Lindner: UV Religion - Evangelische Religionspädagogik
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ihres Alters und ihres Wissensstandes nicht in der Lage. Jedes der schnell auftauchenden aktuellen<br />
Themen, wie etwa Bedrohung der Umwelt, Gentechnologie, Medienvielfalt, usw. fordert zu<br />
intensiver Auseinandersetzung heraus. <strong>Religion</strong>sunterricht hat sich dieser Herausforderung zu<br />
stellen und den Beitrag evangelischer Theologie, für die Schüler verständlich, einzubringen. Es<br />
genügt nicht, Orientierungspunkte christlicher Tradition, wie etwa das Liebesgebot als höchste<br />
Norm oder die Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein, weiterzugeben. Wenn diese einfach<br />
neben den Erfahrungen und Fragen der Schüler stehen bleiben, werden sie sprachlos. Ein RU, der<br />
Lebenshilfe sein will, hat hier die Aufgabe, Brücken zwischen Situation und Tradition zu bauen,<br />
und zusammen mit den Schülern nach Antworten zu suchen.<br />
In der Tradition der „evangelischen Unterweisung” verwurzelt ist die Aufgabe „...den Anruf Gottes<br />
in der christlichen Überlieferung gegenüber dem Menschen unserer Zeit auszusprechen.” Damit<br />
unterscheidet sich <strong>Religion</strong>sunterricht am deutlichsten von allen anderen Fächern, ja er scheint die<br />
Grenze des Schulunterrichts zu überschreiten. Das ist jedoch nicht der Fall. <strong>Religion</strong>sunterricht ist<br />
nämlich auch offen für das nicht Planbare, für das, was sich in der Begegnung mit diesen Texten<br />
ereignen kann. Begegnung mit dem Wort Gottes kann auch im <strong>Religion</strong>sunterricht geschehen.<br />
In den letzten Jahren ist, nicht ohne Grund, in der <strong>Religion</strong>spädagogik immer wieder von Erfahrung<br />
die Rede. Die Notwendigkeit der Verankerung von Orientierung und Information in der Lebensund<br />
Glaubenspraxis wird immer deutlicher erkannt, gerade auf dem Hintergrund religiöser<br />
Desozialisation. So kann z.B. über das Gebet als eine Möglichkeit religiöser Praxis christlichen<br />
Glaubens gesprochen und informiert werden. Dazu sollte Raum zum Ausüben und Praktizieren<br />
gegeben sein, auch wenn sich dabei Probleme ergeben können. 11<br />
Gerade an dieser Stelle ist jedoch die Eigenständigkeit, Freiheit und Würde des Schülers ernst zu<br />
nehmen. Pädagogischer Takt des Lehrers ist in höchstem Maße gefordert. <strong>Religion</strong>sunterricht ist<br />
nämlich ordentliches Unterrichtsfach in der „Schule für alle” und hat sich affirmativer Methoden zu<br />
enthalten. Er hat keinen missionarischen Auftrag. 12<br />
Im „Auftrag des <strong>Religion</strong>sunterrichts” werden zweimal die Pole „Frage und Antwort” erwähnt. Der<br />
Lehrer hat sich zu bemühen, Antworten auf Fragen der Schüler zu finden, wie das die Situation der<br />
Schule erfordert. Doch darüber hinaus ist die Solidarität des Lehrers mit den Schülern<br />
angesprochen. Gemeinsames Fragen ist möglich, aber auch gemeinsame Ratlosigkeit. Das ist eine<br />
Besonderheit des RU. Er ist im Sinne des „Auftrags” ein außerordentlich vielseitiges und<br />
spannungsreiches Fach. Die Breite seiner Anforderungen entspricht aber auch der Fülle der<br />
Möglichkeiten in der Unterrichtsgestaltung.<br />
2.3 DIE VERANTWORTUNG DES RELIGIONSLEHRERS<br />
Im komplexen Geschehen des Unterrichts, auch des <strong>Religion</strong>sunterrichts, spielt der Lehrer eine<br />
entscheidende Rolle. Mit seiner Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung trägt er die wesentliche,<br />
nicht die alleinige, Verantwortung für einen gelingenden Unterricht. In diesem Zusammenhang<br />
seien deshalb einige notwendige Gedanken dazu skizziert.<br />
Der <strong>Religion</strong>slehrer steht in einem dichten, nicht immer widerspruchsfreien Geflecht von<br />
Beziehungen und wird von den verschiedensten Seiten beansprucht. Nach seinem dienstlichen<br />
