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www.homeland-sec.de 2012 - Homeland Security

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<strong>2012</strong><br />

ISSN 1614-3523<br />

Maritime Sicherheit<br />

und Piraterie<br />

Die Lösung liegt an Land<br />

Katastrophenhilfe<br />

Basis im Fokus<br />

THW Dinslaken<br />

Sicherheitsforschung<br />

Vernetzte Sicherheit<br />

S. 12<br />

S. 42<br />

S. 57<br />

<strong>www</strong>.<strong>homeland</strong>-<strong>sec</strong>.<strong>de</strong><br />

Nationale Sicherheit - Bevölkerungsschutz - Katastrophenhilfe


Schutz kritischer Infrastrukturen<br />

Maritime Sicherheit ist auch unter Berücksichtigung aktueller Bedrohungsszenarien, insbeson<strong>de</strong>re<br />

durch <strong>de</strong>n internationalen Terrorismus, die Grundvoraussetzung für die funktionsfähige Liefer- und<br />

Transportkette weltweit. Sie beinhaltet Sicherheit für Schiff, Besatzung, Passagiere und Ladung<br />

sowie Sicherung <strong>de</strong>r Verkehrswege, <strong>de</strong>s Schiffsverkehrs in Häfen, <strong>de</strong>r Seeschifffahrtstraßen und die<br />

Sicherheit <strong>de</strong>r Anlaufhäfen als Umschlagplatz für Ladung und Passagiere.<br />

Spezialisierte Leistungen nach ISPS-Co<strong>de</strong><br />

Sicherheit für Hafenanlagen<br />

Mit Inkrafttreten <strong>de</strong>s ISPS-Co<strong>de</strong>s hat sich Securitas<br />

darauf eingestellt und spezialisiert. Erfor<strong>de</strong>rliches<br />

Personal mit Ausbildung und Qualifizierung<br />

nach ISPS-Co<strong>de</strong> sowie die für diese Aufgaben erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Technik können bereitgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ausser<strong>de</strong>m haben wir von <strong>de</strong>n DA <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r<br />

mit Seehäfen das Zertifikat „Recognized<br />

<strong>Security</strong> Organization“ (RSO) erhalten.<br />

Wir beraten Hafenunternehmen hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

spezifischen Sicherheitsanfor<strong>de</strong>rungen, erarbeiten<br />

Risikoanalysen und Sicherheitskonzepte, erstellen<br />

die erfor<strong>de</strong>rlichen Gefahrenabwehrpläne und<br />

stellen bei Anfor<strong>de</strong>rung auch <strong>de</strong>n PFSO.<br />

Der PFSO ist für die Erstellung und Umsetzung<br />

<strong>de</strong>s Gefahrenabwehrplans verantwortlich und<br />

führt die Einweisungen und Schulungen <strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />

sowie vorgeschriebene Übungen durch.<br />

Er ist allen Beschäftigten auf <strong>de</strong>r Hafenanlage weisungsbefugt,<br />

koordiniert die Sicherheitsbelange<br />

mit <strong>de</strong>n SSO <strong>de</strong>r Schiffe und legt gegebenenfalls<br />

zusätzliche Anfor<strong>de</strong>rungen fest.<br />

Bei Auslösen <strong>de</strong>r Gefahrenstufen durch die Behör<strong>de</strong>n<br />

leitet <strong>de</strong>r PFSO alle erfor<strong>de</strong>rlichen Maßnahmen<br />

ein und ist ständiger Ansprechpartner und<br />

Entscheidungsträger im Rahmen <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr<br />

von Hafenanlagen.<br />

Securitas – weltweite Kompetenz in Sicherheit. Aus einem breiten Spektrum spezialisierter Sicherheitsdienstleistungen, technologischer<br />

Komponenten sowie Beratung und Ermittlung entwickeln wir Angebote, die auf jeweilige Kun<strong>de</strong>nbedürfnisse maßgeschnei<strong>de</strong>rt<br />

sind und effektive Sicherheitslösungen ergeben. Überall – vom Einzelunternehmen bis zum komplexen Konzern,<br />

machen unsere 300.000 Beschäftigten weltweit <strong>de</strong>n Unterschied.<br />

maritime.<strong>sec</strong>uritas.<strong>de</strong>


Editorial<br />

Liebe Leserin,<br />

lieber Leser,<br />

Klaus Störtebeker und Gö<strong>de</strong>ke Michels wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Friesen mit offenen<br />

Armen begrüßt. Das geschah im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt direkt vor unseren<br />

Küstenstreifen. 32 Generationen o<strong>de</strong>r 800 Jahre später dreht sich<br />

das Bild. Die Piraten haben sich <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Globalisierung<br />

gestellt und ziehen ihre Bahnen vor <strong>de</strong>n Küsten Afrikas, Südostasiens,<br />

<strong>de</strong>s Indischen Subkontinents, Amerikas und <strong>de</strong>s Fernen Ostens.<br />

Ihre Antwort auf die zivilisierte Welt lautet: kapern, rauben, entführen<br />

und mor<strong>de</strong>n. Die zivilisierte Welt wird durch diese unehrenhafte Meute<br />

in ihrem zentralen Nervensystem, ihren Han<strong>de</strong>lswegen, stark getroffen<br />

und sucht nach Antworten.<br />

Bei <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n zuvor genannten „Piraten“ kommen wir unweigerlich<br />

ins romantische Schwärmen von „Freiheit und Abenteuer“ o<strong>de</strong>r gar<br />

„Gerechtigkeit“ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Erwehren von Unterdrückung. Sicher ist es<br />

menschlich, dass <strong>de</strong>r Blick nach hinten grundsätzlich auch alles Schlechte<br />

am En<strong>de</strong> – zumin<strong>de</strong>st mit einem Augenzwinkern – erstrahlen lässt.<br />

Das jedoch ist ein verklärter Blick, <strong>de</strong>nn auch vor acht Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />

gehörten die bei<strong>de</strong>n vorgenannten zu <strong>de</strong>n Raubrittern auf hoher See.<br />

Doch welche Antworten auf <strong>de</strong>n Angriff auf unsere zivilisierte Welt haben<br />

wir heute bereits entwickelt und suchen wir noch? Welche Lösungsmöglichkeiten<br />

bieten Legislative, Exekutive und die Industrie sowie die<br />

Forschung? In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen unterschiedliche Möglichkeiten<br />

zur Pirateriebekämpfung dar. Des Weiteren wer<strong>de</strong>n Sie im<br />

Nachgang Zeitzeugen bei einem Piratenangriff auf ein Han<strong>de</strong>lsschiff,<br />

<strong>de</strong>r Hansa Stavanger.<br />

Und wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, nach „Meer“ dürstet,<br />

empfehlen wir Ihnen einen Besuch im Internationalen Maritimen Museum<br />

in Hamburg und unsere iPad- und Android-Version Ihres Magazins<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong>.<br />

Ihre<br />

Dr. Nadine Seumenicht<br />

Herausgeberin<br />

Ein bisschen „Meer“ gab‘s bei <strong>de</strong>r Fahrt mit <strong>de</strong>m<br />

Speedboot. Mehr dazu ab S. 28.<br />

2 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Inhalt<br />

2 Editorial<br />

Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Katastrophenhilfe<br />

4 Kriesenherd Somalia<br />

10 Je<strong>de</strong>n Hoffnungsschimmer nutzen<br />

13 Die Lösung liegt an Land<br />

17 Piraterie ist völlig unromantisch<br />

20 Organisierte Kriminalität<br />

22 Gemeinsam stark<br />

24 Machbare Lösungen im Hier und Jetzt<br />

28 Weltweit einzigartig<br />

32 Geschäftsmo<strong>de</strong>ll Piraterie<br />

34 Man möchte nur noch flüchten…<br />

37 Entführung MS “HANSA STAVANGER”<br />

Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />

40 24/7 – hilfsbereit, kompetent,<br />

hoch motiviert<br />

Bevölkerungsschutz<br />

49 Ausbildung mit virtueller Realität?<br />

Tarifpolitik<br />

52 Jetzt jagen noch mehr <strong>de</strong>n einen Hasen<br />

Sicherheitsforschung<br />

56 Vernetzte Sicherheit<br />

60 Industrie<br />

Historie<br />

61 Der Wahrheit verpflichtet –<br />

frei von politischen Einflüssen<br />

64 Impressum<br />

38 Dekontaminationsübung „KALTE DUSCHE“<br />

4<br />

38<br />

40 56<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 3


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Michael Hartung<br />

Krisenherd Somalia<br />

Hintergrün<strong>de</strong> zur Piraterie am Horn von Afrika<br />

Deutschland beteiligt<br />

sich weiter an <strong>de</strong>r EU-<br />

Mission ATALANTA<br />

Die Region rund um<br />

das Horn von Afrika<br />

kann inzwischen wohl<br />

durchaus als chronischer<br />

Krisenherd bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>rs<br />

Somalia wird<br />

in diesem Zusammenhang<br />

immer wie<strong>de</strong>r als<br />

eine Art Para<strong>de</strong>beispiel<br />

für Staatszerfall und<br />

gescheiterte Staatlichkeit<br />

genannt. Bürgerkriege,<br />

Hungersnöte, Terrorismus und<br />

beson<strong>de</strong>rs die Piraterie – alles Probleme,<br />

für die bis heute keine Lösungen<br />

gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n konnten. Zwar ist <strong>de</strong>r<br />

afrikanische Kontinent seit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s kalten Krieges insgesamt wie<strong>de</strong>r etwas<br />

mehr in das Zentrum <strong>de</strong>s Interesses<br />

gerückt – zumeist auch mit seinen<br />

Problemen. Jedoch konnten nur diejenigen<br />

Staaten von diesem Interesse profitieren,<br />

welche auch etwas „zu bieten“<br />

hatten, etwa Bo<strong>de</strong>nschätze wie Erdöl,<br />

Gold o<strong>de</strong>r Diamanten. In Län<strong>de</strong>rn mit<br />

solchen Ressourcen besteht ein Interesse<br />

an einem Min<strong>de</strong>stmaß an Ordnung<br />

und Struktur, um Han<strong>de</strong>l zu treiben und<br />

einen Zugang zu diesen Ressourcen zu<br />

ermöglichen. Somalia hat nichts Derartiges<br />

zu bieten und so suchen sich die<br />

Menschen alternative Einkommensmöglichkeiten;<br />

mit bedrohlichen Auswirkungen<br />

auf die Schifffahrt in <strong>de</strong>r Region.<br />

Rückblick: Im Golf von A<strong>de</strong>n. Gegen drei<br />

Uhr morgens ent<strong>de</strong>ckt die Fregatte ein Skiff<br />

in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s International Recommen<strong>de</strong>d<br />

Transit Corridors (IRTC), einem von<br />

Marineeinheiten überwachten Bereich entlang<br />

einer <strong>de</strong>r Hauptschlaga<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s weltweiten<br />

Seeverkehrs. Als das Skiff die Anwesenheit<br />

<strong>de</strong>r Fregatte bemerkt, werfen<br />

die Personen an Bord einen Gegenstand ins<br />

Wasser und erhöhen ihre Geschwindigkeit.<br />

Auf <strong>de</strong>n Vi<strong>de</strong>oaufzeichnungen <strong>de</strong>r Fregatte<br />

ist <strong>de</strong>r Gegenstand ein<strong>de</strong>utig als eine von Piraten<br />

verwen<strong>de</strong>te Leiter zu erkennen. Damit<br />

besteht ein erstes Verdachtsmoment und die<br />

Verfolgung <strong>de</strong>s Skiffs wird aufgenommen.<br />

Die jetzt Piraterieverdächtigen ignorieren<br />

die Auffor<strong>de</strong>rung zu stoppen und reagieren<br />

we<strong>de</strong>r auf Durchsagen in englischer noch<br />

in arabischer Sprache. Erst nach mehreren<br />

Warnschüssen, abgegeben vom Bordhubschrauber<br />

<strong>de</strong>r Fregatte, stoppt das Skiff.<br />

Von <strong>de</strong>r Fregatte aus wird beobachtet, wie<br />

mehrere Waffen über Bord geworfen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Piraterieverdächtigen wer<strong>de</strong>n an<br />

Bord genommen und befragt. In <strong>de</strong>m Skiff<br />

fin<strong>de</strong>n sich weitere Beweismittel: Gewehrgranaten,<br />

Gewehrmunition, ein Laser-Entfernungsmesser,<br />

Treibstoff und Verpflegung<br />

für mehrere Tage. Bei <strong>de</strong>n Befragungen verstricken<br />

sich die Piraterieverdächtigen in<br />

Wi<strong>de</strong>rsprüche. Dabei fällt auf, dass einer<br />

von ihnen passabel Englisch spricht, ein<br />

weiterer Hinweis darauf, dass es sich um<br />

Piraten han<strong>de</strong>lt. Schließlich muss jemand<br />

nach einer Kaperung in <strong>de</strong>r Lage sein, sich<br />

mit <strong>de</strong>r Besatzung zu verständigen, um ihr<br />

Anweisungen zu geben. Trotz<strong>de</strong>m geben die<br />

Verdächtigen vor, Menschenschmuggler zu<br />

sein und die Waffen nur zum Schutz gegen<br />

„echte“ Piraten dabei gehabt zu haben. Erst<br />

als ihnen das Vi<strong>de</strong>o mit <strong>de</strong>r über Bord geworfenen<br />

Leiter gezeigt wird, entschei<strong>de</strong>n<br />

sie, lieber nichts mehr zu sagen.<br />

In Deutschland und bei <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r<br />

Operation ATALANTA beschäftigt man sich in<br />

<strong>de</strong>r Zwischenzeit mit <strong>de</strong>r Frage, wie mit <strong>de</strong>n<br />

aufgegriffenen Personen weiter zu verfahren<br />

ist. Gemäß <strong>de</strong>r gültigen Standard Operating<br />

Procedures (SOPs) für <strong>de</strong>n Einsatz wür<strong>de</strong>n<br />

die Indizien für die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens<br />

ausreichen. Nur fin<strong>de</strong>t sich kein<br />

Land, welches zu einem solchen Verfahren<br />

bereit wäre. Kenia gibt an, mit bereits 64 Piraterieverdächtigen<br />

überlastet zu sein. Die<br />

Seychellen zeigen auch kein Interesse und<br />

Deutschland lehnt mit <strong>de</strong>r Begründung ab,<br />

dass keine <strong>de</strong>utschen Interessen direkt betroffen<br />

seien. Schließlich wer<strong>de</strong>n die Piraterieverdächtigen,<br />

nach zehn Tagen an Bord<br />

<strong>de</strong>r Fregatte, in ihrem Skiff direkt vor <strong>de</strong>r<br />

Küste Somalias wie<strong>de</strong>r in die Freiheit entlassen.<br />

Nur die Ausrüstung und die Munition<br />

wer<strong>de</strong>n als Asservate behalten.<br />

Dieses Beispiel aus einem <strong>de</strong>r ersten Kontingente<br />

<strong>de</strong>r EU geführten Anti-Pirateriemission<br />

4 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

ATALANTA zeigt nur einige <strong>de</strong>r Schwierigkeiten,<br />

die bei diesen Einsätzen auftreten:<br />

Wie lassen sich Piraten ein<strong>de</strong>utig i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

und was geschieht, wenn tatsächlich<br />

Verdächtige aufgegriffen wer<strong>de</strong>n? Heute<br />

konzentriert man sich daher mehr darauf,<br />

Waffen und Ausrüstung <strong>de</strong>r Piraten zu zerstören,<br />

sei es auf See o<strong>de</strong>r an Land. Verdächtige<br />

Personen wer<strong>de</strong>n nur noch in Gewahrsam<br />

genommen, wenn ihnen ein konkreter<br />

Angriff o<strong>de</strong>r Angriffsversuch nachgewiesen<br />

wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Es stellt sich die Frage, wie es überhaupt<br />

zu dieser Situation kommen konnte? Was<br />

treibt die Menschen in Somalia dazu, ihr Leben<br />

bei <strong>de</strong>m Versuch Schiffe auf hoher See<br />

zu entführen, aufs Spiel zu setzen? Ein Teil<br />

<strong>de</strong>r Antwort liegt wohl in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s begrün<strong>de</strong>t.<br />

Keim <strong>de</strong>r Zerstörung<br />

Schon in <strong>de</strong>r vorkolonialen Zeit war die somalische<br />

Sozialstruktur und Kultur durch<br />

eine starke Segmentierung gekennzeichnet.<br />

Grundlage <strong>de</strong>r somalischen Gesellschaft bil<strong>de</strong>te<br />

<strong>de</strong>r Clan, in welchem alle sozialen und<br />

politischen Angelegenheiten geregelt wur<strong>de</strong>n.<br />

Im Verlauf <strong>de</strong>r Kolonialzeit wur<strong>de</strong> das<br />

Land zwischen <strong>de</strong>n europäischen Kolonialmächten<br />

(Frankreich, Großbritannien und<br />

Italien) und <strong>de</strong>m Nachbarn Äthiopien aufgeteilt.<br />

Bis heute gibt es ein Entwicklungsgefälle<br />

von Nor<strong>de</strong>n nach Sü<strong>de</strong>n, da sich die<br />

Regionen unter ihren kolonialen Besatzern<br />

unterschiedlich entwickelten.<br />

Trotz dieser Segmentierung, Kriegen<br />

zwischen <strong>de</strong>n Clans und unterschiedlichen<br />

Entwicklungen gelang es <strong>de</strong>n Somalis doch<br />

immer wie<strong>de</strong>r, sich gegen Fein<strong>de</strong> von außen<br />

zu verteidigen. Ein sich gegen die Besatzungsmächte<br />

formieren<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand und<br />

ein damit einhergehen<strong>de</strong>r aufkommen<strong>de</strong>r<br />

Nationalismus führten schließlich zur Unabhängigkeit<br />

Somalias.<br />

Damit waren die Probleme, welche durch<br />

die Kolonialherrschaft entstan<strong>de</strong>n waren, jedoch<br />

nicht gelöst. Im Gegenteil, es ergaben<br />

sich sogar neue Probleme, etwa durch die<br />

Machtverschiebung zwischen <strong>de</strong>n Clans.<br />

Zugespitzt lässt sich also formulieren, dass,<br />

nach<strong>de</strong>m die einen<strong>de</strong> Klammer <strong>de</strong>r kolonialen<br />

Besatzung weggefallen war, die alten<br />

Konflikte zwischen <strong>de</strong>n Clans – wenn auch<br />

in verän<strong>de</strong>rter Form – wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund<br />

traten.<br />

Der Kampf um die politische<br />

Vorherrschaft<br />

führte schließlich 1969<br />

zur Machtübernahme <strong>de</strong>s<br />

Militärs unter Siad Barre.<br />

„Das unter Barre errichtete<br />

Herrschaftssystem<br />

trug allerdings bereits<br />

<strong>de</strong>n Keim zur Zerstörung<br />

<strong>de</strong>s somalischen Staates<br />

in sich.“ 1 Grün<strong>de</strong> hierfür<br />

waren hauptsächlich die<br />

diktatorische Unterdrückung<br />

und die machtpolitische Instrumentalisierung<br />

<strong>de</strong>s Clansystems. Auch die organisierte<br />

Ressourcenplün<strong>de</strong>rung und die<br />

Lieferung von Waffen aus Ost und West trugen<br />

zum Nie<strong>de</strong>rgang von Gesellschaft und<br />

Wirtschaft bei. 2 Was folgte, war ein bisher<br />

beispielloser Staatszerfall.<br />

Einfluss radikaler Islamisten<br />

Im Jahr 2006 marschierten äthiopische Truppen<br />

in Somalia ein. Äthiopien fühlte sich von<br />

<strong>de</strong>r radikal islamischen Gruppierung „Union<br />

islamischer Gerichte“ bedroht, welche zuvor<br />

die Kontrolle über weite Lan<strong>de</strong>steile übernommen<br />

hatte. Die 2004 eingesetzte Übergangsregierung<br />

Somalias versuchte mithilfe<br />

<strong>de</strong>r äthiopischen Truppen, die Kontrolle<br />

im Land zurückzugewinnen. Sie stieß jedoch<br />

auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Islamisten und weiter<br />

Teile <strong>de</strong>r Bevölkerung, die die Präsenz<br />

äthiopischer Truppen ablehnten. 3<br />

In <strong>de</strong>r Folge dieser Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

schwelte <strong>de</strong>r Konflikt weiter und flammte<br />

2007 erneut auf. Es gelang <strong>de</strong>n Islamisten,<br />

ihren Einfluss innerhalb <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

weiter auszubauen. Die wichtigste und<br />

mächtigste Gruppierung ist dabei die militante<br />

Al-Shabaab Miliz. Im Februar 2011<br />

startete die Übergangsregierung jedoch<br />

eine Offensive gegen die Milizen Al-Shabaab<br />

und Hizbul Islam, in <strong>de</strong>ren Verlauf es ihr gelang,<br />

sie aus <strong>de</strong>r Hauptstadt Mogadischu zu<br />

vertreiben. Die Al-Shabaab beherrscht seit<strong>de</strong>m<br />

jedoch weiterhin Gebiete in Süd- und<br />

Zentralsomalia. 4<br />

Nach<strong>de</strong>m das Mandat <strong>de</strong>r Übergangsregierung<br />

im August <strong>2012</strong> abgelaufen war,<br />

kam es in <strong>de</strong>m Land erstmals seit Jahrzehnten<br />

wie<strong>de</strong>r zu Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahlen. Der<br />

ehemalige Universitäts<strong>de</strong>kan Hassan Sheikh<br />

Mohamud setzte sich dabei gegen <strong>de</strong>n bisherigen<br />

Übergangspräsi<strong>de</strong>nten Scharif<br />

Freilassung von Piraterieverdächtigen<br />

vor <strong>de</strong>r<br />

Küste Somalias<br />

1<br />

Matthies, Volker (2007): Staatsbildung<br />

und Staatszerfall in Somalia.<br />

In: Wegweiser zur Geschichte. Horn<br />

von Afrika. Militärgeschichtliches<br />

Forschungsamt (Hrsg.). Pa<strong>de</strong>rborn:<br />

Verlag Ferdinand Schöningh GmbH<br />

& Co. KG. S. 145.<br />

2<br />

Vgl. ebd.<br />

3<br />

Vgl. Höhne, Markus V. (2007): Aktuelle<br />

Lagefortschreibung im März<br />

2007. In: Wegweiser zur Geschichte.<br />

Horn von Afrika. Militärgeschichtliches<br />

Forschungsamt (Hrsg.). Pa<strong>de</strong>rborn:<br />

Verlag Ferdinand Schöningh<br />

GmbH & Co. KG. S. 98ff.<br />

4<br />

Vgl. Höhne, Markus V. (2011):<br />

Somalia. Aktuelle Konfliktsituation.<br />

URL: http://<strong>www</strong>.bpb.<strong>de</strong>/internationales/weltweit/innerstaatlichekonflikte/54689/somalia<br />

[Stand: Juli<br />

<strong>2012</strong>]<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 5


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Die Kammern <strong>de</strong>r Besatzung<br />

wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n<br />

Piraten verwüstet<br />

5<br />

AMISOM = African Union Mission<br />

in Somalia<br />

6<br />

Vgl. Rudloff, Bettina/Weber, Annette<br />

(2010): Somalia und <strong>de</strong>r Golf von<br />

A<strong>de</strong>n. In: SWP Studie. Piraterie und<br />

maritime Sicherheit. Fallstudien zu<br />

Afrika, Südostasien und Lateinamerika<br />

sowie Beiträge zu politischen,<br />

militärischen, rechtlichen und<br />

ökonomischen Aspekten. Berlin:<br />

Stiftung Wissenschaft und Politik.<br />

S. 40ff.<br />

7<br />

Daniel Hosseus (43), Lobbyist<br />

beim Verband Deutscher Ree<strong>de</strong>r,<br />

vertritt <strong>de</strong>n Bereich internationale<br />

und EU-Angelegenheiten und hat<br />

vor gut einem Jahr das Büro <strong>de</strong>s<br />

Verban<strong>de</strong>s in Brüssel eröffnet. Zu<br />

seinen Arbeitsschwerpunkten zählt<br />

die Bekämpfung von Piraterie. Im<br />

kanadischen Quebec aufgewachsen<br />

hat er in Montreal und Ottawa<br />

Politologie und Verwaltungswissenschaften<br />

studiert.<br />

Sheikh Ahmed durch. Seine vordringlichste<br />

Aufgabe wird es jetzt sein, die radikalen<br />

Islamisten im Land zu bekämpfen. Diese<br />

setzten direkt nach <strong>de</strong>r Wahl ein Zeichen:<br />

Selbstmordattentäter <strong>de</strong>r Al-Shabaab Miliz<br />

sprengten sich vor <strong>de</strong>m Wohnsitz <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten<br />

in die Luft. Hassan Sheikh Mohamud<br />

entging zwar <strong>de</strong>m Anschlag, es zeigt<br />

sich aber, dass er die Sicherheit im Land<br />

zunächst nur mit Hilfe <strong>de</strong>r AMISOM-Truppen<br />

<strong>de</strong>r Afrikanischen Union (AU) in Somalia<br />

aufrechterhalten kann. 5 Die Reichweite<br />

seiner politischen Macht bleibt zunächst<br />

begrenzt.<br />

Ursachen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Piraterie<br />

In <strong>de</strong>r heutigen Diskussion<br />

über die Ursachen <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen somalischen<br />

Piraterie wird häufig ein<br />

wirtschaftliches Argument<br />

ins Feld geführt:<br />

die Überfischung somalischer<br />

Gewässer durch<br />

ausländische Fangflotten.<br />

Dieses Argument<br />

sollte jedoch vor seiner<br />

Verwendung weiter reflektiert<br />

wer<strong>de</strong>n, da es<br />

vielschichtiger ist, als auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />

angenommen.<br />

Zunächst einmal ist Somalia nicht in <strong>de</strong>r<br />

Lage, die Verantwortung für die Ahndung illegaler<br />

Fischerei zu übernehmen, da es an<br />

allen entsprechen<strong>de</strong>n Strukturen dazu fehlt.<br />

So betrieben etwa Flotten unter <strong>de</strong>r Flagge<br />

Kenias, Syriens, Taiwans und auch Spaniens<br />

in <strong>de</strong>n Jahren 2000 bis 2008 nachweislich<br />

Fischerei in <strong>de</strong>r Exclusive Economic Zone<br />

(EEZ) Somalias, ohne dass eine Fanglizenz<br />

bestand. Betrachtet man nun die ökonomischen<br />

Konsequenzen dieser illegalen Fischerei,<br />

so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass<br />

sie vor allem nur <strong>de</strong>n im Sü<strong>de</strong>n leben<strong>de</strong>n<br />

Kleinfischern die Lebensgrundlage entzieht.<br />

Diese fischen ausschließlich innerhalb <strong>de</strong>r<br />

EEZ zur Eigenversorgung und nicht für <strong>de</strong>n<br />

Export. 6 Dieser Entzug ihres bisherigen Einkommens<br />

hat vermutlich dazu beigetragen,<br />

dass sich einige Fischer <strong>de</strong>n Piratengruppen<br />

angeschlossen haben, um ihre Existenz zu<br />

sichern.<br />

Nicht alle Piraten sind jedoch ehemalige<br />

Fischer, welche nur versuchen ihre Lebensgrundlage<br />

zu sichern. Auch ehemalige<br />

Bauern, die aufgrund <strong>de</strong>r anhalten<strong>de</strong>n Dürreperio<strong>de</strong>n<br />

keine Landwirtschaft mehr betreiben<br />

o<strong>de</strong>r Viehher<strong>de</strong>n züchten können,<br />

verdingen sich als Piraten. Die junge Generation<br />

von Somalis, aufgewachsen in <strong>de</strong>r<br />

Anarchie eines Lan<strong>de</strong>s ohne klare Strukturen,<br />

sieht in <strong>de</strong>r Piraterie eine einfache Möglichkeit,<br />

ein gewisses Maß an Reichtum und<br />

Wohlstand zu erlangen. Willig lassen sie sich<br />

von <strong>de</strong>n Hintermännern in Europa, Asien<br />

und Somalia für die Kaperfahrten anwerben.<br />

Die Piraterie ist damit inzwischen zu einem<br />

einträglichen Geschäft <strong>de</strong>r organisierten<br />

Kriminalität gewor<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r vielleicht sogar<br />

von Anfang an gewesen. „Solange in Somalia<br />

keine stabilen Verhältnisse herrschen und<br />

<strong>de</strong>r Staat für die Sicherheit seiner Küste sorgen<br />

kann, wird das Problem andauern. Menschenraub<br />

und Lösegel<strong>de</strong>rpressung ist ein<br />

dreckiges aber lukratives Geschäft. Wo extreme<br />

Armut und unzureichen<strong>de</strong> staatliche<br />

Sicherheitsstrukturen aufeinan<strong>de</strong>rtreffen,<br />

wird auch in Zukunft das Potenzial für Piraterie<br />

erhalten bleiben“, erklärt Daniel Hosseus<br />

vom Verband Deutscher Ree<strong>de</strong>r (VDR). 7<br />

Auswirkungen mo<strong>de</strong>rner Piraterie<br />

Rückblick: Vor Harardhere, Somalia. Das<br />

Lösegeld wird noch vor Ort unter allen Beteiligten<br />

aufgeteilt. Dann verlassen die Piraten<br />

das Schiff. Zuerst die Anführer, da sie<br />

befürchten, die Einsatzkräfte <strong>de</strong>r Marine<br />

könnten sie verfolgen. Es müssen daher bis<br />

zum Schluss einige Bewacher bei <strong>de</strong>n Geiseln<br />

ausharren. Aber ihre Angst ist unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Zwei Fregatten liegen außerhalb<br />

<strong>de</strong>r optischen Sichtweite am Horizont und<br />

beobachteten das Geschehen mit ihren Radargeräten<br />

und <strong>de</strong>n eingesetzten Bordhubschraubern.<br />

Die Anweisung ist klar: nicht<br />

angreifen! Erst nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r letzte Pirat das<br />

gekaperte Schiff verlassen und <strong>de</strong>ssen Kapitän<br />

die Freilassung über Funk gemel<strong>de</strong>t hat,<br />

setzten sich die Einsatzkräfte in Marsch. An<br />

Bord <strong>de</strong>s Schiffes bietet sich ihnen ein verstören<strong>de</strong>r<br />

Anblick: überall Müll, Dreck, verdorbene<br />

Essensreste, Khatblätter und dazwischen<br />

eine Besatzung, <strong>de</strong>r die Strapazen<br />

<strong>de</strong>r letzten Monate buchstäblich ins Gesicht<br />

geschrieben steht. Sie lei<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Folgen<br />

von Schlafentzug, Mangelernährung<br />

und Folter.<br />

Von <strong>de</strong>n Fregatten wer<strong>de</strong>n Nahrungsmittel,<br />

Kleidung und Hygieneartikel auf das<br />

Schiff gebracht. In <strong>de</strong>n nächsten Tagen, auf<br />

6 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

<strong>de</strong>m Weg zu einem sicheren Hafen, versucht<br />

die Besatzung eine Art Normalität herzustellen.<br />

Sie putzt und räumt ihre verwüsteten<br />

Kammern auf. Es ist ihr eine Art inneres<br />

Bedürfnis, zumin<strong>de</strong>st äußerlich, wie<strong>de</strong>r Ordnung<br />

zu schaffen. Während<strong>de</strong>ssen suchen<br />

die Feldjäger, im Auftrag <strong>de</strong>s BKA, auf <strong>de</strong>m<br />

Schiff nach Spuren und Beweismitteln. Alles<br />

wird sorgfältig fotografiert, dokumentiert<br />

und asserviert. Vielleicht fin<strong>de</strong>t sich ja tatsächlich<br />

ein für spätere Ermittlungen wichtiger<br />

Hinweis.<br />

Für die freigelassene Besatzung gibt es<br />

Besuche auf <strong>de</strong>r sie begleiten<strong>de</strong>n Fregatte.<br />

Die Abwechslung tut ihnen sichtlich gut.<br />

Das Vessel Protection Detachement (VPD)<br />

<strong>de</strong>r Fregatte ist jetzt an Bord <strong>de</strong>s Schiffes<br />

und gibt <strong>de</strong>r Besatzung ein Gefühl von Sicherheit,<br />

das sie so lange nicht mehr gekannt<br />

hat. Die Fahrt in Richtung <strong>de</strong>s neuen<br />

Hafens gibt ihnen Zeit, das Erlebte etwas zu<br />

verarbeiten, bevor sie sich <strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r<br />

Presse und später auch ihrer Verwandten<br />

und Freun<strong>de</strong> stellen.<br />

Für die <strong>de</strong>utschen Ree<strong>de</strong>r und die von ihnen<br />

beschäftigten Besatzungen ist <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n,<br />

welcher durch die Piraterie vor Somalia<br />

entsteht, beträchtlich. „Der wirtschaftliche<br />

Scha<strong>de</strong>n kann nur geschätzt wer<strong>de</strong>n. Viele<br />

Faktoren spielen dabei eine Rolle. Neben<br />

<strong>de</strong>r Zahlung von Lösegel<strong>de</strong>rn kommen hohe<br />

Zusatzversicherungen und Kosten für die<br />

Schutzausrüstungen an Bord hinzu. Be<strong>de</strong>utend<br />

ist auch <strong>de</strong>r wirtschaftliche Scha<strong>de</strong>n<br />

für die Region. Nach Schätzungen von Oceans<br />

Beyond Piracy belaufen sich die Kosten<br />

für die Piraterie auf insgesamt zwölf Milliar<strong>de</strong>n<br />

Dollar pro Jahr. Noch gar nicht erfasst<br />

sind dabei die „weichen“ Kosten. Für die<br />

Geiseln und ihre Angehörigen ist die Entführung<br />

durch Piraten eine enorme psychische<br />

Belastung, die sie mitunter ein Leben lang<br />

verfolgen wird“, erklärt Daniel Hosseus. Es<br />

ist daher verständlich, dass auch die Ree<strong>de</strong>reien<br />

nach Lösungsmöglichkeiten für das<br />

Problem Piraterie suchen.<br />

Gegenmaßnahmen<br />

Eine aktuell andauern<strong>de</strong> Mission ist die<br />

von <strong>de</strong>r EU geführte Anti-Pirateriemission<br />

ATALANTA. Sie ist nur ein Beispiel für<br />

mehrere, parallel laufen<strong>de</strong> maritime Missionen<br />

zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie am<br />

Horn von Afrika. Es wäre falsch, hier von<br />

einer Militärintervention<br />

im klassischen Sinne zu<br />

sprechen, <strong>de</strong>nn schließlich<br />

fin<strong>de</strong>t diese Mission<br />

ausschließlich auf See<br />

und ohne <strong>de</strong>n Einsatz von<br />

Bo<strong>de</strong>ntruppen statt.<br />

Dies ist insofern als<br />

beson<strong>de</strong>rs zu erachten,<br />

als somit erstmals versucht<br />

wird, ein Problem,<br />

welches an Land entstan<strong>de</strong>n<br />

ist, durch eine Bekämpfung<br />

seiner Symptome<br />

auf See zu lösen.<br />

Obwohl <strong>de</strong>r Mission grundsätzlich ein Erfolg<br />

bescheinigt wird, so ist inzwischen klar,<br />

dass sich das Problem <strong>de</strong>r Piraterie allein<br />

mit militärischen o<strong>de</strong>r polizeilichen Mitteln<br />

auf See nicht lösen lässt. Mit <strong>de</strong>r Resolution<br />

1851 wur<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n UN-Sicherheitsrat<br />

zu<strong>de</strong>m die Möglichkeit geschaffen, gegen<br />

die Piraterie auch an Land vorzugehen. Beson<strong>de</strong>rs<br />

in Deutschland wur<strong>de</strong> heftig über<br />

eine Ausweitung <strong>de</strong>s ATALANTA-Mandates<br />

diskutiert. Konkret ging es um die inzwischen<br />

vom <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>stag beschlossene<br />

Regelung, dass nun auch an Land logistische<br />

Basen mutmaßlicher Piraten in einem<br />

zwei Kilometer breiten Gürtel aus <strong>de</strong>r Luft<br />

bekämpft wer<strong>de</strong>n dürfen. Aktuell beteiligt<br />

sich die <strong>de</strong>utsche Marine an <strong>de</strong>r Mission mit<br />

einer Fregatte und einem Seefernaufklärer.<br />

Der Verband Deutscher Ree<strong>de</strong>r begrüßt<br />

<strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Marineeinheiten, for<strong>de</strong>rt jedoch<br />

noch mehr: „Die Zusammenarbeit ist<br />

absolut bemerkenswert und wäre noch vor<br />

wenigen Jahren un<strong>de</strong>nkbar<br />

gewesen. Mal sehen,<br />

was sich daraus entwickeln<br />

kann. Die Einsatzverbän<strong>de</strong><br />

müssten vor<br />

allem verstärkt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Präsenz ist angesichts<br />

<strong>de</strong>s riesigen Seegebietes,<br />

um das es geht,<br />

viel zu klein“, sagt Hosseus.<br />

Und weiter: „Aus<br />

unserer Sicht ist <strong>de</strong>r<br />

Schutz von Han<strong>de</strong>lsschiffen<br />

vor Piraterie eine hoheitliche<br />

Aufgabe. Das<br />

sieht <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat übrigens<br />

auch so. Schiffe unter<br />

<strong>de</strong>utscher Flagge sind<br />

<strong>de</strong>utsches Hoheitsgebiet.<br />

Versorgungsgüter wer<strong>de</strong>n<br />

auf das freigelassene<br />

Schiff gebracht<br />

Unhygienische Zustän<strong>de</strong>,<br />

überall Müll und Dreck<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 7


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Arbeitsgerät <strong>de</strong>r<br />

Piraten - sichergestellte<br />

Enterleiter und Haken<br />

8<br />

Vgl. World Food Programme WFP<br />

(2011): Steigen<strong>de</strong> Nahrungsmittelpreise.<br />

10 Fragen und Antworten.<br />

URL: http://<strong>de</strong>.wfp.org/stories/<br />

steigen<strong>de</strong>-nahrungsmittelpreise-<br />

10-fragen-und-antworten [Stand:<br />

Juli <strong>2012</strong>]<br />

Daher ist es Aufgabe hoheitlicher Kräfte, sei<br />

es <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Marine, diese<br />

Schiffe vor Piratenangriffen zu schützen.<br />

Das hat übrigens nicht viel mit Kosten zu<br />

tun, für Ree<strong>de</strong>reien gäbe sich das nicht viel,<br />

son<strong>de</strong>rn damit, dass die Arbeit von Marine<br />

und Polizei in eine auch weiterhin <strong>de</strong>utlich<br />

umfassen<strong>de</strong>re rechtliche und operationelle<br />

Infrastruktur eingebettet ist.“<br />

So bleibt <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>rn zunächst nur die<br />

Möglichkeit, selbst weiter aufzurüsten, um<br />

ihre Schiffe zu schützen. Dies beinhaltet, neben<br />

technischen Schutzmaßnahmen, auch<br />

zunehmend <strong>de</strong>n Einsatz privater Sicherheitsteams<br />

von Dienstleistern wie Control<br />

Risks o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Result Group. In<br />

Deutschland gibt es, nach langer Debatte,<br />

nun einen Gesetzentwurf, welcher <strong>de</strong>n Einsatz<br />

dieser privaten Sicherheitsdienstleister<br />

regeln soll. Dazu meint Daniel Hosseus:<br />

„Wir begrüßen <strong>de</strong>n Gesetzentwurf, <strong>de</strong>n die<br />

Bun<strong>de</strong>sregierung vorgelegt hat. Er ordnet<br />

<strong>de</strong>n Einsatz von bewaffneten Sicherheitsleuten<br />

auf Schiffen unter <strong>de</strong>utscher Flagge und<br />

ermöglicht Ree<strong>de</strong>reien die rechtssichere<br />

Auswahl eines Dienstleisters. Er lehnt sich<br />

eng an die internationalen Vorgaben an und<br />

ermöglicht eine größere Anzahl in- und ausländischer<br />

Anbieter. Das än<strong>de</strong>rt aber nichts<br />

daran, dass wir <strong>de</strong>n Einsatz hoheitlicher<br />

Kräfte vorziehen wür<strong>de</strong>n.“<br />

Ein weitaus erfolgversprechen<strong>de</strong>rer Lösungsweg<br />

wäre es jedoch, eine dauerhaftere<br />

Lösung <strong>de</strong>s Problems an Land zu suchen.<br />

Westliche Hilfen für Somalia<br />

Allerdings gestaltet sich ein solches Vorhaben<br />

zunehmend schwierig. Der Grund dafür<br />

ist, dass bei <strong>de</strong>m bisherigen Engagement<br />

nicht nur <strong>de</strong>r humanitäre Blickwinkel im<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund stand. Beson<strong>de</strong>rs aus westlicher<br />

Sicht war es zuletzt eher <strong>de</strong>r Kampf gegen<br />

<strong>de</strong>n Terror. Allen voran die USA befürchteten<br />

ein weiteres Erstarken <strong>de</strong>r Al-Shabaab<br />

Miliz, welcher eine Verbindung mit Al-Quaida<br />

nachgesagt wur<strong>de</strong>. Im Jahr 2008 erklärten<br />

die USA die Al-Shabaab dann auch offiziell<br />

zu einer terroristischen Organisation und<br />

begannen mit gezielten Angriffen auf die<br />

Führer <strong>de</strong>r Miliz. In <strong>de</strong>r Folge dieser Angriffe<br />

weitete die Al-Shabaab ihrerseits die Angriffe<br />

im Land aus. Den meisten Hilfsorganisationen<br />

ist es daher momentan nicht möglich,<br />

in Somalia tätig zu wer<strong>de</strong>n. Sie müssten mit<br />

ständigen Angriffen rechnen und um die<br />

Sicherheit ihrer Mitarbeiter fürchten.<br />

Nötig wären aber Investitionen in Somalia.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r bisher aufgezeigten Probleme<br />

scheint es jedoch schwierig o<strong>de</strong>r sogar<br />

unmöglich, in Somalia zu investieren.<br />

Zu<strong>de</strong>m stellten sich die Fragen: Worin soll<br />

investiert wer<strong>de</strong>n und warum sollte man<br />

es tun? An<strong>de</strong>rerseits wird momentan aber<br />

schon viel investiert, nur ist fraglich, ob damit<br />

ein nachhaltiger Effekt erzielt wird. So<br />

hat etwa das von <strong>de</strong>r internationalen Gemeinschaft<br />

finanzierte World Food Programme<br />

(WFP) im Jahr 2010 Nahrungsmittel im<br />

Wert von 1,25 Milliar<strong>de</strong>n US-Dollar gekauft,<br />

um weltweit die rund 100 Millionen am<br />

schlimmsten hungern<strong>de</strong>n Menschen ernähren<br />

zu können. 8 Somalia hängt seit langem<br />

am „Tropf“ dieser Hilfen.<br />

Vernetzte Strategie<br />

Nicht ohne Grund fällt es <strong>de</strong>r internationalen<br />

Gemeinschaft bis heute schwer, eine Lösung<br />

für die Probleme Somalias zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Sie sind vielfältig und vielschichtig und bedürfen<br />

<strong>de</strong>shalb ebenso komplexer Lösungsansätze.<br />

In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong>n viele<br />

Fehler gemacht, welche nicht selten zu<br />

einer Verschärfung <strong>de</strong>r Situation beigetragen<br />

haben. Die gesellschaftlichen und politischen<br />

Realitäten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong>n ignoriert<br />

anstatt sie zur Kenntnis zu nehmen<br />

und als eine Grundlage von angepassten<br />

Lösungsstrategien zu nutzen. Daraus entwickelte<br />

sich schließlich eine Situation, in<br />

<strong>de</strong>r eine direkte Unterstützung im Rahmen<br />

von Programmen <strong>de</strong>r Entwicklungszusammenarbeit<br />

nicht mehr möglich war. Somalia<br />

konnte die dafür angelegten Kriterien nicht<br />

mehr erfüllen.<br />

Heute also steht man erneut vor <strong>de</strong>r Frage,<br />

ob nicht letztendlich doch nur militärische<br />

Mittel dazu geeignet sind, Sicherheit<br />

und Ordnung wie<strong>de</strong>rherzustellen und akute<br />

Probleme wie etwa die Piraterie zu beseitigen.<br />

Auch <strong>de</strong>r neu gewählte Präsi<strong>de</strong>nt Somalias<br />

kann sich nur mit militärischer Hilfe<br />

<strong>de</strong>r AMISOM-Truppen gegen die islamistischen<br />

Al-Shabaab Milizen behaupten.<br />

Gibt es also überhaupt Lösungsmöglichkeiten<br />

und wenn ja, wo könnten sie ansetzen?<br />

Nötig wäre ein umfassen<strong>de</strong>r Ansatz,<br />

<strong>de</strong>r alle Bereiche, welche bisher nur einzeln<br />

betrachtet und von Maßnahmen bedient<br />

wur<strong>de</strong>n, in sich vereint. Man kann nicht<br />

eine ausschließlich humanitäre Strategie<br />

8 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

verfolgen. Ebenso wenig ist es ausreichend,<br />

sich nur auf die Wie<strong>de</strong>rherstellung von Sicherheit<br />

und Ordnung zu konzentrieren.<br />

Auch rein wirtschaftliche Programme greifen<br />

letztendlich zu kurz. All diese Maßnahmen<br />

sollten gleichzeitig – in einer vernetzten<br />

Strategie – sowohl von <strong>de</strong>r internationalen<br />

Gemeinschaft als auch von <strong>de</strong>n regionalen<br />

Akteuren vor Ort umgesetzt wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Menschen in Somalia müssten greifbare Ergebnisse<br />

erhalten, damit sich eine positive<br />

Haltung gegenüber einer zukünftigen Entwicklung<br />

einstellen könnte und die Menschen<br />

gewillt wären, daran mitzuarbeiten.<br />

Es gibt Ansatzpunkte für eine solche<br />

Strategie. Eine Loslösung von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e einer<br />

