www.homeland-sec.de 2012 - Homeland Security
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<strong>2012</strong><br />
ISSN 1614-3523<br />
Maritime Sicherheit<br />
und Piraterie<br />
Die Lösung liegt an Land<br />
Katastrophenhilfe<br />
Basis im Fokus<br />
THW Dinslaken<br />
Sicherheitsforschung<br />
Vernetzte Sicherheit<br />
S. 12<br />
S. 42<br />
S. 57<br />
<strong>www</strong>.<strong>homeland</strong>-<strong>sec</strong>.<strong>de</strong><br />
Nationale Sicherheit - Bevölkerungsschutz - Katastrophenhilfe
Schutz kritischer Infrastrukturen<br />
Maritime Sicherheit ist auch unter Berücksichtigung aktueller Bedrohungsszenarien, insbeson<strong>de</strong>re<br />
durch <strong>de</strong>n internationalen Terrorismus, die Grundvoraussetzung für die funktionsfähige Liefer- und<br />
Transportkette weltweit. Sie beinhaltet Sicherheit für Schiff, Besatzung, Passagiere und Ladung<br />
sowie Sicherung <strong>de</strong>r Verkehrswege, <strong>de</strong>s Schiffsverkehrs in Häfen, <strong>de</strong>r Seeschifffahrtstraßen und die<br />
Sicherheit <strong>de</strong>r Anlaufhäfen als Umschlagplatz für Ladung und Passagiere.<br />
Spezialisierte Leistungen nach ISPS-Co<strong>de</strong><br />
Sicherheit für Hafenanlagen<br />
Mit Inkrafttreten <strong>de</strong>s ISPS-Co<strong>de</strong>s hat sich Securitas<br />
darauf eingestellt und spezialisiert. Erfor<strong>de</strong>rliches<br />
Personal mit Ausbildung und Qualifizierung<br />
nach ISPS-Co<strong>de</strong> sowie die für diese Aufgaben erfor<strong>de</strong>rliche<br />
Technik können bereitgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Ausser<strong>de</strong>m haben wir von <strong>de</strong>n DA <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r<br />
mit Seehäfen das Zertifikat „Recognized<br />
<strong>Security</strong> Organization“ (RSO) erhalten.<br />
Wir beraten Hafenunternehmen hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
spezifischen Sicherheitsanfor<strong>de</strong>rungen, erarbeiten<br />
Risikoanalysen und Sicherheitskonzepte, erstellen<br />
die erfor<strong>de</strong>rlichen Gefahrenabwehrpläne und<br />
stellen bei Anfor<strong>de</strong>rung auch <strong>de</strong>n PFSO.<br />
Der PFSO ist für die Erstellung und Umsetzung<br />
<strong>de</strong>s Gefahrenabwehrplans verantwortlich und<br />
führt die Einweisungen und Schulungen <strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />
sowie vorgeschriebene Übungen durch.<br />
Er ist allen Beschäftigten auf <strong>de</strong>r Hafenanlage weisungsbefugt,<br />
koordiniert die Sicherheitsbelange<br />
mit <strong>de</strong>n SSO <strong>de</strong>r Schiffe und legt gegebenenfalls<br />
zusätzliche Anfor<strong>de</strong>rungen fest.<br />
Bei Auslösen <strong>de</strong>r Gefahrenstufen durch die Behör<strong>de</strong>n<br />
leitet <strong>de</strong>r PFSO alle erfor<strong>de</strong>rlichen Maßnahmen<br />
ein und ist ständiger Ansprechpartner und<br />
Entscheidungsträger im Rahmen <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr<br />
von Hafenanlagen.<br />
Securitas – weltweite Kompetenz in Sicherheit. Aus einem breiten Spektrum spezialisierter Sicherheitsdienstleistungen, technologischer<br />
Komponenten sowie Beratung und Ermittlung entwickeln wir Angebote, die auf jeweilige Kun<strong>de</strong>nbedürfnisse maßgeschnei<strong>de</strong>rt<br />
sind und effektive Sicherheitslösungen ergeben. Überall – vom Einzelunternehmen bis zum komplexen Konzern,<br />
machen unsere 300.000 Beschäftigten weltweit <strong>de</strong>n Unterschied.<br />
maritime.<strong>sec</strong>uritas.<strong>de</strong>
Editorial<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
Klaus Störtebeker und Gö<strong>de</strong>ke Michels wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Friesen mit offenen<br />
Armen begrüßt. Das geschah im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt direkt vor unseren<br />
Küstenstreifen. 32 Generationen o<strong>de</strong>r 800 Jahre später dreht sich<br />
das Bild. Die Piraten haben sich <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Globalisierung<br />
gestellt und ziehen ihre Bahnen vor <strong>de</strong>n Küsten Afrikas, Südostasiens,<br />
<strong>de</strong>s Indischen Subkontinents, Amerikas und <strong>de</strong>s Fernen Ostens.<br />
Ihre Antwort auf die zivilisierte Welt lautet: kapern, rauben, entführen<br />
und mor<strong>de</strong>n. Die zivilisierte Welt wird durch diese unehrenhafte Meute<br />
in ihrem zentralen Nervensystem, ihren Han<strong>de</strong>lswegen, stark getroffen<br />
und sucht nach Antworten.<br />
Bei <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n zuvor genannten „Piraten“ kommen wir unweigerlich<br />
ins romantische Schwärmen von „Freiheit und Abenteuer“ o<strong>de</strong>r gar<br />
„Gerechtigkeit“ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Erwehren von Unterdrückung. Sicher ist es<br />
menschlich, dass <strong>de</strong>r Blick nach hinten grundsätzlich auch alles Schlechte<br />
am En<strong>de</strong> – zumin<strong>de</strong>st mit einem Augenzwinkern – erstrahlen lässt.<br />
Das jedoch ist ein verklärter Blick, <strong>de</strong>nn auch vor acht Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />
gehörten die bei<strong>de</strong>n vorgenannten zu <strong>de</strong>n Raubrittern auf hoher See.<br />
Doch welche Antworten auf <strong>de</strong>n Angriff auf unsere zivilisierte Welt haben<br />
wir heute bereits entwickelt und suchen wir noch? Welche Lösungsmöglichkeiten<br />
bieten Legislative, Exekutive und die Industrie sowie die<br />
Forschung? In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen unterschiedliche Möglichkeiten<br />
zur Pirateriebekämpfung dar. Des Weiteren wer<strong>de</strong>n Sie im<br />
Nachgang Zeitzeugen bei einem Piratenangriff auf ein Han<strong>de</strong>lsschiff,<br />
<strong>de</strong>r Hansa Stavanger.<br />
Und wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, nach „Meer“ dürstet,<br />
empfehlen wir Ihnen einen Besuch im Internationalen Maritimen Museum<br />
in Hamburg und unsere iPad- und Android-Version Ihres Magazins<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong>.<br />
Ihre<br />
Dr. Nadine Seumenicht<br />
Herausgeberin<br />
Ein bisschen „Meer“ gab‘s bei <strong>de</strong>r Fahrt mit <strong>de</strong>m<br />
Speedboot. Mehr dazu ab S. 28.<br />
2 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Inhalt<br />
2 Editorial<br />
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Katastrophenhilfe<br />
4 Kriesenherd Somalia<br />
10 Je<strong>de</strong>n Hoffnungsschimmer nutzen<br />
13 Die Lösung liegt an Land<br />
17 Piraterie ist völlig unromantisch<br />
20 Organisierte Kriminalität<br />
22 Gemeinsam stark<br />
24 Machbare Lösungen im Hier und Jetzt<br />
28 Weltweit einzigartig<br />
32 Geschäftsmo<strong>de</strong>ll Piraterie<br />
34 Man möchte nur noch flüchten…<br />
37 Entführung MS “HANSA STAVANGER”<br />
Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />
40 24/7 – hilfsbereit, kompetent,<br />
hoch motiviert<br />
Bevölkerungsschutz<br />
49 Ausbildung mit virtueller Realität?<br />
Tarifpolitik<br />
52 Jetzt jagen noch mehr <strong>de</strong>n einen Hasen<br />
Sicherheitsforschung<br />
56 Vernetzte Sicherheit<br />
60 Industrie<br />
Historie<br />
61 Der Wahrheit verpflichtet –<br />
frei von politischen Einflüssen<br />
64 Impressum<br />
38 Dekontaminationsübung „KALTE DUSCHE“<br />
4<br />
38<br />
40 56<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 3
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Michael Hartung<br />
Krisenherd Somalia<br />
Hintergrün<strong>de</strong> zur Piraterie am Horn von Afrika<br />
Deutschland beteiligt<br />
sich weiter an <strong>de</strong>r EU-<br />
Mission ATALANTA<br />
Die Region rund um<br />
das Horn von Afrika<br />
kann inzwischen wohl<br />
durchaus als chronischer<br />
Krisenherd bezeichnet<br />
wer<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>rs<br />
Somalia wird<br />
in diesem Zusammenhang<br />
immer wie<strong>de</strong>r als<br />
eine Art Para<strong>de</strong>beispiel<br />
für Staatszerfall und<br />
gescheiterte Staatlichkeit<br />
genannt. Bürgerkriege,<br />
Hungersnöte, Terrorismus und<br />
beson<strong>de</strong>rs die Piraterie – alles Probleme,<br />
für die bis heute keine Lösungen<br />
gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n konnten. Zwar ist <strong>de</strong>r<br />
afrikanische Kontinent seit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s kalten Krieges insgesamt wie<strong>de</strong>r etwas<br />
mehr in das Zentrum <strong>de</strong>s Interesses<br />
gerückt – zumeist auch mit seinen<br />
Problemen. Jedoch konnten nur diejenigen<br />
Staaten von diesem Interesse profitieren,<br />
welche auch etwas „zu bieten“<br />
hatten, etwa Bo<strong>de</strong>nschätze wie Erdöl,<br />
Gold o<strong>de</strong>r Diamanten. In Län<strong>de</strong>rn mit<br />
solchen Ressourcen besteht ein Interesse<br />
an einem Min<strong>de</strong>stmaß an Ordnung<br />
und Struktur, um Han<strong>de</strong>l zu treiben und<br />
einen Zugang zu diesen Ressourcen zu<br />
ermöglichen. Somalia hat nichts Derartiges<br />
zu bieten und so suchen sich die<br />
Menschen alternative Einkommensmöglichkeiten;<br />
mit bedrohlichen Auswirkungen<br />
auf die Schifffahrt in <strong>de</strong>r Region.<br />
Rückblick: Im Golf von A<strong>de</strong>n. Gegen drei<br />
Uhr morgens ent<strong>de</strong>ckt die Fregatte ein Skiff<br />
in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s International Recommen<strong>de</strong>d<br />
Transit Corridors (IRTC), einem von<br />
Marineeinheiten überwachten Bereich entlang<br />
einer <strong>de</strong>r Hauptschlaga<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s weltweiten<br />
Seeverkehrs. Als das Skiff die Anwesenheit<br />
<strong>de</strong>r Fregatte bemerkt, werfen<br />
die Personen an Bord einen Gegenstand ins<br />
Wasser und erhöhen ihre Geschwindigkeit.<br />
Auf <strong>de</strong>n Vi<strong>de</strong>oaufzeichnungen <strong>de</strong>r Fregatte<br />
ist <strong>de</strong>r Gegenstand ein<strong>de</strong>utig als eine von Piraten<br />
verwen<strong>de</strong>te Leiter zu erkennen. Damit<br />
besteht ein erstes Verdachtsmoment und die<br />
Verfolgung <strong>de</strong>s Skiffs wird aufgenommen.<br />
Die jetzt Piraterieverdächtigen ignorieren<br />
die Auffor<strong>de</strong>rung zu stoppen und reagieren<br />
we<strong>de</strong>r auf Durchsagen in englischer noch<br />
in arabischer Sprache. Erst nach mehreren<br />
Warnschüssen, abgegeben vom Bordhubschrauber<br />
<strong>de</strong>r Fregatte, stoppt das Skiff.<br />
Von <strong>de</strong>r Fregatte aus wird beobachtet, wie<br />
mehrere Waffen über Bord geworfen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Piraterieverdächtigen wer<strong>de</strong>n an<br />
Bord genommen und befragt. In <strong>de</strong>m Skiff<br />
fin<strong>de</strong>n sich weitere Beweismittel: Gewehrgranaten,<br />
Gewehrmunition, ein Laser-Entfernungsmesser,<br />
Treibstoff und Verpflegung<br />
für mehrere Tage. Bei <strong>de</strong>n Befragungen verstricken<br />
sich die Piraterieverdächtigen in<br />
Wi<strong>de</strong>rsprüche. Dabei fällt auf, dass einer<br />
von ihnen passabel Englisch spricht, ein<br />
weiterer Hinweis darauf, dass es sich um<br />
Piraten han<strong>de</strong>lt. Schließlich muss jemand<br />
nach einer Kaperung in <strong>de</strong>r Lage sein, sich<br />
mit <strong>de</strong>r Besatzung zu verständigen, um ihr<br />
Anweisungen zu geben. Trotz<strong>de</strong>m geben die<br />
Verdächtigen vor, Menschenschmuggler zu<br />
sein und die Waffen nur zum Schutz gegen<br />
„echte“ Piraten dabei gehabt zu haben. Erst<br />
als ihnen das Vi<strong>de</strong>o mit <strong>de</strong>r über Bord geworfenen<br />
Leiter gezeigt wird, entschei<strong>de</strong>n<br />
sie, lieber nichts mehr zu sagen.<br />
In Deutschland und bei <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r<br />
Operation ATALANTA beschäftigt man sich in<br />
<strong>de</strong>r Zwischenzeit mit <strong>de</strong>r Frage, wie mit <strong>de</strong>n<br />
aufgegriffenen Personen weiter zu verfahren<br />
ist. Gemäß <strong>de</strong>r gültigen Standard Operating<br />
Procedures (SOPs) für <strong>de</strong>n Einsatz wür<strong>de</strong>n<br />
die Indizien für die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens<br />
ausreichen. Nur fin<strong>de</strong>t sich kein<br />
Land, welches zu einem solchen Verfahren<br />
bereit wäre. Kenia gibt an, mit bereits 64 Piraterieverdächtigen<br />
überlastet zu sein. Die<br />
Seychellen zeigen auch kein Interesse und<br />
Deutschland lehnt mit <strong>de</strong>r Begründung ab,<br />
dass keine <strong>de</strong>utschen Interessen direkt betroffen<br />
seien. Schließlich wer<strong>de</strong>n die Piraterieverdächtigen,<br />
nach zehn Tagen an Bord<br />
<strong>de</strong>r Fregatte, in ihrem Skiff direkt vor <strong>de</strong>r<br />
Küste Somalias wie<strong>de</strong>r in die Freiheit entlassen.<br />
Nur die Ausrüstung und die Munition<br />
wer<strong>de</strong>n als Asservate behalten.<br />
Dieses Beispiel aus einem <strong>de</strong>r ersten Kontingente<br />
<strong>de</strong>r EU geführten Anti-Pirateriemission<br />
4 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
ATALANTA zeigt nur einige <strong>de</strong>r Schwierigkeiten,<br />
die bei diesen Einsätzen auftreten:<br />
Wie lassen sich Piraten ein<strong>de</strong>utig i<strong>de</strong>ntifizieren<br />
und was geschieht, wenn tatsächlich<br />
Verdächtige aufgegriffen wer<strong>de</strong>n? Heute<br />
konzentriert man sich daher mehr darauf,<br />
Waffen und Ausrüstung <strong>de</strong>r Piraten zu zerstören,<br />
sei es auf See o<strong>de</strong>r an Land. Verdächtige<br />
Personen wer<strong>de</strong>n nur noch in Gewahrsam<br />
genommen, wenn ihnen ein konkreter<br />
Angriff o<strong>de</strong>r Angriffsversuch nachgewiesen<br />
wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Es stellt sich die Frage, wie es überhaupt<br />
zu dieser Situation kommen konnte? Was<br />
treibt die Menschen in Somalia dazu, ihr Leben<br />
bei <strong>de</strong>m Versuch Schiffe auf hoher See<br />
zu entführen, aufs Spiel zu setzen? Ein Teil<br />
<strong>de</strong>r Antwort liegt wohl in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s<br />
Lan<strong>de</strong>s begrün<strong>de</strong>t.<br />
Keim <strong>de</strong>r Zerstörung<br />
Schon in <strong>de</strong>r vorkolonialen Zeit war die somalische<br />
Sozialstruktur und Kultur durch<br />
eine starke Segmentierung gekennzeichnet.<br />
Grundlage <strong>de</strong>r somalischen Gesellschaft bil<strong>de</strong>te<br />
<strong>de</strong>r Clan, in welchem alle sozialen und<br />
politischen Angelegenheiten geregelt wur<strong>de</strong>n.<br />
Im Verlauf <strong>de</strong>r Kolonialzeit wur<strong>de</strong> das<br />
Land zwischen <strong>de</strong>n europäischen Kolonialmächten<br />
(Frankreich, Großbritannien und<br />
Italien) und <strong>de</strong>m Nachbarn Äthiopien aufgeteilt.<br />
Bis heute gibt es ein Entwicklungsgefälle<br />
von Nor<strong>de</strong>n nach Sü<strong>de</strong>n, da sich die<br />
Regionen unter ihren kolonialen Besatzern<br />
unterschiedlich entwickelten.<br />
Trotz dieser Segmentierung, Kriegen<br />
zwischen <strong>de</strong>n Clans und unterschiedlichen<br />
Entwicklungen gelang es <strong>de</strong>n Somalis doch<br />
immer wie<strong>de</strong>r, sich gegen Fein<strong>de</strong> von außen<br />
zu verteidigen. Ein sich gegen die Besatzungsmächte<br />
formieren<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand und<br />
ein damit einhergehen<strong>de</strong>r aufkommen<strong>de</strong>r<br />
Nationalismus führten schließlich zur Unabhängigkeit<br />
Somalias.<br />
Damit waren die Probleme, welche durch<br />
die Kolonialherrschaft entstan<strong>de</strong>n waren, jedoch<br />
nicht gelöst. Im Gegenteil, es ergaben<br />
sich sogar neue Probleme, etwa durch die<br />
Machtverschiebung zwischen <strong>de</strong>n Clans.<br />
Zugespitzt lässt sich also formulieren, dass,<br />
nach<strong>de</strong>m die einen<strong>de</strong> Klammer <strong>de</strong>r kolonialen<br />
Besatzung weggefallen war, die alten<br />
Konflikte zwischen <strong>de</strong>n Clans – wenn auch<br />
in verän<strong>de</strong>rter Form – wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
traten.<br />
Der Kampf um die politische<br />
Vorherrschaft<br />
führte schließlich 1969<br />
zur Machtübernahme <strong>de</strong>s<br />
Militärs unter Siad Barre.<br />
„Das unter Barre errichtete<br />
Herrschaftssystem<br />
trug allerdings bereits<br />
<strong>de</strong>n Keim zur Zerstörung<br />
<strong>de</strong>s somalischen Staates<br />
in sich.“ 1 Grün<strong>de</strong> hierfür<br />
waren hauptsächlich die<br />
diktatorische Unterdrückung<br />
und die machtpolitische Instrumentalisierung<br />
<strong>de</strong>s Clansystems. Auch die organisierte<br />
Ressourcenplün<strong>de</strong>rung und die<br />
Lieferung von Waffen aus Ost und West trugen<br />
zum Nie<strong>de</strong>rgang von Gesellschaft und<br />
Wirtschaft bei. 2 Was folgte, war ein bisher<br />
beispielloser Staatszerfall.<br />
Einfluss radikaler Islamisten<br />
Im Jahr 2006 marschierten äthiopische Truppen<br />
in Somalia ein. Äthiopien fühlte sich von<br />
<strong>de</strong>r radikal islamischen Gruppierung „Union<br />
islamischer Gerichte“ bedroht, welche zuvor<br />
die Kontrolle über weite Lan<strong>de</strong>steile übernommen<br />
hatte. Die 2004 eingesetzte Übergangsregierung<br />
Somalias versuchte mithilfe<br />
<strong>de</strong>r äthiopischen Truppen, die Kontrolle<br />
im Land zurückzugewinnen. Sie stieß jedoch<br />
auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Islamisten und weiter<br />
Teile <strong>de</strong>r Bevölkerung, die die Präsenz<br />
äthiopischer Truppen ablehnten. 3<br />
In <strong>de</strong>r Folge dieser Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
schwelte <strong>de</strong>r Konflikt weiter und flammte<br />
2007 erneut auf. Es gelang <strong>de</strong>n Islamisten,<br />
ihren Einfluss innerhalb <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
weiter auszubauen. Die wichtigste und<br />
mächtigste Gruppierung ist dabei die militante<br />
Al-Shabaab Miliz. Im Februar 2011<br />
startete die Übergangsregierung jedoch<br />
eine Offensive gegen die Milizen Al-Shabaab<br />
und Hizbul Islam, in <strong>de</strong>ren Verlauf es ihr gelang,<br />
sie aus <strong>de</strong>r Hauptstadt Mogadischu zu<br />
vertreiben. Die Al-Shabaab beherrscht seit<strong>de</strong>m<br />
jedoch weiterhin Gebiete in Süd- und<br />
Zentralsomalia. 4<br />
Nach<strong>de</strong>m das Mandat <strong>de</strong>r Übergangsregierung<br />
im August <strong>2012</strong> abgelaufen war,<br />
kam es in <strong>de</strong>m Land erstmals seit Jahrzehnten<br />
wie<strong>de</strong>r zu Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahlen. Der<br />
ehemalige Universitäts<strong>de</strong>kan Hassan Sheikh<br />
Mohamud setzte sich dabei gegen <strong>de</strong>n bisherigen<br />
Übergangspräsi<strong>de</strong>nten Scharif<br />
Freilassung von Piraterieverdächtigen<br />
vor <strong>de</strong>r<br />
Küste Somalias<br />
1<br />
Matthies, Volker (2007): Staatsbildung<br />
und Staatszerfall in Somalia.<br />
In: Wegweiser zur Geschichte. Horn<br />
von Afrika. Militärgeschichtliches<br />
Forschungsamt (Hrsg.). Pa<strong>de</strong>rborn:<br />
Verlag Ferdinand Schöningh GmbH<br />
& Co. KG. S. 145.<br />
2<br />
Vgl. ebd.<br />
3<br />
Vgl. Höhne, Markus V. (2007): Aktuelle<br />
Lagefortschreibung im März<br />
2007. In: Wegweiser zur Geschichte.<br />
Horn von Afrika. Militärgeschichtliches<br />
Forschungsamt (Hrsg.). Pa<strong>de</strong>rborn:<br />
Verlag Ferdinand Schöningh<br />
GmbH & Co. KG. S. 98ff.<br />
4<br />
Vgl. Höhne, Markus V. (2011):<br />
Somalia. Aktuelle Konfliktsituation.<br />
URL: http://<strong>www</strong>.bpb.<strong>de</strong>/internationales/weltweit/innerstaatlichekonflikte/54689/somalia<br />
[Stand: Juli<br />
<strong>2012</strong>]<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 5
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Die Kammern <strong>de</strong>r Besatzung<br />
wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n<br />
Piraten verwüstet<br />
5<br />
AMISOM = African Union Mission<br />
in Somalia<br />
6<br />
Vgl. Rudloff, Bettina/Weber, Annette<br />
(2010): Somalia und <strong>de</strong>r Golf von<br />
A<strong>de</strong>n. In: SWP Studie. Piraterie und<br />
maritime Sicherheit. Fallstudien zu<br />
Afrika, Südostasien und Lateinamerika<br />
sowie Beiträge zu politischen,<br />
militärischen, rechtlichen und<br />
ökonomischen Aspekten. Berlin:<br />
Stiftung Wissenschaft und Politik.<br />
S. 40ff.<br />
7<br />
Daniel Hosseus (43), Lobbyist<br />
beim Verband Deutscher Ree<strong>de</strong>r,<br />
vertritt <strong>de</strong>n Bereich internationale<br />
und EU-Angelegenheiten und hat<br />
vor gut einem Jahr das Büro <strong>de</strong>s<br />
Verban<strong>de</strong>s in Brüssel eröffnet. Zu<br />
seinen Arbeitsschwerpunkten zählt<br />
die Bekämpfung von Piraterie. Im<br />
kanadischen Quebec aufgewachsen<br />
hat er in Montreal und Ottawa<br />
Politologie und Verwaltungswissenschaften<br />
studiert.<br />
Sheikh Ahmed durch. Seine vordringlichste<br />
Aufgabe wird es jetzt sein, die radikalen<br />
Islamisten im Land zu bekämpfen. Diese<br />
setzten direkt nach <strong>de</strong>r Wahl ein Zeichen:<br />
Selbstmordattentäter <strong>de</strong>r Al-Shabaab Miliz<br />
sprengten sich vor <strong>de</strong>m Wohnsitz <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten<br />
in die Luft. Hassan Sheikh Mohamud<br />
entging zwar <strong>de</strong>m Anschlag, es zeigt<br />
sich aber, dass er die Sicherheit im Land<br />
zunächst nur mit Hilfe <strong>de</strong>r AMISOM-Truppen<br />
<strong>de</strong>r Afrikanischen Union (AU) in Somalia<br />
aufrechterhalten kann. 5 Die Reichweite<br />
seiner politischen Macht bleibt zunächst<br />
begrenzt.<br />
Ursachen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Piraterie<br />
In <strong>de</strong>r heutigen Diskussion<br />
über die Ursachen <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen somalischen<br />
Piraterie wird häufig ein<br />
wirtschaftliches Argument<br />
ins Feld geführt:<br />
die Überfischung somalischer<br />
Gewässer durch<br />
ausländische Fangflotten.<br />
Dieses Argument<br />
sollte jedoch vor seiner<br />
Verwendung weiter reflektiert<br />
wer<strong>de</strong>n, da es<br />
vielschichtiger ist, als auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />
angenommen.<br />
Zunächst einmal ist Somalia nicht in <strong>de</strong>r<br />
Lage, die Verantwortung für die Ahndung illegaler<br />
Fischerei zu übernehmen, da es an<br />
allen entsprechen<strong>de</strong>n Strukturen dazu fehlt.<br />
So betrieben etwa Flotten unter <strong>de</strong>r Flagge<br />
Kenias, Syriens, Taiwans und auch Spaniens<br />
in <strong>de</strong>n Jahren 2000 bis 2008 nachweislich<br />
Fischerei in <strong>de</strong>r Exclusive Economic Zone<br />
(EEZ) Somalias, ohne dass eine Fanglizenz<br />
bestand. Betrachtet man nun die ökonomischen<br />
Konsequenzen dieser illegalen Fischerei,<br />
so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass<br />
sie vor allem nur <strong>de</strong>n im Sü<strong>de</strong>n leben<strong>de</strong>n<br />
Kleinfischern die Lebensgrundlage entzieht.<br />
Diese fischen ausschließlich innerhalb <strong>de</strong>r<br />
EEZ zur Eigenversorgung und nicht für <strong>de</strong>n<br />
Export. 6 Dieser Entzug ihres bisherigen Einkommens<br />
hat vermutlich dazu beigetragen,<br />
dass sich einige Fischer <strong>de</strong>n Piratengruppen<br />
angeschlossen haben, um ihre Existenz zu<br />
sichern.<br />
Nicht alle Piraten sind jedoch ehemalige<br />
Fischer, welche nur versuchen ihre Lebensgrundlage<br />
zu sichern. Auch ehemalige<br />
Bauern, die aufgrund <strong>de</strong>r anhalten<strong>de</strong>n Dürreperio<strong>de</strong>n<br />
keine Landwirtschaft mehr betreiben<br />
o<strong>de</strong>r Viehher<strong>de</strong>n züchten können,<br />
verdingen sich als Piraten. Die junge Generation<br />
von Somalis, aufgewachsen in <strong>de</strong>r<br />
Anarchie eines Lan<strong>de</strong>s ohne klare Strukturen,<br />
sieht in <strong>de</strong>r Piraterie eine einfache Möglichkeit,<br />
ein gewisses Maß an Reichtum und<br />
Wohlstand zu erlangen. Willig lassen sie sich<br />
von <strong>de</strong>n Hintermännern in Europa, Asien<br />
und Somalia für die Kaperfahrten anwerben.<br />
Die Piraterie ist damit inzwischen zu einem<br />
einträglichen Geschäft <strong>de</strong>r organisierten<br />
Kriminalität gewor<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r vielleicht sogar<br />
von Anfang an gewesen. „Solange in Somalia<br />
keine stabilen Verhältnisse herrschen und<br />
<strong>de</strong>r Staat für die Sicherheit seiner Küste sorgen<br />
kann, wird das Problem andauern. Menschenraub<br />
und Lösegel<strong>de</strong>rpressung ist ein<br />
dreckiges aber lukratives Geschäft. Wo extreme<br />
Armut und unzureichen<strong>de</strong> staatliche<br />
Sicherheitsstrukturen aufeinan<strong>de</strong>rtreffen,<br />
wird auch in Zukunft das Potenzial für Piraterie<br />
erhalten bleiben“, erklärt Daniel Hosseus<br />
vom Verband Deutscher Ree<strong>de</strong>r (VDR). 7<br />
Auswirkungen mo<strong>de</strong>rner Piraterie<br />
Rückblick: Vor Harardhere, Somalia. Das<br />
Lösegeld wird noch vor Ort unter allen Beteiligten<br />
aufgeteilt. Dann verlassen die Piraten<br />
das Schiff. Zuerst die Anführer, da sie<br />
befürchten, die Einsatzkräfte <strong>de</strong>r Marine<br />
könnten sie verfolgen. Es müssen daher bis<br />
zum Schluss einige Bewacher bei <strong>de</strong>n Geiseln<br />
ausharren. Aber ihre Angst ist unbegrün<strong>de</strong>t.<br />
Zwei Fregatten liegen außerhalb<br />
<strong>de</strong>r optischen Sichtweite am Horizont und<br />
beobachteten das Geschehen mit ihren Radargeräten<br />
und <strong>de</strong>n eingesetzten Bordhubschraubern.<br />
Die Anweisung ist klar: nicht<br />
angreifen! Erst nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r letzte Pirat das<br />
gekaperte Schiff verlassen und <strong>de</strong>ssen Kapitän<br />
die Freilassung über Funk gemel<strong>de</strong>t hat,<br />
setzten sich die Einsatzkräfte in Marsch. An<br />
Bord <strong>de</strong>s Schiffes bietet sich ihnen ein verstören<strong>de</strong>r<br />
Anblick: überall Müll, Dreck, verdorbene<br />
Essensreste, Khatblätter und dazwischen<br />
eine Besatzung, <strong>de</strong>r die Strapazen<br />
<strong>de</strong>r letzten Monate buchstäblich ins Gesicht<br />
geschrieben steht. Sie lei<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Folgen<br />
von Schlafentzug, Mangelernährung<br />
und Folter.<br />
Von <strong>de</strong>n Fregatten wer<strong>de</strong>n Nahrungsmittel,<br />
Kleidung und Hygieneartikel auf das<br />
Schiff gebracht. In <strong>de</strong>n nächsten Tagen, auf<br />
6 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
<strong>de</strong>m Weg zu einem sicheren Hafen, versucht<br />
die Besatzung eine Art Normalität herzustellen.<br />
Sie putzt und räumt ihre verwüsteten<br />
Kammern auf. Es ist ihr eine Art inneres<br />
Bedürfnis, zumin<strong>de</strong>st äußerlich, wie<strong>de</strong>r Ordnung<br />
zu schaffen. Während<strong>de</strong>ssen suchen<br />
die Feldjäger, im Auftrag <strong>de</strong>s BKA, auf <strong>de</strong>m<br />
Schiff nach Spuren und Beweismitteln. Alles<br />
wird sorgfältig fotografiert, dokumentiert<br />
und asserviert. Vielleicht fin<strong>de</strong>t sich ja tatsächlich<br />
ein für spätere Ermittlungen wichtiger<br />
Hinweis.<br />
Für die freigelassene Besatzung gibt es<br />
Besuche auf <strong>de</strong>r sie begleiten<strong>de</strong>n Fregatte.<br />
Die Abwechslung tut ihnen sichtlich gut.<br />
Das Vessel Protection Detachement (VPD)<br />
<strong>de</strong>r Fregatte ist jetzt an Bord <strong>de</strong>s Schiffes<br />
und gibt <strong>de</strong>r Besatzung ein Gefühl von Sicherheit,<br />
das sie so lange nicht mehr gekannt<br />
hat. Die Fahrt in Richtung <strong>de</strong>s neuen<br />
Hafens gibt ihnen Zeit, das Erlebte etwas zu<br />
verarbeiten, bevor sie sich <strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r<br />
Presse und später auch ihrer Verwandten<br />
und Freun<strong>de</strong> stellen.<br />
Für die <strong>de</strong>utschen Ree<strong>de</strong>r und die von ihnen<br />
beschäftigten Besatzungen ist <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n,<br />
welcher durch die Piraterie vor Somalia<br />
entsteht, beträchtlich. „Der wirtschaftliche<br />
Scha<strong>de</strong>n kann nur geschätzt wer<strong>de</strong>n. Viele<br />
Faktoren spielen dabei eine Rolle. Neben<br />
<strong>de</strong>r Zahlung von Lösegel<strong>de</strong>rn kommen hohe<br />
Zusatzversicherungen und Kosten für die<br />
Schutzausrüstungen an Bord hinzu. Be<strong>de</strong>utend<br />
ist auch <strong>de</strong>r wirtschaftliche Scha<strong>de</strong>n<br />
für die Region. Nach Schätzungen von Oceans<br />
Beyond Piracy belaufen sich die Kosten<br />
für die Piraterie auf insgesamt zwölf Milliar<strong>de</strong>n<br />
Dollar pro Jahr. Noch gar nicht erfasst<br />
sind dabei die „weichen“ Kosten. Für die<br />
Geiseln und ihre Angehörigen ist die Entführung<br />
durch Piraten eine enorme psychische<br />
Belastung, die sie mitunter ein Leben lang<br />
verfolgen wird“, erklärt Daniel Hosseus. Es<br />
ist daher verständlich, dass auch die Ree<strong>de</strong>reien<br />
nach Lösungsmöglichkeiten für das<br />
Problem Piraterie suchen.<br />
Gegenmaßnahmen<br />
Eine aktuell andauern<strong>de</strong> Mission ist die<br />
von <strong>de</strong>r EU geführte Anti-Pirateriemission<br />
ATALANTA. Sie ist nur ein Beispiel für<br />
mehrere, parallel laufen<strong>de</strong> maritime Missionen<br />
zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie am<br />
Horn von Afrika. Es wäre falsch, hier von<br />
einer Militärintervention<br />
im klassischen Sinne zu<br />
sprechen, <strong>de</strong>nn schließlich<br />
fin<strong>de</strong>t diese Mission<br />
ausschließlich auf See<br />
und ohne <strong>de</strong>n Einsatz von<br />
Bo<strong>de</strong>ntruppen statt.<br />
Dies ist insofern als<br />
beson<strong>de</strong>rs zu erachten,<br />
als somit erstmals versucht<br />
wird, ein Problem,<br />
welches an Land entstan<strong>de</strong>n<br />
ist, durch eine Bekämpfung<br />
seiner Symptome<br />
auf See zu lösen.<br />
Obwohl <strong>de</strong>r Mission grundsätzlich ein Erfolg<br />
bescheinigt wird, so ist inzwischen klar,<br />
dass sich das Problem <strong>de</strong>r Piraterie allein<br />
mit militärischen o<strong>de</strong>r polizeilichen Mitteln<br />
auf See nicht lösen lässt. Mit <strong>de</strong>r Resolution<br />
1851 wur<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n UN-Sicherheitsrat<br />
zu<strong>de</strong>m die Möglichkeit geschaffen, gegen<br />
die Piraterie auch an Land vorzugehen. Beson<strong>de</strong>rs<br />
in Deutschland wur<strong>de</strong> heftig über<br />
eine Ausweitung <strong>de</strong>s ATALANTA-Mandates<br />
diskutiert. Konkret ging es um die inzwischen<br />
vom <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>stag beschlossene<br />
Regelung, dass nun auch an Land logistische<br />
Basen mutmaßlicher Piraten in einem<br />
zwei Kilometer breiten Gürtel aus <strong>de</strong>r Luft<br />
bekämpft wer<strong>de</strong>n dürfen. Aktuell beteiligt<br />
sich die <strong>de</strong>utsche Marine an <strong>de</strong>r Mission mit<br />
einer Fregatte und einem Seefernaufklärer.<br />
Der Verband Deutscher Ree<strong>de</strong>r begrüßt<br />
<strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Marineeinheiten, for<strong>de</strong>rt jedoch<br />
noch mehr: „Die Zusammenarbeit ist<br />
absolut bemerkenswert und wäre noch vor<br />
wenigen Jahren un<strong>de</strong>nkbar<br />
gewesen. Mal sehen,<br />
was sich daraus entwickeln<br />
kann. Die Einsatzverbän<strong>de</strong><br />
müssten vor<br />
allem verstärkt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Präsenz ist angesichts<br />
<strong>de</strong>s riesigen Seegebietes,<br />
um das es geht,<br />
viel zu klein“, sagt Hosseus.<br />
Und weiter: „Aus<br />
unserer Sicht ist <strong>de</strong>r<br />
Schutz von Han<strong>de</strong>lsschiffen<br />
vor Piraterie eine hoheitliche<br />
Aufgabe. Das<br />
sieht <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat übrigens<br />
auch so. Schiffe unter<br />
<strong>de</strong>utscher Flagge sind<br />
<strong>de</strong>utsches Hoheitsgebiet.<br />
Versorgungsgüter wer<strong>de</strong>n<br />
auf das freigelassene<br />
Schiff gebracht<br />
Unhygienische Zustän<strong>de</strong>,<br />
überall Müll und Dreck<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 7
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Arbeitsgerät <strong>de</strong>r<br />
Piraten - sichergestellte<br />
Enterleiter und Haken<br />
8<br />
Vgl. World Food Programme WFP<br />
(2011): Steigen<strong>de</strong> Nahrungsmittelpreise.<br />
10 Fragen und Antworten.<br />
URL: http://<strong>de</strong>.wfp.org/stories/<br />
steigen<strong>de</strong>-nahrungsmittelpreise-<br />
10-fragen-und-antworten [Stand:<br />
Juli <strong>2012</strong>]<br />
Daher ist es Aufgabe hoheitlicher Kräfte, sei<br />
es <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Marine, diese<br />
Schiffe vor Piratenangriffen zu schützen.<br />
Das hat übrigens nicht viel mit Kosten zu<br />
tun, für Ree<strong>de</strong>reien gäbe sich das nicht viel,<br />
son<strong>de</strong>rn damit, dass die Arbeit von Marine<br />
und Polizei in eine auch weiterhin <strong>de</strong>utlich<br />
umfassen<strong>de</strong>re rechtliche und operationelle<br />
Infrastruktur eingebettet ist.“<br />
So bleibt <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>rn zunächst nur die<br />
Möglichkeit, selbst weiter aufzurüsten, um<br />
ihre Schiffe zu schützen. Dies beinhaltet, neben<br />
technischen Schutzmaßnahmen, auch<br />
zunehmend <strong>de</strong>n Einsatz privater Sicherheitsteams<br />
von Dienstleistern wie Control<br />
Risks o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Result Group. In<br />
Deutschland gibt es, nach langer Debatte,<br />
nun einen Gesetzentwurf, welcher <strong>de</strong>n Einsatz<br />
dieser privaten Sicherheitsdienstleister<br />
regeln soll. Dazu meint Daniel Hosseus:<br />
„Wir begrüßen <strong>de</strong>n Gesetzentwurf, <strong>de</strong>n die<br />
Bun<strong>de</strong>sregierung vorgelegt hat. Er ordnet<br />
<strong>de</strong>n Einsatz von bewaffneten Sicherheitsleuten<br />
auf Schiffen unter <strong>de</strong>utscher Flagge und<br />
ermöglicht Ree<strong>de</strong>reien die rechtssichere<br />
Auswahl eines Dienstleisters. Er lehnt sich<br />
eng an die internationalen Vorgaben an und<br />
ermöglicht eine größere Anzahl in- und ausländischer<br />
Anbieter. Das än<strong>de</strong>rt aber nichts<br />
daran, dass wir <strong>de</strong>n Einsatz hoheitlicher<br />
Kräfte vorziehen wür<strong>de</strong>n.“<br />
Ein weitaus erfolgversprechen<strong>de</strong>rer Lösungsweg<br />
wäre es jedoch, eine dauerhaftere<br />
Lösung <strong>de</strong>s Problems an Land zu suchen.<br />
Westliche Hilfen für Somalia<br />
Allerdings gestaltet sich ein solches Vorhaben<br />
zunehmend schwierig. Der Grund dafür<br />
ist, dass bei <strong>de</strong>m bisherigen Engagement<br />
nicht nur <strong>de</strong>r humanitäre Blickwinkel im<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund stand. Beson<strong>de</strong>rs aus westlicher<br />
Sicht war es zuletzt eher <strong>de</strong>r Kampf gegen<br />
<strong>de</strong>n Terror. Allen voran die USA befürchteten<br />
ein weiteres Erstarken <strong>de</strong>r Al-Shabaab<br />
Miliz, welcher eine Verbindung mit Al-Quaida<br />
nachgesagt wur<strong>de</strong>. Im Jahr 2008 erklärten<br />
die USA die Al-Shabaab dann auch offiziell<br />
zu einer terroristischen Organisation und<br />
begannen mit gezielten Angriffen auf die<br />
Führer <strong>de</strong>r Miliz. In <strong>de</strong>r Folge dieser Angriffe<br />
weitete die Al-Shabaab ihrerseits die Angriffe<br />
im Land aus. Den meisten Hilfsorganisationen<br />
ist es daher momentan nicht möglich,<br />
in Somalia tätig zu wer<strong>de</strong>n. Sie müssten mit<br />
ständigen Angriffen rechnen und um die<br />
Sicherheit ihrer Mitarbeiter fürchten.<br />
Nötig wären aber Investitionen in Somalia.<br />
Aufgrund <strong>de</strong>r bisher aufgezeigten Probleme<br />
scheint es jedoch schwierig o<strong>de</strong>r sogar<br />
unmöglich, in Somalia zu investieren.<br />
Zu<strong>de</strong>m stellten sich die Fragen: Worin soll<br />
investiert wer<strong>de</strong>n und warum sollte man<br />
es tun? An<strong>de</strong>rerseits wird momentan aber<br />
schon viel investiert, nur ist fraglich, ob damit<br />
ein nachhaltiger Effekt erzielt wird. So<br />
hat etwa das von <strong>de</strong>r internationalen Gemeinschaft<br />
finanzierte World Food Programme<br />
(WFP) im Jahr 2010 Nahrungsmittel im<br />
Wert von 1,25 Milliar<strong>de</strong>n US-Dollar gekauft,<br />
um weltweit die rund 100 Millionen am<br />
schlimmsten hungern<strong>de</strong>n Menschen ernähren<br />
zu können. 8 Somalia hängt seit langem<br />
am „Tropf“ dieser Hilfen.<br />
