WEST SIDE STORY DIE GANZE WELT IST ... - Theater Koblenz
WEST SIDE STORY DIE GANZE WELT IST ... - Theater Koblenz
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9<br />
Die ganze <strong>WELT</strong> ist BÜHNE<br />
Das träumt Jacques in WIE ES EUCH<br />
GEFÄLLT. Aber hinter der BÜHNE<br />
existiert auch eine ganz eigene<br />
<strong>WELT</strong>, die wir hier etappenweise<br />
vorstellen.<br />
Nachdem wir uns in der letzten<br />
Ausgabe mit einem Kaffee<br />
bei Moni in der Kantine gestärkt<br />
haben, wird es langsam<br />
Zeit, Richtung Bühne zu gehen,<br />
denn in einer Stunde beginnt<br />
die Abendvorstellung. Wir heften<br />
uns dafür an die Fersen des<br />
Inspizienten Thomas Gruber.<br />
Durch zwei schwere Brandschutztüren<br />
betreten wir mit<br />
ihm die Bühne, um erst einmal<br />
die Techniker und Beleuchter<br />
zu begrüßen, die mit den Vorbereitungen<br />
der Vorstellung unter<br />
Hochdruck arbeiten. Thomas<br />
nimmt unterdessen an seinem<br />
ca. einen Quadratmeter großen<br />
Arbeitsplatz auf der rechten<br />
Bühnenseite Platz. Wahrscheinlich<br />
der kleinste Arbeitsplatz<br />
des <strong>Theater</strong>s – und zugleich der<br />
größte, denn eigentlich umfasst<br />
er die ganze Bühne samt Ober-,<br />
Hinter- und Seitenbühne plus<br />
Beleuchtung und Tonanlage.<br />
Auch sämtliche Durchrufanlagen<br />
verzweigen sich von diesem<br />
Ort aus ins ganze Haus. Das Inspizientenpult<br />
selbst wollen wir<br />
uns heute mal ganz genau ansehen:<br />
ein Tisch, ein Drehstuhl,<br />
zwei Monitore, ein Mikrofon und<br />
gefühlte hundert Knöpfe. Wofür<br />
die wohl alle da sind? Und was<br />
macht denn so ein Inspizient<br />
überhaupt am Vorstellungsabend?<br />
Um das zu erfahren, folgen<br />
wir der Chronologie einer<br />
Vorstellung.<br />
18:30 – noch 60 Minuten bis Vorstellungsbeginn.<br />
Der Inspizient hat die<br />
Bühne begutachtet und nimmt<br />
am Inspizientenpult Platz.<br />
19:00 – noch 30 Minuten. Die Feuerwehr<br />
trifft ein und prüft den<br />
Eisernen Vorhang – die schwere<br />
fahrbare Brandschutzwand,<br />
die Bühne und Zuschauerraum<br />
voneinander trennt. Der Inspizient<br />
sagt die erste Zeitansage<br />
durch: „Noch 30 Minuten bis<br />
zum Beginn der Vorstellung.“<br />
19:15 – noch 15 Minuten. Zweite<br />
Zeitansage: „Noch 15 Minuten<br />
bis zum Beginn der Vorstellung.“<br />
Der Inspizient gibt ein<br />
Zeichen ins Vorderhaus, die<br />
Türen werden geöffnet und das<br />
Publikum darf Platz nehmen. Ist<br />
der Vorhang beim Einlass geöffnet,<br />
darf niemand mehr die<br />
Bühne betreten.<br />
19:20 – noch 10 Minuten. Erstes<br />
Klingelzeichen im Foyer – die<br />
Zuschauer wissen, dass die Vorstellung<br />
nun bald beginnt.<br />
19:25 – noch 5 Minuten. Zweites<br />
Klingelzeichen im Foyer für die<br />
Zuschauer. Gleichzeitig Einruf<br />
im gesamten Haus: „Noch 5 Minuten<br />
bis Vorstellungsbeginn.“<br />
Alle Beteiligten werden zur<br />
Bühne gebeten: Technik für den<br />
Vorhang, die Drehscheibe, fahrbare<br />
Züge und Umbauten, Ton<br />
und Licht an ihre Arbeitsplätze<br />
weit oberhalb des zweiten<br />
Rangs, die Feuerwehr und die<br />
Souffleuse nehmen ihre Plätze<br />
ein, und die Darsteller, die von<br />
Beginn an spielen, betreten die<br />
Bühne.<br />
19:27 – noch 3 Minuten. Drittes<br />
Klingelzeichen im Vorderhaus.<br />
Die Zuschauer nehmen nun alle<br />