Rekonstruktion Somalias und von <strong>de</strong>ssen<br />

Gesamtstaatlichkeit wäre ein Anfang.<br />

Zu lange wur<strong>de</strong> we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Unterschied zwischen<br />

Staatsbildung und einer öffentlichen<br />

Ordnung wahrgenommen, noch alternative<br />

Ordnungsmo<strong>de</strong>lle in Betracht gezogen. 9<br />

Solche alternativen Mo<strong>de</strong>lle existieren etwa<br />

schon heute in Puntland und Somaliland.<br />

Letzteres schaffte es nach seiner einseitigen<br />

Unabhängigkeitserklärung von 1991,<br />

eine relativ stabile Ordnung zu schaffen, basierend<br />

auf Elementen einer traditionellen<br />

pastoralen Demokratie. 10<br />

Es bleibt die Frage <strong>de</strong>r Finanzierung einer<br />

solchen Strategie. Das Geld ist vorhan<strong>de</strong>n.<br />

Man muss sich nur fragen, ob man<br />

weiterhin nur die Bekämpfung <strong>de</strong>r Symptome<br />

bezahlen möchte o<strong>de</strong>r lieber doch eine<br />

Strategie <strong>de</strong>r Konfliktlösung. Rechnet man<br />

alle Kosten für die Finanzierung von UN-<br />

Einsätzen, Einsätzen <strong>de</strong>r AU, Projekten <strong>de</strong>r<br />

Entwicklungszusammenarbeit, Maßnahmen<br />

<strong>de</strong>s WFP und Einsätzen zur Bekämpfung<br />

<strong>de</strong>r Piraterie zusammen, so käme ein<br />

ansehnlicher Betrag zusammen. Diese Gel<strong>de</strong>r<br />

müssten gebün<strong>de</strong>lt, neu verteilt und gezielter<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Wichtig dabei ist<br />

aber doch zu erkennen, dass man nur mit<br />

einer solchen umfassen<strong>de</strong>n Strategie eine<br />

langfristige Möglichkeit schafft, die Probleme<br />

Somalias zu lösen und somit auch selbst<br />

langfristig Kosten zu sparen.<br />

Schaffung eines sicheren Umfelds<br />

Die Schaffung eines sicheren Umfel<strong>de</strong>s für<br />

die Bevölkerung und <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>raufbau <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s sind natürlich von zentraler Be<strong>de</strong>utung.<br />

Aber auch hier sollte man die Konflikte<br />

in <strong>de</strong>n einzelnen Regionen Puntland,<br />

Somaliland und Rest-Somalia einzeln betrachten<br />

und angepasste Strategien entwickeln.<br />

So wäre es in Puntland und Somaliland<br />

etwa möglich, sich auf – wenn auch nur<br />

rudimentär vorhan<strong>de</strong>ne – Sicherheitsorgane<br />

abzustützen, diese einzubin<strong>de</strong>n und auszubil<strong>de</strong>n.<br />

In Rest-Somalia hingegen ginge es<br />

vornehmlich darum, die Al-Shabaab Miliz<br />

militärisch weiter zurückzudrängen, um <strong>de</strong>n<br />

Aufbau regionaler Sicherheitsstrukturen<br />

unter <strong>de</strong>r Übergangsregierung überhaupt<br />

erst zu ermöglichen.<br />

Erste Ansätze in diese Richtung gibt es<br />

seit kurzem. So beteiligt sich auch Deutschland<br />

nach Beschluss <strong>de</strong>s Kabinetts an <strong>de</strong>r<br />

EU-Mission EUCAP NESTOR. Ziel <strong>de</strong>r Mission<br />

ist <strong>de</strong>r Aufbau von Sicherheitsstrukturen,<br />

die die Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Region dazu befähigen<br />

sollen, ihre küstennahen Gewässer<br />

selbst zu überwachen. Dazu wer<strong>de</strong>n insgesamt<br />

175 Ausbil<strong>de</strong>r nach Dschibuti, Kenia,<br />

<strong>de</strong>n Seychellen und auch Somalia entsandt.<br />

Deutschland beteiligt sich mit zehn Soldaten<br />

und Polizisten.<br />

Dies ist ein erster Schritt in die richtige<br />

Richtung. Es wer<strong>de</strong>n aber noch viele weitere<br />

Schritte folgen müssen. Und selbst wenn<br />

man das Problem <strong>de</strong>r Piraterie am Horn von<br />

Afrika mittel- bis langfristig in <strong>de</strong>n Griff bekommt,<br />

so wird dieses Phänomen nicht einfach<br />

verschwin<strong>de</strong>n. Auch in an<strong>de</strong>ren Teilen<br />

<strong>de</strong>r Welt leben viele Menschen unter sehr<br />

schlechten Bedingungen. Vielleicht kommen<br />

auch sie eines Tages auf <strong>de</strong>n Gedanken, auf<br />

ihre Art an <strong>de</strong>r Globalisierung und <strong>de</strong>m damit<br />

einhergehen<strong>de</strong>n weltweiten Schiffsverkehr<br />

teilhaben zu wollen.<br />

Michael Hartung<br />

Jahrgang 1978, war<br />

zwölf Jahre lang Zeitsoldat<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr<br />

und dabei als Offizier<br />

<strong>de</strong>r Feldjägertruppe tätig.<br />

Während dieser<br />

Zeit absolvierte er zwei<br />

Auslandseinsätze: <strong>de</strong>n<br />

KFOR-Einsatz als MP-<br />

Station Comman<strong>de</strong>r in<br />

Prizren und die Mission ATALANTA als Führer<br />

<strong>de</strong>r Feldjägerkräfte an Bord einer Fregatte.<br />

Heute ist er als Offizier <strong>de</strong>r Reserve<br />

beor<strong>de</strong>rt, studiert Politikwissenschaften an<br />

<strong>de</strong>r Universität Duisburg-Essen und ist bei<br />

HOMELAND SECURITY mitverantwortlich<br />

für <strong>de</strong>n Bereich „Vernetzte Sicherheit“.<br />

9<br />

Vgl. Matthies, Volker (2010):<br />

Endlos und vergessen. Der Krieg in<br />

Somalia. In: WeltTrends. Zeitschrift<br />

für internationale Politik. 74. September/Oktober<br />

2010. 18. Jahrgang.<br />

S. 63-73<br />

10<br />

Vgl. Mutschler, Alexan<strong>de</strong>r (2002):<br />

Eine Frage <strong>de</strong>r Herrschaft. Betrachtungen<br />

zum Problem <strong>de</strong>s Staatszerfalls<br />

in Afrika am Beispiel Äthiopiens<br />

und Somalias. Münster: Lit Verlag.<br />

S. 208ff<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 9


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Je<strong>de</strong>n Hoffnungsschimmer nutzen<br />

Vier Monate in <strong>de</strong>r Gewalt von Piraten<br />

Hansa Stavanger<br />

Am 4. April 2009 wur<strong>de</strong> die unter <strong>de</strong>utscher<br />

Flagge fahren<strong>de</strong> Hansa Stavanger,<br />

ein Containerschiff <strong>de</strong>r Hamburger<br />

Ree<strong>de</strong>rei Leonhardt & Blumberg, von<br />

somalischen Piraten entführt. Für die<br />

Besatzung, ihre Familien und die Ree<strong>de</strong>rei<br />

begann damit eine enorme Belastungsprobe.<br />

Die Verhandlungen über<br />

die Freilassung zogen sich über vier Monate<br />

hin. Während dieser Zeit war die<br />

Besatzung <strong>de</strong>n unberechenbaren und<br />

mör<strong>de</strong>rischen Piraten ausgeliefert und<br />

musste zum Teil unter Folter, Isolation,<br />

Verschleppung nach Somalia und vor<br />

allem unter unhygienischen Zustän<strong>de</strong>n<br />

um ihr Leben und ihre Gesundheit bangen.<br />

Unter <strong>de</strong>n fünf <strong>de</strong>utschen Geiseln<br />

an Bord befand sich auch Fre<strong>de</strong>rik Euskirchen,<br />

damals als zweiter Offizier auf<br />

<strong>de</strong>r Hansa Stavanger. <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong><br />

sprach mit ihm zu Hause vor <strong>de</strong>n Toren<br />

Hamburgs über seine Erfahrungen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie waren 121 Tage in <strong>de</strong>r Hand<br />

von Piraten. Was hat Ihnen geholfen, diese<br />

Situation durchzustehen?<br />

Euskirchen: Grundlegend ist, dass man nie<br />

die Hoffnung aufgibt und sich an je<strong>de</strong>m noch<br />

so kleinen Strohhalm festhält. Man muss je<strong>de</strong>n<br />

Hoffnungsschimmer nutzen, um sich<br />

zu motivieren. Selbst dann, wenn man sich<br />

manchmal falsche Hoffnungen macht o<strong>de</strong>r<br />

sich zu sehr auf etwas freut. Natürlich muss<br />

man sich sachlich die Realität vor Augen<br />

führen, dass auch alles schief gehen kann<br />

und darauf vorbereitet sein. Das darf aber<br />

nicht dazu führen, dass man <strong>de</strong>n Mut verliert.<br />

Es hilft also, sich Illusionen zu schaffen<br />

und Pläne zu machen. Wenn du es schaffst,<br />

dabei ein gesun<strong>de</strong>s Level zu halten, dann ist<br />

das viel wert.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie lief die Kaperung <strong>de</strong>r Hansa<br />

Stavanger ab?<br />

Euskirchen: Das war morgens gegen neun<br />

Uhr. Der dritte Offizier hatte Backbord voraus<br />

das Skiff gesehen und Alarm gegeben.<br />

Wir haben volle Fahrt gemacht. Insgesamt<br />

wur<strong>de</strong>n drei Angriffe von verschie<strong>de</strong>nen<br />

Seiten gefahren. Je<strong>de</strong>r dieser Angriffe wur<strong>de</strong><br />

von Beschuss mit Schnellfeuergewehren<br />

10 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

und RPG (Rocket Propelled Grena<strong>de</strong>) begleitet.<br />

Die Hansa Stavanger erlitt zwei Treffer<br />

durch RPG, wovon einer einen Brand<br />

verursachte. Die zweite Granate ist nicht<br />

<strong>de</strong>toniert.<br />

Insgesamt verging während <strong>de</strong>s Angriffs<br />

etwa eine Dreiviertelstun<strong>de</strong>. Ich stand am<br />

Ru<strong>de</strong>r und das Skiff kam nah an uns heran.<br />

Ich wollte unser Schiff drehen, um die Piraten<br />

erneut wegzudrücken und mit dieser<br />

Bewegung auch unsere Bordwand ihnen gegenüber<br />

zu erhöhen. Das hatte vorher schon<br />

zweimal funktioniert. Der Kapitän hat aber<br />

in die falsche Richtung auf mein Ru<strong>de</strong>r gedrückt.<br />

Daraufhin legte sich das Schiff gera<strong>de</strong><br />

und das Bewegungsmoment ging verloren.<br />

Diese Chance haben die Piraten<br />

genutzt, um an Bord zu kommen.<br />

teuren Gelän<strong>de</strong>wagen<br />

gesehen. An einem En<strong>de</strong><br />

von Harardhere stan<strong>de</strong>n<br />

zehn o<strong>de</strong>r zwölf davon, in<br />

gleicher Bauart und Farbe.<br />

Außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n<br />

Waffen, Drogen, Frauen<br />

und Häuser gekauft.<br />

Das wur<strong>de</strong> uns auch so<br />

mitgeteilt.<br />

Ich <strong>de</strong>nke eher, dass<br />

es an <strong>de</strong>m somalischen<br />

Wesen liegt. Als sie die<br />

frem<strong>de</strong>n Fischereiboote vor ihrer Küste gesehen<br />

haben, raubten sie diese aus o<strong>de</strong>r haben<br />

Zoll verlangt. Als sie dann gemerkt haben,<br />

dass sie damit Geld verdienen konnten,<br />

haben sie das so weiter geführt.<br />

Einschuss im Brückenfenster<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie haben sich die Piraten<br />

während <strong>de</strong>s Zeitraums <strong>de</strong>r Entführung<br />

verhalten?<br />

Euskirchen: Das war sehr unterschiedlich.<br />

Generell muss man zwischen <strong>de</strong>n alten und<br />

<strong>de</strong>n jungen Piraten unterschei<strong>de</strong>n. Die Älteren<br />

sind etwas ruhiger und haben noch etwas<br />

Sozialisation in Somalia kennengelernt.<br />

Sie sind auch nicht ganz so aggressiv. Die<br />

Jüngeren sind in <strong>de</strong>r Anarchie groß gewor<strong>de</strong>n<br />

und sind dadurch gewalttätiger und<br />

gewaltbereiter. Dann muss man auch noch<br />

zwischen <strong>de</strong>n gläubigen Moslems und <strong>de</strong>nen,<br />

die ihren Glauben nur vor sich hertragen,<br />

unterschei<strong>de</strong>n. Die wirklich Gläubigen,<br />

die auch je<strong>de</strong>n Tag gebetet haben, sind viel<br />

respektvoller mit uns umgegangen. Für die<br />

Verständigung gab es einen Übersetzer, <strong>de</strong>r<br />

Englisch sprach. Ansonsten hat man sich<br />

meist mit Hän<strong>de</strong>n und Füßen verständigt.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie haben während <strong>de</strong>r Entführung<br />

auch Gespräche mit <strong>de</strong>n Piraten geführt.<br />

Wo liegen <strong>de</strong>ren Motive für ein solches<br />

Han<strong>de</strong>ln?<br />

Euskirchen: Geld. Da gibt es eigentlich<br />

kein an<strong>de</strong>res Motiv. Es gab einige Piraten,<br />

die behauptet haben, mit <strong>de</strong>n Entführungen<br />

Somalias Stärke zu <strong>de</strong>monstrieren. Aber eigentlich<br />

wollten sie nur ihr Geld haben. Was<br />

aber auch verständlich ist in so einem Land.<br />

Einige Piraten sagten, dass sie von ihrem<br />

Anteil Medizin und Nahrung für ihre Familien<br />

kaufen wollten. Ich <strong>de</strong>nke, das wird auch<br />

stimmen. An Land habe ich aber auch die<br />

<strong>Homeland</strong>: Gab es innerhalb <strong>de</strong>r Besatzung<br />

<strong>de</strong>r Hansa Stavanger einen Zusammenhalt<br />

o<strong>de</strong>r traten während <strong>de</strong>r Entführung auch<br />

Konflikte auf?<br />

Euskirchen: Es ist unheimlich wichtig,<br />

dass man mit sich selbst im Reinen ist,<br />

aber auch für die an<strong>de</strong>ren da ist. Das bekommt<br />

man dann auch zurück. Wir hatten<br />

das Glück, dass wir Manschaftsmitglie<strong>de</strong>r<br />

aus Tuvalu dabei hatten.<br />

Diese sind schon von ihrem<br />

Wesen her sehr fröhlich.<br />

Wenn man von ihnen<br />

dann <strong>de</strong>n Stress fernhält,<br />

also nicht alle Drohungen<br />

<strong>de</strong>r Piraten weitergibt,<br />

dann können sie das<br />

Ganze auch besser überstehen.<br />

Abends saßen<br />

wir dann schon mal zusammen<br />

und die Tuvalus<br />

verbreiteten gute Stimmung.<br />

Außer<strong>de</strong>m zeigten<br />

sie <strong>de</strong>n Piraten gegenüber<br />

keine Angst, weshalb<br />

sie von ihnen auch<br />

mit Respekt behan<strong>de</strong>lt<br />

wur<strong>de</strong>n. Genau so sollte<br />

man sich auch verhalten.<br />

Man kann ruhig mit <strong>de</strong>n<br />

Piraten in Kontakt treten,<br />

sollte aber auch nicht <strong>de</strong>n<br />

starken Mann markieren.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie bewerten<br />

Sie das Verhalten <strong>de</strong>r<br />

Die Container wur<strong>de</strong>n<br />

geöffnet und <strong>de</strong>r Inhalt<br />

durchwühlt<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 11


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Verschleppung an Land<br />

Ree<strong>de</strong>rei während <strong>de</strong>r<br />

Verhandlungen mit <strong>de</strong>n<br />

Piraten?<br />

Euskirchen: Es fehlte<br />

uns an Erfahrung, um zu<br />

wissen, wie so eine Verhandlung<br />

abläuft. Natürlich<br />

muss die Ree<strong>de</strong>rei<br />

am Anfang ein möglichst<br />

geringes Interesse zeigen,<br />

aber noch genug,<br />

damit die Piraten <strong>de</strong>r<br />

Besatzung nichts antun.<br />

Diese Verhandlungen wur<strong>de</strong>n seitens <strong>de</strong>r<br />

Ree<strong>de</strong>rei im Hintergrund von Spezialisten<br />

für solche Situationen betreut. Der Besatzung<br />

und <strong>de</strong>n Angehörigen kam da einiges<br />

vielleicht komisch vor. Die Verhandlungstaktik<br />

<strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei sollte aber auch nicht<br />

an die Öffentlichkeit gelangen. Im Nachhinein<br />

fin<strong>de</strong> ich, dass die Ree<strong>de</strong>rei sich absolut<br />

richtig verhalten hat. Die Verhandlungen<br />

haben sich am En<strong>de</strong> nur <strong>de</strong>shalb so lange<br />

hingezogen, weil sich die Piraten untereinan<strong>de</strong>r<br />

nicht auf die Höhe <strong>de</strong>s Lösegel<strong>de</strong>s einigen<br />

konnten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie bewerten Sie <strong>de</strong>n Einsatz<br />

technischer Schutzmaßnahmen?<br />

Euskirchen: Wirklichen Schutz bieten meiner<br />

Meinung nach nur bewaffnete Sicherheitsteams.<br />

Technische Maßnahmen sind<br />

eigentlich nur Verzögerungsmaßnahmen.<br />

Wenn ich aber nieman<strong>de</strong>n habe, <strong>de</strong>r auch<br />

zurückschießen kann, dann gibt es keinen<br />

Schutz. Wichtig ist, dass die Piraten schon<br />

von weitem erkennen, dass das Schiff geschützt<br />

ist. Sei es durch erkennbare technischen<br />

Maßnahmen o<strong>de</strong>r durch ein Plakat,<br />

das auf bewaffnetes Personal an Bord<br />

hinweist.<br />

<strong>Homeland</strong>: Im Jahr 2011 hat die Zahl<br />

<strong>de</strong>r erfolgreich durch Piraten gekaperten<br />

Schiffe abgenommen. Gleichzeitig stiegen<br />

aber die durchschnittlich als Lösegeld gezahlten<br />

Summen. Wie beurteilen Sie diese<br />

Entwicklung?<br />

Euskirchen: Grundsätzlich ist es natürlich<br />

gut, dass weniger Schiffe gekapert wur<strong>de</strong>n.<br />

Die Lösegel<strong>de</strong>r bewegen sich schon immer<br />

in einer Spirale nach oben. Das ist eine<br />

gefährliche Entwicklung, <strong>de</strong>nn ab einem<br />

bestimmten Bereich sind die Leute auch bereit,<br />

zu töten. Wenn dazu noch weniger gekaperte<br />

Schiffe kommen, steigt <strong>de</strong>r Druck<br />

auf die Piraten. Das lassen sie dann an <strong>de</strong>n<br />

Geiseln aus. Sie müssen jetzt mit weniger<br />

Schiffen ihre Erlöse erzielen. Die kommen<strong>de</strong><br />

Generation von Piraten ist zu<strong>de</strong>m noch<br />

aggressiver und unberechenbarer.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie schätzen Sie die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r weltweiten Piraterie in <strong>de</strong>n nächsten<br />

Jahren ein? Wo sehen sie Lösungsansätze<br />

für dieses Problem?<br />

Euskirchen: Überall, wo es Armut und soziale<br />

Ungerechtigkeit gibt, kann Piraterie<br />

entstehen, sei es vor Nigeria o<strong>de</strong>r vor Südamerika.<br />

Die somalische Kultur unterschei<strong>de</strong>t<br />

sich stark von unserer eigenen. Es gibt<br />

zwar innerhalb <strong>de</strong>r Piratengruppen eine<br />

grobe Struktur, aber von ihrer Mentalität<br />

her sind sie eher unkontrolliert und sprunghaft.<br />

Wenn sie von heute auf morgen etwas<br />

sehen, was rentabler ist, dann kann die Piraterie<br />

auch plötzlich wie<strong>de</strong>r aufhören. Man<br />

muss aber am Ball bleiben. Atalanta sollte<br />

weitergeführt wer<strong>de</strong>n, die Einsätze an Land<br />

müssen weitergehen, um das Material <strong>de</strong>r<br />

Piraten zu zerstören. Dann stellt sich noch<br />

die Frage nach <strong>de</strong>r dauerhaften Inhaftierung<br />

gefangener Piraten. Dafür sollte eine<br />

Lösung gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Alle ausführen<strong>de</strong>n<br />

Organe, wie die Marine o<strong>de</strong>r die Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

See funktionieren sehr gut. Ich<br />

habe aber manchmal <strong>de</strong>n Eindruck, dass<br />

die Politik <strong>de</strong>r Entwicklung nicht hinterherkommt.<br />

Man möchte da wohl nichts Falsches<br />

sagen und scheut sich davor, Verantwortung<br />

zu übernehmen.<br />

Fre<strong>de</strong>rik Euskirchen<br />

Jahrgang 1982. Bis<br />

2007 Studium „Seeverkehr<br />

und Nautik“<br />

an <strong>de</strong>r Ja<strong>de</strong> Hochschule<br />

in Elsfleth, Abschluss<br />

als Diplomingenieur.<br />

Von 2007 bis<br />

2009 Verwendungen<br />

als Dritter und Zweiter Offizier. 2010 Beför<strong>de</strong>rung<br />

zum Ersten Offizier bei <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei<br />

Leonhardt & Blumberg.<br />

12 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Die Lösung liegt an Land Heike Barnitzke<br />

Die Piraterie im Indischen Ozean bleibt<br />

nach <strong>2012</strong> nicht nur weiterhin aktuell,<br />

nach<strong>de</strong>m sie 2011 eine neue Qualität<br />

erreicht hat. Sie wird Politik und Wirtschaft<br />

auch noch auf Jahre hinaus beschäftigen.<br />

Brennpunkt <strong>de</strong>r Piraterieaktivitäten<br />

am Horn von Afrika sind <strong>de</strong>rzeit<br />

<strong>de</strong>r Golf von A<strong>de</strong>n, die Arabische See<br />

und die Gewässer <strong>de</strong>s Indischen Ozeans.<br />

Jährlich passieren 25.000 Schiffe <strong>de</strong>n<br />

Golf von A<strong>de</strong>n. Das Internationale Seefahrtsbüro<br />

(IMB) in Kuala Lumpur, das<br />

weltweit alle Piraterievorfälle dokumentiert,<br />

verzeichnete für 2011 231 Angriffe<br />

somalischer Piraten auf Han<strong>de</strong>lsschiffe,<br />

in 26 Fällen wur<strong>de</strong>n Schiffe tatsächlich<br />

entführt. Nach Angaben <strong>de</strong>r EU-Mission<br />

Atalanta befan<strong>de</strong>n sich am 14. Dezember<br />

2011 sieben Frachtschiffe, darunter<br />

eines bereits seit En<strong>de</strong> März 2010 in <strong>de</strong>r<br />

Hand somalischer Piraten.<br />

Die heutige Piraterie hat nichts mit heroischem<br />

Hel<strong>de</strong>ntum à la Like<strong>de</strong>eler zu tun.<br />

Keine Frage, bei <strong>de</strong>r heutigen Form <strong>de</strong>r<br />

Piraterie han<strong>de</strong>lt es sich um organisierte<br />

Schwerstkriminalität auf See. Die registrierten<br />

Piratenangriffe im Golf von A<strong>de</strong>n haben<br />

in <strong>de</strong>n letzten Jahren ihr Niveau kaum verän<strong>de</strong>rt.<br />

Wur<strong>de</strong>n 2008 noch 254 Angriffe und<br />

40 Entführungen verzeichnet, waren es im<br />

Jahr 2009 231 Angriffe und 53 Entführungen<br />

sowie 2010 bei 231 Angriffen sogar 50 Entführungen.<br />

Die Vereinten Nationen gehen<br />

von 3.500 Somalis aus, die als Piraten „arbeiten“.<br />

Die private One Earth Future Foundation<br />

schätzt <strong>de</strong>n finanziellen Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

Han<strong>de</strong>lsschifffahrt und Regierungen durch<br />

Schiffsentführungen und Geiselnahmen entsteht,<br />

auf rund sieben Milliar<strong>de</strong>n US-Dollar<br />

pro Jahr – dazu zählen in dieser Statistik<br />

auch <strong>de</strong>r höhere Treibstoffverbrauch für<br />

eine schnellere Durchfahrt o<strong>de</strong>r die Aufwendungen<br />

für militärischen Schutz.<br />

1.000 Somali sind nach Angaben <strong>de</strong>r<br />

Vereinten Nationen <strong>de</strong>rzeit in 20 Län<strong>de</strong>rn<br />

in Haft o<strong>de</strong>r warten auf ihre Verurteilung.<br />

„Die Ursache für die Piraterie am Horn von<br />

Afrika, wobei das betroffene Seegebiet inzwischen<br />

weite Teile <strong>de</strong>s Indischen Ozeans<br />

umfasst, ist im Wesentlichen im Zerfall <strong>de</strong>r<br />

staatlichen Ordnung Somalias nach <strong>de</strong>m<br />

Sturz von Diktator Siad Barre im Jahre 1991<br />

zu sehen“, berichtete <strong>de</strong>r damalige Konteradmiral<br />

Andreas Krause und Leiter <strong>de</strong>s Einsatzführungsstabs<br />

<strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums<br />

<strong>de</strong>r Verteidigung im Mai 2011 beim „Berliner<br />

Forum Zukunft“ <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft<br />

für Auswärtige Politik e. V. in Berlin<br />

zum Thema. 1<br />

„Somalia zerfiel danach in einem jahrelangen<br />

Bürgerkrieg in verschie<strong>de</strong>ne Regionen.<br />

Die heute bestimmen<strong>de</strong>n Faktoren in<br />

Somalia sind verschie<strong>de</strong>ne Stammesorganisationen<br />

und die rücksichtlose Verfolgung<br />

<strong>de</strong>r Partikularinteressen. Somalia ist einer<br />

<strong>de</strong>r ärmsten Staaten <strong>de</strong>r Welt, die Lebensgrundlagen<br />

für <strong>de</strong>n Großteil <strong>de</strong>r etwa 12<br />

Millionen Einwohner sind zerstört, nur etwa<br />

<strong>sec</strong>hs Millionen Somali erhalten Hilfe durch<br />

das Welternährungsprogramm <strong>de</strong>r Vereinten<br />

Nationen. Kriminalität zur Sicherung<br />

<strong>de</strong>s Lebensunterhalts ist in ganz Somalia<br />

üblich, neben Schmuggel und Raub ist das<br />

eben auch die Piraterie.“<br />

Ziel <strong>de</strong>r somalischen Piraten sei es, das<br />

entführte Schiff nebst Geiseln einzutauschen<br />

gegen Lösegeld. Das unterschei<strong>de</strong> sie<br />

grundsätzlich von <strong>de</strong>r Piraterie in <strong>de</strong>r Straße<br />

von Malakka, wo sich zwischen 2000 und<br />

2004 <strong>de</strong>r Brennpunkt <strong>de</strong>r Piraterieaktivitäten<br />

befand: „Hier geht es nicht um Waren<br />

o<strong>de</strong>r an Bord befindliches Geld, auch nicht<br />

um die Schiffe selbst, es geht ausschließlich<br />

um Geiseln, um organisierten massenhaften<br />

Menschenraub“, so Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer<br />

<strong>de</strong>s Verbands Deutscher Ree<strong>de</strong>r.<br />

Nicht zu bewerten sind die psychischen<br />

und physischen Wun<strong>de</strong>n, die die Opfer erlei<strong>de</strong>n.<br />

Gewaltanwendung ist an <strong>de</strong>r Tagesordnung,<br />

sogar über so genannte Scheinhinrichtungen<br />

wur<strong>de</strong> berichtet.<br />

Die somalische Vorgehensweise ist in<br />

<strong>de</strong>n vergangenen Jahren perfi<strong>de</strong> perfektioniert<br />

wor<strong>de</strong>n und für die organisierte Kriminalität<br />

zu einer ergiebigen Einnahmequelle<br />

gewor<strong>de</strong>n. „Es han<strong>de</strong>lt sich dabei keinesfalls<br />

etwa um verarmte Fischer, die die Gelegenheit<br />

zu einem Überfall nutzen, son<strong>de</strong>rn<br />

um ver<strong>de</strong>ckt agieren<strong>de</strong> Investoren, die Piratenführer<br />

beauftragen und mit finanziellen<br />

Mitteln ausstatten. Die Piratenführer<br />

wie<strong>de</strong>rum rekrutieren die auf See han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

Piraten. Im Fall einer erfolgreichen Kaperung<br />

wer<strong>de</strong>n inzwischen professionelle<br />

Ralf Nagel<br />

Vizeadmiral Andreas<br />

Krause<br />

1<br />

Seit <strong>de</strong>m 1. Januar <strong>2012</strong> ist Krause<br />

stellvertreten<strong>de</strong>r Befehlshaber <strong>de</strong>s<br />

Allied Maritime Command in Neapel<br />

und mittlerweile als Vizeadmiral<br />

tätig.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 13


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Besucher <strong>de</strong>r Podiumsdiskussion<br />

<strong>de</strong>r Deutschen<br />

Gesellschaft für<br />

Auswärtige Politik e. V.<br />

Verhandlungsführer in <strong>de</strong>n Verhandlungen<br />

mit <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>rn eingesetzt“, berichtete<br />

Vizeadmiral Krause.<br />

So ausgestattet agieren die Piraten zunehmend<br />

professionell: Immer wie<strong>de</strong>r kommen<br />

große und hochseetüchtige Mutterschiffe<br />

zum Einsatz, auf <strong>de</strong>nen sich bereits<br />

Geiseln befin<strong>de</strong>n. Die durchschnittliche Länge<br />

einer Geiselnahme beträgt nach Angaben<br />

<strong>de</strong>s Internationalen Seefahrtsbüros <strong>de</strong>rzeit<br />

über sieben Monate. Geldübergaben wer<strong>de</strong>n<br />

mit Hubschraubern abgewickelt. Auch dass<br />

die Verhandlungsführer z. B. kurzfristig eingeflogen<br />

wer<strong>de</strong>n können, weist auf <strong>de</strong>n hohen<br />

Organisationgrad und die Finanzmittel<br />

im Hintergrund.<br />

2011 allein seien nach Angaben <strong>de</strong>r One<br />

Earth Future Foundation rund 160 Millionen<br />

US-Dollar Lösegeld für 31 freigegebene<br />

Schiffe kassiert wor<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re Quellen<br />

gehen von noch höheren Summen aus.<br />

Wie viel genau gezahlt wur<strong>de</strong>, ist aus gutem<br />

Grund nicht zu erfahren. Auf je<strong>de</strong>n Fall lan<strong>de</strong>t<br />

dieses Geld in einem Kreislauf, <strong>de</strong>r auch<br />

für Geheimdienste kaum zu kontrollieren<br />

ist. In Somalia gibt es bis heute keine einzige<br />

Bank, Barsummen wer<strong>de</strong>n statt<strong>de</strong>ssen<br />

per Kurier in Nachbarlän<strong>de</strong>r gebracht und<br />

in diverse Kreisläufe gebracht. Ein System,<br />

dass die Somalis in 20 Jahren Bürgerkrieg<br />

perfektioniert haben, <strong>de</strong>nn nur so kamen<br />

Gel<strong>de</strong>r von Verwandten ins Land. Ein großer<br />

Teil <strong>de</strong>r Lösegel<strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>t wahrscheinlich<br />

heute bei zumeist somalischen Investoren<br />

im Ausland, die wie<strong>de</strong>rum in neue<br />

Piraterie-Unternehmungen investieren,<br />

Waffen und Ausrüstung finanzieren und so<br />

hohe Renditen kassieren. Ebenfalls sehr gut<br />

verdienen die Sicherheitsfirmen, die sich<br />

inzwischen vor Ort angesie<strong>de</strong>lt haben, zumeist<br />

aus Großbritannien und Südafrika. Sie<br />

bieten Lösegeldübergaben an, aber auch zunehmend<br />

private Sicherheit – an Bord.<br />

Angesichts dieser Bedrohung hat sich<br />

eine große Koalition aus aller Welt im Golf<br />

von A<strong>de</strong>n zusammen gefun<strong>de</strong>n. Genau genommen<br />

sind es mehrere militärische Missionen<br />

aus unterschiedlichen Mitglie<strong>de</strong>rn mit<br />

wie<strong>de</strong>rum unterschiedlichen Befugnissen<br />

und Möglichkeiten: die EU NAVFOR unter<br />

<strong>de</strong>m Namen „Atalanta“, zuletzt die NATOgeführte<br />

Mission „Ocean Shield“ und eine<br />

Koalition unter US-Führung namens „Combined<br />

Task Force“ (CTF-151), die vor Ort gemeinsam<br />

agieren.<br />

Piraterie betrifft die gesamte Weltschifffahrt<br />

und dabei wohl beson<strong>de</strong>rs die Exportnation<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland.<br />

Schließlich verfügt Deutschland über die<br />

drittgrößte Han<strong>de</strong>lsflotte <strong>de</strong>r Welt. Deutsche<br />

Ree<strong>de</strong>r fahren in aller Welt – etwa 800<br />

<strong>de</strong>r 1.700 Passagen <strong>de</strong>utscher Han<strong>de</strong>lsschiffe<br />

führen nach Angaben <strong>de</strong>s Verbands Deutscher<br />

Ree<strong>de</strong>r durch das von <strong>de</strong>r Piraterie<br />

betroffene Gebiet am Horn von Afrika.<br />

Eine wichtige Vorsichtsmaßnahme ist die<br />

Fahrt im Konvoi. Die multinationale Mission<br />

Atalanta <strong>de</strong>r Europäischen Union ist seit<br />

2008 im Golf von A<strong>de</strong>n vor Ort. Ihre Aufgabe<br />

ist <strong>de</strong>r Schutz humanitärer Hilfslieferungen<br />

<strong>de</strong>s Welternährungsprogramms <strong>de</strong>r Vereinten<br />

Nationen nach Somalia, Schutz <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsseefahrt<br />

im Golf von A<strong>de</strong>n und Bekämpfung<br />

jeglicher Piraterie, sowie Mitwirkung<br />

bei <strong>de</strong>r Überwachung <strong>de</strong>r Fischerei vor <strong>de</strong>r<br />

somalischen Küste. Mit <strong>de</strong>m Einsatzgruppenversorger<br />

„Berlin“ ist das größte Schiff<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine seit Februar vor Ort. Derzeit<br />

beteiligen sich Belgien, Deutschland,<br />

Frankreich, die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Italien, Schwe<strong>de</strong>n<br />

und Spanien ständig an <strong>de</strong>r Operation.<br />

Als erster Nicht-EU-Staat war von August<br />

2009 bis Januar 2010 Norwegen mit einem<br />

Schiff im Einsatz. Griechenland wird seine<br />

Beteiligung an <strong>de</strong>r Mission stoppen.<br />

„Seit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r Operation Atalanta<br />

haben Piraten das Seegebiet, in <strong>de</strong>m<br />

sie operieren, beständig ausgeweitet – um<br />

das Somali-Bassin und immer weiter bis auf<br />

<strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>s Indischen Ozeans“,<br />

berichtete Vizeadmiral Krause von <strong>de</strong>n<br />

14 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Erfahrungen, die vor Ort gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />

„Die Verlagerung im Golf von A<strong>de</strong>n ist seit<br />

Beginn <strong>de</strong>s militärischen Schutzes durch die<br />

Atalanta-Mission <strong>de</strong>utlich. Zeitweilig sind<br />

40 Schiffe unter nationaler o<strong>de</strong>r EU-Führung<br />

eingesetzt. Sie haben ein gemeinsames<br />

Ziel, doch <strong>de</strong>r Handlungsradius unterschei<strong>de</strong>t<br />

sich zum Teil doch erheblich. Die<br />

Vorgehensweise <strong>de</strong>r EU, und das ist gut so,<br />

richtet sich an <strong>de</strong>n rechtlichen und gesellschaftlichen<br />

Werten aus. Die sind klar <strong>de</strong>finiert.<br />

Auch wenn sie die Möglichkeiten <strong>de</strong>s<br />

Eingreifens stärker beschränken als dies bei<br />

an<strong>de</strong>ren Nationen <strong>de</strong>r Fall ist. Rechtstaatliches<br />

Han<strong>de</strong>ln einerseits und die Unversehrtheit<br />

<strong>de</strong>r Geiseln, sowohl die auf <strong>de</strong>m<br />

entführten als auch möglicherweise auf <strong>de</strong>m<br />

Mutterschiff, stehen für uns unzweifelhaft<br />

im Vor<strong>de</strong>rgrund.“<br />

Angesichts <strong>de</strong>r inzwischen durch <strong>de</strong>n hohen<br />

Verfolgungsdruck ausgereiften Taktiken<br />

<strong>de</strong>r Piraten kann die Piraterie auf See eben<br />

nur eingedämmt und nicht verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n:<br />

„Neben <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>s Ausweichens<br />

und <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>s Wie<strong>de</strong>rauffin<strong>de</strong>ns setzen<br />

Piraten hochseetüchtige Mutterschiffe<br />

mit Geiseln ein. Das macht Aktivitäten gegen<br />

Piraten umso schwieriger. Im Gegenzug<br />

beabsichtigt die Europäische Union angepasstere,<br />

robustere Maßnahmen. So sollen<br />

z. B. erkannte Mutterschiffe markiert wer<strong>de</strong>n,<br />

um sie weiträumig umfahren zu können,<br />

um die Einsätze von bewaffneten Kräften<br />

besser zum Einsatz zu bringen.“<br />

Doch <strong>de</strong>m Einsatz bewaffneter Kräfte<br />

sind Grenzen gesetzt: „Der Einsatz von<br />

<strong>de</strong>utschen ´Vessel Protection Detachments´<br />

ist ausschließlich im Rahmen <strong>de</strong>r Operation<br />

Atalanta rechtlich abge<strong>de</strong>ckt. Eine Einschiffung<br />

<strong>de</strong>utscher Kräfte auf <strong>de</strong>utschen<br />

Han<strong>de</strong>lsschiffen ist außerhalb dieser Mission<br />

nicht möglich. Grundlage für die Einschiffung<br />

dieser VPD ist das so genannte<br />

Flaggenstaatsabkommen, mit <strong>de</strong>r ein Flaggenstaat<br />

<strong>de</strong>r Einschiffung auf einem seiner<br />

Schiffe zustimmt. Das hat sich bisher in<br />

<strong>de</strong>r Praxis als recht zeitaufwendig erwiesen<br />

und schließt spontane Einschiffungen aus.<br />

Eine solche Zustimmung liegt bisher <strong>de</strong>r EU<br />

für vier Nationen vor. Die <strong>de</strong>utsche Marine<br />

kann ihren Einsatz im Rahmen <strong>de</strong>r Mission<br />

Atalanta durchhaltefähig sicherstellen.“<br />

Eine weitere wesentliche Schwierigkeit<br />

ist die Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten:<br />

„Nach<strong>de</strong>m Kenia als Transferpartner<br />

nur noch auf ad-hoc-Basis verfügbar<br />

ist und auch an<strong>de</strong>re Anrainerstaaten<br />

sehr zögerlich<br />

auftreten, ist auf<br />

<strong>de</strong>n Seychellen die Kapazitätsgrenze<br />

erreicht.<br />

Mit Mauritius wer<strong>de</strong>n gegenwärtig<br />

Verhandlungen<br />

geführt. Auf diesem<br />

Feld gibt es also erheblichen<br />

Handlungsbedarf.<br />

Im April 2011 wur<strong>de</strong> vom<br />

Sicherheitsrat <strong>de</strong>r Vereinten<br />

Nationen eine Resolution<br />

verabschie<strong>de</strong>t,<br />

durch die <strong>de</strong>r Generalsekretär <strong>de</strong>r UN beauftragt<br />

wird, innerhalb von zwei Monaten<br />

eine Ausgestaltung von Somaliapiraterie-<br />

Son<strong>de</strong>rgerichten inner- und außerhalb von<br />

Somalia zu prüfen. Ferner ist nach Aufgreifen<br />

mutmaßlicher Piraten nicht immer gewährleistet,<br />

dass sie einer Strafverfolgung<br />

zugeführt wer<strong>de</strong>n. Das ist von <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft<br />

abhängig, und bis zur Entscheidung<br />

bleiben die mutmaßlichen Piraten an<br />

Bord <strong>de</strong>s Kriegsschiffes. Bei <strong>de</strong>n hohen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an die Beweissicherung, für die<br />

in Deutschland die Polizei verantwortlich ist,<br />

wird die Marine durch Feldjäger und einen<br />

eingeschifften Rechtsberater unterstützt.“<br />

Darüber hinaus besteht für die zivile<br />

Schifffahrt die Verantwortung zur Eigensicherung,<br />

wie z. B. die Koordination <strong>de</strong>r Bewegungen<br />

von Han<strong>de</strong>ls- und militärischen<br />

Schifffahrtsbewegungen über das Maritime<br />

<strong>Security</strong> Centre Horn of Africa, <strong>de</strong>m<br />

MSCHoA, das die EU NAVFOR <strong>de</strong>r Mission<br />

Ralf Nagel<br />

Vizeadmiral Andreas<br />

Krause<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 15


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

ATALANTA Einsatz: Ein<br />

Frachtschiff vor <strong>de</strong>r<br />

Küste Somalias wird<br />

durch das Boardingteam<br />

<strong>de</strong>r Fregatte HAMBURG<br />

überprüft.<br />

Atalanta betreibt. Dort wer<strong>de</strong>n die Schiffsbewegungen<br />

überwacht und Warnungen übermittelt.<br />

Die Anmeldung bei diesem Zentrum<br />

gehört zur Umsetzung <strong>de</strong>r so genannten<br />

„Best Management Practices“. Diese umfassen<br />

neben umfangreichen baulichen Verän<strong>de</strong>rungen<br />

an Bord <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe auch<br />

Schulungen für die maritime Wirtschaft. Die<br />

Bun<strong>de</strong>spolizei unterhält in Neustadt/Holstein<br />

seit Februar 2010 das Piraterie-Präventionszentrum<br />

(PPZ), das die Aufgabe hat,<br />

nationale kriminalpräventive Maßnahmen<br />

zu koordinieren. Es ist ständig erreichbar<br />

für Fragen über Piraterie und führt Workshops<br />

für die <strong>de</strong>utsche Seeschifffahrt durch.<br />

VDR-Geschäftsführer Ralf Nagel berichtete<br />

von hervorragen<strong>de</strong>n Erfahrungen mit<br />

<strong>de</strong>m PPZ, das <strong>de</strong>n Sicherheitsoffizieren <strong>de</strong>r<br />

Ree<strong>de</strong>reien neben praktischen Maßnahmen<br />

auch psychologische Aspekte für Geiseln in<br />

Piratenhand vermittelt.<br />

Einem Einsatz von Bun<strong>de</strong>spolizei an Bord<br />

hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sinnenminister eine Absage<br />

erteilt. Von <strong>de</strong>n 3.559 Schiffen <strong>de</strong>utscher<br />

Ree<strong>de</strong>r stehen 568 unter <strong>de</strong>utscher Flagge.<br />

(Stand: März 2011) Allein für <strong>de</strong>ren Schutz<br />

während <strong>de</strong>r Fahrt vor <strong>de</strong>r ostafrikanischen<br />

Küste wür<strong>de</strong> mit einem Bedarf von 1.500<br />

Bun<strong>de</strong>spolizisten gerechnet und mit jährlichen<br />

Kosten von 150 Millionen Euro. Das ist<br />

nicht zu leisten.<br />

Die Bun<strong>de</strong>sregierung setzt daher auf<br />

<strong>de</strong>n vermehrten Einsatz privater Sicherheitsteams,<br />

die schon jetzt auf manchen<br />

Schiffen eingesetzt sind und sich nachweislich<br />

bei Angriffen bereits bewährt haben.<br />

Es ist bisher kein Fall bekannt, in <strong>de</strong>m ein<br />

Schiff gekapert wur<strong>de</strong>, auf <strong>de</strong>m sich bewaffnete<br />

