Ausbildung sind also<br />
kein Massenphänomen, langfristige Praktika oder gar<br />
„Praktikumskarrieren“ die große Ausnahme. Dementsprechend<br />
stellte schon 2007 die mit ca. 12.000 Befragten<br />
bis heute empirisch bedeutendste Studie „Generation<br />
Praktikum – Mythos oder Massenphänomen?“<br />
der Hochschul-Informations-Systeme GmbH (HIS) abschließend<br />
fest, dass „die Bewertung des Praktikums<br />
nach dem Studium im Wesentlichen positiv ausfällt<br />
und die Absolventen das Praktikum nicht als Ausbeutung<br />
empfunden haben“. Gesetzliche Regulierungen<br />
von Praktika wären daher fehl am Platz. Bürokratische<br />
Anforderungen würden im Gegenteil die Bereitschaft<br />
der Unternehmen schwächen, Praktika anzubieten,<br />
und gingen im Zweifel vor allem zu Lasten derjenigen,<br />
die für eine berufliche Entwicklung am dringendsten<br />
auf ein Praktikum angewiesen sind.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Praktika in<br />
der Wirtschaft“ veröffentlicht. Dieser ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
19<br />
Individualarbeitsrecht ■ Arbeitsrecht<br />
in der EU ■ Betriebsverfassungsgesetz<br />
■ Mitbestimmung ■ Unternehmensmitbestimmung<br />
■ Antidiskriminierung<br />
■ Arbeitszeitflexibilisierung ■ Mitbestimmung<br />
■ Betriebsübergang ■ Befristung<br />
■ Entgeltfortzahlung ■ Arbeitnehmererfindungsrecht<br />
ARBEITSRECHT ■ Kündigungsschutz<br />
■ Tarifrecht ■ Tarifvertragsrecht ■ Arbeitnehmerdatenschutz<br />
■ Tarifverhandlungsrecht<br />
■ Streik- und Arbeitskampfrecht<br />
■ Arbeitsrechtliche Richtlinien<br />
■ Bürokratieabbau in der Sozialpolitik<br />
■ Tarifrecht ■ Mitbestimmung ■ Individualarbeitsrecht<br />
■ Arbeitsrecht in der EU<br />
■ Betriebsverfassungsgesetz ■ Unternehmensmitbestimmung<br />
■ Antidiskriminierung<br />
■ Arbeitszeitflexibilisierung<br />
■ Betriebsübergang ■ Kündigungsschutz<br />
■ Befristung ■ Urlaub ■ Entgeltfortzahlung<br />
■ Tarifverhandlungsrecht ■ Streikund<br />
Arbeitskampfrecht ■ Arbeitsrechtliche<br />
Richtlinien ■ Bürokratieabbau in der<br />
Sozialpolitik ■ Individualarbeitsrecht<br />
■ Tarifrecht ■ Mitbestimmung ■ Arbeitsrecht<br />
in der EU ■ Betriebsverfassungsgesetz<br />
■ Unternehmensmitbestimmung<br />
■ Gesellschaftsrecht ■ Antidiskriminierung<br />
■ Betriebsübergang ■ Kündigungsschutz<br />
■ Befristung ■ Entgeltfortzahlung<br />
■ Arbeitnehmererfindungsrecht<br />
■ Arbeitnehmerdatenschutz ■ Tarifrecht<br />
■ Tarifvertragsrecht ■ Tarifverhandlungsrecht<br />
■ Streik- und Arbeitskampfrecht<br />
■ Bürokratieabbau in der Sozialpolitik<br />
■ Unternehmensmitbestimmung<br />
■ Tarifrecht ■ Arbeitsrecht in der EU<br />
■ Betriebsverfassungsgesetz ■ Gesellschaftsrecht<br />
■ Arbeitsrechtliche Richtlinien<br />
■ Antidiskriminierung ■ Arbeitszeitflexibilisierung<br />
■ Betriebsübergang<br />
■ Kündigungsschutz ■ Entgeltfortzahlung<br />
■ Arbeitnehmererfindungsrecht<br />
■ Befristung ■ Tarifrecht ■ Tarifvertragsrecht<br />
■ Arbeitnehmerdatenschutz ■ Arbeitsrecht<br />
■ Tarifverhandlungsrecht<br />
■ Arbeitsrecht ■ Individualarbeitsrecht<br />
■ Arbeitsrechtliche Richtlinien ■ Bürokratieabbau<br />
in der Sozialpolitik<br />
■ Tarifrecht ■ Mitbestimmung ■ Arbeitsrecht<br />
in der EU ■ Betriebsverfassungsgesetz<br />
■ Tarifrecht ■ Gesellschaftsrecht<br />
■ Befristung ■ Antidiskriminierung<br />
■ Arbeitszeitflexibilisierung ■ Betriebsübergang<br />
■ Kündigungsschutz ■ Befristung<br />
■ Streik- und Arbeitskampfrecht<br />
■ Tarifverhandlungsrecht ■ Streik- und<br />
Arbeitskampfrecht ■ Individualarbeitsrecht<br />
■ Tarifrecht ■ Mitbestimmung<br />
■ Arbeitsrecht ■ Individualarbeitsrecht
20<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Für eine neue<br />
Arbeitsmarktordnung<br />
Das deutsche Arbeitsrecht ist mittlerweile ein verschachteltes<br />
hochkomplexes System, das trotz einer<br />
Vielzahl von teils unsystematischen, sich teils sogar<br />
widersprechenden Regelungen ganz sicher eines nicht<br />
mehr garantiert: Beschäftigungssicherheit. Seine Unübersichtlichkeit,<br />
die von der Rechtsprechung vielfach<br />
noch gefördert statt eingedämmt wird, hat sich zum Beschäftigungshindernis<br />
entwickelt. Mit der Arbeit unserer<br />
Kommission „Für eine neue Arbeitsmarktordnung“<br />
wollen wir daher Wege aus dem komplexen artifiziellen<br />
System des Arbeitsrechts schaffen.<br />
Beschäftigungshemmnisse abzubauen und einen neuen<br />
Rechtsrahmen im Individualarbeitsrecht zu begründen.<br />
Vor dem Hintergrund anderer kontinentaler Rechtsordnungen,<br />
wie z. B. der dänischen oder österreichischen,<br />
werden wir neue Wege für das deutsche Arbeitsrecht<br />
prüfen und auf dieser Grundlage Vorschläge für einen<br />
ganzheitlichen neuen Ansatz ausarbeiten.<br />
Eine Kodifikation des Arbeitsrechts kann ein Element<br />
einer neuen, modernen Arbeitsmarktordnung sein. Der<br />
dritte Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes<br />
im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ist – trotz eines beachtlichen<br />
wissenschaftlichen Ansatzes – in seiner vorliegenden<br />
Fassung zurzeit allerdings nicht geeignet, das<br />
deutsche Arbeitsrecht zukunftsfähig zu machen.<br />
Mit der Arbeit unserer Kommission wollen wir gemeinsam<br />
mit unseren Mitgliedern die notwendigen Bausteine<br />
definieren, die für ein modernes Individualarbeitsrecht<br />
konstitutiv sind. Unser Ziel ist ein Arbeitsrecht, das den<br />
Anforderungen einer extrem arbeitsteiligen, im globalen<br />
Wettbewerb stehenden Wirtschaft genügt. Ein solches<br />
Arbeitsrecht muss ein Höchstmaß an Rechtssicherheit<br />
und Kalkulierbarkeit sicherstellen. Wir wollen vor dem<br />
Hintergrund auch der europäischen Debatte über den<br />
Kunstbegriff „Flexicurity“ die notwendige Flexibilität<br />
im Arbeitsrecht schaffen, um mehr Beschäftigungssicherheit<br />
zu garantieren. Dies setzt voraus, bestehende<br />
So bleibt z. B. die Schwelle für die Anwendbarkeit<br />
kündigungsschutzrechtlicher Regelungen identisch,<br />
allerdings wird die Bezugsgröße geändert. Nicht mehr<br />
der Betrieb ist die maßgebliche Einheit, sondern das<br />
Unternehmen. Diese Änderung der Bezugsgröße führt<br />
zu einer Ausdehnung der Anwendbarkeit kündigungsschutzrechtlicher<br />
Regelungen. Noch schwerer wiegt<br />
die Einführung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />
für Kündigungen, die während der Wartezeit ausgesprochen<br />
werden. Nach dem Entwurf ist eine solche<br />
Kündigung unwirksam, wenn die Kündigung durch<br />
eine gleich geeignete, für den Arbeitnehmer mildere
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
21<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA vom 7. April <strong>2008</strong><br />
Arbeitsvertragsgesetz muss Beschäftigungshemmnisse abbauen!<br />
Das deutsche Arbeitsrecht ist unübersichtlich, überreguliert und beschäftigungsfeindlich. Mangelnde Vorhersehbarkeit<br />
von Gerichtsentscheidungen und die Sprunghaftigkeit in der Gesetzgebung führen zu Rechtsunsicherheit<br />
und Unkalkulierbarkeit.<br />
Die BDA fordert daher eine grundlegende Reform der Arbeitsmarktordnung. Notwendig ist ein Arbeitsrecht, das<br />
Beschäftigungshemmnisse abbaut, indem es Rechtsklarheit garantiert und Vorhersehbarkeit schafft. Ein Beitrag<br />
hierzu kann ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetz sein.<br />
Der im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von den Professoren Preis und Henssler vorgelegte Entwurf für ein Arbeitsvertragsgesetz<br />
ist in der derzeitigen Fassung als Grundlage für ein Gesetzgebungsverfahren nicht geeignet.<br />
Bei seiner Umsetzung würde es – insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes – zu weiteren Verschärfungen<br />
des Arbeitsrechts kommen. An anderen für das Arbeitsrecht wesentlichen Stellen käme es nicht zu der<br />
notwendigen Verbesserung und Modernisierung, sondern allenfalls zu einem Festhalten am Status quo. Darüber<br />
hinaus führt der Entwurf zwangsläufig viele neue unbestimmte Rechtsbegriffe ein, die zu neuer Rechtsunsicherheit<br />
und Rechtsstreitigkeiten über Jahre führen würden. Es bedarf deshalb noch vielfältiger Vorarbeiten, um den<br />
Entwurf fortzuentwickeln.<br />
Das Präsidium der BDA ist deswegen der Auffassung, dass die vom Bundesarbeitsminister in der Präsidiumssitzung<br />
der BDA vom 28. Januar <strong>2008</strong> vorgeschlagene Verfahrensweise, nach Konsensgesprächen zwischen BDA und<br />
DGB kurzfristig ein Gesetzgebungsverfahren auf der Grundlage des vorhandenen Diskussionsentwurfes in Gang<br />
zu setzen, nicht zielführend ist.<br />
Die BDA hat zu den bisherigen Diskussionsentwürfen für ein Arbeitsvertragsgesetz umfassend Stellung genommen.<br />
Sie wird sich an dem Diskussionsprozess weiter konstruktiv beteiligen und Vorschläge für eine Modernisierung des<br />
Arbeitsrechts vorlegen.<br />
Maßnahme vermieden werden kann. Dadurch werden<br />
Kündigungen in der Probezeit mit einem unnötigen Risiko<br />
versehen, obwohl es insbesondere in der Probezeit<br />
für Arbeitsvertragsparteien wichtig ist, sich problemlos<br />
voneinander trennen zu können.<br />
Zur Begründung der Verschlechterung im Beendigungsrecht<br />
wird offiziell die Steigerung der sog. Binnenbeweglichkeit<br />
angeführt, da im Entwurf neue Regelungen<br />
zu Widerrufs- und Freiwilligkeitsvorbehalten entwickelt<br />
werden. Diese sind allerdings nicht zielführend.<br />
Die häufig in Arbeitsverträgen zu findende Regelung,<br />
dass eine Sonderzahlung eine freiwillige Leistung ist,<br />
die eingestellt werden kann, wäre bei Umsetzung des<br />
Entwurfes nicht mehr sinnvoll einzusetzen. Eine solche<br />
Regelung wäre nur als Widerrufsvorbehalt möglich mit<br />
der Folge, dass die strengeren Voraussetzungen des Widerrufsvorbehaltes<br />
auf solche Konstellationen, insbesondere<br />
auf Sondervergütungen wie das Weihnachtsgeld,<br />
Anwendung finden. Es kommt mithin zu einer Vereinheitlichung<br />
von Widerrufs- und Freiwilligkeitsvorbehalt<br />
zu Lasten des Freiwilligkeitsvorbehalts.<br />
Die BDA beteiligt sich seit dem Beginn der Diskussion<br />
über die Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts an der<br />
Auseinandersetzung und hat umfassende Stellungnahmen<br />
ausgearbeitet. Mit unserem Konzept für eine neue<br />
Arbeitsmarktordnung werden wir Alternativen vorlegen,<br />
wie das deutsche Arbeitsrecht beschäftigungsfördernd<br />
kodifiziert werden kann.
22<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Attraktivität von Langzeitarbeitszeitkonten<br />
erhalten<br />
und Arbeitszeitflexibilisierung<br />
unangetastet lassen<br />
ein bestehender Insolvenzschutz nur mit schriftlicher<br />
Zustimmung aller Arbeitnehmer auf einen anderen Träger<br />
der Insolvenzsicherung übertragen werden können.<br />
Diese Regelung ist bei großen Teilnehmerzahlen nicht<br />
praktikabel.<br />
Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
am 30. Mai vorgelegte Referentenentwurf eines „Gesetzes<br />
zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der<br />
sozial rechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen“<br />
macht die Einrichtung von Arbeitszeitkonten<br />
durch neue gesetzliche Belastungen unattraktiv.<br />
Das Wort im Titel des Gesetzentwurfs „sozialrechtlich“<br />
täuscht über seinen wirklichen Inhalt hinweg.<br />
Durch die geplanten Änderungen im SGB IV würden arbeitsrechtliche<br />
Abreden beeinträchtigt und ausgehebelt<br />
werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden in der<br />
Gestaltung ihrer vertraglichen Vereinbarungen zu Langund<br />
Lebensarbeitszeitkonten erheblich eingeschränkt.<br />
Die Einrichtung dieser Konten würde durch zahlreiche<br />
zusätzliche Regulierungen unattraktiv, bürokratisch<br />
und kostenintensiv. Viele fragwürdige Regelungsvorschläge<br />
machen das Gesetz schwer verständlich und<br />
verursachen Rechtsunsicherheit. Es sind z. B. Einschränkungen<br />
vorgesehen, die die Anlage- und Sicherungsmöglichkeiten<br />
beschränken würden. Attraktive Wertentwicklungen,<br />
die auch für den Arbeitnehmer von großer<br />
Bedeutung sind, sind – außer in den Fällen, in denen das<br />
Konto allein für eine ruhestandsnahe Freistellung verwendet<br />
wird – praktisch ausgeschlossen. Außerdem soll<br />
Geplante Gesetzesänderungen<br />
sind mittelstandsfeindlich<br />
Nur unbürokratische und flexible Lösungen machen Arbeitszeitflexibilisierung<br />
auch für Klein- und Mittelbetriebe<br />
handhabbar. Arbeitszeitkonten unterliegen deshalb erst<br />
ab einer bestimmten zeitlichen Dauer und einer bestimmten<br />
Größe des Wertguthabens einer gesetzlichen Insolvenzsicherungspflicht.<br />
Die geplanten Regelungen eignen<br />
sich keinesfalls zur Umsetzung in der Praxis, schon gar<br />
nicht in kleinen und mittleren Unternehmen. Dies wird<br />
schon aus dem Umfang der neuen Normen deutlich,<br />
die in Zukunft annähernd drei maschinenschriftliche<br />
DIN-A4-Seiten umfassen werden. Mittelstandsfeindlich<br />
ist insbesondere auch die geplante Regelung, nach der<br />
der Arbeitgeber das Wertguthaben getrennt vom Betriebs-<br />
und Anlagevermögen führen muss. Der Arbeitgeber<br />
müsste das Wertguthaben immer ausfinanzieren, also<br />
auf einen externen Dritten übertragen. Folglich kommt es<br />
zu einem Liquiditätsabfluss im Unternehmen. Der Erhalt<br />
der liquiden Mittel ist aber gerade für den Mittelstand von<br />
entscheidender Bedeutung. Die Pflicht zur Trennung vom<br />
Arbeitgebervermögen hätte außerdem zur Folge, dass die<br />
Absicherung des Wertguthabens durch die in der Praxis<br />
oft genutzte Bankbürgschaft faktisch unmöglich wird.<br />
Hauptkritikpunkte am 2. referentenentwurf zu arbeitszeitkonten:<br />
•Die Wertguthabendefinition führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit bei der Arbeitszeitflexibilisierung.<br />
•Aus Sicht der betrieblichen Praxis gibt es keinen Grund, die Pflicht zur Führung von Wertguthaben in Entgelt<br />
einzuführen. Diese greift in die Gestaltungsfreiheit der Betriebe ein.<br />
•Die Pflicht des Arbeitgebers zur Trennung des Wertguthabens vom Betriebsvermögen ist mittelstandsfeindlich.<br />
•Die Beschränkung der Anlage des Wertguthabens in Aktien und Aktienfonds auf 20 % ist kontraproduktiv für die<br />
Akzeptanz von Langzeitkonten bei den Beschäftigten.<br />
•Es gibt keinen praktischen Bedarf für die Zurechnung des Wertguthabens zum Vermögen des Beschäftigten.<br />
•Der bei einem Wechsel des Trägers der Insolvenzsicherung vorgesehene Zustimmungsvorbehalt aller Arbeitnehmer<br />
ist bei größeren Teilnehmerzahlen nicht praktikabel und beeinträchtigt die Handlungsfreiheit des Arbeitgebers<br />
unverhältnismäßig.<br />
•Die<br />
neue Informationspflicht führt zu zusätzlicher Bürokratie.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
23<br />
Arbeitszeitkonten: GroSSe UnternEHmen flexibler<br />
So viel Prozent der Unternehmen boten ihren Mitarbeitern im Jahr 2004 folgende Formen der Arbeitszeitflexibilisierung<br />
Jahresarbeitszeitkonten Lebensarbeitszeitkonten keine flexiblen Arbeitszeiten<br />
1 bis 9 Beschäftigte<br />
18 1<br />
50<br />
10 bis 19<br />
26 2<br />
45<br />
20 bis 199<br />
39 3 32<br />
200 bis 999<br />
50 5 15<br />
1.000 und mehr<br />
52 8 7<br />
Befragung von mehr als 20.000 deutschen Unternehmen im Herbst 2004; Mehrfachnennungen; Rest zu 100: sonstige Flexibilisierungsformen wie etwa<br />
Telearbeit und Gleitzeit<br />
Quelle: DIHK<br />
Einschränkung der Arbeitszeitflexibilisierung<br />
schadet dem<br />
Wirtschaftsstandort<br />
Die Einschränkung der Arbeitszeitflexibilisierung, mit<br />
der auf schwankende Auftragslagen reagiert wird, durch<br />
bürokratische Insolvenzsicherungsregelungen würde<br />
dem Wirtschaftsstandort Deutschland schweren Schaden<br />
zufügen. Trotz gegenteiliger Äußerungen des Bundesministeriums<br />
für Arbeit und Soziales bergen Wortlaut<br />
und Struktur der Änderungen (insbesondere des Wertguthabenbegriffs)<br />
das Risiko, dass in die Arbeitszeitflexibilisierung<br />
massiv eingegriffen wird.<br />
Die im internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten<br />
in der Bundesrepublik Deutschland verbunden<br />
mit der für eine führende Industrienation fast einmalig<br />
geringen Arbeitszeit machen Arbeitszeitflexibilität zu<br />
einem, wenn nicht dem bestimmenden Faktor für die<br />
Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der deutschen<br />
Wirtschaft. Zudem gibt der Koalitionsvertrag von CDU/<br />
CSU und SPD allein den Auftrag, die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
von Langzeitkonten zu verbessern.<br />
Überlegungen, die die Arbeitszeitflexibilisierung einschränken,<br />
sind davon nicht gedeckt.<br />
Die BDA hat mehrfach gegenüber dem Bundesministerium<br />
für Arbeit und Soziales zu den Diskussionsentwürfen<br />
und zum Referentenentwurf Stellung genommen<br />
und sich für den Erhalt der Attraktivität von Langzeitarbeitszeitkonten<br />
und gegen die Einschränkung der Arbeitszeitflexibilität<br />
eingesetzt. Die BDA hat einen Alternativvorschlag<br />
vorgelegt, mit dem der Koalitionsvertrag<br />
umgesetzt wird, ohne die Arbeitszeitflexibilität einzuschränken<br />
und die Einrichtung von Langzeitarbeitszeitkonten<br />
unattraktiv zu machen.<br />
Zwischenbilanz zum Allgemeinen<br />
Gleichbehandlungsgesetz (AGG):<br />
Viel Bürokratie, unnötige Prozesse<br />
•Kosten und Bürokratie<br />
Für die Unternehmen ist durch das AGG ein bürokratischer<br />
und kostenträchtiger Begründungs- und<br />
Dokumentationsaufwand entstanden. Der Rechtfertigungsdruck<br />
geht so weit, dass viele Unternehmen sich<br />
genötigt sehen, sog. AGG-Policen bei Versicherungen<br />
abzuschließen, um Schadensersatzforderungen entgegenzuwirken.<br />
Diese Ausgaben sowie weitere Kosten
24<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
für Schulungen und die übrige Gesetzesimplementierung<br />
haben hohe Kosten für die Unternehmen verursacht.<br />
Allein im ersten Jahr nach der Einführung des<br />
AGG haben die Unternehmen für seine Umsetzung<br />
1,73 Mrd. € ausgegeben, so eine Studie der Universität<br />
Dortmund im Auftrag der Initiative Neue Soziale<br />
Marktwirtschaft.<br />
Prozesse. Das ArbG Stuttgart hat die Indizwirkung<br />
des § 22 AGG im Hinblick auf eine Diskriminierung<br />
von Männern schon deshalb bejaht, weil im Zuge<br />
einer Neubesetzung einer größeren Anzahl von Arbeitsplätzen<br />
der Anteil von Männern in der Gruppe<br />
der Eingestellten signifikant geringer war als in der<br />
Gruppe aller Bewerber.<br />
•Rechtsunsicherheit<br />
Das AGG erweist sich als Auslöser erheblicher<br />
Rechtsunsicherheit. Es lässt sich z. B. kaum vorhersagen,<br />
wann eine unterschiedliche Behandlung wegen<br />
des Alters gerechtfertigt ist. Im Zuge einer Massenentlassung<br />
in Niedersachsen wurde z. B. 600 Beschäftigten<br />
gekündigt. In Sozialplan und Interessenausgleich<br />
war vereinbart worden, dass die Sozialauswahl zur<br />
Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des<br />
Betriebes nach Altersgruppen erfolgt, um eine weitere<br />
Verschlechterung der Altersstruktur zu verhindern.<br />
Das ArbG Osnabrück sah hierin eine Diskriminierung<br />
wegen des Alters, während die nächste Instanz, das<br />
LAG Niedersachsen, die Entscheidung zu Recht aufgehoben<br />
hat.<br />
•Streitförderung<br />
Das Gesetz bietet Anreize zur Erhebung von Klagen.<br />
Insbesondere bei Kündigungsschutzprozessen werden<br />
auch dann Diskriminierungsvorwürfe vorgebracht,<br />
wenn es dazu nicht im Entferntesten Anlass gibt. Eine<br />
Arbeitnehmerin klagte gegen ihre am 8. März ausgesprochene<br />
Kündigung. Diese sei u. a. geschlechtsdiskriminierend,<br />
weil an diesem Tag Weltfrauentag ist.<br />
Sie begehrte eine Entschädigung von knapp 10.000 €,<br />
die zu Recht abgelehnt wurde.<br />
Streitfördernd ist auch die im AGG geregelte Beweislastverteilung.<br />
Der Arbeitgeber ist danach gezwungen,<br />
Personalprozesse bis aufs kleinste Detail<br />
zu dokumentieren und zu archivieren, um möglichen<br />
Diskriminierungsvorwürfen entgegentreten zu<br />
können. Völlig unklar ist, welche Qualität Indizien<br />
haben müssen, die die Beweislastumkehr auslösen.<br />
Weiter unklar ist, mit welchem Vorbringen sich der<br />
Arbeitgeber anschließend entlasten kann. Er muss<br />
nämlich negative Tatsachen – das Nichtvorliegen<br />
einer Diskriminierung – beweisen. Dies ist immer<br />
schwieriger, als das Vorliegen von positiven Tatsachen<br />
zu beweisen. Diese Rechtsunsicherheit fördert<br />
•Regelungen zu Schadensersatz und Entschädigung<br />
sind streitfördend<br />
Der Schadensersatzanspruch ist zwar nach allgemeinen<br />
zivilrechtlichen Regelungen, jedoch nicht nach<br />
dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 AGG begrenzt. Diese<br />
uneindeutige Regelung veranlasst Kläger, entgangenen<br />
Gewinn bis zum Renteneintrittsalter geltend zu<br />
machen. Eine Arbeitnehmerin aus der Versicherungsbranche<br />
hat ihren Arbeitgeber wegen Diskriminierung<br />
aufgrund ihrer Schwangerschaft und ihrer türkischen<br />
Herkunft auf 500.000 € Schadensersatz und<br />
Entschädigung verklagt. 433.000 € werden davon als<br />
materieller Schaden für die verbleibenden 29 Jahre<br />
bis zu ihrer Verrentung eingeklagt, als Kompensation<br />
für die mit ihrer Versetzung angeblich verbundenen<br />
Einkommenseinbußen.<br />
•Rechtsmissbrauch<br />
Das AGG öffnet dem Rechtsmissbrauch Tür und Tor.<br />
„AGG-Hopper“ suchen gezielt nach formalen Fehlern<br />
in Stellenanzeigen und bewerben sich allein mit dem<br />
Ziel, abgelehnt zu werden und den potenziellen Arbeitgeber<br />
auf Entschädigungszahlungen in Anspruch<br />
zu nehmen. Darüber hinaus gibt es Verbände, die auf<br />
diesen Zug aufspringen.<br />
Der deutsche Gesetzgeber hat die EU-Nichtdiskriminierungsrichtlinien<br />
schon überobligatorisch umgesetzt.<br />
Nichtsdestotrotz hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren<br />
gegen Deutschland wegen angeblich<br />
unzureichender Umsetzung eingeleitet.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
25<br />
Die EU-Kommission bemängelt<br />
folgende Punkte im AGG:<br />
•Das nationale Recht decke Entlassungen nicht ab.<br />
•Menschen mit Behinderungen seien von Seiten des<br />
Arbeitgebers unzureichend geschützt.<br />
•Die Frist von zwei Monaten für die Einreichung einer<br />
Beschwerde sei zu kurz.<br />
•Hinterbliebene von Beamten und Soldaten erhalten<br />
Witwen- und Witwergeld, wenn sie verheiratet<br />
sind, nicht aber, wenn sie in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft<br />
verbunden sind. Die EU-Kommission<br />
sieht darin eine Diskriminierung wegen der sexuellen<br />
Ausrichtung.<br />
•Die sog. Kirchenklausel – der Rechtfertigungsgrund<br />
der Kirchen und Religionsgemeinschaften – sei zu<br />
weit gefasst.<br />
•Die Regelung zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung<br />
wegen des Alters in Bezug auf eine Altersgrenze<br />
in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit<br />
wird als zu weit bemängelt.<br />
•Die Beteiligungsrechte der Antidiskriminierungsverbände<br />
blieben hinter den europäischen Vorgaben<br />
zurück, weil ihnen lediglich ein Beistands- und kein<br />
Beteiligungsrecht eingeräumt wurde, sie mindestens<br />
75 Mitglieder haben müssen und nicht gewerbsmäßig<br />
arbeiten dürfen.<br />
•Die Verschuldensabhängigkeit des Anspruchs auf<br />
Schadensersatz für eine Diskriminierung sei europarechtswidrig.<br />
Nach den Vorgaben des EuGH müsse<br />
eine solche Haftung verschuldensunabhängig sein.<br />
Mit dem im August 2006 in Kraft getretenen AGG wurden<br />
die Vorgaben aus Brüssel nicht nur erfüllt, sondern<br />
sogar übererfüllt. Die Vorwürfe der EU-Kommission<br />
machen deutlich, dass sie ihr Verständnis von Nichtdiskriminierung<br />
an die Stelle des Umsetzungsermessens<br />
der Mitgliedstaaten setzt. Die Bundesregierung hat<br />
Anfang Juni gegenüber der EU-Kommission Stellung<br />
genommen. Zudem hatte sie bereits Ende April in ihrer<br />
Antwort auf eine kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache<br />
16/8965) deutlich gemacht, dass sie derzeit davon<br />
ausgeht, dass eine Nachbesserung des AGG nicht erforderlich<br />
ist. Darüber hinaus wurde gegen elf weitere<br />
Mitgliedstaaten – darunter Irland, Frankreich und die<br />
Niederlande – bereits die zweite und letzte Stufe eines<br />
Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet.<br />
Neue Bürokratie droht:<br />
Ausweitung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien<br />
geplant<br />
Die Europäische Kommission hat die Vorlage einer neuen<br />
Richtlinie zur Bekämpfung von Diskriminierung außerhalb<br />
des Arbeitsmarktes angekündigt. Die geplante<br />
Richtlinie soll zumindest das Merkmal der Behinderung<br />
abdecken. Eine weitere Erstreckung auf die Diskriminierungsmerkmale<br />
Alter, Religion und Weltanschauung<br />
sowie sexuelle Orientierung des Art. 13 EGV ist jedoch<br />
nicht ausgeschlossen. Der Richtlinienvorschlag soll im<br />
Rahmen der neuen Sozialagenda <strong>2008</strong> vorgelegt werden.<br />
Das Vorhaben wird von dem Europäischen Parlament<br />
unterstützt, welches durch den Lynne-Bericht eine umfassende<br />
und weitgehende Richtlinie gefordert hatte.<br />
Ein solcher Richtlinienvorschlag hätte Auswirkungen<br />
auf deutsches Recht, obwohl das Diskriminierungsmerkmal<br />
„Behinderung“ bereits in den zivilrechtlichen<br />
Teil des AGG aufgenommen wurde. Das AGG sieht bei<br />
dem Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr<br />
ein differenziertes Regel-Ausnahme-System – wie<br />
z. B. die Beschränkung des Benachteiligungsverbots<br />
auf Massengeschäfte und verschiedene Rechtfertigungsgründe<br />
– vor, welchem durch den Richtlinienvorschlag<br />
die Grundlage entzogen werden kann. Auch droht ein<br />
weiterer umfassender und überflüssiger Eingriff in die<br />
grundgesetzlich geschützte Privatautonomie.<br />
Durch dieses Legislativvorhaben konterkariert die<br />
Kommission aber auch ihr eigenes Konzept der besseren<br />
Rechtsetzung („better regulation“), das gerade darauf<br />
abzielt, die regulativen Belastungen abzubauen.<br />
Auch verkennt sie, dass auf europäischer und nationaler<br />
Ebene bereits ausreichend Regelungen zum Schutz<br />
vor Diskriminierungen vorhanden sind. Ebenso verhält<br />
sich das Europäische Parlament widersprüchlich. Einerseits<br />
hat es schon oft eine bessere Rechtsetzung, also<br />
den Abbau von Bürokratie, angemahnt, z. B. in seinem<br />
Bericht „Über die bessere Rechtsetzung in der Europäischen<br />
Union“ vom Juli 2007. Andererseits fordert es nun<br />
eine neue Regulierung.<br />
Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene<br />
gibt es ausreichend Regelungen zum Schutz vor Diskriminierungen.<br />
Statt sie auszuweiten, sollte die EU-Kom
26<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
mission die bestehenden Nichtdiskriminierungsrichtlinien<br />
überarbeiten. Sie sollte sie auf bürokratische und<br />
kostenintensive Regelungen durchforsten und die Ankündigung,<br />
noch weiter gehende Regelungen zur Antidiskriminierung<br />
zu erarbeiten, noch einmal überdenken.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Antidiskriminierung“<br />
veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Das neue Pflegezeitgesetz –<br />
bürokratisch und überflüssig<br />
Am 1. Juli <strong>2008</strong> tritt das neue Pflegezeitgesetz in Kraft,<br />
das im Rahmen des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung<br />
der Pflegeversicherung verabschiedet worden<br />
ist. Das Gesetz sieht einen Anspruch auf vollständige<br />
oder teilweise Freistellung von der Arbeit für die<br />
Dauer von bis zu sechs Monaten für die Pflege eines<br />
nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung vor. Die<br />
Pflegezeit ist unbezahlt. Der Arbeitnehmer hat einen<br />
Rückkehranspruch auf seinen Arbeitsplatz. Daneben<br />
besteht ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für<br />
bis zu zehn Tage, um in einer akut aufgetretenen Pflegesituation<br />
eines nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte<br />
Pflege zu organisieren oder kurzzeitig zu übernehmen.<br />
Das Gesetz verzichtet auf die Einführung der zunächst<br />
vorgesehenen Lohnersatzleistung für die Zeit der kurzzeitigen<br />
Freistellung.<br />
Die BDA konnte erreichen, dass der Anspruch auf Pflegezeit<br />
auf sechs Monate begrenzt wird und nicht gegenüber<br />
Arbeitgebern mit 15 oder weniger Arbeitnehmern besteht.<br />
Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder hatte<br />
eine Freistellung von bis zu drei Jahren vorgeschlagen.<br />
Der Referentenentwurf sah zunächst einen Schwellenwert<br />
von nur zehn Arbeitnehmern vor. Das Gesetz verzichtet<br />
nunmehr auch auf die Einführung der zunächst<br />
vorgesehenen Lohnersatzleistung für die Zeit der kurzzeitigen<br />
Arbeitsverhinderung von bis zu zehn Tagen.<br />
Dennoch führt das Gesetz zu einer bürokratischen und<br />
finanziellen Belastung insbesondere kleiner und mittlerer<br />
Betriebe, die auf die Mitarbeit eines jeden Arbeitnehmers<br />
angewiesen sind. Das gilt hinsichtlich der kurzen Ankündigungsfrist<br />
für die Pflegezeit von nur zehn Arbeitstagen,<br />
die es kaum ermöglicht, adäquat auf den Ausfall eines<br />
Mitarbeiters zu reagieren, eine entsprechend ausgebildete<br />
Vertretung zu finden und die erforderliche Übergabe und<br />
Einarbeitung zu organisieren. Für Pflegende besteht ein<br />
zeitlich ausgedehnter Sonderkündigungsschutz, der systemwidrig<br />
auch für arbeitnehmerähnliche Personen gilt.<br />
Und es besteht die Gefahr, dass die sechsmonatige Pflegezeit<br />
auf mehrere Abschnitte aufgeteilt wird. Das Gesetz<br />
führt an zahlreichen Stellen zu Systembrüchen und Rechtsunsicherheit.<br />
Es passt sich nicht in das – ohnehin zerstü<br />
Immer Mehr Pflegebedürftige<br />
Index (2006 = 100)<br />
150<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
2006 2009 2012 2015 2018 2021 2024 2027 2030<br />
Quelle: Prognose des Statistischen Bundesamtes, Robert Koch Institut und eigene Darstellung der BDA
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
27<br />
ckelte – geltende Recht ein und orientiert sich nur bruchstückhaft<br />
am Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Beruf und<br />
Pflege“ veröffentlicht. Er ist unter www.bda-online.de<br />
abrufbar.<br />
GroSSelternzeit ist überflüssig<br />
Ende Februar hat das Bundesministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den Referentenentwurf<br />
eines Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld-<br />
und Elternzeitgesetzes vorgelegt. Dieser hat Mitte<br />
Mai das Bundeskabinett passiert und wurde vom Bundestag<br />
am 5. Juni in erster Lesung beraten (Bundestagsdrucksache<br />
16/9415). Darin ist u. a. vorgesehen, einen<br />
Anspruch auf „Elternzeit für Großeltern“ einzuführen,<br />
die ihre minderjährigen Kinder bei der Erziehung von<br />
deren Kindern unterstützen. Voraussetzung soll sein,<br />
dass die Mutter oder der Vater des Kindes minderjährig<br />
ist oder ein Elternteil des Kindes sich im letzten oder<br />
vorletzten Jahr einer Ausbildung befindet, die vor Vollendung<br />
des 18. Lebensjahres begonnen wurde und die<br />
Arbeitskraft des Elternteils voll in Anspruch nimmt. Die<br />
Großeltern müssen aber in jedem Fall in einem Haushalt<br />
mit ihrem Enkelkind leben.<br />
Ein Anspruch auf „Großelternzeit“ ist überflüssig. Im<br />
Jahr 2007 hatten lediglich 0,9 % aller Neugeborenen<br />
minderjährige Eltern (ca. 6.000 Fälle). In der Praxis<br />
wird es daher der Ausnahmefall sein, dass „Großelternzeit“<br />
in Anspruch genommen wird. Solche Einzelfälle<br />
sollten und können individuell auf betrieblicher Ebene<br />
geregelt werden. Über Teilzeitvereinbarungen im Rahmen<br />
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes haben heute<br />
bereits alle Arbeitnehmer, also auch Großeltern, einen<br />
Anspruch, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Zudem kann<br />
das Ziel der Unterstützung minderjähriger Eltern ebenso<br />
mit einer ausreichenden und qualifizierten staatlichen<br />
Kinderbetreuung erreicht werden, ohne die Arbeitgeber<br />
einseitig zu belasten. In spezifischen Situationen besteht<br />
bereits heute ein Anspruch auf Elterngeld und Elternzeit<br />
für Verwandte bis zum dritten Grad und deren Ehegatten<br />
und Lebenspartner. Das ohnehin schon überregulierte<br />
Arbeitsrecht sollte nicht mit einer weiteren Vorschrift<br />
überfrachtet werden.<br />
Mitbestimmung – Modernisierung<br />
statt Bürokratisierung<br />
Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Begrenzung der<br />
mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken“ wird eine<br />
neue Informationspflicht im Betriebsverfassungsgesetz<br />
geschaffen. Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten,<br />
über die das Unternehmen den Wirtschaftsausschuss<br />
rechtzeitig und umfassend unter Vorlage der erforderlichen<br />
Unterlagen unterrichten muss, gehört danach auch<br />
die Übernahme des Unternehmens, wenn hiermit der<br />
Erwerb der Kontrolle verbunden ist.<br />
Diese Neuregelung ist überflüssig, weil entsprechende<br />
Informationspflichten – sofern unmittelbare Auswirkungen<br />
für die Arbeitnehmer bestehen – bereits heute im<br />
Betriebsverfassungsgesetz und z. B. bei Betriebsübergängen<br />
verankert sind. Durch die Neuregelung werden<br />
gesellschaftsrechtliche und betriebsverfassungsrechtliche<br />
Begriffe vermischt und damit neue Rechtsunsicherheiten<br />
und Bürokratie geschaffen, die insbesondere kleine<br />
und mittlere Betriebe belasten.<br />
Stattdessen wäre ein beherzter Schritt in Richtung Flexibilisierung<br />
und Verhandlungsoffenheit der betrieblichen<br />
Mitbestimmung erforderlich. Diese muss schnell,<br />
flexibel und passgenau sein. Wir setzen uns deshalb<br />
dafür ein, dass stärker als bisher Abweichungen von<br />
gesetzlichen Betriebsratsstrukturen ermöglicht werden.<br />
Dabei müssen betriebliche Regelungen tariflichen vorgehen.<br />
Damit Teilhabe nicht erzwungen wird, sollte<br />
die Errichtung eines Betriebsrates vom Erreichen eines<br />
Wahlquorums abhängig gemacht werden. Ein Betriebsrat<br />
sollte nur errichtet werden, wenn sich mindestens<br />
ein Drittel der wahlberechtigten Arbeitnehmer an der<br />
Wahl beteiligt.<br />
Die Dauer der Mitbestimmungsverfahren führt oft zu<br />
erhöhten Kosten für die Unternehmen, weil die Umsetzung<br />
dringend erforderlicher geplanter Vorhaben<br />
verzögert wird. Deswegen sollte eine allgemeine Beschleunigungsvorschrift<br />
dem Arbeitgeber vorläufige<br />
Entscheidungen ermöglichen. Auch die Einigungsstellenverfahren<br />
müssen durch die Einführung von Fristen<br />
beschleunigt werden. Und schließlich muss die Betriebsverfassung<br />
umfassend für die technische Entwicklung<br />
geöffnet werden. Elektronische Wahlverfahren müssen
28<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Mitbestimmung: Minus Für Standort D<br />
So viel Prozent der befragten Unternehmen mit dieser Mitbestimmungsregel<br />
antworteten auf die Frage „Ist die Unternehmensmitbestimmung ein<br />
Nachteil für die Attraktivität Deutschlands als Standort von Holdinggesellschaften?“<br />
Mitbestimmung: weniger bringt mehr<br />
So viel Prozent der befragten Industrieunternehmen mit einer Nettoumsatzrendite<br />
von über 5 % hatten folgende Mitbestimmungsregelung<br />
Ja<br />
Nein<br />
Keine<br />
Gemeinsames Gremium<br />
Aufsichtsrat zur Hälfte mit<br />
Arbeitnehmern besetzt<br />
67<br />
Sonstige<br />
Betriebsrat<br />
33<br />
11,1<br />
7,8<br />
6,3<br />
Aufsichtsrat zu einem Drittel<br />
mit Arbeitnehmern besetzt<br />
55<br />
74,8<br />
45<br />
Befragung von 821 Unternehmen mit fünf und mehr Beschäftigten<br />
im Jahr 2007; gemeinsames Gremium: z. B. runder Tisch, Betriebsausschuss;<br />
Sonstige: Belegschaftssprecher, Mitarbeiterausschuss<br />
Befragung von 138 Unternehmen in Deutschland im Jahr 2006<br />
Quelle: IW Köln<br />
Quelle: IW-Zukunftspanel<br />
ebenso zugelassen werden wie die Nutzung moderner<br />
Kommunikations- und Konferenztechnik für die Abstimmung<br />
im und mit dem Betriebsrat.<br />
Grundlegender Flexibilisierungs- und Modernisierungsbedarf<br />
besteht auch in der Unternehmensmitbestimmung.<br />
Sie muss vereinbarungsoffen nach dem Vorbild<br />
europäischer Mitbestimmungsregelungen ausgestaltet<br />
werden. Unternehmen und Arbeitnehmer müssen die<br />
Möglichkeit erhalten, ein passendes Mitbestimmungssystem<br />
zu vereinbaren. Kommt es zu keiner Vereinbarung,<br />
kann als Auffangregelung nur eine im europäischen<br />
Kontext akzeptable Form der Mitbestimmung<br />
eingreifen. Das ist allenfalls eine Drittelbeteiligung.<br />
Positive Erfahrungen bei der Gründung einer Europäischen<br />
Gesellschaft (SE) zeigen deutlich, dass Vereinbarungsoptionen<br />
unternehmensindividuell – z. B. zur<br />
Verkleinerung des Aufsichtsrates – genutzt werden<br />
können und zu einer besseren Positionierung im Wettbewerb<br />
führen.<br />
Die BDA begrüßt den „Gesetzentwurf zum internationalen<br />
Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und anderen<br />
juristischen Personen“, der die Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofes (EuGH) zur Niederlassungsfreiheit<br />
umsetzt. In konsequenter Weise soll mit dem<br />
Gesetz der Wechsel vom Sitzlandprinzip zum Gründungslandprinzip<br />
vorgenommen werden, für die Gründung<br />
einer Gesellschaft soll grundsätzlich das Recht des<br />
Gründungslandes maßgeblich sein, unabhängig davon,<br />
ob die Gesellschaft später ihren Sitz verlegt. Es ist rechtsdogmatisch<br />
richtig und zwingend, dass mit dem Gesetz<br />
keine materiellen Sonder- und Ausnahmeregelungen,<br />
z. B. für die Unternehmensmitbestimmung, geschaffen<br />
werden sollen. Nur so kann auch der Rechtsprechung<br />
des EuGH Rechnung getragen werden.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt „Unternehmensmitbestimmung“<br />
und den kompakt „Betriebsverfassung“<br />
veröffentlicht. Beide sind unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
29<br />
Europäisches Gesellschaftsrecht<br />
– Vielfalt fördern<br />
Nach dem Erfolg der Europäischen Gesellschaft hat die<br />
Europäische Kommission angekündigt, in Kürze den<br />
Vorschlag einer Verordnung für das Statut einer Europäischen<br />
Privatgesellschaft (EPG) vorzulegen – ein Vorhaben,<br />
das von der BDA unterstützt wird. Die EPG würde<br />
in den Wettbewerb z. B. zur deutschen GmbH oder zur<br />
britischen Limited treten.<br />
Für die Attraktivität auch dieser Gesellschaftsform wird<br />
es von besonderer Bedeutung sein, dass einer schnellen<br />
und unkomplizierten Gründung keine Bremsklötze<br />
durch Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in den<br />
Weg gelegt werden. Die Generaldirektion Markt hat angekündigt,<br />
dass die Arbeitnehmerbeteiligung sich nach<br />
den Regeln des Staates richten soll, in dem die EPG gegründet<br />
bzw. registriert wird. Noch besser wäre ein an<br />
die SE angelehntes Verhandlungsmodell, allerdings mit<br />
einer einheitlichen Auffanglösung, die für die Unternehmensmitbestimmung<br />
maximal eine Fünftelbeteiligung<br />
vorsehen sollte. Außerdem müsste ein einheitlicher<br />
Schwellenwert für die Verhandlungspflicht von mindestens<br />
500 Arbeitnehmern eingezogen werden.<br />
Gesetzliche Fixierung eines<br />
Anzeigerechts der Arbeitnehmer<br />
überflüssig<br />
Die gesetzliche Regelung eines Anzeigerechts der<br />
Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber soll in einem<br />
neuen § 612a BGB eingeführt werden. Die Änderung<br />
wird derzeit im Zuge der anstehenden Änderung<br />
des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches<br />
vor dem Hintergrund des „Gammelfleisch“-Skandals<br />
diskutiert.<br />
Es besteht keine Notwendigkeit, eine gesetzliche<br />
Regelung des Anzeigerechts der Arbeitnehmer vorzunehmen.<br />
Ein solches ist schon heute unter der<br />
hinreichenden Berücksichtigung der Interessen von<br />
Arbeitnehmern und Arbeitgebern von der Rechtsprechung<br />
anerkannt. Arbeitnehmer können sich an<br />
öffentliche Stellen wenden, wenn sie sich zuvor um<br />
eine innerbetriebliche Klärung bemüht haben. Dort,<br />
wo es um Straftaten mit schweren Folgen für Einzelne<br />
oder die Allgemeinheit geht, ist dies heute ebenfalls<br />
möglich. Keinesfalls darf eine Anzeige aber mit dem<br />
Ziel abgegeben werden, in erster Linie den Arbeitgeber<br />
zu diffamieren.
30<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Diese Rechtsprechung berücksichtigt die Interessen<br />
von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hinreichend.<br />
Eine gesetzliche Regelung ist daher überflüssig. Die<br />
aktuellen Überlegungen einer gesetzlichen Regelung<br />
gehen in entscheidenden Teilen über die Rechtsprechung<br />
hinaus. Sie schaffen faktisch für jeden Rechtsverstoß<br />
ein Anzeigerecht, bei dem der Arbeitnehmer<br />
auf die Einhaltung der innerbetrieblichen Klärung<br />
verzichten kann. Besonders bedenklich ist, dass der<br />
Gesetzentwurf die Motive des Arbeitnehmers nicht<br />
berücksichtigt. Danach könnte der Arbeitnehmer, der<br />
aus unsachlichen persönlichen Motiven heraus das<br />
Verhalten seines Vorgesetzten anzeigt, sich vor Sanktionen<br />
sicher fühlen. Mit dem berechtigten Anliegen,<br />
die Allgemeinheit vor Rechtsverstößen zu schützen,<br />
hat das nichts zu tun.<br />
Die vorgesehene Regelung des sog. „Whistleblowings“<br />
lässt sich nicht mit dem Grundsatz der vertrauensvollen<br />
Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern<br />
im Betrieb vereinbaren. Sie ist geeignet, Denunziantentum<br />
im Betrieb zu fördern, und führt somit zu gegenseitigem<br />
Misstrauen sowohl im Verhältnis zwischen Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer als auch im Verhältnis der<br />
Arbeitnehmer untereinander.<br />
Hinzu kommt, dass eine solche Regelung das ohnehin<br />
schon an bürokratischen Lasten überfrachtete Arbeitsrecht<br />
erneut mit Bürokratie beladen würde. Eine solche<br />
Belastung des Arbeitsrechts unter dem Deckmantel des<br />
Verbraucherschutzes ist zu verhindern.<br />
Die BDA hat massiv interveniert und auf allen Ebenen<br />
deutlich gemacht, dass dieses Gesetzesvorhaben überflüssig<br />
ist und zudem erhebliche Risiken in sich birgt.<br />
Keine Ausdehnung der<br />
Strafvorschriften zu<br />
Bestechlichkeit<br />
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes<br />
vorgelegt. Der Entwurf sieht eine Erweiterung<br />
des Straftatbestandes der Bestechlichkeit und<br />
Bestechung im gesetzlichen Verkehr (§ 299 StGB) und<br />
eine Ausdehnung der Strafbarkeit der Bestechlichkeit<br />
und Bestechung von ausländischen Amtsträgern vor.<br />
Anlass für den Entwurf ist das Bestreben der Bundesregierung,<br />
internationale Regelungen des Europarates,<br />
der Vereinten Nationen und der Europäischen Union<br />
umzusetzen. Wie im Entwurf selbst eingeräumt wird,<br />
geht der Entwurf über die umzusetzenden internationalen<br />
Regelungen hinaus und schafft für die beteiligten<br />
Rechtskreise, insbesondere für die Unternehmen, eine<br />
erhebliche Rechtsunsicherheit sowie eine nicht notwendige<br />
Ausdehnung der Strafbarkeit.<br />
Dies gilt insbesondere für die geplante Änderung des<br />
§ 299 StGB. In der bisherigen Fassung stellt § 299 StGB<br />
darauf ab, dass ein Vorteil als Gegenleistung für eine<br />
unlautere Bevorzugung im Wettbewerb angenommen<br />
oder gewährt wird. Nach dem Gesetzentwurf sollen<br />
nunmehr auch Handlungen strafbar sein, die sich auf<br />
die Gewährung oder Annahme von Vorteilen beziehen,<br />
ohne dass es auf eine Bevorzugung im Wettbewerb<br />
ankäme. Eine solche Ausweitung ist abzulehnen.<br />
Eine Pflichtverletzung gegenüber dem eigenen Unternehmen<br />
ist schon jetzt bei Eintritt eines Vermögensschadens<br />
eine strafbare Handlung (§§ 263, 266 StGB).<br />
Ist eine Pflichtverletzung nach diesen Vorschriften<br />
nicht strafbar, so obliegt es der Entscheidung des Unternehmens<br />
selbst, auf diese zu reagieren. Die vorgesehene<br />
Änderung des § 299 StGB stellt einen Eingriff<br />
in die wirtschaftliche Autonomie des Unternehmens<br />
dar und verletzt den strafrechtlichen Ultima-Ratio-<br />
Grundsatz. Die BDA hat ihre Bedenken in einer ausführlichen<br />
Stellungnahme gegenüber den rechtspolitischen<br />
Sprechern der Bundestagsfraktionen deutlich<br />
gemacht.<br />
Vertretungsbeschränkung vor<br />
Arbeitsgerichten durch feste<br />
kammerzuweisung ausgleichen<br />
Am 1. Juli tritt das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts<br />
in Kraft. Damit sind auch Änderungen<br />
in einzelnen Verfahrensordnungen verbunden. Nach<br />
den Neuregelungen im Arbeitsgerichtsgesetz und im<br />
Sozialgerichtsgesetz dürfen ehrenamtliche Richter von<br />
Arbeitgeberverbänden (und Gewerkschaften) in Zukunft<br />
nicht mehr vor dem Spruchkörper des Gerichts,<br />
d. h. der Kammer oder dem Senat, als Parteivertreter<br />
auftreten, dem sie angehören.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
31<br />
An Gerichten, an denen ehrenamtliche Richter keinem<br />
festen Spruchkörper zugewiesen werden, kann ein solches<br />
Vertretungsverbot faktisch wie ein Vertretungsverbot<br />
für das gesamte Gericht wirken. Ehrenamtliche<br />
Richter aus dem Bereich der Arbeitgebervereinigungen<br />
werden für das Gericht bestellt, an dem auch ihr jeweiliger<br />
Verband seinen Sitz hat. Folglich müsste die Tätigkeit<br />
als ehrenamtlicher Richter in Zukunft – zumindest<br />
an den Gerichten ohne feste Kammerzuweisung – aufgegeben<br />
werden, um weiterhin als Bevollmächtigter vor<br />
Gericht auftreten zu können.<br />
Keine überobligationsmäSSige<br />
Umsetzung der EU-Richtlinie<br />
zur Mediation<br />
Die EU-Richtlinie über bestimmte Aspekte der Mediation<br />
in Zivil- und Handelssachen soll den Zugang zum Recht,<br />
insbesondere zur außergerichtlichen Mediation, verbessern.<br />
Nach der Richtlinie, deren Anwendungsbereich auf<br />
grenzüberschreitende Angelegenheiten beschränkt ist,<br />
haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Vertraulichkeit<br />
im Rahmen einer Mediation gewährleistet<br />
wird, die Mediationsvereinbarung vollstreckbar sein kann<br />
und die Forderung nicht während der Durchführung eines<br />
Mediationsverfahrens verjährt. Die Mitgliedstaaten sollen<br />
zudem die Qualität der Mediation gewährleisten, indem<br />
freiwillige Verhaltenskodizes gefördert werden, sowie die<br />
Ausbildung von Mediatoren.<br />
Da der Anwendungsbereich der Richtlinie auf grenzüberschreitende<br />
Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen<br />
beschränkt ist, ist die derzeit diskutierte<br />
Umsetzung der Richtlinie für Inlandssachverhalte insbesondere<br />
für das Arbeitsrecht abzulehnen. Die Mindestanforderungen<br />
an das Verfahren, insbesondere<br />
im Hinblick auf Vollstreckung, Verjährung und Vertraulichkeit,<br />
die in der Richtlinie vorgegeben werden,<br />
werden durch die geltende Rechtslage in Deutschland<br />
bereits erfüllt. Eine weitere Reglementierung der Mediation<br />
läuft dem Zweck der Mediation zuwider, ein<br />
vollständig freiwilliges Verfahren zu sein, in welchem<br />
sich die Parteien autonom auf Verfahrensregeln verständigen<br />
können. Die BDA hat deshalb gegenüber<br />
den zuständigen Ministerien nach einem ausführlichen<br />
Konsultationsprozess mit den Mitgliedsverbänden<br />
dezidiert dazu Stellung genommen, dass eine<br />
überobligationsmäßige Umsetzung für innerdeutsche<br />
Sachverhalte, zumindest im Bereich des Arbeitsrechts,<br />
abzulehnen ist.<br />
Der Messung von Bürokratiekosten<br />
müssen Taten folgen!<br />
Überbordende Bürokratie belastet die Wirtschaft. Insbesondere<br />
kleine und mittelständische Unternehmen<br />
in Deutschland leiden unter einer Vielzahl von bürokratischen<br />
Hemmnissen gerade auch auf dem Gebiet<br />
des Arbeits- und Sozialrechts. Die Wirtschaft muss von<br />
diesen Lasten befreit werden. Insbesondere durch die<br />
die Unternehmen treffenden Informationspflichten werden<br />
enorme Kosten verursacht, durch die diese in ihrer<br />
Produktivität geschwächt werden. Allerdings reicht<br />
es nicht aus, wenn der Gesetzgeber einzelne Verbesserungen<br />
einführt. Erforderlich ist vielmehr ein umfassendes<br />
Gesamtkonzept. Mit seinem Zwischenbericht<br />
vom 30. April <strong>2008</strong> an das Bundeskabinett blieb der<br />
Staatssekretärs ausschuss Bürokratieabbau die Vorlage<br />
eines solchen Gesamtkonzeptes erneut schuldig.<br />
Die BDA unterstützt weiterhin nachdrücklich das Ziel<br />
der Bundesregierung, bis 2011 25 % der Bürokratielasten<br />
für die Wirtschaft abzubauen. Einige Aussagen des<br />
Zwischenberichts geben jedoch Anlass zu Zweifeln an<br />
der Ernsthaftigkeit des politischen Willens, einen durchgreifenden<br />
Bürokratieabbau zu erreichen.<br />
So geht der Staatssekretärsausschuss in seinem Zwischenbericht<br />
davon aus, dass die durch die derzeit<br />
gemessenen Informationspflichten verursachten Bürokratiekosten<br />
in Höhe von 29,5 Mrd. € bereits die kostenintensivsten<br />
Informationspflichten enthalten. Es bedarf<br />
jedoch der Klarstellung, dass sich noch ca. 2.000 Informationspflichten<br />
mit einem Kostenvolumen von rund<br />
10 Mrd. € im Abnahmeverfahren befinden und weitere<br />
2.000 Informationspflichten darüber hinaus noch überhaupt<br />
nicht im Messprozess erfasst sind. Hinzu kommt,<br />
dass auf Informationspflichten beruhende Bürokratiekosten<br />
von großer Bedeutung bisher noch gar nicht berücksichtigt<br />
wurden. So sind z. B. die infolge des AGG<br />
entstandenen Bürokratiekosten und die von den Sozialversicherungsträgern<br />
verursachten Bürokratielasten bis
32<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Informationspflichten (IP) nach gesetzgebungsebene<br />
Stand: 31. März <strong>2008</strong><br />
nationales Recht<br />
erweitertes EU- und internationales Recht mit aufgeteiltem Kostenanteil<br />
erweitertes EU- und internationales Recht (soweit noch nicht aufgeteilt)<br />
EU- und internationales Recht<br />
12.000<br />
10.000<br />
8.000<br />
6.000<br />
4.000<br />
10.516<br />
2.635<br />
1.925<br />
2.102<br />
7.041<br />
261<br />
697<br />
919<br />
2.000<br />
0<br />
5.956<br />
IP der Wirtschaft am 30. September 2006 in Kraft,<br />
Stand: März <strong>2008</strong><br />
63<br />
5.164<br />
563<br />
1.476<br />
gemessene IP Oktober 2007 gemessene IP März <strong>2008</strong><br />
Quelle: Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau an das Bundeskabinett, April <strong>2008</strong><br />
her in keiner Weise berücksichtigt. Die BDA setzt sich<br />
weiterhin für deren Berücksichtigung ein.<br />
Der Staatssekretärsausschuss stellt zudem fest, dass mindestens<br />
14,5 Mrd. € der bislang gemessenen Bürokratiekosten<br />
in Höhe von 29,5 Mrd. € nicht unmittelbar<br />
auf den nationalen Gesetzgeber zurückzuführen sind.<br />
Die BDA hat darauf hingewiesen, dass dieses Untersuchungsergebnis<br />
nicht zur Folge haben darf, dass diese<br />
14,5 Mrd. € nicht bei den Gesamtkosten berücksichtigt<br />
werden, von welchen 25 % abgebaut werden sollen.<br />
Aus Bundesrecht resultierende Bürokratiekosten sind<br />
stets unabhängig davon zu erfassen, auf welcher Grundlage<br />
die Vorschriften zu Bundesrecht wurden.<br />
Im Zwischenbericht ist die Rede von einem Anstieg der<br />
Vereinfachungsmaßnahmen der Ressorts seit dem Jahresbericht<br />
aus dem Jahre 2007 um 1,8 Mrd. € auf nun<br />
4,4 Mrd. €. Diese positive Meldung verschleiert, dass<br />
die Abbaumaßnahmen mit einem abzubauenden Kostenvolumen<br />
in Höhe von 4,4 Mrd. € größtenteils noch<br />
gar nicht in Kraft getreten sind.<br />
Es ist zudem notwendig, eine eindeutige und plausibel<br />
nachvollziehbare Aussage darüber zu treffen, aus welchen<br />
Belastungen sich die Gesamtsumme der durch Bundesrecht<br />
verursachten Bürokratiekosten zusammensetzt.<br />
Nur wenn dies der Fall ist, lässt sich überhaupt klar erkennen,<br />
von welcher Basis aus das Abbauziel der Bundesregierung<br />
von 25 % erreicht werden soll. Ohne diese<br />
Information bleibt weiterhin unklar, welcher Umfang an<br />
abzubauenden Kosten erwartet werden kann.<br />
Über dem Abbau von Informationspflichten darf zudem<br />
nicht das Ziel aus den Augen verloren werden, das gesamte<br />
materielle Recht zu vereinfachen. Gerade viele<br />
materielle Vorschriften verursachen in einem Folgeschritt<br />
Bürokratie. Auch hier bedarf es eines umfassenden<br />
Entbürokratisierungsansatzes. Die Mittelstandsentlastungsgesetze<br />
(MEG) enthalten zwar richtige Ansätze,<br />
bleiben jedoch weit hinter den Anforderungen an eine<br />
durchgreifende Entbürokratisierung des Arbeits- und<br />
Sozialrechts zurück. So haben wir schon mehrfach für<br />
ein drittes Mittelstandsentlastungsgesetz (MEG III) den<br />
Vorschlag unterbreitet, die Generalunternehmerhaftung
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
33<br />
nach dem Sozialgesetzbuch IV und VII abzuschaffen<br />
und das Umlageverfahren U1 durch die Freistellung der<br />
Teilnahme für Arbeitgeber und Krankenkassen neu zu<br />
gestalten. Trotz dieser konkreten Vorschläge ist der nunmehr<br />
vorliegende Entwurf eines MEG III nicht geeignet,<br />
die Wirtschaft von überflüssigen Bürokratielasten zu<br />
befreien. Das erste und zweite Mittelstandsentlastungsgesetz<br />
sowie das im Gesetzgebungsverfahren befindliche<br />
MEG III können daher nur ein Anfang sein.<br />
Entscheidend bleibt, endlich den Abbau von Bürokratielasten<br />
für die Unternehmen anhand konkreter Konzepte<br />
im Dialog mit der Wirtschaft in Angriff zu nehmen,<br />
um für diese spürbare Ergebnisse zu erreichen.<br />
Dem Messprozess müssen nun Taten in Form der Abschaffung<br />
bürokratischer Belastungen als einzigen Erfolgsmaßstabes<br />
folgen. Gleichzeitig muss der Normenkontrollrat<br />
seine wertvolle Arbeit zur Verhinderung der<br />
Einführung neuer belastender Bürokratie im Zusammenhang<br />
mit neuen Gesetzen fortsetzen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Bürokratieabbau“<br />
veröffentlicht. Er ist unter www.bda-online.de<br />
abrufbar.