Vernetzte Strategie<br />
Nicht ohne Grund fällt es <strong>de</strong>r internationalen<br />
Gemeinschaft bis heute schwer, eine Lösung<br />
für die Probleme Somalias zu fin<strong>de</strong>n.<br />
Sie sind vielfältig und vielschichtig und bedürfen<br />
<strong>de</strong>shalb ebenso komplexer Lösungsansätze.<br />
In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong>n viele<br />
Fehler gemacht, welche nicht selten zu<br />
einer Verschärfung <strong>de</strong>r Situation beigetragen<br />
haben. Die gesellschaftlichen und politischen<br />
Realitäten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong>n ignoriert<br />
anstatt sie zur Kenntnis zu nehmen<br />
und als eine Grundlage von angepassten<br />
Lösungsstrategien zu nutzen. Daraus entwickelte<br />
sich schließlich eine Situation, in<br />
<strong>de</strong>r eine direkte Unterstützung im Rahmen<br />
von Programmen <strong>de</strong>r Entwicklungszusammenarbeit<br />
nicht mehr möglich war. Somalia<br />
konnte die dafür angelegten Kriterien nicht<br />
mehr erfüllen.<br />
Heute also steht man erneut vor <strong>de</strong>r Frage,<br />
ob nicht letztendlich doch nur militärische<br />
Mittel dazu geeignet sind, Sicherheit<br />
und Ordnung wie<strong>de</strong>rherzustellen und akute<br />
Probleme wie etwa die Piraterie zu beseitigen.<br />
Auch <strong>de</strong>r neu gewählte Präsi<strong>de</strong>nt Somalias<br />
kann sich nur mit militärischer Hilfe<br />
<strong>de</strong>r AMISOM-Truppen gegen die islamistischen<br />
Al-Shabaab Milizen behaupten.<br />
Gibt es also überhaupt Lösungsmöglichkeiten<br />
und wenn ja, wo könnten sie ansetzen?<br />
Nötig wäre ein umfassen<strong>de</strong>r Ansatz,<br />
<strong>de</strong>r alle Bereiche, welche bisher nur einzeln<br />
betrachtet und von Maßnahmen bedient<br />
wur<strong>de</strong>n, in sich vereint. Man kann nicht<br />
eine ausschließlich humanitäre Strategie<br />
8 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
verfolgen. Ebenso wenig ist es ausreichend,<br />
sich nur auf die Wie<strong>de</strong>rherstellung von Sicherheit<br />
und Ordnung zu konzentrieren.<br />
Auch rein wirtschaftliche Programme greifen<br />
letztendlich zu kurz. All diese Maßnahmen<br />
sollten gleichzeitig – in einer vernetzten<br />
Strategie – sowohl von <strong>de</strong>r internationalen<br />
Gemeinschaft als auch von <strong>de</strong>n regionalen<br />
Akteuren vor Ort umgesetzt wer<strong>de</strong>n. Die<br />
Menschen in Somalia müssten greifbare Ergebnisse<br />
erhalten, damit sich eine positive<br />
Haltung gegenüber einer zukünftigen Entwicklung<br />
einstellen könnte und die Menschen<br />
gewillt wären, daran mitzuarbeiten.<br />
Es gibt Ansatzpunkte für eine solche<br />
Strategie. Eine Loslösung von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e einer<br />
Rekonstruktion Somalias und von <strong>de</strong>ssen<br />
Gesamtstaatlichkeit wäre ein Anfang.<br />
Zu lange wur<strong>de</strong> we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Unterschied zwischen<br />
Staatsbildung und einer öffentlichen<br />
Ordnung wahrgenommen, noch alternative<br />
Ordnungsmo<strong>de</strong>lle in Betracht gezogen. 9<br />
Solche alternativen Mo<strong>de</strong>lle existieren etwa<br />
schon heute in Puntland und Somaliland.<br />
Letzteres schaffte es nach seiner einseitigen<br />
Unabhängigkeitserklärung von 1991,<br />
eine relativ stabile Ordnung zu schaffen, basierend<br />
auf Elementen einer traditionellen<br />
pastoralen Demokratie. 10<br />
Es bleibt die Frage <strong>de</strong>r Finanzierung einer<br />
solchen Strategie. Das Geld ist vorhan<strong>de</strong>n.<br />
Man muss sich nur fragen, ob man<br />
weiterhin nur die Bekämpfung <strong>de</strong>r Symptome<br />
bezahlen möchte o<strong>de</strong>r lieber doch eine<br />
Strategie <strong>de</strong>r Konfliktlösung. Rechnet man<br />
alle Kosten für die Finanzierung von UN-<br />
Einsätzen, Einsätzen <strong>de</strong>r AU, Projekten <strong>de</strong>r<br />
Entwicklungszusammenarbeit, Maßnahmen<br />
<strong>de</strong>s WFP und Einsätzen zur Bekämpfung<br />
<strong>de</strong>r Piraterie zusammen, so käme ein<br />
ansehnlicher Betrag zusammen. Diese Gel<strong>de</strong>r<br />
müssten gebün<strong>de</strong>lt, neu verteilt und gezielter<br />
eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Wichtig dabei ist<br />
aber doch zu erkennen, dass man nur mit<br />
einer solchen umfassen<strong>de</strong>n Strategie eine<br />
langfristige Möglichkeit schafft, die Probleme<br />
Somalias zu lösen und somit auch selbst<br />
langfristig Kosten zu sparen.<br />
Schaffung eines sicheren Umfelds<br />
Die Schaffung eines sicheren Umfel<strong>de</strong>s für<br />
die Bevölkerung und <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>raufbau <strong>de</strong>s<br />
Lan<strong>de</strong>s sind natürlich von zentraler Be<strong>de</strong>utung.<br />
Aber auch hier sollte man die Konflikte<br />
in <strong>de</strong>n einzelnen Regionen Puntland,<br />
Somaliland und Rest-Somalia einzeln betrachten<br />
und angepasste Strategien entwickeln.<br />
So wäre es in Puntland und Somaliland<br />
etwa möglich, sich auf – wenn auch nur<br />
rudimentär vorhan<strong>de</strong>ne – Sicherheitsorgane<br />
abzustützen, diese einzubin<strong>de</strong>n und auszubil<strong>de</strong>n.<br />
In Rest-Somalia hingegen ginge es<br />
vornehmlich darum, die Al-Shabaab Miliz<br />
militärisch weiter zurückzudrängen, um <strong>de</strong>n<br />
Aufbau regionaler Sicherheitsstrukturen<br />
unter <strong>de</strong>r Übergangsregierung überhaupt<br />
erst zu ermöglichen.<br />
Erste Ansätze in diese Richtung gibt es<br />
seit kurzem. So beteiligt sich auch Deutschland<br />
nach Beschluss <strong>de</strong>s Kabinetts an <strong>de</strong>r<br />
EU-Mission EUCAP NESTOR. Ziel <strong>de</strong>r Mission<br />
ist <strong>de</strong>r Aufbau von Sicherheitsstrukturen,<br />
die die Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Region dazu befähigen<br />
sollen, ihre küstennahen Gewässer<br />
selbst zu überwachen. Dazu wer<strong>de</strong>n insgesamt<br />
175 Ausbil<strong>de</strong>r nach Dschibuti, Kenia,<br />
<strong>de</strong>n Seychellen und auch Somalia entsandt.<br />
Deutschland beteiligt sich mit zehn Soldaten<br />
und Polizisten.<br />
Dies ist ein erster Schritt in die richtige<br />
Richtung. Es wer<strong>de</strong>n aber noch viele weitere<br />
Schritte folgen müssen. Und selbst wenn<br />
man das Problem <strong>de</strong>r Piraterie am Horn von<br />
Afrika mittel- bis langfristig in <strong>de</strong>n Griff bekommt,<br />
so wird dieses Phänomen nicht einfach<br />
verschwin<strong>de</strong>n. Auch in an<strong>de</strong>ren Teilen<br />
<strong>de</strong>r Welt leben viele Menschen unter sehr<br />
schlechten Bedingungen. Vielleicht kommen<br />
auch sie eines Tages auf <strong>de</strong>n Gedanken, auf<br />
ihre Art an <strong>de</strong>r Globalisierung und <strong>de</strong>m damit<br />
einhergehen<strong>de</strong>n weltweiten Schiffsverkehr<br />
teilhaben zu wollen.<br />
Michael Hartung<br />
Jahrgang 1978, war<br />
zwölf Jahre lang Zeitsoldat<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr<br />
und dabei als Offizier<br />
<strong>de</strong>r Feldjägertruppe tätig.<br />
Während dieser<br />
Zeit absolvierte er zwei<br />
Auslandseinsätze: <strong>de</strong>n<br />
KFOR-Einsatz als MP-<br />
Station Comman<strong>de</strong>r in<br />
Prizren und die Mission ATALANTA als Führer<br />
<strong>de</strong>r Feldjägerkräfte an Bord einer Fregatte.<br />
Heute ist er als Offizier <strong>de</strong>r Reserve<br />
beor<strong>de</strong>rt, studiert Politikwissenschaften an<br />
<strong>de</strong>r Universität Duisburg-Essen und ist bei<br />
HOMELAND SECURITY mitverantwortlich<br />
für <strong>de</strong>n Bereich „Vernetzte Sicherheit“.<br />
9<br />
Vgl. Matthies, Volker (2010):<br />
Endlos und vergessen. Der Krieg in<br />
Somalia. In: WeltTrends. Zeitschrift<br />
für internationale Politik. 74. September/Oktober<br />
2010. 18. Jahrgang.<br />
S. 63-73<br />
10<br />
Vgl. Mutschler, Alexan<strong>de</strong>r (2002):<br />
Eine Frage <strong>de</strong>r Herrschaft. Betrachtungen<br />
zum Problem <strong>de</strong>s Staatszerfalls<br />
in Afrika am Beispiel Äthiopiens<br />
und Somalias. Münster: Lit Verlag.<br />
S. 208ff<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 9
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Je<strong>de</strong>n Hoffnungsschimmer nutzen<br />
Vier Monate in <strong>de</strong>r Gewalt von Piraten<br />
Hansa Stavanger<br />
Am 4. April 2009 wur<strong>de</strong> die unter <strong>de</strong>utscher<br />
Flagge fahren<strong>de</strong> Hansa Stavanger,<br />
ein Containerschiff <strong>de</strong>r Hamburger<br />
Ree<strong>de</strong>rei Leonhardt & Blumberg, von<br />
somalischen Piraten entführt. Für die<br />
Besatzung, ihre Familien und die Ree<strong>de</strong>rei<br />
begann damit eine enorme Belastungsprobe.<br />
Die Verhandlungen über<br />
die Freilassung zogen sich über vier Monate<br />
hin. Während dieser Zeit war die<br />
Besatzung <strong>de</strong>n unberechenbaren und<br />
mör<strong>de</strong>rischen Piraten ausgeliefert und<br />
musste zum Teil unter Folter, Isolation,<br />
Verschleppung nach Somalia und vor<br />
allem unter unhygienischen Zustän<strong>de</strong>n<br />
um ihr Leben und ihre Gesundheit bangen.<br />
Unter <strong>de</strong>n fünf <strong>de</strong>utschen Geiseln<br />
an Bord befand sich auch Fre<strong>de</strong>rik Euskirchen,<br />
damals als zweiter Offizier auf<br />
<strong>de</strong>r Hansa Stavanger. <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong><br />
sprach mit ihm zu Hause vor <strong>de</strong>n Toren<br />
Hamburgs über seine Erfahrungen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie waren 121 Tage in <strong>de</strong>r Hand<br />
von Piraten. Was hat Ihnen geholfen, diese<br />
Situation durchzustehen?<br />
Euskirchen: Grundlegend ist, dass man nie<br />
die Hoffnung aufgibt und sich an je<strong>de</strong>m noch<br />
so kleinen Strohhalm festhält. Man muss je<strong>de</strong>n<br />
Hoffnungsschimmer nutzen, um sich<br />
zu motivieren. Selbst dann, wenn man sich<br />
manchmal falsche Hoffnungen macht o<strong>de</strong>r<br />
sich zu sehr auf etwas freut. Natürlich muss<br />
man sich sachlich die Realität vor Augen<br />
führen, dass auch alles schief gehen kann<br />
und darauf vorbereitet sein. Das darf aber<br />
nicht dazu führen, dass man <strong>de</strong>n Mut verliert.<br />
Es hilft also, sich Illusionen zu schaffen<br />
und Pläne zu machen. Wenn du es schaffst,<br />
dabei ein gesun<strong>de</strong>s Level zu halten, dann ist<br />
das viel wert.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie lief die Kaperung <strong>de</strong>r Hansa<br />
Stavanger ab?<br />
Euskirchen: Das war morgens gegen neun<br />
Uhr. Der dritte Offizier hatte Backbord voraus<br />
das Skiff gesehen und Alarm gegeben.<br />
Wir haben volle Fahrt gemacht. Insgesamt<br />
wur<strong>de</strong>n drei Angriffe von verschie<strong>de</strong>nen<br />
Seiten gefahren. Je<strong>de</strong>r dieser Angriffe wur<strong>de</strong><br />
von Beschuss mit Schnellfeuergewehren<br />
10 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
und RPG (Rocket Propelled Grena<strong>de</strong>) begleitet.<br />
Die Hansa Stavanger erlitt zwei Treffer<br />
durch RPG, wovon einer einen Brand<br />
verursachte. Die zweite Granate ist nicht<br />
<strong>de</strong>toniert.<br />
Insgesamt verging während <strong>de</strong>s Angriffs<br />
etwa eine Dreiviertelstun<strong>de</strong>. Ich stand am<br />
Ru<strong>de</strong>r und das Skiff kam nah an uns heran.<br />
Ich wollte unser Schiff drehen, um die Piraten<br />
erneut wegzudrücken und mit dieser<br />
Bewegung auch unsere Bordwand ihnen gegenüber<br />
zu erhöhen. Das hatte vorher schon<br />
zweimal funktioniert. Der Kapitän hat aber<br />
in die falsche Richtung auf mein Ru<strong>de</strong>r gedrückt.<br />
Daraufhin legte sich das Schiff gera<strong>de</strong><br />
und das Bewegungsmoment ging verloren.<br />
Diese Chance haben die Piraten<br />
genutzt, um an Bord zu kommen.<br />
teuren Gelän<strong>de</strong>wagen<br />
gesehen. An einem En<strong>de</strong><br />
von Harardhere stan<strong>de</strong>n<br />
zehn o<strong>de</strong>r zwölf davon, in<br />
gleicher Bauart und Farbe.<br />
Außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n<br />
Waffen, Drogen, Frauen<br />
und Häuser gekauft.<br />
Das wur<strong>de</strong> uns auch so<br />
mitgeteilt.<br />
Ich <strong>de</strong>nke eher, dass<br />
es an <strong>de</strong>m somalischen<br />
Wesen liegt. Als sie die<br />
frem<strong>de</strong>n Fischereiboote vor ihrer Küste gesehen<br />
haben, raubten sie diese aus o<strong>de</strong>r haben<br />
Zoll verlangt. Als sie dann gemerkt haben,<br />
dass sie damit Geld verdienen konnten,<br />
haben sie das so weiter geführt.<br />
Einschuss im Brückenfenster<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie haben sich die Piraten<br />
während <strong>de</strong>s Zeitraums <strong>de</strong>r Entführung<br />
verhalten?<br />
Euskirchen: Das war sehr unterschiedlich.<br />
Generell muss man zwischen <strong>de</strong>n alten und<br />
<strong>de</strong>n jungen Piraten unterschei<strong>de</strong>n. Die Älteren<br />
sind etwas ruhiger und haben noch etwas<br />
Sozialisation in Somalia kennengelernt.<br />
Sie sind auch nicht ganz so aggressiv. Die<br />
Jüngeren sind in <strong>de</strong>r Anarchie groß gewor<strong>de</strong>n<br />
und sind dadurch gewalttätiger und<br />
gewaltbereiter. Dann muss man auch noch<br />
zwischen <strong>de</strong>n gläubigen Moslems und <strong>de</strong>nen,<br />
die ihren Glauben nur vor sich hertragen,<br />
unterschei<strong>de</strong>n. Die wirklich Gläubigen,<br />
die auch je<strong>de</strong>n Tag gebetet haben, sind viel<br />
respektvoller mit uns umgegangen. Für die<br />
Verständigung gab es einen Übersetzer, <strong>de</strong>r<br />
Englisch sprach. Ansonsten hat man sich<br />
meist mit Hän<strong>de</strong>n und Füßen verständigt.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie haben während <strong>de</strong>r Entführung<br />
auch Gespräche mit <strong>de</strong>n Piraten geführt.<br />
Wo liegen <strong>de</strong>ren Motive für ein solches<br />
Han<strong>de</strong>ln?<br />
Euskirchen: Geld. Da gibt es eigentlich<br />
kein an<strong>de</strong>res Motiv. Es gab einige Piraten,<br />
die behauptet haben, mit <strong>de</strong>n Entführungen<br />
Somalias Stärke zu <strong>de</strong>monstrieren. Aber eigentlich<br />
wollten sie nur ihr Geld haben. Was<br />
aber auch verständlich ist in so einem Land.<br />
Einige Piraten sagten, dass sie von ihrem<br />
Anteil Medizin und Nahrung für ihre Familien<br />
kaufen wollten. Ich <strong>de</strong>nke, das wird auch<br />
stimmen. An Land habe ich aber auch die<br />
<strong>Homeland</strong>: Gab es innerhalb <strong>de</strong>r Besatzung<br />
<strong>de</strong>r Hansa Stavanger einen Zusammenhalt<br />
o<strong>de</strong>r traten während <strong>de</strong>r Entführung auch<br />
Konflikte auf?<br />
Euskirchen: Es ist unheimlich wichtig,<br />
dass man mit sich selbst im Reinen ist,<br />
aber auch für die an<strong>de</strong>ren da ist. Das bekommt<br />
man dann auch zurück. Wir hatten<br />
das Glück, dass wir Manschaftsmitglie<strong>de</strong>r<br />
aus Tuvalu dabei hatten.<br />
Diese sind schon von ihrem<br />
Wesen her sehr fröhlich.<br />
Wenn man von ihnen<br />
dann <strong>de</strong>n Stress fernhält,<br />
also nicht alle Drohungen<br />
<strong>de</strong>r Piraten weitergibt,<br />
dann können sie das<br />
Ganze auch besser überstehen.<br />
Abends saßen<br />
wir dann schon mal zusammen<br />
und die Tuvalus<br />
verbreiteten gute Stimmung.<br />
Außer<strong>de</strong>m zeigten<br />
sie <strong>de</strong>n Piraten gegenüber<br />
keine Angst, weshalb<br />
sie von ihnen auch<br />
mit Respekt behan<strong>de</strong>lt<br />
wur<strong>de</strong>n. Genau so sollte<br />
man sich auch verhalten.<br />
Man kann ruhig mit <strong>de</strong>n<br />
Piraten in Kontakt treten,<br />
sollte aber auch nicht <strong>de</strong>n<br />
starken Mann markieren.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie bewerten<br />
Sie das Verhalten <strong>de</strong>r<br />
Die Container wur<strong>de</strong>n<br />
geöffnet und <strong>de</strong>r Inhalt<br />
durchwühlt<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 11
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Verschleppung an Land<br />
Ree<strong>de</strong>rei während <strong>de</strong>r<br />
Verhandlungen mit <strong>de</strong>n<br />
Piraten?<br />
Euskirchen: Es fehlte<br />
uns an Erfahrung, um zu<br />
wissen, wie so eine Verhandlung<br />
abläuft. Natürlich<br />
muss die Ree<strong>de</strong>rei<br />
am Anfang ein möglichst<br />
geringes Interesse zeigen,<br />
aber noch genug,<br />
damit die Piraten <strong>de</strong>r<br />
Besatzung nichts antun.<br />
Diese Verhandlungen wur<strong>de</strong>n seitens <strong>de</strong>r<br />
Ree<strong>de</strong>rei im Hintergrund von Spezialisten<br />
für solche Situationen betreut. Der Besatzung<br />
und <strong>de</strong>n Angehörigen kam da einiges<br />
vielleicht komisch vor. Die Verhandlungstaktik<br />
<strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei sollte aber auch nicht<br />
an die Öffentlichkeit gelangen. Im Nachhinein<br />
fin<strong>de</strong> ich, dass die Ree<strong>de</strong>rei sich absolut<br />
richtig verhalten hat. Die Verhandlungen<br />
haben sich am En<strong>de</strong> nur <strong>de</strong>shalb so lange<br />
hingezogen, weil sich die Piraten untereinan<strong>de</strong>r<br />
nicht auf die Höhe <strong>de</strong>s Lösegel<strong>de</strong>s einigen<br />
konnten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie bewerten Sie <strong>de</strong>n Einsatz<br />
technischer Schutzmaßnahmen?<br />
Euskirchen: Wirklichen Schutz bieten meiner<br />
Meinung nach nur bewaffnete Sicherheitsteams.<br />
Technische Maßnahmen sind<br />
eigentlich nur Verzögerungsmaßnahmen.<br />
Wenn ich aber nieman<strong>de</strong>n habe, <strong>de</strong>r auch<br />
zurückschießen kann, dann gibt es keinen<br />
Schutz. Wichtig ist, dass die Piraten schon<br />
von weitem erkennen, dass das Schiff geschützt<br />
ist. Sei es durch erkennbare technischen<br />
Maßnahmen o<strong>de</strong>r durch ein Plakat,<br />
das auf bewaffnetes Personal an Bord<br />
hinweist.<br />
<strong>Homeland</strong>: Im Jahr 2011 hat die Zahl<br />
<strong>de</strong>r erfolgreich durch Piraten gekaperten<br />
Schiffe abgenommen. Gleichzeitig stiegen<br />
aber die durchschnittlich als Lösegeld gezahlten<br />
Summen. Wie beurteilen Sie diese<br />
Entwicklung?<br />
Euskirchen: Grundsätzlich ist es natürlich<br />
gut, dass weniger Schiffe gekapert wur<strong>de</strong>n.<br />
Die Lösegel<strong>de</strong>r bewegen sich schon immer<br />
in einer Spirale nach oben. Das ist eine<br />
gefährliche Entwicklung, <strong>de</strong>nn ab einem<br />
bestimmten Bereich sind die Leute auch bereit,<br />
zu töten. Wenn dazu noch weniger gekaperte<br />
Schiffe kommen, steigt <strong>de</strong>r Druck<br />
auf die Piraten. Das lassen sie dann an <strong>de</strong>n<br />
Geiseln aus. Sie müssen jetzt mit weniger<br />
Schiffen ihre Erlöse erzielen. Die kommen<strong>de</strong><br />
Generation von Piraten ist zu<strong>de</strong>m noch<br />
aggressiver und unberechenbarer.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie schätzen Sie die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r weltweiten Piraterie in <strong>de</strong>n nächsten<br />
Jahren ein? Wo sehen sie Lösungsansätze<br />
für dieses Problem?<br />
Euskirchen: Überall, wo es Armut und soziale<br />
Ungerechtigkeit gibt, kann Piraterie<br />
entstehen, sei es vor Nigeria o<strong>de</strong>r vor Südamerika.<br />
Die somalische Kultur unterschei<strong>de</strong>t<br />
sich stark von unserer eigenen. Es gibt<br />
zwar innerhalb <strong>de</strong>r Piratengruppen eine<br />
grobe Struktur, aber von ihrer Mentalität<br />
her sind sie eher unkontrolliert und sprunghaft.<br />
Wenn sie von heute auf morgen etwas<br />
sehen, was rentabler ist, dann kann die Piraterie<br />
auch plötzlich wie<strong>de</strong>r aufhören. Man<br />
muss aber am Ball bleiben. Atalanta sollte<br />
weitergeführt wer<strong>de</strong>n, die Einsätze an Land<br />
müssen weitergehen, um das Material <strong>de</strong>r<br />
Piraten zu zerstören. Dann stellt sich noch<br />
die Frage nach <strong>de</strong>r dauerhaften Inhaftierung<br />
gefangener Piraten. Dafür sollte eine<br />
Lösung gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Alle ausführen<strong>de</strong>n<br />
Organe, wie die Marine o<strong>de</strong>r die Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
See funktionieren sehr gut. Ich<br />
habe aber manchmal <strong>de</strong>n Eindruck, dass<br />
die Politik <strong>de</strong>r Entwicklung nicht hinterherkommt.<br />
Man möchte da wohl nichts Falsches<br />
sagen und scheut sich davor, Verantwortung<br />
zu übernehmen.<br />
Fre<strong>de</strong>rik Euskirchen<br />
Jahrgang 1982. Bis<br />
2007 Studium „Seeverkehr<br />
und Nautik“<br />
an <strong>de</strong>r Ja<strong>de</strong> Hochschule<br />
in Elsfleth, Abschluss<br />
als Diplomingenieur.<br />
Von 2007 bis<br />
2009 Verwendungen<br />
als Dritter und Zweiter Offizier. 2010 Beför<strong>de</strong>rung<br />
zum Ersten Offizier bei <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei<br />
Leonhardt & Blumberg.<br />
12 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Die Lösung liegt an Land Heike Barnitzke<br />
Die Piraterie im Indischen Ozean bleibt<br />
nach <strong>2012</strong> nicht nur weiterhin aktuell,<br />
nach<strong>de</strong>m sie 2011 eine neue Qualität<br />
erreicht hat. Sie wird Politik und Wirtschaft<br />
auch noch auf Jahre hinaus beschäftigen.<br />
Brennpunkt <strong>de</strong>r Piraterieaktivitäten<br />
am Horn von Afrika sind <strong>de</strong>rzeit<br />
<strong>de</strong>r Golf von A<strong>de</strong>n, die Arabische See<br />
und die Gewässer <strong>de</strong>s Indischen Ozeans.<br />
Jährlich passieren 25.000 Schiffe <strong>de</strong>n<br />
Golf von A<strong>de</strong>n. Das Internationale Seefahrtsbüro<br />
(IMB) in Kuala Lumpur, das<br />
weltweit alle Piraterievorfälle dokumentiert,<br />
verzeichnete für 2011 231 Angriffe<br />
somalischer Piraten auf Han<strong>de</strong>lsschiffe,<br />
in 26 Fällen wur<strong>de</strong>n Schiffe tatsächlich<br />
entführt. Nach Angaben <strong>de</strong>r EU-Mission<br />
Atalanta befan<strong>de</strong>n sich am 14. Dezember<br />
2011 sieben Frachtschiffe, darunter<br />
eines bereits seit En<strong>de</strong> März 2010 in <strong>de</strong>r<br />
Hand somalischer Piraten.<br />
Die heutige Piraterie hat nichts mit heroischem<br />
Hel<strong>de</strong>ntum à la Like<strong>de</strong>eler zu tun.<br />
Keine Frage, bei <strong>de</strong>r heutigen Form <strong>de</strong>r<br />
Piraterie han<strong>de</strong>lt es sich um organisierte<br />
Schwerstkriminalität auf See. Die registrierten<br />
Piratenangriffe im Golf von A<strong>de</strong>n haben<br />
in <strong>de</strong>n letzten Jahren ihr Niveau kaum verän<strong>de</strong>rt.<br />
Wur<strong>de</strong>n 2008 noch 254 Angriffe und<br />
40 Entführungen verzeichnet, waren es im<br />
Jahr 2009 231 Angriffe und 53 Entführungen<br />
sowie 2010 bei 231 Angriffen sogar 50 Entführungen.<br />
Die Vereinten Nationen gehen<br />
von 3.500 Somalis aus, die als Piraten „arbeiten“.<br />
Die private One Earth Future Foundation<br />
schätzt <strong>de</strong>n finanziellen Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />
Han<strong>de</strong>lsschifffahrt und Regierungen durch<br />
Schiffsentführungen und Geiselnahmen entsteht,<br />
auf rund sieben Milliar<strong>de</strong>n US-Dollar<br />
pro Jahr – dazu zählen in dieser Statistik<br />
auch <strong>de</strong>r höhere Treibstoffverbrauch für<br />
eine schnellere Durchfahrt o<strong>de</strong>r die Aufwendungen<br />
für militärischen Schutz.<br />
1.000 Somali sind nach Angaben <strong>de</strong>r<br />
Vereinten Nationen <strong>de</strong>rzeit in 20 Län<strong>de</strong>rn<br />
in Haft o<strong>de</strong>r warten auf ihre Verurteilung.<br />
„Die Ursache für die Piraterie am Horn von<br />
Afrika, wobei das betroffene Seegebiet inzwischen<br />
weite Teile <strong>de</strong>s Indischen Ozeans<br />
umfasst, ist im Wesentlichen im Zerfall <strong>de</strong>r<br />
staatlichen Ordnung Somalias nach <strong>de</strong>m<br />
Sturz von Diktator Siad Barre im Jahre 1991<br />
zu sehen“, berichtete <strong>de</strong>r damalige Konteradmiral<br />
Andreas Krause und Leiter <strong>de</strong>s Einsatzführungsstabs<br />
<strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums<br />
<strong>de</strong>r Verteidigung im Mai 2011 beim „Berliner<br />
Forum Zukunft“ <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft<br />
für Auswärtige Politik e. V. in Berlin<br />
zum Thema. 1<br />
„Somalia zerfiel danach in einem jahrelangen<br />
Bürgerkrieg in verschie<strong>de</strong>ne Regionen.<br />
Die heute bestimmen<strong>de</strong>n Faktoren in<br />
Somalia sind verschie<strong>de</strong>ne Stammesorganisationen<br />
und die rücksichtlose Verfolgung<br />
<strong>de</strong>r Partikularinteressen. Somalia ist einer<br />
<strong>de</strong>r ärmsten Staaten <strong>de</strong>r Welt, die Lebensgrundlagen<br />
für <strong>de</strong>n Großteil <strong>de</strong>r etwa 12<br />
Millionen Einwohner sind zerstört, nur etwa<br />
<strong>sec</strong>hs Millionen Somali erhalten Hilfe durch<br />
das Welternährungsprogramm <strong>de</strong>r Vereinten<br />
Nationen. Kriminalität zur Sicherung<br />
<strong>de</strong>s Lebensunterhalts ist in ganz Somalia<br />
üblich, neben Schmuggel und Raub ist das<br />
eben auch die Piraterie.“<br />
Ziel <strong>de</strong>r somalischen Piraten sei es, das<br />
entführte Schiff nebst Geiseln einzutauschen<br />
gegen Lösegeld. Das unterschei<strong>de</strong> sie<br />
grundsätzlich von <strong>de</strong>r Piraterie in <strong>de</strong>r Straße<br />
von Malakka, wo sich zwischen 2000 und<br />
2004 <strong>de</strong>r Brennpunkt <strong>de</strong>r Piraterieaktivitäten<br />
befand: „Hier geht es nicht um Waren<br />
o<strong>de</strong>r an Bord befindliches Geld, auch nicht<br />
um die Schiffe selbst, es geht ausschließlich<br />
um Geiseln, um organisierten massenhaften<br />
Menschenraub“, so Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer<br />
<strong>de</strong>s Verbands Deutscher Ree<strong>de</strong>r.<br />
Nicht zu bewerten sind die psychischen<br />
und physischen Wun<strong>de</strong>n, die die Opfer erlei<strong>de</strong>n.<br />
Gewaltanwendung ist an <strong>de</strong>r Tagesordnung,<br />
sogar über so genannte Scheinhinrichtungen<br />
wur<strong>de</strong> berichtet.<br />
Die somalische Vorgehensweise ist in<br />
<strong>de</strong>n vergangenen Jahren perfi<strong>de</strong> perfektioniert<br />
wor<strong>de</strong>n und für die organisierte Kriminalität<br />
zu einer ergiebigen Einnahmequelle<br />
gewor<strong>de</strong>n. „Es han<strong>de</strong>lt sich dabei keinesfalls<br />
etwa um verarmte Fischer, die die Gelegenheit<br />
zu einem Überfall nutzen, son<strong>de</strong>rn<br />
um ver<strong>de</strong>ckt agieren<strong>de</strong> Investoren, die Piratenführer<br />
beauftragen und mit finanziellen<br />
Mitteln ausstatten. Die Piratenführer<br />
wie<strong>de</strong>rum rekrutieren die auf See han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />
Piraten. Im Fall einer erfolgreichen Kaperung<br />
wer<strong>de</strong>n inzwischen professionelle<br />
Ralf Nagel<br />
Vizeadmiral Andreas<br />
Krause<br />
1<br />
Seit <strong>de</strong>m 1. Januar <strong>2012</strong> ist Krause<br />
stellvertreten<strong>de</strong>r Befehlshaber <strong>de</strong>s<br />
Allied Maritime Command in Neapel<br />
und mittlerweile als Vizeadmiral<br />
tätig.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 13
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Besucher <strong>de</strong>r Podiumsdiskussion<br />
<strong>de</strong>r Deutschen<br />
Gesellschaft für<br />
Auswärtige Politik e. V.<br />
Verhandlungsführer in <strong>de</strong>n Verhandlungen<br />
mit <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>rn eingesetzt“, berichtete<br />
Vizeadmiral Krause.<br />
So ausgestattet agieren die Piraten zunehmend<br />
professionell: Immer wie<strong>de</strong>r kommen<br />
große und hochseetüchtige Mutterschiffe<br />
zum Einsatz, auf <strong>de</strong>nen sich bereits<br />
Geiseln befin<strong>de</strong>n. Die durchschnittliche Länge<br />
einer Geiselnahme beträgt nach Angaben<br />
<strong>de</strong>s Internationalen Seefahrtsbüros <strong>de</strong>rzeit<br />
über sieben Monate. Geldübergaben wer<strong>de</strong>n<br />
mit Hubschraubern abgewickelt. Auch dass<br />
die Verhandlungsführer z. B. kurzfristig eingeflogen<br />
wer<strong>de</strong>n können, weist auf <strong>de</strong>n hohen<br />
Organisationgrad und die Finanzmittel<br />
im Hintergrund.<br />
2011 allein seien nach Angaben <strong>de</strong>r One<br />
Earth Future Foundation rund 160 Millionen<br />
US-Dollar Lösegeld für 31 freigegebene<br />
Schiffe kassiert wor<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re Quellen<br />
gehen von noch höheren Summen aus.<br />
Wie viel genau gezahlt wur<strong>de</strong>, ist aus gutem<br />
Grund nicht zu erfahren. Auf je<strong>de</strong>n Fall lan<strong>de</strong>t<br />
dieses Geld in einem Kreislauf, <strong>de</strong>r auch<br />
für Geheimdienste kaum zu kontrollieren<br />
ist. In Somalia gibt es bis heute keine einzige<br />
Bank, Barsummen wer<strong>de</strong>n statt<strong>de</strong>ssen<br />
per Kurier in Nachbarlän<strong>de</strong>r gebracht und<br />
in diverse Kreisläufe gebracht. Ein System,<br />
dass die Somalis in 20 Jahren Bürgerkrieg<br />
perfektioniert haben, <strong>de</strong>nn nur so kamen<br />
Gel<strong>de</strong>r von Verwandten ins Land. Ein großer<br />
Teil <strong>de</strong>r Lösegel<strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>t wahrscheinlich<br />
heute bei zumeist somalischen Investoren<br />
im Ausland, die wie<strong>de</strong>rum in neue<br />
Piraterie-Unternehmungen investieren,<br />
Waffen und Ausrüstung finanzieren und so<br />
hohe Renditen kassieren. Ebenfalls sehr gut<br />
verdienen die Sicherheitsfirmen, die sich<br />
inzwischen vor Ort angesie<strong>de</strong>lt haben, zumeist<br />
aus Großbritannien und Südafrika. Sie<br />
bieten Lösegeldübergaben an, aber auch zunehmend<br />
private Sicherheit – an Bord.<br />
Angesichts dieser Bedrohung hat sich<br />
eine große Koalition aus aller Welt im Golf<br />
von A<strong>de</strong>n zusammen gefun<strong>de</strong>n. Genau genommen<br />
sind es mehrere militärische Missionen<br />
aus unterschiedlichen Mitglie<strong>de</strong>rn mit<br />
wie<strong>de</strong>rum unterschiedlichen Befugnissen<br />
und Möglichkeiten: die EU NAVFOR unter<br />
<strong>de</strong>m Namen „Atalanta“, zuletzt die NATOgeführte<br />
Mission „Ocean Shield“ und eine<br />
Koalition unter US-Führung namens „Combined<br />
Task Force“ (CTF-151), die vor Ort gemeinsam<br />
agieren.<br />
Piraterie betrifft die gesamte Weltschifffahrt<br />
und dabei wohl beson<strong>de</strong>rs die Exportnation<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland.<br />
Schließlich verfügt Deutschland über die<br />
drittgrößte Han<strong>de</strong>lsflotte <strong>de</strong>r Welt. Deutsche<br />
Ree<strong>de</strong>r fahren in aller Welt – etwa 800<br />
<strong>de</strong>r 1.700 Passagen <strong>de</strong>utscher Han<strong>de</strong>lsschiffe<br />
führen nach Angaben <strong>de</strong>s Verbands Deutscher<br />
Ree<strong>de</strong>r durch das von <strong>de</strong>r Piraterie<br />
betroffene Gebiet am Horn von Afrika.<br />
Eine wichtige Vorsichtsmaßnahme ist die<br />
Fahrt im Konvoi. Die multinationale Mission<br />
Atalanta <strong>de</strong>r Europäischen Union ist seit<br />
2008 im Golf von A<strong>de</strong>n vor Ort. Ihre Aufgabe<br />
ist <strong>de</strong>r Schutz humanitärer Hilfslieferungen<br />
<strong>de</strong>s Welternährungsprogramms <strong>de</strong>r Vereinten<br />
Nationen nach Somalia, Schutz <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsseefahrt<br />
im Golf von A<strong>de</strong>n und Bekämpfung<br />
jeglicher Piraterie, sowie Mitwirkung<br />
bei <strong>de</strong>r Überwachung <strong>de</strong>r Fischerei vor <strong>de</strong>r<br />
somalischen Küste. Mit <strong>de</strong>m Einsatzgruppenversorger<br />
„Berlin“ ist das größte Schiff<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine seit Februar vor Ort. Derzeit<br />
beteiligen sich Belgien, Deutschland,<br />
Frankreich, die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Italien, Schwe<strong>de</strong>n<br />
und Spanien ständig an <strong>de</strong>r Operation.<br />
Als erster Nicht-EU-Staat war von August<br />
2009 bis Januar 2010 Norwegen mit einem<br />
Schiff im Einsatz. Griechenland wird seine<br />
Beteiligung an <strong>de</strong>r Mission stoppen.<br />
„Seit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r Operation Atalanta<br />
haben Piraten das Seegebiet, in <strong>de</strong>m<br />
sie operieren, beständig ausgeweitet – um<br />
das Somali-Bassin und immer weiter bis auf<br />
<strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>s Indischen Ozeans“,<br />
berichtete Vizeadmiral Krause von <strong>de</strong>n<br />
14 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Erfahrungen, die vor Ort gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
„Die Verlagerung im Golf von A<strong>de</strong>n ist seit<br />
Beginn <strong>de</strong>s militärischen Schutzes durch die<br />
Atalanta-Mission <strong>de</strong>utlich. Zeitweilig sind<br />
40 Schiffe unter nationaler o<strong>de</strong>r EU-Führung<br />
eingesetzt. Sie haben ein gemeinsames<br />
Ziel, doch <strong>de</strong>r Handlungsradius unterschei<strong>de</strong>t<br />
sich zum Teil doch erheblich. Die<br />
Vorgehensweise <strong>de</strong>r EU, und das ist gut so,<br />
richtet sich an <strong>de</strong>n rechtlichen und gesellschaftlichen<br />
Werten aus. Die sind klar <strong>de</strong>finiert.<br />
Auch wenn sie die Möglichkeiten <strong>de</strong>s<br />
Eingreifens stärker beschränken als dies bei<br />
an<strong>de</strong>ren Nationen <strong>de</strong>r Fall ist. Rechtstaatliches<br />
Han<strong>de</strong>ln einerseits und die Unversehrtheit<br />
<strong>de</strong>r Geiseln, sowohl die auf <strong>de</strong>m<br />
entführten als auch möglicherweise auf <strong>de</strong>m<br />
Mutterschiff, stehen für uns unzweifelhaft<br />
im Vor<strong>de</strong>rgrund.“<br />
Angesichts <strong>de</strong>r inzwischen durch <strong>de</strong>n hohen<br />
Verfolgungsdruck ausgereiften Taktiken<br />
<strong>de</strong>r Piraten kann die Piraterie auf See eben<br />
nur eingedämmt und nicht verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n:<br />
„Neben <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>s Ausweichens<br />
und <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>s Wie<strong>de</strong>rauffin<strong>de</strong>ns setzen<br />
Piraten hochseetüchtige Mutterschiffe<br />
mit Geiseln ein. Das macht Aktivitäten gegen<br />
Piraten umso schwieriger. Im Gegenzug<br />
beabsichtigt die Europäische Union angepasstere,<br />
robustere Maßnahmen. So sollen<br />
z. B. erkannte Mutterschiffe markiert wer<strong>de</strong>n,<br />
um sie weiträumig umfahren zu können,<br />
um die Einsätze von bewaffneten Kräften<br />
besser zum Einsatz zu bringen.“<br />
Doch <strong>de</strong>m Einsatz bewaffneter Kräfte<br />
sind Grenzen gesetzt: „Der Einsatz von<br />
<strong>de</strong>utschen ´Vessel Protection Detachments´<br />
ist ausschließlich im Rahmen <strong>de</strong>r Operation<br />
Atalanta rechtlich abge<strong>de</strong>ckt. Eine Einschiffung<br />
<strong>de</strong>utscher Kräfte auf <strong>de</strong>utschen<br />
Han<strong>de</strong>lsschiffen ist außerhalb dieser Mission<br />
nicht möglich. Grundlage für die Einschiffung<br />
dieser VPD ist das so genannte<br />
Flaggenstaatsabkommen, mit <strong>de</strong>r ein Flaggenstaat<br />
<strong>de</strong>r Einschiffung auf einem seiner<br />
Schiffe zustimmt. Das hat sich bisher in<br />
<strong>de</strong>r Praxis als recht zeitaufwendig erwiesen<br />
und schließt spontane Einschiffungen aus.<br />
Eine solche Zustimmung liegt bisher <strong>de</strong>r EU<br />
für vier Nationen vor. Die <strong>de</strong>utsche Marine<br />
kann ihren Einsatz im Rahmen <strong>de</strong>r Mission<br />
Atalanta durchhaltefähig sicherstellen.“<br />
Eine weitere wesentliche Schwierigkeit<br />
ist die Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten:<br />
„Nach<strong>de</strong>m Kenia als Transferpartner<br />
nur noch auf ad-hoc-Basis verfügbar<br />
ist und auch an<strong>de</strong>re Anrainerstaaten<br />
sehr zögerlich<br />
auftreten, ist auf<br />
<strong>de</strong>n Seychellen die Kapazitätsgrenze<br />
erreicht.<br />
Mit Mauritius wer<strong>de</strong>n gegenwärtig<br />
Verhandlungen<br />
geführt. Auf diesem<br />
Feld gibt es also erheblichen<br />
Handlungsbedarf.<br />
Im April 2011 wur<strong>de</strong> vom<br />
Sicherheitsrat <strong>de</strong>r Vereinten<br />
Nationen eine Resolution<br />
verabschie<strong>de</strong>t,<br />
