Geschäftsbericht 2008

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Die am 14. August 2008 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlichten Einschätzungen, die die Kosten infolge der Umsetzung des AGG lediglich mit einer Höhe von 26 Mio. € in Ansatz bringen, haben sich als unseriöser Schnellschuss erwiesen. Mittlerweile räumt selbst Prof. Dr. Priddat, Mitglied der wissenschaftlichen Kommission der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ein, dass er – ohne eigene Daten zu erheben – die in der Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bei 501 Unternehmen ermittelten Belastungen in Höhe von 26 Mio. € nicht auf die gesamte deutsche Volkswirtschaft hochgerechnet hat. Das ist politischer Aktionismus, der unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit immer neue Belastungen für die Wirtschaft schafft. Die Arbeitsgerichte werden zunehmend durch Klagen wegen Verstößen gegen das AGG belastet. Der Vorsitzende des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit sagte bei der Delegiertenversammlung am 9. Oktober 2008 in Rostock, dass dabei Klagen von sog. AGG-Hoppern, die sich hundertfach auf Stellen bewerben und dann die Firmen bei Ablehnung verklagen, auffallend seien. AGG-Hopper würden sich gezielt auf solche Annoncen bewerben, die Differenzierungen vornehmen, und dann auf Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern klagen. Die Rechtsprechung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zeigt die Richtigkeit der allgemeinen Kritik am AGG. Allein durch einzelne Entscheidungen von Arbeitsgerichten wird deutlich, dass enorme Rechtsunsicherheit nicht nur bei den Unternehmen besteht. Sogar die Zulässigkeit der so wichtigen Bildung von Altersgruppen im Rahmen einer Sozialauswahl wird angezweifelt. Erfreulicherweise hat sich das Bundesarbeitsgericht in der Rechtssache „Karmann“ mit Urteil vom 6. November 2008 (2 AZR 701/07) zur Altersgruppenbildung bekannt. Die aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. November 2008 zeigt hingegen, mit welch weit reichenden Konsequenzen Unternehmen infolge der Beweislastumkehr rechnen müssen. Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, dass eine Statistik über die Geschlechtsverteilung auf den einzelnen Hierarchieebenen bereits als Indiz für eine Geschlechtsdiskriminierung bei der Beförderung herangezogen werden kann. Als Schadensersatz hat das Landesarbeitsgericht die Vergütungsdifferenz zu derjenigen Position, und zwar auch unbegrenzt für die Zukunft, zugesprochen, in die die Klägerin nicht befördert worden war. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht der Klägerin wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine Entschädigung wegen immateriellen Schadens in Höhe von 20.000 € zugesprochen. Noch deutlicher werden die möglichen Gefahren des unbegrenzten Schadensersatzes in einem Rechtsstreit gegen die R+V-Versicherung. Die Klägerin macht einen Schadensersatz in Höhe von annähernd 500.000 € geltend. Auf nationaler wie europäischer Ebene besteht daher Handlungsbedarf. Die Bundesregierung ist aufgefordert, endlich aus der derzeitigen Rechtsprechung Konsequenzen zu ziehen. Wie die aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zeigt, führt die faktische Beweislastumkehr des § 22 AGG zu abstrusen Ergebnissen. Ebenso ist die Beschränkung der Höhe des Schadensersatzes entsprechend dem Rechtsgedanken des § 628 Abs. 2 BGB bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist für eine ordentliche Kündigung klarzustellen, um eine Ausweitung ins Uferlose zu verhindern, die fatale nicht kalkulierbare finanzielle Folgen für Arbeitgeber hätte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) als oberstes Gericht der Gemeinschaft stärkt die ohnehin vorhandene Rechtsunsicherheit noch. In seinem Urteil in der Rechtssache „Feryn“ vom 10. Juli 2008 (C-54/07) hat der EuGH entschieden, dass eine Diskriminierung auch dann vorliegen kann, wenn es gar keine Diskriminierten gibt. In diesem Fall könnten Antidiskriminierungsvereinen Schadensersatzansprüche zustehen. In der Rechtssache „Coleman“ vom 17. Juli 2008 (C-303/06) hat der EuGH entschieden, dass eine Diskriminierung wegen einer Behinderung auch dann vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer selbst nicht behindert ist. Die EU hat aus diesen Rechtsunsicherheit verursachenden Entscheidungen nichts gelernt und beabsichtigt sogar, die Antidiskriminierungsrichtlinien auf EU-Ebene auszuweiten, was die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschau- BDA | Geschäftsbericht 2008 | Arbeitsrecht 59