35<br />
Tarifautonomie ■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge<br />
■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Tarifbindung ■ Grundsatzfragen<br />
der Lohnpolitik ■ Gesetzlicher Mindestlohn<br />
■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie ■ Lohnpolitik<br />
■ Tarifverträge ■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
TARIFPOLITIKvon<br />
Tarifverträgen<br />
■ Tarifbindung ■ Lohnentwicklung<br />
■ Allgemeinverbindlicherklärung von<br />
Tarifverträgen ■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Lohnentwicklung<br />
■ Grundsatzfragen der Lohnpolitik<br />
■ Gesetzlicher Mindestlohn ■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie<br />
■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge<br />
■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Tarifbindung ■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
von Tarifverträgen ■ Lohnentwicklung<br />
■ Grundsatzfragen der<br />
Lohnpolitik ■ Gesetzlicher Mindestlohn<br />
■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie ■ Lohnpolitik<br />
■ Tarifverträge ■ Tarifautonomie<br />
■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge ■ Reform<br />
des Branchentarifvertrags ■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
von Tarifverträgen<br />
■ Tarifbindung ■ Lohnentwicklung<br />
■ Grundsatzfragen der Lohnpolitik ■ Gesetzlicher<br />
Mindestlohn ■ Arbeitnehmerentsendegesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie<br />
■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge<br />
■ Tarifbindung ■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Tarifverträge ■ Grundsatzfragen<br />
der Lohnpolitik ■ Lohnentwicklung<br />
■ Gesetzlicher Mindestlohn<br />
■ Arbeitnehmer-entsendegesetz ■ Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
■ Tarifautonomie<br />
■ Lohnpolitik ■ Tarifverträge<br />
■ Tarifbindung ■ Gesetzlicher<br />
Mindestlohn ■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Tarifbindung ■ Lohnentwicklung<br />
■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
von Tarifverträgen ■ Grundsatzfragen<br />
der Lohnpolitik ■ Gesetzlicher Mindestlohn<br />
■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Tarifrunden ■ Tarifautonomie ■ Tarifrunden<br />
■ Tarifautonomie ■ Lohnpolitik<br />
■ Tarifverträge ■ Allgemeinverbindlicherklärung<br />
von Tarifverträgen<br />
■ Tarifbindung ■ Lohnentwicklung<br />
■ Allgemeinverbindlicherklärung von<br />
Tarifverträgen ■ Reform des Branchentarifvertrags<br />
■ Lohnentwicklung<br />
■ Grundsatzfragen der Lohnpolitik<br />
■ Gesetzlicher Mindestlohn ■ Arbeitnehmer-entsendegesetz<br />
■ Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
■ Tarifrunden
36<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Tarifhalbjahr <strong>2008</strong> –<br />
an den Grenzen des<br />
Verteilungsspielraums<br />
Die Tarifverhandlungen in der ersten Jahreshälfte <strong>2008</strong><br />
waren zum Teil durch völlig überzogene Lohnforderungen<br />
von 7 bis 8 % und eine spürbar gestiegene Streikbereitschaft<br />
der Gewerkschaften geprägt. Grund für das<br />
tarifpolitisch erhitzte Klima lieferte das allgemeine Gefühl<br />
auf der Arbeitnehmerseite, am Aufschwung nicht oder<br />
nur unzureichend beteiligt gewesen zu sein. Sogar von<br />
Teilen der Politik wurden die auf gesamtwirtschaftlicher<br />
Ebene gesunkenen Nettoreallöhne der vergangenen Jahre<br />
als Argument herangezogen, für hohe Tariflohnabschlüsse<br />
zu werben. Diese Einflussnahme beschädigt nicht nur<br />
die Tarifautonomie; die Analyse geht auch an der Realität<br />
vorbei, verengt die ökonomischen Zusammenhänge und<br />
verschweigt die wirtschaftspolitischen, insbesondere die<br />
arbeitsmarktpolitischen Erfolge einer moderaten Lohnpolitik.<br />
Es ist erfreulich, dass – trotz dieses Klimas – die aus<br />
den Tarifabschlüssen resultierenden Kostenbelastungen<br />
durch flexible Entgeltbestandteile, vor allem aber durch<br />
Vereinbarung von Nullmonaten und längeren Laufzeiten<br />
mit mehrstufigen Lohnerhöhungen, abgefedert werden<br />
konnten. Dennoch gehen die Entgelterhöhungen an die<br />
Grenzen des Verteilungsspielraums.<br />
Differenzierte Lohnrunde<br />
mit längerer Laufzeit<br />
und Nahrungsmittel. Angesichts der hohen Lohnforderungen<br />
ist ein positives Signal dieser Tarifrunde, dass<br />
die Tarifabschlüsse von Branche zu Branche ein nicht<br />
unbeachtliches Maß an Differenzierung erkennen lassen.<br />
So schwanken die Entgelterhöhungen für <strong>2008</strong><br />
in einer Bandbreite zwischen 2,5 % im Ernährungsbereich<br />
und 5,2 % in der exportorientierten Stahlindustrie.<br />
Zudem wurden zur Entlastung der Betriebe in<br />
einigen Abschlüssen erneut flexible Entgeltbestandteile<br />
vereinbart. Vor allem jedoch sehen die Tarifabschlüsse<br />
verstärkt Nullmonate und – im Vergleich zu vorherigen<br />
Tarifrunden – deutlich längere Laufzeiten von bis zu<br />
drei Jahren vor.<br />
Langfristigere Tarifverträge geben Unternehmen Planungssicherheit<br />
und haben dadurch positive Auswirkungen<br />
auf das Investitionsklima insgesamt. Gerade<br />
in Zeiten strukturellen Wandels, zunehmender internationaler<br />
Verflechtungen und damit einhergehender<br />
Unsicherheiten ist eine verlässliche – auf Stabilität ausgerichtete<br />
– Tarifpolitik ein unschätzbarer Wert für investitionsbereite<br />
Unternehmen.<br />
Eine insgesamt moderate Lohnpolitik, die gleichzeitig<br />
eine ausreichende betriebliche Differenzierung und<br />
Flexibilisierung zulässt, gewinnt durch eine mittel- bis<br />
langfristige Ausrichtung an Glaubwürdigkeit und Wirkung.<br />
So empfiehlt z. B. der Sachverständigenrat zur<br />
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung<br />
schon seit längerem eine langfristige Ausrichtung der<br />
Tarifverträge mit einer Dauer von sogar fünf Jahren als<br />
Orientierungsgröße.<br />
Die Notwendigkeit, hohe Tarifabschlüsse durch entlastende<br />
Vertragsbestandteile abzumildern, war und ist<br />
für die aktuellen Tarifrunden auch deshalb so bedeutsam,<br />
weil der Konjunkturaufschwung der letzten beiden<br />
Jahre mit Wirtschaftswachstumsraten von 2,5 %<br />
und 2,9 % bereits deutlich an Fahrt verloren hat. So<br />
erwarten die wirtschaftswissenschaftlichen Institute für<br />
dieses Jahr nur noch einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts<br />
um etwa 2 %. Selbst die Bundesregierung<br />
hat ihre Konjunkturprognose für <strong>2008</strong> auf lediglich<br />
1,7 % reduziert. Wesentliche Gründe hierfür sind die<br />
Meldungen über immer neue Kapitalverluste von Banken<br />
und Versicherungen infolge der Immobilienkrise<br />
in den USA, die Dollarschwäche sowie der weltweit<br />
anhaltende Preisanstieg für Rohstoffe, Energieträger<br />
Ausgewählte Tarifabschlüsse<br />
Der erste große und zugleich sehr hohe Abschluss der<br />
Tarifrunde <strong>2008</strong> wurde Ende Februar in der Stahlindustrie<br />
mit der IG Metall vereinbart. Nach einem Nullmonat,<br />
für den eine Einmalzahlung von 200 € zu leisten ist,<br />
sieht der Tarifvertrag bei einer insgesamt 14-monatigen<br />
Laufzeit eine tabellarische Entgeltanhebung von 5,2 %<br />
vor. Dieses Ergebnis spiegelt in erster Linie die konjunkturelle<br />
Sondersituation in der Branche wider und ist auch<br />
dadurch bedingt, dass jeder Arbeitskampf angesichts des<br />
Booms in der Stahlindustrie und der guten Auftragslage<br />
der Unternehmen zu gravierenden Auswirkungen auch
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
37<br />
auf andere Branchen geführt hätte. Erfreulicherweise<br />
kam es nicht zu einer möglichen Signalwirkung dieses<br />
Abschlusses auf andere Branchen.<br />
Mitte März hat sich die Bekleidungs- und Textilindustrie<br />
vom Stahlabschluss absetzen können. Hier hatten die<br />
Arbeitgeber bereits frühzeitig ein erstes Angebot vorgelegt<br />
und waren gleichwohl massiven Warnstreiks der<br />
IG Metall ausgesetzt. Vereinbart wurde letztlich eine<br />
tabellenwirksame Entgelterhöhung von 3,6 % zuzüglich<br />
einer variabel ausgestalteten Einmalzahlung von 200 €<br />
bei drei Nullmonaten und einer Gesamtlaufzeit von<br />
zwölf Monaten. Neben einer Altersteilzeit-Verlängerung<br />
bis Ende 2009 haben die Tarifparteien eine Empfehlung<br />
zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft abgegeben.<br />
Deutlich oberhalb des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts<br />
liegen die beschlossenen Entgelterhöhungen<br />
von insgesamt 6,9 %, die Ende März im öffentlichen<br />
Dienst zwischen dem Bund und der Vereinigung<br />
der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) sowie<br />
ver.di und der dbb tarifunion vereinbart wurden. Der<br />
Tarifkonflikt entbrannte an der Forderung der Gewerkschaften<br />
nach einem Lohnplus von 8 % und dem Ziel<br />
der Arbeitgeber, eine Arbeitszeitverlängerung durchzusetzen.<br />
Tarifpolitischer Druck wurde auf Arbeitnehmerseite<br />
vor allem auch deshalb aufgebaut, weil der öffentliche<br />
Dienst in den vorausgegangenen Jahren keine<br />
bzw. nur leichte Lohnerhöhungen vorgenommen hatte.<br />
Dies zum Anlass nehmend schalteten sich sogar Vertreter<br />
aus der Politik in die laufende Tarifrunde ein. Einvernehmen<br />
konnte erst nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren<br />
erreicht werden: Vereinbart wurden ein<br />
einheitlicher Sockelbetrag von 50 € je Monat und eine<br />
zusätzliche Anhebung der Entgelte von 3,1 % in einer<br />
ersten Stufe sowie eine Einmalzahlung von 225 € und<br />
eine weitere Erhöhung von 2,8 % ab 2009. Außerdem<br />
wurde die volle Ost-West-Angleichung der Entgelte beschlossen.<br />
Die durch die Abschlusshöhe verursachte<br />
Kostenbelastung dürfte die Konsolidierung der Haushalte<br />
gefährden. Um eine stärkere Neuverschuldung zu<br />
vermeiden, besteht die Gefahr, dass die Bürger durch<br />
steigende Gebühren zur Kasse gebeten und Leistungen<br />
abgebaut werden. Vor allem die mit dem Abschluss verbundenen<br />
überproportionalen Anhebungen der unteren<br />
Entgeltgruppen erhöhen den Druck auf die Kommunen.<br />
Gut jede dritte Stadt oder Gemeinde hält einen Personalabbau<br />
zum Ausgleich der überzogenen Lohnsteigerungen<br />
für wahrscheinlich. Demgegenüber ergeben<br />
sich positive Effekte aus der relativ langen Gesamtlaufzeit<br />
von 24 Monaten und der Arbeitszeitverlängerung<br />
für die Gemeindebeschäftigten in Westdeutschland von<br />
38,5 auf 39 Stunden.<br />
Im April folgte der Tarifabschluss in der chemischen Industrie.<br />
Dieser enthält eine 4,4-prozentige Entgeltanhebung<br />
im Jahr <strong>2008</strong>, verbunden mit einer variablen Einmalzahlung<br />
und anschließenden 3,3 % im Jahr 2009.<br />
Zwar wurde damit auch in dieser Branche der zur Verfügung<br />
stehende Verteilungsspielraum ausgereizt. Als<br />
Entlastungselement wirken jedoch auch hier die relativ<br />
lange Gesamtlaufzeit des Tarifvertrages von 25 Monaten<br />
und die Möglichkeit, durch Betriebsvereinbarung<br />
die Einmalzahlung aus wirtschaftlichen Gründen zu<br />
verschieben, zu verkürzen oder wegfallen zu lassen.<br />
Gleichzeitig wird das Ausbildungsengagement für die<br />
Jahre 2009 und 2010 erneut durch konkrete Ausbildungsplatzangebote<br />
unterstrichen. Wegweisend sind die<br />
Lösungsansätze zur Bewältigung des demografischen<br />
Wandels und damit zur strukturellen Verbesserung der<br />
Beschäftigungsbasis in dieser Branche. Nach dem hierfür<br />
abgeschlossenen neuen Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit<br />
und Demografie“ können die Betriebspartner auf<br />
Basis eines Demografiefonds eine flexible Gestaltung<br />
der Lebensarbeitszeit durch Langzeitkonten, Teilrente,<br />
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, tarifliche Altersvorsorge<br />
und Altersteilzeit vornehmen. Der Demografie-Tarifvertrag<br />
in der Chemie ist ein überaus innovativer<br />
Ansatz, die Herausforderungen der demografischen Entwicklung<br />
erfolgreich zu meistern (vgl. Kasten, S. 38).<br />
Bereits Anfang des Jahres hatte die Landwirtschaft mit der<br />
IG Bauen-Agrar-Umwelt eine Tarifvereinbarung erzielt,<br />
die zu Beginn der 27-monatigen Laufzeit zwei Nullmonate<br />
vorsieht, gefolgt von einer tabellarischen Entgeltanhebung<br />
von 3,8 % und ab 2009 zusätzlich 3,3 %.<br />
Anfang Februar erzielten im Bereich der Ernährungsindustrie<br />
die Brauereien mit der Gewerkschaft Nahrung-<br />
Genuss-Gaststätten erste Tarifergebnisse, die je nach<br />
Tarifgebiet voneinander abweichen. So schwanken die<br />
Laufzeiten der Tarifverträge zwischen 12 und 23 Monaten.<br />
In Bayern z. B. folgt nach vier Nullmonaten und<br />
Einmalzahlungen von insgesamt 600 € ein tabellenwirksames<br />
Lohnplus von 2,9 % bei einer Gesamtlaufzeit von<br />
14 Monaten.
38<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Herausforderung demografischer Wandel – Flexible Gestaltung<br />
der Lebensarbeitszeit am beispiel der chemischen industrie<br />
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Wirtschaft immer stärker auf ältere Beschäftigte angewiesen.<br />
Zugleich hat der Gesetzgeber mit der schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre ein wichtiges<br />
Signal für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit und mehr Beschäftigung Älterer gegeben. Außerdem werden durch<br />
das Auslaufen der Förderung der Altersteilzeit aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit Ende 2009 beitragsfinanzierte<br />
Fehlanreize zur Frühverrentung abgeschafft.<br />
Gleichwohl wird es auch zukünftig zur betrieblichen Realität gehören, dass individuell ein Bedürfnis nach einem flexiblen<br />
Übergang in den Ruhestand besteht. Die Tarifvertragsparteien stehen vor der Herausforderung, Regelungen zur<br />
Gestaltung des Arbeitslebens zu finden, die den Beschäftigten einerseits ermöglichen, länger tätig zu sein, aber auch in<br />
Einzelfällen vor Erreichen der Regelarbeitsgrenze aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Im Vordergrund steht dabei die<br />
flexiblere Gestaltung der Lebensarbeitszeit.<br />
Eine innovative Lösung dazu bietet der Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ der chemischen Industrie vom<br />
16. April <strong>2008</strong>. Mit diesem Tarifvertrag werden die Herausforderungen der alternden Gesellschaft aufgegriffen und Unterstützung<br />
im Interesse einer längeren Beschäftigung angeboten. Elemente der neuen „Chemieformel Demografie“ sind:<br />
•Betriebliche Demografieanalyse (Alters- und Qualifikationsstruktur)<br />
•Maßnahmen zur alters- und gesundheitsgerechten Gestaltung des Arbeitsprozesses mit dem Ziel der Verbesserung<br />
der Beschäftigungs- und Leistungsfähigkeit<br />
•Maßnahmen zur Qualifizierung während des gesamten Arbeitslebens<br />
•Maßnahmen der (Eigen-)Vorsorge und Nutzung verschiedener Instrumente für gleitende Übergänge zwischen<br />
Bildungs-, Erwerbs- und Ruhestandsphase<br />
Zentraler Baustein des Tarifvertrages sind betriebliche Demografiefonds. Die Betriebe stellen ab 2010 einen Betrag von<br />
zunächst jährlich 300 € je Tarifarbeitnehmer für Instrumente zur flexiblen Gestaltung der Lebensarbeitszeit zur Verfügung.<br />
Zur Wahl stehen:<br />
•Langzeitkonten<br />
•Teilrente<br />
•Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Chemie<br />
•Tarifliche Altersvorsorge<br />
•Altersteilzeit<br />
Die Auswahl der konkreten Instrumente für die Verwendung des Demografiefonds erfolgt aufgrund freiwilliger Betriebsvereinbarungen.<br />
Falls auf betrieblicher Ebene keine Einigung erzielt wird, ist als Auffangregelung für Betriebe mit bis<br />
zu 200 Arbeitnehmern die tarifliche Altersvorsorge vorgesehen. Betriebe mit mehr als 200 Arbeitnehmern müssen die<br />
Wertguthaben aus dem Demografiefonds in ein Langzeitkonto einbringen. Wird keine Einigung über die Verwendung des<br />
Langzeitkontos erzielt, soll es zur Freistellung vor der Altersrente genutzt werden.<br />
Die Altersteilzeit dürfte künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Es besteht ab 2010 kein individueller Anspruch<br />
auf Altersteilzeit mehr. Die Aufstockungsbeträge sind aus den Mitteln des Demografiefonds zu finanzieren und damit begrenzt.<br />
Gleichzeitig entfällt die bisherige Abfindungsregelung, mit der Renteneinbußen ausgeglichen werden sollten. Außerdem<br />
darf der „Demografiebetrag“ im Rahmen der Altersteilzeit nicht zur Personalreduzierung verwendet werden.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
39<br />
In der Zeit von Februar bis Mai folgten die Tarifabschlüsse<br />
im Hotel- und Gaststättengewerbe mit Entgeltanhebungen<br />
je nach Region in einer Bandbreite zwischen<br />
3,0 und 4,0 %. Ebenso unterschiedlich fielen die Tarifverträge<br />
hinsichtlich der Vereinbarung von Nullmonaten<br />
und Laufzeiten aus.<br />
Der Abschluss im Steinkohlenbergbau Ende April zeichnet<br />
sich durch eine überaus lange Laufzeit von insgesamt<br />
36 Monaten aus, von denen die ersten vier Nullmonate<br />
sind. Auf eine tabellarische Entgeltanhebung von 3,4 %<br />
und eine Einmalzahlung von 300 € folgt ein weiteres<br />
Lohnplus von 2,0 % im Jahr 2009. Des Weiteren wurde<br />
der Tarifvertrag zur Gestaltung des Anpassungsprozesses<br />
im Steinkohlenbergbau verlängert.<br />
Anfang Mai erzielte die Papier, Pappe und Kunststoff<br />
verarbeitende Industrie mit ver.di ein Tarifergebnis mit<br />
einer Laufzeit von insgesamt 25 Monaten. Der Abschluss<br />
beinhaltet nach einem Nullmonat eine zweistufige<br />
Tariflohnerhöhung von 3,9 % und weiteren<br />
2,9 % im Jahr 2009.<br />
Ende Mai hat sich die Immobilienwirtschaft mit ver.di<br />
auf einen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 29 Monaten<br />
geeinigt. Dieser sieht Entgeltsteigerungen von 3,0 % im<br />
Jahr <strong>2008</strong> vor, gefolgt von 1,5 % im Jahr 2009 und<br />
1,0 % in 2010. Zusätzlich wurden zwei Einmalzahlungen<br />
für <strong>2008</strong> und 2009 in Höhe von 1,0 % eines auf<br />
das Jahr kumulierten Monatseinkommens im Tarifgebiet<br />
Westdeutschland vereinbart. In Ostdeutschland<br />
können die Einmalzahlungen ganz oder teilweise gewährt<br />
werden.<br />
Einen besonders hohen Preis musste die Deutsche<br />
Bahn AG zahlen. Zum einen hebt sich die Entgelterhöhung,<br />
die AGV MoVe und die Gewerkschaft Deutscher<br />
Lokomotivführer (GDL) vereinbart haben, mit zunächst<br />
8,0 % und anschließenden 3,0 % zuzüglich einer Einmalzahlung<br />
von 800 € bei einer Gesamtlaufzeit des<br />
Tarifvertrages von nur 19 Monaten deutlich von den<br />
Ergebnissen anderer Branchen ab. Zum anderen war<br />
dieser Tarifkonflikt durch über elf Monate währende<br />
Streikmaßnahmen der GDL belastet. Hintergrund war<br />
die Forderung der GDL nach einem eigenständigen<br />
Tarifpolitik: Lohnzurückhaltung trägt Früchte<br />
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte<br />
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, wenn es keine Lohnzurückhaltung gegeben hätte<br />
28.000<br />
28.118<br />
0<br />
27.000<br />
0<br />
13<br />
142<br />
190<br />
192 192<br />
251<br />
26.880<br />
26.000<br />
337<br />
26.002<br />
So viele Arbeitsplätze hat die Lohnzurückhaltung<br />
insgesamt gesichert oder geschaffen<br />
371<br />
524 680<br />
879<br />
25.000<br />
1995<br />
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, wenn es keine Lohnzurückhaltung gegeben hätte: Beschäftigungsentwicklung, wenn die Gewerkschaften<br />
immer Lohnerhöhungen im Ausmaß von Produktivitätswachstum und Inflationsrate durchgesetzt hätten – in Jahren, in denen die Lohnsteigerungen darüber<br />
hinausgingen, wurde der tatsächliche Abschluss für die Berechnungen zugrunde gelegt.<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt, IW Köln
40<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Ausgewählte Tarifabschlüsse <strong>2008</strong> (nach Abschlussdatum)<br />
Tarifbereich/Beschäftigte<br />
Tariferhöhung<br />
in %<br />
Laufzeiten (Gesamtlaufzeit)<br />
Weitere Vereinbarungen/Bemerkungen<br />
Landwirtschaft<br />
West + Ost (23.01.08)<br />
40.000<br />
3,8<br />
3,3<br />
03/08–01/09<br />
02/09–03/10<br />
2 Nullmonate<br />
(27 Monate)<br />
Tarifempfehlung für Landarbeiter<br />
Untere Entgeltgruppen entfallen, zukünftig individuelle Vereinbarungen für Entgelte<br />
unter 7 € (West) / 6,10 € (Ost)<br />
Brauereien<br />
Bayern (6.02.08)<br />
11.000<br />
2,9<br />
03/08–12/08<br />
4 Nullmonate m.<br />
Einmalzahlung<br />
(14 Monate)<br />
Schlichtungsergebnis<br />
Einmalzahlung von insgesamt 600 €<br />
Weitere Tarifgebiete mit regional unterschiedlichen Vereinbarungen von Laufzeiten<br />
zwischen 12 und 23 Monaten und ein- bis zweistufigen Anhebungen der Tarifsätze<br />
Stahlindustrie<br />
West + Ost (20.02.08)<br />
85.000<br />
5,2<br />
03/08–03/09<br />
1 Nullmonat m.<br />
Einmalzahlung<br />
(14 Monate)<br />
Einmalzahlung von 200 €<br />
Hotel- und Gaststättengewerbe<br />
NRW (ab 20.02.08)<br />
180.000<br />
3,0<br />
2,5<br />
03/08–02/09<br />
03/09–05/10<br />
(27 Monate)<br />
Unterste Entgeltgruppe entfällt, Tätigkeiten in neuer Gruppe 2a<br />
Weitere Tarifgebiete mit regional unterschiedlichen Vereinbarungen von Nullmonaten,<br />
Laufzeiten (15–24 Monate) und ein- bis zweistufigen Anhebungen der Tarifsätze<br />
Deutsche Bahn AG<br />
Lokführer<br />
West + Ost<br />
(30.01./9.03.08)<br />
20.000<br />
8,0<br />
3,0 *<br />
03/08–08/08<br />
09/08–01/09<br />
8 Nullmonate m.<br />
Einmalzahlung<br />
(19 Monate)<br />
Einmalzahlung von 800 €<br />
*) durchschnittliche Anhebung (bei unveränderter Anfangsstufe)<br />
Stufenweise Absenkung der Jahressollarbeitszeit<br />
Grundlagenvertrag zur Regelung der Beziehung von Bahngewerkschaften und Arbeitgeberverband<br />
Bekleidungsindustrie/<br />
Textilindustrie<br />
West (11.03.08)<br />
120.000<br />
3,6<br />
06/08–02/09<br />
3 Nullmonate m.<br />
Einmalzahlung<br />
(12 Monate)<br />
Variabel gestaltete Einmalzahlung von 200 €<br />
Altersteilzeit-Verlängerung bis Ende 2009<br />
Empfehlung zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft<br />
Öffentlicher Dienst<br />
Bund, Gemeinden<br />
West + Ost (31.03.08)<br />
2.000.000<br />
3,1 + 50 €<br />
Sockelbetrag<br />
2,8<br />
01/08*–12/08<br />
01/09–12/09<br />
(24 Monate)<br />
*) Tarifanhebung Ost ab April <strong>2008</strong><br />
Zusätzliche Pauschale von 225 € im Januar 2009<br />
Arbeitszeitverlängerung für Gemeinden West auf 39 Stunden<br />
Vereinbarung zur Ost-West-Angleichung der Entgelte<br />
Chemische Industrie<br />
West + Ost<br />
(16./27.04.08)<br />
580.000<br />
4,4<br />
3,3<br />
Laufzeitbeginn regional<br />
unterschiedlich<br />
03-05/08–03-05/09<br />
04-06/09–03-05/10<br />
(25 Monate)<br />
Zusätzliche, auf erster Stufe der Laufzeit (13 Monate) bezogene und variabel gestaltete<br />
Einmalzahlung von 0,5 % des Tarifentgelts<br />
Fortschreibung des TV „Zukunft durch Ausbildung“ mit insgesamt 18.200 Ausbildungsplätzen<br />
für 2009 und 2010<br />
Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ mit arbeitgeberfinanzierten betrieblichen<br />
Fonds ab 2010<br />
Ost: zweistufige Entgeltanpassung Berlin-West im Oktober <strong>2008</strong>/2009<br />
Steinkohlenbergbau<br />
West (22.04.08)<br />
40.000<br />
3,4<br />
2,0<br />
05/08–06/09<br />
07/09–12/10<br />
4 Nullmonate m.<br />
Einmalzahlung<br />
(36 Monate)<br />
Einmalzahlung von 300 €<br />
Verlängerung des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung zur Begleitung des<br />
Steinkohle-Anpassungsprozesses<br />
Deutsche Post AG<br />
West + Ost (30.04.08)<br />
130.000<br />
4,0<br />
3,0<br />
11/08–11/09<br />
12/09–06/10<br />
6 Nullmonate m.<br />
Einmahlzahlung<br />
(26 Monate)<br />
Einmalzahlung von 200 €<br />
Absenkung tarifvertraglicher Kurzpausen um ca. 50 Minuten pro Woche<br />
Entsorgungswirtschaft<br />
West + Ost (7.05.08)<br />
20.000<br />
2,8 + 50 €<br />
Sockelbetrag<br />
3,0<br />
05/08–04/09<br />
05/09–04/10<br />
4 Nullmonate m.<br />
Einmalzahlung<br />
(28 Monate)<br />
Einmalzahlung von 100 €<br />
Stufenweise Verlängerung der Wochenarbeitszeit West von 37 auf 38 Stunden<br />
Vereinbarung von Mindestlohnverhandlungen mit VKA und ver.di<br />
Papier, Pappe und<br />
Kunststoff verarbeitende<br />
Industrie<br />
West + Ost (8.05.08)<br />
95.000<br />
3,9<br />
2,9<br />
05/08–04/09<br />
05/09–04/10<br />
1 Nullmonat<br />
(25 Monate)<br />
Immobilienwirtschaft<br />
West + Ost (28.05.08)<br />
50.000<br />
3,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
07/08–06/09<br />
07/09–04/10<br />
05/10–11/10<br />
(29 Monate)<br />
West: zwei zusätzliche Einmalzahlungen für <strong>2008</strong> und 2009 in Höhe von 1 %<br />
bezogen auf zwölf Monatseinkommen<br />
Ost: Einmalzahlungen können ganz oder teilweise gezahlt werden
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
41<br />
Tarifvertrag. Im März wurde schließlich eine Einigung<br />
zwischen der Deutsche Bahn AG und GDL, aber auch<br />
zwischen der Deutsche Bahn AG und der Tarifgemeinschaft<br />
aus Transnet und GDBA (TG) erzielt. Danach<br />
gibt es zukünftig einen eigenständigen Lokomotivführertarifvertrag,<br />
der sich konflikt- und widerspruchsfrei<br />
in das neue Tarifwerk der Deutsche Bahn AG einfügt.<br />
Ein Basistarifvertrag regelt die typischen Mantelthemen,<br />
während sechs funktionsspezifische Zusatztarifverträge<br />
für einzelne Berufsgruppen – darunter der Lokomotivführertarifvertrag<br />
– insbesondere die Entgelt- und Arbeitszeitbestimmungen<br />
erfassen. Des Weiteren wurden<br />
mit der TG Grundlagentarifverträge abgeschlossen, um<br />
Überschneidungen im persönlichen Geltungsbereich<br />
zu verhindern und auf diese Weise die Tarifeinheit im<br />
Deutsche-Bahn-Konzern zu sichern. GDL und TG haben<br />
sich verpflichtet, die Tarifverträge des jeweils anderen<br />
anzuerkennen.<br />
Nettoreallöhne: Falscher<br />
MaSSStab für Lohnforderungen<br />
Die Rufe nach höheren Löhnen – auch aus der Politik – resultieren<br />
in erster Linie aus einer verzerrten Wahrnehmung<br />
und falschen Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung.<br />
So wurden immer wieder die seit 2005 im gesamtwirtschaftlichen<br />
Durchschnitt gesunkenen Nettoreallöhne als<br />
Argument für Lohnforderungen herangezogen. Sie seien<br />
ein Beleg dafür, dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht<br />
bei allen Beschäftigten angekommen sei.<br />
Bereits die Eckdaten belegen das Gegenteil: Die monatlichen<br />
Bruttoverdienste je Arbeitnehmer sind 2007<br />
um durchschnittlich 1,5 % gestiegen; das ist die stärkste<br />
Zunahme seit 2001. Gesamtwirtschaftlich betrachtet<br />
lag die Veränderungsrate der Bruttolöhne und -gehälter<br />
im selben Zeitraum sogar bei 3,4 % und damit über<br />
den Zuwächsen der vergangenen sechs Jahre. Die Zahl<br />
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in den<br />
letzten beiden Jahren kräftig gestiegen und hat um fast<br />
1,3 Mio. zugelegt (März 2006 gegenüber März <strong>2008</strong>).<br />
Im März <strong>2008</strong> hatten rund 27,2 Mio. Menschen einen<br />
sozialversicherungspflichtigen Job. Gleichzeitig sank<br />
die Zahl der Arbeitslosen allein im vergangenen Jahr<br />
um etwa ein Sechstel und betrug im Mai <strong>2008</strong> laut<br />
Bundesagentur für Arbeit (BA) nur noch etwa 3,3 Mio.<br />
Darüber hinaus sind die verfügbaren Einkommen nach<br />
Angaben des Statistischen Bundesamtes in den letzten<br />
beiden Jahren um 4 % und die Sparquote 2007 mit<br />
11 % auf das höchste Niveau seit 1995 gestiegen. Insgesamt<br />
zeigt sich, dass der Aufschwung sowohl bei<br />
den vorher Arbeitslosen als auch bei den Beschäftigten<br />
angekommen ist.<br />
Die in den letzten Jahren gesunkenen Nettoreallöhne<br />
resultieren vor allem aus den stark gestiegenen Verbraucherpreisen.<br />
Diesen nun in Form von kräftigen<br />
Entgeltanhebungen entgegenzuwirken, wäre kontraproduktiv.<br />
Die Preissteigerungen sind vor allem extern<br />
verursacht: Mehrwertsteuererhöhung und höhere<br />
Energie- und Ölpreise haben die Lebenshaltungskosten<br />
nach oben getrieben. Aber auch Unternehmen sind<br />
von diesen Belastungen betroffen; überproportionale<br />
Entgeltanhebungen führen in dieser Situation zu einer<br />
weiteren Kostenverschärfung. Unternehmen wären gezwungen,<br />
die gestiegenen Kosten über die Erhöhung<br />
der Produktpreise zu kompensieren – was sich negativ<br />
auf den Konsum und damit zu Lasten der Verbraucher<br />
auswirken würde. Andernfalls wären Unternehmen<br />
gezwungen, die gestiegenen Personalkosten durch Beschäftigungsabbau<br />
aufzufangen. Auch die Deutsche<br />
Bundesbank hat Anfang dieses Jahres davor gewarnt,<br />
die erhöhten Preissteigerungsraten in Deutschland und<br />
im Euroraum zur Messlatte für kommende Lohnverhandlungen<br />
werden zu lassen.<br />
In Wahrheit geht es um eine andere Stellschraube: Die<br />
Differenz zwischen Nettoverdiensten und Arbeitskosten<br />
– der sog. Abgabenkeil – hat sich zu einem beträchtlichen<br />
Fixkostenbestandteil entwickelt. Ergab sich 1991<br />
aus den durchschnittlichen Arbeitskosten je Arbeitnehmer<br />
von 2.008 € noch ein Netto von 1.141 € (57 %), kamen<br />
bei den Arbeitnehmern 2007 von den 2.795 €, die die<br />
Arbeitgeber im Mittel monatlich für sie zahlten, nur noch<br />
1.474 € (53 %) auf dem Konto an. Obwohl die monatlichen<br />
Bruttoverdienste je Arbeitnehmer zwischen 2006<br />
und 2007 um 1,5 % gestiegen sind, hat sich der Anteil, der<br />
den Arbeitnehmern netto verbleibt, nicht verändert.<br />
Löhne dürfen nur so stark steigen, wie es nach dem<br />
Anstieg der Wirtschaftsleistung bzw. Produktivität gerechtfertigt<br />
ist. Demgegenüber ist es erforderlich, die<br />
Lohnzusatzkosten zu senken. Hauptbestandteil der<br />
Lohnzusatzkosten sind die Beiträge zur Sozialversiche-
42<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Arbeitskosten: Was der Staat nimmt<br />
So viel Prozent der Arbeitskosten, die ein Unternehmen für einen Mitarbeiter aufwenden muss, fließen an den Staat<br />
Sozialabgaben<br />
Steuern<br />
Belgien<br />
34,0<br />
21,3<br />
55,4<br />
Deutschland<br />
35,0<br />
17,5<br />
52,5<br />
Frankreich<br />
39,3<br />
10,9<br />
50,2<br />
Österreich<br />
36,5<br />
11,5<br />
48,1<br />
Italien<br />
31,2<br />
13,9<br />
45,2<br />
Niederlande<br />
32,7<br />
11,7<br />
44,4<br />
Dänemark 11,2<br />
30,1<br />
41,3<br />
Spanien<br />
28,3<br />
10,8<br />
39,1<br />
Norwegen<br />
18,6<br />
18,7<br />
37,3<br />
Vereinigtes Königreich<br />
18,0<br />
15,9<br />
33,9<br />
Schweiz<br />
19,9<br />
9,8<br />
29,7<br />
USA 14,3<br />
14,6<br />
28,9<br />
Japan<br />
22,4<br />
6,4<br />
28,8<br />
Australien<br />
5,7<br />
22,4<br />
28,1<br />
Irland<br />
14,3<br />
8,8 23,1<br />
Stand: 2006; alleinstehende Durchschnittsverdiener; Arbeitskosten: Bruttolöhne plus Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber<br />
Quelle: OECD, IW Köln<br />
rung. Seit 1990 sind sie um über vier Prozentpunkte<br />
angestiegen, so dass der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz<br />
im Juli 40,1 % erreicht – verbunden mit entsprechend<br />
niedrigen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer.<br />
Eine Abgabensenkung hat daher unmittelbare Auswirkungen<br />
auf die Einkommenssituation. Zudem verbessert<br />
sie erheblich die Beschäftigungschancen. Wissenschaftliche<br />
Untersuchungen belegen, dass ein Prozentpunkt<br />
sinkender Sozialversicherungsbeiträge längerfristig etwa<br />
150.000 neue Jobs bringt.<br />
Verschärfte Diskussion über<br />
gesetzliche Mindestlöhne<br />
Die Diskussion über gesetzliche Mindestlöhne hat<br />
sich im ersten Halbjahr <strong>2008</strong> verschärft fortgesetzt.<br />
Gewerkschaften und SPD fordern unverändert einen<br />
allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und verstehen<br />
die bisher geforderten 7,50 € nur als Zwischenschritt.<br />
Dies bestätigt die Sorge, dass gesetzliche Mindestlöh-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
43<br />
Beschäftigungsentwicklung bei Wettbewerbern der Deutsche Post AG<br />
Einführung des gesetzlichen<br />
Mindestlohns für Briefdienstleister<br />
zum 1. Januar <strong>2008</strong><br />
50.000<br />
31. März <strong>2008</strong><br />
40.000<br />
30.000<br />
20.000<br />
Dez. 2002 Dez. 2003 Dez. 2004 Dez. 2005 Dez. 2006 Dez. 2007<br />
Dez. <strong>2008</strong><br />
Quellen: Bundesnetzagentur, BDA<br />
ne auch in Deutschland zum Spielball der Politik und<br />
zum immerwährenden Wahlkampfthema würden.<br />
Spätestens seit dem Desaster mit dem Post-Mindestlohn<br />
ist deutlich: Gesetzliche Mindestlöhne kosten<br />
Arbeitsplätze. Folglich ist jede Form gesetzlicher Mindestlöhne<br />
entschieden abzulehnen. Die BDA hat aus<br />
diesem Grund ihre Kampagne „Mindestlohn macht arbeitslos“<br />
gestartet.<br />
Angriffe auf die Tarifautonomie<br />
durch Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
und Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
Anfang Januar wurden vom Bundesarbeitsminister erste<br />
Entwürfe zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)<br />
und zur Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />
(MiaG) vorgelegt. Auf diesen Weg hatte sich<br />
die Koalition im vergangenen Jahr verständigt. Die bereits<br />
nach dem Kompromiss vom Juni 2007 aufgekommenen<br />
Befürchtungen wurden durch die Gesetzentwürfe<br />
noch weit übertroffen: Geschaffen werden sollte<br />
nicht nur die Voraussetzung für ein flächendeckendes<br />
System branchenbezogener Mindestlöhne. Es sollte zugleich<br />
die Ermächtigung entstehen, Tarifverträge außer<br />
Kraft zu setzen, selbst wenn diese von der Mehrheit<br />
einer Branche angewendet werden. Damit war ein brutaler<br />
Angriff auf die Tarifautonomie geplant. Das Präsidium<br />
der BDA hat die Bundesregierung mit Beschluss<br />
vom 28. Januar <strong>2008</strong> (vgl. Kasten) aufgefordert, die<br />
entsprechenden Entwürfe zum AEntG und zum MiaG<br />
zurückzuziehen.<br />
Diese ersten Entwürfe wurden in der Ressortabstimmung<br />
der Bundesministerien gestoppt. Bundeskanzleramt,<br />
Bundeswirtschaftsministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium<br />
sahen in ihnen keine geeignete<br />
Diskussionsgrundlage. Auch das Bundesinnenministerium<br />
äußerte erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.<br />
Innerhalb der Union stießen die Vorschläge auf Ablehnung,<br />
weil der Bundesarbeitsminister an entscheidenden<br />
Stellen weit über den Koalitionskompromiss vom<br />
Juni 2007 hinausgegangen war.<br />
Nach längerem Stillstand und diskreten Gesprächen<br />
zwischen Bundeskanzleramt, Bundesarbeitsministerium<br />
und Bundeswirtschaftsministerium hat der Bundesarbeitsminister<br />
Mitte Juni neue Gesetzentwürfe vorgelegt.<br />
Diese sind in einigen Punkten gegenüber den<br />
ersten Entwürfen nachgebessert worden. So ist z. B.<br />
die regionale Anwendung der Gesetze und damit die<br />
Möglichkeit zur flächendeckenden Lohnfestsetzung in<br />
allen Branchen vom Tisch. Und die Anwendung des<br />
MiaG soll auf Mindestentgelte beschränkt werden und<br />
nicht mehr alle Arbeitsbedingungen umfassen. Unverändert<br />
enthalten allerdings beide Gesetze die Ermäch-
44<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA vom 28. Januar <strong>2008</strong><br />
Stellungnahme zu den Referentenentwürfen zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
und zum Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
Das Präsidium der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert die Bundesregierung auf,<br />
die vorgelegten Referentenentwürfe zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz und zum Mindestarbeitsbedingungengesetz zurückzuziehen.<br />
Eine Umsetzung dieser Entwürfe wäre die Ermächtigung zu einem flächendeckenden staatlichen Lohndiktat,<br />
mit dem sogar mehrheitlich in einer Branche angewendete Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden könnten.<br />
Dies käme einer Ermächtigung zur Abschaffung der Tarifautonomie gleich.<br />
I. Referentenentwurf zum Entsendegesetz<br />
Die BDA lehnt es entschieden ab, das bestehende Entsendegesetz zu einem völlig neuen Gesetz zur staatlichen Lohnfestsetzung<br />
umzufunktionieren, wie es im Referentenentwurf vorgesehen ist.<br />
1. Tarifverträge einer Minderheit können der Mehrheit einer Branche aufgezwungen werden – dem Missbrauch wird<br />
Tür und Tor geöffnet!<br />
Nach dem Gesetzentwurf können Tarifverträge einer Minderheit einer ganzen Branche mit gesetzlicher Wirkung per<br />
Rechtsverordnung aufgezwungen werden und dabei sogar die in der Branche überwiegend angewandten Tarifverträge<br />
verdrängen und außer Kraft setzen. Damit kann durch das geplante Gesetz und die darauf gestützten Rechtsverordnungen<br />
die positive und negative Koalitionsfreiheit außer Kraft gesetzt werden.<br />
In das Entsendegesetz sollen auf Antrag Branchen aufgenommen werden, in denen insgesamt eine Tarifbindung<br />
von mindestens 50 % besteht, wobei sich diese sogar aus einer Addition von Firmen- und Branchentarifverträgen<br />
unterschiedlicher Tarifvertragsparteien ergeben soll. Ist die Aufnahme erfolgt, kann der Bundesminister per Rechtsverordnung<br />
auf Antrag einer Tarifvertragspartei einen Tarifvertrag der ganzen Branche selbst dann aufzwingen, wenn<br />
der betroffene Tarifvertrag nur von einem kleinen Teil der Branche abgeschlossen ist und für diesen Tarifvertrag<br />
selbst nur eine Tarifbindung von z. B. 10 oder 20 % besteht. Diese gesetzliche Konstruktion lädt – wie im Fall der<br />
Briefdienste – zur missbräuchlichen Anwendung ein, wenn ein Teil einer Branche z. B. höhere Löhne im Tarifvertrag<br />
aufweist und diese Arbeitsbedingungen den Wettbewerbern aufzwingen will. Der missbräuchlichen Anwendung des<br />
Gesetzes zur Verhinderung von Wettbewerb wird damit vollends Tür und Tor geöffnet.<br />
2. Konkurrierende Tarifverträge können außer Kraft gesetzt werden!<br />
Konkurrierende, abweichende Tarifverträge sollen auf der Grundlage des neuen Gesetzes durch eine Rechtsverordnung<br />
zwingend verdrängt werden. Bestehen in einer Branche z. B. mehrere Branchentarifverträge, so kann aufgrund<br />
des Antrags einer Gewerkschaft ein bestimmter Tarifvertrag per Rechtsverordnung für die ganze Branche mit gesetzlicher<br />
Wirkung vorgeschrieben werden, wobei alle abweichenden Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden. Auch<br />
wenn der per Rechtsverordnung erstreckte Tarifvertrag in der Branche mehrheitlich angewandt wird, ist damit die<br />
Tarifautonomie jener Tarifvertragsparteien beseitigt, die einen anderen, abweichenden Tarifvertrag für sich vereinbart<br />
haben.<br />
3. Die Anwendung des Gesetzes wird ausgeweitet, bisherige Voraussetzungen werden gestrichen!<br />
In dem Gesetzentwurf wird die nach geltendem Recht erforderliche bundesweite Tarifstruktur als Voraussetzung<br />
für die Erstreckung von Tarifverträgen gestrichen. Es sollen künftig auch Tarifverträge mit regional beschränktem<br />
Geltungsbereich durch Rechtsverordnung auf nicht an diesen Tarifvertrag gebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />
erstreckt werden können.<br />
Selbst nach der Ablehnung einer Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages in einem Bundesland könnte<br />
der Bundesarbeitsminister den entsprechenden Tarifvertrag durch Rechtsverordnung erstrecken. Damit wird mit dem<br />
neuen Gesetz eine Entmachtung der Länderzuständigkeiten betrieben.<br />
Diese Regelung zielt vor allem auf Regionen mit geringer Tarifbindung. So könnten in den neuen Bundesländern<br />
durch Rechtsverordnung des Bundes Tarifverträge zwingend auferlegt werden, obwohl in diesen Regionen nur eine<br />
geringe Tarifbindung besteht.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
45<br />
4. Die Beteiligung des Tarifausschusses ist nur ein Feigenblatt!<br />
Der Gesetzentwurf sieht eine Beteiligung des Tarifausschusses nur vor, wenn nach Aufnahme einer Branche in das<br />
Entsendegesetz erstmals ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages gestellt wird. Diese Regelung<br />
ist ein völlig wirkungsloses Feigenblatt. Wenn nämlich zu irgendeinem Tarifvertrag einmal ein Antrag gestellt ist<br />
und der Tarifausschuss beteiligt war, können danach alle anderen und weiteren Tarifverträge ohne Beteiligung des<br />
Tarifausschusses durch den Arbeitsminister auf Antrag einer Tarifvertragspartei erstreckt werden. Bei jedem folgenden<br />
Tarifvertrag wird das Verordnungsverfahren also ohne Tarifausschuss durchgeführt. Selbst wenn der Tarifausschuss<br />
den erstmaligen Antrag mehrheitlich abgelehnt hat, kann eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundeskabinetts<br />
ergehen. Die Beteiligung des Tarifausschusses ist damit in jedem Fall nur ein Feigenblatt, mit dem das staatliche<br />
Verordnungsverfahren nur im Falle des erstmaligen Antrages garniert werden soll.<br />
5. Die Ausweitung des Entsendegesetzes ist nur bei Vorliegen einer Entsendeproblematik vertretbar!<br />
Das Präsidium der BDA tritt dafür ein, eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen nur dann in Betracht<br />
zu ziehen, wenn tatsächlich eine Entsendeproblematik vorliegt und Tarifverträge gelten, die zuvor nach den<br />
Regeln des Tarifvertragsgesetzes allgemeinverbindlich erklärt wurden. Eine Ausweitung des Entsendegesetzes ohne<br />
diese Voraussetzungen lehnt die BDA ab. Nach dem Gesetzentwurf spielen diese Voraussetzungen keine Rolle. Der<br />
eigentliche Zweck des Gesetzes, die Anwendung allgemeinverbindlicher Tarifverträge auf ausländische Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer im Fall einer Entsendeproblematik zu ermöglichen, tritt völlig zurück. Der Gesetzescharakter wird<br />
grundlegend und zum Nachteil der Tarifautonomie verändert.<br />
II. Referentenentwurf zum Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
Das Präsidium der BDA wendet sich entschieden gegen die Aktivierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes von<br />
1952. Dieses Gesetz mag unter den Bedingungen der Nachkriegszeit Mitte des vorigen Jahrhunderts vertretbar gewesen<br />
sein, jedoch ist es aus guten Gründen nie angewandt worden. Unter den heutigen Bedingungen einer international<br />
verflochtenen, arbeitsteiligen und globalisierten Wirtschaft ist dieses Gesetz völlig untauglich. Auch wenn die staatlichen<br />
Rechtsverordnungen aufgrund dieses Gesetzes nach vorherigen Empfehlungen eines Haupt- und Fachausschusses<br />
erfolgen sollen, wird im Ergebnis mit dem Gesetzentwurf eine staatliche Festsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen<br />
ermöglicht, womit massiv in die positive und negative Koalitionsfreiheit eingegriffen wird.<br />
1. Konkurrierende Tarifverträge können außer Kraft gesetzt werden!<br />
Bestehende Tarifverträge sollen durch eine Rechtsverordnung auf der Grundlage des neuen Gesetzes außer Kraft<br />
gesetzt werden können. Damit wird eine höchst bedenkliche Tarifzensur ermöglicht. Der Bundesarbeitsminister hat<br />
durch die Berufung insbesondere des Fachausschusses einen maßgeblichen Einfluss auf die Empfehlungen, die dann<br />
durch eine staatliche Rechtsverordnung zu gesetzlichen Arbeitsbedingungen umgesetzt werden sollen. Da nach dem<br />
Gesetzentwurf entgegenstehende tarifliche Regelungen aufgehoben werden, stellt dies eine staatliche Tarifzensur<br />
dar, gegen die wir uns mit aller Entschiedenheit wenden.<br />
2. Das Gesetz soll die Festsetzung sämtlicher Arbeitsbedingungen ermöglichen!<br />
Nach dem Referentenentwurf soll es künftig möglich sein, in Branchen mit geringer Tarifbindung nicht nur Mindestlöhne,<br />
sondern sämtliche Arbeitsbedingungen durch Rechtsverordnung festzusetzen. Damit können nicht nur<br />
Löhne, sondern z. B. auch Arbeitszeiten, Urlaub usw. per Rechtsverordnung festgesetzt werden. Es gibt keinerlei<br />
Grund, neben dem Arbeitszeitgesetz und Urlaubsgesetz weitere Mindestarbeitsbedingungen per Rechtsverordnung<br />
mit gesetzlicher Wirkung festzusetzen!