durch die <strong>de</strong>r Generalsekretär <strong>de</strong>r UN beauftragt<br />
wird, innerhalb von zwei Monaten<br />
eine Ausgestaltung von Somaliapiraterie-<br />
Son<strong>de</strong>rgerichten inner- und außerhalb von<br />
Somalia zu prüfen. Ferner ist nach Aufgreifen<br />
mutmaßlicher Piraten nicht immer gewährleistet,<br />
dass sie einer Strafverfolgung<br />
zugeführt wer<strong>de</strong>n. Das ist von <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft<br />
abhängig, und bis zur Entscheidung<br />
bleiben die mutmaßlichen Piraten an<br />
Bord <strong>de</strong>s Kriegsschiffes. Bei <strong>de</strong>n hohen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an die Beweissicherung, für die<br />
in Deutschland die Polizei verantwortlich ist,<br />
wird die Marine durch Feldjäger und einen<br />
eingeschifften Rechtsberater unterstützt.“<br />
Darüber hinaus besteht für die zivile<br />
Schifffahrt die Verantwortung zur Eigensicherung,<br />
wie z. B. die Koordination <strong>de</strong>r Bewegungen<br />
von Han<strong>de</strong>ls- und militärischen<br />
Schifffahrtsbewegungen über das Maritime<br />
<strong>Security</strong> Centre Horn of Africa, <strong>de</strong>m<br />
MSCHoA, das die EU NAVFOR <strong>de</strong>r Mission<br />
Ralf Nagel<br />
Vizeadmiral Andreas<br />
Krause<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 15
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
ATALANTA Einsatz: Ein<br />
Frachtschiff vor <strong>de</strong>r<br />
Küste Somalias wird<br />
durch das Boardingteam<br />
<strong>de</strong>r Fregatte HAMBURG<br />
überprüft.<br />
Atalanta betreibt. Dort wer<strong>de</strong>n die Schiffsbewegungen<br />
überwacht und Warnungen übermittelt.<br />
Die Anmeldung bei diesem Zentrum<br />
gehört zur Umsetzung <strong>de</strong>r so genannten<br />
„Best Management Practices“. Diese umfassen<br />
neben umfangreichen baulichen Verän<strong>de</strong>rungen<br />
an Bord <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe auch<br />
Schulungen für die maritime Wirtschaft. Die<br />
Bun<strong>de</strong>spolizei unterhält in Neustadt/Holstein<br />
seit Februar 2010 das Piraterie-Präventionszentrum<br />
(PPZ), das die Aufgabe hat,<br />
nationale kriminalpräventive Maßnahmen<br />
zu koordinieren. Es ist ständig erreichbar<br />
für Fragen über Piraterie und führt Workshops<br />
für die <strong>de</strong>utsche Seeschifffahrt durch.<br />
VDR-Geschäftsführer Ralf Nagel berichtete<br />
von hervorragen<strong>de</strong>n Erfahrungen mit<br />
<strong>de</strong>m PPZ, das <strong>de</strong>n Sicherheitsoffizieren <strong>de</strong>r<br />
Ree<strong>de</strong>reien neben praktischen Maßnahmen<br />
auch psychologische Aspekte für Geiseln in<br />
Piratenhand vermittelt.<br />
Einem Einsatz von Bun<strong>de</strong>spolizei an Bord<br />
hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sinnenminister eine Absage<br />
erteilt. Von <strong>de</strong>n 3.559 Schiffen <strong>de</strong>utscher<br />
Ree<strong>de</strong>r stehen 568 unter <strong>de</strong>utscher Flagge.<br />
(Stand: März 2011) Allein für <strong>de</strong>ren Schutz<br />
während <strong>de</strong>r Fahrt vor <strong>de</strong>r ostafrikanischen<br />
Küste wür<strong>de</strong> mit einem Bedarf von 1.500<br />
Bun<strong>de</strong>spolizisten gerechnet und mit jährlichen<br />
Kosten von 150 Millionen Euro. Das ist<br />
nicht zu leisten.<br />
Die Bun<strong>de</strong>sregierung setzt daher auf<br />
<strong>de</strong>n vermehrten Einsatz privater Sicherheitsteams,<br />
die schon jetzt auf manchen<br />
Schiffen eingesetzt sind und sich nachweislich<br />
bei Angriffen bereits bewährt haben.<br />
Es ist bisher kein Fall bekannt, in <strong>de</strong>m ein<br />
Schiff gekapert wur<strong>de</strong>, auf <strong>de</strong>m sich bewaffnete<br />
Sicherheitskräfte befan<strong>de</strong>n. Dass<br />
<strong>de</strong>utsches Recht das Mitführen automatischer<br />
Waffen auf Schiffen verbietet, war bereits<br />
Gegenstand längerer Diskussionen.<br />
Doch <strong>de</strong>r Einsatz bewaffneter Einsatzkräfte<br />
kann das Phänomen <strong>de</strong>r Piraterie<br />
letztlich lediglich eindämmen. Vizeadmiral<br />
Krause verwies auf das Beispiel <strong>de</strong>r Straße<br />
von Malakka: „Diese Meeresstraße ist mit<br />
jährlich 50.000 Schiffen einer <strong>de</strong>r meistbefahrenen<br />
Wasserstraßen <strong>de</strong>r Welt. Die Piraterieaktivitäten<br />
hatten dort in <strong>de</strong>n Jahren<br />
2000 bis 2004 ihren Höhepunkt. Erst als die<br />
regionalen Anrainerstaaten ihre Bemühungen<br />
zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie erhöht<br />
hatten, und zwar gemeinsam, konnten nachhaltige<br />
Erfolge gegen die Piraterie erzielt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Einige <strong>de</strong>r Staaten mo<strong>de</strong>rnisierten in <strong>de</strong>n<br />
1990ern ihre Seestreitkräfte und setzten sie<br />
zur Überwachungen <strong>de</strong>r Küsten ein. In Singapur,<br />
Thailand und Indonesien etwa wur<strong>de</strong>n<br />
schnelle Einsatztruppen geschaffen.<br />
Des Weiteren haben die Staaten das Maß<br />
<strong>de</strong>r ko- und bilateralen Zusammenarbeit erhöht.<br />
Dies führte u. a. 2004 zur Sicherheitsinitiative<br />
<strong>de</strong>r Straße von Malakka MSSI, mit<br />
<strong>de</strong>r erstmals eine grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Verfolgung von Piraterie gewährleistet wer<strong>de</strong>n<br />
konnte.<br />
Die Erfolge in Südostasien zeigten uns<br />
aber auch, dass das Problem auf See allein<br />
nicht lösbar sein wird. Viel wichtiger<br />
als eine bessere maritime Ausstattung und<br />
Radarüberwachung sind gefestigte Staatsstrukturen,<br />
Durchsetzung <strong>de</strong>s staatlichen<br />
Gewaltmonopols, Bekämpfung <strong>de</strong>r Armut<br />
und <strong>de</strong>r gemeinsame, umfassen<strong>de</strong> Einsatz<br />
aller Kräfte als Schlüssel zum Erfolg.“ Die<br />
Lösung liegt an Land.<br />
16 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Piraterie ist völlig unromantisch<br />
Bei Piraterie han<strong>de</strong>lt es sich um Gewalttaten,<br />
Eigentums<strong>de</strong>likte o<strong>de</strong>r Freiheitsberaubungen,<br />
die zu eigennützigen<br />
Zwecken unter Gebrauch eines Seeo<strong>de</strong>r<br />
Luftfahrzeugs auf hoher See o<strong>de</strong>r<br />
in an<strong>de</strong>ren Gebieten verübt wer<strong>de</strong>n, die<br />
keiner staatlichen Gewalt unterliegen.<br />
Für Ernst-Reinhard Beck, MdB CDU/<br />
CSU, ist Piraterie völlig unromantisch.<br />
Mit ihm sprachen Dr. Nadine Seumenicht<br />
und Michael Zacher.<br />
<strong>Homeland</strong>: Piraten-Romantik à la Störtebeker:<br />
Ist das ein verklärter, unsachgemäßer<br />
Blick?<br />
Beck: Piraterie ist völlig unromantisch: Sie<br />
ist organisierte Kriminalität mit zunehmen<strong>de</strong>r<br />
Brutalität im Vorgehen. Verklärung von<br />
Verbrechern ist völlig unangemessen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Die Exportnation Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
Deutschland verfügt über die drittgrößte<br />
Han<strong>de</strong>lsflotte <strong>de</strong>r Welt. Deutsche Ree<strong>de</strong>r<br />
fahren in aller Welt – etwa 800 <strong>de</strong>r 1.700<br />
Passagen <strong>de</strong>utscher Han<strong>de</strong>lsschiffe führen<br />
nach Angaben <strong>de</strong>s Verbands Deutscher Ree<strong>de</strong>r<br />
(VDR) z. B. durch das von <strong>de</strong>r Piraterie<br />
betroffene Gebiet am Horn von Afrika, im<br />
Golf von A<strong>de</strong>n. Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer<br />
<strong>de</strong>s VDR, beziffert <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n auf<br />
jährlich etwa 12 Milliar<strong>de</strong>n Euro. Was halten<br />
Sie von dieser Schätzung?<br />
Beck: Ich habe großes Verständnis dafür,<br />
wenn man sagt, wer Lösegeld zahlt, macht<br />
sich weiter erpressbar und finanziert damit<br />
die Piraterie. In <strong>de</strong>r Praxis lässt sich das<br />
Zahlen von Lösegeld aber nur schwer verhin<strong>de</strong>rn,<br />
wenn eigene Mitarbeiter wochenund<br />
monatelang (s. Hansa Stavanger) unter<br />
schlimmen Bedingungen festgehalten und<br />
mit <strong>de</strong>m Tod bedroht wer<strong>de</strong>n. Aus humanitären<br />
Grün<strong>de</strong>n wird im Einzelfall an<strong>de</strong>rs<br />
gehan<strong>de</strong>lt.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das Vorgehen <strong>de</strong>r Deutschen<br />
bzw. Europäer im Vergleich mit <strong>de</strong>n Amerikanern:<br />
Sehen Sie Unterschie<strong>de</strong>? Gibt es<br />
eine Art „best practice“?<br />
Michael Zacher und Dr.<br />
Nadine Seumenicht im<br />
Gespräch mit Ernst-<br />
Reinhard Beck<br />
Beck: Ich kenne Herrn Nagel und gehe davon<br />
aus, dass diese Schätzung seriös ist.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wahrscheinlich ist die Ten<strong>de</strong>nz<br />
steigend?<br />
Beck: Möglich, aber die Erfolgsquote bei<br />
Kaperungen geht zurück. Wir hatten im Jahre<br />
2010 eine Erfolgsquote von 24 % und<br />
2011 nur noch von 12 %. Die Abwehrmaßnahmen<br />
zeigen Wirkung. So ist die Zahl <strong>de</strong>r<br />
gekaperten Schiffe zurückgegangen, das<br />
durchschnittlich gezahlte Lösegeld jedoch<br />
gestiegen. Im Jahre 2008 waren es durchschnittlich<br />
1,4 Millionen Dollar Lösegeld pro<br />
Schiff, 2011 bereits 4,5 Millionen Dollar.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie steht die <strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>sregierung<br />
zu Lösegeldzahlungen?<br />
Beck: Ich sehe keine großen Unterschie<strong>de</strong>.<br />
Wir beteiligen uns an <strong>de</strong>r Operation Atalanta,<br />
die eng mit <strong>de</strong>r NATO-Operation Ocean<br />
Shield zusammenarbeitet. Seit 2009 gibt es<br />
einen Transit Corridor durch <strong>de</strong>n Golf von<br />
A<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Hoch-Risiko-Zone sorgen unter<br />
an<strong>de</strong>rem Schiffe <strong>de</strong>r Operation Atalanta für<br />
die Sicherheit <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe. Der Abschreckungseffekt<br />
ist da und das robustere<br />
Vorgehen zeigt Wirkung.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo können Deutsche bzw.<br />
Europäer noch stärker international<br />
zusammenarbeiten?<br />
Beck: Wir haben mit Atalanta eine Mission,<br />
die sich großer Zustimmung in <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
erfreut. Die Deutsche Marine<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 17
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
nimmt ihre Aufgabe mit großer öffentlicher<br />
Unterstützung wahr. Eine Ausweitung über<br />
das aktuelle Mandat hinaus halte ich im Moment<br />
nicht für notwendig. Es wäre natürlich<br />
wünschenswert, dass man in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r<br />
Koordination weiterkommt; zwischen Ocean<br />
Shield und Atalanta funktioniert das. In <strong>de</strong>m<br />
riesigen Seegebiet, das größer als Europa<br />
ist, wäre eine Gesamtkoordination durch die<br />
UNO wünschenswert. Das wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Druck<br />
auf die Piraten verstärken.<br />
<strong>Homeland</strong>: Gibt es Überlegungen, dass Militär<br />
und private Sicherheitseinheiten koordiniert<br />
auftreten? O<strong>de</strong>r arbeiten bei<strong>de</strong><br />
autark?<br />
Beck: Eine Kooperation von maritimen Sicherheitskräften,<br />
und Han<strong>de</strong>lsschiffen, die<br />
durch eine private Sicherheitsfirma geschützt<br />
sind, ist aus meiner Sicht nicht nur<br />
wünschenswert, son<strong>de</strong>rn auch notwendig.<br />
Unsere Konvois bieten Schutz und mit <strong>de</strong>r<br />
Orion betreiben wir Aufklärung. Ich hoffe,<br />
dass die Kommunikation in bei<strong>de</strong>n Richtungen<br />
funktioniert.<br />
<strong>Homeland</strong>: Gibt es eine juristische<br />
Grauzone?<br />
Beck: Ich schätze das Gewaltmonopol <strong>de</strong>s<br />
Staates in seiner frie<strong>de</strong>nsstiften<strong>de</strong>n Wirkung.<br />
Natürlich trägt diese Entwicklung einer<br />
verän<strong>de</strong>rten Gefahrenlage Rechnung.<br />
Auch können staatliche Organe nicht in allen<br />
Bereichen <strong>de</strong>n erwünschten Grad von<br />
Sicherheit garantieren. So wird auch <strong>de</strong>r<br />
Einsatz von privaten Sicherheitskräften gefor<strong>de</strong>rt.<br />
Wenn diese Firmen lizensiert und<br />
zertifiziert sind, sehe ich auch nicht die<br />
Gefahr in einer juristischen Grauzone zu<br />
operieren.<br />
<strong>Homeland</strong>: Stichwort „Private Sicherheitskräfte“:<br />
Hier fin<strong>de</strong>t doch sozusagen ein gegenseitiges<br />
Aufrüsten bzw. Aufschaukeln<br />
statt. Dadurch, dass Geld fließt, rüsten die<br />
Piraten auf und wir legen nach. Es schaukelt<br />
sich immer höher. Wie ist das zu vermei<strong>de</strong>n?<br />
Beck: Eine Aktion löst auch immer eine Gegenaktion<br />
aus und ein verstärkter Schutz<br />
möglicherweise auch eine verstärkte Attacke.<br />
Ich beobachte zurzeit jedoch keine<br />
Eskalation. Wenn die Piraten merken, dass<br />
wirksamer Schutz vorhan<strong>de</strong>n ist, lassen sie<br />
in <strong>de</strong>r Regel von weiteren Aktionen ab. Als<br />
Reaktion auf das robuste Vorgehen <strong>de</strong>r Alliierten<br />
haben die Piraten Ihr Operationsgebiet<br />
ausgeweitet. Einen kompletten Schutz<br />
durch unsere Marine o<strong>de</strong>r durch eine an<strong>de</strong>re<br />
Marine gibt es nicht. Wir bieten die Möglichkeit<br />
<strong>de</strong>s Konvoischutzes. Für manche ist<br />
das attraktiv, für an<strong>de</strong>re aber nicht.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo stehen wir mit Atalanta in<br />
fünf Jahren? Der Trend ist positiv, wenngleich<br />
die Lösegeldzahlungen aktuell <strong>de</strong>utlich<br />
höher sind. Wer<strong>de</strong>n wir das Problem<br />
beseitigen können? O<strong>de</strong>r müssen wir <strong>de</strong>n<br />
Schritt wagen, von Bord zu gehen und auch<br />
an Land zu operieren?<br />
Beck: Vorweg: Ich bin gegen Landoperationen.<br />
Mit <strong>de</strong>m neuen Mandat können seit einiger<br />
Zeit auch Schiffe o<strong>de</strong>r Waffenlager <strong>de</strong>r<br />
Piraten am Strand z.B. mit Bordhubschraubern<br />
bekämpft wer<strong>de</strong>n. Wir haben damit<br />
<strong>de</strong>n Soldaten ein wirksames Mittel in Form<br />
einer zusätzlichen militärischen Option zum<br />
Kampf gegen die Piraten gegeben. Eine weitere<br />
Ausweitung <strong>de</strong>s Mandats in Bezug auf<br />
Operationen im Lan<strong>de</strong>sinneren wird es aber<br />
nicht gehen. Nochmals: Keine „Boots on the<br />
ground“.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo sehen Sie das zukünftige<br />
Gefährdungspotenzial?<br />
Beck: Ich wür<strong>de</strong> mir wünschen, dass wir<br />
das Übel an <strong>de</strong>r Wurzel anpacken. Ich glaube,<br />
dass wir etwas erreichen, wenn wir mit<br />
<strong>de</strong>n Anstrengungen <strong>de</strong>r Staatengemeinschaft<br />
weiterhin präsent und glaubhaft in<br />
<strong>de</strong>r Abschreckung sind und die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Vorkehrungen, also Sicherheitsmaßnahmen<br />
an Bord von Han<strong>de</strong>lsschiffen,<br />
verstärken und komplettieren. Letztendlich<br />
ist eine nachhaltige Beendigung <strong>de</strong>r Gefährdung<br />
nur durch eine Verän<strong>de</strong>rung auch an<br />
Land möglich – sprich: Strukturen von Ordnung<br />
und Recht in Somalia. Da wäre die<br />
Frage, was die internationale Gemeinschaft<br />
tun soll. Je<strong>de</strong> Einmischung, je<strong>de</strong> Intervention<br />
hat bisher die Dinge nur schlechter gemacht.<br />
Ein gutes Beispiel für nachhaltige<br />
Pirateriebekämpfung ist die Straße von<br />
Malakka. Sie war eine gefähr<strong>de</strong>te Region.<br />
Durch das massive Vorgehen <strong>de</strong>r Anrainer<br />
gegen die Piraten hat sich die Piraterie dort<br />
nahezu aufgelöst.<br />
18 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo wer<strong>de</strong>n wir mit <strong>de</strong>r Piraterie<br />
in fünf Jahren stehen?<br />
Beck: Im Augenblick stabilisiert sich die<br />
Situation durch das Zusammenwirken von<br />
verstärkter Sicherheitsvorkehrung an Bord<br />
<strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe und verstärkter Präsenz<br />
<strong>de</strong>r Kriegsschiffe in <strong>de</strong>r Region. Diese Kombination,<br />
zusammen mit positiven Entwicklungen<br />
in Somalia, könnte die Situation soweit<br />
stabilisieren, dass die Piraterie auf ein<br />
niedriges Niveau absinkt. Wenn es uns gelänge,<br />
eine stabile Staatenstruktur um das<br />
Seegebiet in Somalia zu errichten, wäre das<br />
Problem vielleicht mittel- bis langfristig in<br />
<strong>de</strong>n Griff zu bekommen. Ich bin skeptisch,<br />
was kurz- und mittelfristige Lösungen o<strong>de</strong>r<br />
radikale Lösungen anbelangt.<br />
<strong>Homeland</strong>: Was wünschen Sie sich privat<br />
und in ihrem politischen Wirken für die<br />
Zukunft?<br />
Beck: Privat, wie wohl je<strong>de</strong>r Politiker: Mehr<br />
Zeit für die Familie und weniger Hektik. Politisch:<br />
Mehr Aufmerksamkeit für die großen<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Sicherheitspolitik<br />
sowie mehr Unterstützung und Anerkennung<br />
für unsere Soldaten im Einsatz. Wenn<br />
ich sage, die Welt wird mit je<strong>de</strong>m Tag unsicherer<br />
und nicht sicherer, dann sind alle<br />
Anstrengungen nötig, Lösungen auf friedlichem<br />
Wege zu erreichen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Herr Beck, herzlichen Dank für<br />
das Gespräch.<br />
MADE IN GERMANY<br />
<strong>de</strong>u_anzeige_militaer_zivil_185x135.indd 1 05.01.<strong>2012</strong> 13:55:30
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Organisierte Kriminalität<br />
Bekämpfung <strong>de</strong>r Seepiraterie durch erhöhtes staatliches<br />
Engagement vor Ort<br />
„Noch nie sind Schiffe weltweit und<br />
auch am Horn von Afrika so häufig von<br />
Piraten angegriffen wor<strong>de</strong>n wie im ersten<br />
Halbjahr 2011. Von daher ist sowohl<br />
das internationale als auch das<br />
<strong>de</strong>utsche Engagement erheblich auszubauen<br />
und die Bun<strong>de</strong>sregierung ist<br />
aufgefor<strong>de</strong>rt, ihren Einfluss im nordatlantischen<br />
Bündnis sowie im Weltsicherheitsrat<br />
verstärkt auf diese Bedrohung<br />
auszurichten.“ Diese Auffassung<br />
vertritt Michael Neumann, Senator <strong>de</strong>r<br />
Behör<strong>de</strong> für Inneres und Sport <strong>de</strong>r Freie<br />
und Hansestadt Hamburg.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsche Schiffe<br />
vor Übergriffen durch Piraten geschützt?<br />
Welche Rolle nehmen hier Marine und Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
ein?<br />
Neumann: Die Bekämpfung <strong>de</strong>r Seepiraterie<br />
und <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>utscher Schiffe liegen<br />
in staatlicher Verantwortung. Neben<br />
umfassen<strong>de</strong>n Eigensicherungsmaßnahmen<br />
seitens <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien, die sich an <strong>de</strong>n<br />
Empfehlungen <strong>de</strong>r IMO orientieren sollten,<br />
macht die Abwehr von Piratenangriffen <strong>de</strong>shalb<br />
<strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Deutschen Marine und<br />
bun<strong>de</strong>spolizeiliches Han<strong>de</strong>ln insbeson<strong>de</strong>re<br />
zum Schutz <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Han<strong>de</strong>lsflotte erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Als beson<strong>de</strong>rs wirkungsvoll hat<br />
sich bisher <strong>de</strong>r Einsatz bewaffneter Schutzteams<br />
an Bord beson<strong>de</strong>rs gefähr<strong>de</strong>ter Schiffe<br />
erwiesen. Insofern ist das Engagement<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Marine im Rahmen <strong>de</strong>r EU-<br />
Operation ATALANTA und die Arbeit <strong>de</strong>s Pirateriepräventionszentrums<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
See zu begrüßen. Gleichwohl muss <strong>de</strong>r<br />
militärische Einsatz <strong>de</strong>r Deutschen Marine<br />
verstärkt und Einheiten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
für <strong>de</strong>n Schutz beson<strong>de</strong>rs gefähr<strong>de</strong>ter, unter<br />
<strong>de</strong>utscher Flagge fahren<strong>de</strong>r Schiffe, bereitgestellt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Homeland</strong>: Umstritten ist <strong>de</strong>r Einsatz privater<br />
Sicherheitskräfte an Bord. Bund<br />
und Län<strong>de</strong>r sind sich uneins darüber. Die<br />
Bun<strong>de</strong>sregierung will <strong>de</strong>n Einsatz privater<br />
Sicherheitskräfte auf <strong>de</strong>utschen<br />
Schiffen ermöglichen und forcieren. Was<br />
halten Sie davon? Wie sehen Sie <strong>de</strong>ren<br />
Einsatzmöglichkeiten?<br />
Neumann: Die Abwehr erheblicher Gefahren<br />
und <strong>de</strong>r Schutz von Seeschiffen unter<br />
<strong>de</strong>utscher Flagge ist staatliche, hoheitliche<br />
Aufgabe. Der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen<br />
kann nach meiner Überzeugung<br />
nur unter Führung von <strong>de</strong>utscher Marine<br />
o<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei und nur als Assistenz<br />
für staatliche Sicherheitskräfte angemessen<br />
sein. Das ist beim Bund aber nicht durchsetzbar,<br />
er setzt auf private Kräfte. Die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />
hat jetzt einen Gesetzentwurf<br />
auf <strong>de</strong>n Weg gebracht, <strong>de</strong>r für Bewachungsunternehmen<br />
auf Seeschiffen ein beson<strong>de</strong>res<br />
Zulassungsverfahren einführt. Damit<br />
sollen nur zuverlässige und qualifizierte<br />
Sicherheitskräfte auf Schiffen unter <strong>de</strong>utscher<br />
Flagge zum Einsatz kommen. Damit<br />
einher geht die Pflicht <strong>de</strong>r betroffenen Unternehmen,<br />
sich einem waffenrechtlichen<br />
Genehmigungsverfahren zu unterziehen.<br />
Hamburg wird sich hier voraussichtlich als<br />
zentrale Genehmigungsbehör<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rs<br />
engagieren. Ich betone aber noch einmal,<br />
dass <strong>de</strong>r ausschließliche Einsatz – selbst<br />
zertifizierter – privater Sicherheitskräfte<br />
aus meiner Sicht kein Ersatz für fehlen<strong>de</strong>s<br />
Engagement <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s bei <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />
<strong>de</strong>r Piraterie sein darf!<br />
<strong>Homeland</strong>: Die Innenminister <strong>de</strong>r fünf Küstenlän<strong>de</strong>r<br />
sehen die Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie<br />
in <strong>de</strong>r staatlichen Verantwortung und<br />
for<strong>de</strong>rn mehr Soldaten sowie ein Gesamtkonzept<br />
unter <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine.<br />
Im Indischen Ozean betreibt die EU<br />
NAVFOR die Mission ATALANTA, vornehmlich<br />
zur Sicherung <strong>de</strong>r UN-Hilfslieferungen<br />
nach Somalia, aber eben auch im Einsatz<br />
gegen Piraterie. Wie beurteilen Sie <strong>de</strong>ren<br />
Wirkmöglichkeiten?<br />
Neumann: Erfreulicherweise ist die Zahl<br />
<strong>de</strong>r Piratenattacken im ersten Halbjahr<br />
<strong>2012</strong> stark zurückgegangen, das sagt je<strong>de</strong>nfalls<br />
eine Auswertung <strong>de</strong>s International<br />
20 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Maritime Bureau. Offenbar verschieben sich<br />
die Angriffe von <strong>de</strong>r somalischen Küste hin<br />
zum Golf von Guinea. Im ersten Halbjahr ist<br />
die Zahl <strong>de</strong>r Überfälle durch somalische Piraten<br />
von 163 <strong>de</strong>s Jahres 2011 auf 69 Angriffe<br />
in diesem Jahr zurückgegangen. Diese<br />
Entwicklung am Horn von Afrika ist ein<br />
Erfolg <strong>de</strong>r vor Ort agieren<strong>de</strong>n internationalen<br />
Marineeinheiten sowie ihrem robusteren<br />
Vorgehen. Mit über 300 absolvierten<br />
Schutzaufträgen für die im Rahmen <strong>de</strong>r UN-<br />
Hilfslieferungen nach Somalia gecharterten<br />
Schiffe und <strong>de</strong>m sicher begleiteten Transport<br />
von über 900.000 Tonnen Hilfsgütern<br />
ist dieser Teil <strong>de</strong>s Auftrages <strong>de</strong>r Operation<br />
ATALANTA ein Erfolg für die humanitäre<br />
Hilfe vor Ort. Die ständige Anwesenheit<br />
von Kriegsschiffen im Golf von A<strong>de</strong>n hat dieses<br />
Seegebiet für die Han<strong>de</strong>lsschifffahrt seit<br />
En<strong>de</strong> 2008 sicherer gemacht. Gleichwohl<br />
bleibt die Piraterie vor Somalia eine akute<br />
Bedrohung – für die Schiffe, die Ree<strong>de</strong>r und<br />
vor allem – als unmittelbar Betroffene – für<br />
die Seeleute! Von daher ist sowohl das internationale<br />
als auch das <strong>de</strong>utsche Engagement<br />
weiterhin erfor<strong>de</strong>rlich und die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />
ist aufgefor<strong>de</strong>rt, ihren Einfluss im<br />
nordatlantischen Bündnis sowie im Weltsicherheitsrat<br />
verstärkt auf diese Bedrohung<br />
auszurichten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Können Militär und zivile Sicherheitseinheiten<br />
gut zusammenwirken?<br />
<strong>de</strong>r betroffenen Region stabile staatliche<br />
Strukturen aufzubauen und die Lebensperspektiven<br />
<strong>de</strong>r Menschen zu verbessern. Dies<br />
ist mittelfristig, also in einem Zeitraum von<br />
fünf Jahren – auch bei größter Anstrengung<br />
<strong>de</strong>r Staatengemeinschaft – lei<strong>de</strong>r nicht zu erwarten.<br />
Ein Grund hierfür ist auch die Tatenlosigkeit<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>sregierung.<br />
Neben <strong>de</strong>m erhöhten staatlichen Engagement<br />
vor Ort müssen die Möglichkeiten<br />
zur Strafverfolgung von Piraterie<strong>de</strong>likten<br />
erheblich verbessert wer<strong>de</strong>n. Dazu gehören<br />
die Schaffung von Spezialdienststellen zur<br />
Ermittlung <strong>de</strong>rartiger Delikte und verstärkte<br />
Anstrengungen zur Bekämpfung <strong>de</strong>r organisierten<br />
Kriminalität, um Hintermänner<br />
und Auftraggeber zu ermitteln. Die internationale<br />
Rechtshilfe muss unter Berücksichtigung<br />
<strong>de</strong>s Übereinkommens zur Bekämpfung<br />
wi<strong>de</strong>rrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit<br />
<strong>de</strong>r Seeschifffahrt ausgebaut wer<strong>de</strong>n.<br />
Das bedingt auch eine vertrauensvolle<br />
und effektive Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n tatortnahen<br />
Staaten. Die Errichtung eines Internationalen<br />
Strafgerichtshofs für Piraterie<br />
o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st von Gerichten mit nationalen<br />
und internationalen Experten in <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
Region ist zu forcieren. Als erster<br />
Schritt sind international einheitliche Leitlinien<br />
für das Gerichtsverfahren und die sich<br />
ggf. anschließen<strong>de</strong> Strafvollstreckung dringend<br />
erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Neumann: Der Einsatz privater bewaffneter<br />
Sicherheitsdienste fin<strong>de</strong>t im Rahmen<br />
<strong>de</strong>r Eigensicherungsmaßnahmen durch <strong>de</strong>n<br />
Ree<strong>de</strong>r bzw. das Schiff statt und ist als ein<br />
Baustein innerhalb <strong>de</strong>s Pirateriebekämpfungskonzeptes<br />
zu klassifizieren, ohne dass<br />
<strong>de</strong>r Staat aus seiner Verantwortung zur<br />
Wahrnehmung <strong>de</strong>s Gewaltmonopols entlassen<br />
wird. Militärische bzw. staatliche Maßnahmen<br />
berücksichtigen die Gefährdungslage<br />
<strong>de</strong>s betroffenen Schiffes, die durch <strong>de</strong>n<br />
Einsatz ziviler Sicherheitseinheiten beeinflusst<br />
wird, und passen ihre Maßnahmen<br />
<strong>de</strong>mentsprechend an.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo wer<strong>de</strong>n wir in fünf Jahren<br />
bzgl. Piraterie stehen? Was wünschen Sie<br />
sich für die Zukunft?<br />
Neumann: Eine erfolgreiche Bekämpfung<br />
<strong>de</strong>r Piraterie am Horn von Afrika ist grundsätzlich<br />
davon abhängig, ob es gelingt, in<br />
Michael Neumann, Senator <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für<br />
Inneres und Sport <strong>de</strong>r Freie und Hansestadt<br />
Hamburg, Jahrgang 1970, 1989 Abitur und<br />
Dienstantritt Bun<strong>de</strong>swehr, seit 1989 Mitglied<br />
<strong>de</strong>r SPD, von 1992 bis 1995 Universität<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr Hamburg, Abschluss:<br />
Diplom-Politologe, 1996 Berufssoldat, 2009<br />
Ernennung zum Regierungsrat, 2010 Lehrbeauftragter<br />
Helmut-Schmidt-Universität<br />
und Ernennung zum Oberregierungsrat, von<br />
1997 bis 2011 Mitglied <strong>de</strong>r Hamburgischen<br />
Bürgerschaft, seit 23. März 2011 Senator.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 21
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Martin Günthner<br />
Gemeinsam stark<br />
Zusammenwirken von militärischen und<br />
zivilen Schutzmaßnahmen<br />
Martin Günthner<br />
„Die Deutsche Marine muss schnellstmöglich<br />
in die Lage versetzt wer<strong>de</strong>n,<br />
die unter <strong>de</strong>utscher Flagge fahren<strong>de</strong>n<br />
Schiffe robust vor Piraterie zu schützen“,<br />
betont Martin Günthner, Senator<br />
für Wirtschaft, Arbeit und Häfen sowie<br />
Senator für Justiz und Verfassung <strong>de</strong>r<br />
Freien Hansestadt Bremen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Herr Senator, wenn Sie <strong>de</strong>n<br />
Begriff „Pirat“ hören, ist dies ein verklärtes<br />
Bild, insbeson<strong>de</strong>re im Hinblick auf Seefahrerromantik?<br />
Wie grenzen Sie hierzu <strong>de</strong>n<br />
Begriff „Piraterie“ ab?<br />
Günthner: Seepiraterie war und ist zu allen<br />
Zeiten eine organisierte kriminelle Handlung<br />
gegen die Han<strong>de</strong>lsschifffahrt und eine<br />
Bedrohung für das Leben von Seeleuten und<br />
hat mit „Seefahrerromantik“ nichts gemein.<br />
Heute wird <strong>de</strong>r Begriff Seeräuberei<br />
(= Piraterie) international verbindlich durch<br />
das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) <strong>de</strong>r<br />
Vereinten Nationen von 1982 <strong>de</strong>finiert. Im<br />
Sinne von Art. 101 SRÜ ist Seeräuberei/Piraterie<br />
je<strong>de</strong> rechtswidrige Gewalttat o<strong>de</strong>r<br />
Freiheitsberaubung o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong> Plün<strong>de</strong>rung,<br />
welche die Besatzung o<strong>de</strong>r die Fahrgäste eines<br />
privaten Schiffes zu privaten Zwecken<br />
mit <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>r persönlichen Bereicherung<br />
gegen ein an<strong>de</strong>res Schiff o<strong>de</strong>r gegen<br />
Personen o<strong>de</strong>r Vermögenswerte an Bord<br />
dieses Schiffes begehen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie schützen wir unsere Schiffe<br />
vor Übergriffen? Wo sehen Sie Optimierungspotenzial<br />
hinsichtlich Marine und<br />
Bun<strong>de</strong>spolizei?<br />
Günthner: Die internationale Staatengemeinschaft<br />
hat schnell auf die zunehmen<strong>de</strong>n<br />
Piratenüberfälle am Horn von Afrika<br />
reagiert. Die Resolution 1816 (2008) <strong>de</strong>s<br />
Sicherheitsrates <strong>de</strong>r Vereinten Nationen<br />
erlaubt die Bekämpfung von Piraterie und<br />
bewaffneten Überfällen in <strong>de</strong>n Hoheitsgewässern<br />
von Somalia. Er for<strong>de</strong>rt nachdrücklich<br />
alle Staaten auf, die Piraterie von <strong>de</strong>r<br />
Küste von Somalia zu bekämpfen und dabei<br />
zusammenzuarbeiten.<br />
Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten im Rahmen<br />
<strong>de</strong>r EU-Mission ATALANTA zum Schutz<br />
<strong>de</strong>r Hilfslieferungen nach Somalia und zur<br />
Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie am Horn von Afrika<br />
und im Golf von A<strong>de</strong>n zusammen. Das<br />
<strong>de</strong>utsche Mandat ist das drittstärkste Mandat.<br />
Rund 30 Prozent <strong>de</strong>r Einsatzkräfte im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r ATALANTA-Mission sind Deutsche.<br />
Die Marine und die Bun<strong>de</strong>spolizei leisten<br />
hervorragen<strong>de</strong> Arbeit unter klimatisch<br />
schwierigen Bedingungen und unter Gefahr<br />
für das Leben. Verbesserungsmöglichkeiten<br />
sehe ich vor allem in <strong>de</strong>r konsequenten Anwendung<br />
<strong>de</strong>r Empfehlungen <strong>de</strong>r IMO zu <strong>de</strong>n<br />
Best Management Practices an Bord zum<br />
Schutz vor Piratenüberfällen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Die Innenminister <strong>de</strong>r fünf Küstenlän<strong>de</strong>r<br />
sehen die Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie<br />
in <strong>de</strong>r staatlichen Verantwortung und<br />
for<strong>de</strong>rn mehr Soldaten sowie ein Gesamtkonzept<br />
unter <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine.<br />
Im Indischen Ozean betreibt die EU<br />
NAVFOR die Mission ATALANTA, wie beurteilen<br />
Sie <strong>de</strong>ren Wirkmöglichkeiten?<br />
Günthner: Der Beschluss <strong>de</strong>r Innenministerkonferenz<br />
umfasste insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n<br />
Auftrag, eine län<strong>de</strong>roffene Arbeitsgruppe<br />
unter Leitung von Nie<strong>de</strong>rsachsen und<br />
<strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>s Innern einzusetzen,<br />
um die rechtlichen und tatsächlichen<br />
Möglichkeiten zum Schutz <strong>de</strong>utscher<br />
Han<strong>de</strong>lsschiffe und zur Bekämpfung <strong>de</strong>r<br />
Seepiraterie sowie erfor<strong>de</strong>rlichen Än<strong>de</strong>rungs-<br />
und Ergänzungsbedarf darzustellen<br />
und mit <strong>de</strong>n zuständigen Bun<strong>de</strong>sressorts<br />
zusammenzuarbeiten.<br />
Diese Arbeiten sind mittlerweile abgeschlossen.<br />
Die Frage <strong>de</strong>s Einsatzes privater<br />
Sicherheitskräfte ist ebenfalls gelöst.<br />
<strong>Homeland</strong>: Bund und Län<strong>de</strong>r sind sich uneins<br />
über diesen Einsatz. Die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />
will <strong>de</strong>n Einsatz privater Sicherheitskräfte<br />
auf <strong>de</strong>utschen Schiffen ermöglichen<br />
und forcieren. Was halten Sie davon?<br />
22 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Günthner: Der Schutz von Han<strong>de</strong>lsschiffen<br />
unter <strong>de</strong>utscher Flagge ist eine staatliche<br />
Aufgabe. Daran än<strong>de</strong>rt auch <strong>de</strong>r Einsatz<br />
privater Sicherheitskräfte an Bord von Seeschiffen<br />
nichts. Ein von Piraten bedrohtes<br />
Seegebiet wie im Indischen Ozean mit einer<br />
Größe von fast 5,5 Mio. km² kann nicht flächen<strong>de</strong>ckend<br />
durch Marine und Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
gesichert wer<strong>de</strong>n. Für einen wirksamen<br />
Schutz müssen internationale und nationale<br />
Einsatzkräfte und private Sicherheitsmaßnahmen<br />
<strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien ineinan<strong>de</strong>r greifen.<br />
Der Einsatz privater Sicherheitskräfte an<br />
Bord von Seeschiffen unter <strong>de</strong>utscher Flagge<br />
ist politisch und rechtlich gelöst. Die notwendigen<br />
Gesetzesän<strong>de</strong>rungen befin<strong>de</strong>n<br />
sich zurzeit im Gesetzgebungsverfahren.<br />
<strong>Homeland</strong>: Können Militär und zivile Sicherheitseinheiten<br />
gut zusammenwirken?<br />
Günthner: Für einen wirksamen Schutz<br />
und die Abwehr von Piratenangriffen ist das<br />
Zusammenwirken von militärischen Schutzmaßnahmen<br />
und zivilen Schutzmaßnahmen<br />
sehr wichtig.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo wer<strong>de</strong>n wir in fünf Jahren<br />
bzgl. Piraterie stehen? Was wünschen Sie<br />
sich?<br />
Günthner: Aufgrund <strong>de</strong>r internationalen<br />
Maßnahmen zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie<br />
und <strong>de</strong>s Einsatzes privater Sicherheitskräfte<br />
ist die aktuelle Zahl von Überfällen am Horn<br />
von Afrika zurückgegangen, es gibt jedoch<br />
auch in an<strong>de</strong>ren Regionen Piraterie, die nie<br />
komplett zu verhin<strong>de</strong>rn ist. Die wirksamste<br />
Bekämpfung <strong>de</strong>r Seepiraterie aber ist die<br />
Bekämpfung <strong>de</strong>r Armut <strong>de</strong>r Menschen als<br />
Ursache für Seepiraterie und <strong>de</strong>r Aufbau<br />
eines funktionieren<strong>de</strong>n Staates, <strong>de</strong>r Piraterie<br />
verfolgt und entsprechend ahn<strong>de</strong>t und<br />
die Küstengewässer schützt. Aufgrund <strong>de</strong>r<br />
politischen Lage in Somalia wird das lei<strong>de</strong>r<br />
nicht schnell zu erreichen sein.<br />
Ich wünsche mir <strong>de</strong>shalb neben <strong>de</strong>n militärischen<br />
Schutzmaßnahmen <strong>de</strong>r internationalen<br />
Staatengemeinschaft noch mehr<br />
humanitäre Hilfs- und Aufbauaktivitäten in<br />
Somalia.
