Geschäftsbericht 2008

07.05.2015 Aufrufe

Arbeitszeitrichtlinie: vernünftiger Kompromiss durch EP gefährdet Nach jahrelangem Tauziehen, insbesondere um die Qualität von Bereitschaftsdiensten (Arbeitszeit oder nicht?), ist es dem Sozialministerrat im Juni 2008 gelungen, eine politische Einigung zur Arbeitszeitrichtlinie zu erzielen. Bei den Beratungen der Arbeits- und Sozialminister hat sich letztlich eine pragmatische Linie durchgesetzt, die die Notwendigkeit von mehr Flexibilität für Unternehmen bei der Gestaltung der Arbeitszeit anerkennt. Nur aktiver Einsatz während eines Bereitschaftsdienstes soll als Arbeitszeit gelten, nicht aber tatsächliche Ruhezeiten während der Bereitschaft. Sollte diese Lösung, auf die der Rat sich geeinigt hat, auch vom EP in zweiter Lesung bestätigt werden, so wäre das sehr positiv für die Beschäftigung in Deutschland und Europa. Die BDA hatte seit langem gefordert, den Weg für eine Revision der Arbeitszeitrichtlinie freizumachen, um die kostenträchtigen Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen „Simap“ und „Jaeger“ zu korrigieren. Mit dem im Rat verabschiedeten Kompromiss, wonach die inaktive Zeit des Bereitschaftsdienstes nicht mehr als Arbeitszeit zählt, ist diese Forderung endlich erfüllt worden. Wenn es dem Rat gelingt, auch das Europäische Parlament zu überzeugen – wozu es noch erheblicher Anstrengungen bedarf –, dann eröffnet sich für den deutschen Gesetzgeber die Chance für eine Regelung, nach der inaktive Zeiten während des Bereitschaftsdienstes nicht mehr als Arbeitszeit zählen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag für mehr Arbeitszeitflexibilität, z. B. bei Feuerwehrleuten und in Krankenhäusern. Der Sozialministerrat hat zu Recht der Versuchung widerstanden, die Fortschritte bei der Korrektur des Bereitschaftsdienstes durch neue Beschränkungen bei der Arbeitszeitgestaltung zu konterkarieren. Die „Opt-out“-Regelung zur Abweichung von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit wird unbefristet beibehalten. Diese Regelung hilft vor allem kleinen und mittleren Unternehmen, Auftragsschwankungen auszugleichen und Beschäftigung zu sichern, und entspricht einer Forderung der BDA. Deshalb darf die Anwendung des „Opt-out“ auch nicht durch zusätzliche Vorgaben unnötig verkompliziert werden. Die Einigung im Rat bei der Arbeitszeitrichtlinie ist auch eine Folge der Beharrlichkeit der Wirtschaft. Immer wieder hatte die BDA die Notwendigkeit der Korrekturen beim Bereitschaftsdienst und die Beibehaltung der „Opt-out“-Regelung angemahnt und davon auch die Bundesregierung überzeugt. Entwarnung kann jedoch noch nicht gegeben werden. Das Europäische Parlament kann den Kompromiss in zweiter Lesung wieder kippen. Die sehr heftigen Reaktionen aus den linken Fraktionen des Europäischen Parlaments und der Gewerkschaften lassen schwierige Auseinandersetzungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren befürchten, entsprechend konfliktreich gestalten sich jetzt auch die laufenden Beratungen im Europäischen Parlament. Der Beschäftigungsausschuss im EP hat einen Empfehlungsentwurf für die zweite Lesung verabschiedet, der klar in Widerspruch zum gemeinsamen Standpunkt des Rates steht. Der gesamte Bereitschaftsdienst wird danach als Arbeitszeit angesehen. Die „Opt-out“- Regelung soll nach einem Übergangszeitraum von drei Jahren auslaufen. Wenn sich das Plenum des Europäischen Parlaments nicht eines Besseren besinnt, wird der mühsam errungene Ratskompromiss wieder komplett in Frage gestellt. Dabei sind nach der überfälligen Einigung im Rat alle EU-Institutionen aufgefordert, das Gesetzgebungsverfahren zügig abzuschließen. Die BDA ist in engem Kontakt mit deutschen Abgeordneten, um sie von der Angemessenheit des Ratskompromisses zu überzeugen. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „EU-Arbeitszeitrichtlinie“ veröffentlicht. Bessere Rechtsetzung muss konsequent weiterverfolgt werden Die Verringerung der Verwaltungslasten in den Unternehmen ist ein wichtiges Ziel, das die EU- Kommission im Rahmen ihrer Strategie zur Schaffung einer besseren Rechtsetzung verfolgt. Die hierdurch entstehenden Kosten sollen bis 2012 um 25 % verringert werden. Die EU-Kommission hat eine Onlinekonsultation gestartet, um die Unternehmen unmittelbar in den Abbauprozess einzubinden. Um die Forderungen der Wirtschaft hinsichtlich besserer Recht- BDA | Geschäftsbericht 2008 | Europa und Internationales 127

