Geschäftsbericht 2008

07.05.2015 Aufrufe

Tarifautonomie ausgehen. Mitte Juni wurden vom Bundesarbeitsminister neue Gesetzentwürfe vorgelegt, die in einigen Punkten Nachbesserungen enthielten. So soll z. B. die regionale Anwendung der Gesetze und damit die Möglichkeit der flächendeckenden Lohnfestsetzung in allen Branchen entfallen. Die Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes soll auf Mindestentgelte beschränkt werden und nicht mehr alle Arbeitsbedingungen umfassen. Unverändert enthielten beide Gesetzentwürfe allerdings die Ermächtigung, tarifvertragliche Regelungen auszuschalten. Sie ermöglichen damit weiterhin einen Eingriff in die Tarifautonomie. Dies konnte mittels zweier Rechtsgutachten verdeutlicht werden, die im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Die Bundesregierung verabschiedete schließlich am 16. Juli 2008 die Regierungsentwürfe zum Entsendegesetz und zur Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes und leitete damit das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ein. Die Regierungsentwürfe enthalten noch weitere, kleine Verbesserungen, wie z. B. einen begrenzten Tarifvorbehalt beim Mindestarbeitsbedingungengesetz. Dieser soll zumindest für die Tarifverträge erhalten bleiben, die zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses am 16. Juli 2008 bereits in Kraft waren, sowie deren unmittelbare Folgetarifverträge. Nach dem geltenden Mindestarbeitsbedingungengesetz haben Tarifverträge immer Vorrang vor einer staatlichen Lohnfestsetzung. Dies ist keine Wohltat des Gesetzgebers, sondern verfassungsrechtlich unverzichtbar zum Schutz der Tarifautonomie. Dieser Tarifvorrang soll nun durch die Ermächtigung begrenzt werden, Tarifverträge durch staatliche Eingriffe außer Kraft setzen zu können. Entsprechend der Übergangsregelung sollen lediglich Tarifverträge, die bereits am 16. Juli 2008 – dem Tag des Kabinettsbeschlusses – in Kraft waren, bzw. unmittelbare Folgetarifverträge staatlich festgesetzten Mindestentgelten vorgehen. Wir setzen uns demgegenüber für einen klaren, uneingeschränkten Tarifvorrang ein. Unnötig und damit abzulehnen ist auch die Umgestaltung des bestehenden Entsendegesetzes zu einem Gesetz zur staatlichen Lohnfestsetzung. Mit dem Regierungsentwurf soll gerade jene Regelung im Entsendegesetz gestrichen werden, deretwegen das Berliner Verwaltungsgericht am 7. März 2008 die Post-Mindestlohnverordnung für rechtswidrig erklärt hat. So sieht der neue Entwurf die Ermächtigung zur Erstreckung auch auf anders Tarifgebundene vor. Dagegen beschränkt sich der Wortlaut des geltenden Gesetzes darauf, mit den Rechtsnormen eines Tarifvertrages nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erfassen. Mit der geplanten Änderung wird die Voraussetzung für eine Reparatur der Post-Mindestlohnverordnung geschaffen, durch welche bereits tausende Arbeitsplätze vernichtet wurden. Mit der geplanten Regelung zur Tarifkonkurrenz, wonach bei mehreren Tarifverträgen in einer Branche die Repräsentativität dafür ausschlaggebend sein soll, ob ein Tarifvertrag zwangsweise erstreckt wird, zielt der Gesetzentwurf klar auf die Schwächung kleiner Gewerkschaften. Die Erstreckung eines für repräsentativ erachteten Tarifvertrages auf die gesamte Branche hätte das Ende konkurrierender Tarifverträge zur Folge. Dies wäre eine verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Ermächtigung zur staatlichen Zensur von Tarifverträgen. Voraussetzungen für die Aufnahme weiterer Branchen fehlen Gemäß dem Koalitionskompromiss hatten bis zum 31. März 2008 die Tarifvertragsparteien der Branchen die Möglichkeit, ihr Interesse an einer Aufnahme in das Entsendegesetz anzumelden. Es überraschte nicht, dass sich zu diesem Termin letztlich nur acht überwiegend kleinere Branchen bzw. Teilbranchen beim BMAS gemeldet hatten. Und von diesen acht Branchen, über deren Aufnahme parallel zum Gesetzgebungsverfahren in einer Arbeitsgruppe von CDU/CSU und SPD beraten wird, erfüllt derzeit keine die Voraussetzungen für die Aufnahme. Insbesondere die Aufnahme der Zeitarbeit scheidet wegen konkurrierender Tarifverträge in der Branche aus. Zudem finden fast flächendeckend Tarifverträge Anwendung, so dass nicht von sozialen Verwerfungen ausgegangen werden kann. Bei den meisten anderen Bran- BDA | Geschäftsbericht 2008 | Tarifpolitik 83

Zeitarbeiter: Viele bleiben im Kundenbetrieb So viel Prozent der Zeitarbeitnehmer, die ihr ehemaliges Zeitarbeitsunternehmen verlassen haben, sind jetzt … Prozent 30 25 24,3 21,9 20 15 15,1 10 6,4 5 3,1 0 beim letzten Kundenunternehmen bei einem anderen Arbeitgeber erwerbslos bei einem anderen Zeitarbeitsunternehmen in Rente, Mutterschutz, Studium etc. Befragung von 210 Zeitarbeitsunternehmen im Januar 2008, Rest zu 100: keine Informationen Quelle: IW-Zeitarbeitsindex (BZA); Darstellung: BDA 84 BDA | Geschäftsbericht 2008 | Tarifpolitik