Status ist er entweder dem Staat oder der Kirche zugeordnet, was etwa für seinen konkreten Einsatz<br />
(Stundenzahl) Konsequenzen hat. Die Schule als Institution, an der er tätig ist, fordert ihn zuerst als<br />
Lehrer – angefangen vom Unterricht bis hin zur Teilnahme an Verwaltungstätigkeiten. In diesem<br />
Rahmen ist er auch, je nach Status, der Schulaufsicht unterstellt und dem Lehrplan verpflichtet.<br />
Auch die Eltern haben Erwartungen an ihn, besonders jedoch die Schüler. Aus diesem Geflecht der<br />
Anforderungen und Erwartungen sind drei Aspekte besonders wichtig, weil sie sich bis in die<br />
konkreten Entscheidungen der Unterrichtsvorbereitung hinein auswirken: Die Verantwortung des<br />
Lehrers gegenüber seinen Schülern, gegenüber der Sache und gegenüber der Gemeinde/Kirche.<br />
2.3.1 Die Verantwortung gegenüber den Schülern wird exemplarisch sichtbar in der Forderung, die<br />
Individuallage, die Schülersituation gründlich zu bedenken. Jedes Modell der<br />
Unterrichtsvorbereitung schärft diese Aufgabe ein. Die Beschreibung des sogenannten<br />
„didaktischen Dreiecks” (Lehrer-Schüler-Unterrichtsgegenstand) 13 sieht den Schüler als<br />
konstitutives Element des Unterrichtsgeschehens. Er ist also nicht das Objekt unterrichtlicher<br />
Technik, sondern er ist auch in diesem komplexen Geschehen des Unterrichts eine zentrale,<br />
eigenständige Größe. Auch wenn dies im Blick auf die Situation in Grund- und Hauptschule<br />
anspruchsvoll klingen mag: der Schüler ist „Subjekt des eigenen Lernens, der ein Stück<br />
Mitverantwortung für das eigene Lernen trägt.” 14 Wenn K.E. Nipkow darauf abhebt, dass Kinder<br />
„was sie sehen und erfahren so verarbeiten wollen, dass es Sinn gibt” 15 , so wird die Eigenaktivität<br />
der Kinder und Heranwachsenden in diesem Bereich von Sinnsuche und Orientierung mit Recht<br />
hervorgehoben. Diese allgemeine pädagogische Erkenntnis bedeutet für den RU, dass die Schüler in<br />
ihrem So-sein in ihrer Altersstufe und mit ihrer jeweils eigenen Lebensgeschichte, mit ihrem<br />
Verhalten in der Gruppe als Person zu achten sind. Vielleicht ist es gut, sich daran zu erinnern, dass<br />
auch der Schüler Nächster des Lehrers im Sinne von Mk 12.30f ist.<br />
An zwei Bereichen sei hier die Verantwortung des <strong>Religion</strong>slehrers kurz angedeutet.<br />
Zu einem besteht sie darin, den Unterricht so zu gestalten, dass die Schüler in ihm zu Wort kommen<br />
und dass sie die Möglichkeit haben, auch einen eigenständigen Weg des Denkens und des Glaubens<br />
zu gehen. Der <strong>Religion</strong>slehrer kann und soll seine eigene Position nicht verleugnen. Die Schüler<br />
erwarten Ehrlichkeit von ihm, aber sie haben auch die Freiheit zu fragen, anders zu denken und<br />
Nein zu sagen. Wichtig ist dabei, dass gerade etwa in der Pubertät, wo das Nein, die Ablehnung,<br />
dominiert, von Gruppe und Gesellschaft nicht selten unterstützt, der Lehrer seine bleibende<br />
Gesprächsbereitschaft aufrechterhält.<br />
Als zweites Beispiel sei die Planung des Unterrichts genannt, die schülerorientiert angelegt sein<br />
soll. Dazu gehört ganz sicher auch das Eingehen auch auf aktuelle Probleme und Nöte der Schüler.<br />
11<br />
12<br />
In neueren Unterrichtsentwürfen für den RU wird immer wieder das Beten gleichsam als Probehandeln eingeführt,<br />
etwa „Am Abend dankte Bartimäus Gott für seine Heilung – schreib das Gebet auf.”<br />
Vgl. H.Schmidt, <strong>Religion</strong>sdidaktik Bd.1 (Stuttgart 1982), S.153ff.<br />
11<br />
13<br />
14<br />
15<br />
12<br />
H.Glöckel, Unterricht in der Spannung zwischen Sachanspruch, Schülergemäßheit und pädagogischem Auftrag, in:<br />
H.K.Beckmann/W.L.Fischer (Hg.), Herausforderung der Didaktik (Bad Heilbrunn 1990), S.33ff.; folgend zitiert als:<br />
Glöckel, Unterricht in Spannung.<br />
A.a.O. S.35<br />
K.E.Nipkow, Grundfragen der <strong>Religion</strong>spädagogik Bd.III (Gütersloh 1982), S.57