46<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
3. Tarifliche Arbeitsbedingungen einer Minderheit können einer ganzen Branche aufgezwungen werden!<br />
Die BDA warnt nachdrücklich vor der Gefahr einer missbräuchlichen Anwendung eines solchen Gesetzes. Der Gesetzentwurf<br />
enthält die Ermächtigung, die Arbeitsbedingungen, die nach einem Tarifvertrag für einen kleinen Teil einer<br />
Branche gelten, auf eine ganze Branche zu übertragen und verbindlich vorzugeben. Der vom Arbeitsminister eingesetzte<br />
Fachausschuss, der die Empfehlungen beschließen soll, die dann per Rechtsverordnung mit gesetzlicher Wirkung<br />
umgesetzt werden, wird sich an bereits bestehenden Tarifverträgen orientieren, selbst wenn diese nur für einen kleinen<br />
Teil der Branche gelten. Das gilt vor allem, wenn der Bundesarbeitsminister entsprechend dem vorgelegten Gesetzentwurf<br />
in den Fachausschuss Vertreter der Antragsteller beruft, die ihre Arbeitsbedingungen anderen aufzwingen wollen.<br />
Durch die Berufung der Mitglieder des Fachausschusses und die mögliche Einflussnahme auf den Vorsitzenden von<br />
Haupt- und Fachausschuss hat der Arbeitsminister einen prägenden Einfluss auf die Inhalte.<br />
4. Das im Gesetzentwurf vorgesehene Verfahren schützt nicht vor Missbrauch des Gesetzes!<br />
Das Verfahren zur Festsetzung der Arbeitsbedingungen über Hauptausschuss, Fachausschuss und Rechtsverordnung<br />
ermöglicht eine missbräuchliche Anwendung der gesetzlichen Ermächtigung. Der Bundesarbeitsminister besetzt die<br />
Fachausschüsse mit Vertretern „betroffener“ Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ermöglicht damit z. B. die Beteiligung<br />
einer antragstellenden Tarifvertragspartei, die ein Interesse daran hat, die eigenen tarifvertraglichen Bestimmungen<br />
der ganzen Branche aufzuerlegen. Damit wird die Gefahr einer Instrumentalisierung des Gesetzes zur Verhinderung<br />
von Wettbewerb erhöht.<br />
5. Alles ist möglich – flächendeckende, aber auch regionale Festsetzungen!<br />
Eine Festsetzung der Arbeitsbedingungen im Wege der Rechtsverordnung ist nach dem Gesetzentwurf nahezu flächendeckend<br />
möglich. Für die Anwendung des Gesetzes soll es bereits ausreichen, dass regional weniger als 50 %<br />
der Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind. Damit zielt auch dieses Gesetz vor allem auf<br />
Branchen in den neuen Ländern, in denen die Tarifbindung unter 50 % liegt. Das Gesetz würde zudem zu einem<br />
parteipolitischen Instrument, da der Antrag zur Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen auch von einer Landesregierung<br />
gestellt werden kann.<br />
III. Mehr Beschäftigung für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose statt Vernichtung der Arbeitsplätze durch<br />
staatliche Lohndiktate!<br />
Die Arbeitgeber fordern die Koalition auf, den Weg der schrittweisen und schleichenden Abschaffung der Tarifautonomie<br />
zu verlassen und keine weitere Verstaatlichung der Lohnfestsetzung zu betreiben. Das Desaster bei der Post<br />
hat mehr als deutlich gezeigt, dass gesetzliche Mindestlöhne in großem Umfang vorhandene Arbeitsplätze vernichten<br />
sowie Investitionen und zusätzliche Arbeitsplätze verhindern können.<br />
Die Zahl der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, die ergänzend auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind,<br />
liefert kein Indiz für ein zunehmendes Niedriglohnproblem in Deutschland. Nach den aktuellsten Zahlen des IAB erhalten<br />
lediglich 64.000 alleinstehende Vollzeitbeschäftigte und damit gerade 0,15 % aller Erwerbstätigen ergänzendes<br />
Arbeitslosengeld II. Ganzjährig erhalten diese Leistung tatsächlich nur 4.100 Vollzeitbeschäftigte. Wenn Vollzeitbeschäftigte<br />
ergänzendes ALG II erhalten, dann in der Regel als Familienleistung.<br />
Deutschland hat nicht zu viel, sondern zu wenig Arbeitsplätze für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose. Der Arbeitsmarkt<br />
muss für einfache Tätigkeiten erschlossen werden, damit auch die Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt<br />
erhalten, die keine Ausbildung und keinerlei Qualifizierung haben oder seit Jahren arbeitslos sind.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
47<br />
tigung, tarifvertragliche Regelungen auszuschalten.<br />
Sie sind damit weiterhin ein massiver Angriff auf die<br />
Tarifautonomie.<br />
Nach dem geltenden MiaG haben Tarifverträge immer<br />
Vorrang vor einer staatlichen Lohnfestsetzung. Das ist keine<br />
Wohltat des Gesetzgebers, sondern verfassungsrechtlich<br />
unverzichtbar zum Schutz der Tarifautonomie. Dieser<br />
Tarifvorrang soll nun durch die Ermächtigung beseitigt<br />
werden, Tarifverträge durch staatliche Eingriffe außer<br />
Kraft zu setzen. Die als „Tarifvorrang“ bezeichnete Regelung<br />
des neuen Entwurfs, nach der vor dem 1. Juni <strong>2008</strong><br />
abgeschlossene Tarifverträge für die Zeit ihres Bestehens<br />
den staatlich festgesetzten Mindestentgelten vorgehen,<br />
läuft völlig leer. Sie sichert den Tarifvorrang nicht, denn<br />
nach spätestens zwei Jahren wäre eine staatliche Tarifzensur<br />
in allen Branchen möglich. Die Laufzeit von Entgelttarifverträgen<br />
ist grundsätzlich beschränkt und beträgt<br />
in der Regel 12 bis 24 Monate. Nach Ablauf dieser Zeit<br />
würde zugleich die Geltung des Tarifvorrangs ein für alle<br />
Mal erlöschen. Neue Tarifverträge wären nicht mehr vor<br />
staatlichem Lohndiktat geschützt.<br />
Mit der Änderung des AEntG soll genau die Regelung<br />
gestrichen werden, deretwegen das Berliner Verwaltungsgericht<br />
im März <strong>2008</strong> die Post-Mindestlohnverordnung<br />
für rechtswidrig erklärt hat: Der Entwurf sieht<br />
die Ermächtigung zur Erstreckung auch auf anders Tarifgebundene<br />
vor. Dagegen ist der Wortlaut des geltenden<br />
Gesetzes darauf beschränkt, die Rechtsnormen<br />
eines Tarifvertrages auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer zu erstrecken. Mit der beabsichtigten<br />
Änderung schafft der Bundesarbeitsminister die<br />
Voraussetzung für eine Reparatur seiner Post-Mindestlohnverordnung,<br />
die bereits jetzt tausende Arbeitsplätze<br />
vernichtet hat.<br />
Mit der vorgeschlagenen Regelung zur Tarifkonkurrenz<br />
im AEntG zielt der Gesetzentwurf eindeutig auf die Zeitarbeit<br />
und eine Schwächung der christlichen Gewerkschaften:<br />
Bei mehreren Tarifverträgen in einer Branche<br />
soll die Repräsentativität des jeweiligen Tarifvertrages<br />
dafür ausschlaggebend sein, ob dieser auf die gesamte<br />
Branche erstreckt werden kann. Die Erstreckung hätte<br />
zwangsweise das Ende konkurrierender Tarifverträge<br />
zur Folge. Das wäre eine verfassungsrechtlich höchst<br />
bedenkliche Ermächtigung zur staatlichen Zensur von<br />
Tarifverträgen zu Gunsten der DGB-Gewerkschaften. In<br />
der Zeitarbeit würde das Verfahren dazu führen, dass<br />
mit christlichen Gewerkschaften abgeschlossene Tarifverträge<br />
durch solche verdrängt würden, die mit DGB-<br />
Gewerkschaften abgeschlossen worden sind.<br />
Rechtswidrigkeit des Post-„Monopolsicherungslohns“ festgestellt<br />
Trotz der vollständigen Öffnung des deutschen Briefmarktes zu Beginn des Jahres ist es der Deutsche Post AG<br />
gemeinsam mit ver.di gelungen, mit einem 30 % über dem Durchschnittslohn der Wettbewerber liegenden<br />
„Mindestlohn“ von bis zu 9,80 € die Monopolstellung der Deutsche Post AG zu festigen und weiter auszubauen.<br />
Nach Inkrafttreten der Mindestlohnverordnung mussten viele Wettbewerber ihr Geschäft einstellen, tausende<br />
Arbeitsplätze gingen verloren.<br />
Im März hat das Berliner Verwaltungsgericht die Post-Mindestlohnverordnung für rechtswidrig erklärt. Nach<br />
dem Entsendegesetz könnten Tarifverträge nur auf nicht Tarifgebundene erstreckt werden. Es ermächtige nicht<br />
dazu, andere Tarifverträge zu verdrängen und so in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie einzugreifen.<br />
Darüber hinaus hatte das Gericht erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit einer Verordnung<br />
geäußert, die für viele Unternehmen wirtschaftlich das Ende bedeutet, bevor sie überhaupt auf dem gerade erst<br />
für den Wettbewerb geöffneten Briefmarkt Fuß fassen konnten. Der Bundesarbeitsminister hält gleichwohl an<br />
der Mindestlohnverordnung fest und will den Rechtsstreit in die nächsten Instanzen tragen, statt die Notbremse<br />
zu ziehen und so den Druck von der Branche zu nehmen, der weiterhin viele Existenzen und zahlreiche Arbeitsplätze<br />
bedroht.
48<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Branchen erfüllen Voraussetzungen<br />
für Aufnahme ins<br />
ARBEITNEHMER-ENTSENDEGESETZ<br />
nicht<br />
Die Koalition hatte sich in ihrem Kompromiss vom<br />
Juni 2007 darauf verständigt, weitere Branchen in das<br />
AEntG aufzunehmen, wenn beide Tarifvertragsparteien<br />
dies bis zum 31. März <strong>2008</strong> beantragen und in der betreffenden<br />
Branche eine Tarifbindung von mindestens<br />
50 % besteht. Obwohl weite Teile der Politik bis zum<br />
Schluss von einem großen Interesse von mindestens<br />
zehn Branchen mit 4,4 Mio. Beschäftigten ausgegangen<br />
waren, ist das Ergebnis ernüchternd: Lediglich acht<br />
überwiegend kleine Branchen bzw. Teilbranchen haben<br />
sich bis zum Stichtag gemeldet.<br />
Interesse kam aus der Zeitarbeit, der Entsorgungswirtschaft,<br />
der textilen Dienstleistungsbranche, dem Wachund<br />
Sicherheitsgewerbe, den forstwirtschaftlichen<br />
Dienstleistungen, der Weiterbildung, der Altenpflege<br />
und von den Bergbauspezialisten. Es ist erfreulich,<br />
dass sich die Bundeskanzlerin entschieden gegen eine<br />
Aufnahme der Zeitarbeit in das AEntG ausgesprochen<br />
hat: In dieser Branche werden nahezu flächendeckend<br />
Tarifverträge angewendet, und auch ein Entsendeproblem<br />
liegt nicht vor. Ebenso sind bei den übrigen sieben<br />
Branchen die Voraussetzungen für eine Aufnahme in<br />
das AEntG zumindest derzeit nicht erfüllt. So ist die erforderliche<br />
50-prozentige Tarifbindung in allen diesen<br />
Branchen mehr als fraglich. In vier Branchen besteht<br />
nicht einmal ein Mindestlohntarifvertrag, der aber notwendig<br />
wäre, um dies festzustellen.<br />
Regelung zur Tariftreueerklärung<br />
widerspricht<br />
europäischem Recht<br />
Eine Vielzahl von Landesvergabegesetzen geben Regelungen<br />
vor, nach denen die Vergabe öffentlicher Aufträge<br />
davon abhängig gemacht werden kann, dass vom<br />
Auftragnehmer eine sog. Tariftreueerklärung abgegeben<br />
wird, nach der er sich zur Einhaltung von Tarifverträgen<br />
verpflichtet. Dies ist in Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg,<br />
Hessen, Niedersachsen, dem Saarland und Schleswig-Holstein<br />
der Fall. Der Europäische Gerichtshof<br />
hat in der sog. „Rüffert“-Entscheidung ausgehend vom<br />
niedersächsischen Vergabegesetz festgestellt, dass die<br />
Forderung nach Abgabe einer Tariftreueverpflichtung<br />
nicht mit der Entsenderichtlinie und der europäischen<br />
Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist. Mit der Entscheidung<br />
dürften alle Tariftreueregelungen in den Vergabegesetzen<br />
mit dem europäischen Recht unvereinbar sein.<br />
Die Landesgesetzgeber sind nun gefordert, die Vergabevorschriften<br />
europarechtskonform zu gestalten. Als erste<br />
Reaktion haben alle Bundesländer die verwaltungsinterne<br />
Anweisung gegeben, bis auf weiteres im Rahmen der<br />
öffentlichen Auftragsvergabe keine Tariftreueerklärung<br />
mehr zu fordern. Folgen hat diese Entscheidung auch<br />
auf die geplante Novellierung des Vergaberechts des<br />
Bundes. Auch dort soll eine Regelung aufgenommen<br />
werden, auf deren Grundlage es zukünftig möglich sein<br />
soll, für die Auftragsausführung zusätzliche Anforderungen<br />
an Auftragnehmer zu stellen, die insbesondere soziale,<br />
umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen,<br />
wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem<br />
Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung<br />
ergeben.<br />
Tarifeinheit unverändert in Gefahr<br />
Zunehmend versuchen Arbeitnehmer in Sparten- und<br />
Berufsgewerkschaften ihre Schlüsselpositionen auszunutzen<br />
und trotz eines alle Beschäftigten umfassenden<br />
Tarifvertrages einen zusätzlichen Spartentarifvertrag<br />
durchzusetzen. Dadurch wird der für die Tarifautonomie<br />
und die betriebliche Praxis wichtige Grundsatz der<br />
Tarifeinheit in Frage gestellt, nach dem in einem Betrieb<br />
nur ein Tarifvertrag gelten kann.<br />
Die GDL hatte trotz eines für alle Beschäftigten der Deutsche<br />
Bahn AG bestehenden Tarifwerks über Monate mit<br />
Streiks und Streikdrohungen versucht, der Bahn einen<br />
eigenen Tarifvertrag abzupressen. Die Bahn musste am<br />
Ende einen hohen Preis dafür zahlen, dass zumindest für<br />
die nächsten Jahre die Tarifeinheit innerhalb des Konzerns<br />
gesichert ist (vgl. Kapitel „Ausgewählte Tarifabschlüsse“).<br />
Basis sind Vereinbarungen, die mit allen bei der Deutschen<br />
Bahn verhandelnden Gewerkschaften getroffen<br />
wurden (vgl. Kasten). Dauerhaft ist die Gefahr für die Tarifeinheit<br />
im Bahnverbund damit aber nicht beseitigt. Eine
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
49<br />
Tarifeinheit bei der Bahn – zunächst – gesichert<br />
Bei der Deutsche Bahn AG wird es zukünftig einen funktionsübergreifenden Basistarifvertrag geben, in dem alle typischen<br />
Mantelthemen geregelt sind. Daneben bestehen sechs funktionsspezifische Zusatztarifverträge für einzelne<br />
Berufsgruppen. Einer dieser Tarifverträge ist der mit der GDL abgeschlossene Lokomotivführertarifvertrag (LfTV). Seitens<br />
der Bahn wird die Eigenständigkeit dieses Tarifvertrages in den Grenzen seines genau definierten persönlichen<br />
Geltungsbereichs (Lokführer) anerkannt. Zentraler Baustein für die Sicherung der Tarifeinheit sind die Grundlagentarifverträge,<br />
welche die Bahn darüber hinaus sowohl mit der GDL als auch mit der Tarifgemeinschaft aus Transnet<br />
und GDBA (TG) abgeschlossen hat. Durch die gegenseitige Anerkennung der Zuständigkeiten und der persönlichen<br />
Geltungsbereiche wird die Widerspruchsfreiheit aller Tarifverträge im Tarifgefüge der Bahn gesichert. Es wurde vereinbart,<br />
dass TG und GDL mindestens bis 31. Dezember 2012 keine Tarifverträge fordern, die sich auf eine andere<br />
Mitarbeitergruppe beziehen. Zudem verpflichten sich GDL und TG gegenüber der Bahn, die Tarifverträge des jeweils<br />
anderen anzuerkennen. Sowohl die GDL als auch die TG haben sich im Übrigen gegenüber der Bahn verpflichtet,<br />
untereinander eine Kooperationsabrede abzuschließen. Dadurch soll ein „Aufschaukeln“ der Tarifforderungen vermieden<br />
und Konfliktlösungsprozesse (z. B. Schiedsverfahren) geregelt werden.<br />
Neues TArifwerk im DB-Konzern<br />
Funktionsübergreifender Basistarifvertrag<br />
•Eintritt/Austritt aus dem Arbeitsverhältnis<br />
•Urlaub/sonst. Abwesenheit/Beurlaubung<br />
•Zahlungsmodalitäten/Ecklohn<br />
•Erfolgsbeteiligung<br />
•Altersvorsorge<br />
•Beschäftigungssicherung<br />
I. Anlagen- und<br />
Fahrzeuginstandhaltung<br />
II. Zugbildung<br />
und -bereitstellung<br />
III. Bahnbetrieb<br />
und Netze<br />
IV. Lokomotivführer<br />
V. Bahnservice<br />
und Vertrieb<br />
VI. Allgemeine<br />
Aufgaben<br />
•Meister<br />
•Facharbeiter<br />
•Werke<br />
•Facharbeiter<br />
•Infrastruktur<br />
•Wagenmeister<br />
•Lokrangierführer<br />
•Rangierer<br />
•Fahrdienstleister<br />
•Weichenwärter<br />
•Schrankenwärter<br />
•Lehr-<br />
•Ausbildungs-<br />
•Auslands-<br />
•Streckenlokomotivführer<br />
•Zugchef<br />
•Zugbegleiter<br />
•KiN<br />
•Reiseberater<br />
•Steward<br />
•Mitarbeiter<br />
Servicepoint<br />
•Mitarbeiter<br />
3-S-Zentrale<br />
•Referent<br />
•Fachkraft<br />
•Servicekraft<br />
27.000 11.000 20.000 20.000 20.000 35.000<br />
Funktionsspezifische Zusatztarifverträge für rund 133.000 Mitarbeiter<br />
•Das Tarifsystem der Deutschen Bahn, das sog. „Brandenburger-<br />
Tor-Modell“, gilt für rund 133.000 Mitarbeiter. Es besteht aus einem<br />
einheitlichen Basistarifvertrag, der rund 80 % aller Bestimmungen<br />
umfasst.<br />
• Unterhalb davon gibt es sechs funktionsspezifische Zusatztarifverträge.<br />
Diese regeln insbesondere Entgelt- und Arbeitszeitbestimmungen.<br />
Einer dieser Verträge ist der mit der GDL vereinbarte<br />
Lokomotivführertarifvertrag.<br />
Quelle: Deutsche Bahn AG
50<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
ähnliche Auseinandersetzung um die Tarifeinheit droht<br />
gegenwärtig der Deutschen Lufthansa im Bereich des<br />
Kabinenpersonals. Hier fordern mit ver.di und der Gewerkschaft<br />
der unabhängigen Flugbegleiter (UFO) aktuell<br />
zwei Gewerkschaften Tariferhöhungen und versuchen<br />
sich dabei gegenseitig zu überbieten.<br />
Der Grundsatz der Tarifeinheit ist ein Garant für die<br />
tarifliche Friedenspflicht und damit für ein funktionierendes<br />
Tarifvertragssystem. Er ist wesentliche Voraussetzung<br />
zur Sicherung des Betriebsfriedens. Ohne<br />
Friedenspflicht besteht für die Unternehmen die Gefahr<br />
ständiger Tarifauseinandersetzungen oder gar Streiks.<br />
Spartengewerkschaften mit hohem Erpressungspotenzial<br />
könnten jederzeit Arbeitskämpfe um tarifliche Regelungen<br />
führen, die bereits in einem anderen Tarifwerk<br />
geregelt sind. Die Motivation nimmt ab, sich den Regelungen<br />
eines Tarifvertrages für die ganze Branche oder<br />
das gesamte Unternehmen zu unterwerfen. Denn trotz<br />
eines geltenden Tarifvertrages muss der Arbeitgeber jederzeit<br />
mit Arbeitskämpfen rechnen.<br />
Auch für die betriebliche Praxis besteht ein großes Bedürfnis<br />
nach Anwendung nur eines einheitlichen, für<br />
alle Beschäftigten geltenden Tarifvertrages. Eine Aufgabe<br />
des Grundsatzes der Tarifeinheit würde zu zahlreichen<br />
nur schwer lösbaren Problemen führen: Der Arbeitgeber<br />
müsste z. B. die Gewerkschaftszugehörigkeit<br />
seiner Arbeitnehmer erfragen, um den richtigen Tarifvertrag<br />
anzuwenden. Auch inhaltliche Unterschiede<br />
zwischen den einzelnen Tarifverträgen führen zu erheblichen<br />
Schwierigkeiten. Bei Arbeitsbedingungen<br />
wie z. B. der Arbeitszeit lassen sich unterschiedliche<br />
tarifvertragliche Regelungen in einem Betrieb praktisch<br />
nicht umsetzen.<br />
Das Bundesarbeitsgericht hält zwar im Wesentlichen<br />
seit 1957 am Grundsatz der Tarifeinheit fest. Unterschiedliche<br />
Entscheidungen der Instanzgerichte zum<br />
Grundsatz der Tarifeinheit und zum Streikrecht von<br />
Spartengewerkschaften haben aber zu Rechtsunsicherheit<br />
geführt. Da eine schnelle höchstrichterliche<br />
Klärung nicht in Sicht ist, sollte der Grundsatz der Tarifeinheit<br />
auf andere Weise sichergestellt werden. Im<br />
Zweifel muss der Gesetzgeber handeln und durch die<br />
Bekräftigung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Tarifvertragsgesetz<br />
die Friedensfunktion des Flächentarifvertrages<br />
sichern.<br />
Zeitarbeit als Jobmotor sichern<br />
Die Bedeutung der Zeitarbeit als Jobmotor ist ungebrochen.<br />
Zum 30. Juni 2007 gab es nach den aktuellen<br />
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit insgesamt<br />
731.152 Zeitarbeitnehmern 22 % mehr Beschäftigte in<br />
dieser Branche als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.<br />
2007 sind allein 127.000 der insgesamt 500.000<br />
neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse<br />
in der Zeitarbeit entstanden. Der Zuwachs<br />
hat allerdings im Vergleich zu den vergangenen Jahren<br />
etwas nachgelassen. Unternehmen gewinnen mit anhaltendem<br />
Aufschwung Vertrauen in die wirtschaftliche<br />
Stabilität und stellen selbst Personal ein. Zugleich wird<br />
es auch für die Zeitarbeit immer schwieriger, geeignete<br />
Bewerber zu finden.<br />
Arbeitnehmer erhalten durch Zeitarbeit die Chance zur<br />
Qualifizierung durch Beschäftigung. Damit trägt die<br />
Branche entscheidend dazu bei, den drohenden Fachkräftemangel<br />
abzufedern. Darüber hinaus erhalten viele<br />
Arbeitnehmer über die Zeitarbeit die Chance zum Einstieg<br />
in Arbeit. Zeitarbeit leistet damit einen wichtigen<br />
Beitrag zur Vermeidung und Überwindung von Arbeitslosigkeit.<br />
Nach den aktuellen Zahlen der BA waren<br />
am 30. Juni 2007 67,6 % der in Zeitarbeit Beschäftigten<br />
zuvor ohne Arbeit, fast 15 % sogar langzeitarbeitslos.<br />
Zeitarbeit schafft es damit wie keine andere Branche,<br />
die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen wiederherzustellen.<br />
Eine aktuelle Studie des IW-Zeitarbeitsindex<br />
zeigt zudem, dass fast ein Viertel der Zeitarbeitnehmer<br />
von Kundenunternehmen übernommen werden, wenn<br />
sie dort eine gewisse Zeit gearbeitet haben. Ein weiteres<br />
Fünftel kommt in einem Betrieb außerhalb der Zeitarbeit<br />
unter. Eine Studie des IAB von 2003 war noch davon<br />
ausgegangen, dass 30 % der Zeitarbeitnehmer nach ihrer<br />
Tätigkeit in der Zeitarbeit in eine Festanstellung beim<br />
Einsatzbetrieb oder in einem anderen Unternehmen<br />
übernommen wurden.<br />
Vor dem Hintergrund der großen beschäftigungspolitischen<br />
Bedeutung der Zeitarbeit sind Forderungen<br />
nach neuen Hürden für die Zeitarbeit kontraproduktiv.<br />
Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt gerade, dass<br />
eine wirksame Deregulierung und ein Mehr an Flexibilität<br />
Arbeitsplätze schaffen können. Das Rad der<br />
Geschichte zurückzudrehen, würde vielen Menschen,
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
51<br />
Tätigkeit der Arbeitnehmer<br />
vor Zeitarbeit<br />
Zeitarbeiter: Viele bleiben im<br />
Kundenbetrieb<br />
vorher beschäftigt<br />
noch nie beschäftigt<br />
vorher weniger als ein Jahr arbeitslos<br />
vorher ein Jahr und länger arbeitslos<br />
So viel Prozent der Zeitarbeitnehmer, die ihr ehemaliges Zeitarbeitsunternehmen<br />
verlassen haben, sind jetzt ...<br />
beim letzten<br />
Kundenunternehmen<br />
24,3<br />
13,4 %<br />
7,5 %<br />
33,3 %<br />
bei einem anderen<br />
Arbeitgeber<br />
erwerbslos<br />
bei einem anderen<br />
Zeitarbeitsunternehmen<br />
6,4<br />
15,1<br />
21,9<br />
in Rente, Mutterschutz,<br />
Studium etc.<br />
3,1<br />
45,7 %<br />
Befragung von 210 Zeitarbeitsunternehmen im Januar <strong>2008</strong>;<br />
Rest zu 100: keine Informationen<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 30. Juni 2007<br />
Quelle: IW-Zeitarbeitsindex (BZA)<br />
insbesondere Langzeitarbeitslosen, die Chance auf<br />
Rückkehr in den Arbeitsmarkt nehmen. Vor diesem<br />
Hintergrund hat das Präsidium der BDA am 28. Januar<br />
<strong>2008</strong> den Beschluss „Zeitarbeit: Flexibilität schafft<br />
Beschäftigung“ gefasst.<br />
Aktuell macht vor allem die IG Metall Stimmung gegen<br />
die Zeitarbeit. Im Rahmen ihrer Kampagne „Gleiche Arbeit<br />
– gleiches Geld“ wurden z. B. Zeitarbeitsunternehmen<br />
und deren Kundenbetriebe zur Unterzeichnung eines<br />
sog. Fairness-Abkommens aufgefordert und mit der<br />
Aufnahme in eine „schwarze Liste“ bedroht.<br />
Ein solches Vorgehen ist entschieden abzulehnen.<br />
Nach jahrelangem Stillstand ist auch auf europäischer<br />
Ebene Bewegung in das Thema „Zeitarbeit“ gekommen.<br />
Dies hat am 9. Juni <strong>2008</strong> zu einem Kompromiss im Sozialministerrat<br />
geführt, der den Vorschlag einer Zeitarbeitsrichtlinie<br />
beschlossen hat. Das deutsche Zeitarbeitsrecht<br />
entspricht bereits diesem Richtlinienentwurf.<br />
Dies gilt insbesondere für den Gleichbehandlungsgrundsatz,<br />
von dem weiterhin durch Tarifvertrag abgewichen<br />
werden kann. Einer Änderung des deutschen Rechts<br />
bedarf es daher nicht. Die Richtlinie erkennt darüber hinaus<br />
die Bedeutung der Zeitarbeit im Interesse von Unternehmen<br />
und Arbeitnehmern an und lässt Einschränkungen<br />
und Verbote nur unter engen Voraussetzungen<br />
zu. Aktuelle Forderungen nach einer Einschränkung der<br />
Zeitarbeit müssen damit vom Tisch.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Zeitarbeit“<br />
veröffentlicht. Dieser ist über www.bda-online.de<br />
abrufbar.
52<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Beschluss des Präsidiums der BDA vom 28. Januar <strong>2008</strong><br />
Zeitarbeit: Flexibilität schafft Beschäftigung<br />
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) warnt entschieden davor, den Erfolg der Zeitarbeitsbranche<br />
durch Reformrücknahmen und neue Reglementierungen zu torpedieren. Zeitarbeit hat sich zu einem wichtigen<br />
Beschäftigungsmotor in Deutschland entwickelt. Allein 2007 sind von 500.000 neuen sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigungsverhältnissen 127.000 in der Zeitarbeit geschaffen worden. Die Zeitarbeitsbranche hat maßgeblich dazu<br />
beigetragen, dass der Arbeitsmarkt insgesamt wieder in Schwung gekommen ist. Dies zeigt, dass durch mehr Flexibilität<br />
Arbeitsplätze geschaffen werden können.<br />
1. Zeitarbeit hilft Arbeitslosigkeit überwinden<br />
Zeitarbeit vermeidet und überwindet Arbeitslosigkeit. Nach aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren Ende<br />
2006 von den insgesamt 631.076 Zeitarbeitnehmern über die Hälfte zuvor arbeitslos, viele von ihnen sogar ein Jahr und<br />
länger. Dies beweist: Zeitarbeit ist wie keine andere Branche in der Lage, Langzeitarbeitslosen wieder eine Beschäftigungsperspektive<br />
zu geben. Dabei schlägt die Zeitarbeit auch eine Brücke zur Beschäftigung in andere Branchen: Aus<br />
dem Zeitarbeitsverhältnis heraus wird fast ein Drittel der Zeitarbeitnehmer von einem Unternehmen außerhalb der<br />
Zeitarbeit übernommen.<br />
2. Zeitarbeit schafft Qualifizierung<br />
Insbesondere für Nicht- oder gering Qualifizierte, für Langzeitarbeitslose und Menschen mit Vermittlungshemmnissen<br />
ist Zeitarbeit ein Weg in den Arbeitsmarkt. Gut 30 % aller Zeitarbeitnehmer verfügen nicht über eine abgeschlossene<br />
Berufsausbildung. Diesen Arbeitnehmern eröffnet Zeitarbeit die Chance zur Qualifizierung durch Beschäftigung.<br />
Zeitarbeit fördert zudem den Trend zur Spezialisierung und Höherqualifizierung. Sie erfüllt damit eine wichtige Funktion<br />
auf dem Weg von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Unternehmen, die aus Kostengründen teure Spitzenkräfte<br />
nur bei konkretem Bedarf einsetzen, können mit Zeitarbeitsfirmen zusammenarbeiten und auf diesem Weg ihren Fachkräftebedarf<br />
decken. Darüber hinaus kann Zeitarbeit durch Qualifizierung in Beschäftigung einen wichtigen Beitrag<br />
leisten, den drohenden Fachkräftemangel abzufedern.<br />
3. Zeitarbeit gibt Unternehmen die notwendige Flexibilität<br />
Unternehmen erhalten durch Zeitarbeit die notwendige Flexibilität, auf die Herausforderungen von Globalisierung und<br />
Strukturwandel reagieren zu können. Unternehmen mit variierenden Auftragsbeständen bekommen durch Zeitarbeit<br />
ein Instrument an die Hand, mit dem sie kurzfristige Auftragsspitzen zeitnah abarbeiten können. Auf Nachfrageschwankungen<br />
und wechselnde Produktionskapazitäten kann schnell reagiert und neue Arbeitskräfte können rechtzeitig rekrutiert<br />
werden. Zeitarbeit wird dementsprechend ganz überwiegend dazu genutzt, zeitlich begrenzten Bedarf an Personal<br />
flexibel zu decken.<br />
Vor dem Hintergrund des viel zu starren und unflexiblen deutschen Arbeitsrechts wirkt Zeitarbeit auch als Ausweg. Insbesondere<br />
das Kündigungsschutzrecht lässt viele Unternehmen bei Ungewissheit über die wirtschaftliche Entwicklung<br />
vor der Einstellung eigener Arbeitskräfte zurückschrecken. Die Entwicklung der Zeitarbeitsbranche zeigt, dass ein Mehr<br />
an Flexibilität Arbeitsplätze schafft und sichert, weil Unternehmen rechtzeitig auf veränderte Rahmenbedingungen<br />
reagieren können.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
53<br />
4. Jobmotor Zeitarbeit nicht durch neue Regulierung abwürgen<br />
Die BDA warnt vor einer Rolle rückwärts in der Zeitarbeit. Die Forderungen von SPD und Gewerkschaften nach ausnahmsloser<br />
Gleichbehandlung mit der Belegschaft im Einsatzbetrieb, Beschränkung der Höchstüberlassungsdauer oder<br />
Quoten für den Einsatz von Zeitarbeit sind gefährliche Ansätze, die darauf abzielen, den Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstumsmotor<br />
Zeitarbeit abzuwürgen.<br />
Der Erfolg der Zeitarbeitsbranche zeigt, dass die Deregulierung und Flexibilisierung der Zeitarbeit einer der erfolgreichsten<br />
Bausteine der Arbeitsmarktreform von 2002 war und immer noch ist. Durch Abschaffung von Wiedereinstellungs-,<br />
Synchronisations- und Befristungsverboten sowie Aufhebung der Beschränkung der Höchstüberlassungsdauer<br />
konnte die Branche die Bedeutung für Arbeitnehmer und Unternehmen erhalten, die sie heute hat.<br />
Es ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, die Zeitarbeit als Jobmotor uneingeschränkt zu erhalten. Andernfalls würde<br />
vielen Menschen, insbesondere Langzeitarbeitslosen, die Chance auf Rückkehr in den Arbeitsmarkt genommen. Ein<br />
solcher Schritt würde zudem den Flexibilitätsbedürfnissen der Unternehmen diametral entgegenstehen, mit negativen<br />
Konsequenzen auch für deren Stammbelegschaften.<br />
Die BDA lehnt die Aufnahme der Zeitarbeit in das Entsendegesetz ab. Derzeit besteht in der Zeitarbeitsbranche keine<br />
Entsendeproblematik, weil dies durch die noch immer bestehenden Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer<br />
aus den neuen EU-Mitgliedstaaten ausgeschlossen wird. Allerdings kann sich diese Situation nach Herstellung<br />
der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit – frühestens im Mai 2009 – ändern. Wenn dann eine<br />
Entsendeproblematik in der Zeitarbeit entsteht, könnte eine Aufnahme dieser Branche in das Entsendegesetz vertretbar<br />
sein; allerdings setzt dies voraus, dass ein nach den Regeln des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärter<br />
Tarifvertrag vorliegt und dadurch keine konkurrierenden Branchentarifverträge verdrängt werden.
55<br />
Gesundheit und Pflege ■ Rente und Ältere<br />
■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat ■ Krankenversicherung<br />
■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung ■ Rehabilitation<br />
■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz SOZIALE in SICHERUNG<br />
Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmenbedingungen<br />
■ Finanzierung ■ Soziale<br />
Selbstverwaltung ■ Beitrags- und Melderecht<br />
■ Gesundheit und Pflege ■ Rente<br />
und Ältere ■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat<br />
■ Krankenversicherung ■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung<br />
■ Rehabilitation ■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz in Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmenbedingungen<br />
■ Finanzierung ■ Soziale<br />
Selbstverwaltung ■ Beitrags- und Melderecht<br />
■ Gesundheit und Pflege ■ Rente<br />
und Ältere ■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat<br />
■ Krankenversicherung ■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung<br />
■ Rehabilitation ■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz in Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmenbedingungen<br />
■ Finanzierung ■ Soziale<br />
Selbstverwaltung ■ Beitrags- und Melderecht<br />
■ Gesundheit und Pflege ■ Rente<br />
und Ältere ■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat<br />
■ Krankenversicherung ■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung<br />
■ Rehabilitation ■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz in Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmenbedingungen<br />
■ Finanzierung ■ Soziale<br />
Selbstverwaltung ■ Beitrags- und Melderecht<br />
■ Gesundheit und Pflege ■ Rente<br />
und Ältere ■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat<br />
■ Krankenversicherung ■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung<br />
■ Rehabilitation ■ Gesetzliche Rentenversicherung<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge<br />
■ Private Vorsorge ■ Unfallversicherung<br />
■ Arbeitsschutz in Europa ■ Arbeitsmedizin<br />
■ Ordnungsprinzipien und Rahmenbedingungen<br />
■ Finanzierung ■ Soziale Selbstverwaltung<br />
■ Beitrags- und Melderecht<br />
■ Gesundheit und Pflege ■ Rente und Ältere<br />
■ Arbeitsschutz ■ Sozialstaat ■ Krankenversicherung<br />
■ Gesundheitswesen<br />
■ Prävention ■ Pflegeversicherung ■ Rehabilitation<br />
■ Betriebliche Altersvorsorge
56<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Sozialbeiträge – 40 %-Marke wird<br />
zur Jahresmitte bereits wieder<br />
überschritten<br />
CDU/CSU und SPD haben ihr im Koalitionsvertrag vom<br />
11. November 2005 vereinbartes Ziel, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag<br />
wieder unter 40 % zu senken,<br />
zum 1. Januar <strong>2008</strong> erstmals erreicht, wenn auch äußerst<br />
knapp. Die Beitragssatzsumme ging zum Jahreswechsel<br />
um 0,8 Prozentpunkte auf 39,9 % zurück. Der spürbaren<br />
Senkung des Beitragssatzes zur Bundesagentur für Arbeit<br />
von 4,2 auf 3,3 % stand eine leichte Anhebung des durchschnittlichen<br />
Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
von 14,8 auf 14,9 % gegenüber. Die Beitragssätze<br />
in der Renten- und Pflegeversicherung blieben<br />
unverändert bei 19,9 bzw. durchschnittlich 1,8 %.<br />
Seit Amtsantritt der großen Koalition ist die Beitragssatzsumme<br />
in der Sozialversicherung um insgesamt 2,1 Prozentpunkte<br />
zurückgegangen. Die damit verbundene<br />
Entlastung der Arbeitskosten der Unternehmen hat einen<br />
wichtigen Beitrag zum Aufbau von Beschäftigung sowie<br />
zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit geleistet.<br />
Allerdings steht die positive Entwicklung bei den Beitragssätzen<br />
auf tönernen Füßen: Zum einen ist der<br />
Rückgang nicht – wie von der BDA immer wieder<br />
angemahnt – das Ergebnis durchgreifender Ausgaben<br />
senkender Strukturreformen in allen Sozialversicherungszweigen,<br />
sondern einseitig bedingt durch die<br />
Beitragsentlastung in der Arbeitslosenversicherung, die<br />
zudem auch nur teilweise durch echte Strukturreformen<br />
ermöglicht wurde: Während der Beitragssatz zur<br />
Bundesagentur für Arbeit in den vergangenen beiden<br />
Jahren von 6,5 auf 3,3 % (minus 3,2 Prozentpunkte)<br />
reduziert und der Beitragssatz zur Pflegeversicherung<br />
– inklusive Beitragszuschlag für Kinderlose – zumindest<br />
bei 1,8 % konstant gehalten wurde, stieg der<br />
Rentenversicherungsbeitragssatz von 19,5 auf 19,9 %<br />
(plus 0,4 Prozentpunkte) und der durchschnittliche<br />
Beitragssatz zur Krankenversicherung sogar von 14,2<br />
auf 14,9 % (plus 0,7 Prozentpunkte).<br />
Der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz könnte noch<br />
sehr viel niedriger liegen, wenn die große Koalition die<br />
erfolgten kräftigen Beitragssatzsteigerungen in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung durch eine durchgreifende<br />
und zukunftsweisende Gesundheitsreform verhin<br />
BEITRAGSSÄTZE STEIGEN ZUR JAHRESMITTE WIEDER ÜBER 40 %<br />
(Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz jeweils zum Stichtag 1. Januar; im Bundesdurchschnitt)<br />
Pflegeversicherung (Durchschnitt)<br />
Arbeitslosenversicherung<br />
Krankenversicherung (Durchschnitt)<br />
Rentenversicherung<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
in %<br />
26,5<br />
1,3<br />
8,2<br />
32,4<br />
3,0<br />
11,4<br />
35,8<br />
4,3<br />
12,8<br />
41,1<br />
1,70<br />
6,5<br />
13,6<br />
42,0<br />
1,77<br />
6,5<br />
14,2<br />
42,0<br />
1,77<br />
6,5<br />
14,2<br />
40,7<br />
1,77<br />
4,2<br />
14,8<br />
39,9 40,1<br />
1,77 2,02<br />
3,3<br />
3,3<br />
14,9 14,9<br />
20<br />
15<br />
17,0<br />
18,0<br />
18,7<br />
19,3 19,5<br />
19,5<br />
19,9<br />
19,9 19,9<br />
10<br />
5<br />
0<br />
1970 1980 1990 2000 2005 2006 2007 <strong>2008</strong> 1.7.<strong>2008</strong><br />
Quelle: Bundesministerium für Gesundheit und Deutsche Rentenversicherung Bund; eigene Darstellung der BDA
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
57<br />
dert hätte. Das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel, die<br />
Krankenkassenbeiträge „stabil zu halten und möglichst<br />
zu senken“, wurde jedoch voll verfehlt.<br />
Zum anderen versäumt es die Bundesregierung, die erreichte<br />
Senkung bei den Beiträgen für die Zukunft zu sichern:<br />
Mit der Pflegereform <strong>2008</strong> („Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“)<br />
erhöht sich der Beitragssatz in der sozialen<br />
Pflegeversicherung zur Jahresmitte <strong>2008</strong> um 0,25 Prozentpunkte<br />
und der Gesamtsozialversicherungsbeitrag<br />
steigt damit wieder über 40 %. Hinzu kommt, dass die<br />
Leistungen der sozialen Pflegeversicherung – trotz dieser<br />
Beitragssatzanhebung – nicht dauerhaft finanziert werden<br />
können. Laut Gesetzesbegründung werden die Reserven<br />
der Pflegekassen spätestens „Ende 2014/Anfang 2015“ so<br />
weit abgeschmolzen sein, dass eine weitere Beitragssatzanhebung<br />
notwendig wird, wenn nicht rechtzeitig durch<br />
Reformen gegengesteuert wird.<br />
Der Eingriff in die Rentenanpassungsformel durch das<br />
„Gesetz zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“ wird nicht nur die<br />
Entlastungswirkungen der „Rente mit 67“ bis 2020 vollkommen<br />
aufzehren, sondern auch die bislang bereits ab<br />
dem Jahr 2011 erwarteten Beitragssatzsenkungen verzögern<br />
bzw. verringern. Nach Berechnungen des Bundesministeriums<br />
für Arbeit und Soziales (BMAS) muss das<br />
heutige Beitragssatzniveau bis 2011 bei 19,9 % beibehalten<br />
werden und kann nicht – wie nach geltendem<br />
Recht – 2011 auf 19,3 % gesenkt werden. Auch 2012<br />
wird der Beitragssatz mit 19,5 statt 19,1 % noch deutlich<br />
höher liegen als ohne Eingriff in die Rentenformel.<br />
Die Zielsetzung der großen Koalition, den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz<br />
unter 40 % zu senken und zu<br />
halten, bleibt richtig und unverzichtbar. Der Senkung<br />
der lohnbezogenen Sozialabgaben kommt entscheidende<br />
Bedeutung für die Schaffung neuer Beschäftigung zu.<br />
Zur Einhaltung des 40 %-Ziels müssen jedoch dringend<br />
weitere Schritte unternommen werden. Insbesondere<br />
muss die Bundesregierung, wenn sie im Herbst <strong>2008</strong><br />
erstmals den Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung<br />
selbst festsetzt, neue Belastungen der Beitragszahler<br />
vermeiden bzw. diese durch rechtzeitig davor<br />
eingeleitete Maßnahmen verhindern. Die BDA hat hierzu<br />
im April <strong>2008</strong> ein ausführliches Positionspapier vorgelegt,<br />
mit dem sich die wesentlichen Konstruktionsfehler<br />
und gravierenden Nachteile des Gesundheitsfonds<br />
beseitigen lassen.<br />
Im Bereich der Rentenversicherung konnte die BDA<br />
erreichen, dass der Spielraum für künftige Beitragssatzsenkungen<br />
nicht noch weiter eingeengt wird. So hat<br />
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zumindest<br />
von seinen weiter gehenden Rentenplänen Abstand<br />
genommen, die Höchstnachhaltigkeitsrücklage<br />
auf 2,5 Monatsausgaben anzuheben und die erstmalige<br />
Anwendung des Anpassungsfaktors von 2011 auf<br />
2013 zu verschieben.<br />
Gesetzliche Rentenversicherung<br />
– Mehrausgaben durch<br />
Sonder-Rentenerhöhung<br />
Nach der Verabschiedung im Bundestag am<br />
8. Mai <strong>2008</strong> hat auch der Bundesrat das „Gesetz zur<br />
Rentenanpassung <strong>2008</strong>“ gebilligt. Es sieht vor, die<br />
sog. Riester-Treppe, die den Rentenanstieg pro Jahr<br />
um gut 0,6 Prozentpunkte dämpft, in diesem und im<br />
nächsten Jahr auszusetzen und erst in den Jahren 2012<br />
und 2013 nachzuholen. Dadurch können die Renten<br />
zum 1. Juli <strong>2008</strong> um 1,1 statt um 0,5 % und zum<br />
1. Juli 2009 um 2,0 statt um 1,4 % angehoben werden.<br />
Damit sollen die Rentner – so die Begründung der<br />
Bundesregierung – „angemessen“ am Wirtschaftsaufschwung<br />
beteiligt werden.<br />
Die BDA hat das „Gesetz zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“<br />
als Rentenwillkür bezeichnet und abgelehnt. Der beschlossene<br />
Eingriff in die Rentenformel öffnet einer Rentenpolitik<br />
nach Wahlterminen und Kassenlage Tür und<br />
Tor. Das Abweichen von der gesetzlichen Rentenformel<br />
sendet die Botschaft, dass die Rentenhöhe weniger von<br />
klaren Regeln als von politischer Opportunität abhängt.<br />
Wer zur Finanzierung zusätzlicher Rentenanpassungen<br />
kurzfristig in die Rentenformel eingreift, darf sich nicht<br />
wundern, wenn bei künftigen Rentenanpassungen erneut<br />
eine zusätzliche Anhebung gefordert wird.<br />
Für die Kosten der geplanten zusätzlichen Rentenleistungen<br />
– rund 12 Mrd. € in den Jahren <strong>2008</strong> bis 2013<br />
im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung – müssen<br />
vor allem die Beitragszahler aufkommen. So können<br />
die Beitragssätze nicht wie geplant in den Jahren<br />
2011 und 2012 sinken. Die Folge sind höhere Personalzusatzkosten<br />
für die Arbeitgeber und weniger Netto für<br />
die Beschäftigten. Die höheren Beitragssätze werden die
58<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
rentenanpassung <strong>2008</strong> – Beitragszahler werden 2011 und 2012 zur Kasse gebeten<br />
Jahr<br />
Szenario 1:<br />
Ohne Sonder-Rentenerhöhung<br />
2)<br />
Szenario 2:<br />
Mit Sonder-Rentenerhöhung<br />
3)<br />
Szenario 3:<br />
Ursprünglicher Plan des BMAS<br />
4)<br />
Beitragssatz Rücklage Beitragssatz Rücklage Beitragssatz Rücklage<br />
<strong>2008</strong><br />
2009<br />
2010<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
0,88<br />
1,12<br />
1,45<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
0,83<br />
0,92<br />
1,05<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
0,80<br />
0,90<br />
1,10<br />
2011<br />
2012<br />
2013<br />
19,3<br />
19,1<br />
19,1<br />
1,52<br />
1,56<br />
1,52<br />
19,9<br />
19,5<br />
19,1<br />
1,35<br />
1,52<br />
1,50<br />
19,9<br />
19,9<br />
19,9<br />
1,30<br />
1,70<br />
2,10<br />
2014<br />
2015<br />
2016<br />
19,1<br />
19,1<br />
19,1<br />
1,37<br />
1,14<br />
0,82<br />
19,1<br />
19,1<br />
19,1<br />
1,40<br />
1,15<br />
0,83<br />
19,7<br />
19,3<br />
19,3<br />
2,50<br />
2,60<br />
2,50<br />
2017<br />
2018<br />
2019<br />
19,1<br />
19,6<br />
19,9<br />
0,41<br />
0,25<br />
0,21<br />
19,1<br />
19,6<br />
19,9<br />
0,43<br />
0,26<br />
0,23<br />
19,3<br />
19,3<br />
19,3<br />
2,20<br />
1,90<br />
1,50<br />
2020<br />
20,0<br />
0,21<br />
20,0<br />
0,22<br />
19,3<br />
1,00<br />
2025<br />
21,0<br />
0,25<br />
20,9<br />
0,23<br />
20,9<br />
0,50<br />
2030<br />
21,9<br />
0,25<br />
21,8<br />
0,21<br />
21,9<br />
0,50<br />
1) Beitragssatz in %, Nachhaltigkeitsrücklage in Monatsausgaben<br />
2) Szenario 1 = nach altem Recht, d. h. mit einer Rentenanpassung von 0,46 % zum 1. Juli <strong>2008</strong> in West- und Ostdeutschland<br />
3) Szenario 2 = nach dem „Gesetz zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“, d. h. mit einer Rentenanpassung von 1,10 % zum 1. Juli <strong>2008</strong> in West- und Ostdeutschland<br />
4) Szenario 3 = nach der „Formulierungshilfe“ für ein Gesetz über die Bestimmung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli <strong>2008</strong>, d. h. mit Sonder-Rentenerhöhung,<br />
Anheben der Höchstnachhaltigkeitsrücklage von 1,5 auf 2,5 Monatsausgaben und Verschiebung des Anpassungsfaktors zur Nachholung unterbliebener<br />
Rentendämpfungen um zwei Jahre auf 2013<br />
Quellen: „Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung <strong>2008</strong>“ vom 8. April <strong>2008</strong> und „Formulierungshilfe“ für ein Gesetz über die Bestimmung der aktuellen<br />
Rentenwerte ab 1. Juli <strong>2008</strong> vom 20. März <strong>2008</strong>; eigene Zusammenstellung der BDA<br />
Beitragszahler insgesamt um mehr als 9 Mrd. € belasten<br />
und zudem einen um mehr als 2 Mrd. € höheren Bundeszuschuss<br />
erfordern.<br />
Mit den zusätzlichen Rentenerhöhungen <strong>2008</strong> und<br />
2009 führt die Koalition ihre eigene Rentenpolitik ad absurdum:<br />
Das mit der „Rente mit 67“ verfolgte Ziel, die<br />
nachhaltige Finanzierbarkeit der Rentenversicherung zu<br />
verbessern, wird durch den jetzt geplanten Eingriff konterkariert.<br />
Bis zum Jahr 2020 sind die aus dem Eingriff<br />
in die Rentenanpassungsformel resultierenden Belastungen<br />
größer als die Entlastungen, die mit der schrittweisen<br />
Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters<br />
verbunden sind.<br />
Die zusätzlichen Rentenleistungen in den Jahren <strong>2008</strong><br />
bis 2013 führen ferner zu einer einseitigen Besserstellung<br />
der heutigen Rentner zu Lasten der heutigen Beitragszahler:<br />
Sie müssen mit höheren Beiträgen dafür<br />
aufkommen, dass die heutigen Rentner zusätzliche Leistungen<br />
erhalten, werden dafür aber selber keine zusätzlichen<br />
Anwartschaften erwerben, weil das langfristige<br />
Rentenniveau durch die jetzt geplanten zwischenzeitlichen<br />
Rentenerhöhungen nicht verändert wird.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
59<br />
Es ist schwer begreiflich, warum die Jüngeren angesichts<br />
des derzeitigen gesetzlichen Rentenniveaus von rund<br />
50 % über mehrere Jahre hinweg höhere Rentenleistungen<br />
finanzieren sollen, obwohl bei ihrem Renteneintritt<br />
das Rentenniveau deutlich niedriger liegen wird<br />
(46 % im Jahr 2020 und 43 % im Jahr 2030 nach letzten<br />
Vorausberechnungen).<br />
Auch mit Blick auf die Verteilungswirkungen ist unverständlich,<br />
warum ausgerechnet zu Gunsten der Rentner<br />
und damit derjenigen Bevölkerungsgruppe, die am wenigsten<br />
von Armut betroffen und mit 2 % am seltensten<br />
auf Grundsicherung angewiesen ist, jetzt ein zusätzliches<br />
Leistungspaket von rund 12 Mrd. € verabschiedet<br />
worden ist.<br />
Der aktuelle Fall zeigt aber auch: Finanzielle Rücklagen<br />
verführen zu Leistungsausweitungen, denn sie ermöglichen<br />
kurzfristig, höhere Leistungen ohne höheren<br />
Beitragssatz zu finanzieren. Die zusätzlichen Rentenerhöhungen<br />
<strong>2008</strong> und 2009 wären kaum beschlossen<br />
worden, wenn die Höhe der Nachhaltigkeitsrücklage<br />
dafür nicht ausgereicht hätte und eine Beitragssatzanhebung<br />
hierfür erforderlich gewesen wäre. Für die Zukunft<br />
kann das nur heißen, die Rücklagen der Sozialversicherung<br />
zwar immer so hoch wie nötig, aber immer auch so<br />
knapp wie möglich zu halten.<br />
Verfehlt ist insbesondere, dass das „Gesetz zur Rentenanpassung<br />
<strong>2008</strong>“ – entgegen seinem Namen – gleich für<br />
dieses und für nächstes Jahr zusätzliche Steigerungen<br />
vorsieht. Schließlich ist bereits auf der Grundlage des<br />
geltenden Rechts und der Annahmen der Bundesregierung<br />
davon auszugehen, dass die Renten im kommenden<br />
Jahr so stark steigen wie seit 2002 nicht mehr. Wenn<br />
dennoch zusätzliche Rentensteigerungen 2009 erfolgen<br />
sollen, lässt sich dies nur mit kurzsichtigen wahltaktischen<br />
Überlegungen erklären.<br />
Ursprünglich wollte das BMAS die Sonder-Rentenerhöhung<br />
mit weiteren rentenpolitischen Maßnahmen verknüpfen.<br />
Vor allem war daran gedacht, die Höchstnachhaltigkeitsrücklage<br />
von 1,5 auf 2,5 Monatsausgaben<br />
anzuheben und die erstmalige Anwendung des Anpas<br />
Nachhaltigkeitsrücklage wieder angestiegen<br />
Rücklagen der allgemeinen Rentenversicherung am Jahresende<br />
in Mrd. €<br />
25<br />
1,00<br />
0,93<br />
in Mrd. €<br />
in Monatsausgaben<br />
in Monatsausgaben<br />
1,0<br />
0,9<br />
20<br />
0,74<br />
0,8<br />
15<br />
0,63<br />
0,61<br />
0,7<br />
0,6<br />
14,2<br />
13,8<br />
0,48<br />
0,5<br />
10<br />
9,7<br />
7,5<br />
0,32<br />
9,7<br />
11,7<br />
0,4<br />
0,3<br />
5<br />
5,0<br />
0,2<br />
0,11<br />
0,1<br />
0<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
1,7<br />
0<br />
Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund
60<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
sungsfaktors zur Nachholung unterbliebener Rentendämpfungen<br />
von 2011 auf 2013 zu verschieben.<br />
Die BDA konnte durch ihre umgehende Intervention<br />
erreichen, dass die Bundesregierung zumindest von diesen<br />
weiter gehenden Rentenplänen Abstand genommen<br />
hat. Allein die beabsichtigte Anhebung der Höchstnachhaltigkeitsrücklage<br />
hätte die Ansammlung zusätzlicher<br />
Beitrags- und Steuermittel in Höhe von rund 16 Mrd. €<br />
erforderlich gemacht und dadurch künftige Beitragssatzsenkungen<br />
stark erschwert.<br />
Nach dem Finanztableau des „Gesetzes zur Rentenanpassung<br />
<strong>2008</strong>“ (siehe Übersicht „Rentenanpassung<br />
<strong>2008</strong> – Beitragszahler werden 2011 und 2012 zur<br />
Kasse gebeten“) kann der Beitragssatz in der allgemeinen<br />
Rentenversicherung 2012 auf 19,5 % und 2013<br />
nochmals auf 19,1 % abgesenkt werden (Szenario 2).<br />
Das ist zwar ein Jahr später als nach geltendem Recht<br />
(Szenario 1). Aber nach den ursprünglichen Planungen<br />
des BMAS wäre der Beitragssatz bis 2013 bei 19,9 %<br />
konstant geblieben, erst 2014 auf 19,7 % gesunken und<br />
hätte 2015 bereits mit 19,3 % sein Minimum erreicht.<br />
Zurzeit entspricht ein Beitragssatzpunkt einer Beitragsbelastung<br />
von 8,7 Mrd. €.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Gesetzliche<br />
Rentenversicherung“ veröffentlicht. Er ist über<br />
www.bda-online.de abrufbar.<br />
Betriebliche Altersvorsorge –<br />
Zusätzliche Steuerbelastung<br />
verhindern<br />
Bislang ist es gelungen, eine zusätzliche Steuerbelastung<br />
der betrieblichen Altersvorsorge im Rahmen des<br />
Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz 2009<br />
zu verhindern. Insbesondere konnten die ursprünglichen<br />
Pläne des Bundesministeriums der Finanzen<br />
(BMF), eine Besteuerung von Erträgen aus Streubesitzbeteiligungen<br />
(Beteiligung an Unternehmen von<br />
unter 10 %) einzuführen, vereitelt werden. Zwar ist<br />
nachvollziehbar, dass das BMF in Anbetracht eines<br />
anhängigen EU-Vertragsverletzungsverfahren versucht,<br />
eine EU-konforme Besteuerung von Streubesitzerträgen<br />
zu erreichen. Allerdings dürfen diese Vorschläge<br />
nicht zu Lasten der betrieblichen Altersvorsorge gehen.<br />
Denn die geplante Gesetzes änderung würde die<br />
Rentabilität der betrieblichen Altersvorsorge deutlich<br />
beeinträchtigen. Im Ergebnis müssten nämlich Kapitalerträge<br />
aus Streubesitz beteiligungen, die von den<br />
Unternehmen zur Abdeckung von Pensionszusagen<br />
gebildet wurden, zunächst auf betrieblicher Ebene versteuert<br />
werden und anschließend erneut von den Betriebsrentnern<br />
im Rahmen der nachgelagerten Besteuerung.<br />
Allein Unternehmen, die zur Abdeckung ihrer<br />
Pensionszusagen Aktienbeteiligungen halten, hätten<br />
nach erster Schätzung eine steuerliche Mehrbelastung
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
61<br />
von ca. 800 Mio. € jährlich zu tragen. Diese Mehrbelastung,<br />
von der sowohl Arbeitgeber als auch – bei<br />
beitragsorientierten Zusagen – Arbeitnehmer direkt<br />
betroffen wären, würde die betriebliche Altersvorsorge<br />
deutlich schwächen.<br />
Insofern ist es zu begrüßen, dass auf Intervention der<br />
BDA dieses Vorhaben nicht im Rahmen des Jahressteuergesetzes<br />
2009 von der Bundesregierung beschlossen<br />
wurde. Allerdings ist vorgesehen, noch im laufenden<br />
Jahr eine Lösung zum EU-Vertragsverletzungsverfahren<br />
zu finden. Die BDA wird sich weiter dafür einsetzen,<br />
dass hierbei zusätzliche steuerliche Belastungen von<br />
Pensionszusagen verhindert werden.<br />
Mehrbelastung der Unternehmen<br />
durch Reform des<br />
Versorgungsausgleichs auf<br />
MindestMaSS beschränken<br />
Die Bundesregierung hat am 21. Mai <strong>2008</strong> einen Gesetzentwurf<br />
zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs<br />
beschlossen, der jedoch dem Erfordernis noch<br />
nicht hinreichend Rechnung trägt, die mit dem Versorgungsausgleich<br />
verbundenen Belastungen für die<br />
betriebliche Altersvorsorge auf ein Mindestmaß zu beschränken.<br />
Deshalb wird sich die BDA im anstehenden<br />
Gesetzgebungsverfahren weiterhin für Nachbesserungen<br />
einsetzen, um unnötige bürokratische Belastungen<br />
durch die Reform des Versorgungsausgleichs, die insbesondere<br />
aus verfassungsrechtlichen Gründen unverzichtbar<br />
ist, zu vermeiden.<br />
Vor allem im Hinblick auf die vorgesehene obligatorische<br />
Realteilung sieht der Vorschlag vermeidbare Belastungen<br />
vor. Die geplante zwangsweise Aufnahme<br />
von geschiedenen Ehegatten in betriebliche Versorgungssysteme<br />
würde die Versorgungssysteme zusätzlich<br />
aufblähen und zu mehr Bürokratie führen. Um dies<br />
zu vermeiden, sollten ausgleichsberechtigte Personen<br />
regelmäßig – unabhängig vom betroffenen Durchführungsweg<br />
– ohne Betragsobergrenzen abgefunden<br />
werden können. Insoweit ist zu begrüßen, dass der<br />
Gesetzentwurf bei den internen Durchführungswegen<br />
(Direktzusage, Unterstützungskasse) den Forderungen<br />
der BDA entgegenkommt, indem für diese die Betragsgrenzen<br />
für das einseitige Abfindungsrecht der Anrechte<br />
der Berechtigten durch die Arbeitgeber (externe<br />
Realteilung), im Gegensatz zum Referentenentwurf,<br />
erheblich nach oben erweitert wurden (von 5.964 €<br />
auf 63.600 €). Bei den externen Durchführungswegen<br />
(Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherung)<br />
sieht der Gesetzentwurf hingegen weiterhin nur<br />
die Abfindungsmöglichkeit von Kleinst anwartschaften<br />
(50 € Monatsrente) vor. Durch diese Beschränkung<br />
würden Arbeitgeber, die ihre Versorgung über die externen<br />
Durchführungswege durchführen, aufgrund der<br />
internen Teilung gezwungen, betriebsfremde Personen<br />
in ihr Versorgungssystem aufzunehmen, womit ein erheblicher<br />
zusätzlicher Bürokratieaufwand verbunden<br />
wäre. Die Einschränkung der Abfindungsmöglichkeiten<br />
in den externen Durchführungswegen ist auch<br />
deshalb nicht sachgerecht, weil dieser Mehraufwand<br />
unabhängig davon entsteht, ob der Arbeitgeber die betriebliche<br />
Altersvorsorge selbst durchführt oder über<br />
einen Versorgungsträger. Besonders benachteiligt wären<br />
die Arbeitgeber, die ihre Versorgung über eigene<br />
Firmenpensionskassen oder Pensionsfonds durchführen,<br />
da der zusätzliche Aufwand die Arbeitgeber als<br />
Trägerunternehmen direkt belasten würde.<br />
Im Interesse einer Vereinfachung ist weiterhin erforderlich,<br />
dass verfallbare Anwartschaften nicht in den<br />
Versorgungsausgleich einbezogen werden. Nach dem<br />
Gesetzentwurf sind verfallbare Anwartschaften jedoch<br />
weiterhin über den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich<br />
auszugleichen, wodurch die Unternehmen<br />
gezwungen wären, dauerhaft zwei Ausgleichssysteme<br />
parallel anzuwenden. Auch dies würde zu doppeltem<br />
Aufwand für die Unternehmen führen und das selbst gesetzte<br />
Ziel, den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich<br />
zurückzudrängen, konterkarieren.<br />
Zudem sollten sämtliche Kosten des Versorgungsausgleichs<br />
verursachergerecht auf die Ehegatten umgelegt<br />
werden können – unabhängig davon, ob die Anrechte<br />
im Wege der internen oder externen Realteilung geteilt<br />
werden.<br />
Zu begrüßen ist, dass Vorschläge der BDA für weitere Erleichterungen,<br />
wie z. B. den Verzicht auf einen Versorgungsausgleich<br />
bei geringen Ausgleichswerten und bei<br />
einer kurzen Ehedauer, aufgegriffen wurden. Bedauerlicherweise<br />
sollen nach dem Gesetzentwurf jedoch nur
62<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
noch Ehen mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren vom<br />
Versorgungsausgleich ausgenommen werden. Wäre<br />
es – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen – dabei<br />
geblieben, dass auch Ehen, die bis zu drei Jahre bestanden<br />
haben, vom Versorgungsausgleich ausgenommen<br />
worden wären, hätte dies die Zahl der Versorgungsausgleichsfälle<br />
signifikant begrenzt.<br />
Zusätzliche Pensionsgutachten<br />
durch Bilanzrechtsreform<br />
verhindern<br />
Durch den am 21. Mai <strong>2008</strong> von der Bundesregierung<br />
beschlossenen Gesetzentwurf zur Reform des Bilanzrechts<br />
droht der betrieblichen Altersvorsorge zusätzliche<br />
Bürokratie, da der Entwurf keine Regelung zur steuerrechtlichen<br />
Flankierung enthält.<br />
Dabei wurde das Vorhaben der Bundesregierung, das<br />
Bilanzrecht zur Anpassung an internationale Standards<br />
und zur Entlastung des Mittelstands zu reformieren,<br />
von der deutschen Wirtschaft grundsätzlich begrüßt.<br />
Auch im Hinblick auf die betriebliche Altersvorsorge<br />
unterstützt die BDA den Gesetzentwurf weitgehend,<br />
da er vorsieht, dass in der HGB-Bilanz die tatsächlichen<br />
Belastungen der Unternehmen durch Pensionsverpflichtungen<br />
präziser ausgewiesen werden müssen.<br />
So ist im Gesetzentwurf vorgesehen, dass Pensionsverpflichtungen<br />
mit einem marktüblichen Durchschnittszinssatz<br />
bewertet sowie künftige Inflations- und Gehaltstrends<br />
berücksichtigt werden müssen. Positiv zu<br />
werten ist auch, dass einige Hinweise der BDA zum<br />
Referentenentwurf im Gesetzentwurf berücksichtigt<br />
wurden. Bedauerlicherweise wurde das Anliegen, die<br />
neuen handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften entsprechend<br />
steuerlich zu flankieren, von der Bundesregierung<br />
nicht aufgegriffen.<br />
Wenn aber eine steuerrechtliche Flankierung der Bilanzreform<br />
ausbleibt, wird das zu einem Auseinanderfallen<br />
von steuer- und handelsbilanzieller Bewertung<br />
von Pensionsverpflichtungen führen, so dass die Unternehmen<br />
regelmäßig ihre Pensionsverpflichtungen<br />
zweimal gutachterlich bewerten lassen müssen. Nach<br />
derzeitigem Handelsbilanzrecht ist die Bewertung nach<br />
steuerrechtlichen Vorschriften ausreichend.<br />
Die zusätzliche bürokratische Belastung der Unternehmen<br />
wird im Gesetzentwurf auch eingeräumt,<br />
allerdings liegt die Schätzung der Mehrkosten mit<br />
ca. 50 Mio. € im Jahr deutlich zu niedrig. Realistischer<br />
sind hingegen Kostensteigerungen von rund<br />
100 bis 150 Mio. € pro Jahr. Dabei vermögen die in der<br />
Vergangenheit angeführten fiskalischen Argumente, denen<br />
zufolge Steuerausfälle zu befürchten sind, nicht zu<br />
überzeugen. Zum einen verringert sich derzeit der zusätzliche<br />
Rückstellungsbedarf aufgrund der steigenden<br />
Zinsen. Zum anderen ließen sich fiskalische Auswirkungen<br />
durch eine angemessene Übergangs regelung<br />
nahezu gänzlich minimieren. Mit dieser Angleichung<br />
würde auch dem Prinzip der Besteuerung nach der<br />
Leistungsfähigkeit Rechnung getragen, wonach eine<br />
erhöhte Belastung auch die Besteuerungsgrundlage<br />
vermindert, da es ansonsten zu einer Besteuerung von<br />
Scheingewinnen käme.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt „Betriebliche<br />
Altersvorsorge“ veröffentlicht. Er ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Zusätzliche Bürokratie auch auf<br />
europäischer Ebene vermeiden<br />
Derzeit wird im Europäischen Parlament (EP) ein neugefasster<br />
Richtlinienvorschlag der EU-Kommission<br />
vom 26. Februar <strong>2008</strong> zur Aufnahme und Ausübung<br />
der Versicherungstätigkeit (Solvabilität II) beraten. Mit<br />
dieser Richtlinie sollen auf EU-Ebene die Aufsichtsregeln<br />
für Versicherungsunternehmen in Europa weiter<br />
vereinheitlicht werden. Im Zentrum des Vorschlages<br />
stehen dabei neue Eigenkapitalvorschriften für Versicherungsunternehmen<br />
(Solvabilitätsvorschriften) sowie<br />
Regelungen zum Risikomanagement und Berichtspflichten.<br />
Im Gegensatz zum bisherigen europäischen<br />
Aufsichtsregime Solvency I soll sich die Eigenkapitalausstattung<br />
nicht nur am Volumen des Geschäfts orientieren,<br />
sondern darüber hinaus stärker am tatsächlichen<br />
Risiko. Dies kann bei Zusagen mit Garantien<br />
zu Mehraufwendungen führen. Von dieser Richtlinie<br />
wären grundsätzlich auch Einrichtungen der betrieblichen<br />
Altersvorsorge (Pensionskassen, Pensionsfonds)<br />
erfasst. Eine ausnahmslose Anwendung dieser Vorschriften<br />
würde aufgrund der beschriebenen höheren
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
63<br />
Anforderungen zur Solvabilität sowie der sonstigen<br />
Verpflichtungen zu einer zusätzlichen Belastung der<br />
betrieblichen Altersvorsorge führen. Die BDA hat deshalb<br />
sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene<br />
darauf hingewiesen, dass bei dieser Richtlinie den<br />
Besonderheiten der betrieblichen Altersvorsorge Rechnung<br />
getragen werden muss. Aus diesem Grund ist zu<br />
begrüßen, dass die politisch Verantwortlichen der Bundesregierung<br />
bereits signalisiert haben, diesen wichtigen<br />
Aspekt bei den weiteren Beratungen der Richtlinie<br />
berücksichtigen zu wollen.<br />
Zum überarbeiteten EU-Richtlinienvorschlag zur Verbesserung<br />
der Mindeststandards von Betriebsrenten<br />
(vormals „Portabilitätsrichtlinie“) vom 9. Oktober 2007<br />
konnte auch während der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft<br />
keine Einigung erzielt werden, weshalb dieser<br />
Punkt von der Tagesordnung des EU-Sozialministerrates<br />
vom 9. Juni <strong>2008</strong> gestrichen wurde. Somit scheiterte<br />
auch der slowenische Kompromissvorschlag, der grundsätzlich<br />
eine Unverfallbarkeitsfrist von zwei Jahren vorsah,<br />
wobei den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt<br />
werden sollte, auf nationaler Ebene eine längere<br />
Unverfallbarkeitsfrist fortzuführen. Die BDA begrüßt,<br />
dass sich die Bundesregierung auf keine Regelung eingelassen<br />
hat, die darauf angelegt war, die Unverfallbarkeitsfristen<br />
mittelfristig deutlich zu verkürzen, weil sonst<br />
die betriebliche Altersvorsorge als Personalbindungsinstrument<br />
entwertet worden wäre und den Betrieben zusätzlicher<br />
Verwaltungsaufwand durch die Administration<br />
von Kleinstrentenanwartschaften gedroht hätte.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „EU-Richtlinienvorschlag<br />
zur betrieblichen Altersvorsorge“ veröffentlicht.<br />
Er ist über www.bda-online.de abrufbar.<br />
Gesetzliche Krankenversicherung:<br />
Konstruktionsfehler des<br />
Gesundheitsfonds beseitigen<br />
Das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung“ (GKV-WSG) mit dem<br />
zum 1. Januar 2009 in Kraft tretenden Gesundheitsfonds<br />
löst nicht die Herausforderungen und Probleme,<br />
vor denen das Gesundheitswesen steht. Die tatsächlich<br />
erforderlichen und vom BDA-Präsidium angemahnten<br />
Strukturreformen, sowohl auf der Finanzierungsseite als<br />
auch auf der Leistungsseite der gesetzlichen Krankenversicherung,<br />
sind unterblieben:<br />
•An den falschen Finanzierungsgrundlagen wird festgehalten.<br />
Es bleibt im Grundsatz bei der lohnbezogenen<br />
Finanzierung, die einer Strafsteuer auf Beschäftigung<br />
gleichkommt. Die Krankheitskostenfinanzierung<br />
muss vom Arbeitsverhältnis entkoppelt werden,<br />
am besten durch die Umstellung der Finanzierung<br />
auf einkommensunabhängige Gesundheitsprämien<br />
mit Auszahlung des Arbeitgeberanteils in den Bruttolohn<br />
und steuerfinanziertem Sozialausgleich für<br />
Einkommensschwache.<br />
•Maßnahmen zur Begrenzung des – auch demografisch<br />
bedingten – Ausgaben- und Beitragssatzwachstums<br />
fehlen. Ein staatlich organisiertes und über<br />
Zwangsabgaben finanziertes Gesundheitssystem<br />
muss sich auf eine Basissicherung mit Kernleistungen<br />
beschränken sowie Anreize für ein gesundheitsund<br />
kostenbewusstes Verhalten der Versicherten<br />
setzen.<br />
•Es wird kein Beitrag geleistet, das Gesundheitswesen<br />
durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Risikovorsorge<br />
auf die Herausforderung einer alternden<br />
Gesellschaft vorzubereiten. Die volle Beibehaltung<br />
des heutigen Umlagesystems führt angesichts der<br />
demografischen Entwicklung zu massiven Beitragssatzsteigerungen<br />
und gravierenden intergenerativen<br />
Umverteilungen.<br />
•Die Krankenkassen erhalten kaum mehr Vertragsfreiheit.<br />
Die Versorgung wird auch weiterhin vor allem<br />
durch kollektiv vereinbarte, einheitlich geltende Bedingungen<br />
geregelt und weniger durch Wettbewerb<br />
von Krankenkassen und Leistungserbringern bestimmt.<br />
Dabei ist Wettbewerb eines der wirksamsten<br />
Mittel zur Begrenzung der Ausgabenentwicklung,<br />
Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Verbesserung<br />
der Versorgungsqualität.<br />
Insbesondere sind die vom Gesetzgeber mit der Einführung<br />
des Gesundheitsfonds – als Herzstück des GKV-<br />
WSG – verbundenen Erwartungen unrealistisch. Der Gesundheitsfonds<br />
ist – anders als in der Gesetzesbegründung<br />
behauptet – in keiner Weise geeignet, eine „wirtschaftliche<br />
Verwendung von Beitrags- und Steuermitteln“ zu garantieren,<br />
und damit auch keine Antwort auf die Herausforderungen<br />
und Probleme des Gesundheitswesens.