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Machbare Lösungen im<br />
Hier und Jetzt<br />
Erfahrungen <strong>de</strong>r Dänen im Umgang mit Piraterie<br />
Bo Ulrik An<strong>de</strong>rsen<br />
Ein Schleppboot begleitet<br />
die dänische Fregatte<br />
ABSALON auf ihrem<br />
Weg aus <strong>de</strong>m Hafen <strong>de</strong>s<br />
Marinestützpunktes<br />
Fre<strong>de</strong>rikshavn.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re in verarmten Regionen<br />
hat sich die Piraterie in <strong>de</strong>n vergangenen<br />
Jahren zu einem Wachstumsmarkt<br />
entwickelt. Im ersten Halbjahr <strong>2012</strong><br />
wur<strong>de</strong>n weltweit 177 Piraterievorfälle<br />
beim Piracy Reporting Center registriert,<br />
darunter 20 Schiffsentführungen.<br />
Gemäß <strong>de</strong>m Pirateriebericht <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
See, 2. Quartal <strong>2012</strong>, kam<br />
es in 80 Fällen zu (Raub-) Überfällen<br />
auf See und in <strong>de</strong>n Häfen, in 52 Fällen<br />
blieb es bei versuchten Angriffen. In<br />
25 Fällen wur<strong>de</strong>n Schusswaffen eingesetzt<br />
bzw. mitgeführt, in 39 Fällen Messer<br />
und/o<strong>de</strong>r Macheten. Vier Personen<br />
wur<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Vorfällen getötet, neun<br />
verletzt, 337 entführt und als Geiseln<br />
für Lösegeldfor<strong>de</strong>rungen festgehalten.<br />
Obwohl eine positive Entwicklung <strong>de</strong>r<br />
Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr zu<br />
beobachten ist, gilt das Seegebiet am<br />
Horn von Afrika weiterhin als ein<strong>de</strong>utiger<br />
Brennpunkt <strong>de</strong>r weltweiten Piraterieaktivitäten.<br />
In <strong>de</strong>n ersten <strong>sec</strong>hs Monaten<br />
<strong>de</strong>s Jahres <strong>2012</strong> wur<strong>de</strong>n 69 <strong>de</strong>r<br />
weltweit registrierten Piraterievorfälle<br />
somalischen Piraten zugeschrieben.<br />
Während in Deutschland zuletzt um Feinheiten<br />
gestritten wur<strong>de</strong>, sind europäische<br />
Nachbarn schon weiter. Die dänische Marine<br />
beteiligte sich in <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />
an <strong>de</strong>r Nato-Mission Ocean Shield und diversen<br />
Combined Task Forces (CTF) unter<br />
<strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r US-Amerikaner. <strong>Homeland</strong><br />
<strong>Security</strong> sprach mit Botschaftsrat Bo Ulrik<br />
An<strong>de</strong>rsen (Verteidigung & Sicherheit) von<br />
<strong>de</strong>r Königlich Dänischen Botschaft in Berlin<br />
über die Erfahrungen <strong>de</strong>r nördlichen Nachbarn<br />
im Umgang mit <strong>de</strong>r Piraterie am Horn<br />
von Afrika.<br />
<strong>Homeland</strong>: Piraten-Romantik à la Störtebeker,<br />
Robin Hood <strong>de</strong>r Meere. Ist das ein verklärter,<br />
unsachgemäßer Blick auf die Piraterie<br />
am Horn von Afrika?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Ich glaube ja, es gab nie so jeman<strong>de</strong>n<br />
wie Robin Hood. Solche Geschichten<br />
wer<strong>de</strong>n für Kin<strong>de</strong>r geschrieben. Piraten<br />
und Räuber waren schreckliche Menschen,<br />
und es hat immer Piraten gegeben. Natürlich<br />
sind die somalischen Piraten keine<br />
schrecklichen Menschen, es ist ihre einzige<br />
Möglichkeit, Geld zu verdienen und zu überleben.<br />
Aber es stecken an<strong>de</strong>re Menschen<br />
dahinter, die das Ganze vorantreiben. Und<br />
da sind wir bei Organisierter Kriminalität,<br />
das hat mit Romantik nichts zu tun. Die Organisierte<br />
Kriminalität will Reichtum anhäufen<br />
und Einfluss gewinnen, da steckt das eigentliche<br />
Verbrechen.<br />
<strong>Homeland</strong>: An welchen Missionen hat<br />
Dänemark im Kampf gegen die Piraterie<br />
teilgenommen?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Dänemark hat an <strong>de</strong>n US-geführten<br />
Combined Task Forces 150 und 151<br />
teilgenommen sowie an <strong>de</strong>r NATO-geführten<br />
Mission Ocean Shield. Bei <strong>de</strong>r Mission<br />
Atalanta sind wir nicht dabei. Dänemark<br />
nimmt ja nicht voll an <strong>de</strong>r EU-Zusammenarbeit<br />
im Bereich <strong>de</strong>r Sicherheitspolitik teil.<br />
<strong>Homeland</strong>: In Deutschland stellt sich das<br />
Problem, dass die Festnahme von Piraten<br />
eine polizeiliche Aufgabe ist. Wie sieht das<br />
für Dänemark aus?<br />
24 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
An<strong>de</strong>rsen: Wir stehen vor <strong>de</strong>r gleichen Herausfor<strong>de</strong>rung.<br />
Was macht man mit <strong>de</strong>n Piraten,<br />
wenn man sie ergriffen hat? Bei <strong>de</strong>n<br />
dänischen Streitkräften haben wir das Problem:<br />
Wir haben die Piraten an Bord, was<br />
machen wir jetzt mit ihnen? Da gibt es kein<br />
internationales Recht. Also hat man die Piraten<br />
wie<strong>de</strong>r zurück an Land gebracht. Und<br />
das war‘s. Das ist ein großes Problem.<br />
<strong>Homeland</strong>: Gibt es Erfahrungen aus dänischer<br />
Beteiligung an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Missionen,<br />
die wie eben die CTF-151 <strong>de</strong>utlich robustere<br />
Einsätze vornehmen?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Eigentlich nicht. Wie robust solche<br />
Einsätze geführt wer<strong>de</strong>n, macht keinen<br />
großen Unterschied. Sieht man Piraten<br />
o<strong>de</strong>r wird angegriffen, dann sollte die Marine<br />
i<strong>de</strong>alerweise vor Ort sein. Das sollte Abschreckung<br />
genug sein, um einen konkreten<br />
Angriff zu stoppen. Ob die Piraten festgenommen<br />
wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r nicht macht letztendlich<br />
auch keinen großen Unterschied. Drei<br />
Tage später sind an<strong>de</strong>re da. Es gibt keinen<br />
Königsweg, Piraterie zu unterbin<strong>de</strong>n. Haben<br />
Piraten wenigstens Angst vor einer tödlichen<br />
Gefahr bei Waffeneinsatz? Ja natürlich,<br />
aber auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite haben diese<br />
Menschen kein Geld, keine Zukunft, keine<br />
Perspektive, da be<strong>de</strong>utet das eigene Leben<br />
vielleicht wirklich nicht viel. Insofern ist<br />
gleichgültig, ob eine Mission robuster vorgeht<br />
o<strong>de</strong>r weniger robust.<br />
<strong>Homeland</strong>: Heißt das, dass eine starke Bewaffnung<br />
an Bord, ein Punkt, <strong>de</strong>r in Deutschland<br />
diskutiert wird, nicht <strong>de</strong>n großen Unterschied<br />
macht?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Na ja, das muss man unterschei<strong>de</strong>n.<br />
Bei einem Militäreinsatz sind naturgemäß<br />
Waffen an Bord. Es macht schon einen<br />
großen Unterschied, wenn zivile Schiffe<br />
über bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord<br />
verfügen. Von dänischer Seite hat man sich<br />
entschlossen, dass bewaffnete Sicherheitsfirmen<br />
an Bord dänischer Schiffe arbeiten<br />
dürfen. Ich halte das für eine Übergangszeit<br />
auch für <strong>de</strong>n richtigen Weg. Wie ich schon<br />
gesagt habe, das Problem liegt an Land.<br />
Und bevor man die Ursachen <strong>de</strong>r Piraterie<br />
nicht beseitigt, also internationale Hilfe für<br />
die Stabilisierung und an<strong>de</strong>re Möglichkeiten<br />
erfolgreich eingesetzt hat, wird es auch<br />
weiterhin Probleme auf See mit Piraten<br />
geben. Es ist die einzige<br />
Möglichkeit dieser Menschen,<br />
Geld zu machen.<br />
Und es ist ein großes Geschäft.<br />
Die Marine kann<br />
nicht überall sein, es ist<br />
ein unglaublich riesiges<br />
Gebiet, und die Fähigkeiten<br />
<strong>de</strong>r Piraten wer<strong>de</strong>n<br />
immer besser darin, die<br />
Angriffsorte zu lokalisieren,<br />
die für sie am wenigsten<br />
gefährlich sind.<br />
Das heißt, dass die Piraten<br />
gegenüber welcher<br />
Militärmission auch immer<br />
fast durchweg einen<br />
strategischen Vorteil haben.<br />
Das be<strong>de</strong>utet für die<br />
Weltwirtschaft, insbeson<strong>de</strong>re<br />
die Han<strong>de</strong>lsschifffahrt,<br />
dass eigentlich<br />
nur noch die Möglichkeit<br />
bleibt, bewaffnete<br />
Sicherheitsfirmen an Bord zu haben. Dann<br />
kann man diskutieren: Sollen es Militärpersonen<br />
o<strong>de</strong>r zivile, private Sicherheitskräfte<br />
sein. Dänemark suchte nach Alternativen<br />
und hat akzeptiert, okay, es können private<br />
Sicherheitsfirmen sein, warum auch nicht,<br />
schließlich arbeiteten die meisten <strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />
zuvor als Polizisten o<strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>reinheitskräfte.<br />
Außer<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Sache<br />
ja nicht, Piraten zu töten, son<strong>de</strong>rn sie<br />
abzuschrecken.<br />
<strong>Homeland</strong>: Hinter <strong>de</strong>n Piraten stehen<br />
Strukturen, die man nicht an<strong>de</strong>rs als Organisierte<br />
Kriminalität bezeichnen kann. Welche<br />
Möglichkeiten sehen Sie hier, die noch<br />
nicht ausgeschöpft sind, wie etwa die Kontrolle<br />
<strong>de</strong>r dahinter stehen<strong>de</strong>n Geldmittel mit<br />
nachrichtendienstlichen Mitteln? Gibt es da<br />
Erfahrungen?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Das ist politisch kein großes<br />
Thema in Dänemark. Ich bin überzeugt,<br />
dass <strong>de</strong>r dänische Nachrichtendienst sich<br />
damit beschäftigt. Das ist vergleichbar mit<br />
<strong>de</strong>m internationalen Terrorismus, <strong>de</strong>ren<br />
Räume schwer zu überblicken sind. Aber<br />
Piraten sind selbstverständlich keine Terroristen.<br />
Ich persönlich glaube, dass dänische<br />
Politiker etwas pragmatischer sind als <strong>de</strong>utsche.<br />
Es gibt ein Problem mit Piraterie; das<br />
lässt sich nur schwer, und schon gar nicht<br />
Kontrollbesuch<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 25
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
RHIB 2<br />
Beschlagnahmte Waffen<br />
und Leitern<br />
mit Polizei o<strong>de</strong>r Militär,<br />
lösen und die Suche nach<br />
Lösungen geschieht unabhängig<br />
von einer politischen<br />
Überzeugung o<strong>de</strong>r<br />
Parteizugehörigkeit. Es<br />
geht immer um die Sache<br />
und da schauen dänische<br />
Politiker eher auf machbare<br />
Lösungen im Hier<br />
und Jetzt als sich lange<br />
mit <strong>de</strong>m Für und Wi<strong>de</strong>r<br />
unterschiedlicher Maßnahmen aufzuhalten.<br />
Und Lösungen zu fin<strong>de</strong>n, ist schon schwer<br />
genug!<br />
<strong>Homeland</strong>: Die dänische Ree<strong>de</strong>rei Maersk<br />
Line (berühmter Fall ist die Befreiung <strong>de</strong>r<br />
Maersk Alabama unter US-Flagge durch<br />
eine US-Einheit, <strong>de</strong>r sogar eine Folge von<br />
South Park („Fatbeard“) gewidmet wur<strong>de</strong>)<br />
hat jährlich um die 2.000 Passagen durch<br />
das betroffene Gebiet und gibt für das Jahr<br />
2010 einen Scha<strong>de</strong>n durch Piraterie von 100<br />
Millionen Dollar für das Unternehmen an.<br />
Für 2011 wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r doppelten Summe<br />
gerechnet. Inwieweit wer<strong>de</strong>n auf dänischen<br />
Schiffen private Unternehmen zum Schutz<br />
vor Piraten eingebun<strong>de</strong>n?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Das ist umfangreich geregelt.<br />
Die Ausbildung und Zulassung privater Sicherheitsfirmen<br />
wird streng gehandhabt.<br />
Die Prüfungen liegen in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s dänischen<br />
Justizministeriums und betreffen<br />
auch die Zulassung <strong>de</strong>r Waffensysteme an<br />
Bord. Also muss alles genau reguliert und<br />
zertifiziert wer<strong>de</strong>n. Und da stehen wir erst<br />
am Anfang. Sicherlich wer<strong>de</strong>n die Bestimmungen<br />
im Laufe <strong>de</strong>r Zeit noch verschärft<br />
bzw. verbessert wer<strong>de</strong>n. Vieles ist auch für<br />
das Ministerium noch neu, schließlich sind<br />
alle Maßnahmen eben nur vorübergehend<br />
gedacht.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das Justizministerium<br />
übernimmt<br />
also die internationalen<br />
Verhandlungen über <strong>de</strong>n<br />
Transport <strong>de</strong>r Waffen?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Nein, die Regierung<br />
sagt, die Bereitstellung<br />
von Waffen an<br />
Bord ist keine staatliche<br />
Aufgabe, son<strong>de</strong>rn eine<br />
kommerzielle Aufgabe. Das be<strong>de</strong>utet, dass<br />
die Firmen sich um die Zulassungen in <strong>de</strong>n<br />
einzelnen Län<strong>de</strong>rn wie auch <strong>de</strong>n Transfer<br />
<strong>de</strong>r Waffen kümmern müssen. Erst, wenn<br />
die Dokumente vorliegen, können sich die<br />
Firmen bewerben. Aber danach gilt z. B.,<br />
dass eine Waffe als private geführt wird. Die<br />
Waffen gehören <strong>de</strong>n einzelnen Mitarbeitern<br />
und dürfen nicht an Bord verbleiben.<br />
<strong>Homeland</strong>: In Deutschland wird <strong>de</strong>r Einsatz<br />
privater Sicherheitsfirmen von manchen<br />
als Ausstieg aus <strong>de</strong>m Gewaltmonopol<br />
<strong>de</strong>s Staates gesehen. Immer wie<strong>de</strong>r wird angeführt,<br />
dass durch private Sicherheitsfirmen<br />
ein Söldnertum entstehen könnte, das<br />
sich verselbstständigt. Das Stichwort wäre<br />
<strong>de</strong>r Skandal um <strong>de</strong>n US-Militätdienstleister<br />
Blackwater.<br />
An<strong>de</strong>rsen: Es könnte ein neues Blackwater<br />
geben, die Gefahr besteht immer. Aber<br />
die gründliche Prüfung, die von dänischer<br />
Seite aus erfolgt, sollte das Risiko minimal<br />
halten. Und ehrlich gesagt, nur weil es eine<br />
Firma, ein paar Leute gab, die sich nicht an<br />
die Gesetze gehalten haben, heißt das ja<br />
noch lange nicht, dass die an<strong>de</strong>ren Sicherheitsfirmen<br />
genauso vorgehen. Es gibt viele<br />
Sicherheitsfirmen in Deutschland, im skandinavischen<br />
Raum, in Großbritannien, die<br />
selbstverständlich seriös arbeiten. Unsere<br />
strengen Prüfungen sind dazu da, ein neues<br />
Blackwater zu vermei<strong>de</strong>n. Bislang hat es<br />
noch nie Probleme gegeben. Und das spricht<br />
auch für die Wirksamkeit <strong>de</strong>r Prüfungen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das Mandat <strong>de</strong>r Atalanta-Mission<br />
soll <strong>de</strong>mnächst auch auf die Küste erweitert<br />
wer<strong>de</strong>n. (Anmerkung: Am 23. März<br />
hat die EU das Mandat erweitert – mit zwei<br />
Einschränkungen: Es dürfen nur logistische<br />
Ziele angegriffen wer<strong>de</strong>n, die bis zu 2.000<br />
m von <strong>de</strong>r Küste entfernt sind, und das auch<br />
nur aus <strong>de</strong>r Luft. Bo<strong>de</strong>neinsätze bleiben –<br />
außer im Notfall – verboten. Im Bun<strong>de</strong>stag<br />
stimmte die schwarz-gelbe Mehrheit dafür,<br />
die Opposition geschlossen dagegen.) Diese<br />
Erweiterung ist in Deutschland umstritten.<br />
Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass<br />
eine solche Erweiterung <strong>de</strong>s Einsatzes zu Situationen<br />
führt, die nicht mehr überschaubar<br />
sind?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Die dänische Meinung dazu ist:<br />
Wir gehen nicht an Land bevor es nicht eine<br />
26 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
UN-Resolution gibt. Auch wenn in Somalia<br />
staatliche Strukturen nicht wirklich vorhan<strong>de</strong>n<br />
sind, ist es doch ein anerkannter Staat.<br />
Die 12-Meilen-Zone muss respektiert wer<strong>de</strong>n<br />
und das be<strong>de</strong>utet eben, dass wir Dänen<br />
sagen, wir gehen selbstverständlich nicht<br />
an Land. Das wäre Sache einer UN-Mission.<br />
Die Ursachen <strong>de</strong>s Piraterie-Problems liegen<br />
an Land, aber das ist eine Sache, die man<br />
unserer Meinung nach international angehen<br />
muss. Dänische Soldaten o<strong>de</strong>r Polizisten<br />
haben auf somalischem Bo<strong>de</strong>n nichts zu<br />
suchen, son<strong>de</strong>rn nur auf See, wo internationale<br />
Bestimmungen gelten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie steht die dänische Politik<br />
zu Lösegeldzahlungen?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Wir zahlen keine Lösegel<strong>de</strong>r.<br />
Und wir verhan<strong>de</strong>ln auch nicht mit Piraten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Also kann das Problem nur an<br />
Land gelöst wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m man in Somalia<br />
wie<strong>de</strong>r Strukturen schafft.<br />
An<strong>de</strong>rsen: Selbstverständlich. Sobald die<br />
Menschen dort eine Perspektive haben und<br />
auf eine bessere Zukunft hoffen, hat keiner<br />
mehr Interesse daran, Pirat zu wer<strong>de</strong>n. So<br />
einfach sollte es sein. Der Job eines Piraten<br />
ist gefährlich. Die meisten sind mehrere<br />
Monate auf See unterwegs, unter erbärmlichen<br />
Umstän<strong>de</strong>n, ohne vernünftige Ernährung.<br />
Im Moment gibt es für Somalia keine<br />
Zukunft, die Piraterie bietet <strong>de</strong>rzeit <strong>de</strong>n einzigen<br />
Weg, um das Nötigste zu verdienen.<br />
Die größte Gefahr im betroffenen Gebiet<br />
besteht immer noch für die zivile Schifffahrt.<br />
Das größte Problem ist die Sicherung<br />
<strong>de</strong>s internationalen Transports und somit<br />
<strong>de</strong>r internationalen Wirtschaft. Für die dänische<br />
Seite ist <strong>de</strong>r Einsatz von privaten Sicherheitskräften<br />
nicht die Lösung <strong>de</strong>s Problems.<br />
Wir hätten sie lieber gar nicht nötig.<br />
Aber das Problem <strong>de</strong>r Piraterie besteht nun<br />
einmal und wir haben unsere Entscheidung<br />
getroffen. Wenn sich die Situation än<strong>de</strong>rt,<br />
können wir immer noch abmil<strong>de</strong>rn und verbessern,<br />
damit sich nicht noch neue Probleme<br />
und Herausfor<strong>de</strong>rungen ergeben. Ich,<br />
und da spreche ich auch für die dänische<br />
Politik, hätte lieber an<strong>de</strong>re Möglichkeiten.<br />
Aber die Piraten sind da, die internationale<br />
Schifffahrt ist in Gefahr, die internationalen<br />
Militärkräfte können unmöglich das<br />
riesige Gebiet ab<strong>de</strong>cken, in <strong>de</strong>m die Piraten<br />
arbeiten. Langfristig wer<strong>de</strong>n sich neue Möglichkeiten<br />
ergeben, es passiert gera<strong>de</strong> einiges<br />
im internationalen Zusammenhang mit<br />
Technologie, Hilfe, Ausbildung in <strong>de</strong>n benachbarten<br />
Län<strong>de</strong>rn wie Kenia, Tansania,<br />
Saudi-Arabien, um die Zusammenarbeit zu<br />
verbessern. Aber das kann erst in ein paar<br />
Jahren greifen und bis die Verhältnisse in<br />
Somalia sich stabilisieren, dauert es noch<br />
viele, viele Jahre. Natürlich könnte man bis<br />
in die ferne Zukunft das Seegebiet einfach<br />
mei<strong>de</strong>n. Aber das ist finanziell nicht machbar,<br />
es kostet Zeit, und es be<strong>de</strong>utet auch<br />
weitere Verluste für weitere Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />
Region wie z. B. Ägypten.<br />
<strong>Homeland</strong>: In welcher Form unterstützt die<br />
dänische Regierung die dänischen Ree<strong>de</strong>r?<br />
An<strong>de</strong>rsen: Ree<strong>de</strong>r und Politik sind ständig<br />
im Dialog über weitere Neuerungen, Entwicklungen<br />
und Maßnahmen. Dazu gehören<br />
z. B. psychologische Schulungen. Doch<br />
keiner hat bisher eine einfache Antwort gefun<strong>de</strong>n,<br />
mit <strong>de</strong>r die Schifffahrt ein für alle<br />
Mal gesichert wäre. Die dänischen Ree<strong>de</strong>r<br />
sind auch nicht alle überzeugt davon, private<br />
Sicherheitsfirmen einzusetzen. Einige<br />
lehnen es ab und versuchen vorerst an<strong>de</strong>re<br />
Mittel. An<strong>de</strong>re, wie z. B. die Ree<strong>de</strong>rei Maersk,<br />
haben einfach zu große Probleme und<br />
sehen <strong>de</strong>n Einsatz dieser Sicherheitsfirmen<br />
als <strong>de</strong>rzeit einzige Möglichkeit, Schiffe und<br />
Mitarbeiter zu schützen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Herr An<strong>de</strong>rsen, herzlichen<br />
Dank, dass Sie Zeit für uns hatten.<br />
ABSALON<br />
Hubschrauber<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 27
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Weltweit einzigartig<br />
Das Piraterie-Präventionszentrum <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />
Von links: Torsten Tamm<br />
von <strong>de</strong>r Stabstelle<br />
Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Dr. Nadine Seumenicht,<br />
Jens-Karsten Reimann,<br />
Stefan Zimmermeier<br />
Das Speedboot <strong>de</strong>r Einsatzkräfte<br />
nähert sich<br />
<strong>de</strong>m Schiff<br />
1<br />
Schutzraum für die Besatzung auf<br />
einem Schiff<br />
2<br />
Höhe <strong>de</strong>r Bordwand über <strong>de</strong>m<br />
Wasserspiegel<br />
Piraterie ist kein lokales, son<strong>de</strong>rn ein<br />
weltweites Phänomen, welches in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahren zugenommen hat und<br />
insbeson<strong>de</strong>re im stark befahrenen Seegebiet<br />
vor Somalia eine akute Bedrohung<br />
darstellt. Auch für die <strong>de</strong>utsche<br />
Seeschifffahrt ist die Piraterie ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s<br />
Problem. Schiffe <strong>de</strong>utscher<br />
Ree<strong>de</strong>reien transportieren Waren und<br />
Passagiere auf <strong>de</strong>n Meeren <strong>de</strong>r Welt,<br />
<strong>de</strong>utsche Seeleute sind auf Schiffen unter<br />
<strong>de</strong>utscher und frem<strong>de</strong>r Flagge weltweit<br />
unterwegs. Als Reaktion auf die<br />
steigen<strong>de</strong>n Piraterievorfälle wur<strong>de</strong> das<br />
Piraterie-Präventionszentrum (PPZ) bei<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei See in Neustadt in Holstein<br />
eingerichtet. Dr. Nadine Seumenicht<br />
und Michael Hartung von <strong>Homeland</strong><br />
<strong>Security</strong> besuchten das PPZ und<br />
sprachen mit Jens-Karsten Reimann,<br />
Erster Polizeihauptkommissar und Leiter<br />
Sachbereich Maritime Kriminalitätsbekämpfung,<br />
und Stefan Zimmermeier,<br />
Polizeihauptkommissar im Sachbereich<br />
Maritime Kriminalitätsbekämpfung.<br />
Ostsee statt Indischer<br />
Ozean<br />
Beinahe lautlos nähert<br />
sich das Speedboot mit<br />
<strong>de</strong>n Einsatzkräften einem<br />
Schiff. Über die aktuelle<br />
Lage an Bord ist<br />
nicht viel bekannt. Nur,<br />
dass dieses Schiff vor<br />
wenigen Stun<strong>de</strong>n von Piraten<br />
angegriffen und<br />
geentert wur<strong>de</strong>. Der Besatzung<br />
<strong>de</strong>s Schiffes ist es noch gelungen,<br />
es zu stoppen und die Maschine zu blockieren.<br />
Danach hat sie einen Notruf abgesetzt<br />
und sich in die Zita<strong>de</strong>lle 1 zurückgezogen.<br />
Als <strong>de</strong>r Hubschrauber einer in <strong>de</strong>r Nähe patrouillieren<strong>de</strong>n<br />
Fregatte sich schließlich <strong>de</strong>m<br />
Schiff näherte, sind die Piraten geflüchtet<br />
und haben <strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r Kaperung aufgegeben.<br />
Ohne die Besatzung in ihre Gewalt<br />
zu bekommen, ist das Risiko für sie zu hoch.<br />
Die Einsatzkräfte klettern schnell mit einer<br />
Art Strickleiter über <strong>de</strong>n Freibord 2 . Oben<br />
angekommen, legen sie zunächst unter gegenseitiger<br />
Sicherung ihre Schwimmwesten<br />
ab, um bei ihrem weiteren Vorgehen mehr<br />
Bewegungsfreiheit zu haben. Dann rücken<br />
sie vor, um die Mannschaft aus <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle<br />
zu befreien.<br />
Diese Szene spielt nicht etwa am Horn<br />
von Afrika, son<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>rholt sich so in<br />
regelmäßigen Abstän<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Ostseeküste. Sie ist Teil eines Workshops,<br />
welchen das PPZ <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei für die<br />
Company <strong>Security</strong> Officer (CSO) <strong>de</strong>utscher<br />
Ree<strong>de</strong>reien durchführt. Die Einsatzkräfte<br />
sind speziell ausgebil<strong>de</strong>te Beamte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei,<br />
das Schiff eine ausgemusterte<br />
Fregatte <strong>de</strong>r Deutschen Marine. Ziel <strong>de</strong>s<br />
Workshops ist es, Abwehrmöglichkeiten im<br />
Zusammenhang mit <strong>de</strong>r maritimen Kriminalprävention<br />
<strong>de</strong>s PPZ zu <strong>de</strong>monstrieren.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>s Workshops wird ein möglicher<br />
Piratenangriff simuliert, einschließlich<br />
einer anschließen<strong>de</strong>n Befreiungsaktion.<br />
Dazu Zimmermeier: „Wir bieten zweitägige<br />
Workshops für CSOs an. Darin wird die Piraterie<br />
aus verschie<strong>de</strong>nen Sichtweisen betrachtet.<br />
Einmal aus <strong>de</strong>r kriminalpräventiven<br />
Sicht, das be<strong>de</strong>utet z. B.: Wie mache ich<br />
mein Schiff härter, um es gegen Piratenangriffe<br />
zu schützen? Man betrachtet es auch<br />
aus psychologischer Sicht. Dafür haben wir<br />
einen Psychologen, <strong>de</strong>r sich sehr intensiv<br />
mit <strong>de</strong>m Phänomen beschäftigt hat und u. a.<br />
auch schon Truppenbetreuung in Afghanistan<br />
gemacht hat. Er behan<strong>de</strong>lt beson<strong>de</strong>rs<br />
das Thema `Wie überlebe ich eine Geiselnahme´,<br />
also das Verhalten als Geisel an<br />
Bord.“ Des Weiteren gibt es bei <strong>de</strong>m Workshop<br />
einen praktischen Anteil, bei <strong>de</strong>m geeignete<br />
Abwehrmaßnahmen <strong>de</strong>monstriert<br />
wer<strong>de</strong>n. Zum Beispiel wird gezeigt, wie sich<br />
unterschiedliche Schiffsgeschwindigkeiten<br />
auf Piratenangriffe auswirken und wie das<br />
Zeitfenster <strong>de</strong>s Angriffs damit verän<strong>de</strong>rt<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Am En<strong>de</strong> erfolgt eine kleine<br />
Simulation, die die Lehrgangsteilnehmer in<br />
eine Angriffssituation versetzt.<br />
Hilfe zur Selbsthilfe<br />
Die Notwendigkeit für ein solches Zentrum<br />
und diese Art von Workshops wur<strong>de</strong><br />
28 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
schon früh erkannt. „Das PPZ gibt es seit<br />
Februar 2010“, berichtet Reimann. „Auslöser<br />
war, dass bis zu diesem Zeitpunkt viele<br />
<strong>de</strong>utsche Behör<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Bereich einzeln<br />
und nicht koordiniert agiert haben. Die Koordination<br />
<strong>de</strong>r Aktivitäten in einem Büro ist<br />
eine <strong>de</strong>r Hauptaufgaben <strong>de</strong>s PPZ. Zu<strong>de</strong>m ist<br />
die Nachfrage seitens <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien gestiegen.<br />
Wenn wir die Zahlen betrachten,<br />
mit <strong>de</strong>m bisherigen Höhepunkt <strong>de</strong>r Vorfälle<br />
im Jahre 2011, hatten wir davon 67 mit<br />
<strong>de</strong>utschem Bezug. Das macht <strong>de</strong>utlich, dass<br />
die Betroffenheit inzwischen eine an<strong>de</strong>re<br />
ist als noch vor einigen Jahren.“ Da die<br />
Bun<strong>de</strong>spolizei rechtlich zuständig ist, wur<strong>de</strong><br />
beschlossen, unter ihrer Fe<strong>de</strong>rführung<br />
ein Piraterie-Präventionszentrum einzurichten.<br />
Die Aufgaben dabei sind die Koordination<br />
<strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>naktivitäten, Recherchen,<br />
die Durchführung von Workshops und das<br />
Führen <strong>de</strong>r Lage. Die Einrichtung erfolgte<br />
schließlich relativ schnell. Von <strong>de</strong>r Entscheidung<br />
bis zur Umsetzung vergingen nur zwei<br />
Monate. „Wenn es gewünscht ist, fahren wir<br />
auch in die Werft und schauen uns <strong>de</strong>n Umbau<br />
o<strong>de</strong>r die Neukonstruktion von Schiffen<br />
an. Wir betrachten dabei vor allem die Zita<strong>de</strong>lle<br />
sowie die technischen Abwehrmaßnahmen<br />
und wer<strong>de</strong>n beratend tätig. Die<br />
Workshops sind sehr intensiv und bin<strong>de</strong>n<br />
viel Personal, aber <strong>de</strong>r größte Anteil unserer<br />
Arbeit liegt bei <strong>de</strong>n Beratungsgesprächen<br />
und <strong>de</strong>r Recherche“, ergänzt Reimann.<br />
Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n vom PPZ noch individuelle<br />
Risikoanalysen für bestimmte Schiffe und<br />
Routen angeboten. Dabei soll dieses Angebot<br />
keinesfalls in Konkurenz zu privaten<br />
Anbietern stehen. „In unseren Workshops<br />
versuchen wir, <strong>de</strong>n Teilnehmern einzelne Inhalte<br />
mit auf <strong>de</strong>n Weg zu geben. Es ist also<br />
keine direkte Ausbildung wie bei privaten<br />
Anbietern. Wir geben einen Überblick über<br />
die Thematik und damit ein Stück weit Hilfe<br />
zur Selbsthilfe“, meint Zimmermeier. „Ansonsten<br />
wür<strong>de</strong>n wir mit unseren Workshops<br />
in die Privatwirtschaft eingreifen, was wir<br />
nicht wollen. Wir geben Denkanstöße und<br />
man kann sich dann auf <strong>de</strong>m privaten Markt<br />
Anbieter suchen, die sich auf die Härtung<br />
von Schiffen o<strong>de</strong>r die Ausbildung von Crews<br />
spezialisiert haben.“<br />
Vorstellung von Schutzmaßnahmen<br />
Ein weiteres Element <strong>de</strong>r Workshops<br />
im PPZ ist die Vorstellung technischer<br />
Schutzmaßnahmen. Hierbei<br />
wer<strong>de</strong>n z. B. eigene<br />
Entwicklungen <strong>de</strong>r<br />
beim PPZ beschäftigten<br />
Schiffsbauingenieure<br />
vorgestellt, wie etwa eine<br />
Blen<strong>de</strong> vor einem Feuerlöschschlauch,<br />
um einen<br />
Wassernebel zu erzeugen.<br />
Eine weitere einfache<br />
und bewährte Maßnahme<br />
ist und bleibt das<br />
Anbringen von Stacheldraht<br />
rund um die Reling<br />
<strong>de</strong>s Schiffes. Wichtig<br />
dabei ist aber, dass <strong>de</strong>r<br />
Draht in zwei Lagen verlegt<br />
und mit zusätzlichen<br />
Streben befestigt wird.<br />
Einfach und effektiv ist<br />
auch das Anbringen leerer<br />
Ölfässer entlang <strong>de</strong>r<br />
Reling. Durch die run<strong>de</strong><br />
Form wird verhin<strong>de</strong>rt,<br />
dass die Piraten die von ihnen häufig<br />
genutzten Leitern anbringen können. Aber<br />
auch bewährte Maßnahmen aus <strong>de</strong>r Industrie<br />
wer<strong>de</strong>n gezeigt, wie etwa ein rotieren<strong>de</strong>s<br />
Abwehrsystem mit stark gebün<strong>de</strong>lten<br />
Wasserstrahlen. Auch eine neuentwickelte<br />
Nebelmaschine kommt zum Einsatz. Sie<br />
soll, im Inneren <strong>de</strong>s Schiffes eingesetzt, <strong>de</strong>n<br />
Piraten die Orientierung an Bord erschweren<br />
o<strong>de</strong>r gar unmöglich machen. Diese Maschine<br />
kann über mehrere Stun<strong>de</strong>n lang einen<br />
äußerst dichten Nebel erzeugen, <strong>de</strong>r<br />
die Sichtweite auf wenige Zentimeter herabsetzt.<br />
„Es gibt viele Unternehmen, die<br />
uns direkt kontaktieren und uns ihre Entwicklungen<br />
vorstellen. Natürlich sind wir<br />
auch froh über je<strong>de</strong>n Hinweis, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m<br />
Markt kommt. Unter Umstän<strong>de</strong>n gibt es dabei<br />
Entwicklungen, die wir direkt aufgreifen<br />
und aus polizeilicher<br />
Sicht bewerten können“,<br />
so Zimmermeier. Wichtig<br />
ist aber auch immer<br />
eine Kombination von<br />
Maßnahmen, passend zu<br />
<strong>de</strong>m jeweiligen Schiffstyp.<br />
Reimann: „Im Rahmen<br />
unserer Workshops<br />
präsentieren wir ja nur<br />
Möglichkeiten, wie man<br />
sich schützen kann. Die<br />
Bewertung obliegt dann<br />
Über eine Leiter<br />
kommen die Einsatzkräfte<br />
an Bord<br />
Das Team arbeitet unter<br />
gegenseitiger Sicherung<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 29
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Einfacher S-Draht kann<br />
mit einer Piratenleiter<br />
leicht überwun<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n<br />
letztlich <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei, unter <strong>de</strong>n Gesichtspunkten<br />
von Kosten und Nutzen.“<br />
Der Einsatz von bewaffnetem Sicherheitspersonal<br />
an Bord von Schiffen wird insbeson<strong>de</strong>re<br />
in Deutschland kontrovers diskutiert.<br />
Fest steht, dass ein Verfahren zur<br />
Zertifizierung eingeführt wer<strong>de</strong>n wird. Es<br />
geht dabei vor allem um Zulassungskriterien<br />
für Anbieter von Sicherheitsdienstleistungen<br />
und die Regularien für <strong>de</strong>n Einsatz.<br />
Dazu Reimann: „Das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Element<br />
darin ist, dass endlich Rechtsicherheit<br />
geschaffen wer<strong>de</strong>n soll. Unabhängig von <strong>de</strong>r<br />
Diskussion, wann welches Verfahren hätte<br />
eingeführt wer<strong>de</strong>n sollen, ist es so, dass<br />
die Thematik jetzt angegangen wird. Diese<br />
Rechtsicherheit wird es geben, wir können<br />
aber noch nicht genau sagen, wann das <strong>de</strong>r<br />
Fall sein wird.“<br />
Die Fe<strong>de</strong>rführung für die geplante Zertifizierung<br />
wird das BAFA (Bun<strong>de</strong>samt für<br />
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) haben, die<br />
Bun<strong>de</strong>spolizei soll <strong>de</strong>n Kernpart <strong>de</strong>r maritimen<br />
Kompetenzen abprüfen. Es wird damit<br />
erstmals in Deutschland ein offizielles Zulassungsverfahren<br />
für <strong>de</strong>n Einsatz privater<br />
Sicherheitsdienstleister an Bord von Schiffen<br />
geben. „Die Einzelkriterien dafür wer<strong>de</strong>n<br />
gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>finiert. Wichtig dabei ist z. B.,<br />
dass eine gewisse Erfahrung im maritimen<br />
Bereich nachgewiesen wer<strong>de</strong>n kann. Zu<strong>de</strong>m<br />
ist entschei<strong>de</strong>nd, dass das eingesetzte<br />
Personal zuverlässig ist, also keine Söldner<br />
o<strong>de</strong>r Cowboys,“ betont Reimann.<br />
Dazu gibt es regelmäßig auch Besprechungen,<br />
wie etwa die Abstimmungsgespräche<br />
Piraterie in unserem Hause. Daran nehmen<br />
neben <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei auch das BKA, die<br />
LKÄ, die Marine, die Rechtsberater und die<br />
Feldjäger teil. Zu<strong>de</strong>m gibt es ständige Verbindungsbeamte<br />
beim Einsatzführungskommando<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr“, erklärt Reimann.<br />
Diese enge Zusammenarbeit soll in Zukunft<br />
noch verstärkt wer<strong>de</strong>n. Das PPZ testet<br />
gera<strong>de</strong> eine neue Internet-Plattform, in <strong>de</strong>ren<br />
geschlossenem Nutzerbereich sich alle<br />
Betroffenen austauschen können. So sollen<br />
künftig noch mehr Informationen in Echtzeit<br />
fließen.<br />
Im Bereich <strong>de</strong>r Prävention arbeitet man<br />
inzwischen auch mit an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn zusammen.<br />
Man gleicht vor allem Verfahren<br />
und Informationen ab und sondiert, wie an<strong>de</strong>re<br />
vorgehen und welche Inhalte vermittelt<br />
wer<strong>de</strong>n. Eine <strong>de</strong>m PPZ vergleichbare<br />
Einrichtung gibt es in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn bisher<br />
allerdings noch nicht. „Unsere Einrichtung<br />
ist einmalig. Wir haben dieses Konzept<br />
in Bahrain vorgestellt und dort war dieser<br />
ganzheitliche, polizeiliche Ansatz überhaupt<br />
nicht bekannt. An<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r sind eben<br />
auch an<strong>de</strong>rs strukturiert und es gibt an<strong>de</strong>re,<br />
vielleicht eher militärische, Ansätze. Im<br />
Bereich <strong>de</strong>r EU und <strong>de</strong>r NATO wur<strong>de</strong> unser<br />
Konzept weiterempfohlen. Wichtig ist, dass<br />
man dieses Konzept aber immer wie<strong>de</strong>r hinterfragt<br />
und an die aktuellen Entwicklungen<br />
anpasst“, so Reimann.<br />
S-Draht<br />
Vertrauensvolle und offene<br />
Zusammenarbeit<br />
Das PPZ arbeitet nicht alleine an <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />
<strong>de</strong>r Piraterie. Die Mitarbeiter<br />
sind vor allem auf die Rückmeldungen und<br />
Erfahrungen <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien angewiesen.<br />
Auch ein regelmäßiger Austausch mit an<strong>de</strong>ren<br />
Behör<strong>de</strong>n dient <strong>de</strong>r kontinuierlichen<br />
Anpassung <strong>de</strong>r Beratungen und Workshops<br />
<strong>de</strong>s PPZ an die sich entwickeln<strong>de</strong> Situation.<br />
„Mit <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>reien haben wir ein vertrauensvolles<br />
Verhältnis. Es gibt eine gute Zusammenarbeit<br />
und einen engen Austausch.<br />
Diese Offenheit wird durch uns auch gefor<strong>de</strong>rt<br />
und geför<strong>de</strong>rt. Mit <strong>de</strong>r Marine tauschen<br />
wir uns etwa über Vorgehensweisen<br />
o<strong>de</strong>r z. B. über die von Feldjägern im Einsatz<br />
gesammelten Daten aus. Wenn von dieser<br />
Seite Piraterieverdächtige festgestellt wer<strong>de</strong>n,<br />
bekommen wir die Daten übermittelt.<br />
Prävention und Repression<br />
Für Reimann stehen Prävention und die<br />
hiermit verbun<strong>de</strong>ne Abschreckung im Vor<strong>de</strong>rgrund:<br />
„Im Grun<strong>de</strong> betreiben wir eine<br />
Kriminalprävention. Wir wollen Straftaten<br />
vorher verhin<strong>de</strong>rn, bevor wir hinterher ermitteln<br />
müssen. Das vorrangige Ziel ist es,<br />
Menschen, die Crew, vor einer Geiselnahme<br />
zu bewahren. Angriffe kann man nicht<br />
verhin<strong>de</strong>rn, aber erfolgreiche Entführungen<br />
kann man in vielen Fällen durch entsprechen<strong>de</strong><br />
Maßnahmen unterbin<strong>de</strong>n.“<br />
Bei Bedarf schaltet das PPZ aber auch<br />
von Prävention auf die Verfolgung von Straftaten<br />
um. Angehängt an das PPZ gibt es eine<br />
Rufbereitschaft, die je<strong>de</strong>rzeit erreichbar ist.<br />
Kommt es zu einem Angriff o<strong>de</strong>r zu einem<br />
Vorgehen von Piraten gegen ein Schiff, so<br />
wird diese Rufbereitschaft aktiviert. Die<br />
Beamten fahren dann zu <strong>de</strong>r betroffenen<br />
30 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Vorrücken zur Zita<strong>de</strong>lle<br />
Ree<strong>de</strong>rei, wenn dies erfor<strong>de</strong>rlich und gewünscht<br />
ist. Dort wird ein Lagezentrum eingerichtet<br />
und mit <strong>de</strong>n Ermittlungen begonnen.<br />
Wenn Ermittlungen vor Ort erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sind, führt dies eventuell auch zu einem Auslandseinsatz.<br />
„Die meisten Ermittlungen beschäftigen<br />
sich mit Angriffen, die zum Glück<br />
nicht zum Erfolg geführt haben. Seit letztem<br />
Jahr sind wir auch für Geisellagen an Bord<br />
von <strong>de</strong>utschen Schiffen zuständig, bei <strong>de</strong>nen<br />
kein Deutscher an Bord ist. Wenn ein Deutscher<br />
an Bord ist, dann ist das BKA zuständig.<br />
In allen an<strong>de</strong>ren Fällen, die bisher von<br />
<strong>de</strong>n LKÄ abgearbeitet wor<strong>de</strong>n sind, haben<br />
wir jetzt die Zuständigkeit“, meint Zimmermeier.<br />
Solche Ermittlungen sind in je<strong>de</strong>m<br />
Fall ein komplexes Verfahren. Tatsache ist<br />
aber, je länger ermittelt wird und je mehr<br />
Informationen fließen, <strong>de</strong>sto mehr Hinweise<br />
gibt es auch. Dazu ist allerdings eine internationale<br />
Zusammenarbeit erfor<strong>de</strong>rlich. Um<br />
etwa die Hintermänner <strong>de</strong>r Piraten zu ermitteln,<br />
arbeitet man z. B. eng mit Interpol und<br />
Europol zusammen.<br />
Piraterie als weltweite Bedrohung<br />
Nicht nur die Region rund um das Horn<br />
von Afrika wird von Piraterie bedroht. Dort<br />
hat sich das Geschäftsmo<strong>de</strong>ll Geiselnahme<br />
durchgesetzt, welches es in an<strong>de</strong>ren<br />
Teilen <strong>de</strong>r Welt nicht in dieser ausgeprägten<br />
Form gibt. Vor Westafrika etwa gibt es<br />
mehr Raubüberfälle, bei <strong>de</strong>nen es die Piraten<br />
auf die Tresore o<strong>de</strong>r die Waren an Bord<br />
