Diplomarbeit - Optometrie Cagnolati
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6 Lese - Rechtschreibschwäche 73<br />
der Frage, welche visuellen Anomalien mit Leseschwierigkeiten korrelieren, uneinheitlich aus<br />
(Lie, 1989, S. 3). Des Weiteren werden die Ergebnisse einiger dieser Studien wegen<br />
methodischer Fehler angezweifelt (Schroth, 2000a, S. 2; Wright, 1995, S. 18; Garzia, 1996, S.<br />
111f). Andere Untersuchungsergebnisse weisen einen Zusammenhang gänzlich zurück. So<br />
wurden in einer neueren groß angelegten Studie aus Schweden keine signifikanten Unterschiede<br />
optometrischer Daten von Lese-Rechtschreibschwachen und einer Kontrollgruppe festgestellt<br />
(Schroth, 2000a, S. 2).<br />
Die Frage der Gewichtung visueller Ursachen beim Auftreten von LRS ist sicherlich auch heute<br />
noch offen. Vorhandene Sehprobleme müssen nicht zwingend zu Lese- und<br />
Rechtschreibschwierigkeiten führen, genauso wenig, wie Lese- Rechtschreibschwierigkeiten<br />
vorkommen können, ohne dass ein signifikantes Sehproblem vorliegt (Garzia, 1996, S. 111f).<br />
Andererseits ist das Sehen zwingende Voraussetzung zur Aufnahme von Informationen, welche<br />
dann zum Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet werden. Wie soll aber das Gehirn vernünftig<br />
arbeiten, wenn die aufgenommenen Informationen bereits in schlechter Qualität ankommen, das<br />
heißt zum Beispiel, wenn der Text verschwommen, flimmernd oder springend wahrgenommen<br />
wird, beziehungsweise deren Kompensation nur unter ständiger Anstrengung möglich ist. Auf<br />
den Sehvorgang mit der Umsetzung der optischen Abbildung auf der Netzhaut in eine<br />
Wahrnehmung soll im weiteren ausführlicher eingegangen werden.<br />
6.6.1 Visuelle Wahrnehmung<br />
Die in der Netzhaut ausgelösten optischen Nervenreize werden über die optische Sehbahn zur<br />
Sehrinde weitergeleitet. Die Sehnervenfasern verlassen über den Sehnerv das Auge und laufen<br />
nach der Halbleiterkreuzung im Chiasma weiter zu den seitlichen Kniehöckern. Hier findet eine<br />
synaptische Verschaltung und erste Informationsselektion statt. Die seitlichen Kniehöcker<br />
werden daher auch als primäres Sehzentrum bezeichnet. Es wird vermutet, dass hier erste<br />
Binokularfunktionen stattfinden. Die seitlichen Kniehöckern bestehen aus mehreren Schichten<br />
unterschiedlicher Zellgrößen. Man unterscheidet zwischen den magnozellulären (großzelligen)<br />
und den parvozellulären (kleinzelligen) Schichten. Die in einem Band zusammengefassten<br />
Fasern dieser Schichten, die sogenannte Sehstrahlung, leitet die Impulse weiter zur primären<br />
Sehrinde. In dieser werden die nervlichen Informationen zu einem Abbild des Netzhautbildes<br />
umgewandelt. In der Sehrinde erfolgt die endgültige Verschmelzung des rechten und linken<br />
Netzhautbildes zu einer Bildwahrnehmung, die sensorische Fusion.