64<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Die BDA wirbt daher weiter für das von ihr im Jahr 2006<br />
vorgelegte „Konzept für eine nachhaltige Reform der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung“, in dem alle notwendigen<br />
Schritte zur Reform des Leistungsrechts und zur<br />
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung,<br />
einschließlich Vorschlägen zum Aufbau ergänzender<br />
Kapitaldeckung, dargelegt sind.<br />
Wenn die Politik jedoch nicht bereit ist, diesen Weg zu<br />
gehen, und an der Einführung des Gesundheitsfonds festhält,<br />
muss der Gesetzgeber – zur Vermeidung schädlicher<br />
Folgewirkungen – gewährleisten, dass alle wesentlichen<br />
Konstruktionsfehler und gravierenden Nachteile des Gesundheitsfonds<br />
vorab beseitigt werden. Zudem muss der<br />
ab dem 1. Januar 2009 vorgesehene einheitliche Beitragssatz<br />
– vor allem zur Begrenzung der Personalzusatzkosten<br />
– so niedrig wie möglich festgelegt werden.<br />
Insbesondere ist sicherzustellen,<br />
•dass der geplante Aufbau einer Liquiditätsreserve<br />
beim Gesundheitsfonds die Beitragszahler nicht zusätzlich<br />
belastet,<br />
•dass die Voraussetzungen für einen verzerrungsfreien<br />
Wettbewerb der Krankenkassen vorliegen,<br />
•dass die bestehenden Ungereimtheiten beim kassenindividuellen<br />
Zusatzbeitrag beseitigt sind,<br />
•dass zusätzliche Bürokratie auf ein Minimum beschränkt<br />
und durch bürokratieentlastende Maßnahmen<br />
– wie den geplanten zentralen Beitragseinzug<br />
– kompensiert wird und<br />
•dass die von den Krankenkassen formulierten Detailfragen<br />
zur Abwicklung des kassenindividuellen<br />
Zusatzbeitrages (u. a. Zahlungsrhythmus, Sanktionsmöglichkeiten<br />
bei Nichtzahlung) geklärt sind.<br />
Nur dann überhaupt können positive Wirkungen der<br />
durch die Gesundheitsreform veränderten Finanzierung<br />
zum Tragen kommen: Dies betrifft die Einführung kassenindividueller<br />
Zusatzbeiträge bzw. Rückerstattungen,<br />
die zumindest einen Einstieg in die Abkopplung der<br />
Krankheitskostenfinanzierung vom Arbeitsverhältnis<br />
darstellen und den Anteil der lohnbezogenen Finanzierung<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung per saldo<br />
zumindest geringfügig reduzieren. Dies setzt voraus,<br />
dass die Zusatzbeiträge – so wie von der BDA gefordert<br />
– pauschal und nicht auch einkommensorientiert<br />
erhoben werden. Auch leisten die Zusatzbeiträge bzw.<br />
Rückerstattungen einen Beitrag zu mehr Kosten- und<br />
Gesetzliche Krankenversicherung<br />
erzielt 2007<br />
erneut Überschuss<br />
Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen<br />
sind im vergangenen Jahr mit 3,7 % je Mitglied<br />
überaus stark gestiegen. Dagegen nahmen die beitragspflichtigen<br />
Einnahmen je Mitglied – die „Grundlöhne<br />
der Krankenkassen“ – nur um 0,7 % zu. Dass<br />
die gesetzliche Krankenversicherung dennoch ihren<br />
Überschuss von 1,63 auf 1,78 Mrd. € steigern konnte,<br />
ist vor allem auf die überaus starke Beitragssatzanhebung<br />
von 14,2 auf 14,8 % (inkl. Sonderbeitrag<br />
der Versicherten von 0,9 %) zum 1. Januar 2007<br />
zurückzuführen. Unterstützend wirkte der konjunkturelle<br />
Aufschwung, der die Zahl der beitragszahlenden<br />
Krankenkassenmitglieder um rund 581.000<br />
erhöht hat. An der überholten lohnbezogenen Finanzierung<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung,<br />
die einer Strafsteuer auf Beschäftigung gleichkommt,<br />
wird auch der zum 1. Januar 2009 vorgesehene Gesundheitsfonds<br />
im Grundsatz wenig ändern.<br />
Beitragstransparenz. Zugleich wird mit der Erhebung<br />
von Zusatzbeiträgen bzw. mit der Rückerstattung von<br />
Beiträgen die Einrichtung von Versichertenkonten bei<br />
den Krankenkassen gewährleistet, was notwendige Voraussetzung<br />
für eine künftige Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags<br />
in den Bruttolohn ist.<br />
Insolvenzfähigkeit von Krankenkassen<br />
sachgerecht geregelt<br />
Die BDA begrüßt den Kabinettsentwurf für ein Gesetz zur<br />
Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung vom 21. Mai <strong>2008</strong>, da er<br />
mit der Herstellung der Insolvenzfähigkeit aller Krankenkassen<br />
eine wesentliche Voraussetzung für gleiche Wettbewerbsbedingungen<br />
unter den Krankenkassen schafft.<br />
Positiv zu werten ist insbesondere, dass die bisher aufgelaufenen<br />
Versorgungsverpflichtungen der Krankenkassen
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
65<br />
Spitzenverband Bund der Krankenkassen nimmt Arbeit auf<br />
Ab 1. Juli <strong>2008</strong> wird der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) die ihm gesetzlich<br />
zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen und insbesondere die bisherigen Spitzenverbände als Verhandlungspartner<br />
für kollektivvertragliche Entscheidungen auf Bundesebene ablösen. Die von der BDA geforderte Parität von<br />
Arbeitgeber- und Versichertenvertretern im Verwaltungsrat des neuen Dachverbandes ist am Ende des Gesetzgebungsverfahrens<br />
zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz erreicht worden. Der GKV-Spitzenverband verfügt<br />
über einen Haushalt von rund 21 Mio. € bzw. rund 30 Cent je Versicherten und Jahr.<br />
für den Fall einer Insolvenz einer Krankenkasse im System<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert<br />
werden sollen und der von den Arbeitgebern finanzierte<br />
Pensions-Sicherungs-Verein VVaG (PSVaG) insoweit<br />
ausschließlich für Versorgungsverpflichtungen, die nach<br />
dem 31. Dezember 2009 entstanden sind, einstehen<br />
muss. Damit ist gewährleistet, dass die Arbeitgeber im<br />
Insolvenzfall nicht für die bis zu diesem Datum aufgelaufenen<br />
Versorgungsverpflichtungen (Altlasten) der Krankenkassen<br />
haften müssen. Eine Übernahme der Haftung<br />
für die Altlast durch den PSVaG – wie ursprünglich vom<br />
Bundesgesundheitsministerium (BMG) geplant – wäre<br />
nicht gerechtfertigt gewesen: zum einen, weil die bislang<br />
nicht insolvenzfähigen Krankenkassen für die Vergangenheit<br />
keine Beiträge an den PSVaG gezahlt haben, zum anderen,<br />
weil der PSVaG mit den milliardenschweren nicht<br />
ausfinanzierten Altlasten der Krankenkassen ein unangemessenes<br />
Risiko übernommen hätte. Es ist erfreulich, dass<br />
das BMG der Argumentation der BDA gefolgt ist.<br />
Sinnvoll ist auch, dass die noch nicht ausfinanzierten<br />
Altlasten von den jeweiligen Krankenkassen schrittweise<br />
nachfinanziert werden müssen. Damit wird der<br />
entstehende Schaden im Fall einer Schließung oder<br />
Insolvenz einer Krankenkasse begrenzt. Der Nachfinanzierungszeitraum<br />
von 40 Jahren ist sachgerecht,<br />
um die betroffenen Krankenkassen mit der notwendigen<br />
Nachfinanzierung nicht unangemessen im Kassenwettbewerb<br />
zu benachteiligen bzw. die Rücklagen<br />
beitragsneutral aufzubauen.<br />
Zu begrüßen ist auch, dass freiwillige finanzielle Hilfen<br />
innerhalb einer Kassenart möglich sein und Vorrang haben<br />
sollen. Die im früheren Referentenentwurf angelegte<br />
Einschränkung der Wettbewerbsneutralität des Spitzenverbandes<br />
Bund der Krankenkassen konnte von der<br />
BDA verhindert werden. Im Kabinettsentwurf sind die<br />
Vorschriften über das Haftungsmanagement deutlich<br />
verbessert worden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Gesetzliche<br />
Krankenversicherung“ veröffentlicht. Er ist über<br />
www.bda-online.de abrufbar.<br />
Präventionsgesetz offenbar auch<br />
im zweiten Anlauf gescheitert<br />
Die BDA begrüßt, dass das zum zweiten Mal aufgegriffene<br />
Vorhaben eines Präventionsgesetzes offensichtlich<br />
erneut vor dem Scheitern steht, denn die Sozialversicherung<br />
darf nicht als nahezu alleiniger Finanzier für<br />
eine Stärkung der Prävention herangezogen werden.<br />
Die Gesetzespläne sind zudem verfehlt, weil die Länder<br />
ein Mitentscheidungsrecht über die Verwendung von<br />
Beitragsmitteln erhalten hätten. Außerdem kritisiert die<br />
BDA, dass die Krankenkassen und Unfallversicherungsträger<br />
funktionierende und wirksame Präventionsprogramme<br />
aufgeben müssten, wenn das Präventionsgesetz<br />
umgesetzt würde.<br />
Das Ziel des umstrittenen Präventionsgesetzes ist es,<br />
Gesundheitsförderung und gesundheitliche Prävention<br />
zu einer eigenständigen Säule im Gesundheitswesen<br />
auszubauen. Ein Nationaler Präventionsrat soll vorrangige<br />
Ziele festlegen und Vorschläge für Leistungen<br />
entwickeln. Die Maßnahmen sollen auf Landesebene<br />
durchgeführt werden, deren Finanzierung aus Mitteln<br />
der Kranken-, Pflege- Renten- und Unfallversicherung<br />
vorgesehen ist. Das Finanzvolumen wird auf insgesamt<br />
knapp 300 Mio. € veranschlagt.
66<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Soziale Pflegeversicherung –<br />
Finanzierungsprobleme bleiben<br />
ungelöst<br />
Mit der am 14. März <strong>2008</strong> vom Bundestag beschlossenen<br />
Reform der Pflegeversicherung („Gesetz zur<br />
strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung<br />
– Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“) wurde die<br />
Chance verpasst, die soziale Pflegeversicherung auf den<br />
demografischen Wandel vorzubereiten. Insbesondere<br />
fehlt die im Koalitionsvertrag vereinbarte „Ergänzung<br />
des Umlageverfahrens durch kapitalgedeckte Elemente<br />
als Demografiereserve“.<br />
Die beschlossenen Maßnahmen zur Weiterentwicklung<br />
der Pflegeversicherung mit einem Finanzvolumen von<br />
rund 2,5 Mrd. € bestehen im Wesentlichen aus Leistungsausweitungen.<br />
Die Kernfrage, wie die Pflegeversicherung<br />
angesichts des bevorstehenden demografischen<br />
Wandels dauerhaft leistungsfähig und finanzierbar gestaltet<br />
werden kann, bleibt unbeantwortet. Das Maßnahmenpaket<br />
sieht insbesondere vor, dass<br />
•die ambulanten Sachleistungsbeträge in allen drei<br />
Pflegestufen,<br />
•die stationären Sachleistungsbeträge in der Pflegestufe<br />
III und in Härtefällen sowie<br />
•das Pflegegeld in allen drei Pflegestufen<br />
in den Jahren <strong>2008</strong>, 2010 und 2012 schrittweise angehoben<br />
werden. Ferner werden die ergänzenden Leistungen<br />
für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinem<br />
Betreuungsbedarf (z. B. Demenz- und Alzheimer-Kranke)<br />
erhöht und der Anspruch auf Tagespflege ausgebaut.<br />
Darüber hinaus wird erstmals im Jahr 2015 – und<br />
anschließend im dreijährigen Rhythmus – eine Dynamisierung<br />
der Pflegeversicherungsleistungen erfolgen.<br />
Maßstab wird die kumulierte Inflationsentwicklung der<br />
jeweils letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahre<br />
sein, wobei als Obergrenze der Anstieg der Bruttolohnentwicklung<br />
vorgesehen ist. Der Zeitraum ab 2015<br />
liegt jedoch jenseits des Zeithorizonts des Gesetzes.<br />
Es ist unverantwortlich, eine regelmäßige Ausweitung<br />
der Pflegeleistungen festzuschreiben, ohne die Frage<br />
der langfristigen Finanzierung auch nur ansatzweise zu<br />
beantworten.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
67<br />
SOZIALE PFLEGEVERSICHERUNG SEIT neun JAHREN defizitär<br />
(Jahresfehlbeträge in Mio. €)<br />
0<br />
– 30<br />
– 130<br />
– 60<br />
– 300<br />
– 380<br />
– 360 – 370<br />
– 320<br />
– 600<br />
– 690<br />
– 900<br />
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
– 820<br />
Quelle: eigene Darstellung der BDA; ohne Beachtung der einmaligen, zusätzlichen Beiträge im Jahr 2006 durch die Vorverlegung der Beitragsfälligkeit<br />
(820 Mio. €)<br />
Wegen der vorgesehenen umfangreichen Leistungsausweitungen<br />
wird die finanzielle Schieflage der sozialen<br />
Pflegeversicherung weiter verschärft. Denn bei einer<br />
rückläufigen Zahl potenzieller Beitragszahler werden die<br />
zu schulternden Finanzierungslasten nun nicht nur durch<br />
die steigende Zahl der Pflegefälle, sondern zusätzlich<br />
durch höhere Kosten je Pflegefall zunehmen.<br />
Trotz der Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes<br />
von 1,7 auf 1,95 % zum 1. Juli <strong>2008</strong> – was einer Steigerung<br />
von fast 15 % entspricht – können die Leistungen<br />
der Pflegeversicherung laut Gesetzesbegründung<br />
nur bis „Ende 2014/Anfang 2015“ finanziert werden,<br />
„ohne dass die Mindestreserve von einer Monatsausgabe<br />
in Anspruch genommen werden muss“. Dabei<br />
wird sogar der weitere Abbau der vorhandenen Finanzreserven<br />
(Ende 2007: 2,06 Monatsausgaben) billigend<br />
in Kauf genommen.<br />
Die im Gesetz enthaltenen Maßnahmen widersprechen<br />
zudem ganz überwiegend dem Ziel, durch eine<br />
Absenkung der Lohnzusatzkosten Wachstum und Beschäftigung<br />
zu fördern. Zwar gibt es nachvollziehbare<br />
Gründe, Demenzkranke, Schwerstpflegebedürftige<br />
und pflegende Angehörige künftig stärker zu unterstützen,<br />
dies darf jedoch nicht zu einer Verteuerung der<br />
Arbeitskosten führen. Der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz<br />
überschreitet durch die Anhebung des<br />
Pflegebeitragssatzes im zweiten Halbjahr <strong>2008</strong> bereits<br />
wieder die 40 %-Marke. Angesichts der demografischen<br />
Veränderungen und mit Blick auf die überhöhten<br />
gesetzlichen Personalzusatzkosten hätte es deshalb<br />
oberstes Ziel der Pflegereform sein müssen, eine Beitragssatzanhebung<br />
zu vermeiden.<br />
Bestandteile einer zukunftsweisenden Reform der<br />
Pflege versicherung hätten insbesondere die Abkopplung<br />
der Pflegekosten vom Arbeitsverhältnis, eine strukturelle<br />
beitragsneutrale Neuausrichtung des Leistungskatalogs<br />
der Pflegeversicherung sowie ein wirksamer Wettbewerb<br />
sowohl zwischen den Pflegekassen als auch zwischen<br />
Pflegekassen und Leistungserbringern sein müssen.<br />
Außerdem wäre ein Ausbau der Eigenbeteiligung<br />
der Versicherten erforderlich gewesen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Soziale<br />
Pflegeversicherung“ veröffentlicht. Er ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
68<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
ELENA-Verfahren einführen und<br />
ausbauen – Leistungsgesetze<br />
harmonisieren<br />
Am 25. Juni <strong>2008</strong> hat das Bundeskabinett die Einführung<br />
des elektronischen Entgeltnachweisverfahrens (ELENA-<br />
Verfahren) beschlossen. Mit dem ELENA-Verfahren<br />
soll die Verpflichtung der Arbeitgeber zur schriftlichen<br />
Ausstellung von Entgeltbescheinigungen (vor allem als<br />
Grundlage für die Berechnung von Sozialleistungen ihrer<br />
Arbeitnehmer, z. B. Arbeitslosengeld oder Elterngeld)<br />
durch die Verpflichtung zur monatlichen elektronischen<br />
Meldung von Entgeltdaten an eine zentrale Speicherstelle<br />
ersetzt werden. Aus der zentralen Speicherstelle ruft<br />
die bewilligende Behörde bei Bedarf die notwendigen<br />
Daten ab und berechnet auf ihrer Grundlage die Leistung.<br />
Dies setzt voraus, dass sich der Beschäftigte mit<br />
einer qualifizierten elektronischen Signatur als Teilnehmer<br />
zum ELENA-Verfahren anmeldet. Die Daten können<br />
nur nach Anmeldung und mit seiner Beteiligung,<br />
unter Einsatz der qualifizierten Signatur, von der Leistungsbehörde<br />
abgerufen werden.<br />
Die BDA setzt sich bereits seit Jahren für die Einführung<br />
des ELENA-Verfahrens ein, weil es die Grundlage<br />
für den Wegfall der zahlreichen von den Arbeitgebern<br />
zu erfüllenden Entgeltbescheinigungspflichten liefert.<br />
Sie hat ihre Zustimmung aber immer davon abhängig<br />
gemacht, dass die Entlastung der Arbeitgeber durch<br />
den Wegfall von Entgeltbescheinigungspflichten größer<br />
ausfällt als der administrative Mehraufwand der<br />
Arbeitgeber durch die mit dem ELENA-Verfahren verbundene<br />
monatliche Meldung. Immerhin konnte die<br />
BDA erreichen, dass sich das ELENA-Verfahren – anders<br />
als ursprünglich vorgesehen – nicht mehr nur<br />
auf drei Bescheinigungen der Bundesagentur für Arbeit<br />
(§§ 312, 313 und 315 Abs. 3 SGB III) beschränkt,<br />
sondern von Beginn an auch die Bescheinigungspflichten<br />
für Wohn- und Elterngeld mit einbezogen werden<br />
sollen. Allerdings wird das Potenzial des neuen Verfahrens<br />
auch mit dem jetzigen Kabinettsbeschluss bei<br />
weitem nicht ausgeschöpft. Die Arbeitgeber müssen<br />
heute über 100 Auskunfts-, Melde- und Bescheinigungspflichten<br />
nachkommen, darunter rund 45 Entgeltbescheinigungspflichten.<br />
Der Minderaufwand durch<br />
die entfallenden Bescheinigungspflichten übertrifft<br />
So funktioniert das Elena-Verfahren<br />
Beispiel: Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung<br />
Arbeitgeber<br />
1<br />
meldet monatlichen<br />
Datensatz<br />
zentrale<br />
Speicherstelle<br />
4<br />
startet Datenabfrage<br />
erhält Arbeitsbescheinigung<br />
3<br />
Agentur<br />
für Arbeit<br />
5<br />
2<br />
gibt Datenabruf frei<br />
Teilnehmer<br />
erhält Leistung<br />
Zeitplan:<br />
ab 1. Januar 2009: Aufbau der zentralen Speicherstelle<br />
ab 1. Januar 2010: monatliche Entgeltmeldungen der Arbeitgeber – Aufbau des Datenpools<br />
ab 1. Januar 2012: Datenabrufe durch die leistungsgewährenden Stellen
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
69<br />
daher nur in begrenztem Umfang den Mehraufwand<br />
der Arbeitgeber, der mit der Einführung des ELENA-<br />
Verfahrens verbunden ist. Notwendig ist ein klarer<br />
Fahrplan zur zeitnahen Ersetzung aller Entgeltbescheinigungspflichten<br />
der Arbeitgeber. Das hat zu Recht<br />
auch der Nationale Normenkontrollrat (NKR) in seinem<br />
Gutachten zum ELENA-Verfahren gefordert. Ein<br />
Hinweis in der Gesetzesbegründung, weitere Bescheinigungen<br />
in das Verfahren mit einbeziehen zu wollen,<br />
reicht nicht aus.<br />
Zudem müssen auch die jeweiligen Leistungsgesetze,<br />
die die Abfrage von Entgeltdaten erfordern, besser<br />
aufeinander abgestimmt werden (einheitliche Entgeltbegriffe<br />
etc.). Nur dann kann der vom Arbeitgeber<br />
monatlich für jeden Arbeitnehmer zu übermittelnde<br />
ELENA-Datensatz tatsächlich auf ein Minimum reduziert<br />
werden.<br />
Sozialversicherung wird in<br />
den Bürokratieabbauprozess<br />
einbezogen<br />
Die Initiative der Bundesregierung zum Bürokratieabbau<br />
hat bislang die von den Sozialversicherungsträgern<br />
geschaffenen Verwaltungsvorschriften (Rundschreiben<br />
etc.), die auch Bürokratieaufwand in den Unternehmen<br />
verursachen, nicht berücksichtigt. Dies haben<br />
sowohl der NKR als auch die BDA bereits im September<br />
bzw. Oktober letzten Jahres kritisiert und eine Einbeziehung<br />
der Sozialversicherung in den Bürokratieabbauprozess<br />
gefordert. Der NKR schreibt in seinem<br />
Jahresbericht 2007: „Länder, Kommunen, Sozialversicherungsträger<br />
und andere öffentliche Körperschaften<br />
sind alle aufgerufen, die von ihnen verantworteten Verfahren<br />
und Abläufe auf den Prüfstand zu stellen und entsprechende<br />
Belastungen für Bürger und Wirtschaft abzubauen.<br />
In dieser Hinsicht gibt es noch viel zu tun.“<br />
Ende Februar <strong>2008</strong> fand nunmehr auf Einladung der<br />
Bundesregierung und des NKR-Vorsitzenden ein Gespräch<br />
mit den hauptamtlichen Vorständen der Spitzenverbände<br />
der Sozialversicherungsträger und den<br />
zuständigen Staatssekretären des Bundesministeriums<br />
für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums<br />
für Gesundheit statt. Die Teilnehmer haben einmütig<br />
die Initiative der Bundesregierung begrüßt. Das Ob<br />
der Einbeziehung der Sozialversicherung in den Bürokratieabbauprozess<br />
wurde von keinem der Eingeladenen<br />
in Frage gestellt. Es sollen nunmehr konkrete<br />
Bürokratie abbauprojekte vorangetrieben werden. Die<br />
BDA wird in den im Juni <strong>2008</strong> gebildeten Arbeitsgruppen<br />
mitwirken und sich mit eigenen Vorschlägen für<br />
eine Entlastung der Unternehmen einsetzen.<br />
Gesetzliche Unfallversicherung:<br />
Generalüberholung überfällig –<br />
verpasste Leistungsrechtsreform<br />
baldmöglichst nachholen<br />
Am 26. Juni <strong>2008</strong> hat der Bundestag den Entwurf eines<br />
Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
beschlossen. Der Gesetzentwurf enthält<br />
insbesondere Regelungen zur Organisation, zur Lastenverteilung,<br />
zu neuen Meldepflichten im Rahmen<br />
der Übertragung der Betriebsprüfung auf die Rentenversicherung<br />
und zu rechtlichen Grundlagen der Gemeinsamen<br />
Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA).<br />
Das Leistungsrecht wird – im Gegensatz zu den Festlegungen<br />
im Koalitionsvertrag – gänzlich ausgespart.<br />
Das BDA-Präsidium hat dies zuletzt im Januar <strong>2008</strong><br />
als sehr enttäuschend kritisiert. Die Koalition verpasst<br />
damit das selbst gesteckte Ziel, die Unfallversicherung<br />
umfassend zu reformieren und ein zielgenaueres Leistungsrecht<br />
einzuführen. Nur eine Reform des Leistungsrechts<br />
ermöglicht die überfällige Beitragsentlastung der<br />
Unternehmen. Mit dem jetzt verfolgten Reform-Stückwerk<br />
wird vielmehr ein großer Teil der Wirtschaft belastet.<br />
Durch die vorgesehenen Regelungen zu einer<br />
geänderten Verteilung von Altlasten zwischen den Berufsgenossenschaften<br />
führt die Reform für viele Unternehmen<br />
zu höheren statt zu niedrigeren Beiträgen. Das<br />
darf nicht das Ergebnis der Reform der Unfallversicherung<br />
sein. Die ausgesparte Reform des Leistungsrechts<br />
muss baldmöglichst nachgeholt werden.<br />
Die BDA begrüßt, dass bei der Reform der Organisation<br />
der Unfallversicherung weitgehend die Vorschläge<br />
der Selbstverwaltung der gewerblichen Berufsgenossenschaften<br />
aufgegriffen werden. Das gilt vor allem<br />
für den notwendigen Fusionsprozess und das Konzept<br />
für einen Überaltlastausgleich. Anders als jetzt vor
70<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
geplanter überaltlastausgleich be- bzw. entlastet branchen unterschiedlich stark<br />
Verteilung: 70 % Entgelte, 30 % Neurenten, Datenbasis 2006<br />
Berufsgenossenschaft<br />
Bergbau-BG<br />
Steinbruchs-BG<br />
BG Keramik<br />
und Glas<br />
BG Gas-, Fernwärme-<br />
u. Wasserwirtschaft<br />
Hütten- und<br />
Walzwerks-BG<br />
Maschinenbau- und<br />
Metall-BG<br />
Norddeutsche<br />
Metall-BG<br />
BG Metall Süd<br />
BG der Feinmechanik<br />
und Elektrotechnik<br />
BG der chemischen<br />
Industrie<br />
Holz-BG<br />
Papiermacher-BG<br />
BG Druck und<br />
Papierverarbeitung<br />
Lederindustrie-BG<br />
Textil- und<br />
Bekleidungs-BG<br />
BG Nahrungsmittel<br />
und Gaststätten<br />
Fleischerei-BG<br />
Zucker-BG<br />
BG der<br />
Bauwirtschaft<br />
Großhandels- und<br />
Lagerei-BG<br />
BG für den<br />
Einzelhandel<br />
Verwaltungs-BG<br />
BG der Straßen-,<br />
U- und Eisenbahnen<br />
BG für Fahrzeughaltungen<br />
See-BG<br />
BGW<br />
Durchschnitt<br />
Beitragshöhe<br />
Be- bzw. Entlastung<br />
Durchschnittsbetrag (in €) je 100 € Lohnsumme Veränderung ggü.<br />
Ausgleichsbetrag in Mio. €<br />
geltendem Recht<br />
künftiges Recht geltendes Recht in %<br />
künftiges Recht geltendes Recht<br />
7,87<br />
2,55<br />
1,69<br />
1,08<br />
1,42<br />
1,57<br />
1,69<br />
1,16<br />
1,11<br />
1,22<br />
1,70<br />
1,61<br />
0,99<br />
1,31<br />
1,05<br />
1,61<br />
1,56<br />
2,02<br />
3,60<br />
0,88<br />
0,96<br />
0,87<br />
1,27<br />
2,28<br />
2,71<br />
0,82<br />
1,31<br />
8,00<br />
3,04<br />
2,18<br />
0,90<br />
2,57<br />
1,81<br />
1,76<br />
1,14<br />
1,02<br />
1,24<br />
2,16<br />
1,86<br />
0,96<br />
1,42<br />
1,35<br />
1,66<br />
1,67<br />
2,71<br />
3,95<br />
0,82<br />
0,90<br />
0,74<br />
1,21<br />
2,11<br />
3,63<br />
0,74<br />
1,31<br />
– 1,55<br />
– 16,29<br />
– 22,51<br />
21,01<br />
– 44,79<br />
– 13,60<br />
– 4,24<br />
0,78<br />
8,60<br />
– 1,60<br />
– 21,43<br />
– 13,77<br />
3,68<br />
– 7,93<br />
– 22,09<br />
– 2,70<br />
– 6,45<br />
– 25,45<br />
– 8,83<br />
6,97<br />
6,43<br />
17,07<br />
4,96<br />
8,13<br />
– 25,27<br />
11,21<br />
0,00<br />
– 383,35<br />
– 31,62<br />
– 16,62<br />
19,08<br />
– 37,77<br />
– 44,83<br />
8,13<br />
75,91<br />
137,50<br />
32,02<br />
– 40,72<br />
– 3,11<br />
18,71<br />
– 0,41<br />
– 24,34<br />
8,27<br />
– 3,73<br />
–1,67<br />
– 288,68<br />
97,71<br />
52,59<br />
288,86<br />
7,50<br />
65,39<br />
– 12,15<br />
77,32<br />
0,00<br />
– 379,80<br />
– 13,47<br />
5,00<br />
7,42<br />
– 5,43<br />
26,92<br />
23,91<br />
69,96<br />
74,76<br />
38,96<br />
8,49<br />
2,11<br />
13,87<br />
2,11<br />
– 2,07<br />
21,90<br />
1,13<br />
0,31<br />
– 158,29<br />
63,38<br />
30,94<br />
122,83<br />
5,17<br />
23,01<br />
– 0,61<br />
17,49<br />
0,00<br />
Veränderung ggü.<br />
geltendem Recht<br />
in €<br />
– 3,55<br />
– 18,15<br />
– 21,63<br />
11,66<br />
– 32,34<br />
– 71,75<br />
– 15,78<br />
5,95<br />
62,74<br />
– 6,94<br />
– 49,21<br />
– 5,21<br />
4,84<br />
– 2,52<br />
– 22,27<br />
– 13,63<br />
– 4,86<br />
– 1,98<br />
– 130,39<br />
34,33<br />
21,65<br />
166,03<br />
2,33<br />
42,38<br />
– 11,55<br />
59,84<br />
0,00<br />
Quellen: Bundestagsdrucksache 16/7663
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
71<br />
gesehen, sollte die Überaltlast allerdings hälftig nach<br />
Neurenten und Entgelten verteilt werden, denn die<br />
Abwägung der unterschiedlichen Argumente rechtfertigt<br />
keine Übergewichtung eines der beiden Verteilkriterien.<br />
Außerdem gilt es, mit der Einführung des<br />
Überaltlastausgleichs große Beitragssprünge der höher<br />
belasteten Branchen zu vermeiden. Erfreulich ist, dass<br />
der Bundestag zur zeitlichen Streckung der Mehrbelastung<br />
– wie von der BDA gefordert – eine Verdoppelung<br />
der Übergangsfrist beschlossen hat.<br />
Die BDA begrüßt ferner, dass die von der Selbstverwaltung<br />
der gesetzlichen Unfallversicherung Mitte 2007<br />
gegründete neue Spitzenorganisation, die Deutsche<br />
Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), bestehend<br />
aus den früheren Organisationen des Hauptverbandes<br />
der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG)<br />
und des Bundesverbandes der Unfallkassen (BUK), in<br />
ihrer privatrechtlichen Ausgestaltung weiter bestehen<br />
soll. Zudem ist positiv zu bewerten, dass der Bundestag<br />
– auch hier entsprechend der Forderung der<br />
BDA – den Gesetzentwurf dahingehend abgeändert<br />
hat, dass auf die Einführung von Fachaufsicht über die<br />
DGUV durch das Bundesministerium für Arbeit und<br />
Soziales verzichtet wird.<br />
Entgegen den ursprünglichen Regelungen im Arbeitsentwurf<br />
und der Vereinbarung von Bund und Ländern<br />
in den Eckpunkten aus dem Jahr 2006 enthielt der<br />
Gesetzentwurf keine Regelung mehr zum Einsparziel<br />
von 20 % bei den Verwaltungs- und Verfahrenskosten.<br />
Die BDA hat sich nachdrücklich dafür eingesetzt, dass<br />
eine derartige Zielvorgabe wieder in den Gesetzentwurf<br />
aufgenommen wird. Der Bundestag hat – wenn<br />
auch ohne konkrete Zahlenangabe – nunmehr beschlossen,<br />
dass die DGUV auf die Verminderung von<br />
Verwaltungs- und Verfahrenskosten bei den gewerblichen<br />
Berufsgenossenschaften hinzuwirken hat. Von<br />
2009 an hat sie jedes Jahr dem Bundesministerium für<br />
Arbeit und Soziales über die Entwicklung der Kosten<br />
sowie über die durchgeführten und geplanten Maßnahmen<br />
Bericht zu erstatten.
72<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Äußerst kritisch sind des Weiteren die vorgesehenen<br />
neuen Meldepflichten. Mit dem Mittelstandsentlastungsgesetz<br />
II erfolgte die Übertragung der<br />
Betriebsprüfung von der Unfallversicherung auf die<br />
Rentenversicherung. Ziel war, dass sowohl der Gesamtsozialversicherungsbeitrag<br />
als auch der Beitrag<br />
zur Berufsgenossenschaft einer einheitlichen Betriebsprüfung<br />
unterzogen werden und die Betriebe damit<br />
von Doppelprüfungen entlastet werden. Mit dem jetzigen<br />
Beschluss des Bundestages wird das Ziel des<br />
Bürokratie abbaus jedoch konterkariert. Danach gibt es<br />
zwar nur noch eine Betriebsprüfung, dafür aber immense<br />
neue bürokratische Meldepflichten für die Arbeitgeber.<br />
Insbesondere die erst in letzter Minute durch einen<br />
Änderungsantrag in das Gesetz aufgenommene Einführung<br />
einer Meldepflicht der geleisteten Arbeitsstunden<br />
für jeden einzelnen Arbeitnehmer stellt die Unternehmen<br />
vor nahezu unlösbare Aufgaben. Viele Unternehmen<br />
erfassen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten nicht<br />
durch eine Zeiterfassung und müssen dies auch nicht.<br />
Nach dem Arbeitszeitgesetz sind grundsätzlich nur<br />
solche Arbeitszeiten aufzuzeichnen, die werktäglich<br />
acht Stunden überschreiten. Bei Arbeitnehmern wie<br />
leitenden Angestellten gibt es sogar überhaupt keine<br />
Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten. Dort, wo<br />
aufgezeichnet werden muss, gilt heute eine Aufbewahrungsfrist<br />
von zwei Jahren. Die jetzt vorgesehene neue<br />
Meldung bedeutet für ausnahmslos alle Arbeitnehmer<br />
eine Aufzeichnungs- und Meldepflicht. Die Aufbewahrungsfrist<br />
würde sich zudem von zwei auf fünf Jahre<br />
mehr als verdoppeln. Für eine Meldung der individuellen<br />
Arbeitszeiten besteht zudem überhaupt kein Bedarf,<br />
da diese weder für die Beitragsberechnung und für die<br />
Aufstellung der Gefahrtarife noch für statistische Zwecke<br />
notwendig sind. Die BDA wird sich weiter intensiv<br />
für eine Korrektur dieser Fehlentscheidung einsetzen.<br />
Weiterhin sollen mit dem Entwurf die gesetzlichen<br />
Grundlagen für die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie<br />
geschaffen werden. Als zentrales Gremium<br />
für die Planung, Koordinierung, Entscheidung<br />
und Evaluierung ist die Nationale Arbeitsschutzkonferenz<br />
vorgesehen. Die BDA hat sich gemeinsam mit<br />
dem DGB nachdrücklich dafür eingesetzt, dass die Sozialpartner<br />
unmittelbar in der Arbeitsschutzkonferenz<br />
vertreten sind, was Bund und Länder zunächst nicht<br />
geplant hatten. Der Gesetzentwurf sieht jetzt zwar vor,<br />
dass die Arbeitgeber mit bis zu drei Vertretern Mitglied<br />
der Arbeitsschutzkonferenz werden, ihnen wird jedoch<br />
nur eine beratende Mitgliedschaft zugebilligt. Arbeitgeber<br />
und Beschäftigte sind maßgebliche Akteure des<br />
Arbeitsschutzes. Sie müssen die Vorbereitung und Planung<br />
der nationalen Arbeitsschutzstrategie mitgestalten<br />
können, da sie diese nachher auch mit umzusetzen<br />
haben. Daher ist ihnen ein Stimmrecht in der Nationalen<br />
Arbeitsschutzkonferenz einzuräumen.<br />
Die BDA wird sich weiterhin für eine umfassende Reform<br />
der gesetzlichen Unfallversicherung einsetzen.<br />
Eine Strukturreform muss zu einer Konzentration der<br />
Leistungen auf betriebsspezifische Risiken führen, bestehende<br />
Überversorgung abbauen sowie die Wirtschaftlichkeit<br />
verbessern.<br />
Rechtsvereinfachung bei der<br />
arbeitsmedizinischen Vorsorge<br />
sicherstellen<br />
Das Bundesarbeitsministerium hat im Januar <strong>2008</strong><br />
einen Referentenentwurf für eine „Verordnung zur<br />
Rechtsvereinfachung und Stärkung der arbeitsmedizinischen<br />
Vorsorge“ vorgelegt. Damit soll ein kohärentes<br />
Vorschriften- und Regelwerk zur arbeitsmedizinischen<br />
Vorsorge geschaffen werden. Wie im geltenden Recht<br />
soll eine Differenzierung nach Pflicht- und Angebotsuntersuchungen,<br />
je nach Gefährdungspotenzial des<br />
Untersuchungsanlasses, erfolgen. Zur Konkretisierung<br />
der Verordnung und zur Erarbeitung von Regeln und<br />
Erkenntnissen ist die Einrichtung eines Ausschusses für<br />
Arbeitsmedizin vorgesehen.<br />
Die BDA begrüßt das mit der Verordnung verfolgte Ziel,<br />
die in unterschiedlichen Gesetzen, Verordnungen und<br />
Unfallverhütungsvorschriften enthaltenen Regelungen<br />
zur arbeitsmedizinischen Vorsorge zusammenzuführen.<br />
Allerdings wird dieses Ziel nicht erreicht, da wichtige<br />
Bereiche der arbeitsmedizinischen Vorsorge wie z. B.<br />
der Strahlenschutz und die Nachtarbeit außen vor bleiben.<br />
Kritisch beurteilt die BDA zudem die Einrichtung<br />
eines weiteren staatlichen Ausschusses. Da zu den Aufgaben<br />
des Ausschusses die Erarbeitung von technischen<br />
Regeln und Erkenntnissen gehören soll, besteht die<br />
Gefahr, dass eine Vielzahl von Dokumenten erarbeitet<br />
und so das Ziel der Rechtsvereinfachung konterkariert
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
73<br />
wird. Die BDA wird daher weiter auf eine grundlegende<br />
Überarbeitung des Verordnungsentwurfs dringen.<br />
Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt „Unfallversicherung<br />
und Arbeitsschutz“ veröffentlicht. Er ist<br />
über www.bda-online.de abrufbar.<br />
Aktiver Sozialer Dialog macht<br />
StressRichtlinie überflüssig<br />
Die europäischen Sozialpartner sind mit Erfolg den<br />
Richtlinienüberlegungen der Kommission zum Thema<br />
„Stress“ entgegengetreten und haben sich in einer<br />
im Jahr 2004 abgeschlossenen Rahmenvereinbarung<br />
zu arbeitsbedingtem Stress zu Umsetzungsaktivitäten<br />
verpflichtet. In diesem Jahr endet die Umsetzungsfrist<br />
dieser Vereinbarung. Eine Zusammenfassung der Abschlussberichte<br />
über die Aktivitäten der Sozialpartner<br />
der Mitgliedstaaten wird der Europäischen Kommission<br />
zur Bewertung über den Erfolg dieses Vorhabens<br />
Mitte <strong>2008</strong> vorgelegt.<br />
Die BDA legt mit dem Umsetzungsbericht zur Rahmenvereinbarung<br />
zu arbeitsbedingtem Stress eindrucksvoll<br />
dar, dass der gewählte Weg über die Sozialpartnervereinbarung<br />
effektiver ist als neue gesetzliche Regelungen<br />
und damit dem Lissabon-Ziel europäischer Politik „better<br />
and smarter regulation“ besser entspricht.<br />
die bda gibt der diskussion über arbeitsbedingten stress<br />
die richtige richtung<br />
BDA-Symposien<br />
Datum<br />
Titel Fachvorträge und Podiumsbeiträge Teilnehmerzahl<br />
16. November 2005<br />
Psychische Belastung bei der Arbeit<br />
BDA, Universität München, Universität Wuppertal, BASF,<br />
Berufsgenossenschaftliche Zentrale für Sicherheit und Gesundheit,<br />
Berufsgenossenschaft Metall Süd, BKK-Bundesverband,<br />
DaimlerChrysler, Verwaltungs-BG, Firma Rolf<br />
Benz, Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (IfaA)<br />
100 Personen<br />
21. November 2006<br />
Zielgerichtete Prävention – psychische<br />
Belastung bei der Arbeit sicher<br />
erkennen und einordnen<br />
BDA, Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische<br />
Forschung, IfaA, BG für Gesundheitsdienst<br />
und Wohlfahrtspflege, Norddeutsche Metall-BG,<br />
Maschinenbau- und Metall-BG, Telekom, ULA Deutscher<br />
Führungskräfteverband, DaimlerChrysler, Deutsche Bahn,<br />
INFRACOR, HVBG<br />
150 Personen<br />
5. März <strong>2008</strong><br />
Umgang mit psychischer Belastung<br />
im Unternehmen: betriebliche Konzepte<br />
und externe Unterstützung<br />
BDA, BG-Metall Nord Süd, Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung<br />
BGF, ADAC, Universität Wuppertal,<br />
Metall NRW, Firma Rolf Benz, Unfallkasse Rheinland-<br />
Pfalz, Daimler, AOK BGF, BKK Bundesverband<br />
150 Personen<br />
Informationsmedien<br />
Broschüren:<br />
•Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit, Stand: Mai 2005, 2., überarbeitete Auflage<br />
•Leistung und Lohn – Zeitschrift für Arbeitswissenschaft: Die Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit, November<br />
2005, Nr. 417/418/419<br />
•Leistung und Lohn – Zeitschrift für Arbeitswissenschaft: Erfassung psychischer Belastung und Rückwirkung auf die Arbeitsgestaltung, KPB – ein Praxisinstrument<br />
zur Erfassung psychischer Belastungen, April <strong>2008</strong>, Nr. 445/446/447/448/449<br />
Mustervortragssatz „Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit“
74<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Die BDA hat während der Umsetzungsfrist die Fachdiskussion<br />
mit allen relevanten Präventionsverantwortlichen<br />
zum Thema „Psychische Belastung und arbeitsbedingter<br />
Stress“ in Deutschland in Symposien, Vorträgen<br />
und Veröffentlichungen maßgeblich geprägt.<br />
Die Arbeitsbedingungen in Deutschland befinden<br />
sich auf einem hohen Niveau. Demgegenüber heben<br />
Krankenkassen in ihren Gesundheitsberichten den<br />
starken Anstieg der psychischen Erkrankungen hervor.<br />
Für diesen Trend wird zum großen Teil die steigende<br />
psychischen Belastung aus veränderten Arbeitsbedingungen<br />
wie Leistungsverdichtung und gestiegenem<br />
Arbeitstempo verantwortlich gemacht. Bei Prüfung der<br />
diesen Aussagen zugrunde liegenden Daten wird jedoch<br />
deutlich, dass die Fallzahlen psychischer Erkrankungen<br />
über die letzten fünf Jahre annähernd konstant<br />
geblieben sind. Die BDA fordert eine realistische Betrachtung<br />
des Risikos, aus arbeitsspezifischen Inhalten<br />
und Faktoren ernsthaft psychisch zu erkranken. Die<br />
psychische Gesundheit ist ein allgemeines gesundheitspolitisches<br />
Anliegen. Sie darf nicht auf die Arbeitswelt<br />
reduziert werden, indem sämtliche Einflüsse aus<br />
dem Privatleben und aus individuellen Lebensumständen<br />
unbeachtet bleiben.<br />
Dennoch wenden sich europäische und nationale Arbeitsschutzeinrichtungen<br />
verstärkt dem Thema der psychosozialen<br />
Risiken aus veränderten Arbeitsbedingungen<br />
zu. Die BDA hat mit den Umsetzungsaktivitäten<br />
im Rahmen der Sozialpartnervereinbarung zu arbeitsbedingtem<br />
Stress einen erheblichen Beitrag auf diesem<br />
Feld geleistet. Hieran anknüpfend wird sie das Thema<br />
der Einflüsse auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten<br />
mit gleicher Intensität bearbeiten.<br />
Selbstverwaltung stärken<br />
statt schwächen<br />
Das im April <strong>2008</strong> vom Bundesministerium für Arbeit<br />
und Soziales vorgelegte Gutachten zur „Geschichte<br />
und Modernisierung der Sozialversicherungswahlen“<br />
enthält keine geeigneten Vorschläge zur Reform der<br />
sozialen Selbstverwaltung. Die BDA hat die darin unterbreiteten<br />
Empfehlungen weitgehend abgelehnt. Insbesondere<br />
der Vorschlag, die Mitwirkung der Arbeitgeber<br />
in den Selbstverwaltungsorganen auf ein Drittel<br />
zu beschränken, ist nachdrücklich abzulehnen. Dies<br />
gilt schon deshalb, weil der als Begründung gegebene<br />
Hinweis auf einen geringeren Beitragsanteil der Arbeitgeber<br />
nicht zutreffend ist. Richtig ist vielmehr, dass die<br />
Arbeitgeber in den meisten Sozialversicherungszweigen<br />
sogar höhere Beiträge als die Versicherten zahlen.<br />
Ohnehin ist der tragende Grund für die paritätische<br />
Selbstverwaltung jedoch nicht der jeweilige Finanzierungsanteil:<br />
Andernfalls wäre z. B. eine Mitwirkung von<br />
Arbeitnehmervertretern in der Selbstverwaltung der Unfallversicherung<br />
überhaupt nicht zu erklären. Vielmehr<br />
beruht die paritätische Mitwirkung vor allem darauf,<br />
dass die Beiträge zur Sozialversicherung nach wie vor<br />
ganz überwiegend über lohnbezogene Beiträge aufgebracht<br />
werden. Zudem soll mit der gleichberechtigten<br />
Einbindung der Arbeitgeber in die Selbstverwaltung<br />
der Sozialversicherung auch ihre Mitverantwortung<br />
für die Sozialversicherung zum Ausdruck gebracht und<br />
eingefordert werden. Bei einer bloßen Mitwirkung der<br />
Arbeitgeber in der Selbstverwaltung ohne tatsächliche<br />
Gestaltungsmöglichkeiten würde diese wesentliche<br />
Aufgabe und Rolle der paritätischen Selbstverwaltung<br />
durch Arbeitgeber und Versicherte hingegen aufgegeben.<br />
Kritisch zu sehen sind auch Überlegungen der<br />
Gutachter hinsichtlich einer Ausweitung des aktiven<br />
und passiven Wahlrechts auf Personen, die selbst nicht<br />
Mitglied der Sozialversicherung sind. Es darf nicht sein,<br />
dass weitere Personen in den Selbstverwaltungsorganen<br />
mitwirken, die nicht selbst mit eigenen Beiträgen<br />
an der Finanzierung der Sozialversicherung beteiligt<br />
sind und damit kein Interesse an einem möglichst wirtschaftlichen<br />
Einsatz der Beitragsmittel haben, sondern<br />
ausschließlich an höheren Leistungen. Des Weiteren<br />
fehlt ein überzeugender Vorschlag zur Modernisierung<br />
der Organisationsstrukturen.<br />
Im Hinblick auf das Gutachten und die aktuelle Diskussion<br />
über eine Reform der Selbstverwaltung hat die<br />
BDA im März <strong>2008</strong> das aktualisierte Positionspapier<br />
„Autonomie stärken – Organisationsstrukturen modernisieren“<br />
mit Reformvorschlägen zur sozialen Selbstverwaltung<br />
vorgelegt. Die BDA hat sich darin klar für<br />
eine Reform der sozialen Selbstverwaltung ausgesprochen.<br />
Der in den letzten Jahren gewachsene Staatseinfluss<br />
auf die Sozialversicherung muss gestoppt und<br />
zurückgedrängt werden. Dafür ist die Autonomie der<br />
Selbstverwaltung zu stärken, ihre Gestaltungsmöglich
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
75<br />
keiten sind zu erweitern. Es muss sichergestellt werden,<br />
dass Versicherte und Arbeitgeber die von ihnen<br />
finanzierten Sozialversicherungen verantwortlich und<br />
aktiv mitgestalten können. Um die Effizienz der Arbeit<br />
der sozialen Selbstverwaltung zu erhöhen, sollten<br />
außerdem die historisch gewachsenen, teilweise<br />
aufgeblähten Organisationsstrukturen der Sozialversicherung<br />
durch ein einheitlich für alle Zweige der Sozialversicherung<br />
geltendes schlankes Verwaltungsratsmodell<br />
ersetzt werden. Ferner muss die paritätische<br />
Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch Arbeitgeber<br />
und Versicherte auch dort eingeführt werden,<br />
wo sie heute noch fehlt.<br />
Das BMAS wird bis September <strong>2008</strong> entscheiden, welche<br />
Schlussfolgerungen aus dem Gutachten zu ziehen<br />
sind. Die BDA wird sich weiter nachdrücklich für eine<br />
Reform der Selbstverwaltung, die deren Autonomie<br />
stärkt und ihre Organisationsstrukturen modernisiert,<br />
einsetzen.