<strong>de</strong>r Schiffe abgesehen haben. Teilweise wer<strong>de</strong>n<br />
dort ganze Ladungen von Öl umgepumt<br />
und gestohlen. Aus diesem Grund beobachtet<br />
das PPZ auch die Entwicklung <strong>de</strong>r Piraterie<br />
weltweit und bietet auf die jeweilige<br />
Situation angepasste Lösungen. Reimann:<br />
„Piraterie ist grundsätzlich überall <strong>de</strong>nkbar.<br />
Vorrangig dort, wo es <strong>de</strong>n Menschen nicht<br />
gut geht, wo sie ein geringes o<strong>de</strong>r gar kein<br />
Einkommen haben. Dort, wo staatliche<br />
Strukturen fehlen o<strong>de</strong>r nicht beson<strong>de</strong>rs ausgeprägt<br />
sind. Mit polizeilichen Maßnahmen<br />
wer<strong>de</strong>n wir die Piraterie nicht alleine bekämpfen<br />
können, dazu bedarf es vor allem<br />
politischer Ansätze. Was Somalia angeht,<br />
so wäre dies die Schaffung von staatlichen<br />
Strukturen. Wir können aber dazu beitragen,<br />
dass die Piraten möglichst wenig Erfolge<br />
haben.“<br />
Zukünftige Entwicklungen<br />
Derzeit sind die erfolgreichen Übergriffe <strong>de</strong>r<br />
Piraten am Horn von Afrika eher rückläufig.<br />
Die Anzahl <strong>de</strong>r gekaperten Schiffe geht zurück,<br />
was auf <strong>de</strong>n Einsatz von bewaffneten<br />
Sicherheitsteams und das robustere Vorgehen<br />
<strong>de</strong>r vor Ort eingesetzten Streitkräfte zurückzuführen<br />
ist. Wie aber wird diese Entwicklung<br />
weitergehen? „Im Moment kann<br />
man die Entwicklung nicht voraussehen. Bislang<br />
ist seitens <strong>de</strong>r Piraten zumin<strong>de</strong>st keine<br />
Aufrüstung festzustellen. Dies wäre für sie<br />
aber auch mit einem an<strong>de</strong>ren logistischen<br />
Aufwand verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r entsprechend teuer<br />
ist. Wenn wir davon ausgehen, dass die<br />
Hintermänner ökonomischen Prinzipien folgen<br />
und eine Kosten-Nutzenrechnung machen,<br />
stellt sich die Frage, ob sie viel mehr<br />
Geld in leichter zu <strong>de</strong>tektieren<strong>de</strong> Technik investieren<br />
wollen. Wenn ich mit einer schweren<br />
Lafette vorne auf meinem Boot herumfahre,<br />
falle ich natürlich stärker auf, als mit<br />
einem einfachen Skiff, die dort zu tausen<strong>de</strong>n<br />
herumfahren“, meint Zimmermeier.<br />
„Je länger in einem bestimmten Gebiet,<br />
wie etwa im Indischen Ozean, Piraterie vorherrscht,<br />
<strong>de</strong>sto besser wer<strong>de</strong>n sich die Marinekräfte<br />
darauf einstellen. Trotz <strong>de</strong>r begrenzten<br />
Ressourcen fokussiert man sich<br />
auf erkannte Schwerpunkte. Dieser gezielte<br />
Einsatz gegen Piratencamps und gegen<br />
erkannte Vorgehensweisen ist neben <strong>de</strong>r<br />
zunehmen<strong>de</strong>n Sensibilisierung ein Grund,<br />
warum die Piraterie in einem Gebiet auch<br />
wie<strong>de</strong>r zurückgeht. Sehr wahrscheinlich<br />
wird es Piraterie, zumin<strong>de</strong>st in irgen<strong>de</strong>iner<br />
Form, immer irgendwo geben“, ergänzt<br />
Reimann.<br />
Und so erscheint es auch nicht beson<strong>de</strong>rs<br />
wahrscheinlich, dass sich die Beamten<br />
<strong>de</strong>s PPZ mit ihrer Arbeit in absehbarer Zukunft<br />
selbst überflüssig machen wer<strong>de</strong>n.<br />
Nach Einschalten <strong>de</strong>r<br />
Nebelmaschine...<br />
baut sich innerhalb kürzester<br />
Zeit...<br />
eine dichte Nebelwand<br />
auf<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 31
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Geschäftsmo<strong>de</strong>ll Piraterie<br />
Piraterieprävention aus Sicht eines privaten<br />
Sicherheitsdienstleisters<br />
Hans Jürgen Stephan<br />
ist Geschäftsführer <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Nie<strong>de</strong>rlassung<br />
<strong>de</strong>r globalen Unternehmensberatung<br />
Control Risks und Spezialist<br />
für Risikomanagement,<br />
Krisenprävention<br />
und -reaktion sowie Reisesicherheit.<br />
Als Rechtsanwalt<br />
und ehemaliger<br />
Leiter <strong>de</strong>s Referates für<br />
Finanzermittlungen in<br />
<strong>de</strong>r Abteilung Staatsschutz<br />
<strong>de</strong>s BKA verfügt<br />
er über umfassen<strong>de</strong><br />
Erfahrungen in <strong>de</strong>n<br />
Bereichen Krisenmanagement,<br />
Terrorismusbekämpfung<br />
und Wirtschaftskriminaliät.<br />
Hans<br />
Jürgen Stephan hat einen<br />
Abschluss in Rechtswissenschaften<br />
von <strong>de</strong>n<br />
Universitäten Hannover,<br />
Lissabon und Rom.<br />
Control Risks ist eine unabhängige,<br />
globale Unternehmensberatung für<br />
Risikomanagement, spezialisiert auf<br />
politische, sicherheits- und reputationsbezogene<br />
Risiken. Control Risks<br />
unterstützt seine Kun<strong>de</strong>n dabei, die<br />
Risiken komplexer und feindseliger Umgebungen<br />
zu verstehen und diese erfolgreich<br />
zu managen. Die Kombination <strong>de</strong>r<br />
Dienstleistungen und eine globale Präsenz<br />
ermöglichen Control Risks, Probleme<br />
zu analysieren, sie zu lösen und so<br />
ihren Kun<strong>de</strong>n zu helfen, Chancen weltweit<br />
erfolgreich wahrzunehmen. <strong>Homeland</strong><br />
<strong>Security</strong> sprach mit Hans Jürgen<br />
Stephan, Geschäftsführer <strong>de</strong>r Control<br />
Risks Deutschland GmbH.<br />
<strong>Homeland</strong>: Seit wann bietet Control Risks<br />
Dienstleistungen im Bereich „Maritime Sicherheit“<br />
an und wie sehen diese Dienstleistungen<br />
aus?<br />
Stephan: Wir sind in diesem Sektor bereits<br />
seit über 20 Jahren tätig und schon<br />
seit unserer Gründung im Jahr 1975 berät<br />
Control Risks Kun<strong>de</strong>n im Bereich<br />
Krisenmanagement.<br />
Wir betreuen unsere Kun<strong>de</strong>n umfassend<br />
und oft für die gesamte Dauer eines Projektes.<br />
Zunächst verfügen wir über einen sehr<br />
umfangreichen eigenen Analyseservice. Unser<br />
Team besteht aus Spezialisten mit langjähriger<br />
Erfahrung auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r maritimen<br />
Sicherheitsanalyse. Hier wer<strong>de</strong>n seit<br />
Jahren laufend sämtliche Vorfälle aus <strong>de</strong>m<br />
Bereich Piraterie und maritimer Terrorismus<br />
recherchiert und analysiert und fundierte<br />
Prognosen für zukünftige Entwicklungen<br />
erstellt. Wir erarbeiten für unsere<br />
Kun<strong>de</strong>n spezifische Bewertungen zum Flottenrisiko,<br />
heruntergebrochen bis hin zu je<strong>de</strong>r<br />
einzelnen Fahrt auf einer bestimmten<br />
Route. Ist das Risiko ermittelt und bewertet,<br />
empfehlen wir konkrete Maßnahmen,<br />
um potenzielle Schä<strong>de</strong>n zu minimieren. Beson<strong>de</strong>rs<br />
wichtig sind hier die Trainings, die<br />
wir für Crewmitglie<strong>de</strong>r anbieten, damit sie<br />
das richtige Verhalten im Krisenfall lernen.<br />
Unter Umstän<strong>de</strong>n empfehlen wir auch <strong>de</strong>n<br />
Einsatz von bewaffnetem Sicherheitspersonal<br />
an Bord.<br />
<strong>Homeland</strong>: Welches Personal setzen Sie im<br />
Bereich „Maritime Sicherheit“ ein?<br />
Stephan: Unsere Mitarbeiter sind alle langjährig<br />
ausgebil<strong>de</strong>t und im maritimen Sektor<br />
sehr erfahren. Die Qualität unserer Teammitglie<strong>de</strong>r,<br />
<strong>de</strong>ren Professionalität und ethische<br />
Standards sind für uns das A und O.<br />
Unsere Mitarbeiter wer<strong>de</strong>n meist nur aufgrund<br />
<strong>de</strong>r Empfehlung eines bestehen<strong>de</strong>n<br />
Teammitglie<strong>de</strong>s in Betracht gezogen. Die<br />
Min<strong>de</strong>stanfor<strong>de</strong>rungen beson<strong>de</strong>rs für Teamleiter<br />
sind sehr umfangreich. So müssen<br />
diese eine langjährige Karriere im Militär<br />
o<strong>de</strong>r privaten Sicherheitsdienst vorweisen,<br />
Lizensierungen wie zum Beispiel STCW-95<br />
und SSO nachweisen und medizinisch speziell<br />
für <strong>de</strong>n maritimen Bereich geschult sein.<br />
Bestehen die Anwärter das dann folgen<strong>de</strong><br />
Interview, schließt sich ein mehrwöchiges<br />
Training durch Control Risks an. Die Auswahl<br />
<strong>de</strong>r weiteren Teammitglie<strong>de</strong>r ist nicht<br />
weniger komplex.<br />
<strong>Homeland</strong>: Der Einsatz von bewaffnetem<br />
Sicherheitspersonal an Bord von Schiffen<br />
wird, gera<strong>de</strong> in Deutschland, noch kontrovers<br />
diskutiert. Wie stehen Sie zu dieser<br />
Diskussion?<br />
Stephan: Control Risks hat sich schon immer<br />
für einheitlich hohe, internationale<br />
Standards eingesetzt und ist Vorreiter innerhalb<br />
<strong>de</strong>r Branche. Die aktuellen Schritte<br />
in Deutschland bezüglich einer Zertifizierung<br />
<strong>de</strong>r Anbieter maritimer Sicherheit<br />
begrüßen wir daher sehr. Klare Richtlinien<br />
und Standards helfen nicht nur <strong>de</strong>n Anbietern,<br />
son<strong>de</strong>rn bieten vor allem auch die seit<br />
langem benötigte Rechtssicherheit für <strong>de</strong>utsche<br />
Ree<strong>de</strong>reien. Es ist auch nicht zu vergessen,<br />
dass professionelle Sicherheitsberater<br />
bewaffnete Begleitung auch nur anbieten,<br />
wenn es für <strong>de</strong>n speziellen Fall angemessen<br />
ist. Häufig sind schon an<strong>de</strong>re präventive<br />
32 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Maßnahmen ausreichend, um die Crew und<br />
das Schiff zu schützen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie wird <strong>de</strong>r Einsatz Ihres<br />
Personals an Bord <strong>de</strong>r Schiffe überwacht?<br />
Gibt es schon bestimmte Auflagen o<strong>de</strong>r<br />
Richtlinien?<br />
Stephan: Je nach<strong>de</strong>m unter welcher Flagge<br />
ein Schiff fährt, gelten natürlich unterschiedliche<br />
Richtlinien. International sind<br />
sich Staaten bezüglich <strong>de</strong>s Einsatzes bewaffneter<br />
Sicherheitskräfte keineswegs einig.<br />
Es gibt die ganze Bandbreite von Meinungen:<br />
Staaten, die <strong>de</strong>m Einsatz von bewaffnetem<br />
Personal aktiv zustimmen und dafür<br />
geordnete Prozesse haben; Staaten, die <strong>de</strong>m<br />
Einsatz zwar zustimmen, aber keine offiziellen<br />
Dokumente diesbezüglich erstellen; Län<strong>de</strong>r,<br />
in <strong>de</strong>nen sich die Ree<strong>de</strong>r in Grauzonen<br />
bewegen müssen, da die Gesetze <strong>de</strong>m Einsatz<br />
von bewaffneten Kräften an Bord we<strong>de</strong>r<br />
zustimmen noch diesen ablehnen; und<br />
schließlich Län<strong>de</strong>r, die sich <strong>de</strong>utlich gegen<br />
<strong>de</strong>n Einsatz dieser Sicherheitsleute aussprechen.<br />
Fährt ein Schiff z. B. unter <strong>de</strong>r Flagge<br />
von Panama o<strong>de</strong>r Zypern, kann es auch bewaffnete<br />
Sicherheitskräfte mitführen. Hierfür<br />
wird eine umfangreiche Dokumentation<br />
bezüglich <strong>de</strong>r Eignung <strong>de</strong>s Serviceanbieters<br />
benötigt. In Panama wird in naher Zukunft<br />
ferner die Akkreditierung <strong>de</strong>s jeweiligen<br />
Anbieters in Panama erfor<strong>de</strong>rlich. Dies<br />
gibt <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>rn weitere Sicherheit bei <strong>de</strong>r<br />
Beantragung eines Transits mit bewaffneter<br />
Begleitung.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das Problem <strong>de</strong>r Piraterie ist<br />
nicht nur auf die Region um das Horn von<br />
Afrika beschränkt. Gibt es regionale Unterschie<strong>de</strong><br />
im Vorgehen <strong>de</strong>r Piraten?<br />
Stephan: In Südamerika und <strong>de</strong>r Karibik<br />
sind in letzter Zeit vor allem kleinere Schiffe<br />
und private Segeljachten in das Visier<br />
von Kriminellen geraten. Es han<strong>de</strong>lte sich<br />
um Diebstahl, aber auch gewalttätige Raubüberfälle.<br />
Kommerzielle Schiffe wur<strong>de</strong>n in<br />
dieser Region vor allem in <strong>de</strong>n Häfen von<br />
Peru und Kolumbien angegriffen.<br />
In Westafrika gehen die Piraten sehr unterschiedlich<br />
vor. Von kleineren Überfällen<br />
bis zur Kaperung und Entführung <strong>de</strong>r Schiffe<br />
kann hier alles passieren. Beson<strong>de</strong>rs beunruhigend<br />
ist, dass die Piraten sich immer<br />
weiter nach Westen ausbreiten und wir weit<br />
von <strong>de</strong>r nigerianischen Küste entfernt Angriffe<br />
verzeichnen.<br />
Südostasien hat sich in Bezug auf die Anzahl<br />
<strong>de</strong>r Piraterievorfälle sehr positiv entwickelt<br />
und wir sind schon längst nicht mehr<br />
auf <strong>de</strong>m Niveau <strong>de</strong>r 1990er Jahre. Trotz<br />
sehr effektiver Maßnahmen und internationaler<br />
Zusammenarbeit gibt es immer noch<br />
Schwierigkeiten um Indonesien, Malaysia<br />
und Vietnam.<br />
Durch dieses unterschiedliche Vorgehen<br />
sind auch die präventiven Maßnahmen anzupassen.<br />
Eine ausführliche Risikoanalyse,<br />
bevor ein Schiff sich in gefährliche Gewässer<br />
begibt, ist daher unabdingbar.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das Auftreten <strong>de</strong>r Piraterie in<br />
<strong>de</strong>r Region um das Horn von Afrika ist nur<br />
ein Symptom <strong>de</strong>s eigentlichen Problems,<br />
etwa <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Staatlichkeit in Somalia.<br />
Sehen Sie eine Möglichkeit zur Lösung<br />
dieses Problems?<br />
Stephan: Es wird notwendig sein, dass dieses<br />
komplexe Problem von mehreren Seiten<br />
angegangen wird. Eine Wi<strong>de</strong>rherstellung<br />
<strong>de</strong>r Staatlichkeit in Somalia ist hierfür sicherlich<br />
unabdingbar. Insofern ist <strong>de</strong>r Beschluss<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung zum personellen<br />
Beitrag zur EU-Ausbildungsmission<br />
Eucap Nestor am Horn von Afrika sehr zu<br />
begrüßen. Darüber hinaus muss <strong>de</strong>n Menschen<br />
aber auch eine echte Alternative gegeben<br />
wer<strong>de</strong>n, damit sie ihren Lebensunterhalt<br />
auf legale Weise verdienen können.<br />
Piraterie ist letzlich ein <strong>de</strong>rzeit sehr erfolgreiches<br />
Geschäftsmo<strong>de</strong>ll. Gesicherte<br />
Schiffe wer<strong>de</strong>n wesentlich unwahrscheinlicher<br />
zum Ziel eines Übergriffes als ungesicherte<br />
und je schwieriger es für die Piraten<br />
wird, umso erfolgloser wer<strong>de</strong>n sie. Wird also<br />
<strong>de</strong>r Aufwand für eine Attacke zu hoch und<br />
erwirtschaften die Piraten nicht mehr genug<br />
ist das ganze Geschäftsmo<strong>de</strong>ll nicht mehr<br />
tragfähig.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 33
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Man möchte nur noch flüchten…<br />
Schallabwehrsystem (nicht nur) zur Abwehr von Piraten<br />
Dr. Nadine Seumenicht<br />
im Gespräch mit Lothar<br />
Hügin<br />
Herbertzhorn im<br />
Vorraum <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle<br />
Der Abteilung „Forschung<br />
und Technik“<br />
<strong>de</strong>s Instituts für<br />
Brandschutz- und Sicherheitstechnologie<br />
<strong>de</strong>r Firma Hügin<br />
Group International,<br />
ist es gelungen, ein Gerät<br />
zu entwickeln, welches<br />
u. a. im Bereich<br />
<strong>de</strong>r Piratenabwehr Anwendung<br />
fin<strong>de</strong>n soll.<br />
Bei einer Frequenz von circa 1,5 bis 2<br />
kHz (Resonanzfrequenz <strong>de</strong>s menschlichen<br />
Ohres) erzeugt das so genannte<br />
„Herbertzhorn“ eine kontinuierliche<br />
Schallleistung von circa 4.000 bis<br />
5.000 Watt. Das ist ungefähr 100 Mal<br />
mehr als die Schallleistung <strong>de</strong>s LRAD<br />
1000, <strong>de</strong>r bislang stärksten, bekannten<br />
Schallkanone auf <strong>de</strong>m Markt. <strong>Homeland</strong><br />
<strong>Security</strong> sprach mit Dipl.-Ing. Lothar<br />
Hügin, Geschäftsführen<strong>de</strong>r Direktor<br />
und Gesellschafter <strong>de</strong>r Hügin Group<br />
International.<br />
<strong>Homeland</strong>: Die Hügin Group International<br />
besteht aus mehreren Unternehmensbereichen.<br />
Welche sind das?<br />
Hügin: Der erste Geschäftsbereich ist das<br />
„Institut für Brandschutz und Sicherheitstechnologie“.<br />
Hier gibt es die Abteilungen<br />
„Vorbeugen<strong>de</strong>r Brandschutz“ und „Forschung<br />
und Technik“. Der zweite Unternehmensbereich<br />
ist das „Krisenmanagement<br />
Service“. Wir haben eine Spezialeinheit,<br />
die dann tätig wird, wenn z. B. große Einkaufszentren<br />
nicht eröffnet wer<strong>de</strong>n können,<br />
weil Bauaufsichten o<strong>de</strong>r<br />
Feuerwehr wegen <strong>de</strong>s<br />
Brandschutzes Be<strong>de</strong>nken<br />
haben. Seit Anfang<br />
<strong>de</strong>s Jahres haben wir<br />
dann noch neu die „Aka<strong>de</strong>mie<br />
für Brandschutz<br />
und Sicherheit“. Diese<br />
ist eigentlich aus <strong>de</strong>r<br />
Not heraus geboren, weil<br />
wir das benötigte Personal<br />
auf <strong>de</strong>m Markt nicht<br />
gefun<strong>de</strong>n haben. Der Markt ist leergefegt.<br />
Durch meine Lehrtätigkeit an <strong>de</strong>r Universität<br />
Kassel haben wir das weiter ausgebaut.<br />
<strong>Homeland</strong>: Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit<br />
liegt im Bereich <strong>de</strong>s Brandschutzes.<br />
Wie kam es da zu <strong>de</strong>r Entwicklung einer<br />
Schallkanone?<br />
Hügin: Aufgrund eines Berichtes 2007<br />
über die Situation <strong>de</strong>r Piraterie im Bereich<br />
von Somalia. Wir sind von Hause aus Ingenieure<br />
unterschiedlicher Fachrichtungen,<br />
etwa Bauingenieure o<strong>de</strong>r Maschinenbauingenieure.<br />
Also haben wir uns Gedanken<br />
gemacht, wie man dieses Problem lösen<br />
könnte. Wir haben dann festgestellt, dass<br />
es wenige Abwehrsysteme gibt, u. a. das<br />
LRAD aus Amerika. Wir haben geprüft und<br />
berechnet, welche Möglichkeiten es gibt<br />
mit Schall, also ohne Waffenwirkung, Piraten<br />
abzuwehren. Daraus entstand das so<br />
genannte „Herbertzhorn“. Benannt wur<strong>de</strong><br />
das Gerät nach seinem 2008 verstorbenen<br />
Erfin<strong>de</strong>r Professor Joachim Herbertz, einem<br />
<strong>de</strong>utschen Akustiker.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie lange dauerte die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>s Herbertzhorns? Gab es dabei beson<strong>de</strong>re<br />
Schwierigkeiten?<br />
Hügin: Den Prototypen haben wir schon<br />
2009 vorgestellt. Seit<strong>de</strong>m sind drei weitere<br />
Jahre vergangen. Neben <strong>de</strong>r rein technischen<br />
Entwicklung gab es noch einen<br />
an<strong>de</strong>ren Grund für die Verzögerung. In diesen<br />
Zeitraum fiel auch die Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages, die Marine<br />
zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie einzusetzen.<br />
Alle haben da zunächst gedacht jetzt<br />
wür<strong>de</strong> es besser. Dann kamen die ersten<br />
Erfahrungsberichte <strong>de</strong>r Missionen und es<br />
war eher noch eine Zunahme <strong>de</strong>r Vorfälle<br />
zu erkennen. An <strong>de</strong>m Punkt haben wir<br />
dann beschlossen, das Thema weiter voran<br />
zu treiben.<br />
Das größte Problem bestand darin, einen<br />
passen<strong>de</strong>n Kompressor auf <strong>de</strong>m Markt<br />
zu fin<strong>de</strong>n. Eigentlich ist das Herbertzhorn<br />
dafür berechnet wor<strong>de</strong>n mit heißen Abgasen<br />
betrieben zu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Abgasen <strong>de</strong>s<br />
34 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Schiffsmotors. Als wir es zunächst aber<br />
mit Luft ausprobiert haben, hat das auch<br />
funktioniert.<br />
Momentan nutzen wir also einen modifizierten,<br />
han<strong>de</strong>lsüblichen Kompressor, wer<strong>de</strong>n<br />
das Ganze aber noch für die Nutzung<br />
mit Abgasen weiterentwickeln, damit <strong>de</strong>r<br />
Wirkungsgrad noch besser wird. Dazu müssen<br />
wir Gespräche mit Motorenherstellern<br />
führen, da es bei <strong>de</strong>m Druck, mit <strong>de</strong>m das<br />
Herbertzhorn arbeitet, einen Gegendruck<br />
auf <strong>de</strong>n Motor gibt. Irgendwann ist dann<br />
<strong>de</strong>r Punkt erreicht, bei <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Motor das<br />
nicht mehr mitmacht. Vom Grundsatz her<br />
wissen wir aber, dass es funktioniert und<br />
haben das auch schon getestet.<br />
ist nur ein Beispiel. Man<br />
kann sich auch Situationen<br />
vorstellen, wo es für<br />
die Polizei darum geht,<br />
Randalierer auf Abstand<br />
zu halten. Das wäre auch<br />
eine i<strong>de</strong>ale Einsatzmöglichkeit.<br />
Es gibt dann<br />
noch die dritte Möglichkeit<br />
im Bereich Objektschutz,<br />
etwa bei gefähr<strong>de</strong>ten Objekten wie<br />
Kernkraftwerken o<strong>de</strong>r ähnlichem.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie genau sieht <strong>de</strong>r Einsatz<br />
<strong>de</strong>s Herbertzhorns zur Abwehr von Piratenangriffen<br />
aus?<br />
Herbertzhorn ohne<br />
Reflektoreinrichtung<br />
<strong>Homeland</strong>: In welchen Bereichen sehen<br />
Sie Anwendungsmöglichkeiten für diese<br />
Schallkanone?<br />
Hügin: Vom Prinzip her gibt es min<strong>de</strong>stens<br />
drei Anwendungsmöglichkeiten. Die erste<br />
ist im Bereich <strong>de</strong>r maritimen Piraterie.<br />
Die zweite Anwendungsmöglichkeit sehen<br />
wir <strong>de</strong>finitiv im Bereich von Polizei und Militär.<br />
Ich hatte ein Gespräch mit Soldaten<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr, die in Afghanistan im Einsatz<br />
waren. Sie schil<strong>de</strong>rten eine Situation<br />
mit einem Pulk von Menschen und sie wussten<br />
nicht, ob ein Anschlag bevorsteht o<strong>de</strong>r<br />
nicht. Da kam die I<strong>de</strong>e auf, dass es i<strong>de</strong>al<br />
wäre, diese Personen ohne <strong>de</strong>n Einsatz von<br />
Waffen auseinan<strong>de</strong>rtreiben zu können. Das<br />
Hügin: Um das Schiff könnten Herbertzhörner<br />
ohne Reflektor angebracht wer<strong>de</strong>n.<br />
Dieser Einbau ließe sich bei Schiffsneubauten<br />
sicher realisieren. Diese „virtuelle<br />
Schallmauer“ müssten die Piraten überwin<strong>de</strong>n,<br />
wenn sie an Bord kommen. In einem<br />
Bereich ab etwa 15 Metern beginnt<br />
die Wirkung und <strong>de</strong>n Personen in diesem<br />
Wirkungsbereich wird übel. Wir haben das<br />
selbst ausprobiert und wollten nur noch<br />
flüchten.<br />
Eine einfachere Lösung hingegen wäre<br />
die Absicherung <strong>de</strong>s Vorraums <strong>de</strong>r „Zita<strong>de</strong>lle“,<br />
<strong>de</strong>m Schutzraum <strong>de</strong>s Schiffes. Selbst<br />
wenn ein solcher Schutzraum für die Besatzung<br />
vorhan<strong>de</strong>n ist, besteht trotz<strong>de</strong>m<br />
das Problem, dass sich die Piraten meist<br />
Herbertzhorn als Piratenversion<br />
(„virtuelle<br />
Schutzmauer“ um<br />
das Schiff)<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 35
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Rolle, wie lange etwa <strong>de</strong>r Schall abgegeben<br />
wird und auf welche Entfernung.<br />
<strong>Homeland</strong>: Kann man diese Reaktionen<br />
durch die Verwendung eines Gehörschutzes<br />
reduzieren?<br />
Herbertzhorn als Polizei-<br />
und Militärversion<br />
mit Reflektoreinrichtung<br />
Zugang verschaffen können, etwa mit Hilfe<br />
eines Schweißbrenners. Das ist dann meist<br />
nur eine Frage <strong>de</strong>r Zeit. Man könnte aber<br />
durch <strong>de</strong>n Einsatz von z. B. zwei Herbertzhörnern<br />
<strong>de</strong>n Vorraum schützen. Sobald<br />
die Besatzung vollzählig in <strong>de</strong>m Raum ist,<br />
könnte sie das System aktivieren. Diese Variante<br />
ist günstiger und auch schneller in<br />
ein Schiff einzurüsten, z. B. im Rahmen eines<br />
routinemäßigen Werfaufenthaltes. Darauf<br />
legen wir momentan <strong>de</strong>n Fokus. Es<br />
gibt jedoch keine Standardlösung, da je<strong>de</strong>s<br />
Schiff an<strong>de</strong>rs ist.<br />
<strong>Homeland</strong>: Können durch die Anwendung<br />
Ihrer Schallkanone gesundheitliche<br />
Schä<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n beschallten Personen<br />
entstehen?<br />
Hügin: Zunächst einmal ist unser Gerät<br />
ein Abwehrsystem und keine Waffe, das<br />
ist mir wichtig. Wenn das Gerät im Nahbereich<br />
plötzlich eingeschaltet wird, besteht<br />
die Gefahr, dass das Trommelfell platzt.<br />
Ansonsten entstehen die üblichen Schädigungen,<br />
welche durch übermäßigen Lärm<br />
verursacht wer<strong>de</strong>n können. Ein HNO-Arzt<br />
hat es so beschrieben, dass im Ohr ein Tsunami<br />
ausgelöst wird. Das ist aber auch immer<br />
abhängig vom Frequenzbereich. Je<strong>de</strong>r<br />
kennt etwa die Auswirkungen von Bässen<br />
auf <strong>de</strong>n eigenen Körper. Je nach Frequenzbereich<br />
kann das angenehm o<strong>de</strong>r unangenehm<br />
sein. Diese Resonanz wird auch an<br />
die inneren Organe weitergegeben. Es ist<br />
schwierig so etwas zu testen und so können<br />
wir die Auswirkungen bisher nur abschätzen.<br />
Letztlich kommt es immer darauf an,<br />
wie das Herbertzhorn eingesetzt wird. Gera<strong>de</strong><br />
bei <strong>de</strong>r Version für Polizei und Militär<br />
spielt die Einsatztaktik eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Hügin: Das LRAD wur<strong>de</strong> mit 151 Dezibel<br />
gemessen. Bei ca. 190 Dezibel sind wir an<br />
<strong>de</strong>r physikalisch messbaren Grenze angelangt,<br />
wir haben die 180 Dezibel geknackt.<br />
Den Lärm kann man zur Not noch durch<br />
das Zuhalten <strong>de</strong>r Ohren reduzieren. Aber<br />
irgendwann überträgt sich <strong>de</strong>r Schall auch<br />
auf <strong>de</strong>n gesamten Körper. Da geschieht<br />
dann das Phänomen, dass <strong>de</strong>r ganze Körper<br />
in Aufruhr gerät. Das heißt, Sie fangen<br />
an, sich unwohl zu fühlen, ihnen wird übel.<br />
Bei einer Vorführung passierte es auch,<br />
dass eine Person nach <strong>de</strong>r Einwirkung <strong>de</strong>s<br />
Herbertzhorns kurzfristig orientierungslos<br />
war.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo sehen Sie die Absatzmärkte<br />
für das Herbertzhorn?<br />
Hügin: Im Bereich <strong>de</strong>r Piraterieabwehr eigentlich<br />
weltweit. Wir wer<strong>de</strong>n das Produkt<br />
auf Messen vorstellen. Für die Polizei- und<br />
Militärversion sehe ich die Absatzmärkte<br />
<strong>de</strong>rzeit z. B. im Mittleren Osten. Momentan<br />
bereiten wir, in Abstimmung mit <strong>de</strong>m Wirtschaftsministerium,<br />
Gespräche mit ausländischen<br />
Interessenten vor. Dort treten wir<br />
direkt an die entsprechen<strong>de</strong>n Ministerien<br />
heran. Natürlich gibt es aber auch Län<strong>de</strong>r,<br />
an die wir uns nicht wen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, wie<br />
z. B. Nord-Korea.<br />
<strong>Homeland</strong>: Vielen Dank für das Gespräch.<br />
Dipl. Ing. Lothar Hügin<br />
Jahrgang 1964, von 1990<br />
bis 1996 Bauingenieurstudium<br />
an <strong>de</strong>r Universität-<br />
Gesamthochschule Kassel;<br />
seit 1997 selbstständig<br />
mit einem Brandschutzbüro;<br />
2008 Gründung <strong>de</strong>r<br />
Hügin Group International<br />
GmbH & Co.KG; seit 1982 freiwilliger<br />
Feuerwehrmann bei <strong>de</strong>n Feuerwehren<br />
Denzlingen, Kassel-Harleshausen und Vellmar;<br />
aktives Mitglied bei <strong>de</strong>n Euro Fire<br />
Fightern; seit 1999 Lehrtätigkeiten an <strong>de</strong>r<br />
Universität Kassel.<br />
36 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Maritime Sicherheit und Piraterie<br />
Entführung<br />
MS “HANSA STAVANGER”<br />
Bewaffnetes Bewachungsteam <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine erwünscht<br />
Frank Leonhardt ist geschäftsführen<strong>de</strong>r<br />
Gesellschafter <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reigruppe<br />
Leonhardt & Blumberg, die mehr als 50<br />
vorwiegend im Containerverkehr eingesetzte<br />
Han<strong>de</strong>lsschiffe unter Charterverträgen<br />
mit internationalen Linienree<strong>de</strong>reien<br />
im weltweiten Verkehr betreibt.<br />
Das von ihm beree<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>utschflaggige<br />
MS “HANSA STAVANGER” war 2009 für<br />
vier Monate von somalischen Piraten<br />
entführt wor<strong>de</strong>n. Welche Verän<strong>de</strong>rungen<br />
diese Entführung für die Ree<strong>de</strong>rei<br />
mit sich brachte, berichtete Leonhardt<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong>.<br />
Von <strong>de</strong>r Entführung erfuhr Leonhardt<br />
durch eine Meldung <strong>de</strong>r Schiffsleitung; im<br />
Anschluss grün<strong>de</strong>te er zusammen mit Beratern,<br />
die sich in Fragen <strong>de</strong>r Piraterie auskennen<br />
(BKA, Versicherungsmakler, britische<br />
Sicherheitsagentur), einen Krisenstab.<br />
Persönlichen Kontakt zu <strong>de</strong>n Besatzungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />
gab es nicht: „Alle Kontakte mit<br />
<strong>de</strong>m Schiff und <strong>de</strong>n Piraten liefen nur über<br />
eine vom Krisenstab als Sprecher ausgesuchte<br />
Person. Dieser glückte es während<br />
<strong>de</strong>r Entführungsdauer, mit <strong>de</strong>m damaligen<br />
2. Offizier Euskirchen in Telefonkontakt zu<br />
kommen“, schil<strong>de</strong>rt Leonhardt. Das Wohlergehen<br />
<strong>de</strong>r Besatzungsmitglie<strong>de</strong>r bereitete<br />
ihm Sorgen; so war die Nachricht über die<br />
Befreiung eine große Erleichterung: „Nach<strong>de</strong>m<br />
bei <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s befreiten Schiffes<br />
im ersten Hafen, in Mombasa, neben einem<br />
Vertreter unserer Ree<strong>de</strong>rei auch Repräsentanten<br />
<strong>de</strong>s BKA und <strong>de</strong>r Versicherer unsere<br />
Seeleute wahrgenommen hatten, konnten<br />
die Seeleute in ihre Heimat Deutschland,<br />
die im Südpazifik gelegene Republik Tuvalu,<br />
Philippinen, Ukraine und Russland zurückkehren.<br />
Mit <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Seeleuten habe<br />
ich später persönlich gesprochen.“<br />
Danach hat die Ree<strong>de</strong>rei die Best Management<br />
Practice Maßnahmen auf ihren<br />
Schiffen im piratengefähr<strong>de</strong>ten Indischen<br />
Ozean weiterentwickelt: Stacheldrahtbewehrung<br />
an <strong>de</strong>r Reling, Verschluss <strong>de</strong>r Aufund<br />
Zugänge zu <strong>de</strong>n Aufbauten und die<br />
Einrichtung eines Fluchtraumes (Zita<strong>de</strong>lle).<br />
„Die wichtigste Maßnahme aber ist die<br />
Mitreise <strong>de</strong>r von uns bestellten bewaffneten<br />
Wachleute privater Sicherheitsdienste“,<br />
betont Leonhardt und ergänzt: „Wichtigste<br />
Aufgabe bei <strong>de</strong>n Schutzmaßnahmen vor Piratenentführungen<br />
ist, zu verhin<strong>de</strong>rn, dass<br />
Piraten an Bord eines Schiffes kommen können.<br />
Da sich die Gefährdung durch somalische<br />
Piraten über die weiten Flächen <strong>de</strong>s<br />
Indischen Ozeans aus<strong>de</strong>hnt, ist die Anzahl<br />
<strong>de</strong>r Navy-Schiffseinheiten von ATALANTA<br />
als Begleitschiffe für Han<strong>de</strong>lsschiffe nicht<br />
ausreichend. Der Einsatz von Kriegsschiffen<br />
mit ihren zahlreichen Besatzungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />
als Begleitschutz einzelner Schiffe ist<br />
eine viel zu aufwändige Maßnahme hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r Vielzahl von Han<strong>de</strong>lsschiffen. Ein<br />
unvergleichlich geringerer Aufwand wäre<br />
möglich, wenn die Bun<strong>de</strong>smarine zur Mitreise<br />
an Bord <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe bei <strong>de</strong>n gefähr<strong>de</strong>ten<br />
Passagen ein bewaffnetes Bewachungsteam<br />
zur Verfügung stellen wür<strong>de</strong>.“<br />
Bei <strong>de</strong>n privaten Bewachungsfirmen hat<br />
sich ein Team von vier Wachleuten pro Schiff<br />
bewährt. Für die logistischen Aufgaben <strong>de</strong>s<br />
An- und Vonbordgehens <strong>de</strong>r Marinesoldaten<br />
könnten die Ree<strong>de</strong>r wertvolle Ratschläge<br />
und Hilfestellung anbieten und wären bereit,<br />
logistische Kosten zu übernehmen. Leonhardt:<br />
„Grundsätzlich wür<strong>de</strong>n die Ree<strong>de</strong>r<br />
hoheitliche Sicherheitskräfte gegenüber privaten<br />
Sicherheitsdiensten vorziehen, weil<br />
wir hinsichtlich <strong>de</strong>r von Sicherheitskräften<br />
mitzuführen<strong>de</strong>n Waffen ein größeres Vertrauen<br />
in die disziplinarische Einbindung<br />
<strong>de</strong>r hoheitlichen Sicherheitskräfte hätten.<br />
Die Ree<strong>de</strong>r wünschen eine Diskussion mit<br />
<strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sverteidigungsministerium über<br />
diese Fragen <strong>de</strong>r Mitreise von Marinesoldaten.<br />
Ich bedauere, dass das Ministerium in<br />
dieser für <strong>de</strong>n Schutz unserer Besatzungen<br />
so wichtigen Frage <strong>de</strong>r Piratenabwehr nicht<br />
bereit ist, sich einer sachlichen Erörterung<br />
zu stellen und statt<strong>de</strong>ssen die angestrebte<br />
Zusammenarbeit politisch ablehnt. Ich meine,<br />
dass die von mir geschil<strong>de</strong>rte Mitreise<br />
von Marinesoldaten in<br />
piratengefähr<strong>de</strong>ten Gewässern<br />
für die Bun<strong>de</strong>smarine<br />
eine finanziell<br />
überschaubare und von<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit in hohem<br />
Maße akzeptierte<br />
Aufgabe zum Schutz <strong>de</strong>r<br />
Seeleute auf <strong>de</strong>utschen<br />
Schiffen wäre.“<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 37
Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />
Dekontaminationsübung<br />
Benjamin Maiorano<br />
„KALTE DUSCHE“<br />
Lazarettregiment 21 „Westerwald“<br />
Auf geht‘s in die „KALTE<br />
DUSCHE“<br />
In <strong>2012</strong> führte das Kreisverbindungskommando<br />
Main-Taunus zusammen<br />
mit <strong>de</strong>m Amt für Brandschutz und Rettungswesen<br />
und <strong>de</strong>m Sanitätshygienezug<br />
<strong>de</strong>s Lazarettregimentes 21 „Westerwald“<br />
eine Dekontaminationsübung in<br />
Rennerod durch.<br />
Der stellvertreten<strong>de</strong> Regimentskomman<strong>de</strong>ur<br />
<strong>de</strong>s Lazarettregiments 21, Oberstleutnant<br />
Hentschel, begrüßte Oberfeldarzt d. R.<br />
Dr. Munk vom Kreisverbindungskommando<br />
Main-Taunus als Initiator <strong>de</strong>r gemeinsamen<br />
Übung, Oberstleutnant von John, Leiter <strong>de</strong>s<br />
Kreisverbindungskommandos Main-Taunus,<br />
Oberstleutnant Stettner, Chef <strong>de</strong>s Stabes<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>skommandos Hessen, Kreisbrandinspektor<br />
Joachim Dreier, Amtsleiter <strong>de</strong>s<br />
Amtes für Brandschutz und Katastrophenschutz,<br />
Oberfeldarzt Dr. Heinz, stellvertreten<strong>de</strong>r<br />
Abteilungsleiter G3 <strong>de</strong>s Sanitätskommandos<br />
II sowie Major Dr. Weis, <strong>de</strong>r mit<br />
zehn Soldaten <strong>de</strong>s ABC-Abwehrregiments<br />
750 aus Bruchsal als Beobachter <strong>de</strong>r Übung<br />
angereist war.<br />
Im Rahmen eines Dienstaufsichtsbesuches<br />
überzeugte sich <strong>de</strong>r Komman<strong>de</strong>ur Sanitätskommando<br />
II, Admiralarzt Dr. Michael<br />
Knabe, von <strong>de</strong>n Leistungen <strong>de</strong>r ihm unterstellten<br />
Soldaten.<br />
Ziel <strong>de</strong>r gemeinsamen Übung war die<br />
Verbesserung <strong>de</strong>r „Zivil-Militärischen Zusammenarbeit“<br />
(ZMZ) bei Aufbau und Betrieb<br />
einer Dekontaminationseinrichtung<br />
für Verwun<strong>de</strong>te. Dazu verfügt die Dekon-<br />
Gruppe V <strong>de</strong>s Amtes für Brandschutz und<br />
Rettungswesen über einen mo<strong>de</strong>rnen Dekon-V<br />
Platz. Eine Dekontamination ist nicht<br />
nur in Einsatz- und Kriegsszenarien nach<br />
atomaren, biologischen o<strong>de</strong>r chemischen<br />
Angriffen gefragt, son<strong>de</strong>rn auch im Unglücks-<br />
o<strong>de</strong>r Katastrophenfall, wenn Schadstoffe<br />
freigesetzt wur<strong>de</strong>n und Personen und<br />
Gerätschaften verunreinigt sind.<br />
Neben <strong>de</strong>r Dekontamination für Verwun<strong>de</strong>te<br />
verfügt <strong>de</strong>r Main-Taunus-Kreis über Einrichtungen<br />
zur Reinigung von Personen (Dekon-Gruppe-P)<br />
und Geräten (AB-Dekon-G).<br />
Der Sanitätsdienst <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr verfügt<br />
38 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />
analog dazu über Dekon-V-Einrichtungen.<br />
Die Fähigkeiten zur Dekontamination von<br />
Groß- und Kleingerät sowie Personen wer<strong>de</strong>n<br />
innerhalb <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr durch die<br />
ABC-Abwehr-Truppe wahrgenommen.<br />
In einem geführten ersten Durchlauf<br />
erläuterte <strong>de</strong>r Sachgebietsleiter Katastrophenschutz<br />
<strong>de</strong>s Main-Taunus-Kreises,<br />
Günther Schrö<strong>de</strong>r, die Versorgung eines<br />
Verwun<strong>de</strong>ten in <strong>de</strong>n drei Stationen Vorreinigung<br />
– Entkleidung – Triage, Dekontamination<br />
und Weiterversorgung. In <strong>de</strong>m nun<br />
folgen<strong>de</strong>n „scharfen“ Durchlauf konnten<br />
die Soldaten <strong>de</strong>s Sanitätshygienezuges die<br />
in Ihrer Ausbildung erlernten Fähigkeiten<br />
in <strong>de</strong>n zivilen Dekontaminationszelten unter<br />
Beweis stellen.<br />
Ein solcher Einsatz ist keineswegs rein<br />
theoretisch: Zum einen gibt es laut Oberfeldarzt<br />
Dr. Munk auch innerhalb <strong>de</strong>s Sanitätsdienstes<br />
Überlegungen zur Anschaffung<br />
von vergleichbarem Gerät, zum an<strong>de</strong>ren ist<br />
die personelle Unterstützung durch Soldaten<br />
bei schweren Unglücksfällen unabdingbar,<br />
um die Durchhaltefähigkeit <strong>de</strong>r zivilen<br />
Einrichtung im Schichtbetrieb sicherstellen<br />
zu können. Ein Dekontaminationsplatz V hat<br />
bei Einsatz von min<strong>de</strong>stens zwölf Fachkräften<br />
eine Kapazität von zehn Personen pro<br />
Stun<strong>de</strong>. Nach <strong>de</strong>r Vorreinigung und Entkleidung<br />
<strong>de</strong>r verwun<strong>de</strong>ten Person erfolgt eine<br />
Triage zur Erstbeurteilung <strong>de</strong>r Schwere<br />
<strong>de</strong>r Verwundung. Diese ist notwendig, um<br />
mit <strong>de</strong>n verfügbaren Ressourcen eine möglichst<br />
hohe Anzahl an Verletzten möglichst<br />
gut versorgen zu können und keine vermeidbaren<br />
Verzögerungen zu provozieren. Dazu<br />
wird außer<strong>de</strong>m für je<strong>de</strong> versorgte Person<br />
ein Dekontaminationsprotokoll geführt, das<br />
je<strong>de</strong>n Arbeitsschritt vom Aufschnei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Schutzkleidung bis hin zum Abtrocknen minutiös<br />
dokumentiert. Im Anschluss an die<br />
erste Station erfolgt die eigentliche Dekontamination,<br />
für die reines Wasser, neutrale<br />
Neutralseife und Peressigsäure mit Puffer<br />
zur Sterilisation verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. An <strong>de</strong>n<br />
„roten“ und „gelben“ Bereich schließt sich<br />
<strong>de</strong>r „grüne“ Bereich an, in <strong>de</strong>m vor Übergabe<br />
an <strong>de</strong>n Rettungsdienst bzw. <strong>de</strong>n sanitätsdienstlichen<br />
Krankentransport eine Weiterversorgung<br />
<strong>de</strong>s nun <strong>de</strong>kontaminierten<br />
Verwun<strong>de</strong>ten erfolgt.<br />
Nach Abschluss <strong>de</strong>r Dekontaminationsübung<br />
führte die dritte Kompanie <strong>de</strong>s Lazarettregiment<br />
21 eine Vorführung ihrer<br />
modularen Sanitätseinrichtungen für die<br />
Besucher <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos,<br />
<strong>de</strong>s Amtes für Brand- und Katastrophenschutz<br />
und <strong>de</strong>s ABC Abwehr Regimentes<br />
750 durch.<br />
Inner- und außerhalb <strong>de</strong>r Einsatzgebiete<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr und bei schweren Unglückfällen<br />
– sei es <strong>de</strong>r Brand in einer Chemiefabrik<br />
o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Entweichen giftiger Gase<br />