Sicherheitskräfte befan<strong>de</strong>n. Dass<br />

<strong>de</strong>utsches Recht das Mitführen automatischer<br />

Waffen auf Schiffen verbietet, war bereits<br />

Gegenstand längerer Diskussionen.<br />

Doch <strong>de</strong>r Einsatz bewaffneter Einsatzkräfte<br />

kann das Phänomen <strong>de</strong>r Piraterie<br />

letztlich lediglich eindämmen. Vizeadmiral<br />

Krause verwies auf das Beispiel <strong>de</strong>r Straße<br />

von Malakka: „Diese Meeresstraße ist mit<br />

jährlich 50.000 Schiffen einer <strong>de</strong>r meistbefahrenen<br />

Wasserstraßen <strong>de</strong>r Welt. Die Piraterieaktivitäten<br />

hatten dort in <strong>de</strong>n Jahren<br />

2000 bis 2004 ihren Höhepunkt. Erst als die<br />

regionalen Anrainerstaaten ihre Bemühungen<br />

zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie erhöht<br />

hatten, und zwar gemeinsam, konnten nachhaltige<br />

Erfolge gegen die Piraterie erzielt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Einige <strong>de</strong>r Staaten mo<strong>de</strong>rnisierten in <strong>de</strong>n<br />

1990ern ihre Seestreitkräfte und setzten sie<br />

zur Überwachungen <strong>de</strong>r Küsten ein. In Singapur,<br />

Thailand und Indonesien etwa wur<strong>de</strong>n<br />

schnelle Einsatztruppen geschaffen.<br />

Des Weiteren haben die Staaten das Maß<br />

<strong>de</strong>r ko- und bilateralen Zusammenarbeit erhöht.<br />

Dies führte u. a. 2004 zur Sicherheitsinitiative<br />

<strong>de</strong>r Straße von Malakka MSSI, mit<br />

<strong>de</strong>r erstmals eine grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />

Verfolgung von Piraterie gewährleistet wer<strong>de</strong>n<br />

konnte.<br />

Die Erfolge in Südostasien zeigten uns<br />

aber auch, dass das Problem auf See allein<br />

nicht lösbar sein wird. Viel wichtiger<br />

als eine bessere maritime Ausstattung und<br />

Radarüberwachung sind gefestigte Staatsstrukturen,<br />

Durchsetzung <strong>de</strong>s staatlichen<br />

Gewaltmonopols, Bekämpfung <strong>de</strong>r Armut<br />

und <strong>de</strong>r gemeinsame, umfassen<strong>de</strong> Einsatz<br />

aller Kräfte als Schlüssel zum Erfolg.“ Die<br />

Lösung liegt an Land.<br />

16 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Piraterie ist völlig unromantisch<br />

Bei Piraterie han<strong>de</strong>lt es sich um Gewalttaten,<br />

Eigentums<strong>de</strong>likte o<strong>de</strong>r Freiheitsberaubungen,<br />

die zu eigennützigen<br />

Zwecken unter Gebrauch eines Seeo<strong>de</strong>r<br />

Luftfahrzeugs auf hoher See o<strong>de</strong>r<br />

in an<strong>de</strong>ren Gebieten verübt wer<strong>de</strong>n, die<br />

keiner staatlichen Gewalt unterliegen.<br />

Für Ernst-Reinhard Beck, MdB CDU/<br />

CSU, ist Piraterie völlig unromantisch.<br />

Mit ihm sprachen Dr. Nadine Seumenicht<br />

und Michael Zacher.<br />

<strong>Homeland</strong>: Piraten-Romantik à la Störtebeker:<br />

Ist das ein verklärter, unsachgemäßer<br />

Blick?<br />

Beck: Piraterie ist völlig unromantisch: Sie<br />

ist organisierte Kriminalität mit zunehmen<strong>de</strong>r<br />

Brutalität im Vorgehen. Verklärung von<br />

Verbrechern ist völlig unangemessen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Die Exportnation Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

Deutschland verfügt über die drittgrößte<br />

Han<strong>de</strong>lsflotte <strong>de</strong>r Welt. Deutsche Ree<strong>de</strong>r<br />

fahren in aller Welt – etwa 800 <strong>de</strong>r 1.700<br />

Passagen <strong>de</strong>utscher Han<strong>de</strong>lsschiffe führen<br />

nach Angaben <strong>de</strong>s Verbands Deutscher Ree<strong>de</strong>r<br />

(VDR) z. B. durch das von <strong>de</strong>r Piraterie<br />

betroffene Gebiet am Horn von Afrika, im<br />

Golf von A<strong>de</strong>n. Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer<br />

<strong>de</strong>s VDR, beziffert <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n auf<br />

jährlich etwa 12 Milliar<strong>de</strong>n Euro. Was halten<br />

Sie von dieser Schätzung?<br />

Beck: Ich habe großes Verständnis dafür,<br />

wenn man sagt, wer Lösegeld zahlt, macht<br />

sich weiter erpressbar und finanziert damit<br />

die Piraterie. In <strong>de</strong>r Praxis lässt sich das<br />

Zahlen von Lösegeld aber nur schwer verhin<strong>de</strong>rn,<br />

wenn eigene Mitarbeiter wochenund<br />

monatelang (s. Hansa Stavanger) unter<br />

schlimmen Bedingungen festgehalten und<br />

mit <strong>de</strong>m Tod bedroht wer<strong>de</strong>n. Aus humanitären<br />

Grün<strong>de</strong>n wird im Einzelfall an<strong>de</strong>rs<br />

gehan<strong>de</strong>lt.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das Vorgehen <strong>de</strong>r Deutschen<br />

bzw. Europäer im Vergleich mit <strong>de</strong>n Amerikanern:<br />

Sehen Sie Unterschie<strong>de</strong>? Gibt es<br />

eine Art „best practice“?<br />

Michael Zacher und Dr.<br />

Nadine Seumenicht im<br />

Gespräch mit Ernst-<br />

Reinhard Beck<br />

Beck: Ich kenne Herrn Nagel und gehe davon<br />

aus, dass diese Schätzung seriös ist.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wahrscheinlich ist die Ten<strong>de</strong>nz<br />

steigend?<br />

Beck: Möglich, aber die Erfolgsquote bei<br />

Kaperungen geht zurück. Wir hatten im Jahre<br />

2010 eine Erfolgsquote von 24 % und<br />

2011 nur noch von 12 %. Die Abwehrmaßnahmen<br />

zeigen Wirkung. So ist die Zahl <strong>de</strong>r<br />

gekaperten Schiffe zurückgegangen, das<br />

durchschnittlich gezahlte Lösegeld jedoch<br />

gestiegen. Im Jahre 2008 waren es durchschnittlich<br />

1,4 Millionen Dollar Lösegeld pro<br />

Schiff, 2011 bereits 4,5 Millionen Dollar.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie steht die <strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>sregierung<br />

zu Lösegeldzahlungen?<br />

Beck: Ich sehe keine großen Unterschie<strong>de</strong>.<br />

Wir beteiligen uns an <strong>de</strong>r Operation Atalanta,<br />

die eng mit <strong>de</strong>r NATO-Operation Ocean<br />

Shield zusammenarbeitet. Seit 2009 gibt es<br />

einen Transit Corridor durch <strong>de</strong>n Golf von<br />

A<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Hoch-Risiko-Zone sorgen unter<br />

an<strong>de</strong>rem Schiffe <strong>de</strong>r Operation Atalanta für<br />

die Sicherheit <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe. Der Abschreckungseffekt<br />

ist da und das robustere<br />

Vorgehen zeigt Wirkung.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo können Deutsche bzw.<br />

Europäer noch stärker international<br />

zusammenarbeiten?<br />

Beck: Wir haben mit Atalanta eine Mission,<br />

die sich großer Zustimmung in <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

erfreut. Die Deutsche Marine<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 17


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

nimmt ihre Aufgabe mit großer öffentlicher<br />

Unterstützung wahr. Eine Ausweitung über<br />

das aktuelle Mandat hinaus halte ich im Moment<br />

nicht für notwendig. Es wäre natürlich<br />

wünschenswert, dass man in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r<br />

Koordination weiterkommt; zwischen Ocean<br />

Shield und Atalanta funktioniert das. In <strong>de</strong>m<br />

riesigen Seegebiet, das größer als Europa<br />

ist, wäre eine Gesamtkoordination durch die<br />

UNO wünschenswert. Das wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Druck<br />

auf die Piraten verstärken.<br />

<strong>Homeland</strong>: Gibt es Überlegungen, dass Militär<br />

und private Sicherheitseinheiten koordiniert<br />

auftreten? O<strong>de</strong>r arbeiten bei<strong>de</strong><br />

autark?<br />

Beck: Eine Kooperation von maritimen Sicherheitskräften,<br />

und Han<strong>de</strong>lsschiffen, die<br />

durch eine private Sicherheitsfirma geschützt<br />

sind, ist aus meiner Sicht nicht nur<br />

wünschenswert, son<strong>de</strong>rn auch notwendig.<br />

Unsere Konvois bieten Schutz und mit <strong>de</strong>r<br />

Orion betreiben wir Aufklärung. Ich hoffe,<br />

dass die Kommunikation in bei<strong>de</strong>n Richtungen<br />

funktioniert.<br />

<strong>Homeland</strong>: Gibt es eine juristische<br />

Grauzone?<br />

Beck: Ich schätze das Gewaltmonopol <strong>de</strong>s<br />

Staates in seiner frie<strong>de</strong>nsstiften<strong>de</strong>n Wirkung.<br />

Natürlich trägt diese Entwicklung einer<br />

verän<strong>de</strong>rten Gefahrenlage Rechnung.<br />

Auch können staatliche Organe nicht in allen<br />

Bereichen <strong>de</strong>n erwünschten Grad von<br />

Sicherheit garantieren. So wird auch <strong>de</strong>r<br />

Einsatz von privaten Sicherheitskräften gefor<strong>de</strong>rt.<br />

Wenn diese Firmen lizensiert und<br />

zertifiziert sind, sehe ich auch nicht die<br />

Gefahr in einer juristischen Grauzone zu<br />

operieren.<br />

<strong>Homeland</strong>: Stichwort „Private Sicherheitskräfte“:<br />

Hier fin<strong>de</strong>t doch sozusagen ein gegenseitiges<br />

Aufrüsten bzw. Aufschaukeln<br />

statt. Dadurch, dass Geld fließt, rüsten die<br />

Piraten auf und wir legen nach. Es schaukelt<br />

sich immer höher. Wie ist das zu vermei<strong>de</strong>n?<br />

Beck: Eine Aktion löst auch immer eine Gegenaktion<br />

aus und ein verstärkter Schutz<br />

möglicherweise auch eine verstärkte Attacke.<br />

Ich beobachte zurzeit jedoch keine<br />

Eskalation. Wenn die Piraten merken, dass<br />

wirksamer Schutz vorhan<strong>de</strong>n ist, lassen sie<br />

in <strong>de</strong>r Regel von weiteren Aktionen ab. Als<br />

Reaktion auf das robuste Vorgehen <strong>de</strong>r Alliierten<br />

haben die Piraten Ihr Operationsgebiet<br />

ausgeweitet. Einen kompletten Schutz<br />

durch unsere Marine o<strong>de</strong>r durch eine an<strong>de</strong>re<br />

Marine gibt es nicht. Wir bieten die Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>s Konvoischutzes. Für manche ist<br />

das attraktiv, für an<strong>de</strong>re aber nicht.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo stehen wir mit Atalanta in<br />

fünf Jahren? Der Trend ist positiv, wenngleich<br />

die Lösegeldzahlungen aktuell <strong>de</strong>utlich<br />

höher sind. Wer<strong>de</strong>n wir das Problem<br />

beseitigen können? O<strong>de</strong>r müssen wir <strong>de</strong>n<br />

Schritt wagen, von Bord zu gehen und auch<br />

an Land zu operieren?<br />

Beck: Vorweg: Ich bin gegen Landoperationen.<br />

Mit <strong>de</strong>m neuen Mandat können seit einiger<br />

Zeit auch Schiffe o<strong>de</strong>r Waffenlager <strong>de</strong>r<br />

Piraten am Strand z.B. mit Bordhubschraubern<br />

bekämpft wer<strong>de</strong>n. Wir haben damit<br />

<strong>de</strong>n Soldaten ein wirksames Mittel in Form<br />

einer zusätzlichen militärischen Option zum<br />

Kampf gegen die Piraten gegeben. Eine weitere<br />

Ausweitung <strong>de</strong>s Mandats in Bezug auf<br />

Operationen im Lan<strong>de</strong>sinneren wird es aber<br />

nicht gehen. Nochmals: Keine „Boots on the<br />

ground“.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo sehen Sie das zukünftige<br />

Gefährdungspotenzial?<br />

Beck: Ich wür<strong>de</strong> mir wünschen, dass wir<br />

das Übel an <strong>de</strong>r Wurzel anpacken. Ich glaube,<br />

dass wir etwas erreichen, wenn wir mit<br />

<strong>de</strong>n Anstrengungen <strong>de</strong>r Staatengemeinschaft<br />

weiterhin präsent und glaubhaft in<br />

<strong>de</strong>r Abschreckung sind und die entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Vorkehrungen, also Sicherheitsmaßnahmen<br />

an Bord von Han<strong>de</strong>lsschiffen,<br />

verstärken und komplettieren. Letztendlich<br />

ist eine nachhaltige Beendigung <strong>de</strong>r Gefährdung<br />

nur durch eine Verän<strong>de</strong>rung auch an<br />

Land möglich – sprich: Strukturen von Ordnung<br />

und Recht in Somalia. Da wäre die<br />

Frage, was die internationale Gemeinschaft<br />

tun soll. Je<strong>de</strong> Einmischung, je<strong>de</strong> Intervention<br />

hat bisher die Dinge nur schlechter gemacht.<br />

Ein gutes Beispiel für nachhaltige<br />

Pirateriebekämpfung ist die Straße von<br />

Malakka. Sie war eine gefähr<strong>de</strong>te Region.<br />

Durch das massive Vorgehen <strong>de</strong>r Anrainer<br />

gegen die Piraten hat sich die Piraterie dort<br />

nahezu aufgelöst.<br />

18 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo wer<strong>de</strong>n wir mit <strong>de</strong>r Piraterie<br />

in fünf Jahren stehen?<br />

Beck: Im Augenblick stabilisiert sich die<br />

Situation durch das Zusammenwirken von<br />

verstärkter Sicherheitsvorkehrung an Bord<br />

<strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe und verstärkter Präsenz<br />

<strong>de</strong>r Kriegsschiffe in <strong>de</strong>r Region. Diese Kombination,<br />

zusammen mit positiven Entwicklungen<br />

in Somalia, könnte die Situation soweit<br />

stabilisieren, dass die Piraterie auf ein<br />

niedriges Niveau absinkt. Wenn es uns gelänge,<br />

eine stabile Staatenstruktur um das<br />

Seegebiet in Somalia zu errichten, wäre das<br />

Problem vielleicht mittel- bis langfristig in<br />

<strong>de</strong>n Griff zu bekommen. Ich bin skeptisch,<br />

was kurz- und mittelfristige Lösungen o<strong>de</strong>r<br />

radikale Lösungen anbelangt.<br />

<strong>Homeland</strong>: Was wünschen Sie sich privat<br />

und in ihrem politischen Wirken für die<br />

Zukunft?<br />

Beck: Privat, wie wohl je<strong>de</strong>r Politiker: Mehr<br />

Zeit für die Familie und weniger Hektik. Politisch:<br />

Mehr Aufmerksamkeit für die großen<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Sicherheitspolitik<br />

sowie mehr Unterstützung und Anerkennung<br />

für unsere Soldaten im Einsatz. Wenn<br />

ich sage, die Welt wird mit je<strong>de</strong>m Tag unsicherer<br />

und nicht sicherer, dann sind alle<br />

Anstrengungen nötig, Lösungen auf friedlichem<br />

Wege zu erreichen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Herr Beck, herzlichen Dank für<br />

das Gespräch.<br />

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<strong>de</strong>u_anzeige_militaer_zivil_185x135.indd 1 05.01.<strong>2012</strong> 13:55:30


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Organisierte Kriminalität<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Seepiraterie durch erhöhtes staatliches<br />

Engagement vor Ort<br />

„Noch nie sind Schiffe weltweit und<br />

auch am Horn von Afrika so häufig von<br />

Piraten angegriffen wor<strong>de</strong>n wie im ersten<br />

Halbjahr 2011. Von daher ist sowohl<br />

das internationale als auch das<br />

<strong>de</strong>utsche Engagement erheblich auszubauen<br />

und die Bun<strong>de</strong>sregierung ist<br />

aufgefor<strong>de</strong>rt, ihren Einfluss im nordatlantischen<br />

Bündnis sowie im Weltsicherheitsrat<br />

verstärkt auf diese Bedrohung<br />

auszurichten.“ Diese Auffassung<br />

vertritt Michael Neumann, Senator <strong>de</strong>r<br />

Behör<strong>de</strong> für Inneres und Sport <strong>de</strong>r Freie<br />

und Hansestadt Hamburg.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsche Schiffe<br />

vor Übergriffen durch Piraten geschützt?<br />

Welche Rolle nehmen hier Marine und Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

ein?<br />

Neumann: Die Bekämpfung <strong>de</strong>r Seepiraterie<br />

und <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>utscher Schiffe liegen<br />

in staatlicher Verantwortung. Neben<br />

umfassen<strong>de</strong>n Eigensicherungsmaßnahmen<br />

seitens <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien, die sich an <strong>de</strong>n<br />

Empfehlungen <strong>de</strong>r IMO orientieren sollten,<br />

macht die Abwehr von Piratenangriffen <strong>de</strong>shalb<br />

<strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Deutschen Marine und<br />

bun<strong>de</strong>spolizeiliches Han<strong>de</strong>ln insbeson<strong>de</strong>re<br />

zum Schutz <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Han<strong>de</strong>lsflotte erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Als beson<strong>de</strong>rs wirkungsvoll hat<br />

sich bisher <strong>de</strong>r Einsatz bewaffneter Schutzteams<br />

an Bord beson<strong>de</strong>rs gefähr<strong>de</strong>ter Schiffe<br />

erwiesen. Insofern ist das Engagement<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Marine im Rahmen <strong>de</strong>r EU-<br />

Operation ATALANTA und die Arbeit <strong>de</strong>s Pirateriepräventionszentrums<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

See zu begrüßen. Gleichwohl muss <strong>de</strong>r<br />

militärische Einsatz <strong>de</strong>r Deutschen Marine<br />

verstärkt und Einheiten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

für <strong>de</strong>n Schutz beson<strong>de</strong>rs gefähr<strong>de</strong>ter, unter<br />

<strong>de</strong>utscher Flagge fahren<strong>de</strong>r Schiffe, bereitgestellt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Homeland</strong>: Umstritten ist <strong>de</strong>r Einsatz privater<br />

Sicherheitskräfte an Bord. Bund<br />

und Län<strong>de</strong>r sind sich uneins darüber. Die<br />

Bun<strong>de</strong>sregierung will <strong>de</strong>n Einsatz privater<br />

Sicherheitskräfte auf <strong>de</strong>utschen<br />

Schiffen ermöglichen und forcieren. Was<br />

halten Sie davon? Wie sehen Sie <strong>de</strong>ren<br />

Einsatzmöglichkeiten?<br />

Neumann: Die Abwehr erheblicher Gefahren<br />

und <strong>de</strong>r Schutz von Seeschiffen unter<br />

<strong>de</strong>utscher Flagge ist staatliche, hoheitliche<br />

Aufgabe. Der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen<br />

kann nach meiner Überzeugung<br />

nur unter Führung von <strong>de</strong>utscher Marine<br />

o<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei und nur als Assistenz<br />

für staatliche Sicherheitskräfte angemessen<br />

sein. Das ist beim Bund aber nicht durchsetzbar,<br />

er setzt auf private Kräfte. Die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />

hat jetzt einen Gesetzentwurf<br />

auf <strong>de</strong>n Weg gebracht, <strong>de</strong>r für Bewachungsunternehmen<br />

auf Seeschiffen ein beson<strong>de</strong>res<br />

Zulassungsverfahren einführt. Damit<br />

sollen nur zuverlässige und qualifizierte<br />

Sicherheitskräfte auf Schiffen unter <strong>de</strong>utscher<br />

Flagge zum Einsatz kommen. Damit<br />

einher geht die Pflicht <strong>de</strong>r betroffenen Unternehmen,<br />

sich einem waffenrechtlichen<br />

Genehmigungsverfahren zu unterziehen.<br />

Hamburg wird sich hier voraussichtlich als<br />

zentrale Genehmigungsbehör<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rs<br />

engagieren. Ich betone aber noch einmal,<br />

dass <strong>de</strong>r ausschließliche Einsatz – selbst<br />

zertifizierter – privater Sicherheitskräfte<br />

aus meiner Sicht kein Ersatz für fehlen<strong>de</strong>s<br />

Engagement <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s bei <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />

<strong>de</strong>r Piraterie sein darf!<br />

<strong>Homeland</strong>: Die Innenminister <strong>de</strong>r fünf Küstenlän<strong>de</strong>r<br />

sehen die Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie<br />

in <strong>de</strong>r staatlichen Verantwortung und<br />

for<strong>de</strong>rn mehr Soldaten sowie ein Gesamtkonzept<br />

unter <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine.<br />

Im Indischen Ozean betreibt die EU<br />

NAVFOR die Mission ATALANTA, vornehmlich<br />

zur Sicherung <strong>de</strong>r UN-Hilfslieferungen<br />

nach Somalia, aber eben auch im Einsatz<br />

gegen Piraterie. Wie beurteilen Sie <strong>de</strong>ren<br />

Wirkmöglichkeiten?<br />

Neumann: Erfreulicherweise ist die Zahl<br />

<strong>de</strong>r Piratenattacken im ersten Halbjahr<br />

<strong>2012</strong> stark zurückgegangen, das sagt je<strong>de</strong>nfalls<br />

eine Auswertung <strong>de</strong>s International<br />

20 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Maritime Bureau. Offenbar verschieben sich<br />

die Angriffe von <strong>de</strong>r somalischen Küste hin<br />

zum Golf von Guinea. Im ersten Halbjahr ist<br />

die Zahl <strong>de</strong>r Überfälle durch somalische Piraten<br />

von 163 <strong>de</strong>s Jahres 2011 auf 69 Angriffe<br />

in diesem Jahr zurückgegangen. Diese<br />

Entwicklung am Horn von Afrika ist ein<br />

Erfolg <strong>de</strong>r vor Ort agieren<strong>de</strong>n internationalen<br />

Marineeinheiten sowie ihrem robusteren<br />

Vorgehen. Mit über 300 absolvierten<br />

Schutzaufträgen für die im Rahmen <strong>de</strong>r UN-<br />

Hilfslieferungen nach Somalia gecharterten<br />

Schiffe und <strong>de</strong>m sicher begleiteten Transport<br />

von über 900.000 Tonnen Hilfsgütern<br />

ist dieser Teil <strong>de</strong>s Auftrages <strong>de</strong>r Operation<br />

ATALANTA ein Erfolg für die humanitäre<br />

Hilfe vor Ort. Die ständige Anwesenheit<br />

von Kriegsschiffen im Golf von A<strong>de</strong>n hat dieses<br />

Seegebiet für die Han<strong>de</strong>lsschifffahrt seit<br />

En<strong>de</strong> 2008 sicherer gemacht. Gleichwohl<br />

bleibt die Piraterie vor Somalia eine akute<br />

Bedrohung – für die Schiffe, die Ree<strong>de</strong>r und<br />

vor allem – als unmittelbar Betroffene – für<br />

die Seeleute! Von daher ist sowohl das internationale<br />

als auch das <strong>de</strong>utsche Engagement<br />

weiterhin erfor<strong>de</strong>rlich und die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />

ist aufgefor<strong>de</strong>rt, ihren Einfluss im<br />

nordatlantischen Bündnis sowie im Weltsicherheitsrat<br />

verstärkt auf diese Bedrohung<br />

auszurichten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Können Militär und zivile Sicherheitseinheiten<br />

gut zusammenwirken?<br />

<strong>de</strong>r betroffenen Region stabile staatliche<br />

Strukturen aufzubauen und die Lebensperspektiven<br />

<strong>de</strong>r Menschen zu verbessern. Dies<br />

ist mittelfristig, also in einem Zeitraum von<br />

fünf Jahren – auch bei größter Anstrengung<br />

<strong>de</strong>r Staatengemeinschaft – lei<strong>de</strong>r nicht zu erwarten.<br />

Ein Grund hierfür ist auch die Tatenlosigkeit<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>sregierung.<br />

Neben <strong>de</strong>m erhöhten staatlichen Engagement<br />

vor Ort müssen die Möglichkeiten<br />

zur Strafverfolgung von Piraterie<strong>de</strong>likten<br />

erheblich verbessert wer<strong>de</strong>n. Dazu gehören<br />

die Schaffung von Spezialdienststellen zur<br />

Ermittlung <strong>de</strong>rartiger Delikte und verstärkte<br />

Anstrengungen zur Bekämpfung <strong>de</strong>r organisierten<br />

Kriminalität, um Hintermänner<br />

und Auftraggeber zu ermitteln. Die internationale<br />

Rechtshilfe muss unter Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>s Übereinkommens zur Bekämpfung<br />

wi<strong>de</strong>rrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit<br />

<strong>de</strong>r Seeschifffahrt ausgebaut wer<strong>de</strong>n.<br />

Das bedingt auch eine vertrauensvolle<br />

und effektive Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n tatortnahen<br />

Staaten. Die Errichtung eines Internationalen<br />

Strafgerichtshofs für Piraterie<br />

o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st von Gerichten mit nationalen<br />

und internationalen Experten in <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Region ist zu forcieren. Als erster<br />

Schritt sind international einheitliche Leitlinien<br />

für das Gerichtsverfahren und die sich<br />

ggf. anschließen<strong>de</strong> Strafvollstreckung dringend<br />

erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Neumann: Der Einsatz privater bewaffneter<br />

Sicherheitsdienste fin<strong>de</strong>t im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r Eigensicherungsmaßnahmen durch <strong>de</strong>n<br />

Ree<strong>de</strong>r bzw. das Schiff statt und ist als ein<br />

Baustein innerhalb <strong>de</strong>s Pirateriebekämpfungskonzeptes<br />

zu klassifizieren, ohne dass<br />

<strong>de</strong>r Staat aus seiner Verantwortung zur<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>s Gewaltmonopols entlassen<br />

wird. Militärische bzw. staatliche Maßnahmen<br />

berücksichtigen die Gefährdungslage<br />

<strong>de</strong>s betroffenen Schiffes, die durch <strong>de</strong>n<br />

Einsatz ziviler Sicherheitseinheiten beeinflusst<br />

wird, und passen ihre Maßnahmen<br />

<strong>de</strong>mentsprechend an.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo wer<strong>de</strong>n wir in fünf Jahren<br />

bzgl. Piraterie stehen? Was wünschen Sie<br />

sich für die Zukunft?<br />

Neumann: Eine erfolgreiche Bekämpfung<br />

<strong>de</strong>r Piraterie am Horn von Afrika ist grundsätzlich<br />

davon abhängig, ob es gelingt, in<br />

Michael Neumann, Senator <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für<br />

Inneres und Sport <strong>de</strong>r Freie und Hansestadt<br />

Hamburg, Jahrgang 1970, 1989 Abitur und<br />

Dienstantritt Bun<strong>de</strong>swehr, seit 1989 Mitglied<br />

<strong>de</strong>r SPD, von 1992 bis 1995 Universität<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr Hamburg, Abschluss:<br />

Diplom-Politologe, 1996 Berufssoldat, 2009<br />

Ernennung zum Regierungsrat, 2010 Lehrbeauftragter<br />

Helmut-Schmidt-Universität<br />

und Ernennung zum Oberregierungsrat, von<br />

1997 bis 2011 Mitglied <strong>de</strong>r Hamburgischen<br />

Bürgerschaft, seit 23. März 2011 Senator.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 21


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Martin Günthner<br />

Gemeinsam stark<br />

Zusammenwirken von militärischen und<br />

zivilen Schutzmaßnahmen<br />

Martin Günthner<br />

„Die Deutsche Marine muss schnellstmöglich<br />

in die Lage versetzt wer<strong>de</strong>n,<br />

die unter <strong>de</strong>utscher Flagge fahren<strong>de</strong>n<br />

Schiffe robust vor Piraterie zu schützen“,<br />

betont Martin Günthner, Senator<br />

für Wirtschaft, Arbeit und Häfen sowie<br />

Senator für Justiz und Verfassung <strong>de</strong>r<br />

Freien Hansestadt Bremen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Herr Senator, wenn Sie <strong>de</strong>n<br />

Begriff „Pirat“ hören, ist dies ein verklärtes<br />

Bild, insbeson<strong>de</strong>re im Hinblick auf Seefahrerromantik?<br />

Wie grenzen Sie hierzu <strong>de</strong>n<br />

Begriff „Piraterie“ ab?<br />

Günthner: Seepiraterie war und ist zu allen<br />

Zeiten eine organisierte kriminelle Handlung<br />

gegen die Han<strong>de</strong>lsschifffahrt und eine<br />

Bedrohung für das Leben von Seeleuten und<br />

hat mit „Seefahrerromantik“ nichts gemein.<br />

Heute wird <strong>de</strong>r Begriff Seeräuberei<br />

(= Piraterie) international verbindlich durch<br />

das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) <strong>de</strong>r<br />

Vereinten Nationen von 1982 <strong>de</strong>finiert. Im<br />

Sinne von Art. 101 SRÜ ist Seeräuberei/Piraterie<br />

je<strong>de</strong> rechtswidrige Gewalttat o<strong>de</strong>r<br />

Freiheitsberaubung o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong> Plün<strong>de</strong>rung,<br />

welche die Besatzung o<strong>de</strong>r die Fahrgäste eines<br />

privaten Schiffes zu privaten Zwecken<br />

mit <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>r persönlichen Bereicherung<br />

gegen ein an<strong>de</strong>res Schiff o<strong>de</strong>r gegen<br />

Personen o<strong>de</strong>r Vermögenswerte an Bord<br />

dieses Schiffes begehen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie schützen wir unsere Schiffe<br />

vor Übergriffen? Wo sehen Sie Optimierungspotenzial<br />

hinsichtlich Marine und<br />

Bun<strong>de</strong>spolizei?<br />

Günthner: Die internationale Staatengemeinschaft<br />

hat schnell auf die zunehmen<strong>de</strong>n<br />

Piratenüberfälle am Horn von Afrika<br />

reagiert. Die Resolution 1816 (2008) <strong>de</strong>s<br />

Sicherheitsrates <strong>de</strong>r Vereinten Nationen<br />

erlaubt die Bekämpfung von Piraterie und<br />

bewaffneten Überfällen in <strong>de</strong>n Hoheitsgewässern<br />

von Somalia. Er for<strong>de</strong>rt nachdrücklich<br />

alle Staaten auf, die Piraterie von <strong>de</strong>r<br />

Küste von Somalia zu bekämpfen und dabei<br />

zusammenzuarbeiten.<br />

Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r EU-Mission ATALANTA zum Schutz<br />

<strong>de</strong>r Hilfslieferungen nach Somalia und zur<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie am Horn von Afrika<br />

und im Golf von A<strong>de</strong>n zusammen. Das<br />

<strong>de</strong>utsche Mandat ist das drittstärkste Mandat.<br />

Rund 30 Prozent <strong>de</strong>r Einsatzkräfte im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r ATALANTA-Mission sind Deutsche.<br />

Die Marine und die Bun<strong>de</strong>spolizei leisten<br />

hervorragen<strong>de</strong> Arbeit unter klimatisch<br />

schwierigen Bedingungen und unter Gefahr<br />

für das Leben. Verbesserungsmöglichkeiten<br />

sehe ich vor allem in <strong>de</strong>r konsequenten Anwendung<br />

<strong>de</strong>r Empfehlungen <strong>de</strong>r IMO zu <strong>de</strong>n<br />

Best Management Practices an Bord zum<br />

Schutz vor Piratenüberfällen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Die Innenminister <strong>de</strong>r fünf Küstenlän<strong>de</strong>r<br />

sehen die Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie<br />

in <strong>de</strong>r staatlichen Verantwortung und<br />

for<strong>de</strong>rn mehr Soldaten sowie ein Gesamtkonzept<br />

unter <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine.<br />

Im Indischen Ozean betreibt die EU<br />

NAVFOR die Mission ATALANTA, wie beurteilen<br />

Sie <strong>de</strong>ren Wirkmöglichkeiten?<br />

Günthner: Der Beschluss <strong>de</strong>r Innenministerkonferenz<br />

umfasste insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n<br />

Auftrag, eine län<strong>de</strong>roffene Arbeitsgruppe<br />

unter Leitung von Nie<strong>de</strong>rsachsen und<br />

<strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>s Innern einzusetzen,<br />

um die rechtlichen und tatsächlichen<br />

Möglichkeiten zum Schutz <strong>de</strong>utscher<br />

Han<strong>de</strong>lsschiffe und zur Bekämpfung <strong>de</strong>r<br />

Seepiraterie sowie erfor<strong>de</strong>rlichen Än<strong>de</strong>rungs-<br />

und Ergänzungsbedarf darzustellen<br />

und mit <strong>de</strong>n zuständigen Bun<strong>de</strong>sressorts<br />

zusammenzuarbeiten.<br />

Diese Arbeiten sind mittlerweile abgeschlossen.<br />

Die Frage <strong>de</strong>s Einsatzes privater<br />

Sicherheitskräfte ist ebenfalls gelöst.<br />

<strong>Homeland</strong>: Bund und Län<strong>de</strong>r sind sich uneins<br />

über diesen Einsatz. Die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />

will <strong>de</strong>n Einsatz privater Sicherheitskräfte<br />

auf <strong>de</strong>utschen Schiffen ermöglichen<br />

und forcieren. Was halten Sie davon?<br />

22 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Günthner: Der Schutz von Han<strong>de</strong>lsschiffen<br />

unter <strong>de</strong>utscher Flagge ist eine staatliche<br />

Aufgabe. Daran än<strong>de</strong>rt auch <strong>de</strong>r Einsatz<br />

privater Sicherheitskräfte an Bord von Seeschiffen<br />

nichts. Ein von Piraten bedrohtes<br />

Seegebiet wie im Indischen Ozean mit einer<br />

Größe von fast 5,5 Mio. km² kann nicht flächen<strong>de</strong>ckend<br />

durch Marine und Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

gesichert wer<strong>de</strong>n. Für einen wirksamen<br />

Schutz müssen internationale und nationale<br />

Einsatzkräfte und private Sicherheitsmaßnahmen<br />

<strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien ineinan<strong>de</strong>r greifen.<br />

Der Einsatz privater Sicherheitskräfte an<br />

Bord von Seeschiffen unter <strong>de</strong>utscher Flagge<br />

ist politisch und rechtlich gelöst. Die notwendigen<br />

Gesetzesän<strong>de</strong>rungen befin<strong>de</strong>n<br />

sich zurzeit im Gesetzgebungsverfahren.<br />

<strong>Homeland</strong>: Können Militär und zivile Sicherheitseinheiten<br />

gut zusammenwirken?<br />

Günthner: Für einen wirksamen Schutz<br />

und die Abwehr von Piratenangriffen ist das<br />

Zusammenwirken von militärischen Schutzmaßnahmen<br />

und zivilen Schutzmaßnahmen<br />

sehr wichtig.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo wer<strong>de</strong>n wir in fünf Jahren<br />

bzgl. Piraterie stehen? Was wünschen Sie<br />

sich?<br />

Günthner: Aufgrund <strong>de</strong>r internationalen<br />

Maßnahmen zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie<br />

und <strong>de</strong>s Einsatzes privater Sicherheitskräfte<br />

ist die aktuelle Zahl von Überfällen am Horn<br />

von Afrika zurückgegangen, es gibt jedoch<br />

auch in an<strong>de</strong>ren Regionen Piraterie, die nie<br />

komplett zu verhin<strong>de</strong>rn ist. Die wirksamste<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Seepiraterie aber ist die<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Armut <strong>de</strong>r Menschen als<br />

Ursache für Seepiraterie und <strong>de</strong>r Aufbau<br />

eines funktionieren<strong>de</strong>n Staates, <strong>de</strong>r Piraterie<br />

verfolgt und entsprechend ahn<strong>de</strong>t und<br />

die Küstengewässer schützt. Aufgrund <strong>de</strong>r<br />

politischen Lage in Somalia wird das lei<strong>de</strong>r<br />

nicht schnell zu erreichen sein.<br />

Ich wünsche mir <strong>de</strong>shalb neben <strong>de</strong>n militärischen<br />

Schutzmaßnahmen <strong>de</strong>r internationalen<br />

Staatengemeinschaft noch mehr<br />

humanitäre Hilfs- und Aufbauaktivitäten in<br />

Somalia.


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Machbare Lösungen im<br />

Hier und Jetzt<br />

Erfahrungen <strong>de</strong>r Dänen im Umgang mit Piraterie<br />

Bo Ulrik An<strong>de</strong>rsen<br />

Ein Schleppboot begleitet<br />

die dänische Fregatte<br />

ABSALON auf ihrem<br />

Weg aus <strong>de</strong>m Hafen <strong>de</strong>s<br />

Marinestützpunktes<br />

Fre<strong>de</strong>rikshavn.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re in verarmten Regionen<br />

hat sich die Piraterie in <strong>de</strong>n vergangenen<br />

Jahren zu einem Wachstumsmarkt<br />

entwickelt. Im ersten Halbjahr <strong>2012</strong><br />

wur<strong>de</strong>n weltweit 177 Piraterievorfälle<br />

beim Piracy Reporting Center registriert,<br />

darunter 20 Schiffsentführungen.<br />

Gemäß <strong>de</strong>m Pirateriebericht <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

See, 2. Quartal <strong>2012</strong>, kam<br />

es in 80 Fällen zu (Raub-) Überfällen<br />

auf See und in <strong>de</strong>n Häfen, in 52 Fällen<br />

blieb es bei versuchten Angriffen. In<br />

25 Fällen wur<strong>de</strong>n Schusswaffen eingesetzt<br />

bzw. mitgeführt, in 39 Fällen Messer<br />

und/o<strong>de</strong>r Macheten. Vier Personen<br />

wur<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Vorfällen getötet, neun<br />

verletzt, 337 entführt und als Geiseln<br />

für Lösegeldfor<strong>de</strong>rungen festgehalten.<br />

Obwohl eine positive Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr zu<br />

beobachten ist, gilt das Seegebiet am<br />

Horn von Afrika weiterhin als ein<strong>de</strong>utiger<br />

Brennpunkt <strong>de</strong>r weltweiten Piraterieaktivitäten.<br />

In <strong>de</strong>n ersten <strong>sec</strong>hs Monaten<br />

<strong>de</strong>s Jahres <strong>2012</strong> wur<strong>de</strong>n 69 <strong>de</strong>r<br />

weltweit registrierten Piraterievorfälle<br />

somalischen Piraten zugeschrieben.<br />

Während in Deutschland zuletzt um Feinheiten<br />

gestritten wur<strong>de</strong>, sind europäische<br />

Nachbarn schon weiter. Die dänische Marine<br />

beteiligte sich in <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

an <strong>de</strong>r Nato-Mission Ocean Shield und diversen<br />

Combined Task Forces (CTF) unter<br />

<strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r US-Amerikaner. <strong>Homeland</strong><br />

<strong>Security</strong> sprach mit Botschaftsrat Bo Ulrik<br />

An<strong>de</strong>rsen (Verteidigung & Sicherheit) von<br />

<strong>de</strong>r Königlich Dänischen Botschaft in Berlin<br />

über die Erfahrungen <strong>de</strong>r nördlichen Nachbarn<br />

im Umgang mit <strong>de</strong>r Piraterie am Horn<br />

von Afrika.<br />

<strong>Homeland</strong>: Piraten-Romantik à la Störtebeker,<br />

Robin Hood <strong>de</strong>r Meere. Ist das ein verklärter,<br />

unsachgemäßer Blick auf die Piraterie<br />

am Horn von Afrika?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Ich glaube ja, es gab nie so jeman<strong>de</strong>n<br />

wie Robin Hood. Solche Geschichten<br />

wer<strong>de</strong>n für Kin<strong>de</strong>r geschrieben. Piraten<br />

und Räuber waren schreckliche Menschen,<br />

und es hat immer Piraten gegeben. Natürlich<br />

sind die somalischen Piraten keine<br />

schrecklichen Menschen, es ist ihre einzige<br />

Möglichkeit, Geld zu verdienen und zu überleben.<br />

Aber es stecken an<strong>de</strong>re Menschen<br />

dahinter, die das Ganze vorantreiben. Und<br />

da sind wir bei Organisierter Kriminalität,<br />

das hat mit Romantik nichts zu tun. Die Organisierte<br />

Kriminalität will Reichtum anhäufen<br />

und Einfluss gewinnen, da steckt das eigentliche<br />

Verbrechen.<br />

<strong>Homeland</strong>: An welchen Missionen hat<br />

Dänemark im Kampf gegen die Piraterie<br />

teilgenommen?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Dänemark hat an <strong>de</strong>n US-geführten<br />

Combined Task Forces 150 und 151<br />

teilgenommen sowie an <strong>de</strong>r NATO-geführten<br />

Mission Ocean Shield. Bei <strong>de</strong>r Mission<br />

Atalanta sind wir nicht dabei. Dänemark<br />

nimmt ja nicht voll an <strong>de</strong>r EU-Zusammenarbeit<br />

im Bereich <strong>de</strong>r Sicherheitspolitik teil.<br />

<strong>Homeland</strong>: In Deutschland stellt sich das<br />

Problem, dass die Festnahme von Piraten<br />

eine polizeiliche Aufgabe ist. Wie sieht das<br />

für Dänemark aus?<br />

24 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

An<strong>de</strong>rsen: Wir stehen vor <strong>de</strong>r gleichen Herausfor<strong>de</strong>rung.<br />

Was macht man mit <strong>de</strong>n Piraten,<br />

wenn man sie ergriffen hat? Bei <strong>de</strong>n<br />

dänischen Streitkräften haben wir das Problem:<br />

Wir haben die Piraten an Bord, was<br />

machen wir jetzt mit ihnen? Da gibt es kein<br />

internationales Recht. Also hat man die Piraten<br />

wie<strong>de</strong>r zurück an Land gebracht. Und<br />

das war‘s. Das ist ein großes Problem.<br />

<strong>Homeland</strong>: Gibt es Erfahrungen aus dänischer<br />

Beteiligung an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Missionen,<br />

die wie eben die CTF-151 <strong>de</strong>utlich robustere<br />

Einsätze vornehmen?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Eigentlich nicht. Wie robust solche<br />

Einsätze geführt wer<strong>de</strong>n, macht keinen<br />

großen Unterschied. Sieht man Piraten<br />

o<strong>de</strong>r wird angegriffen, dann sollte die Marine<br />

i<strong>de</strong>alerweise vor Ort sein. Das sollte Abschreckung<br />

genug sein, um einen konkreten<br />

Angriff zu stoppen. Ob die Piraten festgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r nicht macht letztendlich<br />

auch keinen großen Unterschied. Drei<br />

Tage später sind an<strong>de</strong>re da. Es gibt keinen<br />

Königsweg, Piraterie zu unterbin<strong>de</strong>n. Haben<br />

Piraten wenigstens Angst vor einer tödlichen<br />

Gefahr bei Waffeneinsatz? Ja natürlich,<br />

aber auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite haben diese<br />

Menschen kein Geld, keine Zukunft, keine<br />

Perspektive, da be<strong>de</strong>utet das eigene Leben<br />

vielleicht wirklich nicht viel. Insofern ist<br />

gleichgültig, ob eine Mission robuster vorgeht<br />

o<strong>de</strong>r weniger robust.<br />

<strong>Homeland</strong>: Heißt das, dass eine starke Bewaffnung<br />

an Bord, ein Punkt, <strong>de</strong>r in Deutschland<br />

diskutiert wird, nicht <strong>de</strong>n großen Unterschied<br />

macht?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Na ja, das muss man unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Bei einem Militäreinsatz sind naturgemäß<br />

Waffen an Bord. Es macht schon einen<br />

großen Unterschied, wenn zivile Schiffe<br />

über bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord<br />

verfügen. Von dänischer Seite hat man sich<br />

entschlossen, dass bewaffnete Sicherheitsfirmen<br />

an Bord dänischer Schiffe arbeiten<br />

dürfen. Ich halte das für eine Übergangszeit<br />

auch für <strong>de</strong>n richtigen Weg. Wie ich schon<br />

gesagt habe, das Problem liegt an Land.<br />

Und bevor man die Ursachen <strong>de</strong>r Piraterie<br />

nicht beseitigt, also internationale Hilfe für<br />

die Stabilisierung und an<strong>de</strong>re Möglichkeiten<br />

erfolgreich eingesetzt hat, wird es auch<br />

weiterhin Probleme auf See mit Piraten<br />

geben. Es ist die einzige<br />

Möglichkeit dieser Menschen,<br />

Geld zu machen.<br />

Und es ist ein großes Geschäft.<br />

Die Marine kann<br />

nicht überall sein, es ist<br />

ein unglaublich riesiges<br />

Gebiet, und die Fähigkeiten<br />

<strong>de</strong>r Piraten wer<strong>de</strong>n<br />

immer besser darin, die<br />

Angriffsorte zu lokalisieren,<br />

die für sie am wenigsten<br />

gefährlich sind.<br />

Das heißt, dass die Piraten<br />

gegenüber welcher<br />

Militärmission auch immer<br />

fast durchweg einen<br />

strategischen Vorteil haben.<br />

Das be<strong>de</strong>utet für die<br />

Weltwirtschaft, insbeson<strong>de</strong>re<br />

die Han<strong>de</strong>lsschifffahrt,<br />

dass eigentlich<br />

nur noch die Möglichkeit<br />

bleibt, bewaffnete<br />

Sicherheitsfirmen an Bord zu haben. Dann<br />

kann man diskutieren: Sollen es Militärpersonen<br />

o<strong>de</strong>r zivile, private Sicherheitskräfte<br />

sein. Dänemark suchte nach Alternativen<br />

und hat akzeptiert, okay, es können private<br />

Sicherheitsfirmen sein, warum auch nicht,<br />

schließlich arbeiteten die meisten <strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />

zuvor als Polizisten o<strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>reinheitskräfte.<br />