77<br />
Frühkindliche Bildung ■ Schulpolitik<br />
■ Hochschulpolitik ■ Ausbildung ■ Weiterbildung<br />
■ Europäische Bildungspolitik<br />
■ Kindergarten ■ Obligatorisches<br />
Vorschulcurriculum ■ Migranten ■ Kooperation<br />
von Schule und Wirtschaft<br />
■ Berufsbefähigung<br />
BILDUNG,<br />
■ Schlüsselqualifikationen<br />
■ Bildungsfinanzierung ■ Qualitätsmanagement<br />
BERUFLICHE ■ Lehrerbildung BILDUNG ■ MINT<br />
■ Berufsorientierung ■ Bildungsstandards<br />
■ Ganztagsschulen ■ Ökonomische<br />
Bildung ■ Werteerziehung ■ Durchlässigkeit<br />
der Bildungsbereiche ■ Wissenschaft<br />
und Forschung ■ Akkreditierung<br />
■ Bachelor/Master ■ Hochschulreform<br />
■ Hochschulzugang ■ Studien- und<br />
Hochschulfinanzierung ■ Ausbildungsfähigkeit<br />
■ Ausbildungsmarkt ■ Ausbildungspakt<br />
■ Ausbildungsabgabe ■ Duale<br />
Ausbildung ■ Lebenslanges Lernen<br />
■ Qualitätssicherung ■ IT-Weiterbildung<br />
■ Bologna-Prozess ■ Europäische Berufsbildungspolitik<br />
■ Frühkindliche Bildung<br />
■ Schulpolitik ■ Hochschulpolitik<br />
■ Ausbildung ■ Weiterbildung ■ Europäische<br />
Bildungspolitik ■ Kindergarten<br />
■ Obligatorisches Vorschulcurriculum<br />
■ Migranten ■ Kooperation von Schule<br />
und Wirtschaft ■ Berufsbefähigung<br />
■ Schlüsselqualifikationen ■ Studienund<br />
Hochschulfinanzierung ■ Qualitätsmanagement<br />
■ Lehrerbildung ■ MINT ■ Berufsorientierung<br />
■ Bildungsstandards<br />
■ Ökonomische Bildung ■ Werteerziehung<br />
■ Ganztagsschulen ■ Durchlässigkeit<br />
der Bildungsbereiche ■ Wissenschaft<br />
und Forschung ■ Akkreditierung<br />
■ Bachelor/Master ■ Hochschulreform<br />
■ Hochschulzugang ■ Studien- und<br />
Hochschulfinanzierung ■ Ausbildungsfähigkeit<br />
■ Ausbildungsmarkt ■ Ausbildungspakt<br />
■ Ausbildungsabgabe ■ Duale<br />
Ausbildung ■ Lebenslanges Lernen<br />
■ Qualitätssicherung ■ Wissenschaftliche<br />
Weiterbildung ■ IT-Weiterbildung<br />
■ Bologna-Prozess ■ Europäische Berufsbildungspolitik<br />
■ Frühkindliche Bildung<br />
■ Schulpolitik ■ Hochschulpolitik ■ Ausbildung<br />
■ Weiterbildung ■ Europäische<br />
Bildungspolitik ■ Kindergarten ■ Obligatorisches<br />
Vorschulcurriculum ■ Migranten<br />
■ Kooperation von Schule und<br />
Wirtschaft ■ Berufsbefähigung ■ Schlüsselqualifikationen<br />
■ Bildungsfinanzierung<br />
■ Qualitätsmanagement ■ Lehrerbildung<br />
■ MINT ■ Berufsorientierung<br />
■ Bildungsstandards ■ Ganztagsschulen<br />
■ Ökonomische Bildung ■ Werteerziehung<br />
■ Durchlässigkeit der Bildungsbereiche<br />
■ Wissenschaft und Forschung
78<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Bildung – das Zukunftsthema<br />
für Deutschland<br />
Bildung ist das Zukunftsthema für Deutschland und<br />
Kern jeder Nachhaltigkeitsstrategie für unseren Wirtschaftsstandort.<br />
Bildungspolitik ist mit Blick auf Sicherheit,<br />
Wohlstand und Chancengerechtigkeit für die Menschen<br />
auch die eigentliche Sozialpolitik. Motivation,<br />
Qualifikation und Kompetenz entscheiden, ob jemand<br />
selbstständig sein Leben gestalten kann oder dauerhaft<br />
am Tropf staatlicher Transferleistungen hängt.<br />
Im vergangenen Jahr haben BDA und BDI entschieden,<br />
ihre bildungspolitischen Positionen in einem gemeinsamen<br />
Fachausschuss unter Federführung der BDA zu<br />
entwickeln und ihre Initiativen gemeinsam zu gestalten.<br />
Im April diesen Jahres hat das gemeinsame Präsidium<br />
von BDA und BDI die zentralen Leitlinien und Forderungen<br />
der Wirtschaft für die anstehenden Reformen in<br />
frühkindlicher Bildung, Schule, Hochschule sowie beruflicher<br />
Aus- und Weiterbildung im Beschluss „Bildung<br />
schafft Zukunft“ zusammengefasst. Der Beschluss stellt<br />
die bildungspolitische Arbeit von BDA und BDI auf eine<br />
gemeinsame Basis und formuliert konkrete quantitative<br />
Zielvorgaben bis 2015 sowie die Wege und Orientierungsmarken,<br />
die zur Zielerreichung führen.<br />
Das gemeinsame Präsidium fordert, die Weiterentwicklung<br />
aller Bildungsbereiche auf drei Leitlinien auszurichten<br />
– damit BILDUNG ZUKUNFT SCHAFFT:<br />
Bis 2015 muss<br />
in den Schulen<br />
•der Anteil der Schulabbrecher von heute 8 % auf 4 %<br />
halbiert werden<br />
•der Anteil der leistungsschwachen, nicht ausbildungsreifen<br />
Schulabgänger von heute 20 % auf 10 % gesenkt<br />
werden<br />
•der Anteil der Leistungsstärksten von heute 10 % auf<br />
15 % steigen<br />
in den Hochschulen<br />
•die Studienanfängerquote von heute 36 % auf deutlich<br />
über 40 % steigen<br />
•die Betreuungsrelation zwischen Studierenden und<br />
Lehrkräften insgesamt um ein Drittel verbessert<br />
werden<br />
•die Quote der Studienabbrecher von heute 21 % auf<br />
10 % reduziert werden<br />
•der Anteil der Hochschulabsolventen in MINT-<br />
Fächern an allen Hochschulabsolventen von heute<br />
31 % auf 40 % steigen<br />
in der beruflichen Bildung<br />
•der Anteil junger Menschen ohne Ausbildungsabschluss<br />
von heute 16 % der 20- bis 29-Jährigen auf<br />
8 % halbiert werden<br />
•die Zahl der beruflich Qualifizierten ohne formale<br />
Hochschulzugangsberechtigung, die ein Studium beginnen,<br />
von knapp 1 % auf 5 % der Studienanfänger<br />
steigen<br />
1. Mehr Selbstständigkeit der einzelnen Bildungseinrichtungen<br />
und mehr Wettbewerb sind in allen Bildungsbereichen<br />
der Schlüssel zu mehr Qualität.<br />
2. Die Abschottung der verschiedenen Bildungswege gegeneinander<br />
muss überwunden, die Durchlässigkeit des<br />
Bildungssystems und die internationale Vergleichbarkeit<br />
der Qualifikationen müssen verbessert werden.<br />
3. Zur kurz- und langfristigen Sicherung des Nachwuchses<br />
im Bereich MINT müssen Unterricht und<br />
Lehre in Kindergarten, Schule und Hochschule hier<br />
Prioritäten setzen.<br />
Um diese Ziele zu erreichen, braucht unser Land eine<br />
nachhaltige Prioritätensetzung bei der Bildung. Der Kindergarten<br />
muss als erste Stufe des Bildungssystems mit<br />
dafür noch besser qualifizierten Erzieher/-innen ausgebaut<br />
werden.<br />
Zu begrüßen sind die Anstrengungen der Länder in den<br />
letzten Jahren zur Verbesserung der Bildung, z. B. durch<br />
die Einführung von nationalen Bildungsstandards für die<br />
Schulen. Auch die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung,<br />
die im Januar <strong>2008</strong> vorgelegt wurde, zeigt,<br />
welche Bedeutung das Thema „Bildung“ gewonnen hat.<br />
Positiv sind insbesondere folgende Ziele der Initiative:<br />
die Stärkung der frühkindlichen Bildung, die Verbesserung<br />
der Ausbildungsreife, mehr Durchlässigkeit zwischen<br />
hochschulischer und beruflicher Bildung, mehr
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
79<br />
Interesse für MINT-Berufe, die Gewinnung von mehr<br />
Studierenden. Dies muss nun von Bund und Ländern<br />
gemeinsam unterfüttert werden mit konkreten Zielen,<br />
z. B. einer Halbierung der Schulabbrecherquote und<br />
der Studien abbrecherquote. Die Anstrengungen von<br />
Ländern und Bund müssen konsequent fortgesetzt und<br />
intensiviert werden.<br />
Die Wirtschaft leistet ihren Beitrag zur Bildung mit Investitionen<br />
zur Sicherung ihres Fachkräftebedarfs von<br />
jährlich rund 28 Mrd. € in die Ausbildung und noch<br />
einmal rund 27 Mrd. € in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter.<br />
Wir engagieren uns aber auch mehr denn je in<br />
der Bildungspolitik und kooperieren eng mit Kindergärten,<br />
Schulen und Hochschulen, denn die Betriebe und<br />
Unternehmen sind elementar auf eine bessere Bildungsqualität<br />
in Deutschland angewiesen.<br />
„Bildungsmonitoring der<br />
Wirtschaft <strong>2008</strong>“ bewertet<br />
Schulreformen<br />
auf die Themen „Selbstständige Schule“ und „Ökonomische<br />
Bildung“, im zweiten Halbjahr wird das Thema<br />
„Lehreraus- und fortbildung“ hinzukommen.<br />
Selbstständige Schule: Noch<br />
nicht konsequent umgesetzt<br />
Die Wirtschaft setzt auf einen Paradigmenwechsel im<br />
Schulsystem – weg von der administrativen Durchregulierung<br />
ohne Effizienzüberprüfung hin zu einem neuen<br />
System von selbstständigen Schulen und definierten,<br />
überprüften Zielen. Auch die OECD unterstreicht in ihrem<br />
Wirtschaftsbericht, dass für Fortschritte in der Schule<br />
die Lehrqualität entscheidend ist: Um sie zu steigern, bedarf<br />
es nach internationalen Erkenntnissen vor allem der<br />
Schulautonomie mit einer starken Schulleitung sowie der<br />
Verantwortlichkeit der Schule für die Schülerleistungen.<br />
Tatsächlich haben Schulleiter in Deutschland noch zu<br />
wenig Verantwortung für die Entscheidung über Einstellung<br />
und Entlassung von Lehrkräften, die Festlegung des<br />
konkreten Lehrstoffs und die Schülerbeurteilung.<br />
Die deutsche Wirtschaft hat sich im Schulbereich in den<br />
vergangenen Jahren zu den maßgeblichen Themen mit<br />
Publikationen, Tagungen und Studien positioniert und<br />
viele Veränderungsprozesse angestoßen. Nun kommt es<br />
darauf an, die in Gang gesetzten Entwicklungen weiterzuverfolgen,<br />
kritisch zu bewerten und je nachdem zu korrigieren<br />
oder voranzutreiben. Im ersten Halbjahr konzentriert<br />
sich das „Bildungsmonitoring der Wirtschaft <strong>2008</strong>“<br />
Die Selbstständige Schule ist dabei Dreh- und Angelpunkt<br />
des Paradigmenwechsels im Schulsystem und daher das<br />
erste Thema im Rahmen des „Bildungsmonitoring <strong>2008</strong>“.<br />
Um die Selbstständige Schule zur gelebten Realität werden<br />
zu lassen, muss die Entwicklung in den Ländern<br />
über Modellversuche oder Teilselbstständigkeiten weit<br />
hinausgehen. Zu oft bleibt es beim Lippenbekenntnis zur<br />
Selbstständigen Schule, fehlt es an wirklichem Vertrauen
80<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
in ihre Leistungsfähigkeit. Die Schulen brauchen mehr<br />
Freiheiten, um einen individuellen Weg bei der Förderung<br />
ihrer Schüler einschlagen, eigene Schwerpunkte<br />
setzen, Lehrkräfte aussuchen, Verträge schließen und ein<br />
Budget verwalten zu können. Dabei wird sich die Rolle<br />
des Schulleiters grundlegend wandeln – er wird zum Chef<br />
des „Unternehmens“ Schule. Für die Entwicklung der<br />
notwendigen Führungskompetenzen sind Erfahrungen<br />
der Unternehmen mit Leitung, Personalentwicklung und<br />
Verantwortung hilfreich. Diesen Zusammenhang thematisierte<br />
die BDA/BDI-Tagung „Selbstständige Schule<br />
braucht Führung“ am 23. Juni <strong>2008</strong> in Berlin. Die Tagung<br />
stellte – auch im Rahmen einer Pressekonferenz – die<br />
neueste Publikation der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
SCHULEWIRTSCHAFT vor, die Auswahl, Qualifizierung<br />
und Kompetenzprofil der Schulleiter in den Bundesländern<br />
analysiert und Empfehlungen für die Aus- und Fortbildung<br />
von Schulleitern gibt.<br />
Ausgewählte Ergebnisse und Empfehlungen der SCHULEWIRTSCHAFT-<br />
Publikation „Was Schulleiter als Führungskräfte brauchen“<br />
Bundesweite Trends<br />
•Die Verantwortung der Schulleitung für das Profil und die Organisationsentwicklung ihrer Schule ist weithin<br />
selbstverständlich.<br />
•Die Verantwortungsübernahme der Schulleitung für die Personalrekrutierung und -entwicklung wurde von den<br />
Ländern noch nicht konsequent durchdekliniert. Meist fehlen den Schulleitungen die dafür notwendigen Führungsmittel.<br />
Insbesondere das Führungsinstrument Zielvereinbarung wird noch zu wenig genutzt.<br />
•Sachmittel- und Personalbudgets sind noch nicht konsequent auf die einzelne Schule übertragen worden.<br />
•Es gibt häufig Besetzungsprobleme von Schulleiterstellen. Sie sind Indiz für eine mangelnde Führungskräfteentwicklung<br />
der Länder und für nicht leistungsgerechte Bezahlung.<br />
•Bei der Besetzung von Schulleiterstellen haben externe Führungskräfte kaum eine Chance.<br />
•Die Führungskräfteentwicklung der Schulleitungen erfolgt erst in Ansätzen kontinuierlich und systematisch.<br />
Empfehlungen von SCHULEWIRTSCHAFT<br />
•Die Länder müssen den eingeschlagenen Weg der Selbstständigen Schule konsequent umsetzen.<br />
•Die Personalverantwortung muss ganz in die Eigenverantwortung der Schulleitungen gelegt werden.<br />
•Für die Organisations- und Personalentwicklung benötigen Schulleitungen finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Dafür müssen angemessene Ressourcen bereitgestellt und die bisher häufig noch zentral verwalteten Budgets<br />
konsequent auf die Einzelschule übertragen werden.<br />
•Für die Besetzung von Schulleiterstellen soll ein qualifiziertes Einstellungsverfahren angewendet werden, das<br />
auch externen Bewerbern offensteht.<br />
•Der Beamtenstatus soll zu Gunsten einer leistungsgerechten Personal- und Besoldungspolitik aufgegeben werden.<br />
•Die Fortbildung soll konsequent auf eine nachfrageorientierte Fortbildung umgestellt werden und eine Öffnung<br />
zu freien Bildungsanbietern zulassen.<br />
•Exzellente Führung gibt es nicht zum Nulltarif: Es müssen Ressourcen für eine systematische und professionelle<br />
Führungskräfteentwicklung, professionelle Begleitung der Schulleitung bei Veränderungsprozessen, Personalentwicklung<br />
und Personalausstattung sowie für die Schaffung leistungsgerechter finanzieller Anreizsysteme für<br />
Führungskräfte und Lehrer bereitgestellt werden.<br />
Weitere Informationen unter www.schulewirtschaft.de.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
81<br />
Ökonomische Bildung in<br />
der Schule: Fehlanzeige<br />
Zu den Forderungen der deutschen Wirtschaft gehört<br />
seit längerem eine Verbesserung der ökonomischen<br />
Bildung an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland.<br />
In Zeiten der Globalisierung ist die Vermittlung<br />
ökonomischen Wissens fundamental: Junge Menschen<br />
brauchen wirtschaftliche Grundkenntnisse und Kompetenzen,<br />
um mündige Wirtschafts- und Staatsbürger<br />
sein zu können.<br />
Kürzlich veröffentlichte Studien der Bertelsmann Stiftung<br />
und des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln<br />
belegen die unbefriedigende Situation. Die Vermittlung<br />
wirtschaftlicher Grundkenntnisse in Schulbüchern<br />
und Lehrplänen ist absolut unzureichend. So wird häufig<br />
eine sehr einseitig interessenorientierte Sichtweise<br />
vermittelt, während die Funktionsweisen von Unternehmen<br />
in sich ständig ändernden Märkten, die Leistungen<br />
von Unternehmern und auch die Motivation<br />
zur unternehmerischen Selbstständigkeit fehlen. Die<br />
Bertelsmann-Studie hat mit beeindruckenden Zahlen<br />
belegt, dass sowohl Schüler als auch Lehrer eine breitere<br />
und fundiertere Behandlung wirtschaftlicher Themen<br />
im Schulunterricht wünschen. Dabei haben die<br />
Jugendlichen durchweg ein sehr großes Interesse an<br />
Wirtschaftsthemen, jeder Zweite schätzt sich selbst als<br />
Unternehmertyp ein. Mangel an Wissen, bei großem<br />
Interesse, charakterisiert die Einstellung der Jugendlichen<br />
zur Ökonomie und nicht Ablehnung.<br />
Die deutsche Wirtschaft hat im Jahr 2000 – gemeinsam<br />
mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund – die<br />
Einführung eines eigenständigen Fachs „Wirtschaft“<br />
an den allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 5 gefordert.<br />
2003 haben sich Kultusministerkonferenz (KMK),
82<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Schüler wollen wissen, wie Wirtschaft funktioniert<br />
Würden Sie gerne mehr darüber wissen, wie die Wirtschaft in Deutschland funktioniert, wie wirtschaftliche Vorgänge ablaufen?<br />
Ja<br />
Nein<br />
Alle (15 bis 20 Jahre) 67<br />
33<br />
Männlich<br />
63<br />
37<br />
Weiblich<br />
71<br />
29<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren (Angaben in %)<br />
Quelle: Bertelsmann Stiftung, 2007<br />
Lehrer sehen Notwendigkeit, Wirtschaftsfragen stärker in den Unterricht zu integrieren<br />
Sollten in Zukunft vermehrt wirtschaftliche Fragen im Schulunterricht vorkommen?<br />
Ja Weiß nicht Nein<br />
Alle Lehrer<br />
67<br />
27<br />
6<br />
Gymnasium<br />
65<br />
28<br />
7<br />
Realschule<br />
71<br />
20<br />
9<br />
Hauptschule<br />
76<br />
23<br />
1<br />
Grundschule<br />
53<br />
38<br />
9<br />
Andere Schulen*<br />
87<br />
13<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Bundesweite Lehrerstichprobe (Angaben in %)<br />
* Ohne Gesamt- und Sonderschulen<br />
Quelle: Bertelsmann Stiftung, 2007<br />
Jeder zweite Schüler schätzt sich als Unternehmertyp ein<br />
Glauben Sie, dass Sie grundsätzlich der richtige Typ sind, um Unternehmer zu sein oder es zu werden?<br />
Ja Weiß nicht Nein<br />
Alle (15 bis 20 Jahre)<br />
44<br />
4<br />
52<br />
Männlich<br />
48<br />
4<br />
48<br />
Weiblich<br />
40<br />
3<br />
57<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren (Angaben %)<br />
Quelle: Bertelsmann Stiftung, 2007
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
83<br />
Wirtschaftsministerkonferenz, die Spitzenverbände der<br />
Wirtschaft und der DGB für 200 Stunden Wirtschaftsunterricht<br />
in der Sekundarstufe I ausgesprochen. Seitdem<br />
ist der Anteil der ökonomischen Bildung in den<br />
Lehrplänen gestiegen. Zunehmend sind Fächer oder<br />
Fächerverbünde mit einem größeren Wirtschaftsanteil<br />
entstanden. Die Wirtschaft nimmt in der Schule<br />
damit breiteren Raum ein. Dennoch ist das Ziel der<br />
Vermittlung einer umfassenden ökonomischen Bildung<br />
an alle Jugendlichen noch immer nicht greifbar.<br />
Es dominieren in den Ländern Fächerverbünde statt<br />
eines Fachs „Wirtschaft“; selbst diese sind in der Regel<br />
Wahl-, nicht Pflichtfächer und der Anteil der Wirtschaft<br />
bleibt unverbindlich. Ohne ein eigenständiges<br />
Fach „Wirtschaft“ etabliert sich auch keine systematische<br />
Lehrerausbildung.<br />
BDA und BDI haben daher im „Bildungsmonitoring <strong>2008</strong>“<br />
ihre Forderung nach ökonomischer Bildung in der Schule<br />
in einem 6-Punkte-Katalog erneuert (siehe Kasten).<br />
Als Neustart für eine bessere ökonomische Bildung sind<br />
wir dabei, das Thema in die nationale Qualifizierungsinitiative<br />
von Bund und Ländern in Kooperation mit der<br />
Wirtschaft einzubringen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Schulpolitik“<br />
veröffentlicht. Er ist über www.bda-online.de abrufbar.<br />
6-Punkte-katalog zur ökonomischen Bildung<br />
1. Wirtschaft muss ein eigenständiges Unterrichtsfach an allgemeinbildenden Schulen sein. Erst ein Fach „Wirtschaft“<br />
wird einen deutlichen Qualitätssprung in der Vermittlung ökonomischen Wissens und Könnens schaffen.<br />
2. Für die ökonomische Bildung sind wie für alle Fächer nationale Standards zu entwickeln, mit denen die zu erreichenden<br />
Kompetenzen definiert werden.<br />
3. Eine zielführende und hochwertige Aus- und Weiterbildung von Fachlehrern für die ökonomische Bildung ist<br />
notwendig, die wissenschaftlich fundiert und praxisnah ist.<br />
4. In Forschung und Lehre ist die Didaktik der Wirtschaftswissenschaften zu stärken und an Kapazitäten auszubauen.<br />
5. Schulbücher und Unterrichtsmaterialien spielen eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung ökonomischer Bildung<br />
an die Jugendlichen. Sie müssen um ausgewogene Darstellungen von Unternehmensabläufen und unternehmerischer<br />
Wertschöpfung ergänzt werden und auch Mut zum Unternehmertum machen.<br />
6. Ein anschaulicher, die Jugend ansprechender Unterricht „Wirtschaft“ braucht die enge Zusammenarbeit mit<br />
der Wirtschaft, mit Unternehmen, Verbänden und Bildungswerken. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften<br />
SCHULEWIRTSCHAFT kooperieren bundesweit bereits tausende von Schulen und Betrieben mit Schüler- und<br />
Lehrerpraktika, Berufs- und Betriebserkundungen, Planspielen und Schülerfirmen u. a. m.
84<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Interesse an MINT-Berufen und<br />
MINT-Studiengängen: Ausbaufähig<br />
Dass es schulpolitisch in Deutschland vorangeht, aber<br />
nach wie vor große Anstrengungen erforderlich sind,<br />
belegten die letzte PISA-Studie 2006, die Ende 2007<br />
erschien, ebenso wie der OECD-Wirtschaftsbericht im<br />
Frühjahr <strong>2008</strong> und der schulpolitische Check des Instituts<br />
der deutschen Wirtschaft Köln.<br />
Die PISA-Studie erfasste diesmal die naturwissenschaftlichen<br />
Kompetenzen der 15-Jährigen; dabei erzielte<br />
Deutschland einen überdurchschnittlichen Leistungswert<br />
und steigerte sich von Platz 15 im Jahr 2003 auf<br />
den achten Platz. Die Einstellung der Jugendlichen zu<br />
den Naturwissenschaften ist aber längst nicht so positiv<br />
wie in anderen Ländern: Nur jeder Vierte möchte z. B.<br />
nach dem Schulabschluss ein naturwissenschaftliches<br />
Fach studieren, im OECD-Durchschnitt ist es jeder dritte<br />
Jugendliche.<br />
Nach wie vor erreichen Schüler mit Migrationshintergrund<br />
erheblich geringere Kompetenzen als Schüler<br />
ohne Migrationshintergrund; sie liegen 77 Punkte hinter<br />
ihren einheimischen Mitschülern (OECD-Durch-<br />
Handlungsschwerpunkte von<br />
„MINT Zukunft schaffen“<br />
MINT-Signet<br />
Das Signet „MINT Zukunft schaffen” steht für den<br />
übergreifenden MINT-Gedanken, junge Menschen<br />
in ganz Deutschland für Technologie zu faszinieren.<br />
Es setzt sichtbare Zeichen für die Teilhabe an der<br />
MINT-Vision.<br />
MINT-Portal<br />
Das MINT-Portal ist die digitale Multiplikationsplattform<br />
der MINT-Initiativen. Das Portal ist medialer<br />
Verstärker für den MINT-Gedanken und macht alle<br />
Informationen rund um die MINT-Projekte für Lernende,<br />
Lehrende und Eltern zugänglich.<br />
MINT-Barometer<br />
Das MINT-Barometer überprüft kontinuierlich den<br />
Fortschritt der MINT-Ziele. Im Zentrum steht die<br />
Frage: Drehen Wirtschaft, Bildungsträger und Politik<br />
an den richtigen Stellschrauben, um die Jugend für<br />
MINT-Bildung zu begeistern?<br />
MINT-Programmatik<br />
Mit der „Politischen Vision 2015” definiert die Initiative<br />
eindeutige Ziele für das MINT-Engagement<br />
von Wirtschaft, Bildungsträgern und Politik. „MINT<br />
Zukunft schaffen” kommuniziert bis 2015 in enger<br />
Abstimmung mit den Einzelinitiativen den Stand der<br />
qualitativen und quantitativen MINT-Ziele und thematisiert<br />
die notwendigen bildungspolitischen Schritte.<br />
MINT-Preise<br />
An deutschen Schulen und Hochschulen existiert vielfältiges<br />
Engagement für MINT-Bildung. Der Deutsche<br />
Arbeitgeberpreis für Bildung <strong>2008</strong> zeichnet in diesem<br />
Jahr in den Kategorien Vorschule, Schule, Hochschule<br />
und Betrieb/Berufsschule die nachhaltige Herausbildung<br />
von MINT-Kompetenzen der Kinder, Schüler und<br />
Jugendlichen aus. Zusätzlich wird ein Sonderpreis Diversity<br />
vergeben.<br />
MINT-Pressearbeit<br />
Die Pressearbeit von „MINT Zukunft schaffen” trägt<br />
dazu bei, eine breite Öffentlichkeit für die MINT-Thematik<br />
zu gewinnen und noch mehr Engagement für<br />
MINT zu entfachen.<br />
MINT-Botschafter<br />
MINT wird von Menschen gemacht! Die MINT-Botschafter<br />
sind das menschliche Gesicht zur MINT-Idee,<br />
sie machen Mut und motivieren junge Menschen, sich<br />
an MINT heranzuwagen.<br />
MINT-Konferenzen<br />
Regelmäßige Veranstaltungen vernetzen die MINT-<br />
Gemeinschaft, verbreitern die Wissensbasis und stoßen<br />
neue Initiativen an. Hier wird „MINT Zukunft<br />
schaffen” vor- und mitgelebt.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
85<br />
Das portal zu den mint-initiativen in deutschland<br />
schnitt: 58 Punkte). Rund die Hälfte des Leistungsabstands<br />
zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund<br />
ist auf den schwächeren wirtschaftlichen und sozialen<br />
Status der Familien zurückzuführen, während dies im<br />
OECD-Mittel nur ein Drittel des Leistungsabstands ausmacht.<br />
40 % der Schüler der zweiten Generation erreichen<br />
noch nicht einmal die Kompetenzstufe 2 (OECD-<br />
Mittel: 17 %). Der OECD-Wirtschaftsbericht stellt als<br />
Ursache für den auffällig engen Zusammenhang von<br />
Migrantenstatus und schwächeren Schulleistungen<br />
in Deutschland vor allem fest, dass zuhause nicht die<br />
Landessprache gesprochen wird – auch die Differenz<br />
zwischen Schülern, die zuhause deutsch sprechen,<br />
und denen, die dies nicht tun, ist in Deutschland besonders<br />
groß. Als wichtiges Handikap wird dargestellt,<br />
dass schon die Schulanfänger mit Migrationshintergrund<br />
mit schlechten Sprachkenntnissen bei der Einschulung<br />
starten. Deshalb sollen nach Auffassung der deutschen<br />
Wirtschaft überall Sprachstandstests verbindlich gemacht<br />
und Förderprogramme aufgelegt werden, damit<br />
kein Kind mehr ohne ausreichende Sprachkenntnisse<br />
eingeschult wird. Eindeutig ist der Zusammenhang zwischen<br />
frühkindlicher Bildung und späterer Lernleistung;<br />
insofern betrachtet es die OECD als gravierend, dass<br />
nach wie vor Migrantenkinder zu geringeren Anteilen<br />
(7 % weniger) Kindergärten etc. besuchen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Frühkindliche<br />
Bildung“ und den kompakt „Integration durch<br />
Bildung“ veröffentlicht. Diese sind über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
BDA und BDI begrüßten, dass die von PISA erfassten<br />
deutschen Schülerleistungen mit dem Schwerpunkt<br />
Naturwissenschaften besser geworden sind. Erstmals<br />
liegen sie im vorderen Drittel und erkennbar über dem<br />
OECD-Durchschnitt. Zwingend notwendig ist es, die<br />
Leistungen der Schüler mit Migrationshintergrund zu<br />
verbessern, die den einheimischen Schülerleistungen<br />
im Bereich Naturwissenschaften um mehr als zwei<br />
Schuljahre hinterherhinken. Ziel muss es sein, dass<br />
diese Kinder von Beginn an den Kindergarten besuchen
86<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Zu hoch: Studienabbrecherquoten in den Mint-Fächern an universitäten<br />
Physik,<br />
Geowissenschaften<br />
Maschinenbau<br />
Elektrotechnik<br />
34 %<br />
33 %<br />
36 %<br />
Informatik<br />
Chemie<br />
32 %<br />
31 %<br />
Mathematik<br />
31 %<br />
Biologie 15 %<br />
Alle Fächer<br />
(Durchschnitt)<br />
20 %<br />
Quelle: HIS, <strong>2008</strong><br />
Ingenieurlücke gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands<br />
Arbeitslos gemeldete Ingenieure<br />
Gesamtwirtschaftliches Stellenangebot<br />
Ingenieurlücke<br />
120.000<br />
100.000<br />
80.000<br />
60.000<br />
40.000<br />
20.000<br />
0<br />
– 20.000<br />
Jan 05<br />
Eeb 05<br />
Mrz 05<br />
Apr 05<br />
Mai 05<br />
Jun 05<br />
Jul 05<br />
Aug 05<br />
Sep 05<br />
Okt 05<br />
Nov 05<br />
Dez 05<br />
Jan 06<br />
Feb 06<br />
Mrz 06<br />
Apr 06<br />
Mai 06<br />
Jun 06<br />
Jul 06<br />
Aug 06<br />
Sep 06<br />
Okt 06<br />
Nov 06<br />
Dez 06<br />
Jan 07<br />
Feb 07<br />
Mrz 07<br />
Apr 07<br />
Mai 07<br />
Jun 07<br />
Jul 07<br />
Aug 07<br />
Sep 07<br />
Okt 07<br />
Nov 07<br />
Dez 07<br />
Jan 08<br />
Feb 08<br />
Mrz 08<br />
Quelle: IW Köln, <strong>2008</strong>
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
87<br />
und dort systematisch in ihrer Entwicklung gefördert<br />
werden, so dass sie die gleichen guten Startbedingungen<br />
haben. Ein Stufenplan zur kontinuierlichen Förderung<br />
der Sprachentwicklung wie des mathematischnaturwissenschaftlichen<br />
und technischen Interesses<br />
der Kinder und Schüler muss bereits im Kindergarten<br />
ansetzen, in den Grundschulen fortgeführt und in den<br />
weiterführenden Schulen konsequent vertieft werden.<br />
Angesichts der unterdurchschnittlichen Neigung der<br />
Schüler, später ein naturwissenschaftliches Studium<br />
aufzunehmen oder einen naturwissenschaftlichen oder<br />
technischen Beruf zu ergreifen, muss das Engagement<br />
für eine frühzeitige Berufsorientierung an den Schulen<br />
in diese Richtung erhöht werden. Ebenfalls müssen in<br />
der Lehreraus- und weiterbildung neue Akzente gesetzt<br />
werden, um genügend gut qualifizierte Lehrkräfte zu<br />
gewinnen, die das Interesse an naturwissenschaftlichtechnischen<br />
Fragestellungen bei den Jugendlichen wecken<br />
und vertiefen.<br />
Gegen den Fachkräftemangel:<br />
Initiative „MINT Zukunft schaffen“<br />
gestartet<br />
Dies ist umso notwendiger, weil es dem Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland an naturwissenschaftlich-technisch<br />
qualifizierten Fachkräften fehlt. Dieser Nachwuchsmangel<br />
hemmt Wachstum und Innovation und<br />
verursacht einen hohen Wertschöpfungsverlust für die<br />
deutsche Volkswirtschaft. Eine im April <strong>2008</strong> veröffentlichte<br />
Studie des Vereins Deutscher Ingenieure und des<br />
MINT-Initiative am 5. mai <strong>2008</strong> gestartet<br />
von links: Dr. Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)<br />
Andreas Storm MdB, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
Thomas Sattelberger, Vorstand Personal Deutsche Telekom AG
88<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hat 2007 eine<br />
Ingenieurlücke von 70.000 ausgewiesen, die im Vergleich<br />
zu 2006 um 44 % angestiegen ist. Nahezu zwei<br />
Drittel aller Ingenieure beschäftigenden Unternehmen<br />
klagen über die schlechte Verfügbarkeit von Ingenieuren<br />
und Ingenieurinnen.<br />
Um diese bedrohliche Entwicklung zu stoppen, haben<br />
BDA und BDI im Frühjahr eine gemeinsame<br />
MINT-Strategie gestartet, mit der in den kommenden<br />
sechs Jahren insbesondere die Zahl der MINT-Studienanfänger<br />
und -absolventen erhöht werden soll. Dabei<br />
sollen die vielfältigen und seit Jahren sehr erfolgreich<br />
arbeitenden regionalen und branchenbezogenen<br />
MINT-Initiativen stärker vernetzt, sichtbar gemacht<br />
und fokussiert werden.<br />
Der Fokus der Initiative „MINT Zukunft schaffen“ liegt<br />
zum einen auf den Schülern und Schülerinnen ab Klasse<br />
8 und deren Lehrkräften, um die Zahl der MINT-Studienanfänger<br />
sowie Ausbildungsbewerber und insbesondere<br />
hier den Frauenanteil zu erhöhen. Zum anderen<br />
konzentriert sich die Initiative auf MINT-Studierende,<br />
um die extrem hohen Abbrecherquoten in den MINT-<br />
Studiengängen zu senken und die Qualität der MINT-<br />
Absolventen zu steigern.<br />
Unterricht und Lehre in den MINT-Fächern müssen<br />
an Schule und Hochschule quantitativ und qualitativ<br />
deutlich verbessert werden. Das gemeinsame Präsidium<br />
von BDA und BDI hat im Rahmen seines Beschlusses<br />
„Bildung schafft Zukunft“ im März <strong>2008</strong> diese Forderungen<br />
bekräftigt: Die Quote der Studienabbrecher<br />
muss bis 2015 von 21 % auf 10 % halbiert werden.<br />
Der Anteil der Hochschulabsolventen in den MINT-Fächern<br />
an allen Hochschulabsolventen muss von heute<br />
31 % auf 40 % steigen.<br />
Ende Februar <strong>2008</strong> wurde der Verein MINT Zukunft<br />
e. V. als Träger der Geschäftsstelle der Initiative<br />
gegründet; die Geschäftsstelle hat am 1. März <strong>2008</strong><br />
ihre Arbeit aufgenommen. Hauptförderer von „MINT<br />
Zukunft schaffen“ sind bisher die Deutsche Telekom<br />
AG, die Telekom-Stiftung, Gesamtmetall, der Bundesarbeitgeberverband<br />
Chemie BAVC sowie das Berufsbildungswerk<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft.<br />
SCHULEWIRTSCHAFT und IW sind strategische Partner<br />
von „MINT Zukunft schaffen“.<br />
Durch das gemeinsame Auftreten können wir unseren<br />
politischen Forderungen starken Nachdruck verleihen.<br />
Das hat schon die Auftaktveranstaltung am 5. Mai <strong>2008</strong><br />
unter aktiver Beteiligung von Thomas Sattelberger, Personalvorstand<br />
Deutsche Telekom AG und Vorsitzender<br />
der Initiative „MINT Zukunft schaffen“, Arbeitgeberpräsident<br />
Dr. Dieter Hundt und Andreas Storm MdB,<br />
Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung, mit der Freischaltung<br />
des Internetportals www.mintzukunft.de gezeigt.<br />
Mehr Mädchen und junge Frauen<br />
in MINT-Berufe<br />
Die bundesweite Aktion „Girls’ Day – Mädchenzukunftstag“<br />
hat in diesem Jahr zum achten Mal in Folge erfolgreich<br />
stattgefunden. Die Resonanz der Mädchen und die<br />
der Betriebe und Unternehmen war sehr hoch. Mehr als<br />
130.000 Mädchen haben sich zu dem Aktionstag angemeldet,<br />
um sich in 8.500 Unternehmen, Verbänden,<br />
Forschungseinrichtungen und Universitäten über naturwissenschaftliche<br />
und technische Berufe zu informieren.<br />
Junge Frauen haben bereits die beruflichen Zukunftsperspektiven<br />
in diesem innovativen Bereich erkannt und<br />
sich für eine berufliche Laufbahn in diesem Gebiet entschlossen.<br />
Der Anstieg von 13 % mehr Frauen, die ein<br />
ingenieurwissenschaftliches Studium im Wintersemester<br />
2006/07 im Vergleich zum Vorjahr aufgenommen haben,<br />
untermauert den positiven Trend.<br />
Die BDA trägt die Aktion seit 2002 politisch mit. Sie hat<br />
auch in diesem Jahr wieder ihre Türen zum Girls’ Day<br />
geöffnet. In Kooperation mit den Unternehmen Bayer<br />
Schering Pharma AG und Deutsche Bahn AG erhielten<br />
30 Schülerinnen der Jahrgangsstufen 10 und 11 des<br />
Bonner Clara-Fey-Gymnasiums Einblicke in die Tätigkeiten<br />
eines Spitzenverbands der deutschen Wirtschaft<br />
und in die Arbeits- und Personalentwicklungsprozesse<br />
zweier renommierter deutscher Großkonzerne. Die<br />
Bayer Schering Pharma AG präsentierte die Forschung<br />
und Produktion eines Pharmakonzerns und informierte<br />
die Schülerinnen über das duale Studienangebot des<br />
Unternehmens. Die Deutsche Bahn AG berichtete, neben<br />
Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsperspektiven,<br />
über Nachhaltigkeits- und Umweltkommunikation bei<br />
der Deutschen Bahn.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
89<br />
Schülerinnen des Bonner Clara-Fey-Gymnasiums beim Girls´ Day in der BDA<br />
Frauen sind im deutschen Bildungssystem immer erfolgreicher.<br />
Vor allem der Anteil der Abiturientinnen stieg<br />
in den letzten Jahren kontinuierlich an und liegt inzwischen<br />
bei rund 53 %. Mädchen und Frauen erwerben<br />
in der Schule hervorragende Qualifikationen für technische<br />
und naturwissenschaftliche Berufe, ihr Anteil an<br />
Ausbildungs- und Studiengängen im MINT-Bereich ist<br />
jedoch viel zu niedrig. Um Mädchen und Frauen für<br />
MINT-Berufe zu gewinnen, sind Anstrengungen in allen<br />
Bildungsbereichen notwendig. Im Juni <strong>2008</strong> unterzeichneten<br />
BDA-Vizepräsident Dr. Braun und andere<br />
Wirtschaftsvertreter gemeinsam mit der Bundesministerin<br />
für Bildung und Forschung Dr. Schavan den „Nationalen<br />
Pakt für Frauen in MINT-Berufen“. Verbände,<br />
Unternehmen und die Bundesregierung setzen sich<br />
im Rahmen dieses Paktes für die nächsten drei Jahre<br />
konkrete Ziele und vereinbarten die notwendigen<br />
Verfahrensschritte.<br />
Lehre an Hochschulen aufwerten<br />
Exzellente Forschungsvorhaben an deutschen Universitäten<br />
haben durch die Exzellenzinitiative des Bundes<br />
und der Länder neue Aufmerksamkeit und eine umfangreiche<br />
Förderung von insgesamt 1,9 Mrd. € erhalten.<br />
Damit werden wichtige Anreize zur Leistungsorientierung<br />
gesetzt. Die Arbeitgeber fordern jedoch, dass nun<br />
auch die Hochschullehre aus ihrem Schattendasein geholt<br />
wird. Eine exzellente Hochschule muss exzellent<br />
in der Lehre und in der Forschung sein. Das vom Stifterverband<br />
für die Deutsche Wissenschaft im Januar <strong>2008</strong><br />
initiierte Förderprogramm „Exzellenzinitiative für die<br />
Lehre“ sowie die geplante Gründung einer „Deutschen<br />
Lehrgemeinschaft“ können hierzu einen wichtigen Beitrag<br />
leisten. Der Stellenwert und die Qualität der Lehre<br />
an Universitäten und Fachhochschulen können durch
90<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
einen solchen Wettbewerb erhöht und eine neue Lehrkultur<br />
etabliert werden, die denselben Qualitätsansprüchen<br />
genügt wie die Forschung. Das Programm soll gemeinsam<br />
von Partnern aus Unternehmen und Stiftungen<br />
und von den Ländern durchgeführt werden. Es wird mit<br />
zunächst nur 10 Mio. € dotiert sein, dies kann nur ein<br />
Anfang sein, der aber richtige Akzente setzt.<br />
Gute Lehrbedingungen müssen darüber hinaus an allen<br />
Hochschulen selbstverständlich sein. In ihrem gemeinsamen<br />
Präsidiumsbeschluss vom März <strong>2008</strong> fordern<br />
BDA und BDI daher, die Betreuungsrelation zwischen<br />
Studierenden und Lehrkräften bis 2015 um ein Drittel<br />
zu verbessern. Die Professoren – vor allem auch in<br />
technisch-naturwissenschaftlichen Fächern – dürfen<br />
Prüfungsdurchfallquoten von teilweise 50 % und mehr<br />
nicht als Ausdruck ihrer Qualitätssicherung definieren.<br />
Die Wirtschaft benötigt neben „nobelpreisverdächtigen“<br />
Spitzenkräften auch den technischen Nachwuchs<br />
für das „bread-and-butter“-Geschäft. Dem muss auch<br />
die Hochschullehre gerecht werden.<br />
Systemakkreditierung zur<br />
Qualitätssicherung an<br />
Hochschulen: Eingeführt<br />
Im Oktober 2007 und Februar <strong>2008</strong> hat der Akkreditierungsrat<br />
die entscheidenden Beschlüsse zur Einführung<br />
der Systemakkreditierung an deutschen Hochschulen<br />
gefasst, denen im März <strong>2008</strong> von Seiten der Kultusministerkonferenz<br />
zugestimmt wurde. In Zukunft können<br />
die Hochschulen wählen, ob sie wie bisher ihre Studiengänge<br />
einzeln akkreditieren lassen (Programmakkreditierung)<br />
oder ob sie ihr System interner Qualitätssicherung<br />
in Studium und Lehre überprüfen lassen<br />
(Systemakkreditierung).<br />
eingesetzt. Diese Forderung konnte insofern durchgesetzt<br />
werden, als die Verfahrensregeln nun auch eine<br />
sog. Halbzeitstichprobe im Sinne einer Programmstichprobe<br />
vorsehen. Sie gibt im Follow-up-Prozess der<br />
ausgesprochenen Akkreditierung ein Feedback an die<br />
Hochschule. Zum Zeitpunkt der Reakkreditierung muss<br />
die Hochschule berichten, welche Konsequenzen sie<br />
aus den Ergebnissen der Halbzeitstichprobe gezogen<br />
hat. Damit erhält die Systemakkreditierung ein dynamisches<br />
Element, wofür die Vertreter der Arbeitgeber<br />
im Akkreditierungsrat nachdrücklich plädiert hatten.<br />
Bologna als europäisches<br />
Gütesiegel prägen<br />
Entsprechend den Beschlüssen im Kommuniqué der<br />
Bologna-Nachfolgekonferenz 2007 in London wird<br />
die Qualitätssicherung auch auf europäischer Ebene<br />
vorangetrieben. Im März <strong>2008</strong> wurde in Brüssel das<br />
European Quality Assurance Register (EQAR) gestartet.<br />
Ziel des neuen Registers ist es, die europaweite Zusammenarbeit<br />
in der hochschulischen Qualitätssicherung<br />
im Rahmen des Bologna-Prozesses zu verbessern.<br />
In das Register aufgenommen werden Agenturen, die<br />
in den Bologna-Staaten berechtigt sind, Studiengänge<br />
zu akkreditieren, d. h. eine Qualitätsüberprüfung hinsichtlich<br />
definierter Kriterien wie Studierbarkeit, Modularisierung<br />
und Arbeitsmarktrelevanz durchzuführen.<br />
Arbeitgebern zeigt der Eintrag einer Agentur in das<br />
Register, dass die von dieser Agentur überprüften Studiengänge<br />
den europäischen Qualitätsanforderungen<br />
hochschulischer Ausbildung (European Standards and<br />
Guidelines for Quality Assurance in Higher Education)<br />
entsprechen. Das Register soll damit für Transparenz<br />
und Objektivität auf dem europäischen Markt der Qualitätssicherungsagenturen<br />
sorgen.<br />
Die Wirksamkeit des Qualitätssicherungssystems der<br />
Hochschule in der Systemakkreditierung soll durch<br />
Querschnittsuntersuchungen studiengangbezogener<br />
Merkmale („Merkmalsstichprobe“) und vertiefte Begutachtungen<br />
ausgewählter Studiengänge (Programmstichprobe)<br />
überprüft werden.<br />
Die Wirtschaft hatte sich vehement für kontinuierliche<br />
Stichproben im Laufe des Akkreditierungszeitraumes<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Hochschulpolitik“<br />
veröffentlicht. Er ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Eingerichtet wurde das EQAR auf Initiative der sog. E4-<br />
Gruppe, eines Zusammenschlusses der europäischen<br />
Interessenvertreter der Studierenden, der Hochschulen<br />
und der nationalen Akkreditierungsagenturen. Die Aufnahme<br />
in das Register ist freiwillig. Die Entscheidung
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
91<br />
darüber, ob eine Agentur in das Register aufgenommen<br />
wird oder nicht, trifft ein Auswahlkomitee, in das die<br />
E4-Gruppe sowie BUSINESSEUROPE, Education International<br />
und Regierungsvertreter der Länder Experten<br />
entsandt haben. BUSINESSEUROPE, vertreten durch die<br />
BDA, gehörte ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern<br />
des Registers. Die BDA ist damit sowohl auf nationaler<br />
als auch auf europäischer Ebene in starkem Maße in die<br />
Ausgestaltung hochschulischer Qualitätssicherungssysteme<br />
eingebunden.<br />
Fortschritte bei gestufter<br />
Studienstruktur<br />
Auch die Umstellung auf die gestufte Studienstruktur<br />
schreitet voran: Mit Beginn des Sommersemesters<br />
<strong>2008</strong> waren an den deutschen Hochschulen 67 %<br />
aller Studiengänge umgestellt. Die Fachhochschulen<br />
haben bei der Umstellung der Studiengänge einen<br />
deutlichen Vorsprung: 82 % gegenüber den Universitäten<br />
mit 62 %. Der Anteil der Absolventen aus diesen<br />
Studiengängen liegt inzwischen bei rund 11 %, davon<br />
sind mehr als die Hälfte Bachelor-Absolventen. Nur<br />
schleppend kommt die Bologna-Reform, die insbesondere<br />
der Förderung internationaler Mobilität und Wettbewerbsfähigkeit<br />
sowie der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit<br />
von Hochschulabsolventen dient, in<br />
den Fächern mit Staatsexamen (Medizin, Rechtswissenschaften<br />
und Lehramt) voran. Hier ist die Politik<br />
gefordert, die Umstellung zügig und sachgerecht voranzutreiben,<br />
um die bundesweite Mobilität der Studierenden<br />
zu ermöglichen.<br />
Am 20. Juni <strong>2008</strong> wurde in Berlin von rund 40 Personalvorständen<br />
bzw. Personalverantwortlichen führender<br />
deutscher Unternehmen die Erklärung „Bachelor<br />
Welcome – MINT-Nachwuchs sichern!“ unterzeichnet.<br />
Mit dieser konzertierten Aktion bekräftigt die Wirtschaft<br />
ihr Ja zum Bologna-Prozess und zur Umstellung<br />
der Studienabschlüsse auf Bachelor und Master. Sie<br />
richtet sich damit insbesondere gegen die an vielen<br />
Hochschulen immer noch bestehenden Vorbehalte,<br />
dass Bachelor-Absolventen ingenieurwissenschaftlicher<br />
Studiengänge keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />
hätten. Die diesjährige Erklärung knüpft an die<br />
„Bachelor-Welcome“-Aktionen der Jahre 2004 („Bachelor<br />
Welcome“) und 2006 („More Bachelors and<br />
Masters Welcome“) an.