Tarifautonomie ausgehen. Mitte Juni wurden vom<br />

Bundesarbeitsminister neue Gesetzentwürfe vorgelegt,<br />

die in einigen Punkten Nachbesserungen<br />

enthielten.<br />

So soll z. B. die regionale Anwendung der<br />

Gesetze und damit die Möglichkeit der flächendeckenden<br />

Lohnfestsetzung in allen Branchen<br />

entfallen. Die Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />

soll auf Mindestentgelte<br />

beschränkt werden und nicht mehr alle Arbeitsbedingungen<br />

umfassen. Unverändert enthielten<br />

beide Gesetzentwürfe allerdings die Ermächtigung,<br />

tarifvertragliche Regelungen auszuschalten.<br />

Sie ermöglichen damit weiterhin einen Eingriff<br />

in die Tarifautonomie. Dies konnte mittels zweier<br />

Rechtsgutachten verdeutlicht werden, die im<br />

Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit<br />

vorgestellt wurden.<br />

Die Bundesregierung verabschiedete schließlich<br />

am 16. Juli <strong>2008</strong> die Regierungsentwürfe zum<br />

Entsendegesetz und zur Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes<br />

und leitete damit das<br />

parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ein.<br />

Die Regierungsentwürfe enthalten noch weitere,<br />

kleine Verbesserungen, wie z. B. einen begrenzten<br />

Tarifvorbehalt beim Mindestarbeitsbedingungengesetz.<br />

Dieser soll zumindest für die Tarifverträge<br />

erhalten bleiben, die zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses<br />

am 16. Juli <strong>2008</strong> bereits in Kraft waren,<br />

sowie deren unmittelbare Folgetarifverträge.<br />

Nach dem geltenden Mindestarbeitsbedingungengesetz<br />

haben Tarifverträge immer Vorrang<br />

vor einer staatlichen Lohnfestsetzung. Dies ist<br />

keine Wohltat des Gesetzgebers, sondern verfassungsrechtlich<br />

unverzichtbar zum Schutz der<br />

Tarifautonomie. Dieser Tarifvorrang soll nun durch<br />

die Ermächtigung begrenzt werden, Tarifverträge<br />

durch staatliche Eingriffe außer Kraft setzen<br />

zu können. Entsprechend der Übergangsregelung<br />

sollen lediglich Tarifverträge, die bereits am<br />

16. Juli <strong>2008</strong> – dem Tag des Kabinettsbeschlusses –<br />

in Kraft waren, bzw. unmittelbare Folgetarifverträge<br />

staatlich festgesetzten Mindestentgelten vorgehen.<br />

Wir setzen uns demgegenüber für einen<br />

klaren, uneingeschränkten Tarifvorrang ein.<br />

Unnötig und damit abzulehnen ist auch die<br />

Umgestaltung des bestehenden Entsendegesetzes<br />

zu einem Gesetz zur staatlichen Lohnfestsetzung.<br />

Mit dem Regierungsentwurf soll gerade<br />

jene Regelung im Entsendegesetz gestrichen werden,<br />

deretwegen das Berliner Verwaltungsgericht<br />

am 7. März <strong>2008</strong> die Post-Mindestlohnverordnung<br />

für rechtswidrig erklärt hat.<br />

So sieht der neue Entwurf die Ermächtigung<br />

zur Erstreckung auch auf anders Tarifgebundene<br />

vor. Dagegen beschränkt sich der Wortlaut<br />

des geltenden Gesetzes darauf, mit den Rechtsnormen<br />

eines Tarifvertrages nicht tarifgebundene<br />

Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erfassen. Mit<br />

der geplanten Änderung wird die Voraussetzung<br />

für eine Reparatur der Post-Mindestlohnverordnung<br />

geschaffen, durch welche bereits tausende<br />

Arbeitsplätze vernichtet wurden.<br />

Mit der geplanten Regelung zur Tarifkonkurrenz,<br />

wonach bei mehreren Tarifverträgen in einer<br />

Branche die Repräsentativität dafür ausschlaggebend<br />

sein soll, ob ein Tarifvertrag zwangsweise<br />

erstreckt wird, zielt der Gesetzentwurf klar auf die<br />

Schwächung kleiner Gewerkschaften. Die Erstreckung<br />

eines für repräsentativ erachteten Tarifvertrages<br />

auf die gesamte Branche hätte das Ende konkurrierender<br />

Tarifverträge zur Folge. Dies wäre eine<br />

verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Ermächtigung<br />

zur staatlichen Zensur von Tarifverträgen.<br />

Voraussetzungen für die Aufnahme<br />

weiterer Branchen fehlen<br />

Gemäß dem Koalitionskompromiss hatten bis<br />

zum 31. März <strong>2008</strong> die Tarifvertragsparteien der<br />

Branchen die Möglichkeit, ihr Interesse an einer<br />

Aufnahme in das Entsendegesetz anzumelden.<br />

Es überraschte nicht, dass sich zu diesem Termin<br />

letztlich nur acht überwiegend kleinere Branchen<br />

bzw. Teilbranchen beim BMAS gemeldet hatten.<br />

Und von diesen acht Branchen, über deren Aufnahme<br />

parallel zum Gesetzgebungsverfahren in<br />

einer Arbeitsgruppe von CDU/CSU und SPD beraten<br />

wird, erfüllt derzeit keine die Voraussetzungen<br />

für die Aufnahme. Insbesondere die Aufnahme<br />

der Zeitarbeit scheidet wegen konkurrierender<br />

Tarifverträge in der Branche aus. Zudem finden<br />

fast flächendeckend Tarifverträge Anwendung, so<br />

dass nicht von sozialen Verwerfungen ausgegangen<br />

werden kann. Bei den meisten anderen Bran-<br />

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