Außer<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Sache<br />

ja nicht, Piraten zu töten, son<strong>de</strong>rn sie<br />

abzuschrecken.<br />

<strong>Homeland</strong>: Hinter <strong>de</strong>n Piraten stehen<br />

Strukturen, die man nicht an<strong>de</strong>rs als Organisierte<br />

Kriminalität bezeichnen kann. Welche<br />

Möglichkeiten sehen Sie hier, die noch<br />

nicht ausgeschöpft sind, wie etwa die Kontrolle<br />

<strong>de</strong>r dahinter stehen<strong>de</strong>n Geldmittel mit<br />

nachrichtendienstlichen Mitteln? Gibt es da<br />

Erfahrungen?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Das ist politisch kein großes<br />

Thema in Dänemark. Ich bin überzeugt,<br />

dass <strong>de</strong>r dänische Nachrichtendienst sich<br />

damit beschäftigt. Das ist vergleichbar mit<br />

<strong>de</strong>m internationalen Terrorismus, <strong>de</strong>ren<br />

Räume schwer zu überblicken sind. Aber<br />

Piraten sind selbstverständlich keine Terroristen.<br />

Ich persönlich glaube, dass dänische<br />

Politiker etwas pragmatischer sind als <strong>de</strong>utsche.<br />

Es gibt ein Problem mit Piraterie; das<br />

lässt sich nur schwer, und schon gar nicht<br />

Kontrollbesuch<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 25


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

RHIB 2<br />

Beschlagnahmte Waffen<br />

und Leitern<br />

mit Polizei o<strong>de</strong>r Militär,<br />

lösen und die Suche nach<br />

Lösungen geschieht unabhängig<br />

von einer politischen<br />

Überzeugung o<strong>de</strong>r<br />

Parteizugehörigkeit. Es<br />

geht immer um die Sache<br />

und da schauen dänische<br />

Politiker eher auf machbare<br />

Lösungen im Hier<br />

und Jetzt als sich lange<br />

mit <strong>de</strong>m Für und Wi<strong>de</strong>r<br />

unterschiedlicher Maßnahmen aufzuhalten.<br />

Und Lösungen zu fin<strong>de</strong>n, ist schon schwer<br />

genug!<br />

<strong>Homeland</strong>: Die dänische Ree<strong>de</strong>rei Maersk<br />

Line (berühmter Fall ist die Befreiung <strong>de</strong>r<br />

Maersk Alabama unter US-Flagge durch<br />

eine US-Einheit, <strong>de</strong>r sogar eine Folge von<br />

South Park („Fatbeard“) gewidmet wur<strong>de</strong>)<br />

hat jährlich um die 2.000 Passagen durch<br />

das betroffene Gebiet und gibt für das Jahr<br />

2010 einen Scha<strong>de</strong>n durch Piraterie von 100<br />

Millionen Dollar für das Unternehmen an.<br />

Für 2011 wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r doppelten Summe<br />

gerechnet. Inwieweit wer<strong>de</strong>n auf dänischen<br />

Schiffen private Unternehmen zum Schutz<br />

vor Piraten eingebun<strong>de</strong>n?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Das ist umfangreich geregelt.<br />

Die Ausbildung und Zulassung privater Sicherheitsfirmen<br />

wird streng gehandhabt.<br />

Die Prüfungen liegen in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s dänischen<br />

Justizministeriums und betreffen<br />

auch die Zulassung <strong>de</strong>r Waffensysteme an<br />

Bord. Also muss alles genau reguliert und<br />

zertifiziert wer<strong>de</strong>n. Und da stehen wir erst<br />

am Anfang. Sicherlich wer<strong>de</strong>n die Bestimmungen<br />

im Laufe <strong>de</strong>r Zeit noch verschärft<br />

bzw. verbessert wer<strong>de</strong>n. Vieles ist auch für<br />

das Ministerium noch neu, schließlich sind<br />

alle Maßnahmen eben nur vorübergehend<br />

gedacht.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das Justizministerium<br />

übernimmt<br />

also die internationalen<br />

Verhandlungen über <strong>de</strong>n<br />

Transport <strong>de</strong>r Waffen?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Nein, die Regierung<br />

sagt, die Bereitstellung<br />

von Waffen an<br />

Bord ist keine staatliche<br />

Aufgabe, son<strong>de</strong>rn eine<br />

kommerzielle Aufgabe. Das be<strong>de</strong>utet, dass<br />

die Firmen sich um die Zulassungen in <strong>de</strong>n<br />

einzelnen Län<strong>de</strong>rn wie auch <strong>de</strong>n Transfer<br />

<strong>de</strong>r Waffen kümmern müssen. Erst, wenn<br />

die Dokumente vorliegen, können sich die<br />

Firmen bewerben. Aber danach gilt z. B.,<br />

dass eine Waffe als private geführt wird. Die<br />

Waffen gehören <strong>de</strong>n einzelnen Mitarbeitern<br />

und dürfen nicht an Bord verbleiben.<br />

<strong>Homeland</strong>: In Deutschland wird <strong>de</strong>r Einsatz<br />

privater Sicherheitsfirmen von manchen<br />

als Ausstieg aus <strong>de</strong>m Gewaltmonopol<br />

<strong>de</strong>s Staates gesehen. Immer wie<strong>de</strong>r wird angeführt,<br />

dass durch private Sicherheitsfirmen<br />

ein Söldnertum entstehen könnte, das<br />

sich verselbstständigt. Das Stichwort wäre<br />

<strong>de</strong>r Skandal um <strong>de</strong>n US-Militätdienstleister<br />

Blackwater.<br />

An<strong>de</strong>rsen: Es könnte ein neues Blackwater<br />

geben, die Gefahr besteht immer. Aber<br />

die gründliche Prüfung, die von dänischer<br />

Seite aus erfolgt, sollte das Risiko minimal<br />

halten. Und ehrlich gesagt, nur weil es eine<br />

Firma, ein paar Leute gab, die sich nicht an<br />

die Gesetze gehalten haben, heißt das ja<br />

noch lange nicht, dass die an<strong>de</strong>ren Sicherheitsfirmen<br />

genauso vorgehen. Es gibt viele<br />

Sicherheitsfirmen in Deutschland, im skandinavischen<br />

Raum, in Großbritannien, die<br />

selbstverständlich seriös arbeiten. Unsere<br />

strengen Prüfungen sind dazu da, ein neues<br />

Blackwater zu vermei<strong>de</strong>n. Bislang hat es<br />

noch nie Probleme gegeben. Und das spricht<br />

auch für die Wirksamkeit <strong>de</strong>r Prüfungen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das Mandat <strong>de</strong>r Atalanta-Mission<br />

soll <strong>de</strong>mnächst auch auf die Küste erweitert<br />

wer<strong>de</strong>n. (Anmerkung: Am 23. März<br />

hat die EU das Mandat erweitert – mit zwei<br />

Einschränkungen: Es dürfen nur logistische<br />

Ziele angegriffen wer<strong>de</strong>n, die bis zu 2.000<br />

m von <strong>de</strong>r Küste entfernt sind, und das auch<br />

nur aus <strong>de</strong>r Luft. Bo<strong>de</strong>neinsätze bleiben –<br />

außer im Notfall – verboten. Im Bun<strong>de</strong>stag<br />

stimmte die schwarz-gelbe Mehrheit dafür,<br />

die Opposition geschlossen dagegen.) Diese<br />

Erweiterung ist in Deutschland umstritten.<br />

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass<br />

eine solche Erweiterung <strong>de</strong>s Einsatzes zu Situationen<br />

führt, die nicht mehr überschaubar<br />

sind?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Die dänische Meinung dazu ist:<br />

Wir gehen nicht an Land bevor es nicht eine<br />

26 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

UN-Resolution gibt. Auch wenn in Somalia<br />

staatliche Strukturen nicht wirklich vorhan<strong>de</strong>n<br />

sind, ist es doch ein anerkannter Staat.<br />

Die 12-Meilen-Zone muss respektiert wer<strong>de</strong>n<br />

und das be<strong>de</strong>utet eben, dass wir Dänen<br />

sagen, wir gehen selbstverständlich nicht<br />

an Land. Das wäre Sache einer UN-Mission.<br />

Die Ursachen <strong>de</strong>s Piraterie-Problems liegen<br />

an Land, aber das ist eine Sache, die man<br />

unserer Meinung nach international angehen<br />

muss. Dänische Soldaten o<strong>de</strong>r Polizisten<br />

haben auf somalischem Bo<strong>de</strong>n nichts zu<br />

suchen, son<strong>de</strong>rn nur auf See, wo internationale<br />

Bestimmungen gelten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie steht die dänische Politik<br />

zu Lösegeldzahlungen?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Wir zahlen keine Lösegel<strong>de</strong>r.<br />

Und wir verhan<strong>de</strong>ln auch nicht mit Piraten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Also kann das Problem nur an<br />

Land gelöst wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m man in Somalia<br />

wie<strong>de</strong>r Strukturen schafft.<br />

An<strong>de</strong>rsen: Selbstverständlich. Sobald die<br />

Menschen dort eine Perspektive haben und<br />

auf eine bessere Zukunft hoffen, hat keiner<br />

mehr Interesse daran, Pirat zu wer<strong>de</strong>n. So<br />

einfach sollte es sein. Der Job eines Piraten<br />

ist gefährlich. Die meisten sind mehrere<br />

Monate auf See unterwegs, unter erbärmlichen<br />

Umstän<strong>de</strong>n, ohne vernünftige Ernährung.<br />

Im Moment gibt es für Somalia keine<br />

Zukunft, die Piraterie bietet <strong>de</strong>rzeit <strong>de</strong>n einzigen<br />

Weg, um das Nötigste zu verdienen.<br />

Die größte Gefahr im betroffenen Gebiet<br />

besteht immer noch für die zivile Schifffahrt.<br />

Das größte Problem ist die Sicherung<br />

<strong>de</strong>s internationalen Transports und somit<br />

<strong>de</strong>r internationalen Wirtschaft. Für die dänische<br />

Seite ist <strong>de</strong>r Einsatz von privaten Sicherheitskräften<br />

nicht die Lösung <strong>de</strong>s Problems.<br />

Wir hätten sie lieber gar nicht nötig.<br />

Aber das Problem <strong>de</strong>r Piraterie besteht nun<br />

einmal und wir haben unsere Entscheidung<br />

getroffen. Wenn sich die Situation än<strong>de</strong>rt,<br />

können wir immer noch abmil<strong>de</strong>rn und verbessern,<br />

damit sich nicht noch neue Probleme<br />

und Herausfor<strong>de</strong>rungen ergeben. Ich,<br />

und da spreche ich auch für die dänische<br />

Politik, hätte lieber an<strong>de</strong>re Möglichkeiten.<br />

Aber die Piraten sind da, die internationale<br />

Schifffahrt ist in Gefahr, die internationalen<br />

Militärkräfte können unmöglich das<br />

riesige Gebiet ab<strong>de</strong>cken, in <strong>de</strong>m die Piraten<br />

arbeiten. Langfristig wer<strong>de</strong>n sich neue Möglichkeiten<br />

ergeben, es passiert gera<strong>de</strong> einiges<br />

im internationalen Zusammenhang mit<br />

Technologie, Hilfe, Ausbildung in <strong>de</strong>n benachbarten<br />

Län<strong>de</strong>rn wie Kenia, Tansania,<br />

Saudi-Arabien, um die Zusammenarbeit zu<br />

verbessern. Aber das kann erst in ein paar<br />

Jahren greifen und bis die Verhältnisse in<br />

Somalia sich stabilisieren, dauert es noch<br />

viele, viele Jahre. Natürlich könnte man bis<br />

in die ferne Zukunft das Seegebiet einfach<br />

mei<strong>de</strong>n. Aber das ist finanziell nicht machbar,<br />

es kostet Zeit, und es be<strong>de</strong>utet auch<br />

weitere Verluste für weitere Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

Region wie z. B. Ägypten.<br />

<strong>Homeland</strong>: In welcher Form unterstützt die<br />

dänische Regierung die dänischen Ree<strong>de</strong>r?<br />

An<strong>de</strong>rsen: Ree<strong>de</strong>r und Politik sind ständig<br />

im Dialog über weitere Neuerungen, Entwicklungen<br />

und Maßnahmen. Dazu gehören<br />

z. B. psychologische Schulungen. Doch<br />

keiner hat bisher eine einfache Antwort gefun<strong>de</strong>n,<br />

mit <strong>de</strong>r die Schifffahrt ein für alle<br />

Mal gesichert wäre. Die dänischen Ree<strong>de</strong>r<br />

sind auch nicht alle überzeugt davon, private<br />

Sicherheitsfirmen einzusetzen. Einige<br />

lehnen es ab und versuchen vorerst an<strong>de</strong>re<br />

Mittel. An<strong>de</strong>re, wie z. B. die Ree<strong>de</strong>rei Maersk,<br />

haben einfach zu große Probleme und<br />

sehen <strong>de</strong>n Einsatz dieser Sicherheitsfirmen<br />

als <strong>de</strong>rzeit einzige Möglichkeit, Schiffe und<br />

Mitarbeiter zu schützen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Herr An<strong>de</strong>rsen, herzlichen<br />

Dank, dass Sie Zeit für uns hatten.<br />

ABSALON<br />

Hubschrauber<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 27


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Weltweit einzigartig<br />

Das Piraterie-Präventionszentrum <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei<br />

Von links: Torsten Tamm<br />

von <strong>de</strong>r Stabstelle<br />

Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Dr. Nadine Seumenicht,<br />

Jens-Karsten Reimann,<br />

Stefan Zimmermeier<br />

Das Speedboot <strong>de</strong>r Einsatzkräfte<br />

nähert sich<br />

<strong>de</strong>m Schiff<br />

1<br />

Schutzraum für die Besatzung auf<br />

einem Schiff<br />

2<br />

Höhe <strong>de</strong>r Bordwand über <strong>de</strong>m<br />

Wasserspiegel<br />

Piraterie ist kein lokales, son<strong>de</strong>rn ein<br />

weltweites Phänomen, welches in <strong>de</strong>n<br />

letzten Jahren zugenommen hat und<br />

insbeson<strong>de</strong>re im stark befahrenen Seegebiet<br />

vor Somalia eine akute Bedrohung<br />

darstellt. Auch für die <strong>de</strong>utsche<br />

Seeschifffahrt ist die Piraterie ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s<br />

Problem. Schiffe <strong>de</strong>utscher<br />

Ree<strong>de</strong>reien transportieren Waren und<br />

Passagiere auf <strong>de</strong>n Meeren <strong>de</strong>r Welt,<br />

<strong>de</strong>utsche Seeleute sind auf Schiffen unter<br />

<strong>de</strong>utscher und frem<strong>de</strong>r Flagge weltweit<br />

unterwegs. Als Reaktion auf die<br />

steigen<strong>de</strong>n Piraterievorfälle wur<strong>de</strong> das<br />

Piraterie-Präventionszentrum (PPZ) bei<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei See in Neustadt in Holstein<br />

eingerichtet. Dr. Nadine Seumenicht<br />

und Michael Hartung von <strong>Homeland</strong><br />

<strong>Security</strong> besuchten das PPZ und<br />

sprachen mit Jens-Karsten Reimann,<br />

Erster Polizeihauptkommissar und Leiter<br />

Sachbereich Maritime Kriminalitätsbekämpfung,<br />

und Stefan Zimmermeier,<br />

Polizeihauptkommissar im Sachbereich<br />

Maritime Kriminalitätsbekämpfung.<br />

Ostsee statt Indischer<br />

Ozean<br />

Beinahe lautlos nähert<br />

sich das Speedboot mit<br />

<strong>de</strong>n Einsatzkräften einem<br />

Schiff. Über die aktuelle<br />

Lage an Bord ist<br />

nicht viel bekannt. Nur,<br />

dass dieses Schiff vor<br />

wenigen Stun<strong>de</strong>n von Piraten<br />

angegriffen und<br />

geentert wur<strong>de</strong>. Der Besatzung<br />

<strong>de</strong>s Schiffes ist es noch gelungen,<br />

es zu stoppen und die Maschine zu blockieren.<br />

Danach hat sie einen Notruf abgesetzt<br />

und sich in die Zita<strong>de</strong>lle 1 zurückgezogen.<br />

Als <strong>de</strong>r Hubschrauber einer in <strong>de</strong>r Nähe patrouillieren<strong>de</strong>n<br />

Fregatte sich schließlich <strong>de</strong>m<br />

Schiff näherte, sind die Piraten geflüchtet<br />

und haben <strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r Kaperung aufgegeben.<br />

Ohne die Besatzung in ihre Gewalt<br />

zu bekommen, ist das Risiko für sie zu hoch.<br />

Die Einsatzkräfte klettern schnell mit einer<br />

Art Strickleiter über <strong>de</strong>n Freibord 2 . Oben<br />

angekommen, legen sie zunächst unter gegenseitiger<br />

Sicherung ihre Schwimmwesten<br />

ab, um bei ihrem weiteren Vorgehen mehr<br />

Bewegungsfreiheit zu haben. Dann rücken<br />

sie vor, um die Mannschaft aus <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle<br />

zu befreien.<br />

Diese Szene spielt nicht etwa am Horn<br />

von Afrika, son<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>rholt sich so in<br />

regelmäßigen Abstän<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Ostseeküste. Sie ist Teil eines Workshops,<br />

welchen das PPZ <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei für die<br />

Company <strong>Security</strong> Officer (CSO) <strong>de</strong>utscher<br />

Ree<strong>de</strong>reien durchführt. Die Einsatzkräfte<br />

sind speziell ausgebil<strong>de</strong>te Beamte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei,<br />

das Schiff eine ausgemusterte<br />

Fregatte <strong>de</strong>r Deutschen Marine. Ziel <strong>de</strong>s<br />

Workshops ist es, Abwehrmöglichkeiten im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>r maritimen Kriminalprävention<br />

<strong>de</strong>s PPZ zu <strong>de</strong>monstrieren.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s Workshops wird ein möglicher<br />

Piratenangriff simuliert, einschließlich<br />

einer anschließen<strong>de</strong>n Befreiungsaktion.<br />

Dazu Zimmermeier: „Wir bieten zweitägige<br />

Workshops für CSOs an. Darin wird die Piraterie<br />

aus verschie<strong>de</strong>nen Sichtweisen betrachtet.<br />

Einmal aus <strong>de</strong>r kriminalpräventiven<br />

Sicht, das be<strong>de</strong>utet z. B.: Wie mache ich<br />

mein Schiff härter, um es gegen Piratenangriffe<br />

zu schützen? Man betrachtet es auch<br />

aus psychologischer Sicht. Dafür haben wir<br />

einen Psychologen, <strong>de</strong>r sich sehr intensiv<br />

mit <strong>de</strong>m Phänomen beschäftigt hat und u. a.<br />

auch schon Truppenbetreuung in Afghanistan<br />

gemacht hat. Er behan<strong>de</strong>lt beson<strong>de</strong>rs<br />

das Thema `Wie überlebe ich eine Geiselnahme´,<br />

also das Verhalten als Geisel an<br />

Bord.“ Des Weiteren gibt es bei <strong>de</strong>m Workshop<br />

einen praktischen Anteil, bei <strong>de</strong>m geeignete<br />

Abwehrmaßnahmen <strong>de</strong>monstriert<br />

wer<strong>de</strong>n. Zum Beispiel wird gezeigt, wie sich<br />

unterschiedliche Schiffsgeschwindigkeiten<br />

auf Piratenangriffe auswirken und wie das<br />

Zeitfenster <strong>de</strong>s Angriffs damit verän<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Am En<strong>de</strong> erfolgt eine kleine<br />

Simulation, die die Lehrgangsteilnehmer in<br />

eine Angriffssituation versetzt.<br />

Hilfe zur Selbsthilfe<br />

Die Notwendigkeit für ein solches Zentrum<br />

und diese Art von Workshops wur<strong>de</strong><br />

28 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

schon früh erkannt. „Das PPZ gibt es seit<br />

Februar 2010“, berichtet Reimann. „Auslöser<br />

war, dass bis zu diesem Zeitpunkt viele<br />

<strong>de</strong>utsche Behör<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Bereich einzeln<br />

und nicht koordiniert agiert haben. Die Koordination<br />

<strong>de</strong>r Aktivitäten in einem Büro ist<br />

eine <strong>de</strong>r Hauptaufgaben <strong>de</strong>s PPZ. Zu<strong>de</strong>m ist<br />

die Nachfrage seitens <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien gestiegen.<br />

Wenn wir die Zahlen betrachten,<br />

mit <strong>de</strong>m bisherigen Höhepunkt <strong>de</strong>r Vorfälle<br />

im Jahre 2011, hatten wir davon 67 mit<br />

<strong>de</strong>utschem Bezug. Das macht <strong>de</strong>utlich, dass<br />

die Betroffenheit inzwischen eine an<strong>de</strong>re<br />

ist als noch vor einigen Jahren.“ Da die<br />

Bun<strong>de</strong>spolizei rechtlich zuständig ist, wur<strong>de</strong><br />

beschlossen, unter ihrer Fe<strong>de</strong>rführung<br />

ein Piraterie-Präventionszentrum einzurichten.<br />

Die Aufgaben dabei sind die Koordination<br />

<strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>naktivitäten, Recherchen,<br />

die Durchführung von Workshops und das<br />

Führen <strong>de</strong>r Lage. Die Einrichtung erfolgte<br />

schließlich relativ schnell. Von <strong>de</strong>r Entscheidung<br />

bis zur Umsetzung vergingen nur zwei<br />

Monate. „Wenn es gewünscht ist, fahren wir<br />

auch in die Werft und schauen uns <strong>de</strong>n Umbau<br />

o<strong>de</strong>r die Neukonstruktion von Schiffen<br />

an. Wir betrachten dabei vor allem die Zita<strong>de</strong>lle<br />

sowie die technischen Abwehrmaßnahmen<br />

und wer<strong>de</strong>n beratend tätig. Die<br />

Workshops sind sehr intensiv und bin<strong>de</strong>n<br />

viel Personal, aber <strong>de</strong>r größte Anteil unserer<br />

Arbeit liegt bei <strong>de</strong>n Beratungsgesprächen<br />

und <strong>de</strong>r Recherche“, ergänzt Reimann.<br />

Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n vom PPZ noch individuelle<br />

Risikoanalysen für bestimmte Schiffe und<br />

Routen angeboten. Dabei soll dieses Angebot<br />

keinesfalls in Konkurenz zu privaten<br />

Anbietern stehen. „In unseren Workshops<br />

versuchen wir, <strong>de</strong>n Teilnehmern einzelne Inhalte<br />

mit auf <strong>de</strong>n Weg zu geben. Es ist also<br />

keine direkte Ausbildung wie bei privaten<br />

Anbietern. Wir geben einen Überblick über<br />

die Thematik und damit ein Stück weit Hilfe<br />

zur Selbsthilfe“, meint Zimmermeier. „Ansonsten<br />

wür<strong>de</strong>n wir mit unseren Workshops<br />

in die Privatwirtschaft eingreifen, was wir<br />

nicht wollen. Wir geben Denkanstöße und<br />

man kann sich dann auf <strong>de</strong>m privaten Markt<br />

Anbieter suchen, die sich auf die Härtung<br />

von Schiffen o<strong>de</strong>r die Ausbildung von Crews<br />

spezialisiert haben.“<br />

Vorstellung von Schutzmaßnahmen<br />

Ein weiteres Element <strong>de</strong>r Workshops<br />

im PPZ ist die Vorstellung technischer<br />

Schutzmaßnahmen. Hierbei<br />

wer<strong>de</strong>n z. B. eigene<br />

Entwicklungen <strong>de</strong>r<br />

beim PPZ beschäftigten<br />

Schiffsbauingenieure<br />

vorgestellt, wie etwa eine<br />

Blen<strong>de</strong> vor einem Feuerlöschschlauch,<br />

um einen<br />

Wassernebel zu erzeugen.<br />

Eine weitere einfache<br />

und bewährte Maßnahme<br />

ist und bleibt das<br />

Anbringen von Stacheldraht<br />

rund um die Reling<br />

<strong>de</strong>s Schiffes. Wichtig<br />

dabei ist aber, dass <strong>de</strong>r<br />

Draht in zwei Lagen verlegt<br />

und mit zusätzlichen<br />

Streben befestigt wird.<br />

Einfach und effektiv ist<br />

auch das Anbringen leerer<br />

Ölfässer entlang <strong>de</strong>r<br />

Reling. Durch die run<strong>de</strong><br />

Form wird verhin<strong>de</strong>rt,<br />

dass die Piraten die von ihnen häufig<br />

genutzten Leitern anbringen können. Aber<br />

auch bewährte Maßnahmen aus <strong>de</strong>r Industrie<br />

wer<strong>de</strong>n gezeigt, wie etwa ein rotieren<strong>de</strong>s<br />

Abwehrsystem mit stark gebün<strong>de</strong>lten<br />

Wasserstrahlen. Auch eine neuentwickelte<br />

Nebelmaschine kommt zum Einsatz. Sie<br />

soll, im Inneren <strong>de</strong>s Schiffes eingesetzt, <strong>de</strong>n<br />

Piraten die Orientierung an Bord erschweren<br />

o<strong>de</strong>r gar unmöglich machen. Diese Maschine<br />

kann über mehrere Stun<strong>de</strong>n lang einen<br />

äußerst dichten Nebel erzeugen, <strong>de</strong>r<br />

die Sichtweite auf wenige Zentimeter herabsetzt.<br />

„Es gibt viele Unternehmen, die<br />

uns direkt kontaktieren und uns ihre Entwicklungen<br />

vorstellen. Natürlich sind wir<br />

auch froh über je<strong>de</strong>n Hinweis, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m<br />

Markt kommt. Unter Umstän<strong>de</strong>n gibt es dabei<br />

Entwicklungen, die wir direkt aufgreifen<br />

und aus polizeilicher<br />

Sicht bewerten können“,<br />

so Zimmermeier. Wichtig<br />

ist aber auch immer<br />

eine Kombination von<br />

Maßnahmen, passend zu<br />

<strong>de</strong>m jeweiligen Schiffstyp.<br />

Reimann: „Im Rahmen<br />

unserer Workshops<br />

präsentieren wir ja nur<br />

Möglichkeiten, wie man<br />

sich schützen kann. Die<br />

Bewertung obliegt dann<br />

Über eine Leiter<br />

kommen die Einsatzkräfte<br />

an Bord<br />

Das Team arbeitet unter<br />

gegenseitiger Sicherung<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 29


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Einfacher S-Draht kann<br />

mit einer Piratenleiter<br />

leicht überwun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n<br />

letztlich <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei, unter <strong>de</strong>n Gesichtspunkten<br />

von Kosten und Nutzen.“<br />

Der Einsatz von bewaffnetem Sicherheitspersonal<br />

an Bord von Schiffen wird insbeson<strong>de</strong>re<br />

in Deutschland kontrovers diskutiert.<br />

Fest steht, dass ein Verfahren zur<br />

Zertifizierung eingeführt wer<strong>de</strong>n wird. Es<br />

geht dabei vor allem um Zulassungskriterien<br />

für Anbieter von Sicherheitsdienstleistungen<br />

und die Regularien für <strong>de</strong>n Einsatz.<br />

Dazu Reimann: „Das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Element<br />

darin ist, dass endlich Rechtsicherheit<br />

geschaffen wer<strong>de</strong>n soll. Unabhängig von <strong>de</strong>r<br />

Diskussion, wann welches Verfahren hätte<br />

eingeführt wer<strong>de</strong>n sollen, ist es so, dass<br />

die Thematik jetzt angegangen wird. Diese<br />

Rechtsicherheit wird es geben, wir können<br />

aber noch nicht genau sagen, wann das <strong>de</strong>r<br />

Fall sein wird.“<br />

Die Fe<strong>de</strong>rführung für die geplante Zertifizierung<br />

wird das BAFA (Bun<strong>de</strong>samt für<br />

Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) haben, die<br />

Bun<strong>de</strong>spolizei soll <strong>de</strong>n Kernpart <strong>de</strong>r maritimen<br />

Kompetenzen abprüfen. Es wird damit<br />

erstmals in Deutschland ein offizielles Zulassungsverfahren<br />

für <strong>de</strong>n Einsatz privater<br />

Sicherheitsdienstleister an Bord von Schiffen<br />

geben. „Die Einzelkriterien dafür wer<strong>de</strong>n<br />

gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>finiert. Wichtig dabei ist z. B.,<br />

dass eine gewisse Erfahrung im maritimen<br />

Bereich nachgewiesen wer<strong>de</strong>n kann. Zu<strong>de</strong>m<br />

ist entschei<strong>de</strong>nd, dass das eingesetzte<br />

Personal zuverlässig ist, also keine Söldner<br />

o<strong>de</strong>r Cowboys,“ betont Reimann.<br />

Dazu gibt es regelmäßig auch Besprechungen,<br />

wie etwa die Abstimmungsgespräche<br />

Piraterie in unserem Hause. Daran nehmen<br />

neben <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>spolizei auch das BKA, die<br />

LKÄ, die Marine, die Rechtsberater und die<br />

Feldjäger teil. Zu<strong>de</strong>m gibt es ständige Verbindungsbeamte<br />

beim Einsatzführungskommando<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr“, erklärt Reimann.<br />

Diese enge Zusammenarbeit soll in Zukunft<br />

noch verstärkt wer<strong>de</strong>n. Das PPZ testet<br />

gera<strong>de</strong> eine neue Internet-Plattform, in <strong>de</strong>ren<br />

geschlossenem Nutzerbereich sich alle<br />

Betroffenen austauschen können. So sollen<br />

künftig noch mehr Informationen in Echtzeit<br />

fließen.<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Prävention arbeitet man<br />

inzwischen auch mit an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn zusammen.<br />

Man gleicht vor allem Verfahren<br />

und Informationen ab und sondiert, wie an<strong>de</strong>re<br />

vorgehen und welche Inhalte vermittelt<br />

wer<strong>de</strong>n. Eine <strong>de</strong>m PPZ vergleichbare<br />

Einrichtung gibt es in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn bisher<br />

allerdings noch nicht. „Unsere Einrichtung<br />

ist einmalig. Wir haben dieses Konzept<br />

in Bahrain vorgestellt und dort war dieser<br />

ganzheitliche, polizeiliche Ansatz überhaupt<br />

nicht bekannt. An<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r sind eben<br />

auch an<strong>de</strong>rs strukturiert und es gibt an<strong>de</strong>re,<br />

vielleicht eher militärische, Ansätze. Im<br />

Bereich <strong>de</strong>r EU und <strong>de</strong>r NATO wur<strong>de</strong> unser<br />

Konzept weiterempfohlen. Wichtig ist, dass<br />

man dieses Konzept aber immer wie<strong>de</strong>r hinterfragt<br />

und an die aktuellen Entwicklungen<br />

anpasst“, so Reimann.<br />

S-Draht<br />

Vertrauensvolle und offene<br />

Zusammenarbeit<br />

Das PPZ arbeitet nicht alleine an <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />

<strong>de</strong>r Piraterie. Die Mitarbeiter<br />

sind vor allem auf die Rückmeldungen und<br />

Erfahrungen <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reien angewiesen.<br />

Auch ein regelmäßiger Austausch mit an<strong>de</strong>ren<br />

Behör<strong>de</strong>n dient <strong>de</strong>r kontinuierlichen<br />

Anpassung <strong>de</strong>r Beratungen und Workshops<br />

<strong>de</strong>s PPZ an die sich entwickeln<strong>de</strong> Situation.<br />

„Mit <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>reien haben wir ein vertrauensvolles<br />

Verhältnis. Es gibt eine gute Zusammenarbeit<br />

und einen engen Austausch.<br />

Diese Offenheit wird durch uns auch gefor<strong>de</strong>rt<br />

und geför<strong>de</strong>rt. Mit <strong>de</strong>r Marine tauschen<br />

wir uns etwa über Vorgehensweisen<br />

o<strong>de</strong>r z. B. über die von Feldjägern im Einsatz<br />

gesammelten Daten aus. Wenn von dieser<br />

Seite Piraterieverdächtige festgestellt wer<strong>de</strong>n,<br />

bekommen wir die Daten übermittelt.<br />

Prävention und Repression<br />

Für Reimann stehen Prävention und die<br />

hiermit verbun<strong>de</strong>ne Abschreckung im Vor<strong>de</strong>rgrund:<br />

„Im Grun<strong>de</strong> betreiben wir eine<br />

Kriminalprävention. Wir wollen Straftaten<br />

vorher verhin<strong>de</strong>rn, bevor wir hinterher ermitteln<br />

müssen. Das vorrangige Ziel ist es,<br />

Menschen, die Crew, vor einer Geiselnahme<br />

zu bewahren. Angriffe kann man nicht<br />

verhin<strong>de</strong>rn, aber erfolgreiche Entführungen<br />

kann man in vielen Fällen durch entsprechen<strong>de</strong><br />

Maßnahmen unterbin<strong>de</strong>n.“<br />

Bei Bedarf schaltet das PPZ aber auch<br />

von Prävention auf die Verfolgung von Straftaten<br />

um. Angehängt an das PPZ gibt es eine<br />

Rufbereitschaft, die je<strong>de</strong>rzeit erreichbar ist.<br />

Kommt es zu einem Angriff o<strong>de</strong>r zu einem<br />

Vorgehen von Piraten gegen ein Schiff, so<br />

wird diese Rufbereitschaft aktiviert. Die<br />

Beamten fahren dann zu <strong>de</strong>r betroffenen<br />

30 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Vorrücken zur Zita<strong>de</strong>lle<br />

Ree<strong>de</strong>rei, wenn dies erfor<strong>de</strong>rlich und gewünscht<br />

ist. Dort wird ein Lagezentrum eingerichtet<br />

und mit <strong>de</strong>n Ermittlungen begonnen.<br />

Wenn Ermittlungen vor Ort erfor<strong>de</strong>rlich<br />

sind, führt dies eventuell auch zu einem Auslandseinsatz.<br />

„Die meisten Ermittlungen beschäftigen<br />

sich mit Angriffen, die zum Glück<br />

nicht zum Erfolg geführt haben. Seit letztem<br />

Jahr sind wir auch für Geisellagen an Bord<br />

von <strong>de</strong>utschen Schiffen zuständig, bei <strong>de</strong>nen<br />

kein Deutscher an Bord ist. Wenn ein Deutscher<br />

an Bord ist, dann ist das BKA zuständig.<br />

In allen an<strong>de</strong>ren Fällen, die bisher von<br />

<strong>de</strong>n LKÄ abgearbeitet wor<strong>de</strong>n sind, haben<br />

wir jetzt die Zuständigkeit“, meint Zimmermeier.<br />

Solche Ermittlungen sind in je<strong>de</strong>m<br />

Fall ein komplexes Verfahren. Tatsache ist<br />

aber, je länger ermittelt wird und je mehr<br />

Informationen fließen, <strong>de</strong>sto mehr Hinweise<br />

gibt es auch. Dazu ist allerdings eine internationale<br />

Zusammenarbeit erfor<strong>de</strong>rlich. Um<br />

etwa die Hintermänner <strong>de</strong>r Piraten zu ermitteln,<br />

arbeitet man z. B. eng mit Interpol und<br />

Europol zusammen.<br />

Piraterie als weltweite Bedrohung<br />

Nicht nur die Region rund um das Horn<br />

von Afrika wird von Piraterie bedroht. Dort<br />

hat sich das Geschäftsmo<strong>de</strong>ll Geiselnahme<br />

durchgesetzt, welches es in an<strong>de</strong>ren<br />

Teilen <strong>de</strong>r Welt nicht in dieser ausgeprägten<br />

Form gibt. Vor Westafrika etwa gibt es<br />

mehr Raubüberfälle, bei <strong>de</strong>nen es die Piraten<br />

auf die Tresore o<strong>de</strong>r die Waren an Bord<br />

<strong>de</strong>r Schiffe abgesehen haben. Teilweise wer<strong>de</strong>n<br />

dort ganze Ladungen von Öl umgepumt<br />

und gestohlen. Aus diesem Grund beobachtet<br />

das PPZ auch die Entwicklung <strong>de</strong>r Piraterie<br />

weltweit und bietet auf die jeweilige<br />

Situation angepasste Lösungen. Reimann:<br />

„Piraterie ist grundsätzlich überall <strong>de</strong>nkbar.<br />

Vorrangig dort, wo es <strong>de</strong>n Menschen nicht<br />

gut geht, wo sie ein geringes o<strong>de</strong>r gar kein<br />

Einkommen haben. Dort, wo staatliche<br />

Strukturen fehlen o<strong>de</strong>r nicht beson<strong>de</strong>rs ausgeprägt<br />

sind. Mit polizeilichen Maßnahmen<br />

wer<strong>de</strong>n wir die Piraterie nicht alleine bekämpfen<br />

können, dazu bedarf es vor allem<br />

politischer Ansätze. Was Somalia angeht,<br />

so wäre dies die Schaffung von staatlichen<br />

Strukturen. Wir können aber dazu beitragen,<br />

dass die Piraten möglichst wenig Erfolge<br />

haben.“<br />

Zukünftige Entwicklungen<br />

Derzeit sind die erfolgreichen Übergriffe <strong>de</strong>r<br />

Piraten am Horn von Afrika eher rückläufig.<br />

Die Anzahl <strong>de</strong>r gekaperten Schiffe geht zurück,<br />

was auf <strong>de</strong>n Einsatz von bewaffneten<br />

Sicherheitsteams und das robustere Vorgehen<br />

<strong>de</strong>r vor Ort eingesetzten Streitkräfte zurückzuführen<br />

ist. Wie aber wird diese Entwicklung<br />

weitergehen? „Im Moment kann<br />

man die Entwicklung nicht voraussehen. Bislang<br />

ist seitens <strong>de</strong>r Piraten zumin<strong>de</strong>st keine<br />

Aufrüstung festzustellen. Dies wäre für sie<br />

aber auch mit einem an<strong>de</strong>ren logistischen<br />

Aufwand verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r entsprechend teuer<br />

ist. Wenn wir davon ausgehen, dass die<br />

Hintermänner ökonomischen Prinzipien folgen<br />

und eine Kosten-Nutzenrechnung machen,<br />

stellt sich die Frage, ob sie viel mehr<br />

Geld in leichter zu <strong>de</strong>tektieren<strong>de</strong> Technik investieren<br />

wollen. Wenn ich mit einer schweren<br />

Lafette vorne auf meinem Boot herumfahre,<br />

falle ich natürlich stärker auf, als mit<br />

einem einfachen Skiff, die dort zu tausen<strong>de</strong>n<br />

herumfahren“, meint Zimmermeier.<br />

„Je länger in einem bestimmten Gebiet,<br />

wie etwa im Indischen Ozean, Piraterie vorherrscht,<br />

<strong>de</strong>sto besser wer<strong>de</strong>n sich die Marinekräfte<br />

darauf einstellen. Trotz <strong>de</strong>r begrenzten<br />

Ressourcen fokussiert man sich<br />

auf erkannte Schwerpunkte. Dieser gezielte<br />

Einsatz gegen Piratencamps und gegen<br />

erkannte Vorgehensweisen ist neben <strong>de</strong>r<br />

zunehmen<strong>de</strong>n Sensibilisierung ein Grund,<br />

warum die Piraterie in einem Gebiet auch<br />

wie<strong>de</strong>r zurückgeht. Sehr wahrscheinlich<br />

wird es Piraterie, zumin<strong>de</strong>st in irgen<strong>de</strong>iner<br />

Form, immer irgendwo geben“, ergänzt<br />

Reimann.<br />

Und so erscheint es auch nicht beson<strong>de</strong>rs<br />

wahrscheinlich, dass sich die Beamten<br />

<strong>de</strong>s PPZ mit ihrer Arbeit in absehbarer Zukunft<br />

selbst überflüssig machen wer<strong>de</strong>n.<br />

Nach Einschalten <strong>de</strong>r<br />

Nebelmaschine...<br />

baut sich innerhalb kürzester<br />

Zeit...<br />

eine dichte Nebelwand<br />

auf<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 31


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Geschäftsmo<strong>de</strong>ll Piraterie<br />

Piraterieprävention aus Sicht eines privaten<br />

Sicherheitsdienstleisters<br />

Hans Jürgen Stephan<br />

ist Geschäftsführer <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Nie<strong>de</strong>rlassung<br />

<strong>de</strong>r globalen Unternehmensberatung<br />

Control Risks und Spezialist<br />

für Risikomanagement,<br />

Krisenprävention<br />

und -reaktion sowie Reisesicherheit.<br />

Als Rechtsanwalt<br />

und ehemaliger<br />

Leiter <strong>de</strong>s Referates für<br />

Finanzermittlungen in<br />

<strong>de</strong>r Abteilung Staatsschutz<br />

<strong>de</strong>s BKA verfügt<br />

er über umfassen<strong>de</strong><br />

Erfahrungen in <strong>de</strong>n<br />

Bereichen Krisenmanagement,<br />

Terrorismusbekämpfung<br />

und Wirtschaftskriminaliät.<br />

Hans<br />

Jürgen Stephan hat einen<br />

Abschluss in Rechtswissenschaften<br />

von <strong>de</strong>n<br />

Universitäten Hannover,<br />

Lissabon und Rom.<br />

Control Risks ist eine unabhängige,<br />

globale Unternehmensberatung für<br />

Risikomanagement, spezialisiert auf<br />

politische, sicherheits- und reputationsbezogene<br />

Risiken. Control Risks<br />

unterstützt seine Kun<strong>de</strong>n dabei, die<br />

Risiken komplexer und feindseliger Umgebungen<br />

zu verstehen und diese erfolgreich<br />

zu managen. Die Kombination <strong>de</strong>r<br />

Dienstleistungen und eine globale Präsenz<br />

ermöglichen Control Risks, Probleme<br />

zu analysieren, sie zu lösen und so<br />

ihren Kun<strong>de</strong>n zu helfen, Chancen weltweit<br />

erfolgreich wahrzunehmen. <strong>Homeland</strong><br />

<strong>Security</strong> sprach mit Hans Jürgen<br />

Stephan, Geschäftsführer <strong>de</strong>r Control<br />

Risks Deutschland GmbH.<br />

<strong>Homeland</strong>: Seit wann bietet Control Risks<br />

Dienstleistungen im Bereich „Maritime Sicherheit“<br />

an und wie sehen diese Dienstleistungen<br />

aus?<br />

Stephan: Wir sind in diesem Sektor bereits<br />

seit über 20 Jahren tätig und schon<br />

seit unserer Gründung im Jahr 1975 berät<br />

Control Risks Kun<strong>de</strong>n im Bereich<br />

Krisenmanagement.<br />

Wir betreuen unsere Kun<strong>de</strong>n umfassend<br />

und oft für die gesamte Dauer eines Projektes.<br />

Zunächst verfügen wir über einen sehr<br />

umfangreichen eigenen Analyseservice. Unser<br />

Team besteht aus Spezialisten mit langjähriger<br />

Erfahrung auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r maritimen<br />