92<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Studierende umfassend auf den<br />
Arbeitsmarkt vorbereiten<br />
Durch die Bologna-Reform ist auch die Arbeitsmarktrelevanz<br />
des Studiums stärker in den Mittelpunkt des<br />
Interesses gerückt. Zentrales Ziel des Hochschulstudiums<br />
muss aus Sicht der Arbeitgeber die Beschäftigungsfähigkeit<br />
der Absolventen sein. Dazu müssen die<br />
Studiengänge im Hinblick auf die Erfordernisse des<br />
Arbeitsmarktes gestaltet werden. Fachliche, überfachliche<br />
und Schlüsselkompetenzen müssen integriert vermittelt<br />
werden.<br />
BDA, BDI und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK)<br />
haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die ein gemeinsames<br />
Verständnis von Arbeitsmarktrelevanz und Beschäftigungsfähigkeit<br />
formulieren und Möglichkeiten<br />
der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen<br />
aufzeigen wird, um beides noch besser an<br />
den Hochschulen zu verankern. In der zweiten Jahreshälfte<br />
<strong>2008</strong> werden die Partner hierzu eine gemeinsame<br />
Stellungnahme veröffentlichen.<br />
Auswahlverfahren der<br />
Hochschulen für beruflich<br />
Qualifizierte öffnen<br />
Angesichts des erheblichen Potenzials dieser Gruppe und<br />
vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels fordern die<br />
Arbeitgeber eine stärkere Durchlässigkeit zwischen den<br />
Bildungsbereichen und eine Erleichterung des Hochschulzugangs<br />
für beruflich Qualifizierte. In ihrem gemeinsamen<br />
Präsidiumsbeschluss fordern BDA und BDI,<br />
die Studienanfängerquote von heute 36 % auf deutlich<br />
über 40 % zu steigern. Die Erschließung neuer Studierendengruppen<br />
kann einen wichtigen Beitrag zur Erreichung<br />
dieses Zieles leisten. Wer studierfähig ist, muss studieren<br />
können, auch wenn er nicht über die formale Hochschulzugangsberechtigung<br />
verfügt. Erfahrungen mit beruflich<br />
qualifizierten Studierenden ohne Abitur zeigen, dass diese<br />
in der Lage sind, ihr Studium erfolgreich und in der<br />
gleichen Zeit wie ihre Kommilitonen abzuschließen, und<br />
aufgrund ihrer hohen Motivation und einer gezielten Studienplanung<br />
seltener ihr Studium abbrechen.<br />
Derzeit arbeiten BDA und BDI gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK) an einem Vorschlag zur<br />
bundesweiten Neuregelung des Hochschulzugangs für<br />
beruflich Qualifizierte. Alle Absolventen einer anerkannten<br />
Berufsausbildung sollen das Recht erhalten, sich an<br />
einer Hochschule für ein Studium zu bewerben. Die<br />
Hochschulen sollen die Auswahl der Studierenden eigenverantwortlich<br />
nach transparenten Kriterien gestalten.<br />
BDA, BDI und HRK werden ihren Vorschlag in der zweiten<br />
Jahreshälfte <strong>2008</strong> der Öffentlichkeit vorstellen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Hochschulen<br />
und Weiterbildung“ veröffentlicht. Er ist über<br />
www.bda-online.de abrufbar.<br />
Hochschulfinanzierung<br />
investitionsorientiert gestalten<br />
Nach wie vor wird beruflich Qualifizierten ohne Abitur<br />
der Zugang zur Hochschule in erheblichem Maße<br />
erschwert. In den verschiedenen Bundesländern bestehen<br />
ein undurchschaubares Regelungsdickicht und eine<br />
Fülle von formalen Voraussetzungen, die teilweise nicht<br />
den geringsten Bezug zur angestrebten Qualifikation<br />
haben. Nur etwa 1 % der Studierenden an deutschen<br />
Hochschulen haben die Zugangsberechtigung aufgrund<br />
ihrer beruflichen Qualifikation erworben.<br />
Die Arbeitgeber fordern seit langem eine grundlegende<br />
Reform der Hochschulfinanzierung, um die Mittelvergabe<br />
stärker an Aufgaben und Leistung auszurichten und<br />
Investitionen in die Hochschulen zu fördern.<br />
Nach wie vor ist das Finanzierungssystem für die deutschen<br />
Hochschulen durch eine Reihe miteinander verketteter<br />
Probleme gekennzeichnet: Für die einzelnen<br />
Bundesländer bestehen kaum Investitionsanreize, da<br />
Studienplätze teuer sind und Akademiker auch aus anderen<br />
Bundesländern angeworben werden können bzw.<br />
zu attraktiven Standorten wandern. Hochschuletats sind<br />
nur zu einem geringen Anteil an erbrachten Leistungen<br />
orientiert, der private Finanzierungsanteil ist gering.<br />
Schließlich besteht die öffentliche Förderung von Studierenden<br />
aus einer wenig überzeugenden Summe von<br />
Einzelinstrumenten, die insgesamt zu wenig an der Bedürftigkeit<br />
der Studierenden ausgerichtet sind.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
93<br />
BDA, BDI, das Institut der deutschen Wirtschaft Köln und<br />
der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft erarbeiten<br />
zurzeit ein Eckpunktepapier, das der Politik konkrete<br />
Lösungen zur Behebung der Probleme unterbreitet.<br />
Kernelement ist die Einrichtung eines bundesweiten<br />
Gutscheinpools, der von den Ländern anteilig finanziert<br />
wird und die Studierenden mit einem bestimmten Guthaben<br />
ausstattet, das sie direkt bei der Hochschule ihrer<br />
Wahl einlösen können. Eine Erhöhung des privaten Finanzierungsanteils<br />
hätte weitere positive Wirkungen für<br />
die Verbesserung von Studium und Lehre. Schließlich<br />
sind öffentliche Transfers strikt an dem Grundsatz der<br />
Bedürftigkeit auszurichten, um allen jungen Menschen<br />
unabhängig vom sozialen Hintergrund ein Studium zu<br />
ermöglichen. Im Juli wird das Eckpunktepapier im Rahmen<br />
einer gemeinsamen Veranstaltung der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt werden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema die argumente<br />
„Studiengebühren zeigen Wirkung“ veröffentlicht. Sie<br />
sind über www.bda-online.de abrufbar.<br />
Deutscher Qualifikationsrahmen:<br />
Praxistauglich gestalten<br />
konkrete Wahl der Beschreibungskategorien besteht<br />
noch kein Einvernehmen. Allerdings soll im Vergleich<br />
zum EQR in Deutschland die Handlungskompetenz<br />
stärker in den Mittelpunkt gerückt werden: eine Forderung,<br />
die gerade die Wirtschaft vehement vertritt.<br />
Als Diskussionsgrundlage haben die Spitzenorganisationen<br />
der deutschen Wirtschaft im März <strong>2008</strong> einen Vorschlag<br />
für einen DQR vorgelegt, in dem sie die Orientierung<br />
an den Anforderungen des Beschäftigungssystems<br />
fordern und für eine strikte Kompetenzorientierung in den<br />
Kategorien Fach-, Sozial- und Personalkompetenz eintreten.<br />
Der Vorschlag der Wirtschaft sieht auch eine exemplarische<br />
Zuordnung deutscher Qualifikationen in den<br />
DQR vor. Diese soll jedoch nur eine erste Orientierung<br />
geben. Für eine tatsächliche Zuordnung muss eine individuelle<br />
Prüfung der jeweiligen Qualifikation und der vermittelten<br />
Kompetenzen vorgenommen werden. Eine pauschale<br />
Zuordnung einer Abschlussart ist nicht sachgerecht<br />
und würde der Kompetenzorientierung widersprechen.<br />
Wichtiges Anliegen der Wirtschaft bei der Gestaltung des<br />
DQR ist zudem die Förderung der Durchlässigkeit, insbesondere<br />
zwischen der beruflichen und hochschulischen<br />
Bildung. Alle Stufen müssen unabhängig vom Lernort erreichbar<br />
sein, also sowohl über den hochschulischen als<br />
auch über den beruflichen Bildungsweg.<br />
Die Empfehlung der EU zur Einrichtung des Europäischen<br />
Qualifikationsrahmens (EQR) sieht vor, dass die<br />
an der Umsetzung beteiligten Mitgliedstaaten bis 2010<br />
ihre nationalen Bildungssysteme an den EQR koppeln.<br />
Bis 2012 sollen alle nationalen Qualifikationsnachweise<br />
einen klaren Verweis auf das entsprechende EQR-<br />
Niveau enthalten.<br />
Ziel des vom BMBF und der KMK eingerichteten Arbeitskreises<br />
DQR ist es, bis Ende <strong>2008</strong> einen ersten Entwurf<br />
eines Qualifikationsrahmens zu entwickeln, der dann<br />
ab 2009 erprobt werden soll. In den ersten vier Sitzungen<br />
haben sich die Mitglieder des Arbeitskreises, in dem<br />
auch die BDA vertreten ist, auf die Eckpunkte und Leitlinien<br />
eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) geeinigt.<br />
Danach soll der DQR insbesondere Transparenz<br />
und Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem fördern.<br />
Er soll sich strukturell am EQR anlehnen, d. h. voraussichtlich<br />
acht Stufen enthalten, die in verschiedenen<br />
Kategorien Lernergebnisse beschreiben, die im Rahmen<br />
einer Qualifikation vermittelt werden müssen. Über die<br />
Zentrale Forderung von BDA und BDI ist es, den Qualifikationsrahmen<br />
praxistauglich auszugestalten, damit<br />
er einen tatsächlichen Mehrwert für seine zukünftigen<br />
Hauptanwender bietet: Personalverantwortliche in Unternehmen.<br />
Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt wird,<br />
kann der DQR ein erfolgreiches Instrument zur Förderung<br />
von Transparenz und Durchlässigkeit auch innerhalb<br />
des deutschen Bildungssystems werden.<br />
Europäisches Leistungspunktesystem<br />
für die Berufsbildung:<br />
Muss erprobt werden<br />
Die EU-Kommission hat im April <strong>2008</strong> ihren Vorschlag für<br />
eine Empfehlung zur Einrichtung des Europäischen Leistungspunktesystems<br />
für die Berufsbildung (ECVET) vorgelegt.<br />
Damit verfolgt sie den Ansatz, mit einem freiwilligen<br />
System die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat<br />
erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompeten-
94<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
zen zu erleichtern und dadurch die Mobilität der Bürger<br />
zu erhöhen. Die BDA hatte anlässlich des Konsultationsverfahrens<br />
im letzten Jahr ihre Skepsis hinsichtlich der<br />
Praktikabilität des Leistungspunktesystems ausgedrückt.<br />
Einige der Kritikpunkte wurden bei dem nun vorliegenden<br />
Vorschlag berücksichtigt. So enthält die Empfehlung<br />
eine Klarstellung, dass ECVET den EQR ergänzen soll und<br />
keine eigenständigen parallelen Beschreibungen von<br />
Lernergebnissen entwickelt werden sollen. Ausdrücklich<br />
wird auch die angestrebte Kompatibilität mit dem<br />
Leistungspunktesystem im Hochschulbereich (ECTS) genannt,<br />
die zur Steigerung der Durchlässigkeit zwischen<br />
den Bildungsbereichen beitragen soll. Trotz dieser Klarstellung<br />
sind Praktikabilität und Mehrwert des geplanten<br />
Leistungspunktesystems weiterhin fraglich. Das von der<br />
EU-Kommission vorgeschlagene äußerst komplexe System<br />
der Unterteilung von ganzheitlichen Qualifikationen<br />
in Einheiten, die mit Punkten versehen werden, ist<br />
mit erheblichem Aufwand für die Beteiligten verbunden.<br />
Eine Anwendung ist gegenwärtig nur im Rahmen von<br />
festen transnationalen Partnerschaften auf Grundlage<br />
von bilateralen Vereinbarungen vorstellbar. Wie ECVET<br />
außerhalb von diesen „learning agreements“ funktionieren<br />
soll, ist gegenwärtig nicht ersichtlich.<br />
Die EU plant eine umfassende Erprobung des Systems<br />
z. B. im Rahmen von Leonardo-da-Vinci-Projekten,<br />
wobei insbesondere die Sektorenebene angesprochen<br />
wird. Die Ergebnisse dieser Projekte können Aufschluss<br />
über die Effektivität von ECVET geben. Auf ihrer<br />
Grundlage muss darüber entschieden werden, ob<br />
das System eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden<br />
Transparenzinstrumente darstellt oder ob Aufwand<br />
und Nutzen in keinem Verhältnis stehen – wie es im<br />
Augenblick aussieht.<br />
Ausbildungsmarkt: Gute Bilanz<br />
2007 und optimistische Aussichten<br />
für <strong>2008</strong><br />
Die gute konjunkturelle Lage hat sich deutlich auf den<br />
Ausbildungsmarkt ausgewirkt. Für das Ausbildungsjahr<br />
2007 konnte eine sehr positive Bilanz gezogen<br />
werden:<br />
Das Niveau der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge<br />
hat 2007 mit 626.000 Verträgen den zweithöchsten<br />
Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Gegenüber<br />
2006 hat sich die Zahl der neuen Ausbildungsverträge<br />
dank des zusätzlichen betrieblichen Engagements um<br />
knapp 9 % erhöht. Schon 2006 war ein Zuwachs von<br />
rund 5 % erreicht worden.<br />
Auch die Daten der Ausbildungsvermittlung der Bundesagentur<br />
für Arbeit (BA) zeigen 2007 eine weiter verbesserte<br />
Ausbildungssituation: Von den rund 734.000<br />
im Vermittlungsjahr 2006/2007 bei den Arbeitsagentu-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
95<br />
ren gemeldeten Bewerbern waren im Januar <strong>2008</strong> nur<br />
noch 11.300 Jugendliche – rund ein Drittel weniger als<br />
im Vorjahr – unvermittelt gemeldet. Das ist ein Anteil<br />
an allen gemeldeten Bewerbern von 1,5 %, der selbst in<br />
Jahren mit einem deutlichen Lehrstellenüberschuss bestehen<br />
bleibt. Für jeden der noch unvermittelt gemeldeten<br />
Bewerber standen 2007 zudem noch gut zwei Qualifizierungsangebote<br />
in Form von Ausbildungsplätzen<br />
oder Einstiegsqualifizierungen zur Verfügung.<br />
Für <strong>2008</strong> zeichnen die Daten im Frühsommer ebenfalls<br />
eine erfreuliche Tendenz: Im Mai <strong>2008</strong> waren bei den<br />
Arbeitsagenturen gut 8 % mehr betriebliche Ausbildungsplätze<br />
gemeldet als im Vorjahr. Auch die Zahl der<br />
neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Industrie<br />
und Handel sowie Handwerk weist nach oben: Bis Mai<br />
wurden in Industrie und Handel 6 % und im Handwerk<br />
3 % mehr Verträge registriert als im Vorjahr.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Ausbildungsmarkt“<br />
veröffentlicht. Er ist über www.bda-online.de<br />
abrufbar.<br />
Ausbildungspakt: Ehrgeizige<br />
Zusagen deutlich erfüllt<br />
Mit dem „Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs<br />
in Deutschland“ ist seit 2004 eine<br />
deutliche Stabilisierung und – beflügelt durch die zuletzt<br />
gute konjunkturelle Lage – eine deutliche Verbesserung<br />
der Ausbildungssituation erreicht worden.<br />
Auch für 2007 konnte wieder eine positive Bilanz gezogen<br />
werden.<br />
Die Wirtschaft hat die mit der Paktverlängerung<br />
im März 2007 gesteigerten Zusagen deutlich erfüllt:<br />
Rund 88.900 neue Ausbildungsplätze (Zusage:<br />
60.000) und rund 43.250 Einstiegsqualifizierungen<br />
(Zusage: 40.000) wurden zur Verfügung gestellt.<br />
53.600 Betriebe konnten neu für Ausbildung gewonnen<br />
werden.<br />
Die Einstiegsqualifizierungen (EQJ) wurden 2007 erneut<br />
als erfolgreiche Brücke in Ausbildung bestätigt – mit einer<br />
nochmaligen Steigerung der Übergangsquote in Ausbildung:<br />
2005 hatten schon gute 60 % der Teilnehmer<br />
im Anschluss eine Ausbildung begonnen, 2007 waren<br />
es sogar rund 75 %. Auch der Effekt bei den Betrieben ist<br />
weiter sehr positiv: Die EQJ-Betriebe haben ihre Ausbildungsleistung<br />
um rund 14 % gesteigert.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Ausbildungspakt“<br />
veröffentlicht. Er ist über www.bda-online.de<br />
abrufbar.<br />
Ausbildungsbonus: GieSSkannen-förderung<br />
schadet<br />
der Ausbildung<br />
Am 5. Juni <strong>2008</strong> hat der Bundestag das „Gesetz zur<br />
Verbesserung der Ausbildungschancen förderungsbedürftiger<br />
junger Menschen“ beschlossen. Kernelement<br />
dieses Gesetzes ist der Ausbildungsbonus, bei dessen<br />
Ausgestaltung sich Bundesregierung und Gesetzgeber<br />
über die großen Bedenken einer breiten Front bestehend<br />
aus Wirtschaft und Gewerkschaften hinweggesetzt<br />
haben.<br />
Die Zielgruppe für diesen Bonus wurde viel zu weit<br />
gefasst. Damit drohen Fehlanreize auf dem Ausbildungsmarkt.<br />
Denn mit dem Ausbildungsbonus können<br />
praktisch alle Altbewerber – immerhin regelmäßig über<br />
300.000 Jugendliche – gefördert werden. Dabei werden<br />
in der Regel rund die Hälfte der Ausbildungsverträge<br />
mit Altbewerbern abgeschlossen – auch ohne Bonus. Im<br />
Rahmen der Ermessensleistung sind selbst Abiturienten<br />
ohne erkennbares Vermittlungshemmnis „bonusfähig“.<br />
Die Ausbildung von Hauptschulabgängern ist ohne jede<br />
weitere Einschränkung sogar in Form einer Pflichtleistung<br />
„bonusfähig“. Dieser Schulabschluss wird so pauschal<br />
diskreditiert; dabei sind knapp 30 % aller Ausbildungsanfänger<br />
Hauptschulabsolventen.<br />
Nicht zuletzt weil die Chancen für junge Menschen und<br />
insbesondere der Altbewerber auf Ausbildungsplätze<br />
aktuell wieder wachsen, ist eine solche Gießkannenförderung,<br />
die auch gute Schulabgänger einschließt und<br />
damit zu teuren Mitnahmeeffekten führt, abzulehnen. Es<br />
drohen vom Ausbildungsbonus weit mehr Finanzmittel<br />
als die bisher veranschlagten 450 Mio. € verschlungen<br />
zu werden, weil der Gesetzgeber keine Obergrenze festgelegt<br />
hat. Und bei der weiten Ausgestaltung der Ziel-
96<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
gruppe ist zu erwarten, dass die Kosten sogar auf die<br />
Milliardengrenze zulaufen. Statt dieser Verschleuderung<br />
von Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern<br />
müssen diese vielmehr im Sinne von Impulsen für mehr<br />
Beschäftigung gesenkt werden.<br />
Kritisch ist insbesondere auch, dass durch die breite<br />
Ausgestaltung der Zielgruppe insbesondere jene Unternehmen<br />
benachteiligt werden, die in den vergangenen<br />
Jahren ohne Bonus und bei schwieriger wirtschaftlicher<br />
Lage zusätzlich ausgebildet haben und jetzt nicht noch<br />
einmal zulegen können. Dies demotiviert engagierte<br />
Ausbildungsbetriebe. Auch mittelfristig wirkt sich dieser<br />
Ausbildungsbonus negativ aus: Er torpediert die künftigen<br />
Anstrengungen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten<br />
und ohne Ausbildungsbonus Betriebe für zusätzliche<br />
Ausbildung zu gewinnen. Der Ausbildungsbonus stellt<br />
insgesamt eine schwere Hypothek für den Ausbildungsmarkt<br />
dar. Der BDA-Präsident hat in einem letzten Appell<br />
die Ministerpräsidenten aufgerufen, über den Bundesrat<br />
den Vermittlungsausschuss anzurufen, um doch<br />
noch zu einem vernünftigen Ausbildungsbonus zu gelangen,<br />
der die gemeinsamen Vorschläge von BDA und<br />
DGB substanziell aufgreift.<br />
gewollt ist oder nicht – das versteht sich von selbst. Es<br />
geht ausschließlich um die Frage des geeigneten Instrumentariums:<br />
Wir brauchen bedarfsgerechte, praxisnahe<br />
und niederschwellige Angebote, die das allgemein gewollte<br />
Ziel unterstützen, neue Betriebe für Ausbildung<br />
zu gewinnen. Neue Regelungen dürfen keinesfalls ein<br />
neues Ausbildungshemmnis insbesondere für kleine und<br />
mittelständische Unternehmen und für Unternehmer mit<br />
Migrationshintergrund aufbauen. Flexibilisierungen und<br />
Ausnahmen, die z. B. Ausbildungserfahrung aufgreifen,<br />
müssen Anwendung finden.<br />
Weiterbildung: Lebenslanges<br />
Lernen stärkt Wettbewerbs- und<br />
Beschäftigungsfähigkeit<br />
Die Stärkung des Lebenslangen Lernens ist aufgrund<br />
der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Anforderungs-<br />
und Qualifikationsprofile in der Wirtschaft<br />
eine zentrale Herausforderung. Berufliche Weiterbildung<br />
wird zum Schlüssel für Wettbewerbs- und<br />
Beschäftigungsfähigkeit.<br />
AEVO: Aussetzung verlängert<br />
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
(BMBF) hat 2004 die Ausbildereignungsverordnung<br />
(AEVO), die den gesonderten Nachweis von<br />
berufs- und arbeitspädagogischen Fertigkeiten und<br />
Kenntnissen von Ausbildern regelt, bis Mitte <strong>2008</strong> ausgesetzt,<br />
um Ausbildungshemmnisse gerade gegenüber<br />
kleinen und mittelständischen Unternehmen abzubauen.<br />
Diese Aussetzung ist bis zum 31. Juli 2009 verlängert<br />
worden. Zugleich hat das BMBF angekündigt,<br />
dass zum 1. August 2009 eine noch zu erarbeitende,<br />
neue Ausbildereignungsverordnung in Kraft gesetzt<br />
werden soll.<br />
Aus Sicht der Wirtschaft sind qualifizierte und geeignete<br />
Ausbilder entscheidend für eine hochwertige Ausbildung;<br />
eine anspruchsvolle Ausbildungspraxis liegt im<br />
Eigeninteresse der Unternehmen. Bei der zukünftigen<br />
Regelung zur Ausbildereignung geht es also nicht um<br />
die Frage, ob eine optimale Qualität in der Ausbildung<br />
Welche Verantwortung Arbeitgeber und Beschäftigte<br />
dabei tragen, welche Anforderungen sich den Weiterbildungsanbietern<br />
stellen und welche Herausforderungen<br />
der demografische Wandel mit sich bringt, waren<br />
zentrale Fragen im Rahmen der BDA/BDI-Fachtagung<br />
„Berufliche Weiterbildung – ein Thema in Sonntagsreden<br />
oder gelebte Realität?“ am 21. Februar <strong>2008</strong>. Mit<br />
ca. 150 Teilnehmern aus Wirtschaft, Politik, Forschung<br />
und Weiterbildungseinrichtungen wurden konkrete<br />
Handlungsansätze und Praxisbeispiele, z. B. Angebote<br />
für Qualifizierungsberatung oder wissenschaftliche<br />
Weiterbildung, diskutiert.<br />
Auch die Bundesregierung hat das Thema „Berufliche<br />
Weiterbildung“ zu einem Handlungsschwerpunkt gemacht.<br />
Um konkrete Vorschläge zur Stärkung der Weiterbildung<br />
zu entwickeln, hat das BMBF im Mai 2006<br />
den Innovationskreis Weiterbildung (IKWB) eingerichtet.<br />
Die vom IKWB im März <strong>2008</strong> vorgelegten Empfehlungen<br />
richten sich nicht alleine an den Staat, sondern<br />
an alle, die ebenfalls Verantwortung für das Lernen im<br />
Lebensverlauf tragen – vor allem Sozialpartner, Verbände,<br />
Bildungsträger, Unternehmen sowie Mitarbeiter
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
97<br />
und Bürger. Als Ziel wurde formuliert, die Beteiligung<br />
am Lebenslangen Lernen bis 2015 von aktuell 72 %<br />
auf 80 % anzuheben; die Beteiligung an formalisierter<br />
Weiterbildung soll von aktuell 43 % auf 50 % steigen.<br />
Um diese Ziele zu erreichen, soll eine „Weiterbildung<br />
mit System“ etabliert werden. Im Fokus stehen<br />
formales wie informelles Lernen, die Vernetzung der<br />
Akteure vor Ort sowie die private wie auch öffentliche<br />
Verantwortung. Hervorgehoben wird auch die große<br />
Bedeutung der Bildungsphase vor der Weiterbildung –<br />
insbesondere der Schulabschluss als Grundlage jeder<br />
Bildungsbiografie.<br />
Aus Sicht der Wirtschaft weisen die Empfehlungen des<br />
IKWB vielfach in die richtige Richtung. Zu begrüßen ist<br />
insbesondere, dass eindeutig auch die Verantwortung<br />
Die Empfehlungen des Innovationskreises<br />
gliedern sich<br />
in zehn Themenbereiche:<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
7.<br />
8.<br />
Motivation und Verantwortung stärken<br />
Anerkennung und Akzeptanz für das Lernen<br />
im Lebenslauf vertiefen<br />
Durchlässigkeit und Verzahnung der<br />
Bildungsbereiche ermöglichen<br />
Transparenz und Qualität sicherstellen;<br />
Bildungsberatung ausbauen<br />
Integration durch Bildung verbessern<br />
Lernen zwischen den Generationen:<br />
Potenziale ausschöpfen<br />
Lernen in der Zivilgesellschaft fördern<br />
Lernen in Unternehmen ausbauen –<br />
Hightech und Weiterbildung verbinden<br />
jedes Einzelnen für das Lebenslange Lernen eingefordert<br />
wird. Das BMBF plant eine entsprechende Marketingkampagne.<br />
Wichtig ist zudem, dass das Bildungssystem<br />
als Ganzes in den Blick genommen wird – z. B. mit dem<br />
Stichwort Durchlässigkeit.<br />
Zur Stärkung der Weiterbildung hat das Bundeskabinett<br />
im April <strong>2008</strong> eine „Konzeption Lebenslanges<br />
Lernen“ beschlossen. Kernelemente der „Konzeption<br />
Lebenslanges Lernen“ der Bundesregierung sind die<br />
Einführung einer Bildungsprämie von maximal 154 €<br />
für Personen, deren zu versteuerndes jährliches Einkommen<br />
17.900 € (Verheiratete 35.800 €) nicht übersteigt.<br />
Die Prämie kann einmal im Jahr dafür eingesetzt<br />
werden, 50 % von Seminarkosten oberhalb einer Bagatellgrenze<br />
von 30 € zu finanzieren. Zudem wird die<br />
Möglichkeit, ein Weiterbildungsdarlehen unabhängig<br />
von der Höhe des Einkommens – analog zu den KfW-<br />
Studienkrediten – aufzunehmen, geschaffen. Schließlich<br />
wird das Vermögensbildungsgesetz geöffnet, damit<br />
das Ansparguthaben auch vor Ablauf der Sperrfrist<br />
für Weiterbildungszwecke verwendet werden darf,<br />
ohne dass damit der Anspruch auf die Arbeitnehmersparzulage<br />
verloren geht. Die Wirtschaft hat das Konzept<br />
grundsätzlich begrüßt, da es auf dem Verständnis<br />
basiert, dass der Einzelne von Weiterbildung profitiert<br />
und sich daher dafür auch engagieren sollte. Kritisch<br />
ist, dass damit sicherlich kaum bildungsferne und einkommensschwache<br />
Personen erreicht werden. Hier ist<br />
die Frage der Lernmotivation entscheidender als die<br />
Frage der Finanzierung. Sichergestellt werden muss<br />
zudem, dass der bürokratische Aufwand nicht zu groß<br />
wird. Wenn z. B. für die Prämie von 150 € ein Antrag,<br />
eine Beratung sowie eine Bescheinigung, dass die Weiterbildung<br />
förderwürdig war, erforderlich ist, erscheint<br />
fraglich, ob der Nutzen größer ist als der administrative<br />
Aufwand.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Lebenslanges<br />
Lernen“ veröffentlicht. Er ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
9.<br />
Lernen in der Region<br />
10. Lernen ohne Grenzen
98<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Flexible Strukturen in der<br />
Ausbildung nutzen<br />
In der Diskussion über eine Modernisierung des Berufsbildungssystems<br />
werden häufig eine Reduzierung<br />
der bestehenden Ausbildungsberufe und eine verstärkte<br />
Bildung von Berufsgruppen gefordert. BDA und BDI<br />
unterstützen die vermehrte Bildung von Berufsgruppen,<br />
fassen den Begriff der Berufsgruppe aber weit, so dass<br />
z. B. auch die gemeinsame Beschulung verschiedener,<br />
aber verwandter Berufe erfasst wird. So verstanden<br />
weisen bereits heute knapp 70 % der Ausbildungsberufe,<br />
in denen 93 % der Auszubildenden ausgebildet<br />
werden, gemeinsame Qualifikationsanteile auf. Gerade<br />
für die Beschulung dieser Berufe ist dies oft von<br />
Vorteil. Zudem ist entgegen der oftmals anzutreffenden<br />
Meinung, die Anzahl der Ausbildungsberufe sei<br />
insbesondere durch sog. Splitterberufe gestiegen, ihre<br />
Anzahl in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken:<br />
Gab es 1960 noch über 620 Ausbildungsberufe, lag die<br />
Zahl 1985 bei knapp 430 Berufen und liegt aktuell bei<br />
rund 350 – trotz zahlreicher neuer Berufe in den letzten<br />
Jahren. Bei den neuen Ausbildungsberufen weisen<br />
gerade einmal fünf (bisher noch) weniger als 100 Ausbildungsplätze<br />
auf.<br />
Wie vom Innovationskreis Berufliche Bildung empfohlen,<br />
wird die Berufsgruppenzugehörigkeit gegenwärtig<br />
in jedem Neuordnungsverfahren geprüft. Dies<br />
ist sinnvoll, darf aber nicht dazu führen, dass ein von<br />
der Wirtschaft dringend nachgefragtes Berufsbild<br />
nicht verordnet wird, weil es keiner bestehenden oder<br />
zukünftigen Berufsgruppe zugeordnet werden kann.<br />
BDA und BDI setzen sich daher weiterhin aktiv für<br />
eine an den Anforderungen der Wirtschaft orientierte<br />
Gestaltung bzw. Modernisierung der Ausbildungsordnungen<br />
ein.<br />
Zum 1. August <strong>2008</strong> kann die Ausbildung in sieben<br />
neuen und in drei modernisierten Berufen starten. Der<br />
Beruf des/der Personaldienstleistungskaufmanns/-frau<br />
ermöglicht in der Personalvermittlung tätigen Unternehmen<br />
erstmals eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene<br />
Ausbildung und erspart dadurch aufwändige und<br />
kostspielige Nachqualifizierungen. Aber auch Personalabteilungen<br />
von Unternehmen bietet diese Ausbildung<br />
neue Wege der Qualifizierung.<br />
Modernisierung der Ausbildungsordnungen konkret<br />
Neue Berufe <strong>2008</strong>:<br />
Automatenfachmann/-frau, Fachkraft für Automatenservice (zweijähriger Beruf), Fotomedienfachmann/-frau,<br />
Personaldienstleistungskaufmann/-frau, Produktionstechnologe/-technologin, Servicekraft für Schutz und Sicherheit<br />
(zweijähriger Beruf), Speiseeishersteller/-in<br />
Neu geordnet wurden die Berufe:<br />
Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Friseur/-in, Seiler/-in<br />
Im weiteren Erarbeitungsverfahren für die Neuordnung zum 1. August 2009 befinden sich die Berufe:<br />
Fotograf/-in, Musikfachhändler/-in, Industrieelektriker/-in (neuer Beruf), Keramiker/-in, Technische/-r Modellbauer/-in<br />
In der beruflichen Fortbildung wurden im Berichtshalbjahr die folgenden Verordnungen erlassen (nach § 53 BBiG):<br />
Geprüfte/-r Industriemeister/-in Papier- und Kunststoffverarbeitung, Immobilienfachwirt/-in, Geprüfte/-r<br />
Veranstaltungsfachwirt/-in<br />
Im Neuordnungs- bzw. Erlassverfahren befinden sich die Fortbildungsverordnungen:<br />
Geprüfte/-r Industriemeister/-in Digital und Print, Meister/-in für Lagerwirtschaft, Geprüfte/-r Meister/-in für Veranstaltungstechnik,<br />
Tierpflegemeister/-in, Geprüfte/-r Versicherungsfachwirt/-in, Geprüfte/-r Polier/-in
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
99<br />
Sowohl in der Automatenbranche als auch im Bereich<br />
des Objekt- bzw. Personenschutzes wurde dem sehr<br />
unterschiedlichen Qualifizierungsbedarf der zukünftig<br />
ausbildenden Betriebe Rechnung getragen, indem jeweils<br />
von der Möglichkeit eines Anrechnungsmodells<br />
Gebrauch gemacht wurde. Neben der modernisierten<br />
Ausbildung zur dreijährigen Fachkraft für Schutz und Sicherheit<br />
können Betriebe der Sicherheitsbranche in Zukunft<br />
auch in dem zweijährigen Beruf der Servicekraft für<br />
Schutz und Sicherheit ausbilden. Das Anrechnungsmodell<br />
bietet sowohl Betrieben als auch Auszubildenden die<br />
Möglichkeit, bei Bedarf bzw. Eignung die Ausbildung in<br />
dem dreijährigen Beruf fortzusetzen. Betriebe in der Automatenbranche<br />
erhalten auf der Grundlage einer Erprobungsverordnung<br />
erstmals die Möglichkeit, Nachwuchsfachkräfte<br />
auszubilden. Sie können in Zukunft zwischen<br />
einer zweijährigen Ausbildung zur Fachkraft für Automatenservice<br />
und der dreijährigen Ausbildung zum/zur<br />
Automatenfachmann/-frau wählen bzw. gegebenenfalls<br />
von der Anrechnungsmöglichkeit Gebrauch machen.<br />
Damit wurden in beiden Branchen flexible Ausbildungsmöglichkeiten<br />
geschaffen, die die Anforderungsprofile<br />
der Betriebe berücksichtigen und dadurch mehr Betrieben<br />
den Einstieg in die Ausbildung ermöglichen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Moderne<br />
Strukturen in der dualen Ausbildung“ veröffentlicht. Er<br />
ist über www.bda-online.de abrufbar.<br />
Stiftung der Deutschen Wirtschaft: „Wir fördern den Nachwuchs!“<br />
Bildung ist das zentrale Thema der Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw). 1994 auf Initiative der BDA gegründet,<br />
schafft die sdw dem Nachwuchs bestmögliche Voraussetzungen für den Start in das Berufsleben. Ihre<br />
Programme und Projekte antworten auf die steigenden Qualifikationsanforderungen des Arbeitsmarktes. Kennzeichen<br />
der Stiftung ist die direkte Arbeit mit Schülerinnen und Schülern, Auszubildenden, Studierenden und<br />
Promovierenden.<br />
Den größten Raum in ihrem Tätigkeitsfeld nimmt die Begabtenförderung ein. Über 1.200 Studierende und Promovierende<br />
aller Fachbereiche – jeweils rund ein Drittel aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, dem ingenieurund<br />
naturwissenschaftlichen Bereich sowie weiteren Fächern – werden im „Studienförderwerk Klaus Murmann“ mit<br />
Stipendien und anspruchsvollen Seminaren und Trainings gefördert. Studierenden des Lehramts bietet die sdw im<br />
„Studienkolleg“ ein spezielles Förderprogramm, das sie zu künftigen Führungskräften an Schulen qualifizieren soll.<br />
Jungen Menschen den Übergang von der Schule in die Ausbildung bzw. an die Hochschule zu erleichtern, ist<br />
ein weiteres Kernanliegen. Besonderes Augenmerk richtet die Stiftung der Deutschen Wirtschaft auf angehende<br />
Abiturientinnen und Abiturienten aus nichtakademischen Elternhäusern. Durch gezielte Förderung sollen sie im<br />
„Studienkompass“ zur Aufnahme eines ihren Interessen entsprechenden Studiums motiviert werden. Gleichermaßen<br />
fördert die sdw im Programm „MINToring“ (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) den<br />
ingenieur- und naturwissenschaftlichen Nachwuchs, damit dieser seinen Studienwunsch in diesem Fächerspektrum<br />
realisiert. Ebenfalls unterstützt werden Jugendliche an Hauptschulen: Ziel des Programms „Zeig, was Du<br />
kannst!“ ist es, dass sie unmittelbar nach dem Schulabschluss eine Ausbildung aufnehmen können. Prägend ist<br />
in diesen Programmen die intensive Begleitung auch im ersten Hochschul- bzw. Ausbildungsjahr, um vorzeitigen<br />
Abbrüchen entgegenzuwirken. Darüber hinaus trägt die sdw mit SCHULEWIRTSCHAFT-Projekten zur Verbesserung<br />
der Schulqualität bei.<br />
Partner sind Bundes- und Länderministerien, Unternehmen, Unternehmensverbände, wirtschaftsnahe Stiftungen<br />
und die Bildungswerke der Wirtschaft. Ihnen bietet die Stiftung vielfältige Kooperationsmöglichkeiten.<br />
Mehr Informationen unter www.sdw.org.
100
101<br />
Europäische Sozialpolitik ■ Der europäische<br />
Integrationsprozess ■ Internationale<br />
Interessenvertretungen der<br />
Arbeitgeber ■ Sozialer Dialog ■ Europäische<br />
Zuwanderung ■ Dreigliedriger<br />
EU-Sozialgipfel ■ EU-Gipfel ■ Politische<br />
Schwerpunkte der Integration ■ Europäische<br />
EUROPÄISCHE Sozialpolitik ■ Der UND europäische Integrationsprozess<br />
INTERNATIONALE<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber<br />
■ Sozialer SOZIALPOLITIK<br />
Dialog ■ EU-Richtlinien<br />
■ Europäische Zuwanderung ■ Europäisches<br />
Arbeits- und Sozialrecht ■ Europäische<br />
Bildungspolitik ■ Dreigliedriger<br />
EU-Sozialgipfel ■ CSR ■ EU-Gipfel<br />
■ Politische Schwerpunkte der Integration<br />
■ Europäische Sozialpolitik<br />
■ Der europäische Integrationsprozess<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber ■ Sozialer Dialog<br />
■ EU-Richtlinien ■ Europäische Zuwanderung<br />
■ Europäisches Arbeits- und Sozialrecht<br />
■ Dreigliedriger EU-Sozialgipfel<br />
■ CSR ■ EU-Gipfel ■ Europäisches Arbeitsund<br />
Sozialrecht ■ Politische Schwerpunkte<br />
der Integration ■ Europäische<br />
Sozialpolitik ■ Der europäische Integrationsprozess<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber<br />
■ Sozialer Dialog ■ EU-Richtlinien<br />
■ Europäische Zuwanderung ■ Europäisches<br />
Arbeits- und Sozialrecht ■ Europäische<br />
Bildungspolitik ■ Dreigliedriger<br />
EU-Sozialgipfel ■ CSR ■ EU-Gipfel<br />
■ Politische Schwerpunkte der Integration<br />
■ Europäische Sozialpolitik ■ Der<br />
europäische Integrationsprozess ■ Internationale<br />
Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber ■ Sozialer Dialog ■ EU-<br />
Richtlinien ■ Europäische Zuwanderung<br />
■ Europäisches Arbeits- und Sozialrecht<br />
■ Europäische Bildungspolitik ■ Dreigliedriger<br />
EU-Sozialgipfel ■ CSR ■ EU-<br />
Gipfel ■ Politische Schwerpunkte der<br />
Integration ■ Europäische Sozialpolitik<br />
■ Der europäische Integrationsprozess<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
der Arbeitgeber ■ Sozialer Dialog<br />
■ EU-Richtlinien ■ Europäische Zuwanderung<br />
■ Europäisches Arbeits- und<br />
Sozialrecht ■ Europäische Bildungspolitik<br />
■ Dreigliedriger EU-Sozialgipfel<br />
■ CSR ■ EU-Gipfel ■ Politische Schwerpunkte<br />
der Integration ■ Europäische<br />
Sozialpolitik ■ Der europäische Integrationsprozess<br />
■ Sozialer Dialog<br />
■ Internationale Interessenvertretungen<br />
■ Europäische Bildungspolitik ■ CSR<br />
■ Politische Schwerpunkte der Integration<br />
■ Europäische Sozialpolitik
102<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Vertrag von Lissabon:<br />
Institutioneller Reformprozess<br />
durch Irland-Referendum schwer<br />
erschüttert<br />
Mit Sorge blickt die deutsche Wirtschaft nach dem Nein<br />
der Iren zum EU-Reformvertrag auf die weitere Entwicklung<br />
in Europa. „Es darf nicht sein, dass ein einzelner<br />
Staat die EU daran hindert, ihre nachhaltige Handlungsfähigkeit<br />
durch Vertragsanpassungen sicherzustellen.<br />
Das würde den Sinn des Integrationsprozesses auf den<br />
Kopf stellen“, erklärte Dr. Dieter Hundt, nachdem das<br />
Ergebnis der Abstimmung in Irland feststand.<br />
Die EU muss jetzt einen Weg finden, den Reformprozess<br />
dennoch fortzusetzen. Irland selbst ist ebenso gefragt,<br />
der Europäischen Union aufzuzeigen, wie nach dem<br />
negativen Referendum Europa dennoch handlungsfähig<br />
gemacht werden kann. Zumindest die institutionellen<br />
Regeln und die Verfahrens- und Entscheidungsregelungen<br />
des Vertrages müssen – als kurzfristige Lösung – in<br />
rATIFIZIERUNG DES vERTRAGES VON lISSABON schreitet voran<br />
Stand: 19. Juni <strong>2008</strong><br />
Land<br />
Verfahren Datum Status<br />
Belgien<br />
parlamentarisch<br />
Juli <strong>2008</strong><br />
offen<br />
Bulgarien<br />
parlamentarisch<br />
21. März <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Dänemark<br />
parlamentarisch<br />
24. April <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Deutschland<br />
parlamentarisch<br />
23. Mai <strong>2008</strong><br />
angenommen von Bundestag und Bundesrat – Unterschrift<br />
des Bundespräsidenten steht noch aus<br />
Estland<br />
parlamentarisch<br />
11. Juni <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Finnland<br />
parlamentarisch<br />
11. Juni <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Frankreich<br />
parlamentarisch<br />
14. Februar <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Griechenland<br />
parlamentarisch<br />
11. Juni <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Großbritannien<br />
parlamentarisch<br />
19. Juni <strong>2008</strong><br />
angenommen vom Parlament; unterzeichnet durch die Königin;<br />
Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus<br />
Irland<br />
Referendum,<br />
Zustimmung des Parlaments<br />
12. Juni <strong>2008</strong><br />
nicht ratifiziert<br />
Italien<br />
parlamentarisch<br />
August <strong>2008</strong><br />
offen<br />
Lettland<br />
parlamentarisch<br />
8. Mai <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Litauen<br />
parlamentarisch<br />
8. Mai <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Luxemburg<br />
parlamentarisch<br />
29. Mai <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Malta<br />
parlamentarisch<br />
29. Januar <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Niederlande<br />
parlamentarisch<br />
August <strong>2008</strong><br />
offen<br />
Österreich<br />
parlamentarisch<br />
9. April <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Polen<br />
parlamentarisch<br />
2. April <strong>2008</strong><br />
angenommen vom Parlament – Unterschrift des<br />
Präsidenten steht noch aus<br />
Portugal<br />
parlamentarisch<br />
23. April <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Rumänien<br />
parlamentarisch<br />
4. Februar <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Schweden<br />
parlamentarisch<br />
November <strong>2008</strong><br />
offen<br />
Slowakei<br />
parlamentarisch<br />
10. April <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Slowenien<br />
parlamentarisch<br />
29. Januar <strong>2008</strong><br />
ratifiziert<br />
Spanien<br />
parlamentarisch<br />
September <strong>2008</strong><br />
offen<br />
Tschechien<br />
parlamentarisch<br />
offen<br />
Entscheidung des Verfassungsgerichts wird abgewartet;<br />
danach Abstimmung im Parlament<br />
Ungarn<br />
parlamentarisch<br />
17. Dezember 2007<br />
ratifiziert<br />
Zypern<br />
parlamentarisch<br />
Juli <strong>2008</strong><br />
offen<br />
Vertrag von Lissabon bereits ratifiziert<br />
Quelle: www.spiegel.de
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
103<br />
Kraft treten können. Europa darf nicht durch eine totale<br />
Einstimmigkeitsfessel ad absurdum geführt werden.<br />
Gerade die Verbesserung der Entscheidungsstrukturen ist<br />
und bleibt für die deutsche Wirtschaft eines der wichtigsten<br />
Anliegen beim Reformvertrag. Für mehr Wachstum,<br />
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung braucht die<br />
Europäische Union effiziente und transparente Entscheidungsstrukturen.<br />
Der Vertrag von Lissabon enthält eine<br />
Reihe von Neuerungen, die zu einer verbesserten Handlungsfähigkeit<br />
der Union mit 27 Mitgliedstaaten beitragen:<br />
eine klarere Kompetenzabgrenzung zwischen der EU<br />
und den Mitgliedstaaten, z. B. durch die Einführung eines<br />
Klagerechts der nationalen Parlamente, die Ausweitung<br />
der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat, die Vereinfachung<br />
einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen einer<br />
Gruppe von Mitgliedstaaten sowie die Einführung der<br />
Mitentscheidung als Regelgesetzgebungsverfahren.<br />
In Kürze erscheint die gemeinsame BDA/BDI-Broschüre<br />
zum Vertrag von Lissabon, in der die wichtigsten Neuerungen<br />
dargestellt und bewertet werden.<br />
Europäische Sozialpolitik muss<br />
europäische Reformpolitik werden<br />
„Jobs, jobs, jobs, skills, skills, skills” –<br />
so muss das Mantra des Sozialpakets<br />
lauten<br />
Die BDA hat sich dafür starkgemacht, dass eine wirkliche<br />
Verbesserung der Lebenschancen dann erreicht<br />
wird, wenn es gelingt, den Menschen<br />
•einen Einstieg in Arbeit (Jobs) und<br />
•den Aufstieg durch Bildung (Skills)<br />
zu ermöglichen. Diese grundlegende Einsicht findet<br />
auch in der Europäischen Kommission zunehmend Resonanz.<br />
Besonders die jüngeren Politikvorschläge des<br />
EU-Kommissars für Beschäftigung, Vladimir Spidla, reflektieren<br />
immer stärker die Positionen und Argumente<br />
der Wirtschaft und erhalten zusätzliche Unterstützung<br />
durch den Kommissionspräsidenten Barroso.<br />
Dies spiegelt sich z. B. auch in einer früheren Feststellung<br />
der Kommission wider: Eine Kernaussage des<br />
Konsultationsdokuments „Soziale Wirklichkeit in Europa“<br />
vom Februar 2007, welches die Grundlage für<br />
die Sozialagenda bildet, lautet, dass die Sozialsysteme<br />
der EU-Mitgliedstaaten sehr gut in der Lage sind, Menschen<br />
in Armut materiell zu unterstützen, dass sie<br />
es aber offensichtlich nicht schaffen, den Menschen<br />
ausreichend neue Chancen auf Integration in den Arbeitsmarkt<br />
zu eröffnen. In starkem Kontrast zu dieser<br />
richtigen Erkenntnis konzentrieren sich die nationalen<br />
Politiker in vielen Ländern, zumal leider auch<br />
in Deutschland, auf zusätzliche Sozialleistungsversprechen,<br />
statt die Rahmenbedingungen konsequent<br />
auf Einstieg in Arbeit und Aufstieg durch Bildung<br />
auszurichten.<br />
Im Juli <strong>2008</strong> wird die Europäische Kommission ihr<br />
Sozial paket vorstellen. Dieses besteht aus der „Sozialagenda“<br />
und einer Reihe von zusätzlichen Einzelmaßnahmen.<br />
Die erste Hälfte des Jahres <strong>2008</strong> stand im Zeichen<br />
der Vorbereitung dieses Sozialpakets.<br />
Die Eckpunkte der Sozialagenda hatte die Kommission<br />
bereits durch ihre Mitteilung vom November 2007<br />
„Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine<br />
neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts“<br />
festgelegt: „Verbesserung der Lebenschancen“<br />
lautet das Motto dieser Mitteilung und damit ist der richtige<br />
Ansatz für eine zukunftsweisende Sozialpolitik gewählt.<br />
Ob die Europäische Kommission diesen von ihr<br />
selbst gewählten Ansatz nun auch in ihren konkreten<br />
Umsetzungsvorschlägen durchhält, bleibt abzuwarten.<br />
Flexicurity weist die Richtung<br />
für sozialpolitische Agenda<br />
Die entscheidende Antwort auf die richtige Analyse<br />
der EU-Kommission war eine stärkere Förderung des<br />
Flexicurity-Konzepts durch die Kommission: Hier wurde<br />
ein Ansatz entwickelt, mit dem dieses Defizit an Chancen<br />
ins Zentrum gestellt wird. Der Grundgedanke von<br />
Flexicurity ist, dass Beschäftigungssicherheit sich in erster<br />
Linie nicht durch den Bestandsschutz bestehender<br />
Arbeitsverhältnisse erreichen lässt, sondern vor allem<br />
durch verbesserte Chancen, beim Verlust des Arbeitsplatzes<br />
schnell wieder in Beschäftigung zu kommen.<br />
Die neue sozialpolitische Agenda ist dann zukunftsweisend,<br />
wenn sie dem Flexicurity-Ansatz in vollem Umfang<br />
folgt.
104<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Die BDA unterstützt die Feststellung, dass es in den<br />
von der EU-Kommission genannten Bereichen Jugend,<br />
Arbeitsmarkt, alternde Gesellschaft, Gleichheit der Geschlechter,<br />
Eingliederung und Nichtdiskriminierung,<br />
Mobilität und Integration sowie Mitwirkung, Kultur und<br />
Dialog Investitionen bedarf, um zu einer Verbesserung<br />
der Lebenschancen möglichst aller beizutragen. Grundlegend<br />
dabei ist allerdings, dass die skizzierten Investitionen<br />
tatsächlich Chancen eröffnen. Sozialpolitik darf<br />
nicht als Alimentierung und Verwaltung von Bedürftigen<br />
oder als Verteilungspolitik von Transferleistungen<br />
missverstanden werden, sondern muss als Brücke in Beschäftigung<br />
gestaltet werden.<br />
Flexicurity-Prinzipien unterstützen soll. Die Expertengruppe<br />
wird in fünf EU-Mitgliedstaaten die Entwicklung<br />
nationaler Flexicurity-Strategien begutachten und diskutieren,<br />
um im Dezember <strong>2008</strong> den EU-Arbeitsministern<br />
einen Bericht mit Empfehlungen zur Umsetzung der<br />
Flexicurity-Prinzipien vorzulegen. Die BDA wird über<br />
BUSINESSEUROPE von Frau Hornung-Draus in der siebenköpfigen<br />
Expertengruppe, die von EU-Kommissar<br />
Vladimir Spidla persönlich geleitet wird, vertreten. Es<br />
geht darum, das Flexicurity-Konzept zu operationalisieren<br />
und sicherzustellen, dass die EU-Mitgliedstaaten der<br />
Reformrhetorik auf europäischer Ebene auch Taten auf<br />
nationaler Ebene folgen lassen.<br />
Die Arbeitsmarktverfassungen insgesamt gehören auf<br />
den Prüfstand der Beschäftigungsfreundlichkeit. Arbeitgeber<br />
und Gewerkschaften haben in ihrer Joint Labour<br />
Market Analysis nicht zufällig als zentrale Frage<br />
formuliert, „welche Rolle Bestimmungen zum Schutz<br />
des einzelnen Arbeitsverhältnisses bei erfolgreichen<br />
und sich lohnenden Übergängen in neue und bestehende<br />
Arbeitsplätze spielen“, und sich darauf verständigt,<br />
„diese gegebenenfalls anzupassen“. Die gemeinsame<br />
Analyse bescheinigt, dass „der steigende Druck<br />
auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch die Globalisierung<br />
und andere wirtschaftliche Veränderungen<br />
verlangt, dass das Arbeitsrecht auf diese neuen Anforderungen<br />
antwortet.<br />
Immer wieder tritt das Phänomen auf, dass gut gemeinte<br />
Schutzvorschriften eine unheilvolle soziale Wirkung<br />
entfalten, da sie als Einstellungshemmnisse ausgrenzend<br />
wirken und die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt<br />
behindern. Hier muss angesetzt werden. Konsequent<br />
und konsistent muss die europäische Sozialpolitik<br />
die Weichen auf „Einstieg in Arbeit“ als oberste Priorität<br />
stellen und darauf die Arbeitsmarktverfassungen<br />
ausrichten.<br />
Damit das Flexicurity-Konzept keine leere Worthülse<br />
bleibt, sondern für die Modernisierung der nationalen<br />
Sozialsysteme wirkliche Relevanz bekommt, hat der<br />
Europäische Rat im Dezember 2007 acht gemeinsame<br />
Grundsätze zu Flexicurity beschlossen, die bei der Entwicklung<br />
nationaler Reformprogramme berücksichtigt<br />
werden sollen. Von der EU-Kommission wurde zudem<br />
eine hochrangige Expertengruppe zu Flexicurity eingesetzt,<br />
die die EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der<br />
Nun ist aber das letzte Amtsjahr der jetzigen Kommission<br />
angebrochen und damit wächst der Druck, insbesondere<br />
aus dem Europäischen Parlament, vor Ende der<br />
Amtszeit auf sozialpolitischem Gebiet noch etwas zu<br />
erreichen und damit dem Dauervorwurf zu begegnen,<br />
die Kommission unter Barroso würde die Wirtschaftspolitik<br />
in der Lissabonner Reformagenda überbetonen<br />
und die soziale Dimension vernachlässigen. Deshalb<br />
wird es weitere Elemente im Sozialpaket geben, die<br />
Revision der Richtlinie zu Europäischen Betriebsräten<br />
und Vorschläge, die die Diskriminierung von Behinderten<br />
betreffen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Flexicurity“<br />
veröffentlicht. Er ist unter www.bda-online.de<br />
abrufbar.<br />
Europäische Betriebsräte: EU-Kommission<br />
hat Richtlinienrevision beschlossen<br />
Die Revision der Richtlinie ist beschlossene Sache. Nachdem<br />
die zweite Konsultation der Sozialpartner ergeben<br />
hatte, dass die Arbeitgeber die Inhalte der Revision zwar<br />
gerne verhandelt hätten, aber seitens der Gewerkschaften<br />
dazu – entgegen vorherigen Bekundungen – keine Bereitschaft<br />
bestand (vgl. unten), ist der Ball nun wieder bei der<br />
Kommission. Sie wird einen Vorschlag für die Revision<br />
vorlegen, voraussichtlich zusammen mit der Sozialagenda<br />
Anfang Juli. Die Arbeitgeber haben deutlich gemacht,<br />
und zwar gegenüber Kommission und Europäischen Gewerkschaftsbund<br />
(EGB), dass nur die Probleme, die sich<br />
wirklich und nachweislich aus der praktischen Erfahrung<br />
ergeben, verbesserungsbedürftig sind und dass auf keinen<br />
Fall externen Gewerkschaftsfunktionären größerer Ein-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
105<br />
fluss gegenüber betriebszugehörigen Arbeitnehmervertretern<br />
eingeräumt werden darf.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Europäische<br />
Betriebsräte“ veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Antidiskriminierung: Nationale<br />
Übererfüllung schafft gegenseitiges<br />
Aufschaukeln zu einem „Perpetuum<br />
Mobile“ von Regulierung<br />
Die Kommission hatte für das Jahr <strong>2008</strong> neue bürokratische<br />
Rechtsregeln zur Bekämpfung von Diskriminierungen<br />
aus Gründen des Geschlechts, der Religion, der<br />
Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder<br />
der sexuellen Orientierung auf anderen Gebieten als<br />
dem Arbeitsmarkt angekündigt. Nachdem diese Ankündigung<br />
auf erheblichen Widerstand aus mehreren<br />
Mitgliedstaaten stieß, ist derzeit geplant, sich auf Diskriminierung<br />
aufgrund von Behinderung zu konzentrieren.<br />
Entsprechende Vorschläge sollen gleichfalls Teil des Sozialpakets<br />
werden.<br />
Für den Fall, dass es tatsächlich zu einem zusätzlichen<br />
Richtlinienvorschlag kommt, der sich mit Diskriminierung<br />
von Behinderten befasst, gibt es aus deutscher<br />
Sicht zwei mögliche Fallstricke: 1. Es könnte eine europäische<br />
Definition für Behinderung festgelegt werden,<br />
die wesentlich umfassender ist als die bestehende deutsche<br />
Regelung. 2. Selbst wenn für Deutschland kein zusätzlicher<br />
Umsetzungsbedarf entstehen würde, so wäre<br />
doch, nach Verabschiedung einer solchen Richtlinie,<br />
der EuGH für die Rechtsprechung zuständig und damit<br />
sind erfahrungsgemäß zu oft einseitig ideologisch motivierte<br />
und realitätsferne Urteile verbunden.<br />
Bei der Antidiskriminierung zeigt sich exemplarisch,<br />
wie schädlich es ist, wenn europäische Gesetzgebung<br />
bei der nationalen Umsetzung übererfüllt wird: Die<br />
Bundesregierung hat mit dem AGG weit mehr getan,<br />
als die Europäische Union in ihren Richtlinien gegen<br />
Diskriminierung verlangt hatte. Auch hier wurde die<br />
europäische Ebene instrumentalisiert, um nationale<br />
Vorhaben, die sich politisch nicht ohne weiteres<br />
hätten durchsetzen lassen, unter dem Vorwand der<br />
Umsetzung europäischen Rechts in Gesetzesform zu
106<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
gießen. Nun bedient sich die Kommission solcher zusätzlichen<br />
nationalen Standards wie im AGG, um diese<br />
zum europäischen Mindeststandard zu erheben. Damit<br />
kann ein „Perpetuum mobile“ kreiert sein – einmal in<br />
Gang gesetzt, bleibt es ewig in Bewegung. Dem europäischen<br />
Standard folgt nationale Übererfüllung, was<br />
den Ansatzpunkt für neue europäische Standards bietet<br />
usw. So schaukeln sich die Regelungswut und die Bürokratie<br />
immer weiter hoch.<br />
EInführung flexibler arbeitszeiten<br />
wirkt sich positiv aus<br />
in %<br />
Manager<br />
Arbeitnehmer<br />
54<br />
67<br />
61<br />
73<br />
Weitere Richtlinienvorschläge auf<br />
der europäischen Agenda<br />
27<br />
31<br />
Neben den zu erwartenden Vorschlägen im Sozialpaket<br />
der Europäischen Kommission stehen weitere<br />
Richtlinien vorhaben auf der Agenda:<br />
Zeitarbeitsrichtlinie: Kein Änderungsbedarf<br />
in Deutschland – Absage an<br />
ReRegulierung des Jobmotors Zeitarbeit<br />
Im „Paket“ mit der Arbeitszeitrichtlinie ist beim Sozialministerrat<br />
im Juni <strong>2008</strong> die Zeitarbeitsrichtlinie verhandelt<br />
worden, die ebenfalls jahrelang blockiert war.<br />
Insbesondere Großbritannien hatte den darin vorgesehenen<br />
Gleichbehandlungsgrundsatz abgelehnt. Erst<br />
nachdem die britische Regierung im Mai <strong>2008</strong> mit dem<br />
britischen Arbeitgeberverband CBI und dem britischen<br />
Gewerkschaftsbund TUC eine Vereinbarung zur Zeitarbeit<br />
abgeschlossen hatte, wonach der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
für Zeitarbeitnehmer in Großbritannien<br />
ab einer Beschäftigungsdauer von zwölf Wochen gelten<br />
soll, war Großbritannien auch auf europäischer Ebene<br />
zu Zugeständnissen bereit. Die jetzt im Sozialministerrat<br />
erzielte Einigung macht keine Änderung der deutschen<br />
Regelungen zur Zeitarbeit notwendig, da der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
im deutschen Recht bereits verankert<br />
ist. Die Tarifvertragsparteien haben in Deutschland<br />
die Möglichkeit, von diesem Grundsatz durch Tarifvertrag<br />
abzuweichen. Hiervon haben sie in verschiedenen<br />
Tarifverträgen verantwortungsvoll Gebrauch gemacht.<br />
Mit dem Kompromiss auf europäischer Ebene muss<br />
auch die nationale Diskussion über die Einschränkung<br />
der deutschen Regelungen zur Zeitarbeit beendet werden.<br />
Der Jobmotor Zeitarbeit darf durch eine nationale<br />
Reregulierung nicht abgewürgt werden!<br />
geringere Fehlzeiten<br />
bessere Anpassung<br />
an Arbeitsanfall<br />
höhere Arbeits-<br />
zufriedenheit<br />
Quelle: Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen,<br />
2006<br />
Arbeitszeitrichtlinie: Überfällige Einigung<br />
im Rat – Forderung der BDA nach Vorfahrt<br />
für flexible Arbeitszeitregeln erfüllt<br />
Nach jahrelangem Tauziehen ist es dem Sozialministerrat<br />
im Juni <strong>2008</strong> gelungen, eine politische Einigung<br />
zur Arbeitszeitrichtlinie zu erzielen. Bei den Beratungen<br />
der Arbeits- und Sozialminister hat sich letztlich<br />
eine pragmatische Linie durchgesetzt, die die Notwendigkeit<br />
von mehr Flexibilität für Unternehmen bei der<br />
Gestaltung der Arbeitszeit anerkennt. Damit müssen<br />
jetzt alle weiteren Versuche, das Arbeitszeitrecht zu<br />
verbürokratisieren, unterbunden werden. Das wird<br />
sich positiv für Beschäftigung in Deutschland und Europa<br />
auszahlen!<br />
Die BDA hatte seit langem gefordert, den Weg für<br />
eine Revision der Arbeitszeitrichtlinie frei zu machen,<br />
um die kostenträchtigen Auswirkungen der Rechtsprechung<br />
des Europäischen Gerichtshofs in den<br />
Rechtssachen „Simap“ und „Jaeger“ zu korrigieren.<br />
Mit dem im Rat verabschiedeten Kompromiss, wonach<br />
die inaktive Zeit des Bereitschaftsdienstes nicht<br />
mehr als Arbeitszeit zählt, ist diese Forderung endlich<br />
erfüllt worden. Der deutsche Gesetzgeber sollte<br />
jetzt die Chance ergreifen, die sich durch die Einigung<br />
auf europäischer Ebene eröffnet, und inaktive Zeiten
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
107<br />
während des Bereitschaftsdienstes nicht mehr als Arbeitszeit<br />
zählen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag für<br />
mehr Arbeitszeitflexibilität, z. B. bei Feuerwehrleuten<br />
und in Krankenhäusern. Der Sozialministerrat hat zu<br />
Recht der Versuchung widerstanden, die Fortschritte<br />
bei der Korrektur des Bereitschaftsdienstes durch neue<br />
Beschränkungen bei der Arbeitszeitgestaltung zu konterkarieren.<br />
Die „Opt-out“-Regelung zur Abweichung<br />
von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit wird unbefristet<br />
beibehalten – und damit eine weitere Forderung<br />
der BDA erfüllt. Diese Regelung hilft vor allem kleinen<br />
und mittleren Unternehmen, Auftragsschwankungen<br />
auszugleichen und Beschäftigung zu sichern. Deshalb<br />
darf die Anwendung des „Opt-out“ auch nicht durch<br />
zusätzliche Vorgaben unnötig verkompliziert werden.<br />
Die Einigung bei der Arbeitszeitrichtlinie ist auch eine<br />
Folge der Beharrlichkeit der Wirtschaft. Immer wieder<br />
hatte die BDA die Notwendigkeit der Korrekturen beim<br />
Bereitschaftsdienst und die Beibehaltung der „Optout“-Regelung<br />
angemahnt und damit auch die Bundesregierung<br />
überzeugt.<br />
Entwarnung kann jedoch noch nicht gegeben werden.<br />
Das Europäische Parlament kann den Kompromiss<br />
in zweiter Lesung wieder kippen. Die sehr heftigen<br />
Reaktionen aus den linken Fraktionen des Europäischen<br />
Parlaments und der Gewerkschaften lassen<br />
schwierige Auseinandersetzungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren<br />
befürchten. Dabei sind nach<br />
der überfälligen Einigung im Rat alle EU-Institutionen<br />
aufgefordert, das Gesetzgebungsverfahren zügig abzuschließen.<br />
Der mühsam erzielte Ratskompromiss<br />
darf nicht torpediert werden!<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „EU-Arbeitszeitrichtlinie“<br />
veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Richtlinienvorschlag zur<br />
Portabilität steckt fest<br />
Am 23. April <strong>2008</strong> hat die EU-Ratsarbeitsgruppe einen<br />
neuen Vorschlag für eine Richtlinie für Mindeststandards<br />
in der betrieblichen Altersvorsorge beraten. Die<br />
EU-Mitgliedstaaten konnten sich allerdings auch auf<br />
den slowenischen Kompromissvorschlag nicht einigen,<br />
der an den bereits gescheiterten Vorschlag der portugiesischen<br />
Präsidentschaft anknüpfte.<br />
Im Hinblick auf die Unverfallbarkeitsfrist sah der slowenische<br />
Vorschlag vor, grundsätzlich an einer Frist<br />
von zwei Jahren und einem Mindestalter von 23 Jahren<br />
festzuhalten. Allerdings sollte den Mitgliedstaaten die<br />
Möglichkeit eingeräumt werden, auf nationaler Ebene<br />
die fünfjährige Unverfallbarkeitsfrist fortzuführen, wenn<br />
der Verbreitung der zusätzlichen Altersvorsorge durch<br />
die kürzere Frist ein nachhaltiger Schaden droht. Diese<br />
verlängerte Frist sollte bis zum geplanten Inkrafttreten<br />
der Richtlinie ab 1. Juli 2013 für fünf Jahre beantragt<br />
werden können. Eine Verlängerung der in der EU-Richtlinie<br />
vorgesehenen Ausnahmeregelung wäre von der<br />
EU-Kommission zu prüfen gewesen.<br />
Dieser Vorschlag ist vor allem auf den Widerstand der<br />
Niederlande gestoßen, da diese Ausnahme regelung<br />
beliebig oft hätte verlängert werden können. Die Bundesregierung<br />
hält diesen Vorschlag gleichfalls für nicht<br />
umsetzbar, da die Ausnahmeregelung lediglich für Versorgungssysteme<br />
gelten soll, die bereits vor Inkrafttreten<br />
der Richtlinie existierten. Eine solche Unterscheidung<br />
ist aber in Deutschland kaum durchführbar.<br />
Die slowenische Ratspräsidentschaft hatte zunächst geplant,<br />
einen schlechten Kompromiss über die Übertragbarkeit<br />
von Betriebsrenten auf dem Sozialministerrat am<br />
9. und 10. Juni <strong>2008</strong> zu erzielen.<br />
Glücklicherweise wurde dieser Punkt in letzter Minute<br />
von der Tagesordnung gestrichen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „EU-Richtlinienvorschlag<br />
zur betrieblichen Altersvorsorge“ veröffentlicht.<br />
Er ist unter www.bda-online.de abrufbar.<br />
Bewährungsprobe für erweiterte<br />
EU: Freizügigkeit und Binnenmarkt<br />
Bessere Rechtsetzung muss konsequent<br />
weiterverfolgt werden<br />
Die Verringerung der Verwaltungslasten in den Unternehmen<br />
ist ein wichtiges Ziel, das die EU-Kommission<br />
im Rahmen ihrer Strategie zur Schaffung einer besseren<br />
Rechtsetzung verfolgt. Die hierdurch entstehenden Kosten<br />
sollen bis 2012 um 25 % verringert werden.