– zeigt sich immer wie<strong>de</strong>r, dass die Notwendigkeit<br />
für eine schnelle und effektive Dekontamination<br />
nicht zu weit hergeholt ist. In<br />
<strong>de</strong>r gemeinsamen Übung unter <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>rführung<br />
<strong>de</strong>r Reservisten <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos<br />
Main-Taunus konnten die<br />
Mitarbeiter <strong>de</strong>s Amtes für Brand- und Katastrophenschutz<br />
gemeinsam mit <strong>de</strong>n Soldaten<br />
<strong>de</strong>s Lazarettregiment 21 „Westerwald“ zeigen,<br />
dass <strong>de</strong>r zivile und militärische Bereich<br />
sich gemeinsam erfolgreich einer solchen<br />
Herausfor<strong>de</strong>rung stellen können.<br />
Einblick in die Dekontamination<br />
eines Verwun<strong>de</strong>ten<br />
Oberleutnant Benjamin<br />
Maiorano, Diplom-Pädagoge,<br />
Jahrgang 1980,<br />
ist Stabsabteilungsleiter<br />
<strong>de</strong>r Abteilung Militärische<br />
Sicherheit und seit<br />
Juni <strong>2012</strong> nebenamtlicher<br />
Presseoffizier <strong>de</strong>s<br />
Lazarettregiments 21<br />
„Westerwald“. Er berät <strong>de</strong>n Komman<strong>de</strong>ur<br />
<strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s in Fragen <strong>de</strong>r Presse- und<br />
Medienarbeit, koordiniert die Arbeit mit<br />
Medienvertretern und verfasst die Presseberichte<br />
<strong>de</strong>s Regimentes. In seiner Funktion<br />
als Sicherheitsbeauftragter und IT-<br />
Sicherheitsbeauftragter ist er u. a. für die<br />
Weiterbildung <strong>de</strong>r Soldaten in Sicherheitsfragen<br />
zuständig.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 39
Katastrophenhilfe<br />
24/7 – hilfsbereit, kompetent,<br />
hoch motiviert<br />
Einblicke in die ehrenamtliche Tätigkeit <strong>de</strong>s<br />
THW Ortsverband Dinslaken<br />
Stefan Schmitt<br />
Wasser marsch! Die ehrenamtlichen<br />
Helferinnen und Helfer <strong>de</strong>s Ortsverban<strong>de</strong>s<br />
Dinslaken mit <strong>de</strong>n Fachgruppen<br />
Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen und Beleuchtung<br />
sind für <strong>de</strong>n Ernstfall bestens ausgestattet.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>s Ausbildungsdienstes<br />
fand ein Übungstag statt, an<br />
<strong>de</strong>m <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> teilnahm. Im<br />
Mittelpunkt stand eine angenommene<br />
Hochwasserlage, bei <strong>de</strong>r die verschie<strong>de</strong>nen<br />
Gruppen die einheitenübergreifen<strong>de</strong><br />
Zusammenarbeit übten. Ein hochmotiviertes<br />
Team präsentierte mit viel<br />
Freu<strong>de</strong>, Ehrgeiz und Engagement die<br />
Gerätschaften <strong>de</strong>s Ortsverban<strong>de</strong>s am<br />
Rotbachsee in Dinslaken. Während die<br />
Fachrichtung Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />
eine Havariepumpe vorführte, die eine<br />
För<strong>de</strong>rleistung von 15.000 l/min hat,<br />
stellte die Fachrichtung Beleuchtung<br />
ihren Lichtmasten auf.<br />
Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer<br />
im Ortsverband Dinslaken<br />
Stefan Schmitt<br />
„Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr beim<br />
THW. Zum THW bin ich gekommen, weil ich<br />
nicht zur Bun<strong>de</strong>swehr wollte. Den Sinn <strong>de</strong>s<br />
THW habe ich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit mehr als<br />
erfahren können. Dabei haben Lehrgänge<br />
meinen Horizont erweitert. Ich bin als stellvertreten<strong>de</strong>r<br />
Ortsbeauftragter tätig und für<br />
<strong>de</strong>n Stab und die organisatorische Abwicklung<br />
im Ortsverband zuständig.“<br />
Karina Schubert (im Bild mit Stefan<br />
Schraven)<br />
„Seit acht Jahren bin ich beim THW. Mein<br />
Freun<strong>de</strong>skreis hat mir die Arbeit schmackhaft<br />
gemacht. Ich beklei<strong>de</strong> das Amt <strong>de</strong>r Beauftragten<br />
für Öffentlichkeitsarbeit.“<br />
Wolfgang Dappers<br />
„Ich bin seit 43 Jahren beim THW. Angefangen<br />
habe ich als Wehrdienstverweigerer und<br />
schnell Gefallen am THW gefun<strong>de</strong>n – erst als<br />
Helfer, dann als Schirrmeister und jetzt als<br />
Ortsbeauftragter.“<br />
Wilhelm Stephan (links im Bild)<br />
„Als Quereinsteiger bin ich seit neun Jahren<br />
dabei. Hauptberuflich war ich Polizeibeamter.<br />
Meine bei<strong>de</strong>n Söhne sind auch im Ortsverband<br />
als Schirrmeister und Gruppenführer.<br />
Sie haben mich für die Arbeit beim THW<br />
begeistert. Es läuft sehr gut, weil mein Arbeitsbereich<br />
bei <strong>de</strong>r Polizei auch <strong>de</strong>r Stab<br />
war. Als Fachberater war ich in <strong>de</strong>n Führungsstäben.<br />
Das passt gut zusammen.“<br />
40 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Katastrophenhilfe<br />
Heiko Müller<br />
„Ich bin Gruppenführer <strong>de</strong>r 2. Bergungsgruppe<br />
und seit 1991 beim THW. Hauptberuflich<br />
bin ich IT-Administrator. Als ich zum<br />
THW kam, stand im Vor<strong>de</strong>rgrund, nicht zur<br />
Bun<strong>de</strong>swehr gehen zu müssen. Ich studierte<br />
Maschinenbau und wollte nicht aus <strong>de</strong>r<br />
Schule gerissen wer<strong>de</strong>n. Mittlerweile sind<br />
diese Grün<strong>de</strong> hinfällig. Ich schätze die Kameradschaft<br />
und bin froh, an<strong>de</strong>ren helfen zu<br />
können. Wenn ich in <strong>de</strong>n Medien Elend auf<br />
dieser Er<strong>de</strong> sehe, verspüre ich <strong>de</strong>n Drang,<br />
helfen zu wollen. Dankbarkeit habe ich immer<br />
erfahren. Hausbewohner, die uns mit<br />
heißen Würstchen o<strong>de</strong>r mit Kuchen versorgt<br />
haben. Das tut mir sehr gut. Das ist Balsam<br />
für die Seele, ich weiß dann persönlich, warum<br />
ich das mache. Zuhause erzählen die<br />
Kin<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r Papa an<strong>de</strong>ren Leuten hilft.<br />
Das ist natürlich auch toll für die Kin<strong>de</strong>r. Das<br />
sind die Beweggrün<strong>de</strong>, warum ich hier bin.“<br />
Ortsverband Dinslaken<br />
Dappers: Den Ortsverband Dinslaken gibt<br />
es seit 1953. Als <strong>de</strong>r Ortsverband Walsum<br />
– ein Stadtteil von Duisburg – mit Duisburg<br />
fusionierte und wir das Gelän<strong>de</strong> in<br />
Dinslaken an die Stadtwerke zurückgeben<br />
mussten, bezogen wir diese Liegenschaft in<br />
Duisburg-Walsum. Der Ortsverband Dinslaken<br />
besteht wie je<strong>de</strong>r Ortsverband aus <strong>de</strong>m<br />
Stab und einem Technischen Zug (TZ); <strong>de</strong>r<br />
TZ besteht aus einem Zugtrupp, <strong>de</strong>r führt,<br />
und einer 1. und 2. Bergungsgruppe, sowie<br />
min<strong>de</strong>stens einer Fachgruppe. Dann gibt es<br />
noch eine Jugendgruppe. Die Jugend wird<br />
immer wichtiger; wir erfüllen auch eine Sozialaufgabe<br />
und versuchen, <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />
ein Miteinan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Menschen zu vermitteln<br />
und ihnen soziale Aspekte näher zu<br />
bringen. Vor Ort haben wir zwei Fachgruppen:<br />
Die Fachgruppe Beleuchtung hilft,<br />
große Scha<strong>de</strong>nstellen auszuleuchten; die<br />
Fachgruppe Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen (WP)<br />
führt vor allem großflächige Lenzarbeiten<br />
Maik Schmitz (rechts im Bild)<br />
„Ich bin Gruppenführer <strong>de</strong>r 1. Bergungsgruppe<br />
und seit 10 Jahren beim THW.<br />
Hauptberuflich arbeite ich als Chemiemeister.<br />
Damals war ich Wehrdienstverweigerer.<br />
Dann habe ich meine THW-Truppe kennen<br />
gelernt und war viel unterwegs. Daraus haben<br />
sich viele Freundschaften entwickelt.<br />
Heutzutage ist es schön, irgendwo helfen<br />
zu können. Meine Kin<strong>de</strong>r sind sehr begeistert<br />
und fin<strong>de</strong>n das toll, wenn <strong>de</strong>r Papa dabei<br />
ist. Ich mache es auch als Ausgleich für<br />
mich selbst. Die Erfahrungen, die ich hier<br />
bislang gesammelt habe, und auch die Ausbildung,<br />
die ich hier genossen habe, möchte<br />
ich nicht missen. Einiges kann man auch<br />
beruflich nutzen. Außer<strong>de</strong>m gefällt es, viele<br />
Nationalitäten und verschie<strong>de</strong>ne Menschen<br />
kennen zu lernen. Sehr wichtig fin<strong>de</strong> ich die<br />
Kameradschaft, aus <strong>de</strong>r man viele Freundschaften<br />
knüpfen kann.“<br />
durch. Angefangen haben wir mit einer<br />
5.000 l/ min. Hannibal-Pumpe, mittlerweile<br />
haben wir die zweite DIA-Pumpen mit<br />
15.000 l/min.<br />
„Die Feuerwehr muss mit wenig Wasser<br />
weit spritzen, wir müssen viel Wasser<br />
transportieren.“<br />
Dappers: Wir sind keine Konkurrenz zur<br />
Feuerwehr, aber wir können uns ergänzen.<br />
Die Feuerwehr muss mit wenig Wasser weit<br />
spritzen, wir müssen viel Wasser transportieren.<br />
Das ist <strong>de</strong>r große Unterschied zwischen<br />
uns und <strong>de</strong>r Feuerwehr: Wir lenzen,<br />
die Feuerwehr pumpt.<br />
<strong>Homeland</strong>: Gibt es Schnittstellen, wo Sie<br />
zusammenarbeiten?<br />
Dappers: Ja. Da wir Wasser in großen<br />
Mengen über weite Strecken transportieren<br />
können, obliegt uns vielfach die Wasserversorgung<br />
für die Feuerwehr, z. B.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 41
Katastrophenhilfe<br />
Daniel Kleinbölting – auslandserprobt<br />
„Ich bin Gruppenführer <strong>de</strong>r Fachgruppe<br />
WP und seit 20 Jahren beim THW. Hauptberuflich<br />
arbeite ich auf <strong>de</strong>m Flughafen. Die<br />
gesamte För<strong>de</strong>rleistung <strong>de</strong>r Fachgruppe<br />
beträgt 36.000 l/min. mit <strong>de</strong>m Einsatz von<br />
Tauch- und Motorkreiselpumpen. Die DIA-<br />
Motorkreiselpumpe übernimmt eine För<strong>de</strong>rleistung<br />
von 15.000 l/min bei einem Maximaldruck<br />
von fünf bar. Angetrieben wird die<br />
Pumpe von einem 130 PS starken Dieselmotor.<br />
Montiert ist sie auf einem gelän<strong>de</strong>fähigen<br />
Fahrgestell und hat ein Gesamtgewicht<br />
von 3,5 t. Ich war mit <strong>de</strong>r Pumpe in New<br />
Orleans 2005. Im Innenstadtbereich hatten<br />
wir über 80 Einsatzstellen. Eine Tiefgarage<br />
<strong>de</strong>s Rathauses haben wir leer gepumpt. Uns<br />
hat immer jemand von <strong>de</strong>r National Guard<br />
begleitet. Nachts war ich einmal allein unterwegs<br />
und hatte kurze Zeit später einen<br />
National Guard hinter mir, <strong>de</strong>r mir verbot,<br />
bei Waldbrän<strong>de</strong>n. Wir unterstützen, die<br />
Feuerwehr löscht.<br />
Schmitt: Wir beschränken uns nicht auf<br />
Wasser, son<strong>de</strong>rn bieten auch Beleuchtung<br />
an: nachts, um Einsatzstellen auszuleuchten<br />
und für die Einsatzkräfte Sicherheit zu gewährleisten.<br />
Wir unterstützen auf Anfrage<br />
überall dort, wo wir mit unseren Leistungen<br />
unterstützen können.<br />
Fachgruppe Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />
Die Fachgruppe Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />
(FGr WP) führt zur Behebung und Eindämmung<br />
von Gefahren bei Überflutungen und<br />
Überschwemmungen größeren Ausmaßes<br />
Pump- und Lenzarbeiten durch, beseitigt<br />
Schmutz- und Abwasser aus Scha<strong>de</strong>ngebieten<br />
und bekämpft schädigend eindringen<strong>de</strong>s<br />
Wasser.<br />
in die Innenstadt zu gehen. Hier hatte man<br />
Angst vor Plün<strong>de</strong>rungen. Auf <strong>de</strong>n Dächern<br />
saßen Scharfschützen – da wur<strong>de</strong> mir ganz<br />
an<strong>de</strong>rs. Die Zusammenarbeit hat sehr gut<br />
funktioniert. Die Army hat sofort mit angepackt<br />
und uns z. B. auch die Wagen betankt,<br />
ohne dass wir das bei <strong>de</strong>r Einsatzleitstelle<br />
anfor<strong>de</strong>rn mussten. Ungewohnt war<br />
die Begegnung mit Krokodilen, Schlangen<br />
und Gürteltieren an <strong>de</strong>n Einsatzstellen. Es<br />
ist aber nichts passiert. Innerhalb von vier<br />
Wochen war die Stadt wie<strong>de</strong>r trocken gelegt.<br />
Die Gastfreundschaft ist mir am meisten<br />
in Erinnerung geblieben. Am Anfang<br />
gab es Skepsis, dann sind wir mit offenen<br />
Armen empfangen wor<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Rückkehr<br />
aus <strong>de</strong>n USA hätte ich eine Nachsorge<br />
in Anspruch nehmen können: Es war zwar<br />
ein langer und schwerer Einsatz, aber ohne<br />
große psychische Belastungen. Ich habe die<br />
Nachsorge nicht in Anspruch genommen.<br />
Ich habe zwar zerstörte Häuser o<strong>de</strong>r Tierkadaver<br />
gesehen, aber <strong>de</strong>r Stadtteil war zu<br />
diesem Zeitpunkt bereits evakuiert. Vor unserem<br />
Abflug ist uns die Ehrenbürgermeisterschaft<br />
verliehen wor<strong>de</strong>n. Insgesamt 16<br />
Mann wur<strong>de</strong> die Urkun<strong>de</strong> überreicht mit<br />
<strong>de</strong>r Ansteckna<strong>de</strong>l als Ehrenbürgermeister.<br />
Es war eine schöne Würdigung unserer Arbeit.<br />
Die Amerikaner kennen es nicht, ehrenamtlich<br />
zu arbeiten. Daher hatte <strong>de</strong>r<br />
Bürgermeister gesagt, eine einfache Ehrenbürgerschaft<br />
sei zu gering und machte daraus<br />
eine Ehrenbürgermeisterschaft.“<br />
<strong>Homeland</strong>: Was ist das Beson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>n<br />
Pumpen? Wo kommen sie zum Einsatz?<br />
Schmitt: Die Pumpen sind sehr groß und<br />
man braucht Manpower; <strong>de</strong>r Aufbau muss<br />
sich lohnen. Es muss eine entsprechend große<br />
Scha<strong>de</strong>nstelle vorhan<strong>de</strong>n sein wie z. B.<br />
eine Tiefgarage. Wir haben auch schon einen<br />
See abgesenkt, <strong>de</strong>r wegen Überflutung<br />
eine Autobahnauffahrt bedrohte, und große<br />
Tunnel o<strong>de</strong>r eine Kläranlage, die drohte,<br />
überzulaufen. Dort, wo es eine große Menge<br />
an Wasser zu lenzen gibt.<br />
<strong>Homeland</strong>: Interessant ist, dass Sie mit <strong>de</strong>n<br />
Herstellern auch Weiterentwicklungen tätigen.<br />
Ist das Usus?<br />
Schmitt: Nein, bei uns ergeben sich einige<br />
Innovationen aus <strong>de</strong>r Praxis. Teilweise haben<br />
wir uns schon Gedanken gemacht, was<br />
42 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Katastrophenhilfe<br />
im Prinzip besser sein könnte. Wir haben immer<br />
einen guten Draht zum Hersteller und<br />
haben das eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re erörtert, was<br />
ein Mehr wäre für die Praxis. Der Hersteller<br />
setzt es dann um. Wir arbeiten sehr eng<br />
zusammen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Welche Erfahrungen haben Sie<br />
gemacht? Sind Sie zufrie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r gibt es<br />
Verbesserungswünsche?<br />
Vorbereitung eines Einsatzes<br />
<strong>de</strong>r Havariepumpe<br />
„DIA“ <strong>de</strong>r Fachgruppe<br />
Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />
Dappers: Die Firma DIA hat immer ein Ohr<br />
für unsere Anliegen und Än<strong>de</strong>rungswünsche.<br />
In <strong>de</strong>r zweiten Generation sind unsere<br />
Än<strong>de</strong>rungen von ihnen übernommen und<br />
umgesetzt wor<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>n DIA-Pumpen<br />
haben wir z. B. eine Tiefgarage in Dres<strong>de</strong>n<br />
ausgepumpt. Wir benutzen sie für große Gebäu<strong>de</strong><br />
wie z. B. Krankenhäuser. Zum Einsatz<br />
kamen sie auch in New Orleans in <strong>de</strong>n USA.<br />
Das war das erste Mal, dass die Amerikaner<br />
Hilfe angenommen haben. Neben <strong>de</strong>n DIA-<br />
Pumpen nutzt die WP auch Elektrotauchpumpen<br />
zum Abpumpen von Wasser in kleineren<br />
Scha<strong>de</strong>nsgebieten.<br />
Dappers: Ich freue mich über je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r zu<br />
uns kommt, um sich bei uns zu engagieren.<br />
Wir haben in <strong>de</strong>r Gesellschaft einen Wan<strong>de</strong>l<br />
in <strong>de</strong>r Einstellung <strong>de</strong>r jungen Menschen. Wir<br />
sind früher durch eine Mehrgenerationenfamilie<br />
groß gewor<strong>de</strong>n; heute ist das nicht<br />
mehr gegeben. Vielfach fehlt <strong>de</strong>n jungen<br />
Leuten ein gutes Verhältnis zu <strong>de</strong>n älteren<br />
Menschen. Es ist wichtig, auch <strong>de</strong>n sozialen<br />
Aspekt bei <strong>de</strong>n jungen Menschen zu för<strong>de</strong>rn,<br />
dass sich Jugendliche heute in Organisationen<br />
treffen und zusammen arbeiten.<br />
Schmitt: Natürlich. Wir haben mit <strong>de</strong>m<br />
Wegfall <strong>de</strong>r Wehrpflicht auch diverse Austritte<br />
gehabt. Außer<strong>de</strong>m muss man beachten,<br />
dass diejenigen, die sich engagieren<br />
wollen, heute auf ein breites Angebot stoßen:<br />
DRK, THW, ASB usw. Das ist ein Glücksfall,<br />
wenn einer kommt.<br />
Schmitt: Diejenigen, die sie hier sehen,<br />
sind im Wesentlichen freiwillig da. Es sind<br />
Leute, die geblieben sind nach ihrer Freistellung.<br />
Es gibt aber auch Quereinsteiger,<br />
die einen gewissen Stand in ihrem Leben erreicht<br />
haben: Sie haben Familie und sind in<br />
ihrem Beruf gefestigt und haben <strong>de</strong>n Gedanken,<br />
dass sie sich irgendwo noch engagieren<br />
Pumpe vor Krankenhaus<br />
New Orleans<br />
Weniger Soldaten – weniger THWler<br />
<strong>Homeland</strong>: Spüren Sie mit <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>r<br />
Wehrpflicht einen Einbruch?<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 43
Katastrophenhilfe<br />
Matthias Brinkmann<br />
„Ich bin stellvertreten<strong>de</strong>r Gruppenführer<br />
<strong>de</strong>r Fachgruppe Beleuchtung und seit 2002<br />
beim THW als Kraftfahrer, Sprechfunker<br />
und Maschinist tätig. Hauptberuflich bin<br />
ich Schornsteinfeger. Als ich anfing, war ich<br />
sehr begeistert von <strong>de</strong>r Technik.<br />
Schmitt: Das ist unser Fokus, mit <strong>de</strong>m wir<br />
gerne arbeiten wür<strong>de</strong>n. Die jungen Menschen<br />
kommen aus <strong>de</strong>nkbar verständlichen<br />
Grün<strong>de</strong>n im Moment weniger zu uns. Jungfacharbeiter<br />
arbeiten erst einmal, machen<br />
in <strong>de</strong>r Regel Überstun<strong>de</strong>n, dann kommt<br />
die Freundin hinzu, ein großes Freizeitangebot,<br />
das Internet: „Warum soll ich zum<br />
THW o<strong>de</strong>r zu an<strong>de</strong>ren Hilfsorganisationen<br />
gehen?“ – „Da muss ich arbeiten und lernen,<br />
damit ich eine Grundausbildung bekomme.<br />
Und wenn ich dann alles hinter mir<br />
habe, wer<strong>de</strong> ich noch in einen Einsatz geholt<br />
und muss erst recht arbeiten und dann<br />
ist es vielleicht auch noch nachts, dunkel<br />
und kalt.“ Im Umkehrschluss heißt das: Diejenigen,<br />
die sich freiwillig mel<strong>de</strong>n, sind mit<br />
Herzblut dabei.<br />
<strong>Homeland</strong>: Haben die unlängst durchgeführten<br />
Auslandseinsätze eine Sogwirkung?<br />
No Fishing!<br />
DIA-Pumpe im Hafen von<br />
New Orleans<br />
und einbringen wollen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sind die ehemaligen 18-Jährigen<br />
die neuen über 30-Jährigen?<br />
Schmitt: Unser Wunschklientel hat sich<br />
ein bisschen nach oben verschoben. Es ist<br />
etwas an<strong>de</strong>res, wenn ich mit jeman<strong>de</strong>m arbeite,<br />
<strong>de</strong>r Berufserfahrung und Lebenserfahrung<br />
hat. Ein junger Mensch muss an die<br />
Hand genommen wer<strong>de</strong>n. Verantwortungsgefühl<br />
ist bei unserer Arbeit sehr wichtig.<br />
Jemand, <strong>de</strong>r Familie hat, weiß, was Verantwortung<br />
be<strong>de</strong>utet.<br />
<strong>Homeland</strong>: Zu Ihnen kommen Personen mit<br />
abgeschlossener Berufsausbildung, die in<br />
ihrem Beruf bereits gefestigt sind?<br />
Dappers: Ja, natürlich. Man kommt ins<br />
Gespräch. Beispiel: Täglich sieht man die<br />
Rettungsfahrzeuge <strong>de</strong>r Feuerwehr auf <strong>de</strong>n<br />
Straßen. Das prägt sich ein. Das THW sieht<br />
man nur selten. Das haben sie dann auch<br />
nicht im Kopf. Wenn sie Fernsehreportagen<br />
sehen, tauchen mittlerweile immer mehr<br />
THW-Einsätze auf. Das war früher nicht so.<br />
Wir waren zwar da, aber man kannte uns<br />
nicht. Heute sind wir bekannter. Die Ausstattung<br />
ist top. Und das ermöglicht uns natürlich<br />
entsprechen<strong>de</strong> Einsätze – im Gegensatz<br />
zu früher. Und mit <strong>de</strong>r Technik lassen<br />
sich junge Menschen begeistern.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wenn ich mich als Ehrenamtlicher<br />
ausbildungstechnisch auf hohem Niveau<br />
befin<strong>de</strong>, ist das Material auch auf neuem<br />
Stand?<br />
Schmitt: Heute ja. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahre ist<br />
sukzessive sehr viel neue Technik hinzugekommen.<br />
Das fängt mit <strong>de</strong>n Fahrzeugen an,<br />
im Funkbereich. Hebekissen gab es früher<br />
nicht – kostenintensive Materialien, die für<br />
44 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Katastrophenhilfe<br />
<strong>de</strong>n Heavy-Duty-Einsatz bestimmt sind. Es<br />
gibt 668 Ortsverbän<strong>de</strong> in Deutschland, die<br />
wollen alle beste Technik haben. Wenn <strong>de</strong>r<br />
Bund nicht zeitgleich alle versorgen kann,<br />
geschieht das sukzessive. Diverse Ereignisse<br />
kamen uns zugute wie z. B. Hochwasserprogramme<br />
o<strong>de</strong>r getätigte Beschaffungen<br />
zur Gefahrenabwehr nach 9/11. Aktuell sind<br />
aus <strong>de</strong>m Konjunkturprogramm Fahrzeuge<br />
beschafft wor<strong>de</strong>n. Das kommt im Laufe <strong>de</strong>r<br />
Jahre als positives Zeichen hinzu. Heutzutage<br />
haben wir, bezogen auf die Ausstattung,<br />
ein sehr gutes Niveau. Wir erwarten in diesen<br />
Stun<strong>de</strong>n ein neues Fahrzeug. Das zeigt<br />
sicherlich auch, wo wir im Moment stehen.<br />
Dappers: Beim THW gibt es Plasmaschneidgeräte<br />
– die hat nicht je<strong>de</strong>r im Ortsverband.<br />
So auch Betonkettensägen – die wer<strong>de</strong>n sie<br />
in <strong>de</strong>r freien Wirtschaft kaum fin<strong>de</strong>n. Wir<br />
haben Kernbohrgeräte bis 800 mm – die<br />
wer<strong>de</strong>n Sie selbst in einer Privatfirma nur<br />
selten fin<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie sieht die Ausbildung beim<br />
THW aus?<br />
Dappers: Es gibt eine Grundausbildung.<br />
Danach folgt die Fachausbildung mit diversen<br />
Übungen.<br />
Schmitt: Nach <strong>de</strong>r Grundausbildung können<br />
Lehrgänge an Bun<strong>de</strong>sschulen besucht<br />
wer<strong>de</strong>n, die sich in Fachlehrgänge und Führungslehrgänge<br />
aufteilen.<br />
Schmitt: Ich möchte noch einen wichtigen<br />
Aspekt erwähnen: Wir haben immer wie<strong>de</strong>r<br />
Probleme mit Arbeitgebern gehabt –<br />
auch zu <strong>de</strong>r Zeit, wo Verpflichtete bei uns<br />
waren. Der Arbeitgeber hatte einen Vorteil:<br />
Wenn <strong>de</strong>r Arbeitnehmer zu uns gekommen<br />
ist, musste er nicht zur Bun<strong>de</strong>swehr gehen.<br />
Dieses halbe Jahr konnte er weiter für <strong>de</strong>n<br />
Arbeitgeber tätig sein, konnte Geld verdienen<br />
und sich weiterqualifizieren. Er war<br />
nicht <strong>de</strong>r Neue, <strong>de</strong>r nach <strong>sec</strong>hs Monaten<br />
wie<strong>de</strong>rkam, son<strong>de</strong>rn blieb von Anfang an im<br />
Geschäft. Mit <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>r Wehrpflicht<br />
heißt es von Seiten <strong>de</strong>s Arbeitgebers „Da<br />
brauchst Du gar nicht mehr hin.“ Vorher<br />
konnte <strong>de</strong>r Arbeitnehmer sagen „Ich muss<br />
Samstag zum Dienst, dafür muss ich aber<br />
nicht mehr zur Bun<strong>de</strong>swehr gehen.“ Das Argument<br />
fällt weg. Jetzt sagen die Arbeitgeber<br />
„Willst Du hier Geld verdienen? Wo ist<br />
<strong>de</strong>nn Dein Geschäftsinteresse?“ Da haben<br />
wir keine Argumente mehr. Viele haben mir<br />
auch gesagt, dass sie es vom Studium her<br />
nicht mehr schaffen. Und vielleicht wollen<br />
sie auch einmal ein Wochenen<strong>de</strong> für sich<br />
haben. Das kann ich verstehen. Dann gibt<br />
es Kollegen im Schichtdienst, teilweise haben<br />
sie Kontischicht. Und dann? Wenn sie<br />
samstags arbeiten müssen? Früher konnten<br />
sie <strong>de</strong>n Chef bitten, die Schicht zu verlegen,<br />
Das ist organisatorisch in einem Betrieb<br />
immer schwierig. Die Kollegen müssen<br />
mitspielen, <strong>de</strong>r Chef muss mitspielen. Heutzutage<br />
gibt es keine Argumentationsgrundlage<br />
mehr. Es geht nicht mehr.<br />
Hilfe für Je<strong>de</strong>rmann<br />
Dappers: Ich möchte Ihnen ein Beispiel aufzeigen:<br />
Wir hatten einen Einsatz über mehrere<br />
Tage in Dres<strong>de</strong>n. Folgen<strong>de</strong>s Gespräch<br />
fand statt: Ein Arbeitgeber rief an und sagte:<br />
„Wenn mein Mann morgen nicht zurück<br />
kommt, kann er gleich da bleiben“. Da habe<br />
ich geantwortet: „Sie sind Schornsteinfegermeister?“<br />
„Ja, das ist mein einziger Mann,<br />
<strong>de</strong>n ich habe“. erwi<strong>de</strong>rte er. „Schwierig, das<br />
verstehe ich. Sie haben bestimmt ein Eigenheim.<br />
Einfamilienhaus?“ fragte ich und<br />
er bejahte. „Und Kin<strong>de</strong>r?“ wollte ich wissen.<br />
„Ja, habe ich auch.“ „Sehen Sie. Und<br />
die Schlafzimmer liegen oben?“ „Ja, genau.“<br />
„Haben wahrscheinlich auch ein gutes<br />
Verhältnis zu <strong>de</strong>n Nachbarn?“ „Ja, natürlich<br />
haben wir das.“ „Toll. Dann treffen<br />
sie sich doch bestimmt abends mal im Garten.“<br />
„Ja.“ „Sehen Sie. Und nun brennt ihr<br />
Haus und ihre Kin<strong>de</strong>r sind oben. Dann rufen<br />
sie die Feuerwehr an – wahrscheinlich<br />
wohnen sie in einer kleinen Stadt, wo es<br />
keine Berufsfeuerwehr gibt – und dann sagen<br />
die Arbeitgeber: „Mein Arbeitnehmer<br />
kann jetzt nicht. Der muss arbeiten.“ Stille.<br />
„Aber übernächste Woche brauche ich ihn<br />
wie<strong>de</strong>r!“ Man muss da natürlich viel Arbeit<br />
leisten und jetzt ist die gesetzliche Grundlage<br />
an<strong>de</strong>rs. Das ist schwierig und wird noch<br />
schwieriger.<br />
Schmitt: Die Personal<strong>de</strong>cke ist bei <strong>de</strong>n<br />
meisten Betrieben nicht groß. Es gibt Einzelfälle.<br />
Vor Jahren rief mich eine Frau ganz<br />
aufgeregt an und fragte, wann Herr XY zurück<br />
kommen wür<strong>de</strong>. „Wir sind in einer Region,<br />
wo ein ganzes Stadtviertel unter Wasser<br />
steht“, antwortete ich. Sie entgegnete:<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 45
Katastrophenhilfe<br />
Ein neuer GKW I für <strong>de</strong>n<br />
OV Dinslaken. (Fotograf:<br />
Maarten Takens)<br />
„Wir sind ein Paketdienst – mein Mann und<br />
<strong>de</strong>r Kollege, <strong>de</strong>r für sie im Einsatz ist. Wir<br />
bekommen Aufträge, die wir abzuarbeiten<br />
haben. Wenn wir nicht unseren Pflichten<br />
nachkommen, bleiben die Aufträge aus.“ Es<br />
ist unverhältnismäßig, dass dieser Mann im<br />
Einsatz ist. Zur Not muss ich jemand an<strong>de</strong>ren<br />
einsetzen, als dass dieser bei <strong>de</strong>r Firma<br />
einen <strong>de</strong>rart hohen Scha<strong>de</strong>n anrichtet, sodass<br />
Existenzen bedroht sind. Das muss ich<br />
abwägen können. Die Arbeit wird von Ehrenamtlichen<br />
ausgeführt, ohne Geld. Das muss<br />
man immer im Hinterkopf behalten – auch,<br />
solche Dinge zu regeln und zu organisieren.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie oft treffen Sie sich im Jahr<br />
an Samstagen, z. B.?<br />
Schmitt: Wir haben unseren Dienstplan<br />
umgestellt und unseren Dienst gesplittet –<br />
auch im Hinblick darauf, dass es attraktiver<br />
ist für die Ehrenamtlichen, weil sie an einem<br />
starren Samstag, gera<strong>de</strong> auch im Hinblick<br />
auf Kontischichten, zwangsläufig nicht<br />
immer hier präsent sein können. Wir haben<br />
also zwei kurze Diensttage – Samstage – im<br />
Monat, wo wir versuchen, <strong>de</strong>n Dienst bis<br />
mittags entsprechend aufzuteilen, sodass<br />
für die Familie auch ein Restsamstag bleibt.<br />
Wir haben alle drei Monate einen Hauptdienst,<br />
wo wir von 8:00 bis 18:00 Uhr vor<br />
Ort sind. Zusätzlich haben wir dienstags von<br />
18:00 bis min<strong>de</strong>stens 21:00 Uhr Dienst. Wir<br />
haben irgendwann erkannt, dass viel Material<br />
zu pflegen und warten ist. Wir kommen<br />
mit <strong>de</strong>n Hauptdiensten nicht aus, weil dort<br />
die Ausbildung im Vor<strong>de</strong>rgrund steht. Je<strong>de</strong>r<br />
wird dazu angelernt, auch Dinge selbst in<br />
die Hand zu nehmen. Zu <strong>de</strong>n Einsatzbereitschaften:<br />
Es gibt natürlich Lagen, Stürme,<br />
die sich ankündigen und die recht gut abzuschätzen<br />
sind. Es gibt dann Anfragen von<br />
<strong>de</strong>r Kreisleitstelle, sodass manchmal schon<br />
Fachberater entsen<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r intern Einsatzbereitschaften<br />
hergestellt wer<strong>de</strong>n. Es gibt<br />
Kommunikationswege über SMS, sodass die<br />
Mannschaft vorab schon informiert wird.<br />
Das ist die Bereitschaftsstufe 1; Bereitschaftsstufe<br />
2 ist gegeben, wenn die Mannschaft<br />
in <strong>de</strong>r Unterkunft auf ihren Einsatz<br />
wartet ist. Ein Einsatz ist dann sehr wahrscheinlich.<br />
Eine Wochenendbereitschaft gibt<br />
es nicht. Mittels Funkalarmempfänger und<br />
SMS-Dienst sind wir 365 Tage einsatzbereit.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie schnell müssen Sie hier<br />
sein?<br />
Schmitt: So schnell es geht. Wir dürfen keine<br />
rote Ampel überfahren und müssen die<br />
Verkehrsordnung beachten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie können am Wochenen<strong>de</strong><br />
nicht z. B. nach Hamburg fahren?<br />
Schmitt: Doch. Ich kann auch in <strong>de</strong>n Urlaub<br />
fahren. Durch das SMS-System habe ich die<br />
Möglichkeit, ein Feedback zu geben. Ich<br />
kann auf <strong>de</strong>m Monitor das Feedback sofort<br />
auswerten und z. B. auch erkennen, wenn<br />
46 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Katastrophenhilfe<br />
Aufbau <strong>de</strong>s Powermoon<br />
nicht ausreichend Personal zusammen zu<br />
bekommen ist – aus welchen Grün<strong>de</strong>n auch<br />
immer. Dann rufe ich <strong>de</strong>n Geschäftsführer<br />
an. Dieser versucht, Ortsverbän<strong>de</strong> aus<br />
<strong>de</strong>m umliegen<strong>de</strong>n Bereich dazu zu holen,<br />
mit Personal und Material, um uns entsprechend<br />
zu unterstützen. Auch im Hinblick darauf,<br />
dass unsere Personal<strong>de</strong>cke aus <strong>de</strong>n bereits<br />
genannten Grün<strong>de</strong>n geschwun<strong>de</strong>n ist,<br />
wird es immer wahrscheinlicher, dass mehr<br />
und mehr zusammengearbeitet wird. Reicht<br />
das Personal dann auch nicht aus, kann die<br />
Geschäftsstelle auf Ressourcen vom Lan<strong>de</strong>sverband<br />
zurückzugreifen. Dann wird uns<br />
Mann und Material vom Land NRW zur Verfügung<br />
gestellt. Bei <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>rflut z. B. stand<br />
das Potenzial <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />
THW-seitig zur Verfügung.<br />
Dappers: Ich muss nicht darum bitten, ich<br />
for<strong>de</strong>re an. Deswegen haben wir einen Vorteil<br />
gegenüber an<strong>de</strong>ren Organisationen,<br />
weil wir bun<strong>de</strong>seinheitlich sind. Sie haben<br />
Deichübungen in Füssen, sind gleich <strong>de</strong>nen<br />
in Kiel. Deswegen kann ich Leute mit <strong>de</strong>m<br />
gleichen Ausbildungsstand und Möglichkeiten<br />
heranziehen.<br />
Schmitt: So wie wir auch hinzukommen<br />
und uns unterstellen wür<strong>de</strong>n, wenn man uns<br />
irgendwo anfor<strong>de</strong>rt.<br />
Fachgruppe Beleuchtung<br />
Die Fachgruppe Beleuchtung macht die<br />
Nacht zum Tag. Mit unterschiedlichen Beleuchtungsmitteln<br />
wer<strong>de</strong>n u. a. Einsatzstellen<br />
großflächig ausgeleuchtet. Der portable<br />
Leuchtballon Powermoon z. B. sorgt für ein<br />
blendfreies und schattenreduziertes Licht.<br />
Bestückt mit einer 1.000 Watt Metalldampflampe<br />
erreicht er einen Lichtstrom von ca.<br />
110.000 Lumen und beleuchtet somit eine<br />
Fläche von ca. 5.000 m².<br />
<strong>Homeland</strong>: Neben <strong>de</strong>m Powermoon besitzen<br />
Sie einen mit Helium gefüllten<br />
Leuchtballon. Was haben wir uns darunter<br />
vorzustellen?<br />
Dappers: Nein. Dieses Leuchtmittel gibt es<br />
nur vereinzelt beim THW. Aufgrund <strong>de</strong>r hohen<br />
Betriebskosten, kommt <strong>de</strong>r Ballon nicht<br />
täglich zum Einsatz. Der Ballon wird mit Helium<br />
gefüllt und an einem Seil 50 m in die<br />
Luft gelassen. Unten befin<strong>de</strong>n sich die Vorschaltgeräte,<br />
im Ballon die Leuchtmittel. Er<br />
leuchtet ein Fußballfeld aus. Der Durchmesser<br />
<strong>de</strong>s Ballons beträgt 5 m.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie schnell fin<strong>de</strong>n Sie Ersatz<br />
bei einem Ausfall <strong>de</strong>r Technik?<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 47
Katastrophenhilfe<br />
Dappers: Defekte Geräte während eines<br />
Einsatzes wer<strong>de</strong>n durch die Geschäftsstellen<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sverband ersetzt.<br />
Schubert: Von Vorteil ist, dass unsere eigenen<br />
Leute kleinere Reparaturen vor Ort<br />
durchführen können. Sie kommen aus <strong>de</strong>m<br />
Beruf, z. B. Kfz-Mechaniker, und bringen die<br />
entsprechen<strong>de</strong>n Fertigkeiten mit.<br />
Schmitt: Wir können auch sehr gut improvisieren.<br />
Man kann zwar viel üben und Routine<br />
in gewisse Abläufe einbringen, aber<br />
je<strong>de</strong>r Einsatz ist an<strong>de</strong>rs. Die Bedingungen<br />
sind immer an<strong>de</strong>rs, was ich vorfin<strong>de</strong>, was<br />
ich brauche, vieles muss erstellt o<strong>de</strong>r mit<br />
Kreativität gelöst wer<strong>de</strong>n.<br />
Stefan Schraven<br />
„Ich bin Zugführer <strong>de</strong>s Technischen Zuges<br />
und hauptamtlich beim DRK tätig. Beim<br />
THW bin ich seit 22 Jahren. Ich war noch<br />
nicht im Auslandseinsatz, war aber bei vielen<br />
inländischen Einsätzen dabei. Als Peer<br />
(Person, die bei <strong>de</strong>r Stressverarbeitung von<br />
Einsatzkräften hilft) war ich auch schon im<br />
Einsatz. Geschult wor<strong>de</strong>n bin ich in Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>sverband NRW in<br />
Wesel beim Einsatznachsorgeteam <strong>de</strong>s Kreises<br />
Wesel. Wir stehen im Falle <strong>de</strong>s Falles<br />
auch <strong>de</strong>m Einsatznachsorgeteam <strong>de</strong>s Kreises<br />
Wesel zur Verfügung.“<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo waren die Fachgruppen bereits<br />
im Einsatz?<br />
Dappers: Unsere Helfer waren in Frankreich,<br />
USA, Rumänien, Russland, Somalia,<br />
Ruanda, Polen, Bosnien-Herzegowina.<br />
<strong>Homeland</strong>: Welcher Einsatz hat Sie am<br />
meisten geprägt?<br />
Schmitt: Anfang <strong>de</strong>r 1980er Jahre war ich<br />
in Rumänien und habe in einem Kin<strong>de</strong>rheim<br />
bei Elektro- und Sanitärinstallationen helfen<br />
dürfen. Das war in einer alten Villa, die<br />
zu Ceaușescus Zeiten noch genutzt wor<strong>de</strong>n<br />
war. Kollegen aus Mülheim waren schon vor<br />
uns mehrmals vor Ort und haben Brunnen<br />
gebohrt und Filteranlagen eingebaut. Die<br />
Kin<strong>de</strong>rsterblichkeitsrate sank somit bis gegen<br />
Null. Bis dato war es üblich, dass min<strong>de</strong>stens<br />
alle zwei Monate ein Kind starb. Im<br />
Kin<strong>de</strong>rheim gab es Beleuchtung und fließend<br />
warmes Wasser. Es war <strong>de</strong>r hellste<br />
Ort weit und breit. Wenn dort die Sonne unterging,<br />
war es stockduster. Das kann man<br />
sich hier nicht vorstellen. Industriewaschmaschinen<br />
wur<strong>de</strong>n dort aufgebaut, wir haben<br />
einen alten Schuppen mit einem Sanitärbereich<br />
ausgestattet, einen Boiler zum<br />
Waschen installiert und ein Bügelzimmer<br />
eingerichtet. Ich habe die Menschen dort<br />
und ihre Mentalität kennengelernt. Die Zeit<br />
dort hat mich geprägt. Wie<strong>de</strong>r zuhause angekommen,<br />
habe ich diejenigen ausgelacht,<br />
die mir sagten, sie hätten ein Problem. Die<br />
Menschen vor Ort in Rumänien hatten ein<br />
Problem, nicht wir in <strong>de</strong>r normalen Zivilisation.<br />
Aus dieser normalen Zivilisation heraus<br />
zu kommen und dorthin zu gehen, diese<br />
Armut zu sehen, dieses Unbeholfene und<br />
diese Mentalität, das war erschreckend. Die<br />
haben eine ganz an<strong>de</strong>re Einstellung als wir;<br />
ist dort etwas kaputt, dann ist es eben kaputt.<br />
Das interessiert nieman<strong>de</strong>n. Und so ist<br />
es mit vielen an<strong>de</strong>ren Dingen auch. Das hat<br />
verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Charakter gehabt. Das, was<br />
für uns selbstverständlich ist, wie z. B. warmes<br />
Wasser, war dort Luxus.<br />
<strong>Homeland</strong>: Der Bun<strong>de</strong>sverteidigungsminister<br />
hat kurz nach Bekanntgabe <strong>de</strong>r neuen<br />
Struktur gesagt „Die Bun<strong>de</strong>swehr muss weniger<br />
THW-Aufgaben in Zukunft wahrnehmen“.<br />
Wie sehen Sie das?<br />
Dappers: Die Bun<strong>de</strong>swehr und das THW haben<br />
jeweils ihren zugewiesenen Aufgabenbereich<br />
zu erfüllen. Diese Aufgaben wer<strong>de</strong>n<br />
von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung festgelegt, sodass<br />
an gewissen Punkten eine Zusammenarbeit<br />
stattfin<strong>de</strong>n kann, aber die speziellen Aufgaben<br />
<strong>de</strong>s einen nicht von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren erfolgreich<br />
umgesetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wir bedanken uns für diesen<br />
ereignisreichen Tag.<br />
48 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Bevölkerungsschutz<br />
Ausbildung mit<br />
virtueller Realität?<br />
Die Technik macht’s<br />
Dr. Uwe Katzky<br />
Managing Director<br />
szenaris GmbH<br />
Was vor Jahren noch un<strong>de</strong>nkbar war,<br />
ist mit <strong>de</strong>r heutigen Technik zwar kein<br />
Kin<strong>de</strong>rspiel, eröffnet aber neue Möglichkeiten<br />
in <strong>de</strong>r Ausbildung – für fast<br />
je<strong>de</strong>n. Das Training am „leben<strong>de</strong>n“ Objekt<br />
birgt viele Gefahren. So ist das<br />
Üben an ferngesteuerten Fahrzeugen<br />
zu Land, im Wasser o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Luft<br />
zeitaufwändig und schont das Material<br />
kaum. Fehler wer<strong>de</strong>n selten verziehen,<br />
ganz zu schweigen von <strong>de</strong>n Kosten, die<br />
diese nach sich ziehen. Mit <strong>de</strong>r heutigen<br />
PC-Technik können Fahrzeuge in<br />
virtueller Realität simuliert wer<strong>de</strong>n –<br />
ganz ohne Gefahren für Mensch und<br />
Material – sowie höchsteffizient.<br />
Der Bremer Softwarespezialist szenaris<br />
GmbH hat in <strong>de</strong>r Vergangenheit schon oft<br />
bewiesen, dass Ausbildungssysteme auf Basis<br />
von virtueller Realität (VR) ganz neue<br />
Möglichkeiten eröffnen. So entwickelte die<br />
Firma für eine Vielzahl von Kun<strong>de</strong>n Ausbildungssysteme<br />
für ferngesteuerte Tauchroboter<br />
(so genannte Unmanned Un<strong>de</strong>rwater<br />
Vehicles, UUV) und Landfahrzeuge<br />
(Unmanned Land Vehicles, ULV) bis hin<br />
zu kompletten Teamtrainings in virtueller<br />
Realität.<br />
Die Vorteile virtueller Realität liegen auf<br />
<strong>de</strong>r Hand:<br />
--Fehler dürfen gemacht wer<strong>de</strong>n, sie lassen<br />
sich verlustlos korrigieren.<br />
--Für die Grundausbildung sind keine „echten“<br />
Fahrzeuge mehr notwendig.<br />
--Die Ausfallrate <strong>de</strong>r Originalfahrzeuge ist<br />
auf <strong>de</strong>n „echten“ Einsatz beschränkt.<br />
Anhand von zwei Beispielen lassen sich diese<br />
Vorteile gut nachvollziehen.<br />
Das erste Beispiel ist<br />
eine Entwicklung für Bediener<br />
eines ferngesteuerten<br />
Tauchroboters.<br />
Spezialisierte Einsatzkräfte<br />
nutzen Tauchroboter<br />
für die Erkundung<br />
und Fernhantierung unter<br />
Wasser. Diese Tauchroboter<br />
sind über eine<br />
Versorgungsleitung mit<br />
<strong>de</strong>m Bediengerät auf <strong>de</strong>m<br />