Sicherheitsanalyse. Hier wer<strong>de</strong>n seit<br />

Jahren laufend sämtliche Vorfälle aus <strong>de</strong>m<br />

Bereich Piraterie und maritimer Terrorismus<br />

recherchiert und analysiert und fundierte<br />

Prognosen für zukünftige Entwicklungen<br />

erstellt. Wir erarbeiten für unsere<br />

Kun<strong>de</strong>n spezifische Bewertungen zum Flottenrisiko,<br />

heruntergebrochen bis hin zu je<strong>de</strong>r<br />

einzelnen Fahrt auf einer bestimmten<br />

Route. Ist das Risiko ermittelt und bewertet,<br />

empfehlen wir konkrete Maßnahmen,<br />

um potenzielle Schä<strong>de</strong>n zu minimieren. Beson<strong>de</strong>rs<br />

wichtig sind hier die Trainings, die<br />

wir für Crewmitglie<strong>de</strong>r anbieten, damit sie<br />

das richtige Verhalten im Krisenfall lernen.<br />

Unter Umstän<strong>de</strong>n empfehlen wir auch <strong>de</strong>n<br />

Einsatz von bewaffnetem Sicherheitspersonal<br />

an Bord.<br />

<strong>Homeland</strong>: Welches Personal setzen Sie im<br />

Bereich „Maritime Sicherheit“ ein?<br />

Stephan: Unsere Mitarbeiter sind alle langjährig<br />

ausgebil<strong>de</strong>t und im maritimen Sektor<br />

sehr erfahren. Die Qualität unserer Teammitglie<strong>de</strong>r,<br />

<strong>de</strong>ren Professionalität und ethische<br />

Standards sind für uns das A und O.<br />

Unsere Mitarbeiter wer<strong>de</strong>n meist nur aufgrund<br />

<strong>de</strong>r Empfehlung eines bestehen<strong>de</strong>n<br />

Teammitglie<strong>de</strong>s in Betracht gezogen. Die<br />

Min<strong>de</strong>stanfor<strong>de</strong>rungen beson<strong>de</strong>rs für Teamleiter<br />

sind sehr umfangreich. So müssen<br />

diese eine langjährige Karriere im Militär<br />

o<strong>de</strong>r privaten Sicherheitsdienst vorweisen,<br />

Lizensierungen wie zum Beispiel STCW-95<br />

und SSO nachweisen und medizinisch speziell<br />

für <strong>de</strong>n maritimen Bereich geschult sein.<br />

Bestehen die Anwärter das dann folgen<strong>de</strong><br />

Interview, schließt sich ein mehrwöchiges<br />

Training durch Control Risks an. Die Auswahl<br />

<strong>de</strong>r weiteren Teammitglie<strong>de</strong>r ist nicht<br />

weniger komplex.<br />

<strong>Homeland</strong>: Der Einsatz von bewaffnetem<br />

Sicherheitspersonal an Bord von Schiffen<br />

wird, gera<strong>de</strong> in Deutschland, noch kontrovers<br />

diskutiert. Wie stehen Sie zu dieser<br />

Diskussion?<br />

Stephan: Control Risks hat sich schon immer<br />

für einheitlich hohe, internationale<br />

Standards eingesetzt und ist Vorreiter innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Branche. Die aktuellen Schritte<br />

in Deutschland bezüglich einer Zertifizierung<br />

<strong>de</strong>r Anbieter maritimer Sicherheit<br />

begrüßen wir daher sehr. Klare Richtlinien<br />

und Standards helfen nicht nur <strong>de</strong>n Anbietern,<br />

son<strong>de</strong>rn bieten vor allem auch die seit<br />

langem benötigte Rechtssicherheit für <strong>de</strong>utsche<br />

Ree<strong>de</strong>reien. Es ist auch nicht zu vergessen,<br />

dass professionelle Sicherheitsberater<br />

bewaffnete Begleitung auch nur anbieten,<br />

wenn es für <strong>de</strong>n speziellen Fall angemessen<br />

ist. Häufig sind schon an<strong>de</strong>re präventive<br />

32 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Maßnahmen ausreichend, um die Crew und<br />

das Schiff zu schützen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie wird <strong>de</strong>r Einsatz Ihres<br />

Personals an Bord <strong>de</strong>r Schiffe überwacht?<br />

Gibt es schon bestimmte Auflagen o<strong>de</strong>r<br />

Richtlinien?<br />

Stephan: Je nach<strong>de</strong>m unter welcher Flagge<br />

ein Schiff fährt, gelten natürlich unterschiedliche<br />

Richtlinien. International sind<br />

sich Staaten bezüglich <strong>de</strong>s Einsatzes bewaffneter<br />

Sicherheitskräfte keineswegs einig.<br />

Es gibt die ganze Bandbreite von Meinungen:<br />

Staaten, die <strong>de</strong>m Einsatz von bewaffnetem<br />

Personal aktiv zustimmen und dafür<br />

geordnete Prozesse haben; Staaten, die <strong>de</strong>m<br />

Einsatz zwar zustimmen, aber keine offiziellen<br />

Dokumente diesbezüglich erstellen; Län<strong>de</strong>r,<br />

in <strong>de</strong>nen sich die Ree<strong>de</strong>r in Grauzonen<br />

bewegen müssen, da die Gesetze <strong>de</strong>m Einsatz<br />

von bewaffneten Kräften an Bord we<strong>de</strong>r<br />

zustimmen noch diesen ablehnen; und<br />

schließlich Län<strong>de</strong>r, die sich <strong>de</strong>utlich gegen<br />

<strong>de</strong>n Einsatz dieser Sicherheitsleute aussprechen.<br />

Fährt ein Schiff z. B. unter <strong>de</strong>r Flagge<br />

von Panama o<strong>de</strong>r Zypern, kann es auch bewaffnete<br />

Sicherheitskräfte mitführen. Hierfür<br />

wird eine umfangreiche Dokumentation<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Eignung <strong>de</strong>s Serviceanbieters<br />

benötigt. In Panama wird in naher Zukunft<br />

ferner die Akkreditierung <strong>de</strong>s jeweiligen<br />

Anbieters in Panama erfor<strong>de</strong>rlich. Dies<br />

gibt <strong>de</strong>n Ree<strong>de</strong>rn weitere Sicherheit bei <strong>de</strong>r<br />

Beantragung eines Transits mit bewaffneter<br />

Begleitung.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das Problem <strong>de</strong>r Piraterie ist<br />

nicht nur auf die Region um das Horn von<br />

Afrika beschränkt. Gibt es regionale Unterschie<strong>de</strong><br />

im Vorgehen <strong>de</strong>r Piraten?<br />

Stephan: In Südamerika und <strong>de</strong>r Karibik<br />

sind in letzter Zeit vor allem kleinere Schiffe<br />

und private Segeljachten in das Visier<br />

von Kriminellen geraten. Es han<strong>de</strong>lte sich<br />

um Diebstahl, aber auch gewalttätige Raubüberfälle.<br />

Kommerzielle Schiffe wur<strong>de</strong>n in<br />

dieser Region vor allem in <strong>de</strong>n Häfen von<br />

Peru und Kolumbien angegriffen.<br />

In Westafrika gehen die Piraten sehr unterschiedlich<br />

vor. Von kleineren Überfällen<br />

bis zur Kaperung und Entführung <strong>de</strong>r Schiffe<br />

kann hier alles passieren. Beson<strong>de</strong>rs beunruhigend<br />

ist, dass die Piraten sich immer<br />

weiter nach Westen ausbreiten und wir weit<br />

von <strong>de</strong>r nigerianischen Küste entfernt Angriffe<br />

verzeichnen.<br />

Südostasien hat sich in Bezug auf die Anzahl<br />

<strong>de</strong>r Piraterievorfälle sehr positiv entwickelt<br />

und wir sind schon längst nicht mehr<br />

auf <strong>de</strong>m Niveau <strong>de</strong>r 1990er Jahre. Trotz<br />

sehr effektiver Maßnahmen und internationaler<br />

Zusammenarbeit gibt es immer noch<br />

Schwierigkeiten um Indonesien, Malaysia<br />

und Vietnam.<br />

Durch dieses unterschiedliche Vorgehen<br />

sind auch die präventiven Maßnahmen anzupassen.<br />

Eine ausführliche Risikoanalyse,<br />

bevor ein Schiff sich in gefährliche Gewässer<br />

begibt, ist daher unabdingbar.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das Auftreten <strong>de</strong>r Piraterie in<br />

<strong>de</strong>r Region um das Horn von Afrika ist nur<br />

ein Symptom <strong>de</strong>s eigentlichen Problems,<br />

etwa <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Staatlichkeit in Somalia.<br />

Sehen Sie eine Möglichkeit zur Lösung<br />

dieses Problems?<br />

Stephan: Es wird notwendig sein, dass dieses<br />

komplexe Problem von mehreren Seiten<br />

angegangen wird. Eine Wi<strong>de</strong>rherstellung<br />

<strong>de</strong>r Staatlichkeit in Somalia ist hierfür sicherlich<br />

unabdingbar. Insofern ist <strong>de</strong>r Beschluss<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung zum personellen<br />

Beitrag zur EU-Ausbildungsmission<br />

Eucap Nestor am Horn von Afrika sehr zu<br />

begrüßen. Darüber hinaus muss <strong>de</strong>n Menschen<br />

aber auch eine echte Alternative gegeben<br />

wer<strong>de</strong>n, damit sie ihren Lebensunterhalt<br />

auf legale Weise verdienen können.<br />

Piraterie ist letzlich ein <strong>de</strong>rzeit sehr erfolgreiches<br />

Geschäftsmo<strong>de</strong>ll. Gesicherte<br />

Schiffe wer<strong>de</strong>n wesentlich unwahrscheinlicher<br />

zum Ziel eines Übergriffes als ungesicherte<br />

und je schwieriger es für die Piraten<br />

wird, umso erfolgloser wer<strong>de</strong>n sie. Wird also<br />

<strong>de</strong>r Aufwand für eine Attacke zu hoch und<br />

erwirtschaften die Piraten nicht mehr genug<br />

ist das ganze Geschäftsmo<strong>de</strong>ll nicht mehr<br />

tragfähig.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 33


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Man möchte nur noch flüchten…<br />

Schallabwehrsystem (nicht nur) zur Abwehr von Piraten<br />

Dr. Nadine Seumenicht<br />

im Gespräch mit Lothar<br />

Hügin<br />

Herbertzhorn im<br />

Vorraum <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle<br />

Der Abteilung „Forschung<br />

und Technik“<br />

<strong>de</strong>s Instituts für<br />

Brandschutz- und Sicherheitstechnologie<br />

<strong>de</strong>r Firma Hügin<br />

Group International,<br />

ist es gelungen, ein Gerät<br />

zu entwickeln, welches<br />

u. a. im Bereich<br />

<strong>de</strong>r Piratenabwehr Anwendung<br />

fin<strong>de</strong>n soll.<br />

Bei einer Frequenz von circa 1,5 bis 2<br />

kHz (Resonanzfrequenz <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Ohres) erzeugt das so genannte<br />

„Herbertzhorn“ eine kontinuierliche<br />

Schallleistung von circa 4.000 bis<br />

5.000 Watt. Das ist ungefähr 100 Mal<br />

mehr als die Schallleistung <strong>de</strong>s LRAD<br />

1000, <strong>de</strong>r bislang stärksten, bekannten<br />

Schallkanone auf <strong>de</strong>m Markt. <strong>Homeland</strong><br />

<strong>Security</strong> sprach mit Dipl.-Ing. Lothar<br />

Hügin, Geschäftsführen<strong>de</strong>r Direktor<br />

und Gesellschafter <strong>de</strong>r Hügin Group<br />

International.<br />

<strong>Homeland</strong>: Die Hügin Group International<br />

besteht aus mehreren Unternehmensbereichen.<br />

Welche sind das?<br />

Hügin: Der erste Geschäftsbereich ist das<br />

„Institut für Brandschutz und Sicherheitstechnologie“.<br />

Hier gibt es die Abteilungen<br />

„Vorbeugen<strong>de</strong>r Brandschutz“ und „Forschung<br />

und Technik“. Der zweite Unternehmensbereich<br />

ist das „Krisenmanagement<br />

Service“. Wir haben eine Spezialeinheit,<br />

die dann tätig wird, wenn z. B. große Einkaufszentren<br />

nicht eröffnet wer<strong>de</strong>n können,<br />

weil Bauaufsichten o<strong>de</strong>r<br />

Feuerwehr wegen <strong>de</strong>s<br />

Brandschutzes Be<strong>de</strong>nken<br />

haben. Seit Anfang<br />

<strong>de</strong>s Jahres haben wir<br />

dann noch neu die „Aka<strong>de</strong>mie<br />

für Brandschutz<br />

und Sicherheit“. Diese<br />

ist eigentlich aus <strong>de</strong>r<br />

Not heraus geboren, weil<br />

wir das benötigte Personal<br />

auf <strong>de</strong>m Markt nicht<br />

gefun<strong>de</strong>n haben. Der Markt ist leergefegt.<br />

Durch meine Lehrtätigkeit an <strong>de</strong>r Universität<br />

Kassel haben wir das weiter ausgebaut.<br />

<strong>Homeland</strong>: Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit<br />

liegt im Bereich <strong>de</strong>s Brandschutzes.<br />

Wie kam es da zu <strong>de</strong>r Entwicklung einer<br />

Schallkanone?<br />

Hügin: Aufgrund eines Berichtes 2007<br />

über die Situation <strong>de</strong>r Piraterie im Bereich<br />

von Somalia. Wir sind von Hause aus Ingenieure<br />

unterschiedlicher Fachrichtungen,<br />

etwa Bauingenieure o<strong>de</strong>r Maschinenbauingenieure.<br />

Also haben wir uns Gedanken<br />

gemacht, wie man dieses Problem lösen<br />

könnte. Wir haben dann festgestellt, dass<br />

es wenige Abwehrsysteme gibt, u. a. das<br />

LRAD aus Amerika. Wir haben geprüft und<br />

berechnet, welche Möglichkeiten es gibt<br />

mit Schall, also ohne Waffenwirkung, Piraten<br />

abzuwehren. Daraus entstand das so<br />

genannte „Herbertzhorn“. Benannt wur<strong>de</strong><br />

das Gerät nach seinem 2008 verstorbenen<br />

Erfin<strong>de</strong>r Professor Joachim Herbertz, einem<br />

<strong>de</strong>utschen Akustiker.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie lange dauerte die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s Herbertzhorns? Gab es dabei beson<strong>de</strong>re<br />

Schwierigkeiten?<br />

Hügin: Den Prototypen haben wir schon<br />

2009 vorgestellt. Seit<strong>de</strong>m sind drei weitere<br />

Jahre vergangen. Neben <strong>de</strong>r rein technischen<br />

Entwicklung gab es noch einen<br />

an<strong>de</strong>ren Grund für die Verzögerung. In diesen<br />

Zeitraum fiel auch die Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages, die Marine<br />

zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Piraterie einzusetzen.<br />

Alle haben da zunächst gedacht jetzt<br />

wür<strong>de</strong> es besser. Dann kamen die ersten<br />

Erfahrungsberichte <strong>de</strong>r Missionen und es<br />

war eher noch eine Zunahme <strong>de</strong>r Vorfälle<br />

zu erkennen. An <strong>de</strong>m Punkt haben wir<br />

dann beschlossen, das Thema weiter voran<br />

zu treiben.<br />

Das größte Problem bestand darin, einen<br />

passen<strong>de</strong>n Kompressor auf <strong>de</strong>m Markt<br />

zu fin<strong>de</strong>n. Eigentlich ist das Herbertzhorn<br />

dafür berechnet wor<strong>de</strong>n mit heißen Abgasen<br />

betrieben zu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Abgasen <strong>de</strong>s<br />

34 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Schiffsmotors. Als wir es zunächst aber<br />

mit Luft ausprobiert haben, hat das auch<br />

funktioniert.<br />

Momentan nutzen wir also einen modifizierten,<br />

han<strong>de</strong>lsüblichen Kompressor, wer<strong>de</strong>n<br />

das Ganze aber noch für die Nutzung<br />

mit Abgasen weiterentwickeln, damit <strong>de</strong>r<br />

Wirkungsgrad noch besser wird. Dazu müssen<br />

wir Gespräche mit Motorenherstellern<br />

führen, da es bei <strong>de</strong>m Druck, mit <strong>de</strong>m das<br />

Herbertzhorn arbeitet, einen Gegendruck<br />

auf <strong>de</strong>n Motor gibt. Irgendwann ist dann<br />

<strong>de</strong>r Punkt erreicht, bei <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Motor das<br />

nicht mehr mitmacht. Vom Grundsatz her<br />

wissen wir aber, dass es funktioniert und<br />

haben das auch schon getestet.<br />

ist nur ein Beispiel. Man<br />

kann sich auch Situationen<br />

vorstellen, wo es für<br />

die Polizei darum geht,<br />

Randalierer auf Abstand<br />

zu halten. Das wäre auch<br />

eine i<strong>de</strong>ale Einsatzmöglichkeit.<br />

Es gibt dann<br />

noch die dritte Möglichkeit<br />

im Bereich Objektschutz,<br />

etwa bei gefähr<strong>de</strong>ten Objekten wie<br />

Kernkraftwerken o<strong>de</strong>r ähnlichem.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie genau sieht <strong>de</strong>r Einsatz<br />

<strong>de</strong>s Herbertzhorns zur Abwehr von Piratenangriffen<br />

aus?<br />

Herbertzhorn ohne<br />

Reflektoreinrichtung<br />

<strong>Homeland</strong>: In welchen Bereichen sehen<br />

Sie Anwendungsmöglichkeiten für diese<br />

Schallkanone?<br />

Hügin: Vom Prinzip her gibt es min<strong>de</strong>stens<br />

drei Anwendungsmöglichkeiten. Die erste<br />

ist im Bereich <strong>de</strong>r maritimen Piraterie.<br />

Die zweite Anwendungsmöglichkeit sehen<br />

wir <strong>de</strong>finitiv im Bereich von Polizei und Militär.<br />

Ich hatte ein Gespräch mit Soldaten<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr, die in Afghanistan im Einsatz<br />

waren. Sie schil<strong>de</strong>rten eine Situation<br />

mit einem Pulk von Menschen und sie wussten<br />

nicht, ob ein Anschlag bevorsteht o<strong>de</strong>r<br />

nicht. Da kam die I<strong>de</strong>e auf, dass es i<strong>de</strong>al<br />

wäre, diese Personen ohne <strong>de</strong>n Einsatz von<br />

Waffen auseinan<strong>de</strong>rtreiben zu können. Das<br />

Hügin: Um das Schiff könnten Herbertzhörner<br />

ohne Reflektor angebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Dieser Einbau ließe sich bei Schiffsneubauten<br />

sicher realisieren. Diese „virtuelle<br />

Schallmauer“ müssten die Piraten überwin<strong>de</strong>n,<br />

wenn sie an Bord kommen. In einem<br />

Bereich ab etwa 15 Metern beginnt<br />

die Wirkung und <strong>de</strong>n Personen in diesem<br />

Wirkungsbereich wird übel. Wir haben das<br />

selbst ausprobiert und wollten nur noch<br />

flüchten.<br />

Eine einfachere Lösung hingegen wäre<br />

die Absicherung <strong>de</strong>s Vorraums <strong>de</strong>r „Zita<strong>de</strong>lle“,<br />

<strong>de</strong>m Schutzraum <strong>de</strong>s Schiffes. Selbst<br />

wenn ein solcher Schutzraum für die Besatzung<br />

vorhan<strong>de</strong>n ist, besteht trotz<strong>de</strong>m<br />

das Problem, dass sich die Piraten meist<br />

Herbertzhorn als Piratenversion<br />

(„virtuelle<br />

Schutzmauer“ um<br />

das Schiff)<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 35


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Rolle, wie lange etwa <strong>de</strong>r Schall abgegeben<br />

wird und auf welche Entfernung.<br />

<strong>Homeland</strong>: Kann man diese Reaktionen<br />

durch die Verwendung eines Gehörschutzes<br />

reduzieren?<br />

Herbertzhorn als Polizei-<br />

und Militärversion<br />

mit Reflektoreinrichtung<br />

Zugang verschaffen können, etwa mit Hilfe<br />

eines Schweißbrenners. Das ist dann meist<br />

nur eine Frage <strong>de</strong>r Zeit. Man könnte aber<br />

durch <strong>de</strong>n Einsatz von z. B. zwei Herbertzhörnern<br />

<strong>de</strong>n Vorraum schützen. Sobald<br />

die Besatzung vollzählig in <strong>de</strong>m Raum ist,<br />

könnte sie das System aktivieren. Diese Variante<br />

ist günstiger und auch schneller in<br />

ein Schiff einzurüsten, z. B. im Rahmen eines<br />

routinemäßigen Werfaufenthaltes. Darauf<br />

legen wir momentan <strong>de</strong>n Fokus. Es<br />

gibt jedoch keine Standardlösung, da je<strong>de</strong>s<br />

Schiff an<strong>de</strong>rs ist.<br />

<strong>Homeland</strong>: Können durch die Anwendung<br />

Ihrer Schallkanone gesundheitliche<br />

Schä<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n beschallten Personen<br />

entstehen?<br />

Hügin: Zunächst einmal ist unser Gerät<br />

ein Abwehrsystem und keine Waffe, das<br />

ist mir wichtig. Wenn das Gerät im Nahbereich<br />

plötzlich eingeschaltet wird, besteht<br />

die Gefahr, dass das Trommelfell platzt.<br />

Ansonsten entstehen die üblichen Schädigungen,<br />

welche durch übermäßigen Lärm<br />

verursacht wer<strong>de</strong>n können. Ein HNO-Arzt<br />

hat es so beschrieben, dass im Ohr ein Tsunami<br />

ausgelöst wird. Das ist aber auch immer<br />

abhängig vom Frequenzbereich. Je<strong>de</strong>r<br />

kennt etwa die Auswirkungen von Bässen<br />

auf <strong>de</strong>n eigenen Körper. Je nach Frequenzbereich<br />

kann das angenehm o<strong>de</strong>r unangenehm<br />

sein. Diese Resonanz wird auch an<br />

die inneren Organe weitergegeben. Es ist<br />

schwierig so etwas zu testen und so können<br />

wir die Auswirkungen bisher nur abschätzen.<br />

Letztlich kommt es immer darauf an,<br />

wie das Herbertzhorn eingesetzt wird. Gera<strong>de</strong><br />

bei <strong>de</strong>r Version für Polizei und Militär<br />

spielt die Einsatztaktik eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Hügin: Das LRAD wur<strong>de</strong> mit 151 Dezibel<br />

gemessen. Bei ca. 190 Dezibel sind wir an<br />

<strong>de</strong>r physikalisch messbaren Grenze angelangt,<br />

wir haben die 180 Dezibel geknackt.<br />

Den Lärm kann man zur Not noch durch<br />

das Zuhalten <strong>de</strong>r Ohren reduzieren. Aber<br />

irgendwann überträgt sich <strong>de</strong>r Schall auch<br />

auf <strong>de</strong>n gesamten Körper. Da geschieht<br />

dann das Phänomen, dass <strong>de</strong>r ganze Körper<br />

in Aufruhr gerät. Das heißt, Sie fangen<br />

an, sich unwohl zu fühlen, ihnen wird übel.<br />

Bei einer Vorführung passierte es auch,<br />

dass eine Person nach <strong>de</strong>r Einwirkung <strong>de</strong>s<br />

Herbertzhorns kurzfristig orientierungslos<br />

war.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo sehen Sie die Absatzmärkte<br />

für das Herbertzhorn?<br />

Hügin: Im Bereich <strong>de</strong>r Piraterieabwehr eigentlich<br />

weltweit. Wir wer<strong>de</strong>n das Produkt<br />

auf Messen vorstellen. Für die Polizei- und<br />

Militärversion sehe ich die Absatzmärkte<br />

<strong>de</strong>rzeit z. B. im Mittleren Osten. Momentan<br />

bereiten wir, in Abstimmung mit <strong>de</strong>m Wirtschaftsministerium,<br />

Gespräche mit ausländischen<br />

Interessenten vor. Dort treten wir<br />

direkt an die entsprechen<strong>de</strong>n Ministerien<br />

heran. Natürlich gibt es aber auch Län<strong>de</strong>r,<br />

an die wir uns nicht wen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, wie<br />

z. B. Nord-Korea.<br />

<strong>Homeland</strong>: Vielen Dank für das Gespräch.<br />

Dipl. Ing. Lothar Hügin<br />

Jahrgang 1964, von 1990<br />

bis 1996 Bauingenieurstudium<br />

an <strong>de</strong>r Universität-<br />

Gesamthochschule Kassel;<br />

seit 1997 selbstständig<br />

mit einem Brandschutzbüro;<br />

2008 Gründung <strong>de</strong>r<br />

Hügin Group International<br />

GmbH & Co.KG; seit 1982 freiwilliger<br />

Feuerwehrmann bei <strong>de</strong>n Feuerwehren<br />

Denzlingen, Kassel-Harleshausen und Vellmar;<br />

aktives Mitglied bei <strong>de</strong>n Euro Fire<br />

Fightern; seit 1999 Lehrtätigkeiten an <strong>de</strong>r<br />

Universität Kassel.<br />

36 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Maritime Sicherheit und Piraterie<br />

Entführung<br />

MS “HANSA STAVANGER”<br />

Bewaffnetes Bewachungsteam <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>smarine erwünscht<br />

Frank Leonhardt ist geschäftsführen<strong>de</strong>r<br />

Gesellschafter <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>reigruppe<br />

Leonhardt & Blumberg, die mehr als 50<br />

vorwiegend im Containerverkehr eingesetzte<br />

Han<strong>de</strong>lsschiffe unter Charterverträgen<br />

mit internationalen Linienree<strong>de</strong>reien<br />

im weltweiten Verkehr betreibt.<br />

Das von ihm beree<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>utschflaggige<br />

MS “HANSA STAVANGER” war 2009 für<br />

vier Monate von somalischen Piraten<br />

entführt wor<strong>de</strong>n. Welche Verän<strong>de</strong>rungen<br />

diese Entführung für die Ree<strong>de</strong>rei<br />

mit sich brachte, berichtete Leonhardt<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong>.<br />

Von <strong>de</strong>r Entführung erfuhr Leonhardt<br />

durch eine Meldung <strong>de</strong>r Schiffsleitung; im<br />

Anschluss grün<strong>de</strong>te er zusammen mit Beratern,<br />

die sich in Fragen <strong>de</strong>r Piraterie auskennen<br />

(BKA, Versicherungsmakler, britische<br />

Sicherheitsagentur), einen Krisenstab.<br />

Persönlichen Kontakt zu <strong>de</strong>n Besatzungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />

gab es nicht: „Alle Kontakte mit<br />

<strong>de</strong>m Schiff und <strong>de</strong>n Piraten liefen nur über<br />

eine vom Krisenstab als Sprecher ausgesuchte<br />

Person. Dieser glückte es während<br />

<strong>de</strong>r Entführungsdauer, mit <strong>de</strong>m damaligen<br />

2. Offizier Euskirchen in Telefonkontakt zu<br />

kommen“, schil<strong>de</strong>rt Leonhardt. Das Wohlergehen<br />

<strong>de</strong>r Besatzungsmitglie<strong>de</strong>r bereitete<br />

ihm Sorgen; so war die Nachricht über die<br />

Befreiung eine große Erleichterung: „Nach<strong>de</strong>m<br />

bei <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s befreiten Schiffes<br />

im ersten Hafen, in Mombasa, neben einem<br />

Vertreter unserer Ree<strong>de</strong>rei auch Repräsentanten<br />

<strong>de</strong>s BKA und <strong>de</strong>r Versicherer unsere<br />

Seeleute wahrgenommen hatten, konnten<br />

die Seeleute in ihre Heimat Deutschland,<br />

die im Südpazifik gelegene Republik Tuvalu,<br />

Philippinen, Ukraine und Russland zurückkehren.<br />

Mit <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Seeleuten habe<br />

ich später persönlich gesprochen.“<br />

Danach hat die Ree<strong>de</strong>rei die Best Management<br />

Practice Maßnahmen auf ihren<br />

Schiffen im piratengefähr<strong>de</strong>ten Indischen<br />

Ozean weiterentwickelt: Stacheldrahtbewehrung<br />

an <strong>de</strong>r Reling, Verschluss <strong>de</strong>r Aufund<br />

Zugänge zu <strong>de</strong>n Aufbauten und die<br />

Einrichtung eines Fluchtraumes (Zita<strong>de</strong>lle).<br />

„Die wichtigste Maßnahme aber ist die<br />

Mitreise <strong>de</strong>r von uns bestellten bewaffneten<br />

Wachleute privater Sicherheitsdienste“,<br />

betont Leonhardt und ergänzt: „Wichtigste<br />

Aufgabe bei <strong>de</strong>n Schutzmaßnahmen vor Piratenentführungen<br />

ist, zu verhin<strong>de</strong>rn, dass<br />

Piraten an Bord eines Schiffes kommen können.<br />

Da sich die Gefährdung durch somalische<br />

Piraten über die weiten Flächen <strong>de</strong>s<br />

Indischen Ozeans aus<strong>de</strong>hnt, ist die Anzahl<br />

<strong>de</strong>r Navy-Schiffseinheiten von ATALANTA<br />

als Begleitschiffe für Han<strong>de</strong>lsschiffe nicht<br />

ausreichend. Der Einsatz von Kriegsschiffen<br />

mit ihren zahlreichen Besatzungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />

als Begleitschutz einzelner Schiffe ist<br />

eine viel zu aufwändige Maßnahme hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Vielzahl von Han<strong>de</strong>lsschiffen. Ein<br />

unvergleichlich geringerer Aufwand wäre<br />

möglich, wenn die Bun<strong>de</strong>smarine zur Mitreise<br />

an Bord <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsschiffe bei <strong>de</strong>n gefähr<strong>de</strong>ten<br />

Passagen ein bewaffnetes Bewachungsteam<br />

zur Verfügung stellen wür<strong>de</strong>.“<br />

Bei <strong>de</strong>n privaten Bewachungsfirmen hat<br />

sich ein Team von vier Wachleuten pro Schiff<br />

bewährt. Für die logistischen Aufgaben <strong>de</strong>s<br />

An- und Vonbordgehens <strong>de</strong>r Marinesoldaten<br />

könnten die Ree<strong>de</strong>r wertvolle Ratschläge<br />

und Hilfestellung anbieten und wären bereit,<br />

logistische Kosten zu übernehmen. Leonhardt:<br />

„Grundsätzlich wür<strong>de</strong>n die Ree<strong>de</strong>r<br />

hoheitliche Sicherheitskräfte gegenüber privaten<br />

Sicherheitsdiensten vorziehen, weil<br />

wir hinsichtlich <strong>de</strong>r von Sicherheitskräften<br />

mitzuführen<strong>de</strong>n Waffen ein größeres Vertrauen<br />

in die disziplinarische Einbindung<br />

<strong>de</strong>r hoheitlichen Sicherheitskräfte hätten.<br />

Die Ree<strong>de</strong>r wünschen eine Diskussion mit<br />

<strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sverteidigungsministerium über<br />

diese Fragen <strong>de</strong>r Mitreise von Marinesoldaten.<br />

Ich bedauere, dass das Ministerium in<br />

dieser für <strong>de</strong>n Schutz unserer Besatzungen<br />

so wichtigen Frage <strong>de</strong>r Piratenabwehr nicht<br />

bereit ist, sich einer sachlichen Erörterung<br />

zu stellen und statt<strong>de</strong>ssen die angestrebte<br />

Zusammenarbeit politisch ablehnt. Ich meine,<br />

dass die von mir geschil<strong>de</strong>rte Mitreise<br />

von Marinesoldaten in<br />

piratengefähr<strong>de</strong>ten Gewässern<br />

für die Bun<strong>de</strong>smarine<br />

eine finanziell<br />

überschaubare und von<br />

<strong>de</strong>r Öffentlichkeit in hohem<br />

Maße akzeptierte<br />

Aufgabe zum Schutz <strong>de</strong>r<br />

Seeleute auf <strong>de</strong>utschen<br />

Schiffen wäre.“<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 37


Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />

Dekontaminationsübung<br />

Benjamin Maiorano<br />

„KALTE DUSCHE“<br />

Lazarettregiment 21 „Westerwald“<br />

Auf geht‘s in die „KALTE<br />

DUSCHE“<br />

In <strong>2012</strong> führte das Kreisverbindungskommando<br />

Main-Taunus zusammen<br />

mit <strong>de</strong>m Amt für Brandschutz und Rettungswesen<br />

und <strong>de</strong>m Sanitätshygienezug<br />

<strong>de</strong>s Lazarettregimentes 21 „Westerwald“<br />

eine Dekontaminationsübung in<br />

Rennerod durch.<br />

Der stellvertreten<strong>de</strong> Regimentskomman<strong>de</strong>ur<br />

<strong>de</strong>s Lazarettregiments 21, Oberstleutnant<br />

Hentschel, begrüßte Oberfeldarzt d. R.<br />

Dr. Munk vom Kreisverbindungskommando<br />

Main-Taunus als Initiator <strong>de</strong>r gemeinsamen<br />

Übung, Oberstleutnant von John, Leiter <strong>de</strong>s<br />

Kreisverbindungskommandos Main-Taunus,<br />

Oberstleutnant Stettner, Chef <strong>de</strong>s Stabes<br />

<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>skommandos Hessen, Kreisbrandinspektor<br />

Joachim Dreier, Amtsleiter <strong>de</strong>s<br />

Amtes für Brandschutz und Katastrophenschutz,<br />

Oberfeldarzt Dr. Heinz, stellvertreten<strong>de</strong>r<br />

Abteilungsleiter G3 <strong>de</strong>s Sanitätskommandos<br />

II sowie Major Dr. Weis, <strong>de</strong>r mit<br />

zehn Soldaten <strong>de</strong>s ABC-Abwehrregiments<br />

750 aus Bruchsal als Beobachter <strong>de</strong>r Übung<br />

angereist war.<br />

Im Rahmen eines Dienstaufsichtsbesuches<br />

überzeugte sich <strong>de</strong>r Komman<strong>de</strong>ur Sanitätskommando<br />

II, Admiralarzt Dr. Michael<br />

Knabe, von <strong>de</strong>n Leistungen <strong>de</strong>r ihm unterstellten<br />

Soldaten.<br />

Ziel <strong>de</strong>r gemeinsamen Übung war die<br />

Verbesserung <strong>de</strong>r „Zivil-Militärischen Zusammenarbeit“<br />

(ZMZ) bei Aufbau und Betrieb<br />

einer Dekontaminationseinrichtung<br />

für Verwun<strong>de</strong>te. Dazu verfügt die Dekon-<br />

Gruppe V <strong>de</strong>s Amtes für Brandschutz und<br />

Rettungswesen über einen mo<strong>de</strong>rnen Dekon-V<br />

Platz. Eine Dekontamination ist nicht<br />

nur in Einsatz- und Kriegsszenarien nach<br />

atomaren, biologischen o<strong>de</strong>r chemischen<br />

Angriffen gefragt, son<strong>de</strong>rn auch im Unglücks-<br />

o<strong>de</strong>r Katastrophenfall, wenn Schadstoffe<br />

freigesetzt wur<strong>de</strong>n und Personen und<br />

Gerätschaften verunreinigt sind.<br />

Neben <strong>de</strong>r Dekontamination für Verwun<strong>de</strong>te<br />

verfügt <strong>de</strong>r Main-Taunus-Kreis über Einrichtungen<br />

zur Reinigung von Personen (Dekon-Gruppe-P)<br />

und Geräten (AB-Dekon-G).<br />

Der Sanitätsdienst <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr verfügt<br />

38 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />

analog dazu über Dekon-V-Einrichtungen.<br />

Die Fähigkeiten zur Dekontamination von<br />

Groß- und Kleingerät sowie Personen wer<strong>de</strong>n<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr durch die<br />

ABC-Abwehr-Truppe wahrgenommen.<br />

In einem geführten ersten Durchlauf<br />

erläuterte <strong>de</strong>r Sachgebietsleiter Katastrophenschutz<br />

<strong>de</strong>s Main-Taunus-Kreises,<br />

Günther Schrö<strong>de</strong>r, die Versorgung eines<br />

Verwun<strong>de</strong>ten in <strong>de</strong>n drei Stationen Vorreinigung<br />

– Entkleidung – Triage, Dekontamination<br />

und Weiterversorgung. In <strong>de</strong>m nun<br />

folgen<strong>de</strong>n „scharfen“ Durchlauf konnten<br />

die Soldaten <strong>de</strong>s Sanitätshygienezuges die<br />

in Ihrer Ausbildung erlernten Fähigkeiten<br />

in <strong>de</strong>n zivilen Dekontaminationszelten unter<br />

Beweis stellen.<br />

Ein solcher Einsatz ist keineswegs rein<br />

theoretisch: Zum einen gibt es laut Oberfeldarzt<br />

Dr. Munk auch innerhalb <strong>de</strong>s Sanitätsdienstes<br />

Überlegungen zur Anschaffung<br />

von vergleichbarem Gerät, zum an<strong>de</strong>ren ist<br />

die personelle Unterstützung durch Soldaten<br />

bei schweren Unglücksfällen unabdingbar,<br />

um die Durchhaltefähigkeit <strong>de</strong>r zivilen<br />

Einrichtung im Schichtbetrieb sicherstellen<br />

zu können. Ein Dekontaminationsplatz V hat<br />

bei Einsatz von min<strong>de</strong>stens zwölf Fachkräften<br />

eine Kapazität von zehn Personen pro<br />

Stun<strong>de</strong>. Nach <strong>de</strong>r Vorreinigung und Entkleidung<br />

<strong>de</strong>r verwun<strong>de</strong>ten Person erfolgt eine<br />

Triage zur Erstbeurteilung <strong>de</strong>r Schwere<br />

<strong>de</strong>r Verwundung. Diese ist notwendig, um<br />

mit <strong>de</strong>n verfügbaren Ressourcen eine möglichst<br />

hohe Anzahl an Verletzten möglichst<br />

gut versorgen zu können und keine vermeidbaren<br />

Verzögerungen zu provozieren. Dazu<br />

wird außer<strong>de</strong>m für je<strong>de</strong> versorgte Person<br />

ein Dekontaminationsprotokoll geführt, das<br />

je<strong>de</strong>n Arbeitsschritt vom Aufschnei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Schutzkleidung bis hin zum Abtrocknen minutiös<br />

dokumentiert. Im Anschluss an die<br />

erste Station erfolgt die eigentliche Dekontamination,<br />

für die reines Wasser, neutrale<br />

Neutralseife und Peressigsäure mit Puffer<br />

zur Sterilisation verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. An <strong>de</strong>n<br />

„roten“ und „gelben“ Bereich schließt sich<br />

<strong>de</strong>r „grüne“ Bereich an, in <strong>de</strong>m vor Übergabe<br />

an <strong>de</strong>n Rettungsdienst bzw. <strong>de</strong>n sanitätsdienstlichen<br />

Krankentransport eine Weiterversorgung<br />

<strong>de</strong>s nun <strong>de</strong>kontaminierten<br />

Verwun<strong>de</strong>ten erfolgt.<br />

Nach Abschluss <strong>de</strong>r Dekontaminationsübung<br />

führte die dritte Kompanie <strong>de</strong>s Lazarettregiment<br />

21 eine Vorführung ihrer<br />

modularen Sanitätseinrichtungen für die<br />

Besucher <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos,<br />

<strong>de</strong>s Amtes für Brand- und Katastrophenschutz<br />

und <strong>de</strong>s ABC Abwehr Regimentes<br />

750 durch.<br />

Inner- und außerhalb <strong>de</strong>r Einsatzgebiete<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr und bei schweren Unglückfällen<br />

– sei es <strong>de</strong>r Brand in einer Chemiefabrik<br />

o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Entweichen giftiger Gase<br />

– zeigt sich immer wie<strong>de</strong>r, dass die Notwendigkeit<br />

für eine schnelle und effektive Dekontamination<br />

nicht zu weit hergeholt ist. In<br />

<strong>de</strong>r gemeinsamen Übung unter <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>rführung<br />

<strong>de</strong>r Reservisten <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos<br />

Main-Taunus konnten die<br />

Mitarbeiter <strong>de</strong>s Amtes für Brand- und Katastrophenschutz<br />

gemeinsam mit <strong>de</strong>n Soldaten<br />

<strong>de</strong>s Lazarettregiment 21 „Westerwald“ zeigen,<br />

dass <strong>de</strong>r zivile und militärische Bereich<br />

sich gemeinsam erfolgreich einer solchen<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung stellen können.<br />

Einblick in die Dekontamination<br />

eines Verwun<strong>de</strong>ten<br />

Oberleutnant Benjamin<br />

Maiorano, Diplom-Pädagoge,<br />

Jahrgang 1980,<br />

ist Stabsabteilungsleiter<br />

<strong>de</strong>r Abteilung Militärische<br />

Sicherheit und seit<br />

Juni <strong>2012</strong> nebenamtlicher<br />

Presseoffizier <strong>de</strong>s<br />

Lazarettregiments 21<br />

„Westerwald“. Er berät <strong>de</strong>n Komman<strong>de</strong>ur<br />

<strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s in Fragen <strong>de</strong>r Presse- und<br />

Medienarbeit, koordiniert die Arbeit mit<br />

Medienvertretern und verfasst die Presseberichte<br />

<strong>de</strong>s Regimentes. In seiner Funktion<br />

als Sicherheitsbeauftragter und IT-<br />

Sicherheitsbeauftragter ist er u. a. für die<br />

Weiterbildung <strong>de</strong>r Soldaten in Sicherheitsfragen<br />

zuständig.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 39


Katastrophenhilfe<br />

24/7 – hilfsbereit, kompetent,<br />

hoch motiviert<br />

Einblicke in die ehrenamtliche Tätigkeit <strong>de</strong>s<br />

THW Ortsverband Dinslaken<br />

Stefan Schmitt<br />

Wasser marsch! Die ehrenamtlichen<br />

Helferinnen und Helfer <strong>de</strong>s Ortsverban<strong>de</strong>s<br />

Dinslaken mit <strong>de</strong>n Fachgruppen<br />

Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen und Beleuchtung<br />

sind für <strong>de</strong>n Ernstfall bestens ausgestattet.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s Ausbildungsdienstes<br />

fand ein Übungstag statt, an<br />

<strong>de</strong>m <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> teilnahm. Im<br />

Mittelpunkt stand eine angenommene<br />

Hochwasserlage, bei <strong>de</strong>r die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Gruppen die einheitenübergreifen<strong>de</strong><br />

Zusammenarbeit übten. Ein hochmotiviertes<br />

Team präsentierte mit viel<br />

Freu<strong>de</strong>, Ehrgeiz und Engagement die<br />

Gerätschaften <strong>de</strong>s Ortsverban<strong>de</strong>s am<br />

Rotbachsee in Dinslaken. Während die<br />

Fachrichtung Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />

eine Havariepumpe vorführte, die eine<br />

För<strong>de</strong>rleistung von 15.000 l/min hat,<br />

stellte die Fachrichtung Beleuchtung<br />

ihren Lichtmasten auf.<br />

Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer<br />

im Ortsverband Dinslaken<br />

Stefan Schmitt<br />

„Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr beim<br />

THW. Zum THW bin ich gekommen, weil ich<br />

nicht zur Bun<strong>de</strong>swehr wollte. Den Sinn <strong>de</strong>s<br />

THW habe ich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit mehr als<br />

erfahren können. Dabei haben Lehrgänge<br />

meinen Horizont erweitert. Ich bin als stellvertreten<strong>de</strong>r<br />

Ortsbeauftragter tätig und für<br />

<strong>de</strong>n Stab und die organisatorische Abwicklung<br />

im Ortsverband zuständig.“<br />

Karina Schubert (im Bild mit Stefan<br />

Schraven)<br />

„Seit acht Jahren bin ich beim THW. Mein<br />

Freun<strong>de</strong>skreis hat mir die Arbeit schmackhaft<br />

gemacht. Ich beklei<strong>de</strong> das Amt <strong>de</strong>r Beauftragten<br />

für Öffentlichkeitsarbeit.“<br />

Wolfgang Dappers<br />

„Ich bin seit 43 Jahren beim THW. Angefangen<br />

habe ich als Wehrdienstverweigerer und<br />

schnell Gefallen am THW gefun<strong>de</strong>n – erst als<br />

Helfer, dann als Schirrmeister und jetzt als<br />

Ortsbeauftragter.“<br />

Wilhelm Stephan (links im Bild)<br />

„Als Quereinsteiger bin ich seit neun Jahren<br />

dabei. Hauptberuflich war ich Polizeibeamter.<br />

Meine bei<strong>de</strong>n Söhne sind auch im Ortsverband<br />

als Schirrmeister und Gruppenführer.<br />

Sie haben mich für die Arbeit beim THW<br />

begeistert. Es läuft sehr gut, weil mein Arbeitsbereich<br />

bei <strong>de</strong>r Polizei auch <strong>de</strong>r Stab<br />

war. Als Fachberater war ich in <strong>de</strong>n Führungsstäben.<br />

Das passt gut zusammen.“<br />

40 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Katastrophenhilfe<br />

Heiko Müller<br />

„Ich bin Gruppenführer <strong>de</strong>r 2. Bergungsgruppe<br />

und seit 1991 beim THW. Hauptberuflich<br />

bin ich IT-Administrator. Als ich zum<br />

THW kam, stand im Vor<strong>de</strong>rgrund, nicht zur<br />

Bun<strong>de</strong>swehr gehen zu müssen. Ich studierte<br />

Maschinenbau und wollte nicht aus <strong>de</strong>r<br />

Schule gerissen wer<strong>de</strong>n. Mittlerweile sind<br />

diese Grün<strong>de</strong> hinfällig. Ich schätze die Kameradschaft<br />

und bin froh, an<strong>de</strong>ren helfen zu<br />

können. Wenn ich in <strong>de</strong>n Medien Elend auf<br />

dieser Er<strong>de</strong> sehe, verspüre ich <strong>de</strong>n Drang,<br />

helfen zu wollen. Dankbarkeit habe ich immer<br />

erfahren. Hausbewohner, die uns mit<br />

heißen Würstchen o<strong>de</strong>r mit Kuchen versorgt<br />

haben. Das tut mir sehr gut. Das ist Balsam<br />

für die Seele, ich weiß dann persönlich, warum<br />

ich das mache. Zuhause erzählen die<br />

Kin<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r Papa an<strong>de</strong>ren Leuten hilft.<br />