108<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Die EU-Kommission hat eine Online-Konsultation gestartet,<br />
um die Unternehmen unmittelbar in den Abbauprozess<br />
einzubinden. Um die Forderungen der<br />
Wirtschaft hinsichtlich besserer Rechtsetzung auch<br />
gebündelt gegenüber der Kommission darzustellen,<br />
haben BDA und BDI einen gemeinsamen Forderungskatalog<br />
zusammengestellt. Darin ist ausführlich dargestellt,<br />
in welchen Bereichen und bei welchen europäischen<br />
Regelungen Verbesserungsbedarf besteht und<br />
wie dort für die Unternehmen Verbesserungen erzielt<br />
werden können.<br />
Neben den Bereichen „Arbeitsrecht“ und „Sozialrecht“<br />
geht es z. B. um Forderungen zu den Themen „Umwelt<br />
und Technik“, „Verbraucherschutz“ und „Zoll“. Konkret<br />
fordern BDA und BDI u. a., die EU-Richtlinie zur Bildschirmarbeit<br />
zu streichen oder zumindest auf wenige,<br />
zeitgemäße Inhalte zu reduzieren. Außerdem sind die Art<br />
und Weise sowie der Inhalt der Unterrichtungspflichten<br />
bei einem Betriebsübergang auf ein sinnvolles Maß zurückzuführen.<br />
Im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie<br />
ist die EU-Kommission aufgefordert, die Rechtssicherheit<br />
für Unternehmen zu erhöhen und damit die grenzüberschreitende<br />
Dienstleistungserbringung zu vereinfachen.<br />
Es sollten nur diejenigen Regelungen bei einer grenzüberschreitenden<br />
Dienstleistung vom Unternehmen angewendet<br />
werden müssen, die der EU-Kommission zuvor<br />
von den Mitgliedstaaten gemeldet wurden.<br />
Der Forderungskatalog von BDA und BDI ist im Internet<br />
unter www.bda-online.de > Themen > EU und Internationales<br />
> Europäische Sozialpolitik > Arbeits- und Sozialrecht<br />
in Europa > Weitere Infos „Gemeinsame Forderungen<br />
von BDI und BDA zur Deregulierung und zum<br />
Abbau von Bürokratiekosten in der EU“ zu finden.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Bessere<br />
Rechtsetzung“ veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
EuGH-Urteile „Laval“, „Viking“ und<br />
„Rüffert“: Rückfall in den Protektionismus<br />
oder Vollendung des<br />
Binnenmarktes?!<br />
Mit den Entscheidungen in den Rechtssachen „Laval“,<br />
„Viking“ und „Rüffert“ (vgl. im Einzelnen Kapitel „Tarifpolitik“)<br />
hat der Europäische Gerichtshof in begrüßenswerter<br />
Klarheit zu den im EU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten,<br />
insbesondere zur Dienstleistungsfreiheit und<br />
zur Niederlassungsfreiheit, Stellung genommen. Mit seinen<br />
Entscheidungen stärkt der Europäische Gerichtshof<br />
in der Europäischen Union den Ausgleich zwischen den<br />
Grundfreiheiten und dem Arbeitnehmerschutz. Nicht<br />
nur staatliche Eingriffe, auch kollektive Maßnahmen<br />
müssen wegen der Eingriffsqualität gerechtfertigt sein.<br />
So wurde einerseits das Recht der Gewerkschaften auf<br />
Ausübung kollektiver Rechte anerkannt, zugleich aber<br />
mit den Grundfreiheiten deren Schranken aufgezeigt.<br />
Der Europäische Gerichtshof stärkt damit die Entwicklung<br />
des europäischen Binnenmarktes – das Kernstück<br />
der europäischen Integration. Nichtsdestotrotz bleibt<br />
es ein Grundsatz – für den Fall einer Fortentwicklung<br />
dieser Rechtsprechung –, dass die Europäische Union<br />
im Bereich des Arbeitskampfrechts keine Kompetenzen<br />
besitzt.<br />
Forderungen aus dem Europäischen Parlament und von<br />
den Gewerkschaften, die Entscheidungen des Europäischen<br />
Gerichtshofs zum Anlass für neue Beschränkungen<br />
der Grundfreiheiten zu nehmen, sind dagegen eine ganz<br />
klare Absage zu erteilen. Die vom Europäischen Parlament<br />
ins Auge gefassten Maßnahmen wie die umfassende<br />
Überarbeitung der Entsenderichtlinie würden einen<br />
Protektionismus ermöglichen, welcher der europäischen<br />
Integration entgegensteht. Ebenso verfehlt ist der Versuch,<br />
die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
im Fall „Rüffert“ mit dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 zu<br />
Löhnen bei öffentlicher Auftragsvergabe in Zusammenhang<br />
zu stellen. Die Vorschriften dieses Übereinkommens<br />
aus dem Jahr 1949 sind heute praxis- und realitätsferner<br />
denn je und führen in den wenigen Staaten der Europäischen<br />
Union, die es ratifiziert haben, zu erheblichen Anwendungsproblemen.<br />
Das Übereinkommen sollte daher<br />
aufgehoben werden, anstatt eine Ratifizierungskampagne<br />
auf internationaler Ebene zu starten.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Europäischer<br />
Gerichtshof (EuGH)“ veröffentlicht. Er ist unter<br />
www.bda-online.de abrufbar.<br />
Freizügigkeit: Frankreich macht’s vor<br />
Im Frühjahr 2009 werden die Mitgliedstaaten von der<br />
Kommission aufgefordert mitzuteilen, ob sie in Bezug<br />
auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den neuen
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
109<br />
Mitgliedstaaten weiterhin Übergangsfristen in Anspruch<br />
nehmen wollen. Spätestens sieben Jahre nach dem Beitritt,<br />
im Jahr 2011, müssen alle Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
und der Dienstleistungsfreiheit<br />
beseitigt sein.<br />
Derzeit haben zehn der EU-15-Staaten ihre Arbeitsmärkte<br />
vollständig geöffnet: das Vereinigte Königreich,<br />
Irland und Schweden hatten ihre Arbeitsmärkte bereits<br />
während der Phase I geöffnet. Ihnen folgten am<br />
1. Mai 2006 Spanien, Finnland, Griechenland und Portugal<br />
und am 27. Juli 2006 Italien. In den Niederlanden<br />
wurden die Beschränkungen ab dem 1. Mai 2007<br />
aufgehoben und in Luxemburg ab dem 1. November<br />
2007. Das Vereinigte Königreich behält sein obligatorisches<br />
Meldesystem bei und in Finnland muss die<br />
Beschäftigung nachträglich zu Überwachungszwecken<br />
registriert werden.<br />
Die meisten der EU-15-Staaten, die Beschränkungen<br />
beibehalten haben, haben ihre Verfahren vereinfacht<br />
oder die Beschränkungen in bestimmten Sektoren/Berufen<br />
reduziert (Belgien, Frankreich, Dänemark und – seit<br />
dem 1. November 2007 – Deutschland). In Belgien sieht<br />
ein königlicher Erlass für die Phase II der Übergangsregelungen<br />
ausdrücklich vor, dass die Beschränkungen<br />
vor dem formellen Ende der Phase II aufgehoben werden<br />
können, wenn bestimmte Bedingungen (insbesondere<br />
in Form von Durchsetzungsmaßnahmen) erfüllt sind.<br />
Deutschland und Österreich haben auch ihre nationalen<br />
Maßnahmen in Bezug auf die grenzüberschreitende<br />
Erbringung von Diensten beibehalten.<br />
Pünktlich vor Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft am<br />
1. Juli <strong>2008</strong> hat nun auch Frankreich angekündigt, seinen<br />
Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten<br />
zu öffnen. Zu dieser Ankündigung hat sich<br />
Arbeitgeberpräsident Dr. Hundt öffentlich geäußert:<br />
„Jetzt hat auch Frankreich erkannt, dass die Öffnung des<br />
Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten<br />
mehr Chancen als Risiken birgt. Deutschland<br />
darf sich nicht weiter abschotten, sondern muss aktiv<br />
sein, um im grenzüberschreitenden Wettbewerb um gute<br />
und ausgebildete Arbeitskräfte nicht dauerhaft ins Hintertreffen<br />
zu geraten. Ich fordere die Bundesregierung auf,<br />
die bisher in Deutschland noch bestehende generelle<br />
Abschottung gegenüber Arbeitnehmern aus den neuen<br />
Mitgliedstaaten zu beenden. Die Übergangsregelungen<br />
für die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Arbeitnehmern aus<br />
den im Mai 2004 der EU beigetretenen Staaten Mittelund<br />
Osteuropas dürfen ab 2009 nicht mehr generell und<br />
umfassend verlängert werden. Die 2011 ohnehin erfolgende<br />
Öffnung darf nicht nur passiv abgewartet, sondern<br />
muss jetzt aktiv gestaltet werden. Das schließt nicht aus,<br />
im Einzelfall zu prüfen, inwieweit sehr gezielte und<br />
punktuelle, branchen- oder regionalspezifisch begründete<br />
Begrenzungen weiterhin notwendig sind.“<br />
Europäischer Sozialer Dialog<br />
muss für Praxisnähe stehen<br />
Der Soziale Dialog gewinnt weiter an Bedeutung. Auch<br />
die Kommission sieht, dass er für zahlreiche sozialpolitische<br />
Initiativen das geeignete Instrument ist, um praxisnahe<br />
und mehrheitsfähige Regelungen zu finden.<br />
Umso bedauerlicher ist es, dass die Gewerkschaften sich<br />
zunehmend vor ihrer Verantwortung drücken und sich<br />
lieber auf die Kommission verlassen, anstatt selbst proak-<br />
etappen der arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
2004<br />
2005 2006 2007 <strong>2008</strong> 2009 2010 2011<br />
1. Phase<br />
2. Phase 3. Phase<br />
Nationale Entscheidung<br />
Nationale Entscheidung –<br />
Benachrichtigung der Kommission<br />
Nationale Entscheidung –<br />
Begründung gegenüber<br />
der Kommission<br />
Volle Arbeitnehmerfreizügigkeit
110<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
tiv und gestaltend zu wirken. Besonders schädlich ist die<br />
jüngste Entscheidung des EGB, nicht über die Revision<br />
der Richtlinie zu Europäischen Betriebsräten zu verhandeln.<br />
Damit wurde eine wichtige Chance für eine an der<br />
betrieblichen Praxis orientierte Verbesserung der Funktionsweise<br />
von Europäischen Betriebsräten vertan.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Europäischer<br />
Sozialer Dialog“ veröffentlicht. Er ist unter<br />
www.bda-online.de abrufbar.<br />
Europäische Betriebsräte: Europäische<br />
Arbeitgeber bleiben gesprächsbereit<br />
Nachdem die EU-Kommission die Revision der EBR-<br />
Richtlinie angekündigt hatte, hat BUSINESSEUROPE<br />
dem EGB angeboten, die Inhalte der Revision im Sozialen<br />
Dialog zu verhandeln – so wie dies bereits mit anderen<br />
ursprünglich umstrittenen Themen, z. B. Gewalt am<br />
Arbeitsplatz, arbeitsbedingtem Stress oder Telearbeit,<br />
gelungen ist. Der EGB hat sich dem Angebot – trotz eindringlichen<br />
Appells der EU-Kommission – letztlich verweigert.<br />
Offensichtlich scheut dieser davor zurück, sich<br />
einer Diskussion im Sozialen Dialog zu stellen, und will<br />
stattdessen mit ideologischen Ansätzen seine eigenen<br />
Interessen vorantreiben. Diese scheinen eindeutig darin<br />
zu liegen, betriebsfremden Funktionären mehr Macht<br />
und Einfluss gegenüber Arbeitnehmervertretern aus den<br />
Betrieben einzuräumen.<br />
Der Ball ist nun wieder bei der Europäischen Kommission:<br />
Die Arbeitgeber haben ihre weiter bestehende<br />
Gesprächsbereitschaft gegenüber dem EGB<br />
signalisiert.<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiges<br />
Thema für den europäischen Sozialen Dialog, für Arbeitgeber<br />
und Gewerkschaften gleichermaßen. Nachdem<br />
die Europäische Kommission ihre zweite Phase der<br />
Sozialpartnerkonsultation im Mai vergangenen Jahres<br />
eingeleitet hatte, haben sich, nach einer fundierten Evaluierungsphase,<br />
BUSINESSEUROPE, UEAPME und CEEP<br />
für Verhandlungen ausgesprochen. Das Verhandlungsmandat<br />
sieht u. a. vor, dass durch die Sozialpartnervereinbarung<br />
mehr Anreize für Väter geschaffen werden,<br />
Elternurlaub zu nehmen, und eine möglichst flexible<br />
Ausgestaltung des Elternurlaubs erreicht wird (z. B. Vollzeit-<br />
oder Teilzeitbasis, „Kreditstunden“ etc.).<br />
Da die Kommission ihren Ursprungsgedanken ergänzender<br />
Rechtsvorschriften noch nicht gänzlich aufgegeben<br />
hat, ist das positive Signal für Verhandlungen im So-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
111<br />
zialen Dialog umso wichtiger, um so die Kommission zu<br />
überzeugen, dass zusätzliche Regulierungsschritte hier<br />
nicht zielführend sind. Vielmehr geht es darum, positive<br />
Entwicklungen, wie z. B. die Vätermonate in Deutschland,<br />
zu unterstützen und zu verbreiten.<br />
Umsetzung bestehender Europäischer<br />
Sozialpartner-vereinbarungen<br />
Zwei bereits abgeschlossene Rahmenvereinbarungen<br />
müssen sich derzeit in der nationalen Praxis bewähren:<br />
Die Vereinbarung zur Bekämpfung von Belästigung<br />
und Gewalt am Arbeitsplatz wird derzeit von<br />
einigen Unternehmen in die betriebliche Praxis umgesetzt,<br />
der Vereinbarung zur Chancengleichheit von<br />
Mann und Frau wird am 8. und 9. Juli eine Konferenz<br />
gewidmet. Diese gemeinsam von BDA und DGB initiierte<br />
und von der EU-Kommission unterstützte Tagung<br />
soll die Möglichkeit einer Zwischenbilanz des bisher<br />
Erreichten bieten.<br />
gelingt es am besten, mehr Menschen in reguläre Arbeit<br />
zu bringen und für Nachhaltigkeit zu sorgen? Der<br />
Einstieg in Arbeit und der Aufstieg durch Bildung sind<br />
auch auf globaler Ebene die großen wirtschaftlichen,<br />
und sozialen Herausforderungen, vor denen wir stehen,<br />
um einen nachhaltigen wirtschaftlichen Zusammenhalt<br />
zu gestalten.<br />
Dafür ist ein breites Beschäftigungswachstum notwendig,<br />
das auch die Menschen erfasst, die am Rande der<br />
Gesellschaft stehen. Die Rahmenbedingungen in den<br />
Arbeitsmarktverfassungen müssen auf Einstieg in Arbeit<br />
als Priorität Nr. 1 ausgerichtet sein. Und die Bildung<br />
muss viel mehr Aufmerksamkeit erhalten, sie ist die<br />
eigentliche sozialpolitische Herausforderung. Nur wer<br />
ausreichend auf die Anforderungen in unseren Arbeitsmärkten<br />
in Wirtschaft und Gesellschaft vorbereitet ist,<br />
kann selbstständig sein Leben gestalten und ohne dauerhafte<br />
Transferleistungen auskommen. Das ist das Ziel<br />
einer humanen und sozialen Gesellschaft.<br />
Internationale Sozialpolitik –<br />
CSR und soziale Dimension<br />
der Globalisierung stehen<br />
im Mittelpunkt<br />
Japanische G8-Präsidentschaft<br />
Nachdem Deutschland im Jahr 2007 die G8-Präsidentschaft<br />
innehatte, liegt der G8-Vorsitz für <strong>2008</strong> bei Japan.<br />
Vom 11. bis 13. Mai <strong>2008</strong> fand im japanischen Niigata<br />
das Treffen der G8-Arbeitsminister statt. Den Auftakt dieses<br />
Treffens bildete traditionell die Konsultation mit den<br />
Sozialpartnern. Die japanische G8-Präsidentschaft hat<br />
die bereits im Vorjahr in Dresden diskutierte Frage nach<br />
einer nachhaltigen Entwicklung aufgegriffen und diese<br />
für die Arbeitswelt durch drei Leitthemen konkretisiert:<br />
1. Gestaltung der Arbeit unter Berücksichtigung<br />
längerer Lebenserwartung<br />
2. Integration benachteiligter Gruppen in den<br />
Arbeitsmarkt<br />
3. Stärkung der globalen Nachhaltigkeit<br />
Die BDA hat in Niigata gleichermaßen unterstrichen,<br />
was sie auch für die europäische Ebene fordert: Wie<br />
Runder Tisch zum FolLow-up der<br />
Dresdner G8-Beschäftigungsministerkonferenz<br />
Im April <strong>2008</strong> hat Bundesarbeitsminister Olaf Scholz<br />
zu einem runden Tisch eingeladen, um eine erste Umsetzungsbilanz<br />
zu den Themen von Dresden, „Beschäftigung“,<br />
„Soziale Sicherung“ und „Gesellschaftliche<br />
Verantwortung von Unternehmen“, zu ziehen. Arbeitgeberpräsident<br />
Dr. Dieter Hundt nutzte diesen Anlass,<br />
um die Politik daran zu erinnern, dass sie sich in Dresden<br />
dazu verpflichtet hatte, Arbeitslosen verstärkt Chancen<br />
zum Einstieg in den Arbeitsmarkt zu eröffnen. In ihrem<br />
aktuellen Deutschlandbericht fordert die OECD die<br />
Bundesregierung auf, „eine Lockerung der im internationalen<br />
Vergleich strikten Beschäftigungsbestimmungen<br />
für reguläre Arbeitsverträge in Erwägung zu ziehen, um<br />
den gegenwärtigen Aufschwung dafür zu nutzen, eine<br />
größtmögliche Zahl von regulären Beschäftigungsverhältnissen<br />
zu schaffen“.<br />
Auch eine repräsentative Eurobarometer-Studie hat ergeben,<br />
dass sieben von zehn EU-Bürgern die Aussage<br />
bejahen, „dass Arbeitsverträge flexibler werden sollen,<br />
um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern“.
112<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Japan Business Summit: Abschluss-<br />
Kommuniqué stellt Weichen für<br />
italienische G8-Präsidentschaft<br />
Im Vorfeld des G8-Gipfels vom 7. bis 9. Juli <strong>2008</strong> in Japan<br />
haben die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände<br />
der G8-Länder ihre Forderungen auf dem Japan Business<br />
Summit an den Gipfel formuliert. Die zentralen Themen<br />
waren die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch<br />
Innovation, die Bewältigung des Klimawandels und eine<br />
Partnerschaft mit Asien. Mit der Forderung nach einer<br />
Verbesserung der Beziehungen zwischen Hochschule<br />
und Wirtschaft sowie der besseren Qualifikation der<br />
Arbeitskräfte zur Förderung der Privatwirtschaft in den<br />
Entwicklungsländern wurden zudem wichtige Weichenstellungen<br />
für die sich anschließende italienische G8-<br />
Präsidentschaft vorgenommen. Sozialpolitische Themen<br />
werden auf dem nächsten G8 Business Summit in Rom<br />
eine wichtige Rolle spielen.<br />
informieren, auch wenn sich Projekte noch in der Konzeption<br />
befinden.<br />
Dem richtigen Ansatz auf<br />
europäischer Ebene folgen<br />
Während die EU-Kommission mit der Allianz den richtigen<br />
Weg beschritten hat, droht in Deutschland der Rückfall<br />
in überkommene Modelle: Auf der nationalen CSR-<br />
Konferenz der Bundesregierung Ende April <strong>2008</strong> in Berlin<br />
kündigte Bundesarbeitsminister Scholz eine CSR-Positivliste<br />
für Unternehmen an. Eine Positivliste aber ist nichts<br />
anderes als CSR-Standardisierung durch die Hintertür<br />
und stellt damit einen Wortbruch der Politik in einer zentralen<br />
Frage dar. Durch sie wird das Engagement der Unternehmen<br />
begrenzt und nicht gefördert werden. Zudem<br />
ist eine Positivliste naturgemäß beschränkt und gibt daher<br />
Europäische CSR-Allianz:<br />
Unternehmen organisieren<br />
„Laboratory Meetings“<br />
Vielfältige Aktivitäten finden im Rahmen der Europäischen<br />
Allianz zu CSR statt, die die Wirtschaft zusammen<br />
mit der EU-Kommission im Frühjahr 2006 ins Leben gerufen<br />
hat. Ziel der CSR-Allianz ist es, Netzwerke und Kooperationen<br />
der Akteure zu bilden und den Erfahrungsaustausch<br />
mit sog. „Laboratory Meetings“ zu stärken. Die<br />
ersten „Laboratory Meetings“ haben bereits stattgefunden.<br />
Die BDA hat ein „Laboratory Meeting“ auf europäischer<br />
Ebene mitinitiiert, das von BUSINESS EUROPE koordiniert<br />
wird und sich mit dem Thema „Förderung des Unternehmertums“<br />
beschäftigt. In Deutschland haben die Deutsche<br />
Bank und die Ford Werke GmbH ein „Laboratory<br />
Meeting“ zum Thema „Corporate Volunteering“ angestoßen<br />
und durchgeführt, welches bei den Unternehmen<br />
den Wunsch nach weiteren Aktivitäten dieser Art geweckt<br />
hat. Das CSR-Internetportal „CSR Germany“ (www.csrgermany.de)<br />
ist als zentrales Kommunikationsinstrument<br />
für die Aktivitäten im Rahmen der CSR-Allianz auf deutscher<br />
Ebene etabliert. Durch einen neu eingerichteten<br />
geschützten internen Bereich ist es Unterstützern der<br />
CSR-Allianz möglich, sich gegenseitig über Aktivitäten zu<br />
umfangreiches soziales engagement<br />
deutscher unternehmen<br />
in %<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Anteil der Unternehmer, die sozial engagiert sind<br />
Anteil der Unternehmer, die meinen, eine besondere soziale<br />
Verantwortung zu tragen<br />
Anteil der Unternehmer, die ihr soziales Engagement im Untersuchungszeitraum<br />
ausgebaut haben<br />
94<br />
Quelle: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, 2005<br />
76<br />
24
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
113<br />
ein verzerrtes Bild von der Vielfältigkeit und dem Ausmaß<br />
des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen<br />
wieder. Die BDA fordert daher die Bundesregierung auf,<br />
diesen falschen Weg zu verlassen und einen praxisorientierten<br />
Ansatz zu verfolgen, der das CSR-Engagement der<br />
Unternehmen unterstützt statt behindert.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Corporate<br />
Social Responsibility“ veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
ISO Social Responsibility:<br />
Praxisbezug fehlt<br />
Seit 2004 ist die ISO (International Organization for Standardization)<br />
dabei, einen ISO-Leitfaden zu „Social Responsibility“<br />
zu erarbeiten. Dabei ist die Vorgabe für die<br />
dafür zuständige internationale, 450-köpfige, aus sechs<br />
verschiedenen Stakeholderkategorien bestehende Arbeitsgruppe<br />
(WG), dass dieser Leitfaden nicht zertifizierbar<br />
sein und sich darüber hinaus nicht nur an Unternehmen,<br />
sondern an alle Organisationen richten soll. Der zweite<br />
Arbeitsentwurf des Leitfadens, der im Herbst 2006 vorlag,<br />
war aus Sicht der Wirtschaft völlig inakzeptabel, da er keine<br />
dieser Vorgaben erfüllte, sich also einseitig an Unternehmen<br />
und nicht an alle Organisationen richtete und in<br />
weiten Teilen der Logik eines Managementstandards folgte,<br />
wodurch die Gefahr bestand, dass er früher oder später<br />
doch zertifizierbar würde. Zudem war der Entwurf an<br />
vielen Stellen in sich widersprüchlich, enthielt zahlreiche<br />
Doppelungen und war sprachlich nicht überarbeitet. Im<br />
Januar 2007 konnte beim WG-Treffen in Sydney erreicht<br />
werden, dass der Entwurf bis zum nächsten WG-Treffen<br />
im November 2007 in Wien erneut grundsätzlich überarbeitet<br />
wird. Dieser dritte Arbeitsentwurf hat sich zwar<br />
an einzelnen Stellen etwas verbessert, ist aber in seiner<br />
Substanz weiterhin keine Grundlage für einen praxistauglichen<br />
Leitfaden. Einer der größten Streitpunkte zwischen<br />
Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist<br />
die Zulieferkette. Die NRO möchten, dass sich CSR-Maßnahmen<br />
eines Unternehmens grundsätzlich über seine<br />
gesamte Zulieferkette erstrecken. Dies ist eine realitätsferne<br />
Forderung ohne jeden Praxisbezug. In einzelnen Branchen<br />
umfassen die Zulieferketten bis zu 20.000 Zulieferer,<br />
teilweise in der zweiten und dritten Ebene nach den<br />
Hauptlieferanten. Auch die primäre staatliche Verantwortung<br />
für die Durchsetzung von Menschenrechten<br />
wird immer wieder in Frage gestellt. Deshalb wurde in<br />
Wien ein vierter Arbeitsentwurf beschlossen. Neu ist<br />
nun, dass eine Redaktionsgruppe eingesetzt wurde, die<br />
für die Leserlichkeit, Stimmigkeit und Widerspruchslosigkeit<br />
des gesamten Dokuments zuständig ist und<br />
dafür auch Textkürzungen vornehmen darf, was bisher<br />
nicht möglich war. Bis zum nächsten Treffen im<br />
September <strong>2008</strong> soll der neue Text vorliegen. Von der<br />
ISO ist angestrebt, diesen CSR-Leitfaden bis Ende 2009<br />
fertig zu stellen.<br />
ISWA-Seminar zur internationalen<br />
Dimension von CSR<br />
Vom 2. bis 4. März <strong>2008</strong> fand in Berlin ein Seminar<br />
des Instituts für Sozial- und Wirtschaftspolitische Ausbildung<br />
(ISWA) zum Thema „Corporate Social Responsibility“<br />
(CSR) statt. Das Seminar „Unternehmen<br />
und Gesellschaft: CSR im internationalen Kontext“<br />
stellte die internationalen Aspekte von CSR in den Mittelpunkt<br />
der Diskussion. Auch wenn die Referenten<br />
die unterschiedlichsten Hintergründe hatten, so kam<br />
doch eine Kernbotschaft ganz deutlich heraus: Es gibt<br />
für Unternehmen keine Möglichkeit der standardisierten<br />
und somit rechtssicheren Handhabung von CSR im<br />
internationalen Kontext. Die Herausforderungen und<br />
Lösungen sind zu unterschiedlich und vielfältig, abhängig<br />
von der Branche, den Märkten und den nationalen<br />
Gegebenheiten, mit denen ein Unternehmen<br />
konfrontiert ist.<br />
International Organisation<br />
of Employers (IOE): Globale<br />
Interessenvertretung für die<br />
Wirtschaft wird immer wichtiger<br />
Die IOE ist die globale Stimme der Arbeitgeber. In dieser<br />
Eigenschaft wird sie immer wichtiger, denn die internationalen<br />
Branchengewerkschaftsbünde organisieren<br />
sich auf globaler Ebene immer strategischer. Dies<br />
zeigt sich z. B. durch den Zusammenschluss der internationalen<br />
Branchengewerkschaften zur Global Union<br />
Federation, die es sich zum Ziel erklärt hat, die indus-
114<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
triellen Beziehungen global auszubauen. Hierbei geht<br />
es vor allem darum, eine stärkere Vereinheitlichung<br />
der Arbeitsbedingungen auf Weltebene zu erreichen.<br />
Mit den sog. „International Framework Agreements“,<br />
also Rahmenvereinbarungen, die zwischen einzelnen<br />
Unternehmen und den internationalen Branchengewerkschaften<br />
abgeschlossen werden, verschaffen sich<br />
die Gewerkschaften Zugang zu den Belegschaften<br />
der Unternehmen und versuchen diese national zu<br />
organisieren.<br />
Vor diesem Hintergrund kommt der IOE, neben ihrer<br />
Rolle als Arbeitgeberstimme in der ILO, eine strategische<br />
Bedeutung zu, um hier Arbeitgeberinteressen –<br />
gleichfalls global – entgegensetzen zu können. Zu diesem<br />
Zweck hat die IOE, u. a. auf Anregung der BDA, das<br />
„Global Industrial Relations Network“ (GIRN) gegründet,<br />
in dem multinationale Unternehmen Mitglieder werden<br />
können. Sie finden hier nicht nur eine Plattform für den<br />
spezifischen Erfahrungsaustausch zu internationaler<br />
Sozialpolitik und industriellen Beziehungen, sondern<br />
können bei konkreten Problemen, z. B. mit „Framework<br />
Agreements“, auch Beratung erhalten.<br />
Seit dem 27. Mai <strong>2008</strong> hat die IOE einen neuen Präsidenten:<br />
Professor Wiseman Nkuhlu aus Südafrika hat<br />
dieses Amt übernommen. Ihm ist die Förderung von<br />
nachhaltigen kleinen und mittleren Unternehmen ein<br />
wichtiges Anliegen: Zugang zu Krediten und Risikokapital<br />
sowie die Unterstützung von Unternehmensgründungen<br />
haben sein besonderes Augenmerk.<br />
Internationale Arbeitsorganisation<br />
(ILO): Wirtschaftsrelevanz<br />
erforderlich<br />
Die konkrete Ausgestaltung der sozialen Dimension der<br />
Globalisierung wird auch in der Internationalen Arbeitsorganisation<br />
(ILO) mit hoher Priorität vorangetrieben. Die<br />
ILO hat sich dieses Thema auf die Fahnen geschrieben<br />
und ist inzwischen das wichtigste Dialogforum zwischen<br />
Entwicklungsländern und Industrieländern in Bezug auf<br />
die soziale Entwicklung. Sie ist als einzige der UN-Organisationen<br />
dreigliedrig organisiert, so dass Arbeitgeber<br />
und Gewerkschaften jeweils ein Viertel der Stimmen im<br />
Verwaltungsrat und bei der Internationalen Arbeitskonferenz<br />
haben. Somit ist für die Arbeitgeber hier eine direkte<br />
Einflussnahme und Mitgestaltung möglich.<br />
Im Verwaltungsrat der ILO ist es gelungen, den Ausschuss<br />
„Multinationale Unternehmen“ in Richtung einer<br />
Arbeitsweise zu lenken, die für die Unternehmen<br />
einen wesentlich stärkeren Praxisbezug herstellt. In Kürze<br />
wird es einen „Helpdesk“ in der Abteilung für multinationale<br />
Unternehmen (MULTI) der ILO geben. Er soll<br />
als Anlaufstelle für Unternehmen dienen und ihnen bei<br />
konkreten Fragen/Problemen in Zusammenhang mit der<br />
Umsetzung von internationalen Arbeitsnormen direkte<br />
und praxisorientierte Hilfe durch ILO-Experten unter Beteiligung<br />
der Sozialpartner vermitteln.<br />
Bei der Internationalen Arbeitskonferenz <strong>2008</strong> wurde<br />
die Dreigliedrige Erklärung „On Social Justice for a Fair<br />
Globalisation“ verabschiedet. Diese Erklärung ist ein<br />
Meilenstein für die ILO. Sie stellt ein neues Instrumentarium<br />
zur Verfügung, mit welchem Arbeitgeber ihre Interessen<br />
innerhalb der ILO besser fördern können.<br />
OECD – wachsende Tendenz zu<br />
sozialpolitischen Themen<br />
Innerhalb der OECD lässt sich seit einiger Zeit eine Entwicklung<br />
beobachten, die für die BDA besondere Relevanz<br />
entfalten kann: Insbesondere der Internationale<br />
Währungsfonds und die Weltbank werden für ihre klassischen<br />
Aufgaben (Kredite an Entwicklungsländer) immer<br />
weniger benötigt, so dass sie zunehmend in Felder der<br />
allgemeinen globalen Wirtschaftspolitik vorstoßen und<br />
damit der OECD bei ihren Kernaufgaben Konkurrenz machen.<br />
Diese Institutionenkonkurrenz hat u. a. den Effekt,<br />
dass die OECD sich nun stärker in soziale Themen und<br />
Betrachtungen ohne Berücksichtigung des wirtschaftlichen<br />
Kontextes begibt. Besonders negativ aufgefallen<br />
ist dieser Trend im Entwurf des jüngsten „Employment<br />
Outlook“, der bei weitem nicht der sonst hohen Qualität<br />
entsprach und in dem sich eine einseitig negative Bewertung<br />
der Globalisierung findet. Über BIAC, den Arbeitgeber-<br />
und Wirtschaftsverband bei der OECD, setzt sich die<br />
BDA für die Korrektur dieser Unausgewogenheiten ein.<br />
Damit die Interessen der deutschen Unternehmen innerhalb<br />
von BIAC zukünftig besser koordiniert und wahrge-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
115<br />
nommen werden können, hat die BDA gemeinsam mit<br />
dem BDI ein deutsches Netzwerktreffen im Januar <strong>2008</strong><br />
vorbereitet. Damit war erstmals eine Gelegenheit geboten,<br />
die deutschen Vertreter aller BIAC-Ausschüsse zu<br />
versammeln und sich über Forderungen und Erwartungen<br />
an BIAC auszutauschen.<br />
Engere Zusammenarbeit der<br />
deutschen Wirtschaft mit den<br />
Mittelmeerstaaten<br />
Am 25. Februar <strong>2008</strong> hat die BDA, vertreten durch Randolf<br />
Rodenstock, Vizepräsident der BDA und Präsident<br />
der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (vbw),<br />
mit der Vereinigung der Unternehmerverbände im Mittelmeerraum<br />
(UMCE), vertreten durch den UMCE-Präsidenten<br />
Jacques Jean Sarraf, in München ein Kooperationsabkommen<br />
unterzeichnet.<br />
Die UMCE repräsentiert Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände<br />
aus den Mittelmeer-Anrainerstaaten Algerien,<br />
Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Malta, Marokko,<br />
Palästina, Syrien, Tunesien, Türkei und Zypern. Die<br />
Spitzenverbände dieser Staaten sind unter einem Dach<br />
vereint, um die gemeinsamen Interessen der Region zu<br />
vertreten, ungeachtet der politischen Konflikte. Mit dem<br />
Kooperationsabkommen erhält die BDA stellvertretend<br />
für die deutsche Wirtschaft einen Beobachterstatus innerhalb<br />
der UMCE. Diesen Status als Partner und Impulsgeber<br />
haben bislang lediglich die Wirtschaftsverbände<br />
der europäischen Mittelmeerstaaten Frankreich (MEDEF),<br />
Italien (Confindustria), Griechenland (FIG-SEV) und<br />
Portugal (AIP).<br />
Es liegt im Interesse der deutschen Wirtschaft, die Kontakte<br />
in den Mittelmeerraum auszubauen und eine stärkere<br />
Anbindung an die Union im Sinne einer nachhaltigen<br />
Nachbarschaftspolitik zu unterstützen. Die BDA<br />
will mit UMCE die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen<br />
mitgestalten und damit auch einen Beitrag<br />
zur Friedenssicherung in der Region leisten.<br />
Für die Mittelmeerregion ist die deutsche Wirtschaft ein<br />
wichtiger Partner innerhalb der Europäischen Union,<br />
vor allem in Hinblick auf die Schaffung einer möglichen<br />
euromediterranen Freihandelszone bis 2010. Eine engere<br />
Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft bringt<br />
die Mittelmeerregion diesem Ziel ein Stück näher.
116
117<br />
Konjunktur und Wachstum ■ Indikatoren<br />
und Prognosen ■ Wirtschafts- und<br />
Finanzpolitik ■ Steuerpolitischer Arbeitskreis<br />
der Spitzenverbände ■ Kampagnen<br />
und Initiativen ■ Jahreswirtschaftsbericht<br />
■ Sachverständigenratsgutachten<br />
VOLKSWIRTSCHAFT<br />
■ Frühjahrs- und Herbstgutachten<br />
■ Prognosen des BIP ■ Prognose der Wirtschaftsentwicklung<br />
UND FINZANZEN ■ Arbeitskosten<br />
■ Produktivität ■ Einkommensverteilung<br />
■ Statistik ■ Föderalismus ■ Globalisierung<br />
■ Finanzpolitik ■ Finanzplan des<br />
Bundes ■ Standort Deutschland im internationalen<br />
Vergleich ■ Mittelstandspolitik<br />
■ Demografie ■ Konjunktur und<br />
Wachstum ■ Indikatoren und Prognosen<br />
■ Wirtschafts- und Finanzpolitik ■ Steuerpolitischer<br />
Arbeitskreis der Spitzenverbände<br />
■ Kampagnen und Initiativen<br />
■ Jahreswirtschaftsbericht ■ Sachverständigenratsgutachten<br />
■ Frühjahrsund<br />
Herbstgutachten ■ Prognosen des<br />
BIP ■ Prognose der Wirtschaftsentwicklung<br />
■ Arbeitskosten ■ Produktivität<br />
■ Einkommensverteilung ■ Statistik ■ Föderalismus<br />
■ Globalisierung ■ Finanzpolitik<br />
■ Finanzplan des Bundes ■ Standort<br />
Deutschland im internationalen Vergleich<br />
■ Mittelstandspolitik ■ Strukturwandel<br />
■ Demografie ■ Konjunktur und<br />
Wachstum ■ Indikatoren und Prognosen<br />
■ Wirtschafts- und Finanzpolitik ■ Steuerpolitischer<br />
Arbeitskreis der Spitzenverbände<br />
■ Kampagnen und Initiativen<br />
■ Jahreswirtschaftsbericht ■ Sachverständigenratsgutachten<br />
■ Frühjahrsund<br />
Herbstgutachten ■ Prognosen des<br />
BIP ■ Prognose der Wirtschaftsentwicklung<br />
■ Arbeitskosten ■ Produktivität<br />
■ Einkommensverteilung ■ Statistik ■ Föderalismus<br />
■ Globalisierung ■ Finanzpolitik<br />
■ Finanzplan des Bundes ■ Standort<br />
Deutschland im internationalen Vergleich<br />
■ Mittelstandspolitik ■ Kampagnen<br />
und Initiativen ■ Strukturwandel<br />
■ Demografie ■ Konjunktur und Wachstum<br />
■ Indikatoren und Prognosen ■ Wirtschafts-<br />
und Finanzpolitik ■ Steuerpolitischer<br />
Arbeitskreis der Spitzenverbände<br />
■ Jahreswirtschaftsbericht ■ Sachverständigenratsgutachten<br />
■ Frühjahrsund<br />
Herbstgutachten ■ Prognosen des<br />
BIP ■ Prognose der Wirtschaftsentwicklung<br />
■ Arbeitskosten ■ Produktivität<br />
■ Strukturwandel ■ Statistik ■ Föderalismus<br />
■ Globalisierung ■ Finanzpolitik<br />
■ Finanzplan des Bundes ■ Mittelstandspolitik<br />
■ Strukturwandel ■ Demografie<br />
■ Konjunktur und Wachstum ■ Indikatoren<br />
und Prognosen ■ Föderalismus
118<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Aufschwung setzt sich<br />
verhaltener fort<br />
Zur Jahresmitte <strong>2008</strong> wird die wirtschaftliche Lage in<br />
Deutschland von zwei Momenten geprägt: Zu Beginn<br />
des Jahres zog die wirtschaftliche Dynamik überraschenderweise<br />
an. Die starke Beschleunigung in den<br />
ersten drei Monaten hat dazu geführt, dass die Wachstumsprognosen<br />
für den Jahresdurchschnitt wieder über<br />
die Schwelle von 2 % heraufgesetzt worden sind. Es<br />
zeichnet sich aber bereits jetzt eine Verlangsamung der<br />
Konjunktur ab. Das andere Moment ist der deutliche<br />
Anstieg der Preise, insbesondere der Energie- und Rohstoffpreise;<br />
er macht sich mehr und mehr als Wachstumsbremse<br />
bemerkbar. Im Mai lagen die Verbraucherpreise<br />
für die privaten Haushalte um 3,0 % über dem<br />
Vorjahresniveau.<br />
Die anhaltend hohe Kapazitätsauslastung und das hohe<br />
Aktivitätsniveau bei den Dienstleistungen geben dem<br />
Arbeitsmarkt unverändert positive Impulse, wenn auch<br />
inzwischen etwas verhaltener. So lag die Zahl der Erwerbstätigen<br />
im April dieses Jahres mit 40,1 Mio. um<br />
über 831.000 über dem entsprechenden Vorjahreswert<br />
(+2,1 %). Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten<br />
betrug der 12-Monats-Abstand im März knapp<br />
679.000 (+2,5 %). Die steigende Beschäftigung ist der<br />
Hauptmotor der Zunahme der verfügbaren Einkommen,<br />
die im ersten Quartal <strong>2008</strong> um 2,6 % gestiegen sind. Parallel<br />
dazu stiegen die laufenden Konsumausgaben der<br />
privaten Haushalte um 2,5 %.<br />
Direkte Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die<br />
deutsche Wirtschaft sind bislang nicht spürbar und es<br />
gibt auch kein Anzeichen dafür, dass sich dies ändert.<br />
Eigendynamik und Widerstandfähigkeit der deutschen<br />
Wirtschaft sind stärker als erwartet. Allerdings<br />
nehmen die indirekten Einflüsse zu. So hat sich der<br />
Export in die USA, die als Ursprungsland im besonderen<br />
Maße von dieser Krise betroffen sind, deutlich<br />
abgeschwächt. Bislang konnten solche Rückgänge jedoch<br />
zum großen Teil durch Lieferungen in Länder<br />
kompensiert werden, denen aufgrund der gestiegenen<br />
Energiepreise eine höhere Kaufkraft für ausländische<br />
Waren zugewachsen ist.<br />
Zwischenbilanz in Zahlen<br />
2005 2007 Veränderung in %<br />
Steuereinnahmen insgesamt in Mrd. €<br />
452,4<br />
538,2<br />
18,97<br />
Einkommen aus Unternehmertätigkeit + Vermögen in Mrd. €<br />
561,25<br />
643,18<br />
14,60<br />
Ausrüstungsinvestitionen in Mrd. €<br />
162,11<br />
186,53<br />
15,06<br />
Bruttojahresverdienst Vollzeitarbeitnehmer in €*<br />
40.541<br />
41.962<br />
3,51<br />
Arbeitslose insgesamt in 1.000<br />
4.861<br />
3.776<br />
– 22,31<br />
•unter 25 Jahre<br />
618.868<br />
404.911<br />
– 34,57<br />
•über 55 Jahre<br />
580.447<br />
475.421<br />
– 18,09<br />
•über 12 Monate**<br />
1.515<br />
1.387<br />
– 8,45<br />
Erwerbstätige in 1.000<br />
38.846<br />
39.737<br />
2,29<br />
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in 1.000<br />
26.236<br />
26.898<br />
2,52<br />
* eigene Hochrechnung auf Basis der ersten drei Quartale 2007<br />
** ohne Optionskommunen
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
119<br />
Zwischenbilanz des Aufschwungs<br />
In der Öffentlichkeit hat sich der Eindruck durchgesetzt, dass der Aufschwung an den Menschen vorbeigeht. Entgegen<br />
dieser „gefühlten“ Wirklichkeit hat es jedoch selten einen Aufschwung gegeben, der so wie dieser die wirtschaftlichen<br />
und sozialen Grundlagen verbessert hat.<br />
Trotz Kritik im Einzelnen bleibt die unternehmerische Tätigkeit die entscheidende Grundlage für breiten Wohlstand<br />
in einer Gesellschaft. Zwischen 2005 und 2007 sind die Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und<br />
Vermögen um 14,6 % gestiegen. Sie haben die Investitionen der Unternehmen in neue Maschinen und Anlagen<br />
angetrieben; die Ausrüstungsinvestitionen nahmen im gleichen Zeitraum um 15,1 % zu. Davon profitierte auch der<br />
Arbeitsmarkt in beachtlicher Weise. Die Zahl der Erwerbstätigen kletterte vom Jahresdurchschnitt 2005 bis 2007<br />
um 2,3 %, die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zog sogar um gut 2,5 % an.<br />
Auch dieser Aufschwung bestätigt die klassische Regel von Helmut Schmidt: „Die Gewinne von heute sind die<br />
Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.“<br />
Die steigende Erwerbstätigkeit spiegelt sich in einer drastisch verminderten Arbeitslosigkeit. Im Jahresdurchschnitt<br />
lag 2007 die Arbeitslosenzahl um fast ein Viertel niedriger als 2005. Besonders stark ging dabei die Arbeitslosigkeit<br />
bei jungen Menschen unter 25 Jahren zurück; sie sank um mehr als ein Drittel. Auch die Zahl der älteren Arbeitslosen<br />
hat der Aufschwung erheblich reduziert; sie nahm um fast 20 % ab.<br />
Lediglich bei den Langzeitarbeitslosen fällt der Rückgang vom 2005 bis 2007 mit 8,5 % weniger beeindruckend<br />
aus. Allerdings ist hier eine natürliche Phasenverschiebung zu beachten. Es bedarf eines längeren Anlaufs und<br />
eines besonders kräftigen Impulses, um den Sockel der Langzeitarbeitslosen zu erreichen. Die vergangenen Aufschwünge<br />
hatten diese Ausdauer und Kraft nicht. Das ist erfreulicherweise diesmal anders. Der Beschäftigungsaufschwung<br />
erreichte den Sockel der Langzeitarbeitslosen 2006. Betrachtet man den Rückgang von 2006 auf 2007,<br />
fällt er auch in diesem Segment des Arbeitsmarktes mit 13,6 % sehr beachtlich aus.<br />
Mit diesem Aufschwung wurde erstmals seit 35 Jahren das wichtigste sozialpolitische Ziel, den Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit<br />
spürbar abzubauen, erreicht. Zu Recht betont die Bundesregierung im 3. Armuts- und Reichtumsbericht:<br />
„Der Beschäftigungsaufschwung kommt bei allen an!“<br />
Das gilt nicht nur für die Arbeitslosen, die wieder in Beschäftigung und Verdienst kommen. Auch die bislang schon<br />
Beschäftigten profitieren durch einen beachtlichen Anstieg ihrer Bruttoeinkommen. So stieg der durchschnittliche<br />
Jahresverdienst eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers im produzierenden Gewerbe von 2005 auf 2007 um<br />
rund 3,5 %.<br />
Das relativ größte Stück vom Aufschwung sicherte sich der Staat. Seine Steuereinnahmen lagen 2007 um fast 20 %<br />
über dem Niveau von 2005. Dieser kräftige Zuwachs kommt zum einen durch konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen<br />
zustande und zum anderen aufgrund der kräftigen Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte<br />
zum 1. Januar 2007.