setzung auch gebündelt gegenüber der Kommission darzustellen, haben BDA und BDI einen gemeinsamen Forderungskatalog zusammengestellt. Darin ist ausführlich dargestellt, in welchen Bereichen und bei welchen europäischen Regelungen Verbesserungsbedarf besteht und wie dort für die Unternehmen Verbesserungen erzielt werden können. Neben den Bereichen „Arbeitsrecht“ und „Sozialrecht“ geht es z. B. um Forderungen zu den Themen „Umwelt und Technik“, „Verbraucherschutz“ und „Zoll“. Konkret fordern BDA und BDI u. a., die EU-Richtlinie zur Bildschirmarbeit zu streichen oder zumindest auf wenige, zeitgemäße Inhalte zu reduzieren. Außerdem sind die Art und Weise sowie der Inhalt der Unterrichtungspflichten bei einem Betriebsübergang auf ein sinnvolles Maß zurückzuführen. Im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie ist die EU-Kommission aufgefordert, die Rechtssicherheit für Unternehmen zu erhöhen und damit die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung zu vereinfachen. Sie muss diese Aufgabe bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist (28. Dezember 2009) erfüllen. Es sollten nur diejenigen Regelungen bei einer grenzüberschreitenden Dienstleistung vom Unternehmen angewendet werden müssen, die der EU-Kommission zuvor von den Mitgliedstaaten gemeldet wurden. Die Vorschläge von BDA und BDI sind im Internet unter www.arbeitgeber.de zu finden. Die BDA hat zu diesem Thema zudem den kompakt „Bessere Rechtsetzung“ veröffentlicht. Auch BUSINESS- EUROPE hat einen Katalog vorgelegt, in dem zahlreiche konkrete Vorschläge für eine Vereinfachung der EU-Gesetzgebung aufgeführt werden, z. B. im Bereich der EU-Arbeitszeitrichtlinie. EuGH-Urteile „Laval“, „Viking“, „Rüffert“ und „Kommission ./. Luxemburg“: positive Weichenstellung für den Binnenmarkt nicht konterkarieren Mit den Entscheidungen in den Rechtssachen „Laval“, „Viking“, „Rüffert“ und „Kommission ./. Luxemburg“ hat der EuGH in begrüßenswerter Klarheit zu den im EU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten, insbesondere zur Dienstleistungsfreiheit und zur Niederlassungsfreiheit, Stellung genommen. Mit seinen Entscheidungen stellt der EuGH klar, dass die Ausübung sozialer Grundrechte, wie z. B. des Streikrechts, mit den Grundfreiheiten des Binnenmarktes, hier der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, in einer vernünftigen Balance stehen muss. So wurde einerseits das Recht der Gewerkschaften auf Ausübung kollektiver Rechte anerkannt, zugleich aber mit den Grundfreiheiten deren Schranken aufgezeigt. Der EuGH stärkt damit die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes – des Kernstücks der europäischen Integration. Nichtsdestotrotz bleibt es – für den Fall einer Fortentwicklung dieser Rechtsprechung – ein Grundsatz, dass die Europäische Union im Bereich des Arbeitskampfrechts keine Kompetenzen besitzt. Die Entscheidungen des EuGH sind Anlass für neue Forderungen aus dem Europäischen Parlament, unter dem Deckmantel des Arbeitnehmerschutzes faktisch eine Einschränkung der Freizügigkeit betreiben zu dürfen. Konkret wird die EU-Kommission in einem Entschließungsantrag des Vorsitzenden des Beschäftigungsausschusses, Jan Andersson, aufgefordert, Vorschläge auszuarbeiten, die widersprechenden Auslegungen des Europäischen Gerichtshofs zur Entsenderichtlinie künftig vorbeugen sollen. Dabei wird auch eine teilweise Überarbeitung der Entsenderichtlinie nicht ausgeschlossen. Im Ergebnis führen solche Forderungen zu Protektionismus und stehen somit der europäischen Integration entgegen. Ebenso verfehlt ist der Versuch des DGB, die Rechtsprechung des EuGH im Fall „Rüffert“ mit dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 zu Löhnen bei öffentlicher Auftragsvergabe in Zusammenhang zu bringen. Die Vorschriften dieses Übereinkommens aus dem Jahr 1949 sind heute praxis- und realitätsferner denn je und führen in den wenigen Staaten der Europäischen Union, die es ratifiziert haben, zu erheblichen Anwendungsproblemen. Das Übereinkommen sollte daher aufgehoben werden, anstatt zum Gegenstand einer Ratifizierungskampagne auf internationaler Ebene gemacht zu werden! 128 BDA | Geschäftsbericht 2008 | Europa und Internationales