Das ist natürlich auch toll für die Kin<strong>de</strong>r. Das<br />

sind die Beweggrün<strong>de</strong>, warum ich hier bin.“<br />

Ortsverband Dinslaken<br />

Dappers: Den Ortsverband Dinslaken gibt<br />

es seit 1953. Als <strong>de</strong>r Ortsverband Walsum<br />

– ein Stadtteil von Duisburg – mit Duisburg<br />

fusionierte und wir das Gelän<strong>de</strong> in<br />

Dinslaken an die Stadtwerke zurückgeben<br />

mussten, bezogen wir diese Liegenschaft in<br />

Duisburg-Walsum. Der Ortsverband Dinslaken<br />

besteht wie je<strong>de</strong>r Ortsverband aus <strong>de</strong>m<br />

Stab und einem Technischen Zug (TZ); <strong>de</strong>r<br />

TZ besteht aus einem Zugtrupp, <strong>de</strong>r führt,<br />

und einer 1. und 2. Bergungsgruppe, sowie<br />

min<strong>de</strong>stens einer Fachgruppe. Dann gibt es<br />

noch eine Jugendgruppe. Die Jugend wird<br />

immer wichtiger; wir erfüllen auch eine Sozialaufgabe<br />

und versuchen, <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />

ein Miteinan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Menschen zu vermitteln<br />

und ihnen soziale Aspekte näher zu<br />

bringen. Vor Ort haben wir zwei Fachgruppen:<br />

Die Fachgruppe Beleuchtung hilft,<br />

große Scha<strong>de</strong>nstellen auszuleuchten; die<br />

Fachgruppe Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen (WP)<br />

führt vor allem großflächige Lenzarbeiten<br />

Maik Schmitz (rechts im Bild)<br />

„Ich bin Gruppenführer <strong>de</strong>r 1. Bergungsgruppe<br />

und seit 10 Jahren beim THW.<br />

Hauptberuflich arbeite ich als Chemiemeister.<br />

Damals war ich Wehrdienstverweigerer.<br />

Dann habe ich meine THW-Truppe kennen<br />

gelernt und war viel unterwegs. Daraus haben<br />

sich viele Freundschaften entwickelt.<br />

Heutzutage ist es schön, irgendwo helfen<br />

zu können. Meine Kin<strong>de</strong>r sind sehr begeistert<br />

und fin<strong>de</strong>n das toll, wenn <strong>de</strong>r Papa dabei<br />

ist. Ich mache es auch als Ausgleich für<br />

mich selbst. Die Erfahrungen, die ich hier<br />

bislang gesammelt habe, und auch die Ausbildung,<br />

die ich hier genossen habe, möchte<br />

ich nicht missen. Einiges kann man auch<br />

beruflich nutzen. Außer<strong>de</strong>m gefällt es, viele<br />

Nationalitäten und verschie<strong>de</strong>ne Menschen<br />

kennen zu lernen. Sehr wichtig fin<strong>de</strong> ich die<br />

Kameradschaft, aus <strong>de</strong>r man viele Freundschaften<br />

knüpfen kann.“<br />

durch. Angefangen haben wir mit einer<br />

5.000 l/ min. Hannibal-Pumpe, mittlerweile<br />

haben wir die zweite DIA-Pumpen mit<br />

15.000 l/min.<br />

„Die Feuerwehr muss mit wenig Wasser<br />

weit spritzen, wir müssen viel Wasser<br />

transportieren.“<br />

Dappers: Wir sind keine Konkurrenz zur<br />

Feuerwehr, aber wir können uns ergänzen.<br />

Die Feuerwehr muss mit wenig Wasser weit<br />

spritzen, wir müssen viel Wasser transportieren.<br />

Das ist <strong>de</strong>r große Unterschied zwischen<br />

uns und <strong>de</strong>r Feuerwehr: Wir lenzen,<br />

die Feuerwehr pumpt.<br />

<strong>Homeland</strong>: Gibt es Schnittstellen, wo Sie<br />

zusammenarbeiten?<br />

Dappers: Ja. Da wir Wasser in großen<br />

Mengen über weite Strecken transportieren<br />

können, obliegt uns vielfach die Wasserversorgung<br />

für die Feuerwehr, z. B.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 41


Katastrophenhilfe<br />

Daniel Kleinbölting – auslandserprobt<br />

„Ich bin Gruppenführer <strong>de</strong>r Fachgruppe<br />

WP und seit 20 Jahren beim THW. Hauptberuflich<br />

arbeite ich auf <strong>de</strong>m Flughafen. Die<br />

gesamte För<strong>de</strong>rleistung <strong>de</strong>r Fachgruppe<br />

beträgt 36.000 l/min. mit <strong>de</strong>m Einsatz von<br />

Tauch- und Motorkreiselpumpen. Die DIA-<br />

Motorkreiselpumpe übernimmt eine För<strong>de</strong>rleistung<br />

von 15.000 l/min bei einem Maximaldruck<br />

von fünf bar. Angetrieben wird die<br />

Pumpe von einem 130 PS starken Dieselmotor.<br />

Montiert ist sie auf einem gelän<strong>de</strong>fähigen<br />

Fahrgestell und hat ein Gesamtgewicht<br />

von 3,5 t. Ich war mit <strong>de</strong>r Pumpe in New<br />

Orleans 2005. Im Innenstadtbereich hatten<br />

wir über 80 Einsatzstellen. Eine Tiefgarage<br />

<strong>de</strong>s Rathauses haben wir leer gepumpt. Uns<br />

hat immer jemand von <strong>de</strong>r National Guard<br />

begleitet. Nachts war ich einmal allein unterwegs<br />

und hatte kurze Zeit später einen<br />

National Guard hinter mir, <strong>de</strong>r mir verbot,<br />

bei Waldbrän<strong>de</strong>n. Wir unterstützen, die<br />

Feuerwehr löscht.<br />

Schmitt: Wir beschränken uns nicht auf<br />

Wasser, son<strong>de</strong>rn bieten auch Beleuchtung<br />

an: nachts, um Einsatzstellen auszuleuchten<br />

und für die Einsatzkräfte Sicherheit zu gewährleisten.<br />

Wir unterstützen auf Anfrage<br />

überall dort, wo wir mit unseren Leistungen<br />

unterstützen können.<br />

Fachgruppe Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />

Die Fachgruppe Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />

(FGr WP) führt zur Behebung und Eindämmung<br />

von Gefahren bei Überflutungen und<br />

Überschwemmungen größeren Ausmaßes<br />

Pump- und Lenzarbeiten durch, beseitigt<br />

Schmutz- und Abwasser aus Scha<strong>de</strong>ngebieten<br />

und bekämpft schädigend eindringen<strong>de</strong>s<br />

Wasser.<br />

in die Innenstadt zu gehen. Hier hatte man<br />

Angst vor Plün<strong>de</strong>rungen. Auf <strong>de</strong>n Dächern<br />

saßen Scharfschützen – da wur<strong>de</strong> mir ganz<br />

an<strong>de</strong>rs. Die Zusammenarbeit hat sehr gut<br />

funktioniert. Die Army hat sofort mit angepackt<br />

und uns z. B. auch die Wagen betankt,<br />

ohne dass wir das bei <strong>de</strong>r Einsatzleitstelle<br />

anfor<strong>de</strong>rn mussten. Ungewohnt war<br />

die Begegnung mit Krokodilen, Schlangen<br />

und Gürteltieren an <strong>de</strong>n Einsatzstellen. Es<br />

ist aber nichts passiert. Innerhalb von vier<br />

Wochen war die Stadt wie<strong>de</strong>r trocken gelegt.<br />

Die Gastfreundschaft ist mir am meisten<br />

in Erinnerung geblieben. Am Anfang<br />

gab es Skepsis, dann sind wir mit offenen<br />

Armen empfangen wor<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Rückkehr<br />

aus <strong>de</strong>n USA hätte ich eine Nachsorge<br />

in Anspruch nehmen können: Es war zwar<br />

ein langer und schwerer Einsatz, aber ohne<br />

große psychische Belastungen. Ich habe die<br />

Nachsorge nicht in Anspruch genommen.<br />

Ich habe zwar zerstörte Häuser o<strong>de</strong>r Tierkadaver<br />

gesehen, aber <strong>de</strong>r Stadtteil war zu<br />

diesem Zeitpunkt bereits evakuiert. Vor unserem<br />

Abflug ist uns die Ehrenbürgermeisterschaft<br />

verliehen wor<strong>de</strong>n. Insgesamt 16<br />

Mann wur<strong>de</strong> die Urkun<strong>de</strong> überreicht mit<br />

<strong>de</strong>r Ansteckna<strong>de</strong>l als Ehrenbürgermeister.<br />

Es war eine schöne Würdigung unserer Arbeit.<br />

Die Amerikaner kennen es nicht, ehrenamtlich<br />

zu arbeiten. Daher hatte <strong>de</strong>r<br />

Bürgermeister gesagt, eine einfache Ehrenbürgerschaft<br />

sei zu gering und machte daraus<br />

eine Ehrenbürgermeisterschaft.“<br />

<strong>Homeland</strong>: Was ist das Beson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>n<br />

Pumpen? Wo kommen sie zum Einsatz?<br />

Schmitt: Die Pumpen sind sehr groß und<br />

man braucht Manpower; <strong>de</strong>r Aufbau muss<br />

sich lohnen. Es muss eine entsprechend große<br />

Scha<strong>de</strong>nstelle vorhan<strong>de</strong>n sein wie z. B.<br />

eine Tiefgarage. Wir haben auch schon einen<br />

See abgesenkt, <strong>de</strong>r wegen Überflutung<br />

eine Autobahnauffahrt bedrohte, und große<br />

Tunnel o<strong>de</strong>r eine Kläranlage, die drohte,<br />

überzulaufen. Dort, wo es eine große Menge<br />

an Wasser zu lenzen gibt.<br />

<strong>Homeland</strong>: Interessant ist, dass Sie mit <strong>de</strong>n<br />

Herstellern auch Weiterentwicklungen tätigen.<br />

Ist das Usus?<br />

Schmitt: Nein, bei uns ergeben sich einige<br />

Innovationen aus <strong>de</strong>r Praxis. Teilweise haben<br />

wir uns schon Gedanken gemacht, was<br />

42 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Katastrophenhilfe<br />

im Prinzip besser sein könnte. Wir haben immer<br />

einen guten Draht zum Hersteller und<br />

haben das eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re erörtert, was<br />

ein Mehr wäre für die Praxis. Der Hersteller<br />

setzt es dann um. Wir arbeiten sehr eng<br />

zusammen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Welche Erfahrungen haben Sie<br />

gemacht? Sind Sie zufrie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r gibt es<br />

Verbesserungswünsche?<br />

Vorbereitung eines Einsatzes<br />

<strong>de</strong>r Havariepumpe<br />

„DIA“ <strong>de</strong>r Fachgruppe<br />

Wasserscha<strong>de</strong>n/Pumpen<br />

Dappers: Die Firma DIA hat immer ein Ohr<br />

für unsere Anliegen und Än<strong>de</strong>rungswünsche.<br />

In <strong>de</strong>r zweiten Generation sind unsere<br />

Än<strong>de</strong>rungen von ihnen übernommen und<br />

umgesetzt wor<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>n DIA-Pumpen<br />

haben wir z. B. eine Tiefgarage in Dres<strong>de</strong>n<br />

ausgepumpt. Wir benutzen sie für große Gebäu<strong>de</strong><br />

wie z. B. Krankenhäuser. Zum Einsatz<br />

kamen sie auch in New Orleans in <strong>de</strong>n USA.<br />

Das war das erste Mal, dass die Amerikaner<br />

Hilfe angenommen haben. Neben <strong>de</strong>n DIA-<br />

Pumpen nutzt die WP auch Elektrotauchpumpen<br />

zum Abpumpen von Wasser in kleineren<br />

Scha<strong>de</strong>nsgebieten.<br />

Dappers: Ich freue mich über je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r zu<br />

uns kommt, um sich bei uns zu engagieren.<br />

Wir haben in <strong>de</strong>r Gesellschaft einen Wan<strong>de</strong>l<br />

in <strong>de</strong>r Einstellung <strong>de</strong>r jungen Menschen. Wir<br />

sind früher durch eine Mehrgenerationenfamilie<br />

groß gewor<strong>de</strong>n; heute ist das nicht<br />

mehr gegeben. Vielfach fehlt <strong>de</strong>n jungen<br />

Leuten ein gutes Verhältnis zu <strong>de</strong>n älteren<br />

Menschen. Es ist wichtig, auch <strong>de</strong>n sozialen<br />

Aspekt bei <strong>de</strong>n jungen Menschen zu för<strong>de</strong>rn,<br />

dass sich Jugendliche heute in Organisationen<br />

treffen und zusammen arbeiten.<br />

Schmitt: Natürlich. Wir haben mit <strong>de</strong>m<br />

Wegfall <strong>de</strong>r Wehrpflicht auch diverse Austritte<br />

gehabt. Außer<strong>de</strong>m muss man beachten,<br />

dass diejenigen, die sich engagieren<br />

wollen, heute auf ein breites Angebot stoßen:<br />

DRK, THW, ASB usw. Das ist ein Glücksfall,<br />

wenn einer kommt.<br />

Schmitt: Diejenigen, die sie hier sehen,<br />

sind im Wesentlichen freiwillig da. Es sind<br />

Leute, die geblieben sind nach ihrer Freistellung.<br />

Es gibt aber auch Quereinsteiger,<br />

die einen gewissen Stand in ihrem Leben erreicht<br />

haben: Sie haben Familie und sind in<br />

ihrem Beruf gefestigt und haben <strong>de</strong>n Gedanken,<br />

dass sie sich irgendwo noch engagieren<br />

Pumpe vor Krankenhaus<br />

New Orleans<br />

Weniger Soldaten – weniger THWler<br />

<strong>Homeland</strong>: Spüren Sie mit <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>r<br />

Wehrpflicht einen Einbruch?<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 43


Katastrophenhilfe<br />

Matthias Brinkmann<br />

„Ich bin stellvertreten<strong>de</strong>r Gruppenführer<br />

<strong>de</strong>r Fachgruppe Beleuchtung und seit 2002<br />

beim THW als Kraftfahrer, Sprechfunker<br />

und Maschinist tätig. Hauptberuflich bin<br />

ich Schornsteinfeger. Als ich anfing, war ich<br />

sehr begeistert von <strong>de</strong>r Technik.<br />

Schmitt: Das ist unser Fokus, mit <strong>de</strong>m wir<br />

gerne arbeiten wür<strong>de</strong>n. Die jungen Menschen<br />

kommen aus <strong>de</strong>nkbar verständlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n im Moment weniger zu uns. Jungfacharbeiter<br />

arbeiten erst einmal, machen<br />

in <strong>de</strong>r Regel Überstun<strong>de</strong>n, dann kommt<br />

die Freundin hinzu, ein großes Freizeitangebot,<br />

das Internet: „Warum soll ich zum<br />

THW o<strong>de</strong>r zu an<strong>de</strong>ren Hilfsorganisationen<br />

gehen?“ – „Da muss ich arbeiten und lernen,<br />

damit ich eine Grundausbildung bekomme.<br />

Und wenn ich dann alles hinter mir<br />

habe, wer<strong>de</strong> ich noch in einen Einsatz geholt<br />

und muss erst recht arbeiten und dann<br />

ist es vielleicht auch noch nachts, dunkel<br />

und kalt.“ Im Umkehrschluss heißt das: Diejenigen,<br />

die sich freiwillig mel<strong>de</strong>n, sind mit<br />

Herzblut dabei.<br />

<strong>Homeland</strong>: Haben die unlängst durchgeführten<br />

Auslandseinsätze eine Sogwirkung?<br />

No Fishing!<br />

DIA-Pumpe im Hafen von<br />

New Orleans<br />

und einbringen wollen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sind die ehemaligen 18-Jährigen<br />

die neuen über 30-Jährigen?<br />

Schmitt: Unser Wunschklientel hat sich<br />

ein bisschen nach oben verschoben. Es ist<br />

etwas an<strong>de</strong>res, wenn ich mit jeman<strong>de</strong>m arbeite,<br />

<strong>de</strong>r Berufserfahrung und Lebenserfahrung<br />

hat. Ein junger Mensch muss an die<br />

Hand genommen wer<strong>de</strong>n. Verantwortungsgefühl<br />

ist bei unserer Arbeit sehr wichtig.<br />

Jemand, <strong>de</strong>r Familie hat, weiß, was Verantwortung<br />

be<strong>de</strong>utet.<br />

<strong>Homeland</strong>: Zu Ihnen kommen Personen mit<br />

abgeschlossener Berufsausbildung, die in<br />

ihrem Beruf bereits gefestigt sind?<br />

Dappers: Ja, natürlich. Man kommt ins<br />

Gespräch. Beispiel: Täglich sieht man die<br />

Rettungsfahrzeuge <strong>de</strong>r Feuerwehr auf <strong>de</strong>n<br />

Straßen. Das prägt sich ein. Das THW sieht<br />

man nur selten. Das haben sie dann auch<br />

nicht im Kopf. Wenn sie Fernsehreportagen<br />

sehen, tauchen mittlerweile immer mehr<br />

THW-Einsätze auf. Das war früher nicht so.<br />

Wir waren zwar da, aber man kannte uns<br />

nicht. Heute sind wir bekannter. Die Ausstattung<br />

ist top. Und das ermöglicht uns natürlich<br />

entsprechen<strong>de</strong> Einsätze – im Gegensatz<br />

zu früher. Und mit <strong>de</strong>r Technik lassen<br />

sich junge Menschen begeistern.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wenn ich mich als Ehrenamtlicher<br />

ausbildungstechnisch auf hohem Niveau<br />

befin<strong>de</strong>, ist das Material auch auf neuem<br />

Stand?<br />

Schmitt: Heute ja. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahre ist<br />

sukzessive sehr viel neue Technik hinzugekommen.<br />

Das fängt mit <strong>de</strong>n Fahrzeugen an,<br />

im Funkbereich. Hebekissen gab es früher<br />

nicht – kostenintensive Materialien, die für<br />

44 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Katastrophenhilfe<br />

<strong>de</strong>n Heavy-Duty-Einsatz bestimmt sind. Es<br />

gibt 668 Ortsverbän<strong>de</strong> in Deutschland, die<br />

wollen alle beste Technik haben. Wenn <strong>de</strong>r<br />

Bund nicht zeitgleich alle versorgen kann,<br />

geschieht das sukzessive. Diverse Ereignisse<br />

kamen uns zugute wie z. B. Hochwasserprogramme<br />

o<strong>de</strong>r getätigte Beschaffungen<br />

zur Gefahrenabwehr nach 9/11. Aktuell sind<br />

aus <strong>de</strong>m Konjunkturprogramm Fahrzeuge<br />

beschafft wor<strong>de</strong>n. Das kommt im Laufe <strong>de</strong>r<br />

Jahre als positives Zeichen hinzu. Heutzutage<br />

haben wir, bezogen auf die Ausstattung,<br />

ein sehr gutes Niveau. Wir erwarten in diesen<br />

Stun<strong>de</strong>n ein neues Fahrzeug. Das zeigt<br />

sicherlich auch, wo wir im Moment stehen.<br />

Dappers: Beim THW gibt es Plasmaschneidgeräte<br />

– die hat nicht je<strong>de</strong>r im Ortsverband.<br />

So auch Betonkettensägen – die wer<strong>de</strong>n sie<br />

in <strong>de</strong>r freien Wirtschaft kaum fin<strong>de</strong>n. Wir<br />

haben Kernbohrgeräte bis 800 mm – die<br />

wer<strong>de</strong>n Sie selbst in einer Privatfirma nur<br />

selten fin<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie sieht die Ausbildung beim<br />

THW aus?<br />

Dappers: Es gibt eine Grundausbildung.<br />

Danach folgt die Fachausbildung mit diversen<br />

Übungen.<br />

Schmitt: Nach <strong>de</strong>r Grundausbildung können<br />

Lehrgänge an Bun<strong>de</strong>sschulen besucht<br />

wer<strong>de</strong>n, die sich in Fachlehrgänge und Führungslehrgänge<br />

aufteilen.<br />

Schmitt: Ich möchte noch einen wichtigen<br />

Aspekt erwähnen: Wir haben immer wie<strong>de</strong>r<br />

Probleme mit Arbeitgebern gehabt –<br />

auch zu <strong>de</strong>r Zeit, wo Verpflichtete bei uns<br />

waren. Der Arbeitgeber hatte einen Vorteil:<br />

Wenn <strong>de</strong>r Arbeitnehmer zu uns gekommen<br />

ist, musste er nicht zur Bun<strong>de</strong>swehr gehen.<br />

Dieses halbe Jahr konnte er weiter für <strong>de</strong>n<br />

Arbeitgeber tätig sein, konnte Geld verdienen<br />

und sich weiterqualifizieren. Er war<br />

nicht <strong>de</strong>r Neue, <strong>de</strong>r nach <strong>sec</strong>hs Monaten<br />

wie<strong>de</strong>rkam, son<strong>de</strong>rn blieb von Anfang an im<br />

Geschäft. Mit <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>r Wehrpflicht<br />

heißt es von Seiten <strong>de</strong>s Arbeitgebers „Da<br />

brauchst Du gar nicht mehr hin.“ Vorher<br />

konnte <strong>de</strong>r Arbeitnehmer sagen „Ich muss<br />

Samstag zum Dienst, dafür muss ich aber<br />

nicht mehr zur Bun<strong>de</strong>swehr gehen.“ Das Argument<br />

fällt weg. Jetzt sagen die Arbeitgeber<br />

„Willst Du hier Geld verdienen? Wo ist<br />

<strong>de</strong>nn Dein Geschäftsinteresse?“ Da haben<br />

wir keine Argumente mehr. Viele haben mir<br />

auch gesagt, dass sie es vom Studium her<br />

nicht mehr schaffen. Und vielleicht wollen<br />

sie auch einmal ein Wochenen<strong>de</strong> für sich<br />

haben. Das kann ich verstehen. Dann gibt<br />

es Kollegen im Schichtdienst, teilweise haben<br />

sie Kontischicht. Und dann? Wenn sie<br />

samstags arbeiten müssen? Früher konnten<br />

sie <strong>de</strong>n Chef bitten, die Schicht zu verlegen,<br />

Das ist organisatorisch in einem Betrieb<br />

immer schwierig. Die Kollegen müssen<br />

mitspielen, <strong>de</strong>r Chef muss mitspielen. Heutzutage<br />

gibt es keine Argumentationsgrundlage<br />

mehr. Es geht nicht mehr.<br />

Hilfe für Je<strong>de</strong>rmann<br />

Dappers: Ich möchte Ihnen ein Beispiel aufzeigen:<br />

Wir hatten einen Einsatz über mehrere<br />

Tage in Dres<strong>de</strong>n. Folgen<strong>de</strong>s Gespräch<br />

fand statt: Ein Arbeitgeber rief an und sagte:<br />

„Wenn mein Mann morgen nicht zurück<br />

kommt, kann er gleich da bleiben“. Da habe<br />

ich geantwortet: „Sie sind Schornsteinfegermeister?“<br />

„Ja, das ist mein einziger Mann,<br />

<strong>de</strong>n ich habe“. erwi<strong>de</strong>rte er. „Schwierig, das<br />

verstehe ich. Sie haben bestimmt ein Eigenheim.<br />

Einfamilienhaus?“ fragte ich und<br />

er bejahte. „Und Kin<strong>de</strong>r?“ wollte ich wissen.<br />

„Ja, habe ich auch.“ „Sehen Sie. Und<br />

die Schlafzimmer liegen oben?“ „Ja, genau.“<br />

„Haben wahrscheinlich auch ein gutes<br />

Verhältnis zu <strong>de</strong>n Nachbarn?“ „Ja, natürlich<br />

haben wir das.“ „Toll. Dann treffen<br />

sie sich doch bestimmt abends mal im Garten.“<br />

„Ja.“ „Sehen Sie. Und nun brennt ihr<br />

Haus und ihre Kin<strong>de</strong>r sind oben. Dann rufen<br />

sie die Feuerwehr an – wahrscheinlich<br />

wohnen sie in einer kleinen Stadt, wo es<br />

keine Berufsfeuerwehr gibt – und dann sagen<br />

die Arbeitgeber: „Mein Arbeitnehmer<br />

kann jetzt nicht. Der muss arbeiten.“ Stille.<br />

„Aber übernächste Woche brauche ich ihn<br />

wie<strong>de</strong>r!“ Man muss da natürlich viel Arbeit<br />

leisten und jetzt ist die gesetzliche Grundlage<br />

an<strong>de</strong>rs. Das ist schwierig und wird noch<br />

schwieriger.<br />

Schmitt: Die Personal<strong>de</strong>cke ist bei <strong>de</strong>n<br />

meisten Betrieben nicht groß. Es gibt Einzelfälle.<br />

Vor Jahren rief mich eine Frau ganz<br />

aufgeregt an und fragte, wann Herr XY zurück<br />

kommen wür<strong>de</strong>. „Wir sind in einer Region,<br />

wo ein ganzes Stadtviertel unter Wasser<br />

steht“, antwortete ich. Sie entgegnete:<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 45


Katastrophenhilfe<br />

Ein neuer GKW I für <strong>de</strong>n<br />

OV Dinslaken. (Fotograf:<br />

Maarten Takens)<br />

„Wir sind ein Paketdienst – mein Mann und<br />

<strong>de</strong>r Kollege, <strong>de</strong>r für sie im Einsatz ist. Wir<br />

bekommen Aufträge, die wir abzuarbeiten<br />

haben. Wenn wir nicht unseren Pflichten<br />

nachkommen, bleiben die Aufträge aus.“ Es<br />

ist unverhältnismäßig, dass dieser Mann im<br />

Einsatz ist. Zur Not muss ich jemand an<strong>de</strong>ren<br />

einsetzen, als dass dieser bei <strong>de</strong>r Firma<br />

einen <strong>de</strong>rart hohen Scha<strong>de</strong>n anrichtet, sodass<br />

Existenzen bedroht sind. Das muss ich<br />

abwägen können. Die Arbeit wird von Ehrenamtlichen<br />

ausgeführt, ohne Geld. Das muss<br />

man immer im Hinterkopf behalten – auch,<br />

solche Dinge zu regeln und zu organisieren.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie oft treffen Sie sich im Jahr<br />

an Samstagen, z. B.?<br />

Schmitt: Wir haben unseren Dienstplan<br />

umgestellt und unseren Dienst gesplittet –<br />

auch im Hinblick darauf, dass es attraktiver<br />

ist für die Ehrenamtlichen, weil sie an einem<br />

starren Samstag, gera<strong>de</strong> auch im Hinblick<br />

auf Kontischichten, zwangsläufig nicht<br />

immer hier präsent sein können. Wir haben<br />

also zwei kurze Diensttage – Samstage – im<br />

Monat, wo wir versuchen, <strong>de</strong>n Dienst bis<br />

mittags entsprechend aufzuteilen, sodass<br />

für die Familie auch ein Restsamstag bleibt.<br />

Wir haben alle drei Monate einen Hauptdienst,<br />

wo wir von 8:00 bis 18:00 Uhr vor<br />

Ort sind. Zusätzlich haben wir dienstags von<br />

18:00 bis min<strong>de</strong>stens 21:00 Uhr Dienst. Wir<br />

haben irgendwann erkannt, dass viel Material<br />

zu pflegen und warten ist. Wir kommen<br />

mit <strong>de</strong>n Hauptdiensten nicht aus, weil dort<br />

die Ausbildung im Vor<strong>de</strong>rgrund steht. Je<strong>de</strong>r<br />

wird dazu angelernt, auch Dinge selbst in<br />

die Hand zu nehmen. Zu <strong>de</strong>n Einsatzbereitschaften:<br />

Es gibt natürlich Lagen, Stürme,<br />

die sich ankündigen und die recht gut abzuschätzen<br />

sind. Es gibt dann Anfragen von<br />

<strong>de</strong>r Kreisleitstelle, sodass manchmal schon<br />

Fachberater entsen<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r intern Einsatzbereitschaften<br />

hergestellt wer<strong>de</strong>n. Es gibt<br />

Kommunikationswege über SMS, sodass die<br />

Mannschaft vorab schon informiert wird.<br />

Das ist die Bereitschaftsstufe 1; Bereitschaftsstufe<br />

2 ist gegeben, wenn die Mannschaft<br />

in <strong>de</strong>r Unterkunft auf ihren Einsatz<br />

wartet ist. Ein Einsatz ist dann sehr wahrscheinlich.<br />

Eine Wochenendbereitschaft gibt<br />

es nicht. Mittels Funkalarmempfänger und<br />

SMS-Dienst sind wir 365 Tage einsatzbereit.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie schnell müssen Sie hier<br />

sein?<br />

Schmitt: So schnell es geht. Wir dürfen keine<br />

rote Ampel überfahren und müssen die<br />

Verkehrsordnung beachten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie können am Wochenen<strong>de</strong><br />

nicht z. B. nach Hamburg fahren?<br />

Schmitt: Doch. Ich kann auch in <strong>de</strong>n Urlaub<br />

fahren. Durch das SMS-System habe ich die<br />

Möglichkeit, ein Feedback zu geben. Ich<br />

kann auf <strong>de</strong>m Monitor das Feedback sofort<br />

auswerten und z. B. auch erkennen, wenn<br />

46 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Katastrophenhilfe<br />

Aufbau <strong>de</strong>s Powermoon<br />

nicht ausreichend Personal zusammen zu<br />

bekommen ist – aus welchen Grün<strong>de</strong>n auch<br />

immer. Dann rufe ich <strong>de</strong>n Geschäftsführer<br />

an. Dieser versucht, Ortsverbän<strong>de</strong> aus<br />

<strong>de</strong>m umliegen<strong>de</strong>n Bereich dazu zu holen,<br />

mit Personal und Material, um uns entsprechend<br />

zu unterstützen. Auch im Hinblick darauf,<br />

dass unsere Personal<strong>de</strong>cke aus <strong>de</strong>n bereits<br />

genannten Grün<strong>de</strong>n geschwun<strong>de</strong>n ist,<br />

wird es immer wahrscheinlicher, dass mehr<br />

und mehr zusammengearbeitet wird. Reicht<br />

das Personal dann auch nicht aus, kann die<br />

Geschäftsstelle auf Ressourcen vom Lan<strong>de</strong>sverband<br />

zurückzugreifen. Dann wird uns<br />

Mann und Material vom Land NRW zur Verfügung<br />

gestellt. Bei <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>rflut z. B. stand<br />

das Potenzial <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />

THW-seitig zur Verfügung.<br />

Dappers: Ich muss nicht darum bitten, ich<br />

for<strong>de</strong>re an. Deswegen haben wir einen Vorteil<br />

gegenüber an<strong>de</strong>ren Organisationen,<br />

weil wir bun<strong>de</strong>seinheitlich sind. Sie haben<br />

Deichübungen in Füssen, sind gleich <strong>de</strong>nen<br />

in Kiel. Deswegen kann ich Leute mit <strong>de</strong>m<br />

gleichen Ausbildungsstand und Möglichkeiten<br />

heranziehen.<br />

Schmitt: So wie wir auch hinzukommen<br />

und uns unterstellen wür<strong>de</strong>n, wenn man uns<br />

irgendwo anfor<strong>de</strong>rt.<br />

Fachgruppe Beleuchtung<br />

Die Fachgruppe Beleuchtung macht die<br />

Nacht zum Tag. Mit unterschiedlichen Beleuchtungsmitteln<br />

wer<strong>de</strong>n u. a. Einsatzstellen<br />

großflächig ausgeleuchtet. Der portable<br />

Leuchtballon Powermoon z. B. sorgt für ein<br />

blendfreies und schattenreduziertes Licht.<br />

Bestückt mit einer 1.000 Watt Metalldampflampe<br />

erreicht er einen Lichtstrom von ca.<br />

110.000 Lumen und beleuchtet somit eine<br />

Fläche von ca. 5.000 m².<br />

<strong>Homeland</strong>: Neben <strong>de</strong>m Powermoon besitzen<br />

Sie einen mit Helium gefüllten<br />

Leuchtballon. Was haben wir uns darunter<br />

vorzustellen?<br />

Dappers: Nein. Dieses Leuchtmittel gibt es<br />

nur vereinzelt beim THW. Aufgrund <strong>de</strong>r hohen<br />

Betriebskosten, kommt <strong>de</strong>r Ballon nicht<br />

täglich zum Einsatz. Der Ballon wird mit Helium<br />

gefüllt und an einem Seil 50 m in die<br />

Luft gelassen. Unten befin<strong>de</strong>n sich die Vorschaltgeräte,<br />

im Ballon die Leuchtmittel. Er<br />

leuchtet ein Fußballfeld aus. Der Durchmesser<br />

<strong>de</strong>s Ballons beträgt 5 m.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie schnell fin<strong>de</strong>n Sie Ersatz<br />

bei einem Ausfall <strong>de</strong>r Technik?<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 47


Katastrophenhilfe<br />

Dappers: Defekte Geräte während eines<br />

Einsatzes wer<strong>de</strong>n durch die Geschäftsstellen<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sverband ersetzt.<br />

Schubert: Von Vorteil ist, dass unsere eigenen<br />

Leute kleinere Reparaturen vor Ort<br />

durchführen können. Sie kommen aus <strong>de</strong>m<br />

Beruf, z. B. Kfz-Mechaniker, und bringen die<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Fertigkeiten mit.<br />

Schmitt: Wir können auch sehr gut improvisieren.<br />

Man kann zwar viel üben und Routine<br />

in gewisse Abläufe einbringen, aber<br />

je<strong>de</strong>r Einsatz ist an<strong>de</strong>rs. Die Bedingungen<br />

sind immer an<strong>de</strong>rs, was ich vorfin<strong>de</strong>, was<br />

ich brauche, vieles muss erstellt o<strong>de</strong>r mit<br />

Kreativität gelöst wer<strong>de</strong>n.<br />

Stefan Schraven<br />

„Ich bin Zugführer <strong>de</strong>s Technischen Zuges<br />

und hauptamtlich beim DRK tätig. Beim<br />

THW bin ich seit 22 Jahren. Ich war noch<br />

nicht im Auslandseinsatz, war aber bei vielen<br />

inländischen Einsätzen dabei. Als Peer<br />

(Person, die bei <strong>de</strong>r Stressverarbeitung von<br />

Einsatzkräften hilft) war ich auch schon im<br />

Einsatz. Geschult wor<strong>de</strong>n bin ich in Zusammenarbeit<br />

mit <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>sverband NRW in<br />

Wesel beim Einsatznachsorgeteam <strong>de</strong>s Kreises<br />

Wesel. Wir stehen im Falle <strong>de</strong>s Falles<br />

auch <strong>de</strong>m Einsatznachsorgeteam <strong>de</strong>s Kreises<br />

Wesel zur Verfügung.“<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo waren die Fachgruppen bereits<br />

im Einsatz?<br />

Dappers: Unsere Helfer waren in Frankreich,<br />

USA, Rumänien, Russland, Somalia,<br />

Ruanda, Polen, Bosnien-Herzegowina.<br />

<strong>Homeland</strong>: Welcher Einsatz hat Sie am<br />

meisten geprägt?<br />

Schmitt: Anfang <strong>de</strong>r 1980er Jahre war ich<br />

in Rumänien und habe in einem Kin<strong>de</strong>rheim<br />

bei Elektro- und Sanitärinstallationen helfen<br />

dürfen. Das war in einer alten Villa, die<br />

zu Ceaușescus Zeiten noch genutzt wor<strong>de</strong>n<br />

war. Kollegen aus Mülheim waren schon vor<br />

uns mehrmals vor Ort und haben Brunnen<br />

gebohrt und Filteranlagen eingebaut. Die<br />

Kin<strong>de</strong>rsterblichkeitsrate sank somit bis gegen<br />

Null. Bis dato war es üblich, dass min<strong>de</strong>stens<br />

alle zwei Monate ein Kind starb. Im<br />

Kin<strong>de</strong>rheim gab es Beleuchtung und fließend<br />

warmes Wasser. Es war <strong>de</strong>r hellste<br />

Ort weit und breit. Wenn dort die Sonne unterging,<br />

war es stockduster. Das kann man<br />

sich hier nicht vorstellen. Industriewaschmaschinen<br />

wur<strong>de</strong>n dort aufgebaut, wir haben<br />

einen alten Schuppen mit einem Sanitärbereich<br />

ausgestattet, einen Boiler zum<br />

Waschen installiert und ein Bügelzimmer<br />

eingerichtet. Ich habe die Menschen dort<br />

und ihre Mentalität kennengelernt. Die Zeit<br />

dort hat mich geprägt. Wie<strong>de</strong>r zuhause angekommen,<br />

habe ich diejenigen ausgelacht,<br />

die mir sagten, sie hätten ein Problem. Die<br />

Menschen vor Ort in Rumänien hatten ein<br />

Problem, nicht wir in <strong>de</strong>r normalen Zivilisation.<br />

Aus dieser normalen Zivilisation heraus<br />

zu kommen und dorthin zu gehen, diese<br />

Armut zu sehen, dieses Unbeholfene und<br />

diese Mentalität, das war erschreckend. Die<br />

haben eine ganz an<strong>de</strong>re Einstellung als wir;<br />

ist dort etwas kaputt, dann ist es eben kaputt.<br />

Das interessiert nieman<strong>de</strong>n. Und so ist<br />

es mit vielen an<strong>de</strong>ren Dingen auch. Das hat<br />

verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Charakter gehabt. Das, was<br />

für uns selbstverständlich ist, wie z. B. warmes<br />

Wasser, war dort Luxus.<br />

<strong>Homeland</strong>: Der Bun<strong>de</strong>sverteidigungsminister<br />

hat kurz nach Bekanntgabe <strong>de</strong>r neuen<br />

Struktur gesagt „Die Bun<strong>de</strong>swehr muss weniger<br />

THW-Aufgaben in Zukunft wahrnehmen“.<br />

Wie sehen Sie das?<br />

Dappers: Die Bun<strong>de</strong>swehr und das THW haben<br />

jeweils ihren zugewiesenen Aufgabenbereich<br />

zu erfüllen. Diese Aufgaben wer<strong>de</strong>n<br />

von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung festgelegt, sodass<br />

an gewissen Punkten eine Zusammenarbeit<br />

stattfin<strong>de</strong>n kann, aber die speziellen Aufgaben<br />

<strong>de</strong>s einen nicht von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren erfolgreich<br />

umgesetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wir bedanken uns für diesen<br />

ereignisreichen Tag.<br />

48 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Bevölkerungsschutz<br />

Ausbildung mit<br />

virtueller Realität?<br />

Die Technik macht’s<br />

Dr. Uwe Katzky<br />

Managing Director<br />

szenaris GmbH<br />

Was vor Jahren noch un<strong>de</strong>nkbar war,<br />

ist mit <strong>de</strong>r heutigen Technik zwar kein<br />

Kin<strong>de</strong>rspiel, eröffnet aber neue Möglichkeiten<br />

in <strong>de</strong>r Ausbildung – für fast<br />

je<strong>de</strong>n. Das Training am „leben<strong>de</strong>n“ Objekt<br />

birgt viele Gefahren. So ist das<br />

Üben an ferngesteuerten Fahrzeugen<br />

zu Land, im Wasser o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Luft<br />

zeitaufwändig und schont das Material<br />

kaum. Fehler wer<strong>de</strong>n selten verziehen,<br />

ganz zu schweigen von <strong>de</strong>n Kosten, die<br />

diese nach sich ziehen. Mit <strong>de</strong>r heutigen<br />

PC-Technik können Fahrzeuge in<br />

virtueller Realität simuliert wer<strong>de</strong>n –<br />

ganz ohne Gefahren für Mensch und<br />

Material – sowie höchsteffizient.<br />

Der Bremer Softwarespezialist szenaris<br />

GmbH hat in <strong>de</strong>r Vergangenheit schon oft<br />

bewiesen, dass Ausbildungssysteme auf Basis<br />

von virtueller Realität (VR) ganz neue<br />

Möglichkeiten eröffnen. So entwickelte die<br />

Firma für eine Vielzahl von Kun<strong>de</strong>n Ausbildungssysteme<br />

für ferngesteuerte Tauchroboter<br />

(so genannte Unmanned Un<strong>de</strong>rwater<br />

Vehicles, UUV) und Landfahrzeuge<br />

(Unmanned Land Vehicles, ULV) bis hin<br />

zu kompletten Teamtrainings in virtueller<br />

Realität.<br />

Die Vorteile virtueller Realität liegen auf<br />

<strong>de</strong>r Hand:<br />

--Fehler dürfen gemacht wer<strong>de</strong>n, sie lassen<br />

sich verlustlos korrigieren.<br />

--Für die Grundausbildung sind keine „echten“<br />

Fahrzeuge mehr notwendig.<br />

--Die Ausfallrate <strong>de</strong>r Originalfahrzeuge ist<br />

auf <strong>de</strong>n „echten“ Einsatz beschränkt.<br />

Anhand von zwei Beispielen lassen sich diese<br />

Vorteile gut nachvollziehen.<br />

Das erste Beispiel ist<br />

eine Entwicklung für Bediener<br />

eines ferngesteuerten<br />

Tauchroboters.<br />

Spezialisierte Einsatzkräfte<br />

nutzen Tauchroboter<br />

für die Erkundung<br />

und Fernhantierung unter<br />

Wasser. Diese Tauchroboter<br />

sind über eine<br />

Versorgungsleitung mit<br />

<strong>de</strong>m Bediengerät auf <strong>de</strong>m<br />

Mutterschiff verbun<strong>de</strong>n.<br />

Für das Bedienpersonal<br />

entwickelte szenaris<br />

VR-Simulation Tauchroboter:<br />

Übungsszenario<br />

„Grotte“ (oben Sonarbild,<br />

unten Kamerasicht)<br />

--Das Training ist für Mensch und Material<br />

gefahr- und risikolos.<br />

--Umgebungsparameter wie z. B. Wetter<br />

und Sichtverhältnisse lassen sich unabhängig<br />

von <strong>de</strong>n realistischen Verhältnissen<br />

beeinflussen.<br />

--Der Trainer kann das zu bewältigen<strong>de</strong><br />

Szenario vorab konfigurieren – ganz<br />

individuell und mit unterschiedlichen<br />

Schwierigkeitsgra<strong>de</strong>n.<br />

--Die Ausbildungssysteme können nahezu<br />

beliebig um Objekte, Terrains, Fahrzeuge,<br />

weitere Szenarien, Arbeitsplätze usw. ergänzt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

--Simulation bietet einen i<strong>de</strong>alen Übergang<br />

zur Realität (ersetzt sie aber nicht).<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 49


Bevölkerungsschutz<br />

Sonarfunktionen über die Bedienelemente<br />

<strong>de</strong>s Joysticks und die Tastatur. Der Tauchroboter<br />

muss nun auf knapp 200 m zum<br />

Schiffswrack gesteuert wer<strong>de</strong>n. Dann können<br />

die Bediener das Wrack erkun<strong>de</strong>n, eine<br />

Transportkiste mit Hilfe <strong>de</strong>s Greifarms bergen<br />

und an die Wasseroberfläche bringen.<br />

In einem zweiten Szenario besteht die<br />

Aufgabe darin, ein Flugzeugwrack zu suchen<br />

und die so genannte „Black Box“ zu<br />

bergen. Das Wrack ist auseinan<strong>de</strong>rgebrochen,<br />

auf <strong>de</strong>n Sitzen sind teilweise Leichen<br />

zu sehen. In <strong>de</strong>r Enge <strong>de</strong>s Flugzeugwracks<br />

muss <strong>de</strong>r Bediener kühlen Kopf bewahren,<br />

um mit <strong>de</strong>m Tauchroboter nicht zwischen<br />

<strong>de</strong>n Sitzen hängen zu bleiben. Über das<br />

„Control Center“ wer<strong>de</strong>n die Übungen konfiguriert.<br />

Die einzustellen<strong>de</strong>n Parameter<br />

sind beispielweise:<br />

VR-Simulation „Ferngesteuerte<br />

Roboterfahrzeuge“<br />

mit <strong>de</strong>n Fahrzeugen<br />

PackBot EOD,<br />

tEODor und telemax<br />

eine Virtual Reality-Simulation. Nach<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Tauchroboter vom Mutterschiff abgesetzt<br />

wur<strong>de</strong>, beginnt <strong>de</strong>r virtuelle Tauchgang<br />

am Bedienstand <strong>de</strong>s Tauchroboters.<br />

Anstatt <strong>de</strong>r Original-Bedienelemente nutzt<br />

die Simulation zwei Standard-Flachbildschirme<br />

und zwei Joysticks, einen für die<br />

Fahrzeugsteuerung und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren für<br />

die Greifarmsteuerung. Die Bildschirme<br />

stehen für die Kamerasicht und die Darstellung<br />

<strong>de</strong>s Sonarbil<strong>de</strong>s zur Verfügung.<br />

Der Vorteil: Ohne spezielle Hardware kann<br />

das Training sehr realistisch durchgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n. Nutzer steuern alle Fahrzeug- und<br />