Mutterschiff verbun<strong>de</strong>n.<br />
Für das Bedienpersonal<br />
entwickelte szenaris<br />
VR-Simulation Tauchroboter:<br />
Übungsszenario<br />
„Grotte“ (oben Sonarbild,<br />
unten Kamerasicht)<br />
--Das Training ist für Mensch und Material<br />
gefahr- und risikolos.<br />
--Umgebungsparameter wie z. B. Wetter<br />
und Sichtverhältnisse lassen sich unabhängig<br />
von <strong>de</strong>n realistischen Verhältnissen<br />
beeinflussen.<br />
--Der Trainer kann das zu bewältigen<strong>de</strong><br />
Szenario vorab konfigurieren – ganz<br />
individuell und mit unterschiedlichen<br />
Schwierigkeitsgra<strong>de</strong>n.<br />
--Die Ausbildungssysteme können nahezu<br />
beliebig um Objekte, Terrains, Fahrzeuge,<br />
weitere Szenarien, Arbeitsplätze usw. ergänzt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
--Simulation bietet einen i<strong>de</strong>alen Übergang<br />
zur Realität (ersetzt sie aber nicht).<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 49
Bevölkerungsschutz<br />
Sonarfunktionen über die Bedienelemente<br />
<strong>de</strong>s Joysticks und die Tastatur. Der Tauchroboter<br />
muss nun auf knapp 200 m zum<br />
Schiffswrack gesteuert wer<strong>de</strong>n. Dann können<br />
die Bediener das Wrack erkun<strong>de</strong>n, eine<br />
Transportkiste mit Hilfe <strong>de</strong>s Greifarms bergen<br />
und an die Wasseroberfläche bringen.<br />
In einem zweiten Szenario besteht die<br />
Aufgabe darin, ein Flugzeugwrack zu suchen<br />
und die so genannte „Black Box“ zu<br />
bergen. Das Wrack ist auseinan<strong>de</strong>rgebrochen,<br />
auf <strong>de</strong>n Sitzen sind teilweise Leichen<br />
zu sehen. In <strong>de</strong>r Enge <strong>de</strong>s Flugzeugwracks<br />
muss <strong>de</strong>r Bediener kühlen Kopf bewahren,<br />
um mit <strong>de</strong>m Tauchroboter nicht zwischen<br />
<strong>de</strong>n Sitzen hängen zu bleiben. Über das<br />
„Control Center“ wer<strong>de</strong>n die Übungen konfiguriert.<br />
Die einzustellen<strong>de</strong>n Parameter<br />
sind beispielweise:<br />
VR-Simulation „Ferngesteuerte<br />
Roboterfahrzeuge“<br />
mit <strong>de</strong>n Fahrzeugen<br />
PackBot EOD,<br />
tEODor und telemax<br />
eine Virtual Reality-Simulation. Nach<strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>r Tauchroboter vom Mutterschiff abgesetzt<br />
wur<strong>de</strong>, beginnt <strong>de</strong>r virtuelle Tauchgang<br />
am Bedienstand <strong>de</strong>s Tauchroboters.<br />
Anstatt <strong>de</strong>r Original-Bedienelemente nutzt<br />
die Simulation zwei Standard-Flachbildschirme<br />
und zwei Joysticks, einen für die<br />
Fahrzeugsteuerung und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren für<br />
die Greifarmsteuerung. Die Bildschirme<br />
stehen für die Kamerasicht und die Darstellung<br />
<strong>de</strong>s Sonarbil<strong>de</strong>s zur Verfügung.<br />
Der Vorteil: Ohne spezielle Hardware kann<br />
das Training sehr realistisch durchgeführt<br />
wer<strong>de</strong>n. Nutzer steuern alle Fahrzeug- und<br />
--Auswahl <strong>de</strong>s Szenarios: Schiffswrack,<br />
Flugzeugwrack, Pipeline und Grotte<br />
--Sicht unter Wasser<br />
--Strömung<br />
--Art <strong>de</strong>s Greifarms<br />
--Sonar installiert / nicht installiert<br />
--Auftreten<strong>de</strong> Fehlfunktionen<br />
Highlight <strong>de</strong>s Programms sind die hochwertige<br />
Visualisierung, das realistische<br />
physikalische Verhalten <strong>de</strong>s Tauchroboters<br />
inkl. Greiffunktion sowie die Sonardarstellung<br />
mit farblich dargestellten Tiefeninformationen.<br />
Die Simulationsplattform erlaubt<br />
Aufgebaute Trainingsstation<br />
„Ferngesteuerte<br />
Roboterfahrzeuge“<br />
50 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Bevölkerungsschutz<br />
die Integration weiterer Szenarien, zusätzlicher<br />
Tauchroboter sowie <strong>de</strong>n Anschluss<br />
von originalen Bediengeräten. Das skalierbare<br />
System ist zu<strong>de</strong>m auf nahezu beliebig<br />
viele Bedienerarbeitsplätze erweiterbar.<br />
Das zweite Beispiel stammt aus einer<br />
Branche, die extrem gefährlich ist: <strong>de</strong>m<br />
Kampfmittelräumdienst! Die Risiken und<br />
Gefahren, <strong>de</strong>nen das Personal dieser Branche<br />
ausgesetzt ist, liegen auf <strong>de</strong>r Hand.<br />
Bomben, Unkonventionelle Spreng- und<br />
Brandvorrichtungen (USBV, Englisch: Improvised<br />
Explosive Devices, IED) und viele<br />
an<strong>de</strong>re Kampfmittel wer<strong>de</strong>n auch in<br />
Deutschland immer wie<strong>de</strong>r gefun<strong>de</strong>n. Daher<br />
nutzen Kampfmittelräumdienste als<br />
Hilfsmittel ferngesteuerte Roboter (so genannte<br />
Manipulatoren), mit <strong>de</strong>nen man sich<br />
einer Gefahrenquelle aus für <strong>de</strong>n Menschen<br />
sicherer Entfernung nähern kann.<br />
Die Fahrzeuge verfügen über Kameras,<br />
Arm mit Greifer und vielen weiteren Zubehörteilen.<br />
Sie zu steuern ist daher insbeson<strong>de</strong>re<br />
dann nicht trivial, wenn sie z. B. in<br />
einem Gebäu<strong>de</strong> und damit nicht mehr sichtbar<br />
sind. Denn in diesen Situationen können<br />
die Fahrzeuge nur über die Bil<strong>de</strong>r gesteuert<br />
wer<strong>de</strong>n, die die angebauten Kameras<br />
übertragen. Voraussetzung für <strong>de</strong>n sicheren<br />
Umgang mit <strong>de</strong>n Fahrzeugen ist <strong>de</strong>shalb<br />
eine längere Ausbildung. In <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />
wur<strong>de</strong>n die Fahrzeuge, gera<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>r Ausbildung, oft beschädigt und fielen<br />
damit für <strong>de</strong>n Einsatz aus. Abhilfe konnte<br />
daher ein von szenaris entwickeltes Ausbildungssystem<br />
schaffen, das die virtuellen<br />
Roboter mit <strong>de</strong>n Originalbediengeräten in<br />
virtuellen, vom Ausbil<strong>de</strong>r konfigurierbaren<br />
Szenarien steuern lässt.<br />
Es bleibt zu erwähnen, dass Simulationen<br />
bei all diesen Vorteilen auch Nachteile<br />
haben:<br />
--Eine Simulation ersetzt niemals vollständig<br />
die Realität. Die Endausbildung muss<br />
am realen Gerät erfolgen.<br />
--Der Immersionsgrad (bezeichnet <strong>de</strong>n Grad<br />
<strong>de</strong>s subjektiv wahrgenommenen „Eintauchens“<br />
in die virtuelle Welt) kann <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alfall<br />
nicht erreichen. Dieser wäre dann<br />
erreicht, wenn die virtuelle Welt nicht<br />
mehr von <strong>de</strong>r echten zu unterschei<strong>de</strong>n ist.<br />
--In <strong>de</strong>r Regel entspricht die Haptik nicht<br />
<strong>de</strong>r Realität; d. h., dass die Reaktionen <strong>de</strong>r<br />
Umwelt auf die menschlichen Sinne nicht<br />
im Maßstab 1:1 wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>n<br />
können. Die Ausnahme stellt das oben beschriebene<br />
Ausbildungssystem für Manipulatorfahrzeuge<br />
dar, <strong>de</strong>nn hier wer<strong>de</strong>n<br />
die Originalbediengeräte genutzt und die<br />
Bewegungen <strong>de</strong>s Fahrzeugs sind auch in<br />
<strong>de</strong>r Realität nicht spürbar.<br />
--Umweltbedingungen können nicht an die<br />
Realität heranreichen, sie allenfalls bis zu<br />
einem gewissen Grad nachahmen.<br />
Aus Sicht von szenaris wiegen die Vorteile<br />
<strong>de</strong>r virtuellen Realität <strong>de</strong>ren Nachteile<br />
<strong>de</strong>utlich auf. Diese technische Entwicklung<br />
ermöglicht vielmehr noch stärker individuell<br />
konfigurierte und auf <strong>de</strong>n persönlichen<br />
Lernstand <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>r ausgerichtete<br />
Trainingsumgebungen. Zeitgleich wer<strong>de</strong>n<br />
die Originalgeräte geschont und erhalten<br />
eine längere Lebensdauer.<br />
Dr. Uwe Katzky<br />
Jahrgang 1962, geboren in Bonn, wohnhaft in Wilhelmshaven,<br />
1981 Eintritt in die Bun<strong>de</strong>swehr als Offizieranwärter <strong>de</strong>r Fernmel<strong>de</strong>truppe<br />
(Heer). 1982 bis 1986 Studium <strong>de</strong>r Elektrotechnik<br />
an <strong>de</strong>r UniBw München. 1987 TSK-Wechsel zur Marine.<br />
1993 aus <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr ausgeschie<strong>de</strong>n als Dezernatsleiter<br />
<strong>de</strong>r Programmiererausbildung für die Marine (KdoMFüSys) im<br />
Dienstgrad Kapitänleutnant. Von 1993 bis 2005 in verschie<strong>de</strong>nen<br />
Verwendungen (Projektleiter, Gruppenleiter, Abteilungsleiter)<br />
für Trainings- und Simulationsanwendungen bei Sema<br />
Group GmbH, später THALES Deutschland. 2006 Wechsel zur<br />
Ray Sono AG als Account Manager. 2009 Gründung <strong>de</strong>r szenaris<br />
GmbH und Übernahme <strong>de</strong>s Geschäftsbereichs „Training &<br />
Simulation“ <strong>de</strong>r Ray Sono AG als geschäftsführen<strong>de</strong>r Gesellschafter.<br />
2004 Promotion zum Dr. phil., Fachrichtung Psychologie. 2007 Beor<strong>de</strong>rung als Reservist<br />
zum Kreisverbindungskommando Wilhelmshaven (Katastrophenschutz); seit 2011<br />
Leiter <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos; <strong>de</strong>rzeitiger Dienstgrad: Fregattenkapitän d. R.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 51
Tarifpolitik<br />
Jetzt jagen noch mehr<br />
<strong>de</strong>n einen Hasen<br />
Den Finger in die Wun<strong>de</strong> gelegt: Wo sind die<br />
eigentlichen Schmerzpunkte?<br />
„Der Markt ist relativ stagnierend“, so<br />
Buhl, Län<strong>de</strong>rpräsi<strong>de</strong>nt und Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Geschäftsführung von Securitas<br />
Deutschland, im Interview mit Dr. Nadine<br />
Seumenicht und Michael Zacher<br />
von <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong>. „Die dicken<br />
Jahre im Sicherheitsgewerbe sind vorbei.<br />
Allerdings gibt uns die bereits im<br />
Jahre 2011 angesprungene Konjunktur<br />
Anlass zu Optimismus. Bis in das Jahr<br />
2010 hatten wir relativ gleichbleiben<strong>de</strong><br />
Beschäftigungszahlen. Von 2002 bis<br />
2010 erzielten wir ca. 4 bis 5 Mrd. Euro<br />
Gesamtumsatz in unserer Branche. Was<br />
aber die Marktsituation überaus kompliziert<br />
macht, ist die Tatsache, dass in<br />
<strong>de</strong>mselben Zeitraum die Anzahl <strong>de</strong>r Unternehmen,<br />
die sich in dieser Branche<br />
am Markt beteiligen, um 1.000 gestiegen<br />
ist“, so Buhl.<br />
Dennoch setzen die führen<strong>de</strong>n Sicherheitsunternehmen<br />
in Deutschland<br />
ihren Wachstumskurs konsequent fort.<br />
Gemäß <strong>de</strong>r Lünendonk-Marktsegmentstudie<br />
<strong>2012</strong> führt Securitas mit einem<br />
Umsatz von 600 Millionen Euro <strong>de</strong>utlich<br />
die Branche an. „Der Min<strong>de</strong>stlohn hat<br />
<strong>de</strong>r Branche gut getan“, so Jörg Hossenfel<strong>de</strong>r,<br />
Geschäftsführen<strong>de</strong>r Gesellschafter<br />
<strong>de</strong>r Lünendonk GmbH.<br />
„1.000 Unternehmen mehr jagen nun<br />
<strong>de</strong>nselben Hasen“<br />
Buhl: „In unserem Verband BDSW – Bun<strong>de</strong>sverband<br />
<strong>de</strong>r Sicherheitswirtschaft – sind<br />
831 von nahezu 4.000 Unternehmen organisiert.<br />
Diese 831 Unternehmen <strong>de</strong>cken aber<br />
rund zwei Drittel <strong>de</strong>s gesamten Umsatzpotenzials<br />
ab. Die vielen kleinen bereiten uns<br />
durchaus Kopfzerbrechen, wenn nicht sogar<br />
Kopfschmerzen. Diese führen uns zu <strong>de</strong>n im<br />
Verband aufgeworfenen Fragen „Wer sollte<br />
zukünftig in Deutschland ein Sicherheitsgewerbe<br />
betreiben? Wie sind die Zugangsbedingungen<br />
zum Gewerbe?“ Und das ist das<br />
Problem: Es ist relativ einfach, ein Sicherheitsunternehmen<br />
in Deutschland zu grün<strong>de</strong>n<br />
– im Gegensatz zu vielen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn,<br />
wo klar <strong>de</strong>finiert ist, wer das darf. Der<br />
<strong>de</strong>utsche Sicherheitsdienstleistungskuchen<br />
setzt sich wie folgt zusammen: Etwa 60 Prozent<br />
in Deutschland gehören zum klassischen<br />
Objektschutz. Vier Prozent entfallen<br />
auf <strong>de</strong>n Bereich Sicherheitsposten, vier Prozent<br />
auf <strong>de</strong>n Bereich militärischer Liegenschaften,<br />
zehn Prozent beschäftigen sich<br />
mit Flughäfen, fünf Prozent sind im Bereich<br />
<strong>de</strong>r Notrufzentralen tätig, fünf Prozent entfallen<br />
auf mobile Dienstleistungen, im Geldund<br />
Wertbereich sind es zehn Prozent.“<br />
<strong>Homeland</strong>: Wer stellt die strengsten Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an diese Branche? In vielen Län<strong>de</strong>rn<br />
ist es Praxis, über ein Lizenzverfahren<br />
Berechtigungen zu vergeben.<br />
Buhl: Sie müssen ihre Ausbildung nachweisen,<br />
welchen Standard sie wählen, wie sie<br />
das Unternehmen betreiben wollen. So gibt<br />
52 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Tarifpolitik<br />
es im europäischen Vergleich kein Land wie<br />
Deutschland, das ein solches Unternehmen<br />
über die Gewerbeordnung in die Zuständigkeit<br />
<strong>de</strong>s Wirtschaftsministeriums begibt.<br />
In allen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn sind sie entwe<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>m Justiz- o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Innenministerium<br />
zugeordnet.<br />
Stolperschnüre liegen im Weg – Wir<br />
wollen nicht je<strong>de</strong>n!<br />
<strong>Homeland</strong>: Die Frage stellt sich, wer ist<br />
zuständig?<br />
Buhl: Darauf gibt es keine ein<strong>de</strong>utige Antwort.<br />
Inhaltlich sind wir sehr nah am Innenministerium,<br />
<strong>de</strong>mentsprechend nahe an <strong>de</strong>r<br />
Polizei. Betreut wer<strong>de</strong>n wir aber vom Wirtschaftsministerium.<br />
Das führt zu Interessenkonflikten.<br />
Die Wirtschaftsseite möchte naturgemäß<br />
so viel Arbeitnehmer wie möglich<br />
in Beschäftigung bringen, aber wir dürfen<br />
und wollen nicht je<strong>de</strong>n nehmen. Das ist ein<br />
Spagat.<br />
<strong>Homeland</strong>: Unter welchen Problemen lei<strong>de</strong>t<br />
Ihre Branche?<br />
Buhl: Der so bezeichnete Spezialist für Sicherheitsdienstleistungen<br />
ist schwierig zu<br />
hinterfragen. Fast immer ist es so, dass <strong>de</strong>r<br />
Kun<strong>de</strong> im Vorfeld <strong>de</strong>r Ausschreibung bereits<br />
sein individuelles Sicherheitskonzept<br />
erstellt hat. Die Sicherheitsunternehmen<br />
wer<strong>de</strong>n im Nachgang über die Ausschreibung<br />
aufgefor<strong>de</strong>rt, bestimmte Stun<strong>de</strong>nkontingente<br />
unterschiedlicher Qualifikationen<br />
zu liefern. Der Kun<strong>de</strong> fragt an: „Ich habe<br />
eine Position im Werkschutz 24/7 im Jahr<br />
durchgängig zu besetzen. Was kostet das<br />
bei Ihnen?“ Die Unternehmen kalkulieren<br />
z. B. Folgen<strong>de</strong>s: Ergebnis ca. 735 Stun<strong>de</strong>n<br />
pro Monat. Und diese 735 Stun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />
mit einem Preis pro Stun<strong>de</strong> versehen. Der<br />
Preis pro Stun<strong>de</strong> rekrutiert sich aus <strong>de</strong>m<br />
Gehalt <strong>de</strong>s Mitarbeiters, das sich aus <strong>de</strong>m<br />
jeweils gelten<strong>de</strong>n Tarifvertrag ergibt, zusätzlich<br />
Steuern und Abgaben einschließlich<br />
<strong>de</strong>r Arbeitgeberanteile. In Deutschland<br />
gelten 80 verschie<strong>de</strong>ne Tarifverträge, die<br />
unterschiedliche Regulierungen beinhalten.<br />
In diesem Tarifvertragsdschungel kann<br />
man sich wun<strong>de</strong>rbar verlaufen o<strong>de</strong>r aber<br />
auch verstecken. In gewisser Weise ist das<br />
in <strong>de</strong>r Vergangenheit auch gewollt gewesen,<br />
weil er eine Plattform auch für Missbrauch<br />
bietet. Es basiert <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> nach alles auf<br />
<strong>de</strong>m Faktor Lohn/Stun<strong>de</strong>. Und wenn ich da<br />
nur ein, zwei, fünf o<strong>de</strong>r zehn Cent an<strong>de</strong>rs<br />
„verbaue“, dann ist es im Zuge <strong>de</strong>r Kalkulationskette<br />
ein Unterschied von zehn Prozent.<br />
Bei uns waren das zum Teil 30 bis 40<br />
Prozent Preisunterschied für die gleiche<br />
Dienstleistung. Die Ironie liegt im Detail: Einige<br />
kalkulieren sauber nach Lohn, weil sie<br />
einen Betriebsrat haben und sich zu<strong>de</strong>m an<br />
die Tarifbindung halten. Die Folge: Sie sind<br />
dann um 20 bis 25 Prozent teurer.<br />
<strong>Homeland</strong>: Und wer sind dann die „Guten“,<br />
Herr Buhl?<br />
Buhl: In <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Kun<strong>de</strong>n sind die<br />
Unternehmen, die „sauber“ kalkulieren, sozusagen<br />
die „Gauner“ und die an<strong>de</strong>ren sind<br />
fälschlicherweise die „Guten“. Eine verkehrte<br />
Welt. Also kann es für ein Unternehmen<br />
wie Securitas nur darum gehen, alles dafür<br />
zu tun, diese falsche Wahrnehmung <strong>de</strong>s<br />
Marktes zu beseitigen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Herr Buhl, Sie sind <strong>de</strong>r Deutschlandchef<br />
im internationalen Securitas-Verbund.<br />
Was sagen <strong>de</strong>nn Ihre Kollegen aus<br />
<strong>de</strong>m Ausland dazu?<br />
Buhl: So problematisch wie bei uns in<br />
Deutschland ist das nirgendwo. Solch einen<br />
Tarifdschungel gibt es nur bei uns. Im<br />
Ausland sind die Tarifstrukturen viel klarer<br />
gefasst. Unternehmen an<strong>de</strong>rer Län<strong>de</strong>r hatten<br />
vor uns <strong>de</strong>n Min<strong>de</strong>stlohn und haben auf<br />
diesen Min<strong>de</strong>stlohn eine saubere Kalkulation<br />
abgegeben. Meine Kollegen im Ausland<br />
fragen mich, wieso wir als ein so großes und<br />
wirtschaftlich potentes Land so wenig erfolgreich<br />
auf diesem Gebiet sind. Im Sinne:<br />
„Warum seid ihr nicht noch besser?“ Aber<br />
wie soll das gehen? Niemand kann <strong>de</strong>n niedrigsten<br />
Preis anbieten und <strong>de</strong>n höchsten<br />
Lohn zahlen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie begegnen Sie dieser<br />
Herausfor<strong>de</strong>rung?<br />
Buhl: Für uns bestand die Aufgabe darin,<br />
Überlegungen anzustellen, wie wir <strong>de</strong>n<br />
Markt umkrempeln, damit wir unsere Unternehmensziele<br />
durchsetzen können. Da gibt<br />
es nun das spezielle Thema schlechthin: <strong>de</strong>n<br />
Min<strong>de</strong>stlohn. Der Min<strong>de</strong>stlohn ist nicht nur<br />
ein Erfor<strong>de</strong>rnis, weil wir die europäischen<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 53
Tarifpolitik<br />
Grenzen neu <strong>de</strong>finiert haben und sich Möglichkeiten,<br />
mit ausländischen Arbeitern zu<br />
agieren, ergeben haben. Zu<strong>de</strong>m wird die<br />
Gesamtthematik auch noch von einer wirtschaftlichen<br />
Gesamtentwicklung begleitet.<br />
In <strong>de</strong>r IT-Krise 2002, als die Startups zerbrachen,<br />
<strong>de</strong>r Arbeitsmarkt kippte und die<br />
Arbeitslosenzahlen auf über vier Millionen<br />
anstiegen, waren Mitarbeiter bereit, sich<br />
auch einem Lohngefüge auf niedrigerem Niveau<br />
anzupassen, von <strong>de</strong>m bekannt ist, dass<br />
das nicht tarifkonform ist. Die Bereitschaft<br />
ist größer als in Zeiten, in <strong>de</strong>nen man <strong>de</strong>m<br />
Druck entweichen kann, in<strong>de</strong>m man sich Arbeitsstellen<br />
mit einem besseren Gehaltsgefüge<br />
sucht. Jetzt sind wir in einer ganz an<strong>de</strong>ren<br />
Situation, aber zum damaligen Zeitpunkt<br />
hatten wir a) ein lausiges Tarifgefüge und b)<br />
einen Überhang am Arbeitsmarkt und damit<br />
mehr Manipulationsmöglichkeiten. Das<br />
sind dann Unternehmen mit geringer Sozialkompetenz,<br />
fehlen<strong>de</strong>n kaufmännischen<br />
Kenntnissen, aber vor allem mit krimineller<br />
Energie. Der Min<strong>de</strong>stlohn wur<strong>de</strong> in einer<br />
ersten Stufe zum 1. Juli 2011 <strong>de</strong>utschlandweit<br />
für das Sicherheitsgewerbe eingeführt.<br />
In einem zweiten Schritt wur<strong>de</strong> zum 1. März<br />
<strong>2012</strong> die unterste Lohnstufe auf 7,00 Euro<br />
festgeschrieben. Die dritte Stufe mit <strong>de</strong>r Erhöhung<br />
auf 7,50 Euro als unterster Lohnstufe<br />
für <strong>de</strong>n Sicherheitsmarkt wird zum 1. Januar<br />
2013 eingeführt.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das hieße, dass von <strong>de</strong>n „Plus<br />
1.000“, die gera<strong>de</strong> versuchen, sich am<br />
Markt zu etablieren, wahrscheinlich Dreiviertel<br />
wie<strong>de</strong>r wegbrechen?<br />
Buhl: Das weiß ich nicht. Es ist natürlich<br />
so, dass auch alle an<strong>de</strong>ren mit unserer Aktion<br />
mitschwimmen wollen o<strong>de</strong>r müssen.<br />
Wenn diese das alleine hätten machen müssen,<br />
wäre das für sie nicht praktikabel gewesen.<br />
Für die war <strong>de</strong>r erste Schritt <strong>de</strong>r<br />
schwierigste.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie lange hat dieser Prozess<br />
gebraucht?<br />
Buhl: Ganze fünf Jahre. Der erste Aufschlag<br />
ging daneben, weil wir <strong>de</strong>n falschen Partner<br />
an <strong>de</strong>r Seite hatten. Wir hatten Verträge<br />
mit ver.di, wir hatten aber auch Verträge<br />
mit <strong>de</strong>r GÖD – Gewerkschaft Öffentlicher<br />
Dienst und Dienstleistungen. ver.di wollte<br />
von Beginn an 7,50 Euro, wir hatten aber<br />
nur 4,35 Euro in Thüringen. Jetzt erklären<br />
Sie das mal einem Kun<strong>de</strong>n. Unsere Antwort<br />
war klar und <strong>de</strong>utlich: Wir können das nicht!<br />
Wir haben ver.di gesagt, sie haben übertriebene<br />
For<strong>de</strong>rungen. Es musste ein Erkenntnisprozess<br />
einsetzen. Der Erkenntnisprozess<br />
hat auf bei<strong>de</strong>n Seiten stattgefun<strong>de</strong>n.<br />
Wir haben dann einen neuen Sozialpartner<br />
gesucht, das war die GÖD. Die GÖD hat gesagt,<br />
O. K., wir machen einen an<strong>de</strong>ren Tarifvertrag<br />
mit euch und bauen das in Stufen<br />
bis 2013 auf. Dann war auch soweit alles<br />
verhan<strong>de</strong>lt und abgeschlossen. Ein Problem<br />
ist eben, dass man dann, wenn man einen<br />
solchen Tarifvertrag einbringen will, diesen<br />
in eine Tarifkommission geben muss, die angesie<strong>de</strong>lt<br />
ist beim Ministerium für Arbeit<br />
und Soziales und besetzt ist mit Vertretern<br />
<strong>de</strong>r BDA und mit Vertretern von ver.di. Also<br />
sitzt ver.di praktisch wie<strong>de</strong>r mit am Tisch.<br />
ver.di hat uns klar signalisiert, wir könnten<br />
hinlegen, was wir wollen, von ihrer Seite<br />
wer<strong>de</strong>n sie niemals einen solchen Vertrag<br />
zur Allgemeinverbindlichkeit führen. Und<br />
das ist genau so passiert. Das Problem war<br />
nur, zwischenzeitlich hatte dann auch noch<br />
die Bun<strong>de</strong>sregierung gewechselt. Wir sind<br />
je<strong>de</strong>nfalls mit Pauken und Trompeten gegen<br />
die Wand gefahren und mussten lernen,<br />
dass wir mit dieser Gewerkschaft – wir können<br />
noch so tolle Tarifverträge aushan<strong>de</strong>ln –<br />
nicht unser Ziel erreichen. Unser Ziel heißt<br />
Öffnung <strong>de</strong>s europäischen Arbeitsmarktes.<br />
Wenn wir uns schützen wollen, müssen wir<br />
die Kröte schlucken, d. h. wir brauchen einen<br />
an<strong>de</strong>ren Sozialpartner. Wir haben uns<br />
mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Sozialpartnern zusammengesetzt<br />
und einen Tarifvertrag entwickelt,<br />
<strong>de</strong>r ähnlich war wie <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r GÖD, insbeson<strong>de</strong>re<br />
das Stufenprinzip war i<strong>de</strong>ntisch.<br />
Nur, es gab ein an<strong>de</strong>res Problem, <strong>de</strong>nn die<br />
FDP war wie<strong>de</strong>r mit an <strong>de</strong>r Regierung und<br />
sagte, es gäbe keine Min<strong>de</strong>stlöhne. Jetzt<br />
hat etwas eingesetzt, das hat das Gewerbe<br />
zusammengebracht und uns geholfen, weil<br />
wir uns auf breiter Front über alle Kanäle in<br />
die politischen Strukturen eingebracht und<br />
darauf aufmerksam gemacht haben, warum<br />
wir einen Min<strong>de</strong>stlohn brauchen. Und<br />
das ist uns gelungen, Gott sei Dank! Gegen<br />
<strong>de</strong>n Wind <strong>de</strong>r Liberalen! Und hat dazu geführt,<br />
dass es tatsächlich ein Um<strong>de</strong>nken gegeben<br />
hat. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tages haben wir<br />
unseren Tarifvertrag bekommen. Ein langes<br />
Proze<strong>de</strong>re, das wirklich Kraft und Mühe gekostet<br />
hat und einen Lernprozess für bei<strong>de</strong><br />
54 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Tarifpolitik<br />
Seiten be<strong>de</strong>utete. Schließlich sind wir alle<br />
froh, dass es uns gelungen ist, diesen Einstieg<br />
zu schaffen. Auch die größten Kritiker<br />
im BDSW haben das verstan<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie ging es weiter?<br />
Buhl: Es wird <strong>de</strong>utlich, dass dieser Weg<br />
schwieriger wer<strong>de</strong>n wird. Wir haben uns<br />
sehr zeitig, vor allem aus <strong>de</strong>r Not heraus,<br />
sortiert. Ich war zum Akquisitionszeitpunkt<br />
damit belastet, dass wir in <strong>de</strong>r Securitas-<br />
Gruppe plötzlich 30 Notrufzentralen hatten.<br />
Je<strong>de</strong> GmbH, die wir gekauft hatten, besaß<br />
ihre eigene Notrufzentrale – also gab es sozusagen<br />
32 „Irrenhäuser“. Eine Notrufzentrale<br />
zu führen, be<strong>de</strong>utet, ein Irrenhaus zu<br />
führen: Schlüssel, Kun<strong>de</strong>nanrufe, Fahrzeuge<br />
koordinieren, Alarme verfolgen etc. Aber<br />
am meisten wur<strong>de</strong> dort Lärm „produziert“.<br />
Das gehörte mit zum Programm. Zusammen<br />
mit Reinhard W. Ottens fuhr ich nach<br />
Schwe<strong>de</strong>n, um mir anzuschauen, wie die<br />
Schwe<strong>de</strong>n ihr Geschäft betreiben.<br />
<strong>Homeland</strong>: Zur Geschichte von Securitas:<br />
Kommt die ursprüngliche I<strong>de</strong>e aus Schwe<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n USA?<br />
Buhl: Aus Schwe<strong>de</strong>n. Ziemlich lange schon<br />
bevor es <strong>de</strong>n Namen gab. 1932, das erste<br />
Mal, als die Brü<strong>de</strong>r Sörensen von Kopenhagen<br />
nach Schwe<strong>de</strong>n, Malmö, gewechselt<br />
sind; seit<strong>de</strong>m existiert dieser Konzern in<br />
Schwe<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Homeland</strong>: Schwe<strong>de</strong>n gilt per se als ein<br />
sehr soziales Land. Kam <strong>de</strong>r Mitarbeiteransatz<br />
auch aus nördlicher Richtung?<br />
Buhl: Die Schwe<strong>de</strong>n haben eine höhere Sozialkompetenz<br />
als alle an<strong>de</strong>ren, aber sie haben<br />
auch eine an<strong>de</strong>re Methodik. Das ist auch<br />
für mich eine sehr angenehme Wahrnehmung.<br />
Die schwedische Art hat sicherlich in<br />
<strong>de</strong>r Kommunikationsphase auch einen sehr<br />
amerikanischen Touch, weil man nicht unbedingt<br />
Schlips trägt, mal abgesehen davon,<br />
dass sie exzellent Englisch sprechen und<br />
sehr kommunikativ miteinan<strong>de</strong>r umgehen,<br />
man hat die Möglichkeit, sich frei einzubringen<br />
und auch seine eigenen Gedanken<br />
frei zu äußern. Man wird nicht gleich ausgebremst,<br />
son<strong>de</strong>rn es existiert ein sehr offener<br />
Umgang im Management. Wir haben also<br />
angefangen, zunächst einmal diesen Teil <strong>de</strong>s<br />
Unternehmens neu aufzustellen, also auszugrün<strong>de</strong>n,<br />
eine eigene GmbH zu schaffen,<br />
dort alles zu investieren und zu überlegen,<br />
welche Notrufzentralen wir in Deutschland<br />
brauchen. Damit haben wir die Strukturen<br />
gestrafft, sodass wir heute noch zwei große<br />
Notrufzentralen in Deutschland betreiben:<br />
eine in Mannheim (nach EU-Standard) und<br />
eine in Berlin.<br />
<strong>Homeland</strong>: Herr Buhl, wir bedanken uns<br />
für das Gespräch.<br />
Ein Mann, ein<br />
Weg: Manfred Buhl<br />
auf <strong>de</strong>m Weg zu<br />
Securitas.<br />
Manfred Buhl war<br />
vor seiner Zeit in<br />
<strong>de</strong>r Funktion als<br />
Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Geschäftsführung<br />
von Securitas zehn<br />
Jahre in Potsdam,<br />
wo er <strong>de</strong>n Geschäftsbereich „Geld- und<br />
Werttransporte“ in Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg<br />
verantwortete. Zuvor war er 20 Jahre im<br />
Militärdienst. „Ich war lange Zeit verantwortlich<br />
für die Gefechtsbereitschaft von<br />
militärischen Einheiten; also für <strong>de</strong>n Ausbau<br />
von Führungsstellen und auch schon<br />
für das Thema Sicherheit, nur eben mit an<strong>de</strong>ren<br />
Mitteln“, so Buhl. Nach <strong>de</strong>m Militärdienst<br />
hat Buhl an einer Führungsaka<strong>de</strong>mie<br />
in Hamburg Zugang zur freien Wirtschaft<br />
gefun<strong>de</strong>n. Buhl: „Die Zeit im Militärdienst<br />
möchte ich nicht missen, <strong>de</strong>nn eine militärische<br />
Ausbildung zu haben, ist im Sicherheitsbereich<br />
kein Nachteil. Von 2000 an<br />
habe ich eine neue Struktur eingeführt, ich<br />
habe auch <strong>de</strong>n Spezialisierungsprozess über<br />
mehrere Etappen eingeleitet und die Struktur<br />
so aufgebaut, dass ich heute von einer<br />
Hybridstruktur spreche.“<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 55
Sicherheitsforschung<br />
Vernetzte Sicherheit<br />
Sicherheitsforschung im Deutschen Zentrum für<br />
Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)<br />
Auswertung von Satellitendaten<br />
im Zentrum<br />
für Satellitengestützte<br />
Kriseninformation (ZKI)<br />
Im Frühjahr 2010 ist im<br />
DLR <strong>de</strong>r Querschnittsbereich<br />
Sicherheit etabliert<br />
wor<strong>de</strong>n. Ein dafür<br />
verantwortlicher<br />
Programmkoordinator,<br />
<strong>de</strong>r vom DLR-Senat berufen<br />
wur<strong>de</strong>, koordiniert<br />
und steuert die<br />
verschie<strong>de</strong>nen Aktivitäten<br />
mit sicherheitsrelevantem<br />
Bezug im<br />
DLR. Er stimmt diese<br />
mit <strong>de</strong>n Fachvorstän<strong>de</strong>n und Programmdirektoren<br />
<strong>de</strong>r Schwerpunkte Luftfahrt,<br />
Raumfahrt, Energie und Verkehr ab<br />
und vertritt das Thema Sicherheitsforschung<br />
als Hauptansprechpartner nach<br />
innen sowie nach außen. Der DLR-internen<br />
Initiierung von neuen Projekten<br />
in <strong>de</strong>r zivilen Sicherheitsforschung und<br />
<strong>de</strong>r Abstimmung mit Partnern in Politik,<br />
Wirtschaft und Wissenschaft kommt dabei<br />
eine beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. Mit<br />
Dr. Dennis Göge, Programmkoordinator<br />
Sicherheitsforschung beim DLR, sprachen<br />
Dr. Nadine Seumenicht und Michael<br />
Zacher.<br />
<strong>Homeland</strong>: Was verstehen Sie unter <strong>de</strong>m<br />
Begriff „Vernetzte Sicherheit“?<br />
Dr. Göge: Ich <strong>de</strong>nke da zunächst an die<br />
klassische Definition. Das Konzept <strong>de</strong>r vernetzten<br />
Sicherheit besteht aus <strong>de</strong>n Einzelelementen<br />
gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge,<br />
multilaterale Koordinierung,<br />
Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Institutionen und ressortübergreifen<strong>de</strong><br />
Koordinierung. Dies fin<strong>de</strong>t<br />
sich auch in <strong>de</strong>n Grundprinzipien <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Außen- und Sicherheitspolitik<br />
wie<strong>de</strong>r, die grundsätzlich umfassend, präventiv<br />
und multilateral ist.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie sagen „zunächst“, weil Sie<br />
wahrscheinlich auch sofort an die Sicherheitsforschung<br />
<strong>de</strong>nken. Wie lassen sich<br />
„Vernetzte Sicherheit“ und „Sicherheitsforschung“<br />
miteinan<strong>de</strong>r vergleichen? Warum<br />
vernetzte Sicherheitsforschung?<br />
Dr. Göge: Zum einen ist die „Vernetzte Sicherheit“<br />
<strong>de</strong>r politische Überbau, <strong>de</strong>r durch<br />
die im Rahmen <strong>de</strong>r „Sicherheitsforschung“<br />
geleisteten Arbeiten unterstützt wird. Zum<br />
an<strong>de</strong>ren lässt sich <strong>de</strong>r Vergleich auf zwei<br />
wesentliche Elemente herunterbrechen:<br />
Zusammenarbeit und Koordination. Bei<strong>de</strong>s<br />
steht sowohl beim Thema „Vernetzte<br />
Sicherheit“ als auch bei <strong>de</strong>r „Sicherheitsforschung“<br />
im Vor<strong>de</strong>rgrund. Die Sicherheitsforschung<br />
an sich ist aus meiner Sicht<br />
mehrdimensional. Sie ist keine eigene Disziplin<br />
wie z. B. die Physik o<strong>de</strong>r Mathematik. Es<br />
wer<strong>de</strong>n vielmehr klassische Disziplinen miteinan<strong>de</strong>r<br />
vernetzt, um sicherheitsrelevante<br />
Lösungen, wie z. B. Technologien o<strong>de</strong>r Systeme,<br />
zu entwickeln. Diese Lösungen sind<br />
aber nur einsetzbar, wenn sie nicht die Bürgerrechte<br />
verletzen und somit <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
vermittelbar sind. Die Rechts- und<br />
Sozialwissenschaften gehören damit zu <strong>de</strong>n<br />
Disziplinen, die bereits im Rahmen von Sicherheitsforschungsprojekten<br />
berücksichtigt<br />
wer<strong>de</strong>n. Disziplinenübergreifen<strong>de</strong>s Arbeiten<br />
spielt also eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle.<br />
Wie beim Konzept <strong>de</strong>r „Vernetzten Sicherheit“<br />
fin<strong>de</strong>t mittlerweile auch im Bereich <strong>de</strong>r<br />
„Sicherheitsforschung“ eine ressortübergreifen<strong>de</strong><br />
Koordination statt. Ein Beispiel:<br />
Bei <strong>de</strong>r Themenfestlegung <strong>de</strong>s nationalen<br />
Sicherheitsforschungsprogramms, das in<br />
die Zuständigkeit <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums<br />
für Bildung und Forschung (BMBF) fällt,<br />
wer<strong>de</strong>n weitere Ressorts eingebun<strong>de</strong>n. Das<br />
ist stimmig, <strong>de</strong>nn nachgeordnete Dienstbehör<strong>de</strong>n,<br />
wie z. B. die Bun<strong>de</strong>spolizei, müssen<br />
bestimmte Missionen erfüllen. Handlungsstrategien,<br />
Systeme o<strong>de</strong>r Technologien, die<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Sicherheitsforschungsprojekte<br />
entwickelt wer<strong>de</strong>n, müssen somit einsatzrelevant<br />
und einsetzbar sein.<br />
Ich möchte an dieser Stelle aber nicht<br />
die Zusammenarbeit von Wissenschaftseinrichtungen<br />
mit Unternehmen aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />
vorenthalten. Letztendlich sind es die<br />
Industrieunternehmen, die die sicherheitsrelevanten<br />
Produkte und Dienstleistungen<br />
her- bzw. bereitstellen. Wissenschaftseinrichtungen<br />
wie das DLR müssen sich also<br />
nicht nur untereinan<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn auch mit<br />
56 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Sicherheitsforschung<br />
Politik und Wirtschaft vernetzen und das<br />
nicht nur auf nationaler Ebene. Bedrohungen<br />
wie Naturkatastrophen, Piraterie o<strong>de</strong>r<br />
Weltraummüll sind globale Herausfor<strong>de</strong>rungen,<br />
auf die wir nur gemeinsam mit an<strong>de</strong>ren<br />
Staaten reagieren können – sei es im Bereich<br />
von Gesetzgebungen o<strong>de</strong>r im Bereich<br />
von Technologieentwicklungen. Wir brauchen<br />
eine vernetzte Sicherheitsforschung,<br />
um angemessen und ausreichend auf heutige<br />
und zukünftige Bedrohungen reagieren<br />
zu können.<br />
<strong>Homeland</strong>: Welche Bereiche <strong>de</strong>cken Sie im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung im DLR<br />
ab? Welche sind die wichtigsten? Wo wird<br />
„die Reise hingehen“?<br />
Dr. Göge: Natürlich adressieren wir mit unseren<br />
Forschungsaktivitäten die auf nationaler<br />
und internationaler Ebene <strong>de</strong>finierten<br />
Fähigkeitsprofile, die <strong>de</strong>m Schutz und <strong>de</strong>r<br />
Sicherheit <strong>de</strong>r Bevölkerung, <strong>de</strong>r Grenzen,<br />
<strong>de</strong>r Kritischen Infrastrukturen und <strong>de</strong>m Krisen-<br />
und Katastrophenmanagement dienen.<br />
Wir sind in <strong>de</strong>r glücklichen Lage, dass das<br />
Querschnittsthema Sicherheit im DLR von<br />
mehr als 20 unserer Forschungsinstitute<br />
und Einrichtungen adressiert wird. Wissenschaftler<br />
<strong>de</strong>s DLR haben z. B. im letzten Jahr<br />
eine Software zur Optimierung von Polizeistreifenfahrten<br />
entwickelt. Diese leistet <strong>de</strong>r<br />
Polizei wertvolle Dienste im Bereich <strong>de</strong>r Planungsunterstützung.<br />
Ziel ist es, vereinfacht<br />
gesagt, Kriminelle davon abzuhalten, Autos<br />
zu stehlen o<strong>de</strong>r in Wohnungen einzubrechen.<br />
Ein weiteres, typisches Forschungsthema<br />
beschäftigt sich mit <strong>de</strong>m Flughafen<br />
als Gesamtsystem und mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Sicherheit<br />
von intermodalen Verkehrsknoten<br />
– ein Thema, das bei uns im Schwerpunkt<br />
Verkehr geför<strong>de</strong>rt wird. Dazu bil<strong>de</strong>n wir <strong>de</strong>n<br />
Flughafen von morgen mit seinen neuen<br />
Prozess- und Technologiekombinationen als<br />
Computermo<strong>de</strong>ll ab. Mit Hilfe unserer Flughafensimulationsumgebung<br />
können wir so<br />
die Auswirkungen von Schutzmaßnahmen<br />
auf die Prozesse <strong>de</strong>r Flughäfen analysieren<br />
und bewerten. Die Sicherheit von Kritischen<br />
Infrastrukturen ist ein wichtiges Thema in<br />
unserer Sicherheitsforschung. Die meisten<br />
Menschen <strong>de</strong>nken hier meistens an die vom<br />
Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>s Innern in <strong>de</strong>r nationalen<br />
Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Kritischen<br />
Infrastrukturen <strong>de</strong>finierten Infrastrukturen<br />
wie Transport- und Verkehrswege o<strong>de</strong>r<br />
Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen.<br />
Für diese erarbeiten<br />
wir natürlich auch<br />
Lösungen. Die Kritische<br />
Infrastruktur Weltraum<br />
wird allerdings oftmals<br />
vergessen. Ob Wettervorhersagen,<br />
globale<br />
Internetverfügbarkeit<br />
o<strong>de</strong>r Navigation: Je<strong>de</strong>r<br />
Mensch ist mittlerweile<br />
abhängig von <strong>de</strong>r Raumfahrt.<br />
Sicherheitsrelevante<br />
Anwendungen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> funktionieren<br />
nur, wenn die Infrastruktur – z. B. Satelliten<br />
– im Orbit funktioniert. Ich hatte bereits das<br />
Thema Weltraummüll angesprochen. Dieser<br />
könnte zukünftig dazu führen, dass Satelliten<br />
beschädigt wer<strong>de</strong>n und somit nicht nur<br />
ein großer volkswirtschaftlicher Scha<strong>de</strong>n<br />
entsteht. Nein, es sind auch konkret Menschenleben<br />
in Gefahr. Unsere Wissenschaftler<br />
im Schwerpunkt Raumfahrt entwickeln<br />
<strong>de</strong>rzeit ein optisches Beobachtungssystem<br />
mit einem leistungsstarken Laser, <strong>de</strong>ssen<br />
Pulse auch Teilchen mit einem Durchmesser<br />
von nur wenigen Zentimetern erfassen<br />
und ihre Umlaufbahn vermessen können.<br />
Das Konzept wur<strong>de</strong> im Januar <strong>2012</strong> in Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>r Laserstation Graz bereits<br />
erfolgreich getestet: Erstmals konnten<br />
in Europa die Umlaufbahnen von ausgedienten<br />
Raketenteilen mit einem Laser vermessen<br />
wer<strong>de</strong>n. In Zukunft könnte ein stärkerer<br />
Laser diese Teilchen auch von ihrer Bahn<br />
abbringen und zum Verglühen in die Erdatmosphäre<br />
wie<strong>de</strong>reintreten lassen. Sie sehen,<br />
hier muss noch kräftig investiert wer<strong>de</strong>n,<br />
damit wir auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sicherer leben<br />
können. Ein weiteres Beispiel: Unser Zentrum<br />
für Satellitengestützte Kriseninformation<br />
(ZKI) ist sicherlich ein Aushängeschild<br />
<strong>de</strong>s DLR. Die Kollegen<br />
stellen einen 24/7 Service<br />
für die schnelle Beschaffung,<br />
Aufbereitung<br />
und Analyse von Satellitendaten<br />
bei Natur- und<br />
Umweltkatastrophen, für<br />