ihre Plätze ein und das Einlasspersonal<br />
meldet per Lichtzeichen,<br />
wenn die Türen geschlossen<br />
sind.<br />
19:30 – Der Inspizient gibt dem Techniker<br />
ein Zeichen und der Vorhang wird<br />
geöffnet. Die Vorstellung beginnt,<br />
was per Durchsage im<br />
Haus bekannt gegeben wird.<br />
Vor dem Inspizienten liegt ein<br />
Textbuch, in dem sämtliche<br />
Lichtstimmungen, Toneinsätze,<br />
szenischen Verwandlungen,<br />
technische Umbauten, Einrufe<br />
für Schauspieler, Requisite,<br />
Technik, Maske, Garderobe für<br />
schnelle Umzüge etc., also alle<br />
Koordinaten für den Ablauf der<br />
Vorstellung, eingetragen sind.<br />
Per Durchruf und per Lichtzeichen<br />
mit den vielen Knöpfen an<br />
seinem Pult gibt er die Kommandos.<br />
Es können je nach<br />
Stück weit über hundert Eintragungen<br />
sein, die jeweils an<br />
bestimmte Stichwörter im Text<br />
gebunden sind und die während<br />
der Proben und der technischen<br />
Einrichtung kurz vor der Premiere<br />
festgelegt wurden.<br />
20:45 – Es ist Pause. Der Inspizient<br />
hat durch einen Techniker den<br />
Vorhang schließen lassen, das<br />
Saallicht geht an, das Publikum<br />
und die Darsteller genießen ihre<br />
Pause.<br />
21:00 – Der Inspizient ruft wieder durch<br />
Klingelzeichen und Durchsagen das<br />
Publikum und die auf der Bühne<br />
beschäftigten Kolleginnen und<br />
Kollegen zur Fortsetzung der<br />
Vorstellung zusammen.<br />
22:00 – Wieder hat sich der Vorhang<br />
geschlossen, die Vorstellung ist beendet,<br />
was der Inspizient per Durchsage<br />
verkündet. Nun wird noch<br />
der Vorstellungsbericht in Abstimmung<br />
mit der Abendspielleitung<br />
(die vertretend für die<br />
Regie die Vorstellung begleitet<br />
hat) geschrieben. Damit ist der<br />
abendliche Einsatz des Inspizienten<br />
beendet.<br />
Aber bevor Thomas Gruber nun<br />
nach Hause gehen darf, habe ich<br />
doch noch einmal eine persönliche<br />
Frage: Wie wird man eigentlich<br />
Inspizient? Das ist doch kein<br />
Ausbildungsberuf, oder? „Nein“,<br />
lacht er, „das stimmt. Ich bin<br />
über die Bühne zum Inspizientenpult<br />
gekommen. Ich war lange<br />
Zeit Sänger und Schauspieler<br />
und habe etliche Stücke selbst<br />
inszeniert. Ich kenne das <strong>Theater</strong><br />
und die Abläufe von der Pike<br />
auf. Mein Wunsch war es immer,<br />
am <strong>Theater</strong> zu bleiben, speziell<br />
am <strong>Koblenz</strong>er <strong>Theater</strong>, so dass<br />
ich gerne Inspizient wurde, als<br />
ich meine Karriere auf der Bühne<br />
beendete. Ich bin Österreicher,<br />
in München geboren und<br />
im <strong>Theater</strong> aufgewachsen. Mein<br />
Vater war Kammersänger an der<br />
Bayerischen Staatsoper, meine<br />
Mutter Balletttänzerin. Ich habe<br />
in München als Buffo begonnen,<br />
bin später nach Regensburg gegangen<br />
und dann nach <strong>Koblenz</strong>.<br />
Seit 19 Jahren lebe ich nun hier<br />
mit meiner Familie – ich habe<br />
zwei Söhne – und möchte eigentlich<br />
nicht mehr hier weg.“<br />
Dem kann ich mich nur anschließen<br />
– er soll auf jeden Fall<br />
hier bleiben, der Thomas Gruber,<br />
denn er ist nicht nur ein umsichtiger<br />
Inspizient, den nichts so<br />
schnell aus der Ruhe bringt und<br />
noch dazu engagierter Personalrat,<br />
sondern er ist obendrein ein<br />
überaus sympathischer Kollege.<br />
Juliane Wulfgramm