--Auswahl <strong>de</strong>s Szenarios: Schiffswrack,<br />

Flugzeugwrack, Pipeline und Grotte<br />

--Sicht unter Wasser<br />

--Strömung<br />

--Art <strong>de</strong>s Greifarms<br />

--Sonar installiert / nicht installiert<br />

--Auftreten<strong>de</strong> Fehlfunktionen<br />

Highlight <strong>de</strong>s Programms sind die hochwertige<br />

Visualisierung, das realistische<br />

physikalische Verhalten <strong>de</strong>s Tauchroboters<br />

inkl. Greiffunktion sowie die Sonardarstellung<br />

mit farblich dargestellten Tiefeninformationen.<br />

Die Simulationsplattform erlaubt<br />

Aufgebaute Trainingsstation<br />

„Ferngesteuerte<br />

Roboterfahrzeuge“<br />

50 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Bevölkerungsschutz<br />

die Integration weiterer Szenarien, zusätzlicher<br />

Tauchroboter sowie <strong>de</strong>n Anschluss<br />

von originalen Bediengeräten. Das skalierbare<br />

System ist zu<strong>de</strong>m auf nahezu beliebig<br />

viele Bedienerarbeitsplätze erweiterbar.<br />

Das zweite Beispiel stammt aus einer<br />

Branche, die extrem gefährlich ist: <strong>de</strong>m<br />

Kampfmittelräumdienst! Die Risiken und<br />

Gefahren, <strong>de</strong>nen das Personal dieser Branche<br />

ausgesetzt ist, liegen auf <strong>de</strong>r Hand.<br />

Bomben, Unkonventionelle Spreng- und<br />

Brandvorrichtungen (USBV, Englisch: Improvised<br />

Explosive Devices, IED) und viele<br />

an<strong>de</strong>re Kampfmittel wer<strong>de</strong>n auch in<br />

Deutschland immer wie<strong>de</strong>r gefun<strong>de</strong>n. Daher<br />

nutzen Kampfmittelräumdienste als<br />

Hilfsmittel ferngesteuerte Roboter (so genannte<br />

Manipulatoren), mit <strong>de</strong>nen man sich<br />

einer Gefahrenquelle aus für <strong>de</strong>n Menschen<br />

sicherer Entfernung nähern kann.<br />

Die Fahrzeuge verfügen über Kameras,<br />

Arm mit Greifer und vielen weiteren Zubehörteilen.<br />

Sie zu steuern ist daher insbeson<strong>de</strong>re<br />

dann nicht trivial, wenn sie z. B. in<br />

einem Gebäu<strong>de</strong> und damit nicht mehr sichtbar<br />

sind. Denn in diesen Situationen können<br />

die Fahrzeuge nur über die Bil<strong>de</strong>r gesteuert<br />

wer<strong>de</strong>n, die die angebauten Kameras<br />

übertragen. Voraussetzung für <strong>de</strong>n sicheren<br />

Umgang mit <strong>de</strong>n Fahrzeugen ist <strong>de</strong>shalb<br />

eine längere Ausbildung. In <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

wur<strong>de</strong>n die Fahrzeuge, gera<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>r Ausbildung, oft beschädigt und fielen<br />

damit für <strong>de</strong>n Einsatz aus. Abhilfe konnte<br />

daher ein von szenaris entwickeltes Ausbildungssystem<br />

schaffen, das die virtuellen<br />

Roboter mit <strong>de</strong>n Originalbediengeräten in<br />

virtuellen, vom Ausbil<strong>de</strong>r konfigurierbaren<br />

Szenarien steuern lässt.<br />

Es bleibt zu erwähnen, dass Simulationen<br />

bei all diesen Vorteilen auch Nachteile<br />

haben:<br />

--Eine Simulation ersetzt niemals vollständig<br />

die Realität. Die Endausbildung muss<br />

am realen Gerät erfolgen.<br />

--Der Immersionsgrad (bezeichnet <strong>de</strong>n Grad<br />

<strong>de</strong>s subjektiv wahrgenommenen „Eintauchens“<br />

in die virtuelle Welt) kann <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alfall<br />

nicht erreichen. Dieser wäre dann<br />

erreicht, wenn die virtuelle Welt nicht<br />

mehr von <strong>de</strong>r echten zu unterschei<strong>de</strong>n ist.<br />

--In <strong>de</strong>r Regel entspricht die Haptik nicht<br />

<strong>de</strong>r Realität; d. h., dass die Reaktionen <strong>de</strong>r<br />

Umwelt auf die menschlichen Sinne nicht<br />

im Maßstab 1:1 wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>n<br />

können. Die Ausnahme stellt das oben beschriebene<br />

Ausbildungssystem für Manipulatorfahrzeuge<br />

dar, <strong>de</strong>nn hier wer<strong>de</strong>n<br />

die Originalbediengeräte genutzt und die<br />

Bewegungen <strong>de</strong>s Fahrzeugs sind auch in<br />

<strong>de</strong>r Realität nicht spürbar.<br />

--Umweltbedingungen können nicht an die<br />

Realität heranreichen, sie allenfalls bis zu<br />

einem gewissen Grad nachahmen.<br />

Aus Sicht von szenaris wiegen die Vorteile<br />

<strong>de</strong>r virtuellen Realität <strong>de</strong>ren Nachteile<br />

<strong>de</strong>utlich auf. Diese technische Entwicklung<br />

ermöglicht vielmehr noch stärker individuell<br />

konfigurierte und auf <strong>de</strong>n persönlichen<br />

Lernstand <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>r ausgerichtete<br />

Trainingsumgebungen. Zeitgleich wer<strong>de</strong>n<br />

die Originalgeräte geschont und erhalten<br />

eine längere Lebensdauer.<br />

Dr. Uwe Katzky<br />

Jahrgang 1962, geboren in Bonn, wohnhaft in Wilhelmshaven,<br />

1981 Eintritt in die Bun<strong>de</strong>swehr als Offizieranwärter <strong>de</strong>r Fernmel<strong>de</strong>truppe<br />

(Heer). 1982 bis 1986 Studium <strong>de</strong>r Elektrotechnik<br />

an <strong>de</strong>r UniBw München. 1987 TSK-Wechsel zur Marine.<br />

1993 aus <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr ausgeschie<strong>de</strong>n als Dezernatsleiter<br />

<strong>de</strong>r Programmiererausbildung für die Marine (KdoMFüSys) im<br />

Dienstgrad Kapitänleutnant. Von 1993 bis 2005 in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Verwendungen (Projektleiter, Gruppenleiter, Abteilungsleiter)<br />

für Trainings- und Simulationsanwendungen bei Sema<br />

Group GmbH, später THALES Deutschland. 2006 Wechsel zur<br />

Ray Sono AG als Account Manager. 2009 Gründung <strong>de</strong>r szenaris<br />

GmbH und Übernahme <strong>de</strong>s Geschäftsbereichs „Training &<br />

Simulation“ <strong>de</strong>r Ray Sono AG als geschäftsführen<strong>de</strong>r Gesellschafter.<br />

2004 Promotion zum Dr. phil., Fachrichtung Psychologie. 2007 Beor<strong>de</strong>rung als Reservist<br />

zum Kreisverbindungskommando Wilhelmshaven (Katastrophenschutz); seit 2011<br />

Leiter <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos; <strong>de</strong>rzeitiger Dienstgrad: Fregattenkapitän d. R.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 51


Tarifpolitik<br />

Jetzt jagen noch mehr<br />

<strong>de</strong>n einen Hasen<br />

Den Finger in die Wun<strong>de</strong> gelegt: Wo sind die<br />

eigentlichen Schmerzpunkte?<br />

„Der Markt ist relativ stagnierend“, so<br />

Buhl, Län<strong>de</strong>rpräsi<strong>de</strong>nt und Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Geschäftsführung von Securitas<br />

Deutschland, im Interview mit Dr. Nadine<br />

Seumenicht und Michael Zacher<br />

von <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong>. „Die dicken<br />

Jahre im Sicherheitsgewerbe sind vorbei.<br />

Allerdings gibt uns die bereits im<br />

Jahre 2011 angesprungene Konjunktur<br />

Anlass zu Optimismus. Bis in das Jahr<br />

2010 hatten wir relativ gleichbleiben<strong>de</strong><br />

Beschäftigungszahlen. Von 2002 bis<br />

2010 erzielten wir ca. 4 bis 5 Mrd. Euro<br />

Gesamtumsatz in unserer Branche. Was<br />

aber die Marktsituation überaus kompliziert<br />

macht, ist die Tatsache, dass in<br />

<strong>de</strong>mselben Zeitraum die Anzahl <strong>de</strong>r Unternehmen,<br />

die sich in dieser Branche<br />

am Markt beteiligen, um 1.000 gestiegen<br />

ist“, so Buhl.<br />

Dennoch setzen die führen<strong>de</strong>n Sicherheitsunternehmen<br />

in Deutschland<br />

ihren Wachstumskurs konsequent fort.<br />

Gemäß <strong>de</strong>r Lünendonk-Marktsegmentstudie<br />

<strong>2012</strong> führt Securitas mit einem<br />

Umsatz von 600 Millionen Euro <strong>de</strong>utlich<br />

die Branche an. „Der Min<strong>de</strong>stlohn hat<br />

<strong>de</strong>r Branche gut getan“, so Jörg Hossenfel<strong>de</strong>r,<br />

Geschäftsführen<strong>de</strong>r Gesellschafter<br />

<strong>de</strong>r Lünendonk GmbH.<br />

„1.000 Unternehmen mehr jagen nun<br />

<strong>de</strong>nselben Hasen“<br />

Buhl: „In unserem Verband BDSW – Bun<strong>de</strong>sverband<br />

<strong>de</strong>r Sicherheitswirtschaft – sind<br />

831 von nahezu 4.000 Unternehmen organisiert.<br />

Diese 831 Unternehmen <strong>de</strong>cken aber<br />

rund zwei Drittel <strong>de</strong>s gesamten Umsatzpotenzials<br />

ab. Die vielen kleinen bereiten uns<br />

durchaus Kopfzerbrechen, wenn nicht sogar<br />

Kopfschmerzen. Diese führen uns zu <strong>de</strong>n im<br />

Verband aufgeworfenen Fragen „Wer sollte<br />

zukünftig in Deutschland ein Sicherheitsgewerbe<br />

betreiben? Wie sind die Zugangsbedingungen<br />

zum Gewerbe?“ Und das ist das<br />

Problem: Es ist relativ einfach, ein Sicherheitsunternehmen<br />

in Deutschland zu grün<strong>de</strong>n<br />

– im Gegensatz zu vielen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn,<br />

wo klar <strong>de</strong>finiert ist, wer das darf. Der<br />

<strong>de</strong>utsche Sicherheitsdienstleistungskuchen<br />

setzt sich wie folgt zusammen: Etwa 60 Prozent<br />

in Deutschland gehören zum klassischen<br />

Objektschutz. Vier Prozent entfallen<br />

auf <strong>de</strong>n Bereich Sicherheitsposten, vier Prozent<br />

auf <strong>de</strong>n Bereich militärischer Liegenschaften,<br />

zehn Prozent beschäftigen sich<br />

mit Flughäfen, fünf Prozent sind im Bereich<br />

<strong>de</strong>r Notrufzentralen tätig, fünf Prozent entfallen<br />

auf mobile Dienstleistungen, im Geldund<br />

Wertbereich sind es zehn Prozent.“<br />

<strong>Homeland</strong>: Wer stellt die strengsten Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an diese Branche? In vielen Län<strong>de</strong>rn<br />

ist es Praxis, über ein Lizenzverfahren<br />

Berechtigungen zu vergeben.<br />

Buhl: Sie müssen ihre Ausbildung nachweisen,<br />

welchen Standard sie wählen, wie sie<br />

das Unternehmen betreiben wollen. So gibt<br />

52 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Tarifpolitik<br />

es im europäischen Vergleich kein Land wie<br />

Deutschland, das ein solches Unternehmen<br />

über die Gewerbeordnung in die Zuständigkeit<br />

<strong>de</strong>s Wirtschaftsministeriums begibt.<br />

In allen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn sind sie entwe<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Justiz- o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Innenministerium<br />

zugeordnet.<br />

Stolperschnüre liegen im Weg – Wir<br />

wollen nicht je<strong>de</strong>n!<br />

<strong>Homeland</strong>: Die Frage stellt sich, wer ist<br />

zuständig?<br />

Buhl: Darauf gibt es keine ein<strong>de</strong>utige Antwort.<br />

Inhaltlich sind wir sehr nah am Innenministerium,<br />

<strong>de</strong>mentsprechend nahe an <strong>de</strong>r<br />

Polizei. Betreut wer<strong>de</strong>n wir aber vom Wirtschaftsministerium.<br />

Das führt zu Interessenkonflikten.<br />

Die Wirtschaftsseite möchte naturgemäß<br />

so viel Arbeitnehmer wie möglich<br />

in Beschäftigung bringen, aber wir dürfen<br />

und wollen nicht je<strong>de</strong>n nehmen. Das ist ein<br />

Spagat.<br />

<strong>Homeland</strong>: Unter welchen Problemen lei<strong>de</strong>t<br />

Ihre Branche?<br />

Buhl: Der so bezeichnete Spezialist für Sicherheitsdienstleistungen<br />

ist schwierig zu<br />

hinterfragen. Fast immer ist es so, dass <strong>de</strong>r<br />

Kun<strong>de</strong> im Vorfeld <strong>de</strong>r Ausschreibung bereits<br />

sein individuelles Sicherheitskonzept<br />

erstellt hat. Die Sicherheitsunternehmen<br />

wer<strong>de</strong>n im Nachgang über die Ausschreibung<br />

aufgefor<strong>de</strong>rt, bestimmte Stun<strong>de</strong>nkontingente<br />

unterschiedlicher Qualifikationen<br />

zu liefern. Der Kun<strong>de</strong> fragt an: „Ich habe<br />

eine Position im Werkschutz 24/7 im Jahr<br />

durchgängig zu besetzen. Was kostet das<br />

bei Ihnen?“ Die Unternehmen kalkulieren<br />

z. B. Folgen<strong>de</strong>s: Ergebnis ca. 735 Stun<strong>de</strong>n<br />

pro Monat. Und diese 735 Stun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

mit einem Preis pro Stun<strong>de</strong> versehen. Der<br />

Preis pro Stun<strong>de</strong> rekrutiert sich aus <strong>de</strong>m<br />

Gehalt <strong>de</strong>s Mitarbeiters, das sich aus <strong>de</strong>m<br />

jeweils gelten<strong>de</strong>n Tarifvertrag ergibt, zusätzlich<br />

Steuern und Abgaben einschließlich<br />

<strong>de</strong>r Arbeitgeberanteile. In Deutschland<br />

gelten 80 verschie<strong>de</strong>ne Tarifverträge, die<br />

unterschiedliche Regulierungen beinhalten.<br />

In diesem Tarifvertragsdschungel kann<br />

man sich wun<strong>de</strong>rbar verlaufen o<strong>de</strong>r aber<br />

auch verstecken. In gewisser Weise ist das<br />

in <strong>de</strong>r Vergangenheit auch gewollt gewesen,<br />

weil er eine Plattform auch für Missbrauch<br />

bietet. Es basiert <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> nach alles auf<br />

<strong>de</strong>m Faktor Lohn/Stun<strong>de</strong>. Und wenn ich da<br />

nur ein, zwei, fünf o<strong>de</strong>r zehn Cent an<strong>de</strong>rs<br />

„verbaue“, dann ist es im Zuge <strong>de</strong>r Kalkulationskette<br />

ein Unterschied von zehn Prozent.<br />

Bei uns waren das zum Teil 30 bis 40<br />

Prozent Preisunterschied für die gleiche<br />

Dienstleistung. Die Ironie liegt im Detail: Einige<br />

kalkulieren sauber nach Lohn, weil sie<br />

einen Betriebsrat haben und sich zu<strong>de</strong>m an<br />

die Tarifbindung halten. Die Folge: Sie sind<br />

dann um 20 bis 25 Prozent teurer.<br />

<strong>Homeland</strong>: Und wer sind dann die „Guten“,<br />

Herr Buhl?<br />

Buhl: In <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Kun<strong>de</strong>n sind die<br />

Unternehmen, die „sauber“ kalkulieren, sozusagen<br />

die „Gauner“ und die an<strong>de</strong>ren sind<br />

fälschlicherweise die „Guten“. Eine verkehrte<br />

Welt. Also kann es für ein Unternehmen<br />

wie Securitas nur darum gehen, alles dafür<br />

zu tun, diese falsche Wahrnehmung <strong>de</strong>s<br />

Marktes zu beseitigen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Herr Buhl, Sie sind <strong>de</strong>r Deutschlandchef<br />

im internationalen Securitas-Verbund.<br />

Was sagen <strong>de</strong>nn Ihre Kollegen aus<br />

<strong>de</strong>m Ausland dazu?<br />

Buhl: So problematisch wie bei uns in<br />

Deutschland ist das nirgendwo. Solch einen<br />

Tarifdschungel gibt es nur bei uns. Im<br />

Ausland sind die Tarifstrukturen viel klarer<br />

gefasst. Unternehmen an<strong>de</strong>rer Län<strong>de</strong>r hatten<br />

vor uns <strong>de</strong>n Min<strong>de</strong>stlohn und haben auf<br />

diesen Min<strong>de</strong>stlohn eine saubere Kalkulation<br />

abgegeben. Meine Kollegen im Ausland<br />

fragen mich, wieso wir als ein so großes und<br />

wirtschaftlich potentes Land so wenig erfolgreich<br />

auf diesem Gebiet sind. Im Sinne:<br />

„Warum seid ihr nicht noch besser?“ Aber<br />

wie soll das gehen? Niemand kann <strong>de</strong>n niedrigsten<br />

Preis anbieten und <strong>de</strong>n höchsten<br />

Lohn zahlen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie begegnen Sie dieser<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung?<br />

Buhl: Für uns bestand die Aufgabe darin,<br />

Überlegungen anzustellen, wie wir <strong>de</strong>n<br />

Markt umkrempeln, damit wir unsere Unternehmensziele<br />

durchsetzen können. Da gibt<br />

es nun das spezielle Thema schlechthin: <strong>de</strong>n<br />

Min<strong>de</strong>stlohn. Der Min<strong>de</strong>stlohn ist nicht nur<br />

ein Erfor<strong>de</strong>rnis, weil wir die europäischen<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 53


Tarifpolitik<br />

Grenzen neu <strong>de</strong>finiert haben und sich Möglichkeiten,<br />

mit ausländischen Arbeitern zu<br />

agieren, ergeben haben. Zu<strong>de</strong>m wird die<br />

Gesamtthematik auch noch von einer wirtschaftlichen<br />

Gesamtentwicklung begleitet.<br />

In <strong>de</strong>r IT-Krise 2002, als die Startups zerbrachen,<br />

<strong>de</strong>r Arbeitsmarkt kippte und die<br />

Arbeitslosenzahlen auf über vier Millionen<br />

anstiegen, waren Mitarbeiter bereit, sich<br />

auch einem Lohngefüge auf niedrigerem Niveau<br />

anzupassen, von <strong>de</strong>m bekannt ist, dass<br />

das nicht tarifkonform ist. Die Bereitschaft<br />

ist größer als in Zeiten, in <strong>de</strong>nen man <strong>de</strong>m<br />

Druck entweichen kann, in<strong>de</strong>m man sich Arbeitsstellen<br />

mit einem besseren Gehaltsgefüge<br />

sucht. Jetzt sind wir in einer ganz an<strong>de</strong>ren<br />

Situation, aber zum damaligen Zeitpunkt<br />

hatten wir a) ein lausiges Tarifgefüge und b)<br />

einen Überhang am Arbeitsmarkt und damit<br />

mehr Manipulationsmöglichkeiten. Das<br />

sind dann Unternehmen mit geringer Sozialkompetenz,<br />

fehlen<strong>de</strong>n kaufmännischen<br />

Kenntnissen, aber vor allem mit krimineller<br />

Energie. Der Min<strong>de</strong>stlohn wur<strong>de</strong> in einer<br />

ersten Stufe zum 1. Juli 2011 <strong>de</strong>utschlandweit<br />

für das Sicherheitsgewerbe eingeführt.<br />

In einem zweiten Schritt wur<strong>de</strong> zum 1. März<br />

<strong>2012</strong> die unterste Lohnstufe auf 7,00 Euro<br />

festgeschrieben. Die dritte Stufe mit <strong>de</strong>r Erhöhung<br />

auf 7,50 Euro als unterster Lohnstufe<br />

für <strong>de</strong>n Sicherheitsmarkt wird zum 1. Januar<br />

2013 eingeführt.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das hieße, dass von <strong>de</strong>n „Plus<br />

1.000“, die gera<strong>de</strong> versuchen, sich am<br />

Markt zu etablieren, wahrscheinlich Dreiviertel<br />

wie<strong>de</strong>r wegbrechen?<br />

Buhl: Das weiß ich nicht. Es ist natürlich<br />

so, dass auch alle an<strong>de</strong>ren mit unserer Aktion<br />

mitschwimmen wollen o<strong>de</strong>r müssen.<br />

Wenn diese das alleine hätten machen müssen,<br />

wäre das für sie nicht praktikabel gewesen.<br />

Für die war <strong>de</strong>r erste Schritt <strong>de</strong>r<br />

schwierigste.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie lange hat dieser Prozess<br />

gebraucht?<br />

Buhl: Ganze fünf Jahre. Der erste Aufschlag<br />

ging daneben, weil wir <strong>de</strong>n falschen Partner<br />

an <strong>de</strong>r Seite hatten. Wir hatten Verträge<br />

mit ver.di, wir hatten aber auch Verträge<br />

mit <strong>de</strong>r GÖD – Gewerkschaft Öffentlicher<br />

Dienst und Dienstleistungen. ver.di wollte<br />

von Beginn an 7,50 Euro, wir hatten aber<br />

nur 4,35 Euro in Thüringen. Jetzt erklären<br />

Sie das mal einem Kun<strong>de</strong>n. Unsere Antwort<br />

war klar und <strong>de</strong>utlich: Wir können das nicht!<br />

Wir haben ver.di gesagt, sie haben übertriebene<br />

For<strong>de</strong>rungen. Es musste ein Erkenntnisprozess<br />

einsetzen. Der Erkenntnisprozess<br />

hat auf bei<strong>de</strong>n Seiten stattgefun<strong>de</strong>n.<br />

Wir haben dann einen neuen Sozialpartner<br />

gesucht, das war die GÖD. Die GÖD hat gesagt,<br />

O. K., wir machen einen an<strong>de</strong>ren Tarifvertrag<br />

mit euch und bauen das in Stufen<br />

bis 2013 auf. Dann war auch soweit alles<br />

verhan<strong>de</strong>lt und abgeschlossen. Ein Problem<br />

ist eben, dass man dann, wenn man einen<br />

solchen Tarifvertrag einbringen will, diesen<br />

in eine Tarifkommission geben muss, die angesie<strong>de</strong>lt<br />

ist beim Ministerium für Arbeit<br />

und Soziales und besetzt ist mit Vertretern<br />

<strong>de</strong>r BDA und mit Vertretern von ver.di. Also<br />

sitzt ver.di praktisch wie<strong>de</strong>r mit am Tisch.<br />

ver.di hat uns klar signalisiert, wir könnten<br />

hinlegen, was wir wollen, von ihrer Seite<br />

wer<strong>de</strong>n sie niemals einen solchen Vertrag<br />

zur Allgemeinverbindlichkeit führen. Und<br />

das ist genau so passiert. Das Problem war<br />

nur, zwischenzeitlich hatte dann auch noch<br />

die Bun<strong>de</strong>sregierung gewechselt. Wir sind<br />

je<strong>de</strong>nfalls mit Pauken und Trompeten gegen<br />

die Wand gefahren und mussten lernen,<br />

dass wir mit dieser Gewerkschaft – wir können<br />

noch so tolle Tarifverträge aushan<strong>de</strong>ln –<br />

nicht unser Ziel erreichen. Unser Ziel heißt<br />

Öffnung <strong>de</strong>s europäischen Arbeitsmarktes.<br />

Wenn wir uns schützen wollen, müssen wir<br />

die Kröte schlucken, d. h. wir brauchen einen<br />

an<strong>de</strong>ren Sozialpartner. Wir haben uns<br />

mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Sozialpartnern zusammengesetzt<br />

und einen Tarifvertrag entwickelt,<br />

<strong>de</strong>r ähnlich war wie <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r GÖD, insbeson<strong>de</strong>re<br />

das Stufenprinzip war i<strong>de</strong>ntisch.<br />

Nur, es gab ein an<strong>de</strong>res Problem, <strong>de</strong>nn die<br />

FDP war wie<strong>de</strong>r mit an <strong>de</strong>r Regierung und<br />

sagte, es gäbe keine Min<strong>de</strong>stlöhne. Jetzt<br />

hat etwas eingesetzt, das hat das Gewerbe<br />

zusammengebracht und uns geholfen, weil<br />

wir uns auf breiter Front über alle Kanäle in<br />

die politischen Strukturen eingebracht und<br />

darauf aufmerksam gemacht haben, warum<br />

wir einen Min<strong>de</strong>stlohn brauchen. Und<br />

das ist uns gelungen, Gott sei Dank! Gegen<br />

<strong>de</strong>n Wind <strong>de</strong>r Liberalen! Und hat dazu geführt,<br />

dass es tatsächlich ein Um<strong>de</strong>nken gegeben<br />

hat. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tages haben wir<br />

unseren Tarifvertrag bekommen. Ein langes<br />

Proze<strong>de</strong>re, das wirklich Kraft und Mühe gekostet<br />

hat und einen Lernprozess für bei<strong>de</strong><br />

54 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Tarifpolitik<br />

Seiten be<strong>de</strong>utete. Schließlich sind wir alle<br />

froh, dass es uns gelungen ist, diesen Einstieg<br />

zu schaffen. Auch die größten Kritiker<br />

im BDSW haben das verstan<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie ging es weiter?<br />

Buhl: Es wird <strong>de</strong>utlich, dass dieser Weg<br />

schwieriger wer<strong>de</strong>n wird. Wir haben uns<br />

sehr zeitig, vor allem aus <strong>de</strong>r Not heraus,<br />

sortiert. Ich war zum Akquisitionszeitpunkt<br />

damit belastet, dass wir in <strong>de</strong>r Securitas-<br />

Gruppe plötzlich 30 Notrufzentralen hatten.<br />

Je<strong>de</strong> GmbH, die wir gekauft hatten, besaß<br />

ihre eigene Notrufzentrale – also gab es sozusagen<br />

32 „Irrenhäuser“. Eine Notrufzentrale<br />

zu führen, be<strong>de</strong>utet, ein Irrenhaus zu<br />

führen: Schlüssel, Kun<strong>de</strong>nanrufe, Fahrzeuge<br />

koordinieren, Alarme verfolgen etc. Aber<br />

am meisten wur<strong>de</strong> dort Lärm „produziert“.<br />

Das gehörte mit zum Programm. Zusammen<br />

mit Reinhard W. Ottens fuhr ich nach<br />

Schwe<strong>de</strong>n, um mir anzuschauen, wie die<br />

Schwe<strong>de</strong>n ihr Geschäft betreiben.<br />

<strong>Homeland</strong>: Zur Geschichte von Securitas:<br />

Kommt die ursprüngliche I<strong>de</strong>e aus Schwe<strong>de</strong>n<br />

o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n USA?<br />

Buhl: Aus Schwe<strong>de</strong>n. Ziemlich lange schon<br />

bevor es <strong>de</strong>n Namen gab. 1932, das erste<br />

Mal, als die Brü<strong>de</strong>r Sörensen von Kopenhagen<br />

nach Schwe<strong>de</strong>n, Malmö, gewechselt<br />

sind; seit<strong>de</strong>m existiert dieser Konzern in<br />

Schwe<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Homeland</strong>: Schwe<strong>de</strong>n gilt per se als ein<br />

sehr soziales Land. Kam <strong>de</strong>r Mitarbeiteransatz<br />

auch aus nördlicher Richtung?<br />

Buhl: Die Schwe<strong>de</strong>n haben eine höhere Sozialkompetenz<br />

als alle an<strong>de</strong>ren, aber sie haben<br />

auch eine an<strong>de</strong>re Methodik. Das ist auch<br />

für mich eine sehr angenehme Wahrnehmung.<br />

Die schwedische Art hat sicherlich in<br />

<strong>de</strong>r Kommunikationsphase auch einen sehr<br />

amerikanischen Touch, weil man nicht unbedingt<br />

Schlips trägt, mal abgesehen davon,<br />

dass sie exzellent Englisch sprechen und<br />

sehr kommunikativ miteinan<strong>de</strong>r umgehen,<br />

man hat die Möglichkeit, sich frei einzubringen<br />

und auch seine eigenen Gedanken<br />

frei zu äußern. Man wird nicht gleich ausgebremst,<br />

son<strong>de</strong>rn es existiert ein sehr offener<br />

Umgang im Management. Wir haben also<br />

angefangen, zunächst einmal diesen Teil <strong>de</strong>s<br />

Unternehmens neu aufzustellen, also auszugrün<strong>de</strong>n,<br />

eine eigene GmbH zu schaffen,<br />

dort alles zu investieren und zu überlegen,<br />

welche Notrufzentralen wir in Deutschland<br />

brauchen. Damit haben wir die Strukturen<br />

gestrafft, sodass wir heute noch zwei große<br />

Notrufzentralen in Deutschland betreiben:<br />

eine in Mannheim (nach EU-Standard) und<br />

eine in Berlin.<br />

<strong>Homeland</strong>: Herr Buhl, wir bedanken uns<br />

für das Gespräch.<br />

Ein Mann, ein<br />

Weg: Manfred Buhl<br />

auf <strong>de</strong>m Weg zu<br />

Securitas.<br />

Manfred Buhl war<br />

vor seiner Zeit in<br />

<strong>de</strong>r Funktion als<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Geschäftsführung<br />

von Securitas zehn<br />

Jahre in Potsdam,<br />

wo er <strong>de</strong>n Geschäftsbereich „Geld- und<br />

Werttransporte“ in Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg<br />

verantwortete. Zuvor war er 20 Jahre im<br />

Militärdienst. „Ich war lange Zeit verantwortlich<br />

für die Gefechtsbereitschaft von<br />

militärischen Einheiten; also für <strong>de</strong>n Ausbau<br />

von Führungsstellen und auch schon<br />

für das Thema Sicherheit, nur eben mit an<strong>de</strong>ren<br />

Mitteln“, so Buhl. Nach <strong>de</strong>m Militärdienst<br />

hat Buhl an einer Führungsaka<strong>de</strong>mie<br />

in Hamburg Zugang zur freien Wirtschaft<br />

gefun<strong>de</strong>n. Buhl: „Die Zeit im Militärdienst<br />

möchte ich nicht missen, <strong>de</strong>nn eine militärische<br />

Ausbildung zu haben, ist im Sicherheitsbereich<br />

kein Nachteil. Von 2000 an<br />

habe ich eine neue Struktur eingeführt, ich<br />

habe auch <strong>de</strong>n Spezialisierungsprozess über<br />

mehrere Etappen eingeleitet und die Struktur<br />

so aufgebaut, dass ich heute von einer<br />

Hybridstruktur spreche.“<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 55


Sicherheitsforschung<br />

Vernetzte Sicherheit<br />

Sicherheitsforschung im Deutschen Zentrum für<br />

Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)<br />

Auswertung von Satellitendaten<br />

im Zentrum<br />

für Satellitengestützte<br />

Kriseninformation (ZKI)<br />

Im Frühjahr 2010 ist im<br />

DLR <strong>de</strong>r Querschnittsbereich<br />

Sicherheit etabliert<br />

wor<strong>de</strong>n. Ein dafür<br />

verantwortlicher<br />

Programmkoordinator,<br />

<strong>de</strong>r vom DLR-Senat berufen<br />

wur<strong>de</strong>, koordiniert<br />

und steuert die<br />

verschie<strong>de</strong>nen Aktivitäten<br />

mit sicherheitsrelevantem<br />

Bezug im<br />

DLR. Er stimmt diese<br />

mit <strong>de</strong>n Fachvorstän<strong>de</strong>n und Programmdirektoren<br />

<strong>de</strong>r Schwerpunkte Luftfahrt,<br />

Raumfahrt, Energie und Verkehr ab<br />

und vertritt das Thema Sicherheitsforschung<br />

als Hauptansprechpartner nach<br />

innen sowie nach außen. Der DLR-internen<br />

Initiierung von neuen Projekten<br />

in <strong>de</strong>r zivilen Sicherheitsforschung und<br />

<strong>de</strong>r Abstimmung mit Partnern in Politik,<br />

Wirtschaft und Wissenschaft kommt dabei<br />

eine beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. Mit<br />

Dr. Dennis Göge, Programmkoordinator<br />

Sicherheitsforschung beim DLR, sprachen<br />

Dr. Nadine Seumenicht und Michael<br />

Zacher.<br />

<strong>Homeland</strong>: Was verstehen Sie unter <strong>de</strong>m<br />

Begriff „Vernetzte Sicherheit“?<br />

Dr. Göge: Ich <strong>de</strong>nke da zunächst an die<br />

klassische Definition. Das Konzept <strong>de</strong>r vernetzten<br />

Sicherheit besteht aus <strong>de</strong>n Einzelelementen<br />

gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge,<br />

multilaterale Koordinierung,<br />

Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Institutionen und ressortübergreifen<strong>de</strong><br />

Koordinierung. Dies fin<strong>de</strong>t<br />

sich auch in <strong>de</strong>n Grundprinzipien <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

wie<strong>de</strong>r, die grundsätzlich umfassend, präventiv<br />

und multilateral ist.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie sagen „zunächst“, weil Sie<br />

wahrscheinlich auch sofort an die Sicherheitsforschung<br />

<strong>de</strong>nken. Wie lassen sich<br />

„Vernetzte Sicherheit“ und „Sicherheitsforschung“<br />

miteinan<strong>de</strong>r vergleichen? Warum<br />

vernetzte Sicherheitsforschung?<br />

Dr. Göge: Zum einen ist die „Vernetzte Sicherheit“<br />

<strong>de</strong>r politische Überbau, <strong>de</strong>r durch<br />

die im Rahmen <strong>de</strong>r „Sicherheitsforschung“<br />

geleisteten Arbeiten unterstützt wird. Zum<br />

an<strong>de</strong>ren lässt sich <strong>de</strong>r Vergleich auf zwei<br />

wesentliche Elemente herunterbrechen:<br />

Zusammenarbeit und Koordination. Bei<strong>de</strong>s<br />

steht sowohl beim Thema „Vernetzte<br />

Sicherheit“ als auch bei <strong>de</strong>r „Sicherheitsforschung“<br />

im Vor<strong>de</strong>rgrund. Die Sicherheitsforschung<br />

an sich ist aus meiner Sicht<br />

mehrdimensional. Sie ist keine eigene Disziplin<br />

wie z. B. die Physik o<strong>de</strong>r Mathematik. Es<br />

wer<strong>de</strong>n vielmehr klassische Disziplinen miteinan<strong>de</strong>r<br />

vernetzt, um sicherheitsrelevante<br />

Lösungen, wie z. B. Technologien o<strong>de</strong>r Systeme,<br />

zu entwickeln. Diese Lösungen sind<br />

aber nur einsetzbar, wenn sie nicht die Bürgerrechte<br />

verletzen und somit <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

vermittelbar sind. Die Rechts- und<br />

Sozialwissenschaften gehören damit zu <strong>de</strong>n<br />

Disziplinen, die bereits im Rahmen von Sicherheitsforschungsprojekten<br />

berücksichtigt<br />

wer<strong>de</strong>n. Disziplinenübergreifen<strong>de</strong>s Arbeiten<br />

spielt also eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle.<br />

Wie beim Konzept <strong>de</strong>r „Vernetzten Sicherheit“<br />

fin<strong>de</strong>t mittlerweile auch im Bereich <strong>de</strong>r<br />

„Sicherheitsforschung“ eine ressortübergreifen<strong>de</strong><br />

Koordination statt. Ein Beispiel:<br />

Bei <strong>de</strong>r Themenfestlegung <strong>de</strong>s nationalen<br />

Sicherheitsforschungsprogramms, das in<br />

die Zuständigkeit <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums<br />

für Bildung und Forschung (BMBF) fällt,<br />

wer<strong>de</strong>n weitere Ressorts eingebun<strong>de</strong>n. Das<br />

ist stimmig, <strong>de</strong>nn nachgeordnete Dienstbehör<strong>de</strong>n,<br />

wie z. B. die Bun<strong>de</strong>spolizei, müssen<br />

bestimmte Missionen erfüllen. Handlungsstrategien,<br />

Systeme o<strong>de</strong>r Technologien, die<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r Sicherheitsforschungsprojekte<br />

entwickelt wer<strong>de</strong>n, müssen somit einsatzrelevant<br />

und einsetzbar sein.<br />

Ich möchte an dieser Stelle aber nicht<br />

die Zusammenarbeit von Wissenschaftseinrichtungen<br />

mit Unternehmen aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

vorenthalten. Letztendlich sind es die<br />

Industrieunternehmen, die die sicherheitsrelevanten<br />

Produkte und Dienstleistungen<br />

her- bzw. bereitstellen. Wissenschaftseinrichtungen<br />

wie das DLR müssen sich also<br />

nicht nur untereinan<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn auch mit<br />

56 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Sicherheitsforschung<br />

Politik und Wirtschaft vernetzen und das<br />

nicht nur auf nationaler Ebene. Bedrohungen<br />

wie Naturkatastrophen, Piraterie o<strong>de</strong>r<br />

Weltraummüll sind globale Herausfor<strong>de</strong>rungen,<br />

auf die wir nur gemeinsam mit an<strong>de</strong>ren<br />

Staaten reagieren können – sei es im Bereich<br />

von Gesetzgebungen o<strong>de</strong>r im Bereich<br />

von Technologieentwicklungen. Wir brauchen<br />

eine vernetzte Sicherheitsforschung,<br />

um angemessen und ausreichend auf heutige<br />

und zukünftige Bedrohungen reagieren<br />

zu können.<br />

<strong>Homeland</strong>: Welche Bereiche <strong>de</strong>cken Sie im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung im DLR<br />

ab? Welche sind die wichtigsten? Wo wird<br />

„die Reise hingehen“?<br />

Dr. Göge: Natürlich adressieren wir mit unseren<br />

Forschungsaktivitäten die auf nationaler<br />

und internationaler Ebene <strong>de</strong>finierten<br />

Fähigkeitsprofile, die <strong>de</strong>m Schutz und <strong>de</strong>r<br />

Sicherheit <strong>de</strong>r Bevölkerung, <strong>de</strong>r Grenzen,<br />

<strong>de</strong>r Kritischen Infrastrukturen und <strong>de</strong>m Krisen-<br />

und Katastrophenmanagement dienen.<br />

Wir sind in <strong>de</strong>r glücklichen Lage, dass das<br />

Querschnittsthema Sicherheit im DLR von<br />

mehr als 20 unserer Forschungsinstitute<br />

und Einrichtungen adressiert wird. Wissenschaftler<br />

<strong>de</strong>s DLR haben z. B. im letzten Jahr<br />

eine Software zur Optimierung von Polizeistreifenfahrten<br />

entwickelt. Diese leistet <strong>de</strong>r<br />

Polizei wertvolle Dienste im Bereich <strong>de</strong>r Planungsunterstützung.<br />

Ziel ist es, vereinfacht<br />

gesagt, Kriminelle davon abzuhalten, Autos<br />

zu stehlen o<strong>de</strong>r in Wohnungen einzubrechen.<br />

Ein weiteres, typisches Forschungsthema<br />

beschäftigt sich mit <strong>de</strong>m Flughafen<br />

als Gesamtsystem und mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Sicherheit<br />

von intermodalen Verkehrsknoten<br />

– ein Thema, das bei uns im Schwerpunkt<br />

Verkehr geför<strong>de</strong>rt wird. Dazu bil<strong>de</strong>n wir <strong>de</strong>n<br />

Flughafen von morgen mit seinen neuen<br />

Prozess- und Technologiekombinationen als<br />

Computermo<strong>de</strong>ll ab. Mit Hilfe unserer Flughafensimulationsumgebung<br />

können wir so<br />

die Auswirkungen von Schutzmaßnahmen<br />

auf die Prozesse <strong>de</strong>r Flughäfen analysieren<br />

und bewerten. Die Sicherheit von Kritischen<br />

Infrastrukturen ist ein wichtiges Thema in<br />

unserer Sicherheitsforschung. Die meisten<br />

Menschen <strong>de</strong>nken hier meistens an die vom<br />

Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>s Innern in <strong>de</strong>r nationalen<br />

Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Kritischen<br />

Infrastrukturen <strong>de</strong>finierten Infrastrukturen<br />

wie Transport- und Verkehrswege o<strong>de</strong>r<br />

Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen.<br />

Für diese erarbeiten<br />

wir natürlich auch<br />

Lösungen. Die Kritische<br />

Infrastruktur Weltraum<br />

wird allerdings oftmals<br />

vergessen. Ob Wettervorhersagen,<br />

globale<br />

Internetverfügbarkeit<br />

o<strong>de</strong>r Navigation: Je<strong>de</strong>r<br />

Mensch ist mittlerweile<br />

abhängig von <strong>de</strong>r Raumfahrt.<br />

Sicherheitsrelevante<br />

Anwendungen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> funktionieren<br />

nur, wenn die Infrastruktur – z. B. Satelliten<br />

– im Orbit funktioniert. Ich hatte bereits das<br />

Thema Weltraummüll angesprochen. Dieser<br />

könnte zukünftig dazu führen, dass Satelliten<br />

beschädigt wer<strong>de</strong>n und somit nicht nur<br />

ein großer volkswirtschaftlicher Scha<strong>de</strong>n<br />

entsteht. Nein, es sind auch konkret Menschenleben<br />

in Gefahr. Unsere Wissenschaftler<br />

im Schwerpunkt Raumfahrt entwickeln<br />

<strong>de</strong>rzeit ein optisches Beobachtungssystem<br />

mit einem leistungsstarken Laser, <strong>de</strong>ssen<br />

Pulse auch Teilchen mit einem Durchmesser<br />

von nur wenigen Zentimetern erfassen<br />

und ihre Umlaufbahn vermessen können.<br />

Das Konzept wur<strong>de</strong> im Januar <strong>2012</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit <strong>de</strong>r Laserstation Graz bereits<br />

erfolgreich getestet: Erstmals konnten<br />

in Europa die Umlaufbahnen von ausgedienten<br />

Raketenteilen mit einem Laser vermessen<br />

wer<strong>de</strong>n. In Zukunft könnte ein stärkerer<br />

Laser diese Teilchen auch von ihrer Bahn<br />

abbringen und zum Verglühen in die Erdatmosphäre<br />

wie<strong>de</strong>reintreten lassen. Sie sehen,<br />

hier muss noch kräftig investiert wer<strong>de</strong>n,<br />

damit wir auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sicherer leben<br />

können. Ein weiteres Beispiel: Unser Zentrum<br />

für Satellitengestützte Kriseninformation<br />

(ZKI) ist sicherlich ein Aushängeschild<br />

<strong>de</strong>s DLR. Die Kollegen<br />

stellen einen 24/7 Service<br />

für die schnelle Beschaffung,<br />

Aufbereitung<br />

und Analyse von Satellitendaten<br />

bei Natur- und<br />

Umweltkatastrophen, für<br />

humanitäre Hilfsaktivitäten<br />

und für die zivile Sicherheit<br />

weltweit bereit.<br />

Ob die schweren Waldbrän<strong>de</strong><br />

in Russland, die<br />

Überschwemmungen in<br />

Waldbrän<strong>de</strong> in<br />

Griechenland 2007<br />

Demonstrator-System<br />

für die Detektion von<br />

Weltraumschrott<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 57


Sicherheitsforschung<br />

Katastrophenhilfe auf<br />

Zypern im Juli 2011:<br />

DLR-Wissenschaftler<br />

erkun<strong>de</strong>n mit unbemannten<br />

Luftfahrzeugen<br />

beschädigtes Kraftwerk<br />

Pakistan o<strong>de</strong>r die Katastrophe<br />

in Fukushima:<br />

DLR-Know-how und -Informationsprodukte<br />

haben<br />

geholfen, Menschenleben<br />

zu retten. Dies<br />

sind nur einige Beispiele<br />

unserer aktuellen Forschungsaktivitäten.<br />

Was<br />

zukünftige Aktivitäten<br />

angeht, so ist die Marschroute<br />

klar: Aktivitäten im<br />

Bereich <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung<br />

wer<strong>de</strong>n überwiegend<br />

fachübergreifend<br />

bearbeitet. Es wird also eine sehr enge<br />

Abstimmung zwischen unseren Schwerpunkten<br />

Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und<br />

Verkehr geben, um <strong>de</strong>n Querschnittsbereich<br />

Sicherheit weiter zu gestalten. Unsere strategische<br />

Ausrichtung wird sich an Themen<br />

orientieren, die zum einen national und<br />

auch im europäischen Kontext mittel- und<br />

langfristig hohe Priorität erhalten wer<strong>de</strong>n<br />

und zum an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>n Kernkompetenzen<br />