humanitäre Hilfsaktivitäten<br />
und für die zivile Sicherheit<br />
weltweit bereit.<br />
Ob die schweren Waldbrän<strong>de</strong><br />
in Russland, die<br />
Überschwemmungen in<br />
Waldbrän<strong>de</strong> in<br />
Griechenland 2007<br />
Demonstrator-System<br />
für die Detektion von<br />
Weltraumschrott<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 57
Sicherheitsforschung<br />
Katastrophenhilfe auf<br />
Zypern im Juli 2011:<br />
DLR-Wissenschaftler<br />
erkun<strong>de</strong>n mit unbemannten<br />
Luftfahrzeugen<br />
beschädigtes Kraftwerk<br />
Pakistan o<strong>de</strong>r die Katastrophe<br />
in Fukushima:<br />
DLR-Know-how und -Informationsprodukte<br />
haben<br />
geholfen, Menschenleben<br />
zu retten. Dies<br />
sind nur einige Beispiele<br />
unserer aktuellen Forschungsaktivitäten.<br />
Was<br />
zukünftige Aktivitäten<br />
angeht, so ist die Marschroute<br />
klar: Aktivitäten im<br />
Bereich <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung<br />
wer<strong>de</strong>n überwiegend<br />
fachübergreifend<br />
bearbeitet. Es wird also eine sehr enge<br />
Abstimmung zwischen unseren Schwerpunkten<br />
Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und<br />
Verkehr geben, um <strong>de</strong>n Querschnittsbereich<br />
Sicherheit weiter zu gestalten. Unsere strategische<br />
Ausrichtung wird sich an Themen<br />
orientieren, die zum einen national und<br />
auch im europäischen Kontext mittel- und<br />
langfristig hohe Priorität erhalten wer<strong>de</strong>n<br />
und zum an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>n Kernkompetenzen<br />
<strong>de</strong>s DLR liegen. Ein Beispiel möchte ich<br />
noch nennen, weil es bereits heute von beson<strong>de</strong>rer<br />
Relevanz ist: Maritime Sicherheit.<br />
Die Relevanz hat auch die Politik erkannt<br />
und dafür gesorgt, dass wir bereits in diesem<br />
Jahr mit unserem schwerpunkt- und<br />
län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Forschungsprojekt<br />
„F&E und Echtzeitdienste für die Maritime<br />
Sicherheit“ starten können. In <strong>de</strong>m Projekt<br />
sollen die DLR-Kompetenzen aus <strong>de</strong>n Bereichen<br />
Erdbeobachtung, Kommunikation und<br />
Navigation, Flugführung sowie Hafensicherheit<br />
gebün<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Ziel ist es, die Realisierung<br />
<strong>de</strong>s „Nationalen Masterplans Maritime<br />
Technologien“ <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministerium<br />
für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und<br />
das „Nationale Sicherheitsforschungsprogramm“<br />
<strong>de</strong>s BMBF zu unterstützen. Insgesamt<br />
wer<strong>de</strong>n acht DLR-Institute im Rahmen<br />
<strong>de</strong>s Projekts Beiträge zu <strong>de</strong>n Themen Umweltschutz,<br />
Piraterie und Sicherung <strong>de</strong>r europäischen<br />
Außengrenzen liefern.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie bin<strong>de</strong>n Sie das „Nationale<br />
Sicherheitsforschungsprogramm“ in Ihre<br />
Arbeit ein?<br />
Dr. Göge: Das „Nationale Sicherheitsforschungsprogramm“<br />
ist für uns von zentraler<br />
Be<strong>de</strong>utung, nicht zuletzt, weil wir zumin<strong>de</strong>st<br />
teilweise die Philosophie für unsere<br />
DLR-internen Vorhaben zur Sicherheitsforschung<br />
übernommen haben. Wir haben<br />
z. B. einige Vorhaben aufgelegt, bei <strong>de</strong>nen<br />
die Nutzer wie das Bun<strong>de</strong>samt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe (BBK)<br />
eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. So versuchen wir<br />
uns DLR-intern gut aufzustellen, um auch<br />
im „Nationalen Sicherheitsforschungsprogramm“<br />
erfolgreich zu sein.<br />
<strong>Homeland</strong>: Gibt es weitere Programme auf<br />
Lan<strong>de</strong>s-, Bun<strong>de</strong>s- und EU-Ebene, die Sie integrieren?<br />
Wo steht Deutschland im internationalen<br />
Vergleich?<br />
Dr. Göge: Es gibt viele Programme. Ein<br />
Beispiel ist das zuvor erwähnte Projekt zur<br />
maritimen Sicherheit. Dieses wird von <strong>de</strong>n<br />
Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Bremen, Bayern, Nie<strong>de</strong>rsachsen sowie vom<br />
BMWi und BMBF finanziert. Das allein zeigt<br />
die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Themas für Deutschland.<br />
Ein weiterer Fokus liegt auf <strong>de</strong>m FP 7 <strong>Security</strong><br />
bzw. <strong>de</strong>m Nachfolgeprogramm Horizon<br />
2020. Im FP 7 haben wir einige Projekte<br />
gewonnen und sind an einigen beteiligt. Für<br />
das DLR ist aber noch Luft nach oben. Die<br />
Fraunhofer-Gesellschaft hat gezeigt, dass<br />
man auf <strong>de</strong>m EU-Parkett erfolgreich agieren<br />
kann. Bezüglich Akquisition waren sie im<br />
FP 7 <strong>Security</strong> europaweit am erfolgreichsten.<br />
Sie sind jedoch auch national sehr gut<br />
aufgestellt. Aber auch die <strong>de</strong>utsche Industrie<br />
– ob KMU o<strong>de</strong>r Großkonzerne – sind im<br />
Bereich <strong>de</strong>r Sicherheit sehr gut aufgestellt.<br />
Ich wür<strong>de</strong> sagen, Deutschland nimmt im internationalen<br />
Vergleich eine absolute Spitzenposition<br />
ein.<br />
<strong>Homeland</strong>: Arbeiten Sie mit Unternehmen<br />
und weiteren Forschungseinrichtungen<br />
zusammen? Wie funktioniert die Abstimmung<br />
mit Partnern in Bund, Län<strong>de</strong>rn,<br />
Industrie und Wissenschaft – national und<br />
international?<br />
Dr. Göge: Wir kooperieren mit Wissenschaftseinrichtungen<br />
und Unternehmen aus<br />
<strong>de</strong>r Wirtschaft, national und international.<br />
Unsere Forschungsinstitute sind sehr gut<br />
vernetzt und arbeiten gezielt mit Universitäten,<br />
Forschungseinrichtungen o<strong>de</strong>r Industrieunternehmen<br />
im Rahmen von Projekten<br />
zusammen. Bei fachübergreifen<strong>de</strong>n, komplexen<br />
und ressortübergreifen<strong>de</strong>n Projekten<br />
sind <strong>de</strong>r Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong>, unsere<br />
58 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Sicherheitsforschung<br />
Fachvorstän<strong>de</strong> und ich gefragt, um die Themen<br />
politisch voranzutreiben, d. h. bei Abgeordneten<br />
und Ministerien zu bewerben.<br />
Als Beispiel dient hier erneut die maritime<br />
Sicherheit. Grundlage für ein solches Großprojekt<br />
ist zunächst <strong>de</strong>r Bedarf. Das Thema<br />
muss eine hohe gesellschaftliche und politische<br />
Relevanz aufweisen. Ferner muss die<br />
Forschungseinrichtung die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
Kompetenzen mitbringen, um ein Thema mit<br />
geeigneten Lösungen adressieren zu können.<br />
Die Grundlage bil<strong>de</strong>n also die laufen<strong>de</strong>n<br />
und zukünftigen Forschungsaktivitäten<br />
unserer Forschungsinstitute, am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
Tages ist damit aber auch immer ein Kraftakt<br />
<strong>de</strong>s Managements verbun<strong>de</strong>n, es zu<br />
schaffen, die entsprechen<strong>de</strong> Finanzierung<br />
für ein solches Thema zu sichern.<br />
Ein weiteres Beispiel zur Kooperation<br />
mit an<strong>de</strong>ren Forschungseinrichtungen: Das<br />
DLR ist eines von 18 Helmholtz-Zentren. Im<br />
letzten Jahr haben wir mit weiteren Helmholtz-Zentren<br />
das Querschnittsthema Sicherheitsforschung<br />
in <strong>de</strong>r Helmholtz-Gemeinschaft<br />
Deutscher Forschungszentren<br />
etabliert. Im Rahmen <strong>de</strong>r Aktivitäten wird<br />
je<strong>de</strong>s Zentrum seine Expertise einbringen,<br />
Synergiepotenziale in und zwischen <strong>de</strong>n einzelnen<br />
Zentren sollen ausgeschöpft wer<strong>de</strong>n.<br />
Somit entwickeln sich die Zentren in <strong>de</strong>n jeweiligen<br />
Kernkompetenzen weiter und erschließen<br />
sich gleichzeitig <strong>de</strong>n Zukunftsmarkt<br />
<strong>de</strong>r zivilen Sicherheitswirtschaft. Das<br />
DLR koordiniert das Thema und bringt seine<br />
Expertise u. a. im Bereich Space Situational<br />
Awareness (SSA) – Weltraumlage sowie bei<br />
<strong>de</strong>r Detektion von Gefahrstoffen und bei <strong>de</strong>r<br />
Sicherheit an Flughäfen mit ein.<br />
<strong>Homeland</strong>: Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe:<br />
Wie berücksichtigen Sie diese<br />
Bereiche in <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung? Welche<br />
aktuellen Projekte wer<strong>de</strong>n bearbeitet?<br />
Dr. Göge: Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
sind wichtige Themen. Beispiel<br />
ZKI (s. o.): Wir haben hier über Jahre<br />
in die Forschung investiert, um uns in die<br />
Position zu bringen, in <strong>de</strong>r wir jetzt sind;<br />
wir stellen einen 24/7 Service bereit. Natürlich<br />
forschen wir weiterhin im Bereich <strong>de</strong>r<br />
Fernerkundung und die Ergebnisse fließen<br />
stetig in das ZKI mit ein. Problematisch ist<br />
nur, dass wir auf lange Sicht finanzielle Mittel<br />
benötigen, um diesen Service aufrechterhalten<br />
und Scha<strong>de</strong>nskartierungen weltweit<br />
permanent anbieten zu können. Alle sind<br />
glücklich, dass es diesen Service gibt, <strong>de</strong>n<br />
es langfristig zu sichern gilt.<br />
Ansonsten gibt es weitere Themen, die<br />
wir auf EU-Ebene vorantreiben, z. B. das<br />
Projekt Alert 4 All: Hier geht es um die Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Effektivität von Alarmierung<br />
und Kommunikation <strong>de</strong>r Bevölkerung im<br />
Krisenfall über einen zentralen Service; hier<br />
ist noch Forschung erfor<strong>de</strong>rlich. Ein weiterer<br />
Bereich ist die Inertialsensorik bzw. die<br />
Entwicklung von Bewegungssensoren für<br />
Einsatzkräfte. Mit Hilfe von Inertialsensoren<br />
können Aktivitäten wie Sitzen, Gehen<br />
o<strong>de</strong>r Liegen für alle Menschen mit sehr hoher<br />
Zuverlässigkeit erkannt wer<strong>de</strong>n. Der<br />
Bewegungssensor, <strong>de</strong>n je<strong>de</strong>r Helfer an <strong>de</strong>r<br />
Hüfte trägt, hilft, dass das gesamte Team<br />
und die Einsatzleitung in Echtzeit wissen,<br />
ob ein Teammitglied z. B. gestürzt o<strong>de</strong>r einer<br />
Gefährdung ausgesetzt ist. Im Bereich<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
unternehmen wir einiges.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie schätzen Sie die weitere<br />
Entwicklung im Bereich Sicherheitsforschung<br />
ein?<br />
Dr. Göge: Entsprechend einer Studie <strong>de</strong>s<br />
VDI/VDE und <strong>de</strong>r Arbeitsgemeinschaft für<br />
Sicherheit <strong>de</strong>r Wirtschaft e. V. „Marktpotenzial<br />
von Sicherheitstechnologien und<br />
Sicherheitsdienstleistungen“ soll <strong>de</strong>r Zukunftsmarkt<br />
<strong>de</strong>r zivilen Sicherheitswirtschaft<br />
in Deutschland, <strong>de</strong>ssen Gesamtvolumen<br />
in 2008 bei rund 20 Mrd. Euro lag,<br />
auf rund 31 Mrd. Euro bis 2015 anwachsen.<br />
Das zeigt, dass wir mit <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung<br />
gut aufgestellt sind: Die Sicherheitsforschung<br />
wird dauerhaft ein großes Thema<br />
sein und an Be<strong>de</strong>utung gewinnen. Die Probleme<br />
wer<strong>de</strong>n komplexer, sodass Lösungen<br />
umfangreiche Forschung voraussetzen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wo sehen Sie <strong>de</strong>n Zukunftsmarkt?<br />
Was wünschen Sie sich für die<br />
Zukunft?<br />
Dr. Göge: „DLR – Wissen für Morgen.“ Das<br />
ist Teil unseres Leitbilds und unser Motto.<br />
Ich hoffe, dass wir in Zukunft ausreichend<br />
Wissen anhäufen wer<strong>de</strong>n, um für die komplexen<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zukunft einfache<br />
Lösungen parat zu haben.<br />
Dr. Dennis Göge<br />
Als Programmkoordinator<br />
ist <strong>de</strong>r 37-Jährige<br />
promovierte Bauingenieur<br />
DLR-übergreifend<br />
für die Sicherheitsforschung<br />
verantwortlich.<br />
Er ist als Vorstandsbeauftragter<br />
tätig und berichtet<br />
direkt an <strong>de</strong>n<br />
Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>s DLR. Der Korbacher<br />
kann auf insgesamt<br />
zwölf Jahre Erfahrung<br />
in <strong>de</strong>n Bereichen Forschung<br />
und Technologie<br />
sowie in <strong>de</strong>r Verteidigungs-<br />
und Sicherheitsforschung<br />
verweisen.<br />
Dr. Dennis Göge begleitet<br />
in Fachgremien seit<br />
Jahren die nationale und<br />
internationale Sicherheits-<br />
und Verteidigungsforschung<br />
und berät u.<br />
a. das Bun<strong>de</strong>sministerium<br />
für Wirtschaft und<br />
Technologie sowie das<br />
Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r<br />
Verteidigung. Darüber<br />
hinaus wur<strong>de</strong> Dr. Dennis<br />
Göge von <strong>de</strong>r Helmholtz-<br />
Gemeinschaft zum koordinieren<strong>de</strong>n<br />
Sprecher<br />
<strong>de</strong>s Querschnittsthemas<br />
„Sicherheitsforschung“<br />
ernannt. Bevor er als<br />
Programmkoordinator<br />
berufen wur<strong>de</strong>, war er<br />
als Executive Officer bei<br />
<strong>de</strong>r NATO in Neuilly-sur-<br />
Seine, Frankreich, aktiv.<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 59
Industrie<br />
Kettenschild im Einsatz gegen Piratenangriffe<br />
Das Entern von Schiffen erschweren<br />
Draufsicht mit Wasser<br />
Transportstellung<br />
Abwehr Seite<br />
Damit Ree<strong>de</strong>reien ihre<br />
Schiffe und Besatzungen<br />
schützen können, gibt es<br />
direkt an <strong>de</strong>n Schiffen<br />
angebrachte Abwehrsysteme,<br />
wie z. B. Wasserwerfer.<br />
Sie dienen dazu,<br />
das Entern von Schiffen<br />
durch Piraten zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Ein Kettenschild<br />
gegen Piratenangriffe hat<br />
<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Ingenieur<br />
Heinz Weiß entwickelt: „Anfang 2011<br />
habe ich mich mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Seepiraterie<br />
befasst. Ich wollte nicht hinnehmen,<br />
dass es in unserem technischen Zeitalter<br />
keine an<strong>de</strong>re Möglichkeit zur Abwehr<br />
<strong>de</strong>r Seepiraten geben sollte als Stacheldraht,<br />
Abschmierfett, Elektrozaun, Wasserschläuche,<br />
Schallkanonen und bewaffnetes<br />
Sicherheitspersonal.“<br />
Sein Anti-Schiffs-Enter-System (ASES)<br />
unterstützt die Abwehr von Angriffen als<br />
nicht-letales Gerät. Die I<strong>de</strong>e zu diesem<br />
System erscheint unkonventionell und<br />
entwickelte sich bei einer Fahrt auf <strong>de</strong>r Autobahn,<br />
als Weiß im Vorbeifahren einen Mitarbeiter<br />
<strong>de</strong>r Straßenmeisterei beobachtete,<br />
<strong>de</strong>r mit einer Motorsense Gras abmähte. Die<br />
Fliehkraft <strong>de</strong>r rotieren<strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>nen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Motorsense brachte ihn auf die I<strong>de</strong>e, dieses<br />
Prinzip auch mit Ketten an einem schnell<br />
laufen<strong>de</strong>n Rotor anzuwen<strong>de</strong>n.<br />
Die Ketten-Rotoren sind an allen Seiten<br />
<strong>de</strong>s Schiffes befestigt und wer<strong>de</strong>n bei Bedarf<br />
per Knopfdruck aktiviert. Bei normaler<br />
Fahrt befin<strong>de</strong>n sich die Seitenschwenkarme<br />
mit <strong>de</strong>n montierten Rotoren in Transportstellung,<br />
um eine Behin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Schiffsbetriebs<br />
zu vermei<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Aktivierung<br />
wer<strong>de</strong>n sie in Abwehrstellung gebracht, in<strong>de</strong>m<br />
sie ausschwenken. Der am Kranarmen<strong>de</strong><br />
montierte Rotorkopf bringt das Kettenrad<br />
mit hoher Drehzahl zur Rotation. Bei<br />
Rotation tauchen die Ketten ins Meerwasser<br />
und erzeugen somit eine Wasserwand,<br />
die die Sicht auf das Schiff einschränkt und<br />
das Entern erschwert bzw. ganz verwehrt<br />
wird. Durch die hohe Drehzahl <strong>de</strong>r gegenläufig<br />
rotieren<strong>de</strong>n Kettenrä<strong>de</strong>r und die Anzahl<br />
<strong>de</strong>r montierten Ketten wird eine fast<br />
undurchdringliche „Kettenwand“ erzeugt.<br />
Diese verhin<strong>de</strong>rt zu<strong>de</strong>m, dass Geschosse<br />
(Panzerfaust-RPG) das Schiff treffen, in<strong>de</strong>m<br />
sie diese ablenkt. Die Kettenumdrehungsgeschwindigkeit<br />
liegt bei ca. 1.000 Km/h; das<br />
entspricht 280 m/<strong>sec</strong>. „Bei Rotor-Stopp wickeln<br />
sich die Ketten automatisch auf die<br />
Kettenachse auf. Bei erneutem Start drängen<br />
die Ketten in dieser Halteposition mit<br />
steigen<strong>de</strong>r Drehzahl wie<strong>de</strong>rum nach außen,<br />
wie bei <strong>de</strong>r Motorsense. So kann <strong>de</strong>r Vorgang<br />
beliebig oft wie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n“, ergänzt<br />
Weiß.<br />
ASES stellt ein vollautomatisches, mechanisches<br />
Hydraulik-Abwehrsystem dar.<br />
In Aktion lässt es sich we<strong>de</strong>r durch Beschuss<br />
noch von Piratenhand stoppen. Bei<br />
Nebel o<strong>de</strong>r Nachtfahrt kann das System<br />
über Sensoren bei Halblast in Abwehrstellung<br />
gehalten wer<strong>de</strong>n, sodass auch dann die<br />
Sicherheit <strong>de</strong>s Schiffes gewährleistet ist.<br />
Das System eignet sich für je<strong>de</strong>s Hochseeschiff<br />
und kann über ein Schnellwechselsystem<br />
von einem Schiff auf ein an<strong>de</strong>res Schiff<br />
übertragen wer<strong>de</strong>n. Dazu müssen auf <strong>de</strong>m<br />
Schiff nur Adapterplatten zur Aufnahme <strong>de</strong>s<br />
ASES eingebaut wer<strong>de</strong>n.<br />
60 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Historie<br />
Der Wahrheit verpflichtet –<br />
frei von politischen Einflüssen<br />
Internationales Maritimes Museum Hamburg – Das Schiff<br />
als Mittelpunkt <strong>de</strong>r Weltgeschichte<br />
Mit <strong>de</strong>m Internationalen Maritimen Museum<br />
hat die Sammlung von Professor Peter<br />
Tamm eine dauerhafte Heimat in <strong>de</strong>r Freien<br />
und Hansestadt Hamburg gefun<strong>de</strong>n. Seit<br />
<strong>de</strong>m 25. Juni 2008 ist diese weltweit größte<br />
maritime Privatsammlung im historischen<br />
Kaispeicher B in <strong>de</strong>r HafenCity einquartiert.<br />
Durchschnittlich besuchen im Jahr<br />
ca. 100.000 Interessierte das Museum, das<br />
von <strong>de</strong>r Peter Tamm Sen. Stiftung betrieben<br />
wird. Auf neun Decks wer<strong>de</strong>n Exponate<br />
zu <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Themenbereichen<br />
gezeigt:<br />
--Navigation und Kommunikation,<br />
--Unter Segeln und Piraten,<br />
--Schiffs- und Maschinenbau,<br />
--Dienst an Bord und Uniformen,<br />
--Marinen <strong>de</strong>r Welt,<br />
--Passagierschiffe und Han<strong>de</strong>lsschifffahrt,<br />
--Meeresforschung und Expeditionen,<br />
--Gemäl<strong>de</strong>galerie und Schatzkammer,<br />
--Die große Welt <strong>de</strong>r kleinen Schiffe.<br />
Im Alter von fünf Jahren erhielt Professor<br />
Peter Tamm von seiner Mutter ein kleines<br />
Mo<strong>de</strong>llschiff geschenkt; seit<strong>de</strong>m sammelte<br />
er mit großer Lei<strong>de</strong>nschaft. Peter Tamm<br />
grün<strong>de</strong>te die Peter Tamm Sen. Stiftung mit<br />
<strong>de</strong>m Ziel, „nachfolgen<strong>de</strong> Generationen für<br />
die Seefahrt zu begeistern und ihnen <strong>de</strong>ren<br />
Wichtigkeit für die Prosperität <strong>de</strong>r Weltbevölkerung<br />
zu ver<strong>de</strong>utlichen. Meine Absicht<br />
ist es mitzuhelfen, um Geschichte in Dokumenten<br />
erfahrbar zu machen, wissenschaftliche<br />
Forschung zu ermöglichen, Kunst und<br />
Kultur als historisches Gewissen einer Nation<br />
zu bewahren und daraus zu lernen, frei<br />
von politischen Strömungen und momentanen<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Zeitgeistes.“ <strong>Homeland</strong><br />
<strong>Security</strong> sprach mit Professor Peter<br />
Tamm und Holger von Neuhoff, Presseprecher<br />
und Ausstellungsmacher.<br />
<strong>Homeland</strong>: Piraten-Romantik à la Störtebeker:<br />
Ist das ein verklärter, unsachgemäßer<br />
Blick? O<strong>de</strong>r ist es ein Blick nach hinten, wo<br />
wir <strong>de</strong>r Seefahrerromantik verfallen?<br />
Tamm: Die Frage ist nicht <strong>de</strong>s Blickes, son<strong>de</strong>rn<br />
die Frage ist, wie will ich Geschichte<br />
wie<strong>de</strong>rgeben und transportieren. Piraten<br />
sind Bestandteil <strong>de</strong>r Geschichte. Deshalb<br />
müssen wir nicht alles, was in <strong>de</strong>r Geschichte<br />
vorkommt, wie Kriege, schön fin<strong>de</strong>n. Aber<br />
wir müssen <strong>de</strong>r Wahrheit entsprechend darüber<br />
berichten. In <strong>de</strong>r Satzung dieses Hauses<br />
steht: „Der Wahrheit verpflichtet, frei<br />
von allen politischen Einflüssen“. Und Piraterie,<br />
Räuber, Diebe – was auch immer –<br />
hat es immer gegeben und wird es auch immer<br />
geben, weil die Menschen so sind, wie<br />
sie sind. Das ist die Basis. Piraten sind auf<br />
See – auch in einem Schifffahrtsmuseum.<br />
Wir reflektieren in diesem Museum 3.000<br />
Jahre Schifffahrtsgeschichte. Wir sind das<br />
einzige Museum weltweit, das international<br />
darstellt. Das ist für mich erstaunlich, <strong>de</strong>nn<br />
Schifffahrt kann nur international funktionieren.<br />
Siebzig Prozent <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bestehen<br />
aus Wasser: Wie wären die Menschen ohne<br />
Schiff zusammen gekommen? Für mich ist<br />
das Schiff Mittelpunkt <strong>de</strong>r Weltgeschichte.<br />
Ohne Schiff hätte es keine gegeben;<br />
durch <strong>de</strong>n Atlantik o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Indischen Ozean<br />
zu schwimmen, ist etwas mühsam. Man<br />
braucht einen Untersatz und <strong>de</strong>r ist das<br />
Schiff für uns.<br />
<strong>Homeland</strong>: Im Museum stellt das Schiff<br />
<strong>de</strong>n zentralen Punkt dar?<br />
Tamm: Ja, ein Schiff kombiniert alles. Für<br />
mich ist auch Folgen<strong>de</strong>s interessant: Wenn<br />
ein Mensch an <strong>de</strong>r Elbe spazieren geht und<br />
ein großes Schiff vorbei fährt, ist diesem<br />
Menschen überhaupt nicht klar, was dort<br />
vorbeifährt. An diesem Schiff sind Tausen<strong>de</strong><br />
von Menschen beteiligt, hun<strong>de</strong>rte von<br />
Unternehmen involviert, weltweit, überall,<br />
sie haben zugeliefert, um dann dieses<br />
Instrument – im Grun<strong>de</strong> ist ein Schiff ein<br />
Dr. Nadine Seumenicht<br />
im Gespräch mit<br />
Peter Tamm<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 61
Historie<br />
Ausschnitt <strong>de</strong>s Batterie<strong>de</strong>cks<br />
einer britischen<br />
Korvette um 1815 - Korvetten<br />
waren kleinere<br />
Segelkriegsschiffe <strong>de</strong>r<br />
Royal Navy; sie wur<strong>de</strong>n<br />
u. a. zum Kampf gegen<br />
Piraten eingesetzt.<br />
Hier lagern Exponate,<br />
die in <strong>de</strong>r aktuellen Ausstellung<br />
nicht zu sehen<br />
sind und bei Bedarf<br />
ausgetauscht wer<strong>de</strong>n.<br />
Staat – zusammenzubringen. Und auch die<br />
Ästhetik spielt eine tragen<strong>de</strong> Rolle. Nach<br />
<strong>de</strong>r Strömungstheorie gibt es keinen viereckigen<br />
Vogel, es gibt kein viereckiges Flugzeug,<br />
es gibt auch kein viereckiges Unterwasserschiff.<br />
Über Wasser sieht ein Schiff<br />
meistens an<strong>de</strong>rs aus, aber unter Wasser<br />
wer<strong>de</strong>n sie sich immer an die Naturgesetze<br />
zu halten haben. Und die zwingen zur<br />
Schönheitsästhetik und zum Angenehmen.<br />
Auch eine Schiffschraube. Die ist doch als<br />
Eyecatcher angenehm anzusehen: Was wäre<br />
die Welt ohne Schiffschraube?<br />
<strong>Homeland</strong>: Gibt es etwas Vergleichbares zu<br />
Ihrem Museum?<br />
Tamm: Die meisten Schifffahrtsmuseen<br />
sind national, lokal o<strong>de</strong>r regional aufgestellt.<br />
Dass jemand die Schifffahrt als solche<br />
mit <strong>de</strong>m Schiff als Mittelpunkt darstellt und<br />
dazu auch noch weltweit über zwei- bis dreitausend<br />
Jahre Geschichte integriert, gibt es<br />
nicht ein zweites Mal.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie sind auch zur See gefahren.<br />
In welcher Funktion?<br />
Tamm: Ganz unterschiedlich. Zunächst kurze<br />
Zeit als Seeka<strong>de</strong>tt. Nach <strong>de</strong>m Krieg habe<br />
ich häufig angemustert und größere Fahrten<br />
gemacht.<br />
<strong>Homeland</strong>: Warum haben Sie sich für eine<br />
Abteilung „Piraten“ entschie<strong>de</strong>n?<br />
Tamm: Wir haben einen kleinen Bereich Piraterie,<br />
<strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re von unseren „kleinen“<br />
Besuchern stark frequentiert wird. Sie<br />
lieben es, sich als Piraten zu verklei<strong>de</strong>n. Hier<br />
wer<strong>de</strong>n die Kin<strong>de</strong>r frühzeitig angelernt, damit<br />
sie auch in Zukunft Piraterie betreiben.<br />
Piraterie hat immer einen beson<strong>de</strong>ren Reiz.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re haben wir viele Unterlagen<br />
aus <strong>de</strong>m Mittelalter.<br />
von Neuhoff: Wir kooperieren mit <strong>de</strong>r Helmut-Schmidt-Universität;<br />
hier z. B. in Form<br />
von Symposien zum Thema „Piraterie“.<br />
<strong>Homeland</strong>: Ist das Museum nach Themen<br />
aufgeteilt o<strong>de</strong>r wird eine Zeitachse<br />
abgebil<strong>de</strong>t?<br />
Schiffbau, eine Etage Kriegsschiffe, eine<br />
Etage Passagierschiffe, eine Etage Han<strong>de</strong>lsschiffe,<br />
eine Etage Navigation und so weiter.<br />
Das sind in sich immer geschlossene Themen,<br />
die sich allerdings nach <strong>de</strong>m Zeitablauf<br />
richten. So z. B. <strong>de</strong>r Bereich Navigation: Wie<br />
hätten wir mit <strong>de</strong>n Schiffen fahren sollen,<br />
wenn es die Navigation nicht gegeben hätte?<br />
Diese hat einen Anfang und ist extrem<br />
wichtig. Tiefseeforschung ist ein neues Gebiet,<br />
welches wir thematisieren und haben<br />
diesem eine weitere Etage gewidmet, <strong>de</strong>nn:<br />
Auf <strong>de</strong>m Mond waren wir bereits, aber eben<br />
noch nicht ganz unten. Die Bevölkerung<br />
nimmt stetig zu, die Ansprüche steigen und<br />
die Ressourcen wer<strong>de</strong>n immer knapper. Wo<br />
liegt unsere Zukunft? Vermutlich da unten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie meinen damit ausschließlich<br />
die Rohstoffe?<br />
Tamm: Alles. Wir lernen eine Menge, wie<br />
etwas entsteht, unter welchen Umstän<strong>de</strong>n.<br />
Und das betrifft auch die Rohstoffe. Das ist<br />
nur ein Teil davon. Es ist unglaublich, was<br />
es in vier- bis zehntausend Metern Tiefe<br />
an Lebensverbün<strong>de</strong>n, Tieren und Pflanzen<br />
gibt. Für uns ist das hier oben unvorstellbar.<br />
Es ist so ähnlich wie auf <strong>de</strong>m Mond.<br />
Das ist die an<strong>de</strong>re Seite; wir sitzen sozusagen<br />
dazwischen. Es gilt, dieses festzuhalten:<br />
immer vom Menschen aus betrachtet,<br />
also Menschheitsgeschichte im Kontext mit<br />
<strong>de</strong>r Umwelt, in <strong>de</strong>r wir leben. Dort ist das<br />
Schiff überhaupt nicht wegzu<strong>de</strong>nken, son<strong>de</strong>rn<br />
es ist <strong>de</strong>r wesentliche Bestandteil. Dieses<br />
möchten wir <strong>de</strong>n Besuchern vermitteln,<br />
vor allem aber auch <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn. Wir legen<br />
großen Wert darauf, frühzeitig zu sensibilisieren:<br />
Wer hier durchgeht, entwickelt die<br />
eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r erhält Anregungen<br />
– gera<strong>de</strong> als junger Mensch – und <strong>de</strong>nkt<br />
darüber nach. Wenn uns das gelingt, haben<br />
wir eine Menge geschafft, nachzu<strong>de</strong>nken –<br />
was zeitweise aus <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong> gekommen ist.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie sind quasi die Keimzelle für<br />
das Museum?<br />
Tamm: Ohne mich wür<strong>de</strong> es das alles hier<br />
nicht geben.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie ist es dazu gekommen?<br />
Tamm: Bei<strong>de</strong>s. Erst einmal natürlich immer<br />
im Zeitablauf: Wir haben eine Etage<br />
Tamm: Zuerst muss ich sagen, dass meine<br />
Familie auch schon über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
62 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
Historie<br />
hinweg eng mit <strong>de</strong>r Seefahrt verbun<strong>de</strong>n war.<br />
Und meine Mutter machte eines Tages – das<br />
war 1933 – <strong>de</strong>n entsetzlichen Fehler, mir ein<br />
Schiffsmo<strong>de</strong>ll zu schenken. Da war ich fünf.<br />
Das Mo<strong>de</strong>ll war klein, kostete im Kin<strong>de</strong>rparadies<br />
50 Pfennig und wenn sie geahnt hätte,<br />
was sie damit anrichtet, hätte sie mir es<br />
vielleicht doch nicht geschenkt. Dem ersten<br />
Mo<strong>de</strong>ll folgte das zweite und dann kam das<br />
erste Buch und es nahm seinen Lauf… Ehe<br />
sie sich versehen, haben sie eine unglaublich<br />
breite Plattform. Diese zog mich in ihren<br />
Bann. Ich kann nur empfehlen, früh mit<br />
<strong>de</strong>m Sammeln anzufangen.<br />
<strong>Homeland</strong>: Das war sozusagen Ihr Anstoß.<br />
Dann gab es eine Spanne danach. Die logische<br />
Konsequenz war und ist dieses internationale<br />
Museum.<br />
Tamm: Es gab keine Spanne danach, son<strong>de</strong>rn<br />
eine gera<strong>de</strong> Linie. Aber sie brauchen<br />
70 Jahre, um soweit zu sein wie wir. Das<br />
kommt nicht von ungefähr, son<strong>de</strong>rn es baut<br />
sich sukzessive auf. Je früher sie anfangen,<br />
<strong>de</strong>sto „schlimmer“ ist das Ergebnis. Je später<br />
sie anfangen, <strong>de</strong>sto weniger kann passieren.<br />
Wenn sie mit 70 Jahren vorhaben, eine<br />
solche Sammlung auf die Beine zu stellen,<br />
wer<strong>de</strong>n sie das nie schaffen. Aber wenn sie<br />
mit fünf Lebensjahren beginnen, haben sie –<br />
wie sie sehen – durchaus die Chance dazu.<br />
<strong>Homeland</strong>: Sie haben viele Sponsoren?<br />
Tamm: Wir haben För<strong>de</strong>rer, Sponsoren und<br />
einen großen Freun<strong>de</strong>skreis. Wir befin<strong>de</strong>n<br />
uns im dritten Jahr und können uns schon<br />
über 100.000 Besucher pro Jahr freuen.<br />
Aber es wären noch mehr, wenn die Verkehrsumstän<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>r Speicherstadt nicht<br />
so schlecht wären. Ein Viertel unserer Besucher<br />
sind Auslän<strong>de</strong>r; damit haben wir <strong>de</strong>n<br />
größten Auslän<strong>de</strong>ranteil aller Hamburger<br />
Museen. Die sind uns sehr wichtig, weil sie<br />
für uns werben. Überall in <strong>de</strong>r Welt – gera<strong>de</strong><br />
in China – wer<strong>de</strong>n große Schifffahrtsmuseen<br />
gebaut; die Chinesen ent<strong>de</strong>cken gera<strong>de</strong><br />
ihre Schifffahrtsgeschichte und drängen mit<br />
Macht auf <strong>de</strong>n Markt.<br />
Tamm: Dafür bin ich nicht zuständig. Ich<br />
hätte gerne die alten Straßennamen beibehalten.<br />
Die Straße hieß früher Mag<strong>de</strong>burger<br />
Straße. Wir befin<strong>de</strong>n uns in <strong>de</strong>m ältesten<br />
erhaltenen Speicher Hamburgs. Früher kamen<br />
die Waren aus Mittel<strong>de</strong>utschland, aus<br />
<strong>de</strong>m Großraum Mag<strong>de</strong>burg, wur<strong>de</strong>n hier<br />
umgela<strong>de</strong>n und dann auf die Seeschiffe verla<strong>de</strong>n.<br />
Entsprechend umgekehrt auch. Die<br />
früheren Straßennamen hatten durchaus ihren<br />
tieferen Sinn. Heute ist das an<strong>de</strong>rs: an<strong>de</strong>re<br />
Zeiten, an<strong>de</strong>re Sitten.<br />
<strong>Homeland</strong>: Der Hauptteil <strong>de</strong>r Sammlung<br />
besteht aus Ihren persönlichen Exponaten?<br />
Tamm: Zu 100 Prozent. Ich kann mich nicht<br />
erinnern, dass irgen<strong>de</strong>twas Frem<strong>de</strong>s dazwischen<br />
ist. Ich erhalte aber auch von An<strong>de</strong>ren<br />
Exponate. Ungefähr wöchentlich erreichen<br />
uns Nachlässe. Die Angehörigen sind<br />
<strong>de</strong>r Ansicht, dass die Exponate hier am besten<br />
aufgehoben sind. Das ist auch für uns<br />
wichtig: bewahren und erhalten. Wir erben<br />
diese in <strong>de</strong>r Erwartung, dass wir sie gut behan<strong>de</strong>ln<br />
und erhalten. Dass sie nicht irgendwann<br />
zum Han<strong>de</strong>lsobjekt <strong>de</strong>gradiert o<strong>de</strong>r<br />
sogar entsorgt wer<strong>de</strong>n.<br />
Ungefähr 50 Prozent unseres Hauses befin<strong>de</strong>n<br />
sich in unserem Lager – allerdings<br />
so dargestellt, dass die Exponate vorzeigbar<br />
sind. Wenn wir diese mit ausstellen wür<strong>de</strong>n,<br />
wür<strong>de</strong>n die Ausstellungsräume nicht<br />
ausreichend Platz bieten. Manchmal „beschweren“<br />
sich Besucher über <strong>de</strong>n Umfang<br />
<strong>de</strong>r Sammlung und darüber, dass sie viele<br />
Stun<strong>de</strong>n Zeit benötigen, um sich alle Exponate<br />
anzusehen. Wenn wir die Exponate<br />
aus unserem Lager noch hinzu stellen wür<strong>de</strong>n,<br />
wür<strong>de</strong> sich die benötigte Zeit für <strong>de</strong>n<br />
Betrachter verdoppeln. Wir tauschen aber<br />
auch aus. Des Weiteren haben wir eine Bibliothek,<br />
fast eine Millionen Fotos, 60.000<br />
Originalbaupläne und unzählige Speisekarten.<br />
Es gibt zahlreiche Themen, die mit<br />
<strong>de</strong>r Schifffahrt direkt o<strong>de</strong>r indirekt in Verbindung<br />
stehen. Das zu erhalten, ist unsere<br />
Aufgabe, aber wir benötigen Platz. Ein Problem<br />
hat mich mein Leben lang begleitet: ein<br />
Mangel an Quadratmetern.<br />
Claas Störtebeker Denkmal<br />
in <strong>de</strong>r Hafencitiy<br />
Hamburg<br />
40.000 Schiffsmo<strong>de</strong>lle<br />
im Maßstab 1:1250 auf<br />
Deck 9<br />
<strong>Homeland</strong>: Hatte das einen Einfluss auf die<br />
Zuteilung <strong>de</strong>r Straßennamen? Das Museum<br />
befin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Koreastraße, umliegen<strong>de</strong><br />
Straßen heißen z. B. Shanghaiallee o<strong>de</strong>r<br />
Hongkongstraße.<br />
<strong>Homeland</strong>: Wie kam es dazu, dass Sie<br />
das Museum an diesem Standort realisiert<br />
haben?<br />
Tamm: Das ist <strong>de</strong>r pure Zufall. Ich hatte die<br />
<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 63
Hostorie/Impressum<br />
Internationales Maritimes<br />
Museum Hamburg<br />
Sammlung fast immer bei mir zuhause, aber<br />
irgendwann wur<strong>de</strong> es mir zu eng. Und natürlich<br />
musste ich mir aufgrund meines Alters<br />
Gedanken machen, wie es weitergeht<br />
und wie meine Sammlung erhalten bleiben<br />
kann. Wir sind eine Stiftung, wir brauchen<br />
viel Platz und agieren als selbstständige<br />
Gesellschaft. Wir begaben uns auf die<br />
Suche. Der frühere Wirtschaftssenator Peiner<br />
war uns dabei sehr behilflich. Irgendwann<br />
kamen wir auf dieses Gebäu<strong>de</strong>, das<br />
<strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> nach in einem schrecklichen<br />
Zustand war: das Älteste in Hamburg, ca.<br />
130 Jahre alt und mitten im Wasser stehend.<br />
Wir ließen uns darauf ein und hatten das<br />
Glück, mit einer ungewöhnlichen Architektin<br />
und einem sehr guten Bauunternehmen<br />
zusammenzuarbeiten. Die Architektin hat<br />
drei große Treppenhäuser eingebaut, die<br />
bei einer Deckenhöhe <strong>de</strong>r Decks von 2,20 m<br />
Weite vermitteln. Nun kommt es darauf an,<br />
wie es weitergeht. Wir brauchen Besucher<br />
– in <strong>de</strong>r Bauphase in <strong>de</strong>r Speicherstadt ist<br />
eine Anreise zu uns aufgrund <strong>de</strong>r jetzigen<br />
eher schlechten Verkehrsverhältnisse sehr<br />
schwierig – und wir brauchen För<strong>de</strong>rer sowie<br />
Stifter, <strong>de</strong>nn wir wollen weiterhin unabhängig<br />
sein.<br />
<strong>Homeland</strong>: Was wünschen Sie sich für die<br />
Zukunft?<br />
Tamm: Ich wünsche mir mehr Platz, mehr<br />
Besucher und vor allem auch mehr Verständnis<br />
von einigen Behör<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Homeland</strong>: Und Sie persönlich, was wünschen<br />
Sie sich?<br />
Tamm: Ich hoffe, dass ich noch lange gesund<br />
bleiben darf und Spaß an unserem Museum<br />
habe. Das weiß man ja in meinem Alter<br />
nie so genau.<br />
<strong>Homeland</strong>: Professor Tamm, herzlichen<br />
Dank für das Gespräch.<br />
Impressum<br />
Chefredakteurin: Dr. Nadine Seumenicht<br />
Herausgeberin: Dr. Nadine Seumenicht<br />
Beirat<br />
Vernetzte Sicherheit: Harald Kujat, General a. D.;<br />
Vernetzter Einsatz: Dr.-Ing. Andreas Groth; Ralph. D.<br />
Thiele, Oberst i. G<br />
Internationales Redaktionsteam<br />
Ressort Vernetzte Sicherheit: Dr. Stefan Queisser,<br />
Fregattenkapitän d. R. .; Michael Hartung, Oberleutnant<br />
d. R.<br />
Ressort Zivil-Militärische Zusammenarbeit:<br />
Hauke Muck, Oberstleutnant d. R. ; Michael Zacher,<br />
Major d. R.<br />
Ressort IT-<strong>Security</strong>: Georg Wenner, EDS-CSO Germ.<br />
Gov. a. D. Jim Litchko, CISSP-ISSEP, MBCI, MAS<br />
Ressort Robotics Unstructured Environments: Prof.<br />
Dr.-Ing./Univ. Tokio Thomas Bock<br />
Ressort Internationale Kriminalwissenschaften:<br />
Robert F. J. Harnischmacher<br />
Ressort Ausbildung und Training für die Sicherheit<br />
in <strong>de</strong>r Wirtschaft: Klaus-Dieter Jörn; Robert F. J.<br />
Harnischmacher<br />
Ressort Canada: Prof. Dr. Darryl Plecas<br />
Ressort China: Prof. Dr. Gu Minkang<br />
Ressort Japan, Korea: Prof. Dr. Minoru Yokoyama;<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Haruo Nishihara; Prof. Dr.-Ing./<br />
Univ. Tokio Thomas Bock<br />
Ressort Mexiko: Walter M. McKay, M.A.<br />
Ressort Norwegen: Superinten<strong>de</strong>nt Prof. Rune Glomseth;<br />
Prof. Dr. Petter Gottschalk<br />
Ressort Österreich: Hofrat Mag. Maximilian<br />
E<strong>de</strong>lbacher<br />
Ressort Polen: Prof. Dr. Dr. h.c. Brunon Holyst<br />
Ressort Südafrika: Prof. Dr. Cornelis Roelofse<br />
Ressort USA: Prof. Dr. Dilip K. Das; Prof. Dr. Otwin Marenin;<br />
Prof. Dr. Linda Keena<br />
Hauptstadtbüro Berlin: Heike Barnitzke<br />
Ressort Geschichte: M. A. Volker Hollmann<br />
Ressort Politik: Dipl. Verw. Joachim Zacher<br />
Ressort Wissenschaft: Prof. Dr.-Ing. Michael Gerke,<br />
Dr. Nadine Seumenicht<br />
Design und Layout: Christian Prünte<br />
Verlag:<br />
HOMELAND SECURITY UG<br />
(haftungsbeschränkt)<br />
Deilinghofer Straße 2, D-58675 Hemer<br />
Tel.: 02372-9 35 26 10<br />
Fax: 02372-9 35 26 19<br />
redaktion@<strong>homeland</strong>-<strong>sec</strong>.<strong>de</strong><br />
<strong>www</strong>.<strong>homeland</strong>-<strong>sec</strong>.<strong>de</strong><br />
Einzelbezugspreis:<br />
10,- EURO (inkl. Versand)<br />
Jahresabonnement:<br />
36,- EURO (4 Ausgaben inkl. Versand)<br />
Der Aktion Deutschland Hilft e. V. kommt pro Abo 1,-<br />
EURO zugute.<br />
Auflage:<br />
16.000 Exemplare<br />
ISSN 1614-3523 (Print)<br />
ISSN 2194-4849 (Online)<br />
Bildnachweis:<br />
Titelbild: Bun<strong>de</strong>swehr/PIZ Marine Djibouti<br />
Allied Maritime Command Naples, Bun<strong>de</strong>swehr/Florian<br />
Pridöhl, Hauptgefreiter, Clarion Defence and <strong>Security</strong>,<br />
Control Risks, DGAP, DLR, Fre<strong>de</strong>rik Euskirchen, Freiwillige<br />
Feuerwehr Freising, Michael Hartung, <strong>Homeland</strong><br />
<strong>Security</strong>, Hügin, Internationales Maritimes Museum,<br />
Landkreis Sonneberg, Narda Safety Test Solutions, RO-<br />
YAL DANISH EMBASSY, Royal Danish Navy, Securitas,<br />
Senatspressestelle Bremen, szenaris, Maarten Takens,<br />
THW OV Dinslaken, VDR, VOMATEC International,<br />
WEW, Heinz Weiß, Michael Zapf<br />
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<strong>de</strong>nen Links o<strong>de</strong>r Banner weiterführen. Die Gastbeiträge stellen nicht unbedingt<br />
die Meinung <strong>de</strong>r Redaktion dar.<br />
64 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>
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<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 65