ung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung außerhalb des Arbeitsmarktes, also im allgemeinen Zivilrecht, zur Folge hätte. Die BDA lehnt eine solche Ausweitung ab. Diese steht insbesondere aufgrund der vorgesehenen faktischen Beweislastumkehr im Widerspruch zur geplanten Entbürokratisierung auf EU-Ebene. Die Bundesregierung muss daher die Verabschiedung der neuen Richtlinie unbedingt verhindern. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Antidiskriminierung“ veröffentlicht. Betriebsverfassung bleibt reformbedürftig Am 13. August 2008 sind Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes aufgrund des „Gesetzes zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken“ in Kraft getreten. Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten, über die das Unternehmen den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen unterrichten muss, gehört nun ausdrücklich auch die Übernahme des Unternehmens, wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden ist. Die BDA konnte im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens verhindern, dass Unternehmensübernahmen in den Katalog der Betriebsänderungstatbestände in § 111 BetrVG aufgenommen wurden. Trotzdem ist auch die nun erfolgte Neuregelung überflüssig und bringt neue Rechtsunsicherheit durch Vermischung betriebsverfassungsrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Vorgänge mit sich. Die Neuregelung ist überflüssig, weil entsprechende Informationspflichten – sofern unmittelbare Auswirkungen für die Arbeitnehmer bestehen – bereits heute im Betriebsverfassungsgesetz und z. B. bei Betriebsübergängen verankert sind. Statt dieser neuen Bürokratisierung wäre ein Schritt in Richtung Flexibilisierung und Verhandlungsoffenheit der betrieblichen Mitbestimmung dringend erforderlich. Diese muss schnell, flexibel und passgenau sein. Die BDA setzt sich deshalb dafür ein, dass stärker als bisher Abweichungen von gesetzlichen Betriebsratsstrukturen ermöglicht werden. Gerade die Dauer von Mitbestimmungsverfahren führt oft zu erhöhten Kosten für die Unternehmen, weil die Umsetzung dringend erforderlicher geplanter Vorhaben verzögert wird. Deswegen sollte eine allgemeine Beschleunigungsvorschrift dem Arbeitgeber vorläufige Entscheidungen ermöglichen. Auch die Einigungsstellenverfahren müssen durch die Einführung von Fristen beschleunigt werden. BDA unterstützt ihre Mitglieder Die BDA erleichtert mit zahlreichen Serviceleistungen ihren Mitgliedern den Umgang mit den Auswirkungen des AGG Die BDA hat eine Übersicht über Gerichtsentscheidungen zum AGG und EuGH-Entscheidungen zu den Antidiskriminierungsrichtlinien erstellt, die fortlaufend aktualisiert wird. Mitglieder können dadurch besser eigene Prozessrisiken einschätzen und haben einen Überblick über die Auslegung des AGG. Herausgabe einer Broschüre zum AGG Merkblätter für Mitarbeiter Vorträge bei Mitgliedern zum AGG 60 BDA | Geschäftsbericht 2008 | Arbeitsrecht