120<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Aufschwung füllt vor allem Steuerkassen<br />
Steuereinnahmen insgesamt<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Jahresverdienst Vollzeitarbeitnehmer*<br />
Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen<br />
120<br />
115<br />
110<br />
105<br />
100<br />
2005 2006<br />
2007<br />
Quelle: Basisdaten Destatis, SVR<br />
* für 2007 Hochrechnung auf Basis von drei Quartalen<br />
Arbeitslosigkeit sinkt<br />
Arbeitslose insgesamt<br />
Arbeitslose über 55 Jahre<br />
Arbeitslose unter 25 Jahre<br />
Langzeitarbeitslose über 12 Monate*<br />
110<br />
105<br />
100<br />
95<br />
90<br />
85<br />
80<br />
75<br />
70<br />
2005 2006<br />
2007<br />
Quelle: Basisdaten BA<br />
* ohne Optionskommunen<br />
Aufschwung bringt Jobs<br />
Erwerbstätige<br />
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte<br />
103<br />
102,5<br />
102<br />
101,5<br />
101<br />
100,5<br />
100<br />
2005 2006<br />
2007<br />
Quelle: Basisdaten BA
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
121<br />
Arbeitskosten wachsen wieder<br />
schneller als die Produktivität<br />
Armuts- und Reichtumsbericht<br />
verzerrt die Wirklichkeit<br />
Für das Jahr <strong>2008</strong> rechnet die Bundesbank mit einem<br />
durchschnittlichen Anstieg der Tarifentgelte um 2,75 %<br />
und der Arbeitskosten, gemessen am Arbeitnehmerentgelt<br />
je Arbeitnehmer, um 2,25 %. Bei einem erwarteten<br />
Produktivitätswachstum von 1,0 % werden die Lohnstückkosten<br />
<strong>2008</strong> um etwa 1,5 % steigen. Damit läuft<br />
die Phase rückläufiger oder stagnierender Lohnstückkosten<br />
aus, der die deutschen Unternehmen ihre wiedergewonnene<br />
preisliche Konkurrenzfähigkeit zu verdanken<br />
haben. Die stark steigenden Vorleistungspreise und die<br />
steigenden Arbeitskosten der Unternehmen drücken auf<br />
die Erträge der Unternehmen.<br />
Kostensteigerungen durch<br />
Senkung der Sozialbeiträge<br />
abfangen<br />
Die Senkung der Lohnzusatzkosten entlastet Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer von Kostensteigerungen. Niedrigere<br />
Sozialversicherungsbeiträge reduzieren die Kostenbelastung<br />
der Unternehmen und erhöhen die Nettoeinkommen<br />
der Arbeitnehmer. Insbesondere müssen diejenigen<br />
Sozialversicherungsbeiträge abgebaut bzw. vom<br />
Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden, denen keine<br />
lohnbezogene Leistung entspricht. Dies gilt insbesondere<br />
für den sog. Eingliederungsbeitrag der Bundesagentur<br />
für Arbeit, der im Ergebnis nichts anderes als eine Finanzierung<br />
des Bundeshaushalts zu Lasten von Löhnen und<br />
Gehältern ist. Eine Kostenentlastung durch geringere Sozialversicherungsbeiträge<br />
erleichtert den Aufbau neuer<br />
Beschäftigung und den Abbau der Arbeitslosigkeit.<br />
Das Thema „Armut“ bewegt derzeit Politik, Medien<br />
und Gesellschaft. Immer wieder wird auf der einen<br />
Seite über die neuen Armen, die Abnahme der Mittelschicht<br />
und die von Armut Bedrohten berichtet. Ein<br />
Auslöser neuerlicher Diskussionen war der 3. Armutsund<br />
Reichtumsbericht. Entgegen dem teilweise vermittelten<br />
Eindruck ist Armut in Deutschland jedoch nach<br />
wie vor die Ausnahme und weniger verbreitet als in<br />
anderen Industrieländern. Armut hat nicht zugenommen.<br />
Arme sind auch nicht ärmer geworden, weil das<br />
mittlere Einkommen (Medianeinkommen), von dem<br />
die Armutsgrenze abgeleitet wird, in den letzten Jahren<br />
weiter gewachsen ist.<br />
Eine empirische Untersuchung der OECD („Employment<br />
Outlook“, 2007, S. 268) zeigt, dass die Einkommensspreizung<br />
zwischen 1995 und 2005 in fast<br />
allen entwickelten Ländern zugenommen hat. Dieser<br />
Globalisierungsfolge kann sich laut OECD kaum ein<br />
Land entziehen, weil die Nachfrage nach Fachkräften<br />
schneller zunahm als das Angebot. Dagegen wuchs<br />
mit der Globalisierung das Angebot an gering qualifizierten<br />
Arbeitnehmern deutlich kräftiger als die Zahl<br />
entsprechender Jobs. In Entwicklungs- und Schwellenländern<br />
haben sich dadurch Chancen auf Investitionen<br />
und Arbeitsplätze ergeben. Unternehmen, die weltweit<br />
im Wettbewerb um die besten Köpfe stehen und ihre<br />
Produkte zu marktfähigen Preisen anbieten müssen,<br />
tragen der Globalisierung durch Anpassung ihrer Entlohnungssysteme<br />
Rechnung. Trotz der hohen Integration<br />
der deutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft zeigt<br />
die OECD-Studie für Deutschland eine unterdurchschnittliche<br />
Einkommensspreizung auf.<br />
Empirische Untersuchungen belegen die positiven Beschäftigungseffekte<br />
sinkender Sozialversicherungsbeiträge:<br />
Je nachdem, ob die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge<br />
durch Ausgaben senkende Strukturreformen im<br />
System der sozialen Sicherung erreicht wird oder mit<br />
Maßnahmen zur Gegenfinanzierung, sind die Beschäftigungswirkungen<br />
unterschiedlich, aber grundsätzlich immer<br />
positiv. Im Durchschnitt ergibt sich bei einer Senkung<br />
der Sozialversicherungsbeiträge um einen Prozentpunkt<br />
mittelfristig ein Plus von rund 150.000 Personen.<br />
Mit der hohen Umverteilung im deutschen Steuerund<br />
Transfersystem und den umfangreichen Sozialleistungen<br />
wirkt Deutschland der Armut mit hohem<br />
Aufwand entgegen. Nach Berechnungen der OECD<br />
wird Einkommensungleichheit in Deutschland mit am<br />
stärksten durch Steuern und Sozialtransfers verringert.<br />
Das Armutsrisiko liegt mit 13 % unter dem europäischen<br />
Durchschnitt von 16 %. Das Sozialbudget beträgt<br />
inzwischen über 700 Mrd. €. Damit gelangen<br />
rund 30 % der deutschen Wirtschaftsleistung in die
122<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Umverteilungsmaschinerie, prozentual doppelt so viel<br />
wie in den 1950er Jahren, als Armut tatsächlich weit<br />
verbreitet war.<br />
Im Unterschied zum Berichtsentwurf kommt der Bericht<br />
nun der Kritik der BDA an Mindestlöhnen entgegen. Denn<br />
gesetzlich verordnete Mindestlöhne sind zur Bekämpfung<br />
von Armut ungeeignet. Armut beruht in Deutschland<br />
vor allem auf Arbeitslosigkeit. Seit 2005 hat die Arbeitslosigkeit<br />
um 2 Mio. abgenommen und die Zahl der<br />
Erwerbstätigen um 1,5 Mio. – davon 1,25 Mio. sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte – zugenommen.<br />
Die Stellungnahme der BDA zum Entwurf des 3. Armutsund<br />
Reichtumsberichts ist im Internet unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung:<br />
Regierungskonzept geht an den<br />
Zielen vorbei<br />
Am 21. April dieses Jahres hat die Koalitionsarbeitsgruppe<br />
ihren Endbericht „Mehr Mitarbeiterbeteiligung<br />
in Deutschland“ der Öffentlichkeit präsentiert. Damit<br />
sind die Vorbereitungen, der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen<br />
zu einer weiteren Verbreitung in Deutschland zu verhelfen,<br />
zum Abschluss gekommen. Konkret soll zum<br />
einen die bestehende steuerliche Förderung der direkten<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung deutlich ausgebaut<br />
werden. Zum anderen soll in die Förderung auch die<br />
indirekte Form der Kapitalbeteiligung über regionalbzw.<br />
branchenbezogene Fonds einbezogen werden<br />
(siehe Kasten).<br />
Im vorliegenden Konzept, auf dessen Grundlage bis<br />
Ende Juli <strong>2008</strong> ein Gesetzentwurf erarbeitet werden soll,<br />
werden zwar der Einigungswille und die gemeinsame<br />
politische Absicht der Regierungsparteien deutlich, die<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu fördern, allerdings ist<br />
bei näherer Betrachtung auch abzulesen, dass die geplanten<br />
Maßnahmen an den Zielen der Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
weitgehend vorbeigehen.<br />
Die vorgesehene zusätzliche Subventionierung der<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist aus Sicht der BDA<br />
abzulehnen, weil sie zum einen dem nach wie vor<br />
höheren politischen Ziel der Haushaltskonsolidierung<br />
diametral entgegensteht. Zum anderen droht die Gefahr,<br />
dass künftig mehr Mittel in die Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
und weniger in die private und betriebliche<br />
Altersvorsorge bzw. Mitarbeitererfolgsbeteiligung<br />
fließen. Dabei muss mit Blick auf die demografische<br />
Entwicklung und das sinkende Leistungsniveau der ge-
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
123<br />
Kernelemente des Konzepts der Koalitionsarbeitsgruppe aus CDU/CSU<br />
und SPD „Mehr Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland“ vom 21. April <strong>2008</strong><br />
Verbesserung der Förderung nach dem Fünften Vermögensbildungsgesetz<br />
•Anhebung des Fördersatzes für in Beteiligungen angelegte vermögenswirksame Leistungen von 18 % auf 20 %<br />
•Erhöhung der Einkommensgrenzen von 17.900/35.800 € auf 20.000/40.000 € (Ledige/Verheiratete)<br />
Verbesserung der Förderung im Rahmen des § 19a EStG<br />
•Anhebung des steuer- und abgabenfreien Höchstbetrags für die Überlassung von Mitarbeiterbeteiligungen am<br />
arbeitgebenden Unternehmen von 135 € auf 360 € pro Jahr und Beschäftigten unter Wegfall der bisherigen Begrenzung<br />
auf den halben Wert der Beteiligung<br />
•Voraussetzung für die o. g. Förderung: Vermögensbeteiligung ist weder Lohnbestandteil noch Folge einer<br />
Entgeltumwandlung<br />
•Angebot zur Beteiligung am Unternehmen an alle Beschäftigten, es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung<br />
•Bestandsschutz für alle Beschäftigten, die bereits heute einen Anspruch auf unentgeltliche oder verbilligte Überlassungen<br />
von Vermögensbeteiligungen haben; insoweit bleibt steuer- und abgabenfreier Vorteil von bisher<br />
135 € in der geltenden Fassung im § 19a EStG, wenn Voraussetzungen der Neuregelung nicht erfüllt sind<br />
Einbeziehung von Regional- bzw. Branchenfonds in die Neuregelung der Förderung im Rahmen des § 19a EStG<br />
Neben der direkten Kapitalbeteiligung Einführung von überbetrieblichen Mitarbeiterbeteiligungsfonds (z. B. für<br />
•<br />
einzelne Branchen) als zusätzlichen, indirekten Durchführungswegen zur Inanspruchnahme der geplanten<br />
Förderung<br />
Angebot und Verwaltung der Fonds durch private Kapitalanlagegesellschaften<br />
•<br />
Garantierter Rückfluss aus dem Fonds in die beteiligten Unternehmen in Höhe von 75 % (25 % Beteiligungs<br />
•<br />
kapital, 50 % Fremdkapital) nach einer Anlaufphase von zwei Jahren<br />
Möglichkeit für Anleger zur Rückgabe der Anteile an die Kapitalanlagegesellschaft unter Einhaltung einer Rück-<br />
•<br />
gabefrist von bis zu 24 Monaten<br />
setzlichen Rentenversicherung alles getan werden, um<br />
ergänzende Alterssicherung aufzubauen.<br />
Die Ausweitung der Förderung nach dem Fünften Vermögensbildungsgesetz<br />
ausschließlich für betriebliche<br />
und außerbetriebliche Kapitalbeteiligung ist daher ein<br />
Schritt in die falsche Richtung. Jeder zusätzliche Euro,<br />
der in diese Form der Vermögensbildung investiert würde,<br />
ist für das vorrangige Ziel der Altersvorsorge verloren.<br />
Darüber hinaus steht die Ausweitung der Arbeitnehmersparzulage<br />
für vermögenswirksame Leistungen in<br />
Beteiligungen im Gegensatz zu der seit 2002 verfolgten<br />
Tarifpolitik, die bisherigen vermögenswirksamen Leistungen<br />
in betriebliche Altersvorsorge umzuwidmen. Die<br />
Entscheidung, die Arbeitnehmersparzulage zu erhöhen,<br />
ist nicht nur unverantwortlich vor dem Hintergrund der<br />
Notwendigkeit, den Auf- und Ausbau der ergänzenden<br />
Alterssicherung voranzubringen. Sie ist auch eine grobe<br />
Missachtung der Entscheidungen der Tarifpartner in den<br />
vergangenen Jahren.<br />
Aus den gleichen Gründen abzulehnen ist die Ausweitung<br />
der steuer- und beitragsrechtlichen Förderung der<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung (nicht nur hälftige, sondern<br />
volle Steuer- und Beitragsfreiheit, zudem Anhebung des<br />
Förderhöchstbetrages von 135 € auf 360 €). Ein derartiger<br />
Eingriff führt zur stärkeren staatlichen Einflussnahme<br />
auf Arbeitnehmerentscheidungen und damit zu der Ge-
124<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
fahr von Fehlallokationen. Insbesondere geht eine solche<br />
Regelung zu Lasten anderer – weitaus zielführenderer<br />
– Spar- bzw. Vorsorgeformen wie der Altersvorsorge<br />
und der Mitarbeitererfolgsbeteiligung.<br />
Ohnehin geht die beabsichtigte erweiterte Förderung<br />
der Mitarbeiterkapitalbeteiligung weitgehend am Mittelstand<br />
vorbei. Es ist nicht erkennbar, inwieweit eine<br />
Stärkung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen<br />
erreicht werden kann, wenn der Arbeitgeber die Mittel<br />
für die Kapitalbeteiligung zusätzlich zum ohnehin<br />
geschuldeten Lohn selbst aufwenden soll. Das ist aber<br />
nach den vorliegenden Plänen Voraussetzung, wenn<br />
Arbeitnehmer in den Genuss des auf 360 € erhöhten<br />
Steuer freibetrages kommen sollen. Insbesondere kleine<br />
und mittelständische Unternehmen werden tendenziell<br />
nicht in der Lage sein, Lohn-on-top-Leistungen zu erbringen.<br />
Des Weiteren sind mittelständische Unternehmen<br />
in der Regel Personenunternehmen, bei denen eine<br />
echte Kapitalbeteiligung vergleichsweise nur schwer<br />
umzusetzen ist. Dies trifft tendenziell auch für die als<br />
GmbH organisierten mittelständischen Unternehmen<br />
zu, da u. a. der Erwerb eines Gesellschafteranteils stets<br />
eine notarielle Beurkundung voraussetzt. Die verstärkte<br />
Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung würde<br />
damit weiter vor allem die Beschäftigten von Aktiengesellschaften<br />
erreichen, die schon heute rund drei Viertel<br />
aller Mitarbeiterkapitalbeteiligungen halten.<br />
Die geplante Einführung von Fonds als neuer Form der<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung ändert an diesem Sachverhalt<br />
nichts. Die neuen Fonds sind für mittelständische<br />
Unternehmen kaum attraktiv. Denn auch hier muss der<br />
Arbeitgeber die Mittel für die Kapitalbeteiligung zu 100 %<br />
selbst aufbringen. Hinzu kommt, dass – frühestens nach<br />
einer zweijährigen Anlaufphase des Fonds – ein Kapitalrückfluss<br />
an die beteiligten Unternehmen von lediglich<br />
75 % garantiert sein soll, 50 % in Form von Fremdkapital.<br />
Das bedeutet in jedem Fall einen Eigenkapitalabfluss. Es<br />
ist auch nicht ersichtlich, inwieweit durch einen Mitarbeiterbeteiligungsfonds<br />
die Bindung von Arbeitnehmern und<br />
Arbeitgebern gestärkt und unternehmerisches Denken und<br />
Handeln gefördert werden könnte. Dies schafft am wirkungsvollsten<br />
die direkte Mitarbeiterkapitalbeteiligung.<br />
Auszug aus der gemeinsamen Stellungnahme von BDA und BDI<br />
vom 29. April <strong>2008</strong> zum Konzept von CDU/CSU und SPD<br />
„Mehr Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland“<br />
„Zusätzliche Förderung benachteiligt Altersvorsorge<br />
und geht am Mittelstand vorbei“<br />
Die geplante zusätzliche Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung benachteiligt sowohl die Altersvorsorge als<br />
auch die Mitarbeitererfolgsbeteiligung. Sie ist deshalb abzulehnen. Durch die vorgesehene erweiterte Subventionierung<br />
wird es noch lohnender, in Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu investieren als in den vordringlichen Auf- und<br />
Ausbau der privaten und betrieblichen Altersvorsorge. Zudem käme es zu einer weiteren ungerechtfertigten Begünstigung<br />
der Mitarbeiterkapitalbeteiligung gegenüber der Mitarbeitererfolgsbeteiligung.<br />
Die zusätzliche Förderung ginge an der Mehrheit der Beschäftigten kleiner und mittelständischer Unternehmen<br />
weitgehend vorbei. Schließlich ist Mitarbeiterkapitalbeteiligung nahezu ausschließlich in Aktiengesellschaften<br />
verbreitet, weil sie allein hier einfach und unbürokratisch umsetzbar ist. Daran würde auch die Einführung der<br />
geplanten Fonds nichts ändern. Es ist für ein Unternehmen kaum attraktiv, 100 % selbst für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
aufzubringen, wenn nur 75 % in den Betrieb zurückfließen. Von der höheren steuerlichen Förderung<br />
würden daher künftig überwiegend die Beschäftigten derjenigen Aktiengesellschaften profitieren, die schon heute<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung anbieten.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
125<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung ohnehin bereits am attraktivsten ausgestaltet<br />
Aufwandsphase<br />
Auszahlungsphase (bei Veräußerung)<br />
Beitragspflicht<br />
Steuerpflicht<br />
Beitragspflicht<br />
Steuerpflicht<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
(geplant: Förderhöchstbetrag<br />
§ 19a EStG: 360 €)<br />
alleinige Besteuerung<br />
der Erträge<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung<br />
(Status quo: Förderhöchstbetrag<br />
§ 19a EStG: 135 €)<br />
alleinige Besteuerung<br />
der Erträge<br />
Betriebliche Altersvorsorge<br />
Mitarbeitererfolgsbeteiligung<br />
Arbeitszeitkonten<br />
Private Riester-Verträge<br />
Sonstige private Altersvorsorge (z. B. private<br />
Rentenversicherungen, Investmentfonds,<br />
festverzinsliche Papiere, Aktien)<br />
alleinige Besteuerung<br />
der Erträge<br />
Betriebliche Riester-Verträge<br />
Volle Beitragspflicht in der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung (durchschnittlicher Beitragssatz 39,9 %, Stand: 1. Januar <strong>2008</strong>)<br />
bzw. volle Steuerpflicht<br />
Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung (durchschnittlicher Beitragssatz 15,7 %, Stand: 1. Januar <strong>2008</strong>) bzw. hälftige Steuerpflicht<br />
Keine Beitragspflicht zur Sozialversicherung bzw. Steuerfreiheit<br />
Die neuen gesetzlichen Regelungen zur Förderung der<br />
Mitarbeiterkapitalbeteiligung sollen nach den Plänen<br />
der Regierungskoalition zum 1. Januar 2009 in Kraft treten.<br />
Die BDA wird den angekündigten Gesetzgebungsprozess<br />
begleiten und sich im Zuge kommender Anhörungen<br />
für die Positionen der Arbeitgeber einsetzen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Mitarbeiterkapitalbeteiligung“<br />
veröffentlicht. Er ist über www.bdaonline.de<br />
abrufbar.<br />
Erbschaftsteuerreform:<br />
Unternehmensnachfolge<br />
zügig erleichtern<br />
Die Verabschiedung der Erbschaftsteuerreform verzögert<br />
sich weiter: Nunmehr hat sich die große Koalition darauf<br />
verständigt, dass die parlamentarische Verabschiedung<br />
erst nach den Landtagswahlen in Bayern erfolgen soll.<br />
Bereits am 11. Dezember 2007 hatte die Bundesregie-
126<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
rung den Kabinettsentwurf beschlossen mit dem Ziel,<br />
die Unternehmensnachfolge zu erleichtern. Allerdings<br />
sind die konkreten Pläne noch weit davon entfernt, dieser<br />
Zielsetzung gerecht zu werden. Zudem drohen durch<br />
die geplanten Bewertungsregelungen für viele Unternehmensübergänge<br />
erhebliche Mehrbelastungen.<br />
Auf den großen Änderungsbedarf hat die BDA zusammen<br />
mit sieben weiteren Spitzenverbänden der deutschen<br />
Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme<br />
anlässlich der öffentlichen Anhörung am 5. März <strong>2008</strong><br />
hingewiesen.<br />
Insbesondere wird die Zusage des Koalitionsvertrages<br />
vom 11. November 2005, der den kompletten Wegfall<br />
der Erbschaftsteuer nach zehnjähriger Unternehmensfortführung<br />
vorsieht, nur unvollständig umgesetzt:<br />
dem diese Lohnsumme unterschritten wird, entfällt<br />
ein Zehntel des gewährten Abschlags.<br />
•Auch muss das vorhandene Betriebsvermögen 15 Jahre<br />
lang im Betrieb gehalten werden – andernfalls unterliegt<br />
entnommenes Betriebsvermögen der Nachversteuerung.<br />
Zugleich ist vorgesehen, dass pauschal<br />
15 % des Unternehmenswertes der Erbschaftsbesteuerung<br />
unterliegen.<br />
Insgesamt würde das deutsche Erbschaftsteuerrecht mit<br />
der zehnjährigen Fortführungsklausel und der 15-jährigen<br />
Vermögensbindungsfrist komplizierter. Deshalb<br />
müssen zumindest die Laufzeiten der beiden Regelungen<br />
verkürzt und angeglichen werden. Auch sollte ein<br />
Verstoß gegen die Vermögensbindungsfrist nur zu einer<br />
zeitanteiligen und nicht zur vollständigen Nachversteuerung<br />
führen.<br />
•Bislang ist lediglich eine Abschmelzung der Bemessungsgrundlage<br />
bei der Erbschaftsteuer um maximal<br />
85 % vorgesehen.<br />
•Zudem ist die Gewährung dieses Abschlags an weitere<br />
Voraussetzungen gekoppelt – so u. a. an eine zehnjährige<br />
Unternehmensfortführung, bei der die Lohnsumme<br />
in keinem Jahr geringer sein darf als 70 % der<br />
Lohnsumme im Durchschnitt der letzten fünf Jahre<br />
vor der Unternehmensübertragung. In jedem Jahr, in<br />
Problematisch ist zudem, dass vermögensverwaltende<br />
Unternehmen nur dann der steuerlichen Begünstigung<br />
unterliegen sollen, wenn das sog. Verwaltungsvermögen<br />
(z. B. fremdvermietete Grundstücke, Kunstgegenstände)<br />
nicht mehr als 50 % des Betriebsvermögens ausmacht.<br />
Noch nicht gelöst ist zudem die Doppelbelastung mit<br />
Einkommen- und Erbschaftsteuer, die bei der Übertragung<br />
stiller Reserven unter den derzeit geplanten Regelungen<br />
noch droht.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
127<br />
Zentrale Elemente der Erbschaftsteuerreform<br />
Steuersätze und Freibeträge<br />
•Anhebung der persönlichen Freibeträge für Ehegatten auf 500.000 €, für Kinder auf 400.000 €, für Enkel auf<br />
200.000 € – zudem gleitende Freigrenze in Höhe von 150.000 € zur Sicherstellung der Bewertungsfreiheit bei<br />
einem Betriebsvermögen von 150.000 €<br />
•Beibehaltung der Steuersätze in der Steuerklasse I (mit Sätzen von 7 bis 30 %), Anhebung der Steuersätze in<br />
den Steuerklassen II und III (auf 30 % bei einem Vermögen bis 6 Mio. € und auf 50 % bei darüberliegendem<br />
Vermögen)<br />
Neue Verschonungsregelung beim Betriebsvermögen<br />
Bewertung des Betriebsvermögens und des Grundvermögens mit dem Verkehrswert – Umsetzung durch Rechts-<br />
•<br />
verordnung des Bundesfinanzministeriums<br />
85-prozentiger Bewertungsabschlag von der Bemessungsgrundlage beim Betriebsvermögen – 15 % des Betriebs-<br />
•<br />
vermögens unterliegen der Erbschaftsbesteuerung<br />
Fortführungsklausel: Lohnsumme darf in den zehn Jahren der Unternehmensfortführung in keinem Jahr gerin-<br />
•<br />
ger sein als 70 % der Lohnsumme vor der Vermögensübertragung – sonst entfällt pro Jahr der Unterschreitung<br />
ein Zehntel des Abschlags<br />
15-jährige Bindungsfrist für das Betriebsvermögen – mit Nachversteuerungspflicht bei Veräußerung oder Entnah-<br />
•<br />
me, die aber bei Reinvestition entfällt<br />
Kein Bewertungsabschlag bei vermögensverwaltenden Unternehmen, mit einem Verwaltungsvermögen<br />
•<br />
(z. B. fremdvermietete Grundstücke, Kunstgegenstände), das mehr als 50 % des Betriebsvermögens ausmacht<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung<br />
vom 7. November 2006 dem Gesetzgeber aufgetragen,<br />
sich bei der Bewertung des vererbten Vermögens<br />
am Verkehrswert zu orientieren. Zugleich hat das<br />
Verfassungsgericht klargemacht, dass für die Bewertung<br />
maßgeblich ist, wie hoch der Erbe bereichert ist. Der<br />
Gesetzentwurf weicht nun bei der Bewertung von Gesellschaftsanteilen<br />
davon ab. Denn die Verfahren zur<br />
Ermittlung der Verkehrswerte gehen davon aus, dass<br />
Gesellschaftsanteile frei auf einem Markt gehandelt<br />
werden können. In vielen Familienunternehmen gibt<br />
es allerdings Gesellschafterverträge mit Verfügungsbeschränkungen<br />
und Abfindungsklauseln, die genau dies<br />
verhindern. Damit die geplante Erbschaftsteuerreform<br />
tatsächlich zu einer Erleichterung des Generationenwechsels<br />
führt, sollte der tatsächliche Wert der Bereicherung<br />
beim Erben die Ausgangsgröße für die Ermittlung<br />
der Erbschaftsteuerschuld sein.<br />
Neue steuerliche Lasten bei Unternehmenserben wären<br />
dagegen ein falsches Signal des Gesetzgebers. Angesichts<br />
des unverändert angestrebten Erbschaftsteuervolumens<br />
von gut 4 Mrd. € ist dies jedoch nicht gänzlich<br />
ausgeschlossen. Dabei wäre die Abschaffung der Erbschaftsteuer,<br />
wie sie z. B. in Österreich beschlossen<br />
wurde, die beste Lösung.<br />
Föderalismusreform II: Mehr<br />
Tempo beim Haushaltsausgleich<br />
Die von Bund und Ländern eingesetzte Föderalismuskommission<br />
II sollte zügig wirksame wie sanktionsbewährte<br />
Regeln zur Schuldenbegrenzung vorlegen, damit<br />
in der zweiten Jahreshälfte <strong>2008</strong> die parlamentarischen<br />
Beratungen beginnen können. Angesichts der immer<br />
näher rückenden Bundestagswahlen droht sonst dieses<br />
wichtige Reformvorhaben der großen Koalition unter<br />
die Räder zu kommen.<br />
Dabei sind viel zu lange neue Ausgaben bei den öffentlichen<br />
Haushalten allzu oft auf Pump finanziert worden.<br />
Die Folge sind ständig steigende Zinsverpflichtungen,
128<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
die insbesondere dem Bund zunehmend den Handlungsspielraum<br />
einengen. Schließlich stellt der Schuldendienst<br />
mit einem Volumen von 40 Mrd. € den zweitgrößten<br />
Ausgabenposten im Bundeshaushalt dar. Auch<br />
mit Blick auf künftige Generationen und die durch den<br />
demografischen Wandel bedingten Belastungen für die<br />
öffentlichen Haushalte muss es der großen Koalition gelingen,<br />
den ausufernden Schuldenstaat durch wirksame<br />
Regeln zu beschränken.<br />
Die BDA hat zusammen mit dem BDI hierzu eigene Reformvorschläge<br />
vorgelegt. Die bisherige Vorgabe gemäß<br />
Art. 115 Grundgesetz, nach der die Kreditaufnahme die<br />
Investitionsausgaben nicht überschreiten darf, hat sich<br />
in der politischen Praxis als ein wenig wirksames Instrument<br />
erwiesen. Eine wirksame Beschränkung des immer<br />
schneller anwachsenden Schuldenbergs der öffentlichen<br />
Hand gehört deshalb zum Pflichtprogramm der großen<br />
Koalition. Dies schließt insbesondere die verbindliche<br />
Verankerung eines mittelfristigen Haushaltsausgleichs<br />
in die Verfassung ein.<br />
Eine konjunkturell bedingte Schuldenaufnahme soll dabei<br />
zwar möglich sein, aber nur, wenn sie mit einem<br />
verbindlichen Plan zur Rückzahlung der Schulden in<br />
den Folgejahren verbunden ist. Generell sollte jedoch<br />
die Pflicht zum Haushaltsausgleich nicht durch interpretationsbedürftige<br />
Ausnahmeregelungen aufgeweicht<br />
werden, wie sie derzeit von der SPD in Gestalt von Finanzmarktkrisen<br />
und plötzlich fehlendem Bundesbankgewinn<br />
diskutiert werden. Hier reicht ein Blick nach<br />
Europa: Dem EU-Haushalt ist die Schuldenfinanzierung<br />
fremd – und trotzdem können die Aufgaben wahrgenommen<br />
werden.<br />
Neben dem Haushaltsausgleich und dem Abbau der<br />
hohen Staatsverschuldung von derzeit über 63 % des<br />
Bruttoinlandsprodukts sind zudem automatische Sanktionsmaßnahmen<br />
erforderlich, die bei verfassungswidrigen<br />
Haushalten auf Bundes- und Länderebene greifen.<br />
Dies erfordert u. a. ein beschleunigtes Klageverfahren<br />
vor dem Verfassungsgericht mit einer Entscheidung innerhalb<br />
von 60 Tagen.<br />
Dass neue Regeln zur Schuldenbegrenzung längst<br />
überfällig sind, folgt auch daraus, dass trotz steigender<br />
Steuereinnahmen der Schuldenstand in Deutschland<br />
zum Jahreswechsel einen neuen Rekordwert von<br />
1.553 Mrd. € erreicht hat. Dies sind je Einwohner im<br />
Durchschnitt ca. 18.800 € – davon ist der Bund für<br />
knapp 11.640 €, die Gesamtheit der Bundesländer für<br />
5.900 € sowie Gemeinden und Gemeindeverbände für<br />
1.450 € verantwortlich. Nachdem 2007 die öffentlichen<br />
Haushalte erstmals seit Inkrafttreten des Vertrages<br />
von Maastricht einen ausgeglichenen Gesamthaushalt<br />
(mit einem leichten Überschuss von 200 Mio. €) erzielt<br />
haben, stehen die Zeichen für <strong>2008</strong> und 2009 wieder<br />
auf Rot: Voraussichtlich bis zu 7 Mrd. € im Jahr <strong>2008</strong><br />
und ca. 5 Mrd. € im Jahr 2009 werden Bund, Länder,<br />
Gemeinden und Sozialversicherungen mehr ausgeben,<br />
als sie an regulären Steuern und Sozialbeiträgen einnehmen.<br />
Verantwortlich sind u. a. die außerplanmäßige<br />
Rentenerhöhung und der Tarifabschluss im öffentlichen<br />
Dienst.<br />
Insbesondere der Bundeshaushalt ist längst noch nicht<br />
im Lot – dies auch deshalb, weil angesichts unverändert<br />
steigender Steuereinnahmen die Ausgabenbegehrlichkeiten<br />
zunehmen. Von den rund 100 Mrd. € zusätzlichen<br />
Steuereinnahmen, mit denen der Bund auf der<br />
Grundlage des Finanzplans 2007 bis 2011 (Juli 2007)<br />
in den Jahren 2007 bis 2011 rechnet, gehen bislang<br />
rund 60 Mrd. € in den Abbau der Neuverschuldung<br />
und ca. 40 Mrd. € sind für neue Ausgabenprogramme<br />
vorgesehen (u. a. für „Hartz IV“, Entwicklungshilfe,<br />
Forschung und Bildung, Rentenversicherung und die<br />
gesetzliche Krankenversicherung). Dabei sind längst<br />
noch nicht alle Ausgabenverpflichtungen berücksichtigt;<br />
insbesondere fehlt es derzeit an der erforderlichen<br />
Gegenfinanzierung für die notwendige Umsetzung<br />
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur<br />
steuer lichen Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegebeiträgen<br />
sowie zur geplanten Anhebung des Kinderfreibetrages<br />
und des Kindergelds.<br />
Zudem unterstellt der für das Jahr 2011 vom Bundesfinanzminister<br />
angestrebte Haushaltsausgleich Privatisierungserlöse<br />
in einer Größenordnung von fast 7 Mrd. €.<br />
Damit wäre letztlich aber der Bundeshaushalt strukturell<br />
nicht ausgeglichen, da es sich bei Privatisierungserlösen<br />
um Einmaleinnahmen handelt. Jüngst hat daher das Kieler<br />
Weltwirtschaftsinstitut auf das unverändert bestehende<br />
Einsparpotenzial bei Finanzhilfen und Steuervergünstigungen<br />
hingewiesen: Deutschland gibt demnach Jahr für<br />
Jahr rund 143 Mrd. € für Subventionen aus. Statt immer<br />
neue Ausgaben auf den Weg zu bringen, sollten vielmehr
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
129<br />
die Konsolidierungsanstrengungen auf der Ausgabenseite<br />
konsequent intensiviert werden, um den Bundeshaushalt<br />
nachhaltig zu sanieren. Damit Deutschland das Ziel solider<br />
Staatsfinanzen nicht nur einmalig, sondern auch langfristig<br />
einhält, gehört die Vorgabe eines ausgeglichenen<br />
Staatshaushalts schnellstens in die Verfassung.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Föderalismusreform<br />
II“ veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
130
131<br />
Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
■ Elternzeit/Mutterschutz ■ Unternehmensethik<br />
■ CSR und CC ■ Wertevermittlung<br />
■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Elternzeit/Mutterschutz ■ Unternehmensethik<br />
■ CSR und CC ■ Chancen<br />
von Frauen in der Wirtschaft<br />
■ Wertevermittlung ■ Familienpolitik<br />
und Chancengleichheit ■ Wirtschaftsethik<br />
■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie ■ Elternzeit/Mutterschutz<br />
■ Unternehmensethik ■ CSR und CC ■ Wertevermittlung<br />
■ Familienpolitik und<br />
Chancengleichheit ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Chancen von Frauen in der Wirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie ■ Kirche und Wirtschaft ■ Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie<br />
■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie ■ Elternzeit/Mutterschutz<br />
■ Unternehmensethik ■ CSR<br />
und CC ■ Wertevermittlung ■ Familienpolitik<br />
und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und Wirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie ■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Kirche und Wirtschaft<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie ■ Elternzeit/Mutterschutz<br />
■ Unternehmensethik ■ CSR<br />
und CC ■ Wertevermittlung ■ Familienpolitik<br />
und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und Wirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie ■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und Wirtschaft<br />
■ Soziale Marktwirtschaft<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
■ Familienpolitik und Chancengleichheit<br />
■ Wirtschaftsethik ■ Kirche und<br />
Wirtschaft ■ Soziale Marktwirtschaft
132<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Soziale Marktwirtschaft –<br />
eine Frage des Vertrauens<br />
Die Soziale Marktwirtschaft, deren 60. Geburtstag<br />
wir in diesem Jahr feiern, galt in Deutschland lange<br />
Zeit als Garant für Wohlstand, Fortschritt und sozialen<br />
Ausgleich. Rückblickend können wir zweifellos feststellen,<br />
dass Deutschland mit ihr als Wirtschafts- und<br />
Gesellschaftsordnung gut und erfolgreich gefahren ist.<br />
Sie hat breiten Wohlstand ermöglicht und gleichzeitig<br />
die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher<br />
Unternehmer gesichert. Dennoch ist unsere Wirtschaftsordnung<br />
in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten<br />
und mit ihr Unternehmen, Manager und Unternehmer.<br />
Viele Menschen in Deutschland trauen der Sozialen<br />
Marktwirtschaft nicht mehr zu, die Herausforderungen<br />
einer globalisierten Welt meistern zu können.<br />
Eine rasant wachsende Mehrheit der Bundesbürger<br />
empfindet – trotz des anhaltenden Aufschwungs – die<br />
wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland als ungerecht.<br />
Diskussionen über Managergehälter und Abfindungen,<br />
Standortverlagerungen und Werkschließungen<br />
vertiefen das Misstrauen noch. Auch hat es in<br />
der jüngsten Vergangenheit einige Beispiele gegeben,<br />
die dazu beigetragen haben, das Bild der Führungseliten<br />
zu erschüttern. So stellt sich die Frage, was die<br />
Wirtschaft selbst beitragen kann, um das Vertrauen in<br />
die Unternehmer und in unsere Wirtschaftsordnung<br />
zurückzugewinnen.<br />
Im Mai wurde eine Umfrage veröffentlicht, in der gefragt<br />
wurde, wem die Deutschen vertrauen. Unter 29<br />
zur Abstimmung gestellten Gruppen, Berufen und<br />
Institutionen belegten die Manager von Großkonzernen<br />
den letzten Platz mit nur 9 % Zustimmung. Die<br />
sonstigen Führungseliten unserer Gesellschaft, etwa<br />
die Parteien, kamen auf 16 %, die Wirtschaft insgesamt<br />
auf magere 33 %. Interessanterweise bekundeten<br />
gleichzeitig 68 % der Menschen großes Vertrauen zu<br />
dem Unternehmen, in dem sie arbeiten. Während also<br />
nur ein Drittel der Wirtschaft generell vertraut, bringen<br />
doch zwei Drittel der Menschen dem eigenen Unternehmen<br />
und dem eigenen Arbeitgeber Vertrauen entgegen.<br />
Hierin liegt die große Chance, im Betrieb mit<br />
gutem Beispiel voranzugehen und durch glaubwürdiges<br />
Handeln um Vertrauen zu werben. Das Ansehen<br />
der Wirtschaft kann nur dann steigen, wenn Unternehmer<br />
selbst für gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitische<br />
Ziele offensiv einstehen und werben. So gilt es,<br />
Preis der Initiative „Freiheit und Verantwortung“:<br />
Vorbilder für vorbildliche Unternehmenskultur gesucht<br />
Die Soziale Marktwirtschaft prägt Deutschland. In ihr kommt den Unternehmen eine besondere<br />
Rolle zu. Über die Wertschöpfung und das Bereitstellen von Arbeitsplätzen hinaus bringen sich<br />
Unternehmen aktiv in die Gesellschaft ein. Deshalb haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, BDA,<br />
BDI, ZDH und DIHK, im Jahre 2000 den Preis „Freiheit und Verantwortung“ für gesellschaftliches Engagement<br />
von Unternehmen ins Leben gerufen. Ziel des gemeinsam mit der WirtschaftsWoche vergebenen Preises, der unter<br />
der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht, ist es, das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen<br />
zu fördern und beispielhafte Aktionen auszuzeichnen.<br />
Auch in diesem Jahr können sich Unternehmen wieder um diesen attraktiven Preis bewerben. Mitmachen kann,<br />
wer sich in besonderer Weise gesellschaftlich engagiert – z. B. in Jugendarbeit, in Bildung, bei der Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf oder für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Initiative vergibt den Preis „Freiheit und<br />
Verantwortung“ in den Kategorien kleine, mittlere und große Unternehmen. Die Sieger werden im Rahmen einer<br />
Festveranstaltung am 1. Dezember <strong>2008</strong> im Haus des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks in Berlin ausgezeichnet.<br />
Bewerbungsschluss ist der 15. September <strong>2008</strong>.<br />
www.freiheit-und-verantwortung.de
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
133<br />
gerade jetzt die unzähligen Beispiele guten Unternehmertums<br />
hervorzuheben und öffentlich darzustellen.<br />
Missstände müssen dagegen klar verurteilt und das<br />
Fehlverhalten Einzelner geahndet werden.<br />
Zur Frage des Verhältnisses von Wirtschaft und Ethik<br />
hat sich die BDA positioniert und den kompakt „Wirtschaftsethik“<br />
und die argumente „Wirtschaft und<br />
Ethik – kein Widerspruch!“ veröffentlicht. Beide sind<br />
über www.bda-online.de abrufbar.<br />
Kirche und Wirtschaft im Dialog<br />
Wie bereits in den vergangenen Jahren suchte die BDA<br />
den Dialog mit gesellschaftlich relevanten Akteuren.<br />
Insbesondere zu den Kirchen und den christlichen<br />
Unternehmerverbänden wurde der Kontakt gehalten.<br />
Bei Veranstaltungen der Kirchen hat sich die BDA zu<br />
Themen wie Globalisierung und Standortverlagerungen<br />
und zu bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Themen<br />
geäußert.<br />
Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt sprach auf<br />
der Tagung „Marktwirtschaft in der Legitimationskrise?<br />
Zur Diskussion um die staatliche Lohnregulierung<br />
im Höchst- und Mindestlohnbereich“ der<br />
Evangelischen Akademie in Bad Boll über „Markt – Verband<br />
– Staat: Lohnfindung zwischen Wettbewerb,<br />
Korporatismus und staatlichem Interesse“. Er nutzte<br />
die Gelegenheit, um die Bedeutung der Tarifautonomie<br />
hervorzuheben und vor den Gefahren staatlicher<br />
Lohnfestsetzung zu warnen: „Jede Form staatlicher<br />
Lohnfestsetzung – egal ob über einen allgemeinen gesetzlichen<br />
Mindestlohn oder über branchenbezogene<br />
Mindestlöhne – ist ein empfindlicher Eingriff in die Tarifautonomie.<br />
Mindestlöhne entwerten bestehende Tarifverträge<br />
und bringen das ausbalancierte Tarifsystem<br />
aus dem Gleichgewicht.“<br />
Die zentralen Positionen der BDA zu Beschäftigung und<br />
Armut vertrat BDA-Vizepräsident Dr. Gerhard F. Braun<br />
beim Evangelischen Dialog mit Politik und Wirtschaft<br />
zu Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik am 4. Juni <strong>2008</strong><br />
in Berlin. Dr. Braun hob auf dem Podium zum Thema<br />
„Armut an Leib und Seele – Arbeit für Leib und Seele“<br />
die Rolle von Bildung für die Armutsbekämpfung<br />
und die Befähigung zur Teilhabe hervor: „Arbeit ist der<br />
Schlüssel gegen Armut. Bildung und Ausbildung sind<br />
der Schlüssel, um in Beschäftigung zu kommen.“<br />
Ebenso stellte die BDA beim Forum „Menschenrechte<br />
– Schlüssel für eine gerechtere Gesellschaft?“ der<br />
Evangelischen Kirche von Westfalen im Juni ihre zentralen<br />
Botschaften zum Thema „Menschenbilder und<br />
Menschenwürde in der globalisierten Weltwirtschaft“<br />
dar: Gerade unter ethischen Gesichtspunkten dürfen<br />
die Wirkungen im Zielland nicht vernachlässigt werden.<br />
Die Globalisierung bietet eine große Chance für<br />
die weltweite Anerkennung der Menschenrechte. Der<br />
Protest gegen die Standortverlagerungen des Bochumer<br />
Nokia-Werkes nach Rumänien ging fehl: Nicht<br />
die Werksverlagerung war der Sündenfall, sondern<br />
die Entscheidung, das Werk mit Subventionen nach<br />
Deutschland zu holen. Damit sind frühere Ansiedlungen<br />
in ärmere Länder verhindert worden. Wer soziale<br />
Gerechtigkeit weltweit fordert, darf nicht gegen Standortverlagerungen<br />
in andere Länder sein.<br />
„Gelebte Unternehmensethik“ ist der Titel eines praxisnahen<br />
Forschungsprojekts des Sozialwissenschaftlichen<br />
Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),<br />
das die BDA durch die Herstellung von Kontakten zu verschiedenen<br />
Unternehmen unterstützt. Im Dialog mit betrieblichen<br />
Partnern wird der Frage nachgegangen, was<br />
Großunternehmen unter „gelebter Unternehmensethik“<br />
verstehen und wie ethische und ökonomische Handlungslogiken<br />
mitein ander vereint werden können. Darin<br />
werden Beispiele für eine aus Unternehmenssicht erfolgreiche<br />
Bearbeitung ethischer Fragen im wirtschaftlichen<br />
Alltag zusammengetragen, um die Funktionsweise und<br />
die Rahmenbedingungen dieser Lösungen zu diskutieren.<br />
Ziel ist es, ein aussagekräftiges Bild davon zu entwickeln,<br />
unter welchen Bedingungen Ethik auch im Alltag<br />
komplexer Organisations- und Entscheidungsstrukturen<br />
erfolgreich mit Leben gefüllt werden kann. Eine Tagung<br />
und eine Veröffentlichung werden die gewonnenen Erkenntnisse<br />
im nächsten Jahr zusammenfassen.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Kirche<br />
und Wirtschaft“ veröffentlicht. Er ist unter www.bdaonline.de<br />
abrufbar.
134<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
46. Kolloquium der Walter-<br />
Raymond-Stiftung<br />
„Perspektiven für eine moderne Arbeitsmarktordnung“<br />
– unter diesem Leitmotto stand das 46. Kolloquium<br />
der Walter-Raymond-Stiftung. Mehr als<br />
100 Repräsentanten aus Wissenschaft, Wirtschaft und<br />
Politik diskutierten am 30. und 31. März <strong>2008</strong> u. a.<br />
mit BDA-Präsident Dr. Dieter Hundt, dem Vorsitzenden<br />
von Südwestmetall Dr. Jan Stefan Roell, Bundesverfassungsrichter<br />
Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio sowie<br />
dem Vorstandsmitglied der Allianz Deutschland AG<br />
Ulrich Schumacher. Ausgangspunkt des Diskurses war<br />
die Feststellung, dass die Globalisierung durch den<br />
verschärften weltweiten Standortwettbewerb auch unweigerlich<br />
die nationalen Arbeitsmarktordnungen unter<br />
Wettbewerbsdruck stellt. Intensiv wurde darüber<br />
beraten, wie viel und welchen Arbeitnehmerschutz<br />
eine Volkswirtschaft benötigt, damit unternehmerische<br />
Freiheiten erhalten bleiben bzw. geschaffen werden<br />
und sich zugleich die Wirtschaft im Interesse eines<br />
hohen Beschäftigungsniveaus dynamisch entwickeln<br />
kann. Hierbei kommt es u. a. darauf an, die Regelungen<br />
des Arbeitsrechts so zu gestalten, dass letztlich die<br />
Beschäftigung nachhaltig wächst. Die Ergebnisse und<br />
Vorträge des Kolloquiums liegen im Band 48 der Großen<br />
Reihe der Walter-Raymond-Stiftung vor.<br />
Stärkere Erwerbsbeteiligung<br />
von Frauen<br />
Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft konnten<br />
mit der Bundesregierung zum nunmehr dritten Mal<br />
die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der<br />
Privatwirtschaft bilanzieren. Besonders erfreulich ist<br />
der steigende Bildungsgrad von Mädchen und Frauen.<br />
Mittlerweile absolvieren sogar mehr Frauen als Männer<br />
das Abitur. Bei den Studienabschlüssen liegen Frauen<br />
und Männer gleichauf. Hier werden die Grundlagen<br />
für den beruflichen Erfolg und spätere Führungspositionen<br />
gelegt.<br />
Auch das Berufswahlspektrum junger Frauen hat sich<br />
erweitert; hierfür wirbt die BDA u. a. auch im Rahmen<br />
des Girls’ Day. So stieg der Anteil studierender Frauen<br />
um rund die Hälfte in den Fächern Elektrotechnik auf<br />
8 % und Maschinenbau auf 17 %. Auch die Situation im<br />
Handwerk verbessert sich. Hier holen Frauen fast überall<br />
auf: 2006 gingen die Meisterbriefe zu knapp einem<br />
Fünftel an Frauen. Der Frauenanteil bei den Selbstständigen<br />
ist in den letzten Jahren kontinuierlich und schneller<br />
als bei Männern gestiegen.<br />
Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der allgemeinen<br />
Entwicklung der Frauenerwerbstätigenquote in<br />
Deutschland. So wurde schon 2006 mit einer Frauenerwerbstätigenquote<br />
von über 62 % ein wesentliches<br />
Lissabon-Kriterium vorzeitig übertroffen. Bis 2007 stieg<br />
die Frauenerwerbstätigenquote nochmals auf 64 %.<br />
EU-weit befindet sich Deutschland damit im oberen<br />
Mittelfeld.<br />
Lohnunterschiede bei Frauen und Männern werden in<br />
diesen Tagen verstärkt und oftmals auf zweifelhafter<br />
Grundlage diskutiert. Die BDA hat im März <strong>2008</strong> mit<br />
dem Positionspapier zur Entgeltgleichheit „Ursachen<br />
für Lohnunterschiede angehen“ versucht, die Debatte<br />
zu versachlichen und die vielfältigen objektiven Gründe<br />
für die unterschiedlichen Einkommen von Männern<br />
und Frauen herauszuarbeiten. Tatsächlich erweist sich<br />
der Vorwurf, die bestehenden Lohnunterschiede von<br />
Männern und Frauen seien Ausdruck von Diskriminierung,<br />
als nicht haltbar. Wissenschaftliche Studien<br />
haben ergeben, dass Frauen vor allem aus folgenden<br />
Gründen weniger als Männer verdienen: Aufgrund<br />
deutlich häufigerer familiär bedingter Berufsunterbrechungen,<br />
ihres engen und oftmals auf schlecht bezahlte<br />
Tätigkeiten konzentrierten Berufswahlspektrums und<br />
geringerer Wochenarbeitszeiten dringen sie immer<br />
noch zu wenig in höher bezahlte Arbeitsplätze und<br />
Führungspositionen vor. Der negative Einfluss längerer<br />
Berufsunterbrechungen auf die Lohn- und Gehaltsentwicklung<br />
ist belegt: So ist z. B. festgestellt worden,<br />
dass bei familienbedingten Auszeiten, die geringer als<br />
ein Jahr sind, die Lohndifferenz nur bei 6 % liegt, bei<br />
Frauen mit einer Auszeit von mehr als drei Jahren hingegen<br />
bei 14 %. Darüber hinaus sind nur 24 % der<br />
erwerbstätigen Mütter vollzeitbeschäftigt, was Aufstiegs-<br />
und Karrierechancen zwangsläufig mindert und<br />
damit erheblichen Einfluss auf den durchschnittlichen<br />
Lohn nimmt. Statt vermeintliche Diskriminierung zu<br />
beklagen, muss daher sehr viel mehr an den Ursachen<br />
der nach wie vor vorhandenen Lohnunterschiede von
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
135<br />
Frauen und Männern angesetzt werden. Insbesondere<br />
gilt es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu<br />
verbessern, damit möglichst viele junge Mütter wieder<br />
frühzeitig an den Arbeitsplatz zurückkehren können<br />
und gar nicht erst Gefahr laufen, durch eine längere<br />
Auszeit das eigene berufliche Vorankommen und damit<br />
die Verdienstperspektiven zu verzögern. Deshalb<br />
ist das von der Bundesregierung beschlossene Kinderförderungsgesetz<br />
(KiföG), mit dem entsprechend langjährigen<br />
Forderungen der BDA der Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten<br />
vorangetrieben wird, zu<br />
begrüßen. Ganz besonders wichtig ist vor allem auch<br />
der Ausbau von Ganztagsbetreuungsangeboten, und<br />
zwar nicht nur im Bereich der Kinderbetreuung, sondern<br />
auch bei den Schulen. Das nach wie vor dürftige<br />
Angebot in diesem Bereich hat maßgeblich die im internationalen<br />
Vergleich extrem hohe Teilzeitquote von<br />
Frauen verursacht. Mehr Ganztagsbetreuung ist daher<br />
eine wichtige Voraussetzung für mehr Vollzeittätigkeit<br />
von Frauen und damit die Angleichung an die Verdienste<br />
von Männern.<br />
Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Chancengleichheit<br />
von Frauen und Männern“ und den<br />
kompakt „Familienpolitik“ veröffentlicht. Diese sind<br />
über www.bda-online.de abrufbar.
136
137<br />
Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos<br />
PRESSE- ■ Internet<br />
UND<br />
■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-<br />
Ton ÖFFENTLICHKEITSARBEIT<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos ■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-<br />
Ton ■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos ■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-<br />
Ton ■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos ■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-<br />
Ton ■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-Ton<br />
■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag<br />
■ Fotos ■ Internet ■ Reden ■ Presseinformation<br />
■ Newsletter ■ Statements ■ O-<br />
Ton ■ Pressegespräch ■ Pressekonferenz<br />
■ Hintergrund ■ Öffentlichkeitsarbeit<br />
■ Medien ■ Pressespiegel ■ Interview ■ Aktualität<br />
■ Deutscher Arbeitgebertag
138<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
Seriöse Schlagzeilen für die<br />
Modernisierung Deutschlands<br />
Die BDA hat sich auch in der Öffentlichkeit mit Nachdruck<br />
gegen den allgemeinen Linksruck gestemmt und<br />
entscheidend dazu beigetragen, die Entlastung von<br />
Steuern und Abgaben wieder auf die politische Agenda<br />
zu setzen.<br />
Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der BDA bewegt<br />
sich derzeit in einem äußerst bemerkenswerten Umfeld:<br />
Während Deutschland einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung<br />
erlebt und die Unternehmen weit über 1 Mio.<br />
neue Arbeitsplätze schaffen, zeichnet die Politik vielfach<br />
ein düsteres Bild der Lage und verbindet dies mit<br />
der Forderung nach weiteren sozialen Wohltaten. Die<br />
BDA hat sich dem allgemeinen Linksruck mit Nachdruck<br />
entgegengestellt und die Positionen der Arbeitgeber<br />
immer wieder in die Öffentlichkeit getragen. Der<br />
Erfolg ist augenfällig: Inzwischen steht die Senkung<br />
der Steuer- und Abgabenlast wieder ganz oben auf der<br />
politischen Agenda. Die Vertrauenskrise der Sozialen<br />
Marktwirtschaft werden wir nur dann überwinden,<br />
wenn wir die Öffentlichkeit von der Leistungsfähigkeit<br />
dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung überzeugen.<br />
Auch dies ist ein zentrales Anliegen der Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit der BDA.<br />
Repertoire. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wurde<br />
verstärkt: Insgesamt hat die BDA im ersten Halbjahr <strong>2008</strong><br />
über 50 Presseerklärungen veröffentlicht und sich mit<br />
zahlreichen Interviews, Stellungnahmen und Pressekonferenzen<br />
an die breite Öffentlichkeit gewandt.<br />
Renten-Erhöhung kommt uns noch<br />
teuer zu stehen<br />
Kritik von Politikern und Wirtschafts-Experten<br />
Bild, 18. März <strong>2008</strong><br />
Intern setzt die BDA auf einen regelmäßigen und engen<br />
Kontakt mit den Pressestellen der Mitgliedsverbände.<br />
Neben dem informellen Austausch ist vor allem der „Arbeitskreis<br />
der Pressesprecher“ hervorzuheben, der sich<br />
inzwischen als fester Bestandteil der Kommunikation<br />
etabliert hat. Er bietet den Pressesprechern von BDA und<br />
Mitgliedsverbänden die Möglichkeit zum direkten Dialog<br />
und zur internen Vernetzung. Darüber hinaus werden die<br />
Treffen zum Gedankenaustausch mit renommierten Journalisten<br />
genutzt. Im Jahr <strong>2008</strong> war z. B. Steffen Range von<br />
WELT ONLINE zu Gast, der seine aktuelle Studie „Klicks,<br />
Quoten, Reizwörter: Nachrichtensites im Internet“ präsentierte<br />
und den Teilnehmern einen äußerst erhellenden<br />
Einblick in den Online-Journalismus gab.<br />
„Wir können den Mindestlohn<br />
noch stoppen“<br />
Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt fordert<br />
Reformen für höhere Nettolöhne – Wirtschaft<br />
will Jobverlust zum Thema machen<br />
Stuttgarter Zeitung, 21. Februar <strong>2008</strong><br />
Die BDA setzt in ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
auf Service und Seriosität. Wir pflegen zu allen relevanten<br />
Medien einen ausgezeichneten Kontakt, der auf<br />
gegenseitigem Respekt und ständiger Gesprächsbereitschaft<br />
basiert. Unser konkretes Angebot reicht dabei von<br />
aktuellen Statements über Interviews bis hin zu tiefgehenden<br />
Hintergrundinformationen. Wolkige Worte oder<br />
überzogene Schlagzeilen gehören dagegen nicht zum<br />
Schlagzeilen: Rente<br />
und Entlastung<br />
Die mediale Auseinandersetzung hat sich im ersten Halbjahr<br />
<strong>2008</strong> wesentlich um den Vorwurf angeblicher sozialer<br />
Ungerechtigkeiten gedreht. Im Mittelpunkt der Debatten<br />
standen der gesetzliche Mindestlohn (siehe unten),<br />
die Extra-Rentenerhöhung und der allgemeine Linksruck<br />
der Politik. Insbesondere die außerplanmäßige Rentenerhöhung<br />
wurde von der BDA öffentlich als Täuschungsmanöver<br />
entlarvt: Statt die Botschaft vom warmen Geldregen<br />
für die Rentner zu verbreiten, thematisierten die<br />
Medien die hohen Kosten der Entscheidung und ihre negativen<br />
Auswirkungen für das Rentensystem. Als Wahlgeschenk<br />
gedacht, entpuppte sich die Rentenerhöhung<br />
letztlich als politischer Rohrkrepierer.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
139<br />
Arbeitgeber wollen niedrige Beiträge<br />
erzwingen<br />
Arbeitslosenversicherung soll nur noch<br />
2,7 Prozent kosten – Hundt droht Steinbrück<br />
mit Verfassungsklage<br />
Die Welt, 2. Juni <strong>2008</strong><br />
Im Gegenzug forcierte die BDA eine öffentliche Debatte<br />
über die Senkung der Steuer- und Abgabenlast. Viel Aufmerksamkeit<br />
erzielte die Ankündigung einer Klage in<br />
Karlsruhe gegen den Eingliederungsbeitrag, mit der eine<br />
weitere Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung<br />
erzwungen werden soll. Die Wende in der medialen<br />
Auseinandersetzung kann nicht hoch genug eingeschätzt<br />
werden: Statt ausschließlich über vermeintliche<br />
soziale Wohltaten zu diskutieren, steht nun wieder das<br />
Thema „Entlastung“ auf der Agenda.<br />
Kampagne „Mindestlohn<br />
macht arbeitslos“<br />
Auf die sich verschärfende Mindestlohndebatte hat die<br />
BDA im Januar <strong>2008</strong> mit dem Start der Kampagne „Mindestlohn<br />
macht arbeitslos“ reagiert. Die Kampagne war<br />
von Anfang an auf zwei Phasen angelegt. In der ersten<br />
Phase hat die BDA durch intensives Lobbying gepaart<br />
mit einer gezielten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
über die verheerenden Folgen der ersten Entwürfe aufgeklärt.<br />
Zielgruppen waren vor allem die politischen<br />
Entscheidungsträger, die eigenen Mitglieder und die<br />
Hundt: „Niemand, der arbeitet,<br />
muss in Armut leben“<br />
Die Welt, 2. Mai <strong>2008</strong>
140<br />
vorwort<br />
Arbeitsmarkt<br />
ArbeitsrechT<br />
Tarifpolitik<br />
Soziale sicherung<br />
medialen Multiplikatoren. Der BDA ist es damit gelungen,<br />
die drohenden Folgen gesetzlicher Mindestlöhne<br />
wirkungsvoll in die Öffentlichkeit zu transportieren und<br />
die Politik bereits vor Vorlage des Kabinettsentwurfs zu<br />
Zugeständnissen bei den Plänen zur Einführung gesetzlicher<br />
Mindestlöhne zu bringen. Wesentliche Giftzähne<br />
konnten aus den Entwürfen entfernt werden. In der<br />
zweiten Phase, die nach Veröffentlichung des Kabinettsentwurfs<br />
einsetzt, geht es nunmehr darum, die verbliebenen<br />
schädlichen Regelungen noch zu korrigieren.<br />
Dazu werden alle Mittel der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
sowie des Lobbyings weiterhin eingesetzt.<br />
BDA-Informationsdienste<br />
zur MindestlohnDebatte<br />
kompakt:<br />
•Mindestlohn<br />
•Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
•Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />
•Arbeitslosengeld II<br />
•Kombi-Einkommen<br />
•Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen<br />
Arbeitgeber wollen Regierung verklagen<br />
Große Koalition soll Arbeitslosen-Beiträge noch im<br />
Sommer senken. Interview mit Arbeitgeberpräsident<br />
Hundt<br />
argumente:<br />
•Arbeitsplätze statt Mindestlohn<br />
•Mindesteinkommen statt Mindestlohn<br />
•Tarifautonomie – Säule der Sozialen Marktwirtschaft<br />
•Mindestlohn<br />
– vom Ausland lernen<br />
Bild am Sonntag, 1. Juni <strong>2008</strong><br />
Die Kampagnenhomepage www.mindestlohn-macht-arbeitslos.de<br />
unterrichtet aktuell über den Stand der Dinge<br />
und verzeichnet täglich bis zu 13.000 Klicks. Sie wird<br />
inzwischen von allen Seiten als die zentrale Plattform<br />
der Mindestlohnkritiker angesehen. Auf der Homepage<br />
werden systematisch alle Informationen rund um die<br />
Gesetzentwürfe gesammelt und aufbereitet. Hier finden<br />
sich Videos, Grafiken, Zeitungskommentare und vieles<br />
mehr. Die Broschüre „Tarifautonomie statt Mindestlohn“<br />
informiert Politik, Medien und Öffentlichkeit in verständlicher<br />
Form über die Gefahren gesetzlicher Mindestlöhne.<br />
Die ersten beiden Auflagen waren bereits innerhalb<br />
weniger Tage vergriffen. Mehrere laufend aktualisierte<br />
Ausgaben der BDA-Informationsdienste argumente und<br />
kompakt liefern wertvolle Hintergrundinformationen.<br />
Das unter der Sonderrufnummer 030 2033-1919 erreichbare<br />
Kampagnenbüro der BDA beantwortet Fragen<br />
rund um den Mindestlohn und gibt weiter gehende<br />
Auskünfte.
Bildung, berufliche bildung<br />
europäische und internationale sozialpolitik<br />
volkswirtschaft und finanzen<br />
gesellschaftspolitik<br />
presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
141<br />
Pressestimmen:<br />
Eigene Medien ergänzen<br />
die Kommunikation<br />
Financial Times Deutschland, 18. April <strong>2008</strong><br />
„Es ist zum Heulen. Um einer kurzfristigen wahltaktischen<br />
Wohltat willen setzt die Bundesregierung<br />
eines der wenigen gelungenen Reformvorhaben der<br />
letzten Jahre aufs Spiel. Der jetzige willkürliche Eingriff<br />
in die Rentenformel ist ein Dammbruch.“<br />
Süddeutsche Zeitung, 9. April <strong>2008</strong><br />
„Das perfekte Geschenk ist eins, über das sich der<br />
Beschenkte und der Schenkende freuen. (…) So betrachtet,<br />
ist die von der Bundesregierung beschlossene<br />
Rentenerhöhung als Wahlgeschenk ein totaler<br />
Reinfall. Sie ist ein wertloses Präsent.“<br />
Südwest-Presse, 2. Juni <strong>2008</strong><br />
Die Kommunikation der BDA setzt vor allem auf die<br />
Berichterstattung in Presse, Hörfunk und Fernsehen.<br />
Dennoch werden nach wie vor auch eigene Publikationen<br />
und Medien genutzt, um die Positionen der<br />
Arbeitgeber einem breiteren Publikum zugänglich zu<br />
machen. Insbesondere die Internetseite www.bda-online.de<br />
ist ein beliebtes Informationsangebot. Die Seite<br />
bietet aktuelle Nachrichten und Positionen der Arbeitgeber<br />
sowie eine große Fülle an vertiefenden Hintergrundinformationen<br />
zu den BDA-Themen. Besonders<br />
gefragt ist die Reihe kompakt, die jeweils auf zwei Seiten<br />
einen schnellen und zuverlässigen Einstieg in die<br />
verschiedenen Sachthemen bietet. Insgesamt wurden<br />
im ersten Halbjahr <strong>2008</strong> weit über 12 Mio. Zugriffe auf<br />
die BDA-Homepage registriert, was rund 65.000 Zugriffen<br />
pro Tag entspricht.<br />
„Äußerst scharf fällt die Kritik des Arbeitgeberpräsidenten<br />
Dieter Hundt aus. Dass er mit einer Verfassungsklage<br />
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung<br />
senken will und der Bundesregierung droht,<br />
zeigt seinen angestauten Brass über die große Koalition.<br />
Die hat den Reformprozess gänzlich aus<br />
den Augen verloren und ergeht sich – mit Blick auf<br />
die Bundestagswahl 2009 – schon seit Wochen in<br />
Machtspielen.“<br />
Die Welt, 2. Juni <strong>2008</strong><br />
„Im Kampf um die Milliarden der Bundesagentur für<br />
Arbeit holen die Arbeitgeber jetzt den juristischen<br />
Knüppel heraus. Und die Chancen für einen Erfolg<br />
vor Gericht stehen gut.“<br />
Über die Internetseite haben Nutzer auch die Möglichkeit,<br />
sich mit ihren Anliegen, Fragen und Kommentaren<br />
direkt an die BDA zu wenden. Dieser Service wird gerade<br />
von jungen Menschen gerne in Anspruch genommen.<br />
Die BDA nimmt Zuschriften sehr ernst und legt<br />
großen Wert darauf, jede seriöse Anfrage so schnell wie<br />
möglich zu beantworten.<br />
Abgerundet wird das Angebot durch die Informationsdienste<br />
„BDA Newsletter“, „Euro-Info“ und „Arbeitgeber“.<br />
Die beiden erstgenannten Angebote werden per<br />
Mail verschickt und können von Interessenten kostenfrei<br />
über die Internetseite abonniert werden. In der<br />
Zeitschrift PERSONAL ist die BDA mit der vierseitigen<br />
Beilage „Arbeitgeber – das BDA-Spezial zur unternehmerischen<br />
Sozialpolitik“ vertreten. Sie versorgt die Leser<br />
regelmäßig mit tiefergehenden Hintergrundinformationen<br />
und aktuellen politischen Analysen. Die monatlich<br />
erscheinende Zeitschrift PERSONAL ist dabei ein guter<br />
Partner und kann von Interessenten abonniert werden.<br />
Weitere Informationen finden sich im Internet unter<br />
www.personal-im-web.de.
Impressum<br />
Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
im Haus der Deutschen Wirtschaft<br />
Breite Straße 29<br />
10178 Berlin<br />
Tel. +49 30 2033-1020<br />
Fax +49 30 2033-1025<br />
www.bda-online.de<br />
info@bda-online.de<br />
Stand: 30. Juni <strong>2008</strong><br />
Fotografie<br />
Stefan Obermeier<br />
www.stefanobermeier.de<br />
Seite 3, 20, 105, 122, 126, 129<br />
Thomas Köhler<br />
www.photothek.net<br />
Seite 16, 29, 33, 71, 75, 115, 135, 139<br />
Sascha Nolte<br />
www.noltepicture.de<br />
Seite 140<br />
Christian Kruppa<br />
www.christiankruppa.de<br />
Seite 13, 60, 66, 79, 81, 87, 94<br />
Christian Lietzmann<br />
www.christian-lietzmann.com<br />
Seite 11, 91<br />
Konzeption und Gestaltung<br />
ariadne & wolf GmbH<br />
www.ariadneundwolf.de
www.BDA-online.de