setzung auch gebündelt gegenüber der Kommission<br />

darzustellen, haben BDA und BDI einen<br />

gemeinsamen Forderungskatalog zusammengestellt.<br />

Darin ist ausführlich dargestellt, in welchen<br />

Bereichen und bei welchen europäischen Regelungen<br />

Verbesserungsbedarf besteht und wie dort<br />

für die Unternehmen Verbesserungen erzielt werden<br />

können.<br />

Neben den Bereichen „Arbeitsrecht“ und<br />

„Sozialrecht“ geht es z. B. um Forderungen zu<br />

den Themen „Umwelt und Technik“, „Verbraucherschutz“<br />

und „Zoll“. Konkret fordern BDA und<br />

BDI u. a., die EU-Richtlinie zur Bildschirmarbeit zu<br />

streichen oder zumindest auf wenige, zeitgemäße<br />

Inhalte zu reduzieren. Außerdem sind die Art und<br />

Weise sowie der Inhalt der Unterrichtungspflichten<br />

bei einem Betriebsübergang auf ein sinnvolles<br />

Maß zurückzuführen. Im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie<br />

ist die EU-Kommission aufgefordert,<br />

die Rechtssicherheit für Unternehmen zu erhöhen<br />

und damit die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung<br />

zu vereinfachen. Sie muss diese<br />

Aufgabe bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist<br />

(28. Dezember 2009) erfüllen. Es sollten nur diejenigen<br />

Regelungen bei einer grenzüberschreitenden<br />

Dienstleistung vom Unternehmen angewendet<br />

werden müssen, die der EU-Kommission<br />

zuvor von den Mitgliedstaaten gemeldet wurden.<br />

Die Vorschläge von BDA und BDI sind im Internet<br />

unter www.arbeitgeber.de zu finden. Die BDA hat<br />

zu diesem Thema zudem den kompakt „Bessere<br />

Rechtsetzung“ veröffentlicht. Auch BUSINESS-<br />

EUROPE hat einen Katalog vorgelegt, in dem<br />

zahlreiche konkrete Vorschläge für eine Vereinfachung<br />

der EU-Gesetzgebung aufgeführt werden,<br />

z. B. im Bereich der EU-Arbeitszeitrichtlinie.<br />

EuGH-Urteile „Laval“, „Viking“,<br />

„Rüffert“ und „Kommission ./.<br />

Luxemburg“: positive Weichenstellung<br />

für den Binnenmarkt<br />

nicht konterkarieren<br />

Mit den Entscheidungen in den Rechtssachen „Laval“,<br />

„Viking“, „Rüffert“ und „Kommission ./. Luxemburg“<br />

hat der EuGH in begrüßenswerter Klarheit zu<br />

den im EU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten,<br />

insbesondere zur Dienstleistungsfreiheit und zur<br />

Niederlassungsfreiheit, Stellung genommen. Mit<br />

seinen Entscheidungen stellt der EuGH klar, dass<br />

die Ausübung sozialer Grundrechte, wie z. B. des<br />

Streikrechts, mit den Grundfreiheiten des Binnenmarktes,<br />

hier der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit,<br />

in einer vernünftigen Balance stehen<br />

muss. So wurde einerseits das Recht der Gewerkschaften<br />

auf Ausübung kollektiver Rechte anerkannt,<br />

zugleich aber mit den Grundfreiheiten deren<br />

Schranken aufgezeigt. Der EuGH stärkt damit die<br />

Entwicklung des europäischen Binnenmarktes –<br />

des Kernstücks der europäischen Integration.<br />

Nichtsdestotrotz bleibt es – für den Fall einer Fortentwicklung<br />

dieser Rechtsprechung – ein Grundsatz,<br />

dass die Europäische Union im Bereich des<br />

Arbeitskampfrechts keine Kompetenzen besitzt.<br />

Die Entscheidungen des EuGH sind Anlass<br />

für neue Forderungen aus dem Europäischen<br />

Parlament, unter dem Deckmantel des Arbeitnehmerschutzes<br />

faktisch eine Einschränkung der<br />

Freizügigkeit betreiben zu dürfen. Konkret wird<br />

die EU-Kommission in einem Entschließungsantrag<br />

des Vorsitzenden des Beschäftigungsausschusses,<br />

Jan Andersson, aufgefordert, Vorschläge<br />

auszuarbeiten, die widersprechenden<br />

Auslegungen des Europäischen Gerichtshofs zur<br />

Entsenderichtlinie künftig vorbeugen sollen. Dabei<br />

wird auch eine teilweise Überarbeitung der Entsenderichtlinie<br />

nicht ausgeschlossen. Im Ergebnis<br />

führen solche Forderungen zu Protektionismus<br />

und stehen somit der europäischen Integration<br />

entgegen.<br />

Ebenso verfehlt ist der Versuch des DGB, die<br />

Rechtsprechung des EuGH im Fall „Rüffert“ mit<br />

dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 zu Löhnen bei<br />

öffentlicher Auftragsvergabe in Zusammenhang<br />

zu bringen. Die Vorschriften dieses Übereinkommens<br />

aus dem Jahr 1949 sind heute praxis- und<br />

realitätsferner denn je und führen in den wenigen<br />

Staaten der Europäischen Union, die es ratifiziert<br />

haben, zu erheblichen Anwendungsproblemen.<br />

Das Übereinkommen sollte daher aufgehoben<br />

werden, anstatt zum Gegenstand einer Ratifizierungskampagne<br />

auf internationaler Ebene gemacht<br />

zu werden!<br />

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