Die am 14. August <strong>2008</strong> von der Antidiskriminierungsstelle<br />

des Bundes veröffentlichten<br />

Einschätzungen, die die Kosten infolge der Umsetzung<br />

des AGG lediglich mit einer Höhe von<br />

26 Mio. € in Ansatz bringen, haben sich als unseriöser<br />

Schnellschuss erwiesen. Mittlerweile räumt<br />

selbst Prof. Dr. Priddat, Mitglied der wissenschaftlichen<br />

Kommission der Antidiskriminierungsstelle<br />

des Bundes, ein, dass er – ohne eigene Daten zu<br />

erheben – die in der Studie der Initiative Neue Soziale<br />

Marktwirtschaft bei 501 Unternehmen ermittelten<br />

Belastungen in Höhe von 26 Mio. € nicht auf<br />

die gesamte deutsche Volkswirtschaft hochgerechnet<br />

hat. Das ist politischer Aktionismus, der unter<br />

dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit immer<br />

neue Belastungen für die Wirtschaft schafft.<br />

Die Arbeitsgerichte werden zunehmend durch<br />

Klagen wegen Verstößen gegen das AGG belastet.<br />

Der Vorsitzende des Bundes der Richterinnen<br />

und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit sagte bei<br />

der Delegiertenversammlung am 9. Oktober <strong>2008</strong><br />

in Rostock, dass dabei Klagen von sog. AGG-Hoppern,<br />

die sich hundertfach auf Stellen bewerben<br />

und dann die Firmen bei Ablehnung verklagen,<br />

auffallend seien. AGG-Hopper würden sich gezielt<br />

auf solche Annoncen bewerben, die Differenzierungen<br />

vornehmen, und dann auf Entschädigung<br />

in Höhe von drei Monatsgehältern klagen.<br />

Die Rechtsprechung sowohl auf nationaler<br />

als auch auf europäischer Ebene zeigt die Richtigkeit<br />

der allgemeinen Kritik am AGG. Allein durch<br />

einzelne Entscheidungen von Arbeitsgerichten<br />

wird deutlich, dass enorme Rechtsunsicherheit<br />

nicht nur bei den Unternehmen besteht. Sogar die<br />

Zulässigkeit der so wichtigen Bildung von Altersgruppen<br />

im Rahmen einer Sozialauswahl wird angezweifelt.<br />

Erfreulicherweise hat sich das Bundesarbeitsgericht<br />

in der Rechtssache „Karmann“ mit<br />

Urteil vom 6. November <strong>2008</strong> (2 AZR 701/07) zur<br />

Altersgruppenbildung bekannt. Die aktuelle Entscheidung<br />

des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg<br />

vom 26. November <strong>2008</strong> zeigt hingegen,<br />

mit welch weit reichenden Konsequenzen Unternehmen<br />

infolge der Beweislastumkehr rechnen<br />

müssen. Das Landesarbeitsgericht geht davon<br />

aus, dass eine Statistik über die Geschlechtsverteilung<br />

auf den einzelnen Hierarchieebenen bereits<br />

als Indiz für eine Geschlechtsdiskriminierung bei<br />

der Beförderung herangezogen werden kann. Als<br />

Schadensersatz hat das Landesarbeitsgericht die<br />

Vergütungsdifferenz zu derjenigen Position, und<br />

zwar auch unbegrenzt für die Zukunft, zugesprochen,<br />

in die die Klägerin nicht befördert worden<br />

war. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht<br />

der Klägerin wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />

eine Entschädigung wegen immateriellen<br />

Schadens in Höhe von 20.000 € zugesprochen.<br />

Noch deutlicher werden die möglichen<br />

Gefahren des unbegrenzten Schadensersatzes in<br />

einem Rechtsstreit gegen die R+V-Versicherung.<br />

Die Klägerin macht einen Schadensersatz in Höhe<br />

von annähernd 500.000 € geltend.<br />

Auf nationaler wie europäischer Ebene besteht<br />

daher Handlungsbedarf. Die Bundesregierung<br />

ist aufgefordert, endlich aus der derzeitigen<br />

Rechtsprechung Konsequenzen zu ziehen. Wie<br />

die aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts<br />

Berlin-Brandenburg zeigt, führt die faktische<br />

Beweislastumkehr des § 22 AGG zu abstrusen<br />

Ergebnissen. Ebenso ist die Beschränkung der<br />

Höhe des Schadensersatzes entsprechend dem<br />

Rechtsgedanken des § 628 Abs. 2 BGB bis zum<br />

Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist für eine<br />

ordentliche Kündigung klarzustellen, um eine<br />

Ausweitung ins Uferlose zu verhindern, die fatale<br />

nicht kalkulierbare finanzielle Folgen für Arbeitgeber<br />

hätte.<br />

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) als<br />

oberstes Gericht der Gemeinschaft stärkt die<br />

ohnehin vorhandene Rechtsunsicherheit noch.<br />

In seinem Urteil in der Rechtssache „Feryn“ vom<br />

10. Juli <strong>2008</strong> (C-54/07) hat der EuGH entschieden,<br />

dass eine Diskriminierung auch dann vorliegen<br />

kann, wenn es gar keine Diskriminierten gibt. In<br />

diesem Fall könnten Antidiskriminierungsvereinen<br />

Schadensersatzansprüche zustehen. In der Rechtssache<br />

„Coleman“ vom 17. Juli <strong>2008</strong> (C-303/06)<br />

hat der EuGH entschieden, dass eine Diskriminierung<br />

wegen einer Behinderung auch dann<br />

vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer selbst nicht<br />

behindert ist.<br />

Die EU hat aus diesen Rechtsunsicherheit<br />

verursachenden Entscheidungen nichts gelernt<br />

und beabsichtigt sogar, die Antidiskriminierungsrichtlinien<br />

auf EU-Ebene auszuweiten, was die Anwendung<br />

des Grundsatzes der Gleichbehandlung<br />

ungeachtet der Religion oder der Weltanschau-<br />

BDA | <strong>Geschäftsbericht</strong> <strong>2008</strong> | Arbeitsrecht 59

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