<strong>de</strong>s DLR liegen. Ein Beispiel möchte ich<br />

noch nennen, weil es bereits heute von beson<strong>de</strong>rer<br />

Relevanz ist: Maritime Sicherheit.<br />

Die Relevanz hat auch die Politik erkannt<br />

und dafür gesorgt, dass wir bereits in diesem<br />

Jahr mit unserem schwerpunkt- und<br />

län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Forschungsprojekt<br />

„F&E und Echtzeitdienste für die Maritime<br />

Sicherheit“ starten können. In <strong>de</strong>m Projekt<br />

sollen die DLR-Kompetenzen aus <strong>de</strong>n Bereichen<br />

Erdbeobachtung, Kommunikation und<br />

Navigation, Flugführung sowie Hafensicherheit<br />

gebün<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Ziel ist es, die Realisierung<br />

<strong>de</strong>s „Nationalen Masterplans Maritime<br />

Technologien“ <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministerium<br />

für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und<br />

das „Nationale Sicherheitsforschungsprogramm“<br />

<strong>de</strong>s BMBF zu unterstützen. Insgesamt<br />

wer<strong>de</strong>n acht DLR-Institute im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s Projekts Beiträge zu <strong>de</strong>n Themen Umweltschutz,<br />

Piraterie und Sicherung <strong>de</strong>r europäischen<br />

Außengrenzen liefern.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie bin<strong>de</strong>n Sie das „Nationale<br />

Sicherheitsforschungsprogramm“ in Ihre<br />

Arbeit ein?<br />

Dr. Göge: Das „Nationale Sicherheitsforschungsprogramm“<br />

ist für uns von zentraler<br />

Be<strong>de</strong>utung, nicht zuletzt, weil wir zumin<strong>de</strong>st<br />

teilweise die Philosophie für unsere<br />

DLR-internen Vorhaben zur Sicherheitsforschung<br />

übernommen haben. Wir haben<br />

z. B. einige Vorhaben aufgelegt, bei <strong>de</strong>nen<br />

die Nutzer wie das Bun<strong>de</strong>samt für Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe (BBK)<br />

eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. So versuchen wir<br />

uns DLR-intern gut aufzustellen, um auch<br />

im „Nationalen Sicherheitsforschungsprogramm“<br />

erfolgreich zu sein.<br />

<strong>Homeland</strong>: Gibt es weitere Programme auf<br />

Lan<strong>de</strong>s-, Bun<strong>de</strong>s- und EU-Ebene, die Sie integrieren?<br />

Wo steht Deutschland im internationalen<br />

Vergleich?<br />

Dr. Göge: Es gibt viele Programme. Ein<br />

Beispiel ist das zuvor erwähnte Projekt zur<br />

maritimen Sicherheit. Dieses wird von <strong>de</strong>n<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Bremen, Bayern, Nie<strong>de</strong>rsachsen sowie vom<br />

BMWi und BMBF finanziert. Das allein zeigt<br />

die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Themas für Deutschland.<br />

Ein weiterer Fokus liegt auf <strong>de</strong>m FP 7 <strong>Security</strong><br />

bzw. <strong>de</strong>m Nachfolgeprogramm Horizon<br />

2020. Im FP 7 haben wir einige Projekte<br />

gewonnen und sind an einigen beteiligt. Für<br />

das DLR ist aber noch Luft nach oben. Die<br />

Fraunhofer-Gesellschaft hat gezeigt, dass<br />

man auf <strong>de</strong>m EU-Parkett erfolgreich agieren<br />

kann. Bezüglich Akquisition waren sie im<br />

FP 7 <strong>Security</strong> europaweit am erfolgreichsten.<br />

Sie sind jedoch auch national sehr gut<br />

aufgestellt. Aber auch die <strong>de</strong>utsche Industrie<br />

– ob KMU o<strong>de</strong>r Großkonzerne – sind im<br />

Bereich <strong>de</strong>r Sicherheit sehr gut aufgestellt.<br />

Ich wür<strong>de</strong> sagen, Deutschland nimmt im internationalen<br />

Vergleich eine absolute Spitzenposition<br />

ein.<br />

<strong>Homeland</strong>: Arbeiten Sie mit Unternehmen<br />

und weiteren Forschungseinrichtungen<br />

zusammen? Wie funktioniert die Abstimmung<br />

mit Partnern in Bund, Län<strong>de</strong>rn,<br />

Industrie und Wissenschaft – national und<br />

international?<br />

Dr. Göge: Wir kooperieren mit Wissenschaftseinrichtungen<br />

und Unternehmen aus<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft, national und international.<br />

Unsere Forschungsinstitute sind sehr gut<br />

vernetzt und arbeiten gezielt mit Universitäten,<br />

Forschungseinrichtungen o<strong>de</strong>r Industrieunternehmen<br />

im Rahmen von Projekten<br />

zusammen. Bei fachübergreifen<strong>de</strong>n, komplexen<br />

und ressortübergreifen<strong>de</strong>n Projekten<br />

sind <strong>de</strong>r Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong>, unsere<br />

58 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Sicherheitsforschung<br />

Fachvorstän<strong>de</strong> und ich gefragt, um die Themen<br />

politisch voranzutreiben, d. h. bei Abgeordneten<br />

und Ministerien zu bewerben.<br />

Als Beispiel dient hier erneut die maritime<br />

Sicherheit. Grundlage für ein solches Großprojekt<br />

ist zunächst <strong>de</strong>r Bedarf. Das Thema<br />

muss eine hohe gesellschaftliche und politische<br />

Relevanz aufweisen. Ferner muss die<br />

Forschungseinrichtung die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Kompetenzen mitbringen, um ein Thema mit<br />

geeigneten Lösungen adressieren zu können.<br />

Die Grundlage bil<strong>de</strong>n also die laufen<strong>de</strong>n<br />

und zukünftigen Forschungsaktivitäten<br />

unserer Forschungsinstitute, am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Tages ist damit aber auch immer ein Kraftakt<br />

<strong>de</strong>s Managements verbun<strong>de</strong>n, es zu<br />

schaffen, die entsprechen<strong>de</strong> Finanzierung<br />

für ein solches Thema zu sichern.<br />

Ein weiteres Beispiel zur Kooperation<br />

mit an<strong>de</strong>ren Forschungseinrichtungen: Das<br />

DLR ist eines von 18 Helmholtz-Zentren. Im<br />

letzten Jahr haben wir mit weiteren Helmholtz-Zentren<br />

das Querschnittsthema Sicherheitsforschung<br />

in <strong>de</strong>r Helmholtz-Gemeinschaft<br />

Deutscher Forschungszentren<br />

etabliert. Im Rahmen <strong>de</strong>r Aktivitäten wird<br />

je<strong>de</strong>s Zentrum seine Expertise einbringen,<br />

Synergiepotenziale in und zwischen <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Zentren sollen ausgeschöpft wer<strong>de</strong>n.<br />

Somit entwickeln sich die Zentren in <strong>de</strong>n jeweiligen<br />

Kernkompetenzen weiter und erschließen<br />

sich gleichzeitig <strong>de</strong>n Zukunftsmarkt<br />

<strong>de</strong>r zivilen Sicherheitswirtschaft. Das<br />

DLR koordiniert das Thema und bringt seine<br />

Expertise u. a. im Bereich Space Situational<br />

Awareness (SSA) – Weltraumlage sowie bei<br />

<strong>de</strong>r Detektion von Gefahrstoffen und bei <strong>de</strong>r<br />

Sicherheit an Flughäfen mit ein.<br />

<strong>Homeland</strong>: Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe:<br />

Wie berücksichtigen Sie diese<br />

Bereiche in <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung? Welche<br />

aktuellen Projekte wer<strong>de</strong>n bearbeitet?<br />

Dr. Göge: Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />

sind wichtige Themen. Beispiel<br />

ZKI (s. o.): Wir haben hier über Jahre<br />

in die Forschung investiert, um uns in die<br />

Position zu bringen, in <strong>de</strong>r wir jetzt sind;<br />

wir stellen einen 24/7 Service bereit. Natürlich<br />

forschen wir weiterhin im Bereich <strong>de</strong>r<br />

Fernerkundung und die Ergebnisse fließen<br />

stetig in das ZKI mit ein. Problematisch ist<br />

nur, dass wir auf lange Sicht finanzielle Mittel<br />

benötigen, um diesen Service aufrechterhalten<br />

und Scha<strong>de</strong>nskartierungen weltweit<br />

permanent anbieten zu können. Alle sind<br />

glücklich, dass es diesen Service gibt, <strong>de</strong>n<br />

es langfristig zu sichern gilt.<br />

Ansonsten gibt es weitere Themen, die<br />

wir auf EU-Ebene vorantreiben, z. B. das<br />

Projekt Alert 4 All: Hier geht es um die Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Effektivität von Alarmierung<br />

und Kommunikation <strong>de</strong>r Bevölkerung im<br />

Krisenfall über einen zentralen Service; hier<br />

ist noch Forschung erfor<strong>de</strong>rlich. Ein weiterer<br />

Bereich ist die Inertialsensorik bzw. die<br />

Entwicklung von Bewegungssensoren für<br />

Einsatzkräfte. Mit Hilfe von Inertialsensoren<br />

können Aktivitäten wie Sitzen, Gehen<br />

o<strong>de</strong>r Liegen für alle Menschen mit sehr hoher<br />

Zuverlässigkeit erkannt wer<strong>de</strong>n. Der<br />

Bewegungssensor, <strong>de</strong>n je<strong>de</strong>r Helfer an <strong>de</strong>r<br />

Hüfte trägt, hilft, dass das gesamte Team<br />

und die Einsatzleitung in Echtzeit wissen,<br />

ob ein Teammitglied z. B. gestürzt o<strong>de</strong>r einer<br />

Gefährdung ausgesetzt ist. Im Bereich<br />

Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />

unternehmen wir einiges.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie schätzen Sie die weitere<br />

Entwicklung im Bereich Sicherheitsforschung<br />

ein?<br />

Dr. Göge: Entsprechend einer Studie <strong>de</strong>s<br />

VDI/VDE und <strong>de</strong>r Arbeitsgemeinschaft für<br />

Sicherheit <strong>de</strong>r Wirtschaft e. V. „Marktpotenzial<br />

von Sicherheitstechnologien und<br />

Sicherheitsdienstleistungen“ soll <strong>de</strong>r Zukunftsmarkt<br />

<strong>de</strong>r zivilen Sicherheitswirtschaft<br />

in Deutschland, <strong>de</strong>ssen Gesamtvolumen<br />

in 2008 bei rund 20 Mrd. Euro lag,<br />

auf rund 31 Mrd. Euro bis 2015 anwachsen.<br />

Das zeigt, dass wir mit <strong>de</strong>r Sicherheitsforschung<br />

gut aufgestellt sind: Die Sicherheitsforschung<br />

wird dauerhaft ein großes Thema<br />

sein und an Be<strong>de</strong>utung gewinnen. Die Probleme<br />

wer<strong>de</strong>n komplexer, sodass Lösungen<br />

umfangreiche Forschung voraussetzen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wo sehen Sie <strong>de</strong>n Zukunftsmarkt?<br />

Was wünschen Sie sich für die<br />

Zukunft?<br />

Dr. Göge: „DLR – Wissen für Morgen.“ Das<br />

ist Teil unseres Leitbilds und unser Motto.<br />

Ich hoffe, dass wir in Zukunft ausreichend<br />

Wissen anhäufen wer<strong>de</strong>n, um für die komplexen<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zukunft einfache<br />

Lösungen parat zu haben.<br />

Dr. Dennis Göge<br />

Als Programmkoordinator<br />

ist <strong>de</strong>r 37-Jährige<br />

promovierte Bauingenieur<br />

DLR-übergreifend<br />

für die Sicherheitsforschung<br />

verantwortlich.<br />

Er ist als Vorstandsbeauftragter<br />

tätig und berichtet<br />

direkt an <strong>de</strong>n<br />

Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>s DLR. Der Korbacher<br />

kann auf insgesamt<br />

zwölf Jahre Erfahrung<br />

in <strong>de</strong>n Bereichen Forschung<br />

und Technologie<br />

sowie in <strong>de</strong>r Verteidigungs-<br />

und Sicherheitsforschung<br />

verweisen.<br />

Dr. Dennis Göge begleitet<br />

in Fachgremien seit<br />

Jahren die nationale und<br />

internationale Sicherheits-<br />

und Verteidigungsforschung<br />

und berät u.<br />

a. das Bun<strong>de</strong>sministerium<br />

für Wirtschaft und<br />

Technologie sowie das<br />

Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r<br />

Verteidigung. Darüber<br />

hinaus wur<strong>de</strong> Dr. Dennis<br />

Göge von <strong>de</strong>r Helmholtz-<br />

Gemeinschaft zum koordinieren<strong>de</strong>n<br />

Sprecher<br />

<strong>de</strong>s Querschnittsthemas<br />

„Sicherheitsforschung“<br />

ernannt. Bevor er als<br />

Programmkoordinator<br />

berufen wur<strong>de</strong>, war er<br />

als Executive Officer bei<br />

<strong>de</strong>r NATO in Neuilly-sur-<br />

Seine, Frankreich, aktiv.<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 59


Industrie<br />

Kettenschild im Einsatz gegen Piratenangriffe<br />

Das Entern von Schiffen erschweren<br />

Draufsicht mit Wasser<br />

Transportstellung<br />

Abwehr Seite<br />

Damit Ree<strong>de</strong>reien ihre<br />

Schiffe und Besatzungen<br />

schützen können, gibt es<br />

direkt an <strong>de</strong>n Schiffen<br />

angebrachte Abwehrsysteme,<br />

wie z. B. Wasserwerfer.<br />

Sie dienen dazu,<br />

das Entern von Schiffen<br />

durch Piraten zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Ein Kettenschild<br />

gegen Piratenangriffe hat<br />

<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Ingenieur<br />

Heinz Weiß entwickelt: „Anfang 2011<br />

habe ich mich mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Seepiraterie<br />

befasst. Ich wollte nicht hinnehmen,<br />

dass es in unserem technischen Zeitalter<br />

keine an<strong>de</strong>re Möglichkeit zur Abwehr<br />

<strong>de</strong>r Seepiraten geben sollte als Stacheldraht,<br />

Abschmierfett, Elektrozaun, Wasserschläuche,<br />

Schallkanonen und bewaffnetes<br />

Sicherheitspersonal.“<br />

Sein Anti-Schiffs-Enter-System (ASES)<br />

unterstützt die Abwehr von Angriffen als<br />

nicht-letales Gerät. Die I<strong>de</strong>e zu diesem<br />

System erscheint unkonventionell und<br />

entwickelte sich bei einer Fahrt auf <strong>de</strong>r Autobahn,<br />

als Weiß im Vorbeifahren einen Mitarbeiter<br />

<strong>de</strong>r Straßenmeisterei beobachtete,<br />

<strong>de</strong>r mit einer Motorsense Gras abmähte. Die<br />

Fliehkraft <strong>de</strong>r rotieren<strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>nen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Motorsense brachte ihn auf die I<strong>de</strong>e, dieses<br />

Prinzip auch mit Ketten an einem schnell<br />

laufen<strong>de</strong>n Rotor anzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Die Ketten-Rotoren sind an allen Seiten<br />

<strong>de</strong>s Schiffes befestigt und wer<strong>de</strong>n bei Bedarf<br />

per Knopfdruck aktiviert. Bei normaler<br />

Fahrt befin<strong>de</strong>n sich die Seitenschwenkarme<br />

mit <strong>de</strong>n montierten Rotoren in Transportstellung,<br />

um eine Behin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Schiffsbetriebs<br />

zu vermei<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Aktivierung<br />

wer<strong>de</strong>n sie in Abwehrstellung gebracht, in<strong>de</strong>m<br />

sie ausschwenken. Der am Kranarmen<strong>de</strong><br />

montierte Rotorkopf bringt das Kettenrad<br />

mit hoher Drehzahl zur Rotation. Bei<br />

Rotation tauchen die Ketten ins Meerwasser<br />

und erzeugen somit eine Wasserwand,<br />

die die Sicht auf das Schiff einschränkt und<br />

das Entern erschwert bzw. ganz verwehrt<br />

wird. Durch die hohe Drehzahl <strong>de</strong>r gegenläufig<br />

rotieren<strong>de</strong>n Kettenrä<strong>de</strong>r und die Anzahl<br />

<strong>de</strong>r montierten Ketten wird eine fast<br />

undurchdringliche „Kettenwand“ erzeugt.<br />

Diese verhin<strong>de</strong>rt zu<strong>de</strong>m, dass Geschosse<br />

(Panzerfaust-RPG) das Schiff treffen, in<strong>de</strong>m<br />

sie diese ablenkt. Die Kettenumdrehungsgeschwindigkeit<br />

liegt bei ca. 1.000 Km/h; das<br />

entspricht 280 m/<strong>sec</strong>. „Bei Rotor-Stopp wickeln<br />

sich die Ketten automatisch auf die<br />

Kettenachse auf. Bei erneutem Start drängen<br />

die Ketten in dieser Halteposition mit<br />

steigen<strong>de</strong>r Drehzahl wie<strong>de</strong>rum nach außen,<br />

wie bei <strong>de</strong>r Motorsense. So kann <strong>de</strong>r Vorgang<br />

beliebig oft wie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n“, ergänzt<br />

Weiß.<br />

ASES stellt ein vollautomatisches, mechanisches<br />

Hydraulik-Abwehrsystem dar.<br />

In Aktion lässt es sich we<strong>de</strong>r durch Beschuss<br />

noch von Piratenhand stoppen. Bei<br />

Nebel o<strong>de</strong>r Nachtfahrt kann das System<br />

über Sensoren bei Halblast in Abwehrstellung<br />

gehalten wer<strong>de</strong>n, sodass auch dann die<br />

Sicherheit <strong>de</strong>s Schiffes gewährleistet ist.<br />

Das System eignet sich für je<strong>de</strong>s Hochseeschiff<br />

und kann über ein Schnellwechselsystem<br />

von einem Schiff auf ein an<strong>de</strong>res Schiff<br />

übertragen wer<strong>de</strong>n. Dazu müssen auf <strong>de</strong>m<br />

Schiff nur Adapterplatten zur Aufnahme <strong>de</strong>s<br />

ASES eingebaut wer<strong>de</strong>n.<br />

60 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Historie<br />

Der Wahrheit verpflichtet –<br />

frei von politischen Einflüssen<br />

Internationales Maritimes Museum Hamburg – Das Schiff<br />

als Mittelpunkt <strong>de</strong>r Weltgeschichte<br />

Mit <strong>de</strong>m Internationalen Maritimen Museum<br />

hat die Sammlung von Professor Peter<br />

Tamm eine dauerhafte Heimat in <strong>de</strong>r Freien<br />

und Hansestadt Hamburg gefun<strong>de</strong>n. Seit<br />

<strong>de</strong>m 25. Juni 2008 ist diese weltweit größte<br />

maritime Privatsammlung im historischen<br />

Kaispeicher B in <strong>de</strong>r HafenCity einquartiert.<br />

Durchschnittlich besuchen im Jahr<br />

ca. 100.000 Interessierte das Museum, das<br />

von <strong>de</strong>r Peter Tamm Sen. Stiftung betrieben<br />

wird. Auf neun Decks wer<strong>de</strong>n Exponate<br />

zu <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Themenbereichen<br />

gezeigt:<br />

--Navigation und Kommunikation,<br />

--Unter Segeln und Piraten,<br />

--Schiffs- und Maschinenbau,<br />

--Dienst an Bord und Uniformen,<br />

--Marinen <strong>de</strong>r Welt,<br />

--Passagierschiffe und Han<strong>de</strong>lsschifffahrt,<br />

--Meeresforschung und Expeditionen,<br />

--Gemäl<strong>de</strong>galerie und Schatzkammer,<br />

--Die große Welt <strong>de</strong>r kleinen Schiffe.<br />

Im Alter von fünf Jahren erhielt Professor<br />

Peter Tamm von seiner Mutter ein kleines<br />

Mo<strong>de</strong>llschiff geschenkt; seit<strong>de</strong>m sammelte<br />

er mit großer Lei<strong>de</strong>nschaft. Peter Tamm<br />

grün<strong>de</strong>te die Peter Tamm Sen. Stiftung mit<br />

<strong>de</strong>m Ziel, „nachfolgen<strong>de</strong> Generationen für<br />

die Seefahrt zu begeistern und ihnen <strong>de</strong>ren<br />

Wichtigkeit für die Prosperität <strong>de</strong>r Weltbevölkerung<br />

zu ver<strong>de</strong>utlichen. Meine Absicht<br />

ist es mitzuhelfen, um Geschichte in Dokumenten<br />

erfahrbar zu machen, wissenschaftliche<br />

Forschung zu ermöglichen, Kunst und<br />

Kultur als historisches Gewissen einer Nation<br />

zu bewahren und daraus zu lernen, frei<br />

von politischen Strömungen und momentanen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Zeitgeistes.“ <strong>Homeland</strong><br />

<strong>Security</strong> sprach mit Professor Peter<br />

Tamm und Holger von Neuhoff, Presseprecher<br />

und Ausstellungsmacher.<br />

<strong>Homeland</strong>: Piraten-Romantik à la Störtebeker:<br />

Ist das ein verklärter, unsachgemäßer<br />

Blick? O<strong>de</strong>r ist es ein Blick nach hinten, wo<br />

wir <strong>de</strong>r Seefahrerromantik verfallen?<br />

Tamm: Die Frage ist nicht <strong>de</strong>s Blickes, son<strong>de</strong>rn<br />

die Frage ist, wie will ich Geschichte<br />

wie<strong>de</strong>rgeben und transportieren. Piraten<br />

sind Bestandteil <strong>de</strong>r Geschichte. Deshalb<br />

müssen wir nicht alles, was in <strong>de</strong>r Geschichte<br />

vorkommt, wie Kriege, schön fin<strong>de</strong>n. Aber<br />

wir müssen <strong>de</strong>r Wahrheit entsprechend darüber<br />

berichten. In <strong>de</strong>r Satzung dieses Hauses<br />

steht: „Der Wahrheit verpflichtet, frei<br />

von allen politischen Einflüssen“. Und Piraterie,<br />

Räuber, Diebe – was auch immer –<br />

hat es immer gegeben und wird es auch immer<br />

geben, weil die Menschen so sind, wie<br />

sie sind. Das ist die Basis. Piraten sind auf<br />

See – auch in einem Schifffahrtsmuseum.<br />

Wir reflektieren in diesem Museum 3.000<br />

Jahre Schifffahrtsgeschichte. Wir sind das<br />

einzige Museum weltweit, das international<br />

darstellt. Das ist für mich erstaunlich, <strong>de</strong>nn<br />

Schifffahrt kann nur international funktionieren.<br />

Siebzig Prozent <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bestehen<br />

aus Wasser: Wie wären die Menschen ohne<br />

Schiff zusammen gekommen? Für mich ist<br />

das Schiff Mittelpunkt <strong>de</strong>r Weltgeschichte.<br />

Ohne Schiff hätte es keine gegeben;<br />

durch <strong>de</strong>n Atlantik o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Indischen Ozean<br />

zu schwimmen, ist etwas mühsam. Man<br />

braucht einen Untersatz und <strong>de</strong>r ist das<br />

Schiff für uns.<br />

<strong>Homeland</strong>: Im Museum stellt das Schiff<br />

<strong>de</strong>n zentralen Punkt dar?<br />

Tamm: Ja, ein Schiff kombiniert alles. Für<br />

mich ist auch Folgen<strong>de</strong>s interessant: Wenn<br />

ein Mensch an <strong>de</strong>r Elbe spazieren geht und<br />

ein großes Schiff vorbei fährt, ist diesem<br />

Menschen überhaupt nicht klar, was dort<br />

vorbeifährt. An diesem Schiff sind Tausen<strong>de</strong><br />

von Menschen beteiligt, hun<strong>de</strong>rte von<br />

Unternehmen involviert, weltweit, überall,<br />

sie haben zugeliefert, um dann dieses<br />

Instrument – im Grun<strong>de</strong> ist ein Schiff ein<br />

Dr. Nadine Seumenicht<br />

im Gespräch mit<br />

Peter Tamm<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 61


Historie<br />

Ausschnitt <strong>de</strong>s Batterie<strong>de</strong>cks<br />

einer britischen<br />

Korvette um 1815 - Korvetten<br />

waren kleinere<br />

Segelkriegsschiffe <strong>de</strong>r<br />

Royal Navy; sie wur<strong>de</strong>n<br />

u. a. zum Kampf gegen<br />

Piraten eingesetzt.<br />

Hier lagern Exponate,<br />

die in <strong>de</strong>r aktuellen Ausstellung<br />

nicht zu sehen<br />

sind und bei Bedarf<br />

ausgetauscht wer<strong>de</strong>n.<br />

Staat – zusammenzubringen. Und auch die<br />

Ästhetik spielt eine tragen<strong>de</strong> Rolle. Nach<br />

<strong>de</strong>r Strömungstheorie gibt es keinen viereckigen<br />

Vogel, es gibt kein viereckiges Flugzeug,<br />

es gibt auch kein viereckiges Unterwasserschiff.<br />

Über Wasser sieht ein Schiff<br />

meistens an<strong>de</strong>rs aus, aber unter Wasser<br />

wer<strong>de</strong>n sie sich immer an die Naturgesetze<br />

zu halten haben. Und die zwingen zur<br />

Schönheitsästhetik und zum Angenehmen.<br />

Auch eine Schiffschraube. Die ist doch als<br />

Eyecatcher angenehm anzusehen: Was wäre<br />

die Welt ohne Schiffschraube?<br />

<strong>Homeland</strong>: Gibt es etwas Vergleichbares zu<br />

Ihrem Museum?<br />

Tamm: Die meisten Schifffahrtsmuseen<br />

sind national, lokal o<strong>de</strong>r regional aufgestellt.<br />

Dass jemand die Schifffahrt als solche<br />

mit <strong>de</strong>m Schiff als Mittelpunkt darstellt und<br />

dazu auch noch weltweit über zwei- bis dreitausend<br />

Jahre Geschichte integriert, gibt es<br />

nicht ein zweites Mal.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie sind auch zur See gefahren.<br />

In welcher Funktion?<br />

Tamm: Ganz unterschiedlich. Zunächst kurze<br />

Zeit als Seeka<strong>de</strong>tt. Nach <strong>de</strong>m Krieg habe<br />

ich häufig angemustert und größere Fahrten<br />

gemacht.<br />

<strong>Homeland</strong>: Warum haben Sie sich für eine<br />

Abteilung „Piraten“ entschie<strong>de</strong>n?<br />

Tamm: Wir haben einen kleinen Bereich Piraterie,<br />

<strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re von unseren „kleinen“<br />

Besuchern stark frequentiert wird. Sie<br />

lieben es, sich als Piraten zu verklei<strong>de</strong>n. Hier<br />

wer<strong>de</strong>n die Kin<strong>de</strong>r frühzeitig angelernt, damit<br />

sie auch in Zukunft Piraterie betreiben.<br />

Piraterie hat immer einen beson<strong>de</strong>ren Reiz.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re haben wir viele Unterlagen<br />

aus <strong>de</strong>m Mittelalter.<br />

von Neuhoff: Wir kooperieren mit <strong>de</strong>r Helmut-Schmidt-Universität;<br />

hier z. B. in Form<br />

von Symposien zum Thema „Piraterie“.<br />

<strong>Homeland</strong>: Ist das Museum nach Themen<br />

aufgeteilt o<strong>de</strong>r wird eine Zeitachse<br />

abgebil<strong>de</strong>t?<br />

Schiffbau, eine Etage Kriegsschiffe, eine<br />

Etage Passagierschiffe, eine Etage Han<strong>de</strong>lsschiffe,<br />

eine Etage Navigation und so weiter.<br />

Das sind in sich immer geschlossene Themen,<br />

die sich allerdings nach <strong>de</strong>m Zeitablauf<br />

richten. So z. B. <strong>de</strong>r Bereich Navigation: Wie<br />

hätten wir mit <strong>de</strong>n Schiffen fahren sollen,<br />

wenn es die Navigation nicht gegeben hätte?<br />

Diese hat einen Anfang und ist extrem<br />

wichtig. Tiefseeforschung ist ein neues Gebiet,<br />

welches wir thematisieren und haben<br />

diesem eine weitere Etage gewidmet, <strong>de</strong>nn:<br />

Auf <strong>de</strong>m Mond waren wir bereits, aber eben<br />

noch nicht ganz unten. Die Bevölkerung<br />

nimmt stetig zu, die Ansprüche steigen und<br />

die Ressourcen wer<strong>de</strong>n immer knapper. Wo<br />

liegt unsere Zukunft? Vermutlich da unten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie meinen damit ausschließlich<br />

die Rohstoffe?<br />

Tamm: Alles. Wir lernen eine Menge, wie<br />

etwas entsteht, unter welchen Umstän<strong>de</strong>n.<br />

Und das betrifft auch die Rohstoffe. Das ist<br />

nur ein Teil davon. Es ist unglaublich, was<br />

es in vier- bis zehntausend Metern Tiefe<br />

an Lebensverbün<strong>de</strong>n, Tieren und Pflanzen<br />

gibt. Für uns ist das hier oben unvorstellbar.<br />

Es ist so ähnlich wie auf <strong>de</strong>m Mond.<br />

Das ist die an<strong>de</strong>re Seite; wir sitzen sozusagen<br />

dazwischen. Es gilt, dieses festzuhalten:<br />

immer vom Menschen aus betrachtet,<br />

also Menschheitsgeschichte im Kontext mit<br />

<strong>de</strong>r Umwelt, in <strong>de</strong>r wir leben. Dort ist das<br />

Schiff überhaupt nicht wegzu<strong>de</strong>nken, son<strong>de</strong>rn<br />

es ist <strong>de</strong>r wesentliche Bestandteil. Dieses<br />

möchten wir <strong>de</strong>n Besuchern vermitteln,<br />

vor allem aber auch <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn. Wir legen<br />

großen Wert darauf, frühzeitig zu sensibilisieren:<br />

Wer hier durchgeht, entwickelt die<br />

eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r erhält Anregungen<br />

– gera<strong>de</strong> als junger Mensch – und <strong>de</strong>nkt<br />

darüber nach. Wenn uns das gelingt, haben<br />

wir eine Menge geschafft, nachzu<strong>de</strong>nken –<br />

was zeitweise aus <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong> gekommen ist.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie sind quasi die Keimzelle für<br />

das Museum?<br />

Tamm: Ohne mich wür<strong>de</strong> es das alles hier<br />

nicht geben.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie ist es dazu gekommen?<br />

Tamm: Bei<strong>de</strong>s. Erst einmal natürlich immer<br />

im Zeitablauf: Wir haben eine Etage<br />

Tamm: Zuerst muss ich sagen, dass meine<br />

Familie auch schon über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

62 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


Historie<br />

hinweg eng mit <strong>de</strong>r Seefahrt verbun<strong>de</strong>n war.<br />

Und meine Mutter machte eines Tages – das<br />

war 1933 – <strong>de</strong>n entsetzlichen Fehler, mir ein<br />

Schiffsmo<strong>de</strong>ll zu schenken. Da war ich fünf.<br />

Das Mo<strong>de</strong>ll war klein, kostete im Kin<strong>de</strong>rparadies<br />

50 Pfennig und wenn sie geahnt hätte,<br />

was sie damit anrichtet, hätte sie mir es<br />

vielleicht doch nicht geschenkt. Dem ersten<br />

Mo<strong>de</strong>ll folgte das zweite und dann kam das<br />

erste Buch und es nahm seinen Lauf… Ehe<br />

sie sich versehen, haben sie eine unglaublich<br />

breite Plattform. Diese zog mich in ihren<br />

Bann. Ich kann nur empfehlen, früh mit<br />

<strong>de</strong>m Sammeln anzufangen.<br />

<strong>Homeland</strong>: Das war sozusagen Ihr Anstoß.<br />

Dann gab es eine Spanne danach. Die logische<br />

Konsequenz war und ist dieses internationale<br />

Museum.<br />

Tamm: Es gab keine Spanne danach, son<strong>de</strong>rn<br />

eine gera<strong>de</strong> Linie. Aber sie brauchen<br />

70 Jahre, um soweit zu sein wie wir. Das<br />

kommt nicht von ungefähr, son<strong>de</strong>rn es baut<br />

sich sukzessive auf. Je früher sie anfangen,<br />

<strong>de</strong>sto „schlimmer“ ist das Ergebnis. Je später<br />

sie anfangen, <strong>de</strong>sto weniger kann passieren.<br />

Wenn sie mit 70 Jahren vorhaben, eine<br />

solche Sammlung auf die Beine zu stellen,<br />

wer<strong>de</strong>n sie das nie schaffen. Aber wenn sie<br />

mit fünf Lebensjahren beginnen, haben sie –<br />

wie sie sehen – durchaus die Chance dazu.<br />

<strong>Homeland</strong>: Sie haben viele Sponsoren?<br />

Tamm: Wir haben För<strong>de</strong>rer, Sponsoren und<br />

einen großen Freun<strong>de</strong>skreis. Wir befin<strong>de</strong>n<br />

uns im dritten Jahr und können uns schon<br />

über 100.000 Besucher pro Jahr freuen.<br />

Aber es wären noch mehr, wenn die Verkehrsumstän<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>r Speicherstadt nicht<br />

so schlecht wären. Ein Viertel unserer Besucher<br />

sind Auslän<strong>de</strong>r; damit haben wir <strong>de</strong>n<br />

größten Auslän<strong>de</strong>ranteil aller Hamburger<br />

Museen. Die sind uns sehr wichtig, weil sie<br />

für uns werben. Überall in <strong>de</strong>r Welt – gera<strong>de</strong><br />

in China – wer<strong>de</strong>n große Schifffahrtsmuseen<br />

gebaut; die Chinesen ent<strong>de</strong>cken gera<strong>de</strong><br />

ihre Schifffahrtsgeschichte und drängen mit<br />

Macht auf <strong>de</strong>n Markt.<br />

Tamm: Dafür bin ich nicht zuständig. Ich<br />

hätte gerne die alten Straßennamen beibehalten.<br />

Die Straße hieß früher Mag<strong>de</strong>burger<br />

Straße. Wir befin<strong>de</strong>n uns in <strong>de</strong>m ältesten<br />

erhaltenen Speicher Hamburgs. Früher kamen<br />

die Waren aus Mittel<strong>de</strong>utschland, aus<br />

<strong>de</strong>m Großraum Mag<strong>de</strong>burg, wur<strong>de</strong>n hier<br />

umgela<strong>de</strong>n und dann auf die Seeschiffe verla<strong>de</strong>n.<br />

Entsprechend umgekehrt auch. Die<br />

früheren Straßennamen hatten durchaus ihren<br />

tieferen Sinn. Heute ist das an<strong>de</strong>rs: an<strong>de</strong>re<br />

Zeiten, an<strong>de</strong>re Sitten.<br />

<strong>Homeland</strong>: Der Hauptteil <strong>de</strong>r Sammlung<br />

besteht aus Ihren persönlichen Exponaten?<br />

Tamm: Zu 100 Prozent. Ich kann mich nicht<br />

erinnern, dass irgen<strong>de</strong>twas Frem<strong>de</strong>s dazwischen<br />

ist. Ich erhalte aber auch von An<strong>de</strong>ren<br />

Exponate. Ungefähr wöchentlich erreichen<br />

uns Nachlässe. Die Angehörigen sind<br />

<strong>de</strong>r Ansicht, dass die Exponate hier am besten<br />

aufgehoben sind. Das ist auch für uns<br />

wichtig: bewahren und erhalten. Wir erben<br />

diese in <strong>de</strong>r Erwartung, dass wir sie gut behan<strong>de</strong>ln<br />

und erhalten. Dass sie nicht irgendwann<br />

zum Han<strong>de</strong>lsobjekt <strong>de</strong>gradiert o<strong>de</strong>r<br />

sogar entsorgt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ungefähr 50 Prozent unseres Hauses befin<strong>de</strong>n<br />

sich in unserem Lager – allerdings<br />

so dargestellt, dass die Exponate vorzeigbar<br />

sind. Wenn wir diese mit ausstellen wür<strong>de</strong>n,<br />

wür<strong>de</strong>n die Ausstellungsräume nicht<br />

ausreichend Platz bieten. Manchmal „beschweren“<br />

sich Besucher über <strong>de</strong>n Umfang<br />

<strong>de</strong>r Sammlung und darüber, dass sie viele<br />

Stun<strong>de</strong>n Zeit benötigen, um sich alle Exponate<br />

anzusehen. Wenn wir die Exponate<br />

aus unserem Lager noch hinzu stellen wür<strong>de</strong>n,<br />

wür<strong>de</strong> sich die benötigte Zeit für <strong>de</strong>n<br />

Betrachter verdoppeln. Wir tauschen aber<br />

auch aus. Des Weiteren haben wir eine Bibliothek,<br />

fast eine Millionen Fotos, 60.000<br />

Originalbaupläne und unzählige Speisekarten.<br />

Es gibt zahlreiche Themen, die mit<br />

<strong>de</strong>r Schifffahrt direkt o<strong>de</strong>r indirekt in Verbindung<br />

stehen. Das zu erhalten, ist unsere<br />

Aufgabe, aber wir benötigen Platz. Ein Problem<br />

hat mich mein Leben lang begleitet: ein<br />

Mangel an Quadratmetern.<br />

Claas Störtebeker Denkmal<br />

in <strong>de</strong>r Hafencitiy<br />

Hamburg<br />

40.000 Schiffsmo<strong>de</strong>lle<br />

im Maßstab 1:1250 auf<br />

Deck 9<br />

<strong>Homeland</strong>: Hatte das einen Einfluss auf die<br />

Zuteilung <strong>de</strong>r Straßennamen? Das Museum<br />

befin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Koreastraße, umliegen<strong>de</strong><br />

Straßen heißen z. B. Shanghaiallee o<strong>de</strong>r<br />

Hongkongstraße.<br />

<strong>Homeland</strong>: Wie kam es dazu, dass Sie<br />

das Museum an diesem Standort realisiert<br />

haben?<br />

Tamm: Das ist <strong>de</strong>r pure Zufall. Ich hatte die<br />

<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 63


Hostorie/Impressum<br />

Internationales Maritimes<br />

Museum Hamburg<br />

Sammlung fast immer bei mir zuhause, aber<br />

irgendwann wur<strong>de</strong> es mir zu eng. Und natürlich<br />

musste ich mir aufgrund meines Alters<br />

Gedanken machen, wie es weitergeht<br />

und wie meine Sammlung erhalten bleiben<br />

kann. Wir sind eine Stiftung, wir brauchen<br />

viel Platz und agieren als selbstständige<br />

Gesellschaft. Wir begaben uns auf die<br />

Suche. Der frühere Wirtschaftssenator Peiner<br />

war uns dabei sehr behilflich. Irgendwann<br />

kamen wir auf dieses Gebäu<strong>de</strong>, das<br />

<strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> nach in einem schrecklichen<br />

Zustand war: das Älteste in Hamburg, ca.<br />

130 Jahre alt und mitten im Wasser stehend.<br />

Wir ließen uns darauf ein und hatten das<br />

Glück, mit einer ungewöhnlichen Architektin<br />

und einem sehr guten Bauunternehmen<br />

zusammenzuarbeiten. Die Architektin hat<br />

drei große Treppenhäuser eingebaut, die<br />

bei einer Deckenhöhe <strong>de</strong>r Decks von 2,20 m<br />

Weite vermitteln. Nun kommt es darauf an,<br />

wie es weitergeht. Wir brauchen Besucher<br />

– in <strong>de</strong>r Bauphase in <strong>de</strong>r Speicherstadt ist<br />

eine Anreise zu uns aufgrund <strong>de</strong>r jetzigen<br />

eher schlechten Verkehrsverhältnisse sehr<br />

schwierig – und wir brauchen För<strong>de</strong>rer sowie<br />

Stifter, <strong>de</strong>nn wir wollen weiterhin unabhängig<br />

sein.<br />

<strong>Homeland</strong>: Was wünschen Sie sich für die<br />

Zukunft?<br />

Tamm: Ich wünsche mir mehr Platz, mehr<br />

Besucher und vor allem auch mehr Verständnis<br />

von einigen Behör<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Homeland</strong>: Und Sie persönlich, was wünschen<br />

Sie sich?<br />

Tamm: Ich hoffe, dass ich noch lange gesund<br />

bleiben darf und Spaß an unserem Museum<br />

habe. Das weiß man ja in meinem Alter<br />

nie so genau.<br />

<strong>Homeland</strong>: Professor Tamm, herzlichen<br />

Dank für das Gespräch.<br />

Impressum<br />

Chefredakteurin: Dr. Nadine Seumenicht<br />

Herausgeberin: Dr. Nadine Seumenicht<br />

Beirat<br />

Vernetzte Sicherheit: Harald Kujat, General a. D.;<br />

Vernetzter Einsatz: Dr.-Ing. Andreas Groth; Ralph. D.<br />

Thiele, Oberst i. G<br />

Internationales Redaktionsteam<br />

Ressort Vernetzte Sicherheit: Dr. Stefan Queisser,<br />

Fregattenkapitän d. R. .; Michael Hartung, Oberleutnant<br />

d. R.<br />

Ressort Zivil-Militärische Zusammenarbeit:<br />

Hauke Muck, Oberstleutnant d. R. ; Michael Zacher,<br />

Major d. R.<br />

Ressort IT-<strong>Security</strong>: Georg Wenner, EDS-CSO Germ.<br />

Gov. a. D. Jim Litchko, CISSP-ISSEP, MBCI, MAS<br />

Ressort Robotics Unstructured Environments: Prof.<br />

Dr.-Ing./Univ. Tokio Thomas Bock<br />

Ressort Internationale Kriminalwissenschaften:<br />

Robert F. J. Harnischmacher<br />

Ressort Ausbildung und Training für die Sicherheit<br />

in <strong>de</strong>r Wirtschaft: Klaus-Dieter Jörn; Robert F. J.<br />

Harnischmacher<br />

Ressort Canada: Prof. Dr. Darryl Plecas<br />

Ressort China: Prof. Dr. Gu Minkang<br />

Ressort Japan, Korea: Prof. Dr. Minoru Yokoyama;<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Haruo Nishihara; Prof. Dr.-Ing./<br />

Univ. Tokio Thomas Bock<br />

Ressort Mexiko: Walter M. McKay, M.A.<br />

Ressort Norwegen: Superinten<strong>de</strong>nt Prof. Rune Glomseth;<br />

Prof. Dr. Petter Gottschalk<br />

Ressort Österreich: Hofrat Mag. Maximilian<br />

E<strong>de</strong>lbacher<br />

Ressort Polen: Prof. Dr. Dr. h.c. Brunon Holyst<br />

Ressort Südafrika: Prof. Dr. Cornelis Roelofse<br />

Ressort USA: Prof. Dr. Dilip K. Das; Prof. Dr. Otwin Marenin;<br />

Prof. Dr. Linda Keena<br />

Hauptstadtbüro Berlin: Heike Barnitzke<br />

Ressort Geschichte: M. A. Volker Hollmann<br />

Ressort Politik: Dipl. Verw. Joachim Zacher<br />

Ressort Wissenschaft: Prof. Dr.-Ing. Michael Gerke,<br />

Dr. Nadine Seumenicht<br />

Design und Layout: Christian Prünte<br />

Verlag:<br />

HOMELAND SECURITY UG<br />

(haftungsbeschränkt)<br />

Deilinghofer Straße 2, D-58675 Hemer<br />

Tel.: 02372-9 35 26 10<br />

Fax: 02372-9 35 26 19<br />

redaktion@<strong>homeland</strong>-<strong>sec</strong>.<strong>de</strong><br />

<strong>www</strong>.<strong>homeland</strong>-<strong>sec</strong>.<strong>de</strong><br />

Einzelbezugspreis:<br />

10,- EURO (inkl. Versand)<br />

Jahresabonnement:<br />

36,- EURO (4 Ausgaben inkl. Versand)<br />

Der Aktion Deutschland Hilft e. V. kommt pro Abo 1,-<br />

EURO zugute.<br />

Auflage:<br />

16.000 Exemplare<br />

ISSN 1614-3523 (Print)<br />

ISSN 2194-4849 (Online)<br />

Bildnachweis:<br />

Titelbild: Bun<strong>de</strong>swehr/PIZ Marine Djibouti<br />

Allied Maritime Command Naples, Bun<strong>de</strong>swehr/Florian<br />

Pridöhl, Hauptgefreiter, Clarion Defence and <strong>Security</strong>,<br />

Control Risks, DGAP, DLR, Fre<strong>de</strong>rik Euskirchen, Freiwillige<br />

Feuerwehr Freising, Michael Hartung, <strong>Homeland</strong><br />

<strong>Security</strong>, Hügin, Internationales Maritimes Museum,<br />

Landkreis Sonneberg, Narda Safety Test Solutions, RO-<br />

YAL DANISH EMBASSY, Royal Danish Navy, Securitas,<br />

Senatspressestelle Bremen, szenaris, Maarten Takens,<br />

THW OV Dinslaken, VDR, VOMATEC International,<br />

WEW, Heinz Weiß, Michael Zapf<br />

Wir übernehmen keine Verantwortung für die Inhalte aller durch Angabe einer<br />

Linkadresse genannten Internetseiten. Dies gilt auch für alle Seiteninhalte, zu<br />

<strong>de</strong>nen Links o<strong>de</strong>r Banner weiterführen. Die Gastbeiträge stellen nicht unbedingt<br />

die Meinung <strong>de</strong>r Redaktion dar.<br />

64 | <strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong>


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<strong>Homeland</strong> <strong>Security</strong> <strong>2012</strong> | 65

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