Arbeitsgemeinschaft zum Staatsrecht II - Grundrechte
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Universität zu Köln <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>Grundrechte</strong> WS 2008/09<br />
Lösungsskizze zu Fall 7<br />
Vorüberlegungen<br />
- In Betracht kommende <strong>Grundrechte</strong>:<br />
● Art. 12 GG<br />
● Art. 14 GG<br />
→ Grobunterteilung:<br />
● Art. 12 GG schützt das Erwerben<br />
(den Erwerbungsvorgang)<br />
● Art. 14 GG schützt das bereits Erworbene<br />
- Allgemeine Problematik bei Art. 12 GG:<br />
▪ Besondere Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung:<br />
die vom BVerfG entwickelte sog. Drei-Stufen-Lehre.<br />
▪ Letztlich v.a. ein Aufbauproblem: Wo spricht man dies am besten<br />
an?<br />
▪ Außerdem: Drei-Stufen-Lehre nur als Konkretisierung der allgemeinen<br />
Verhältnismäßigkeitsprüfung; deshalb verbietet sich<br />
eine schematische Übernahme. Stattdessen ist zu fragen, ob es<br />
einzelfallbezogene Gründe gibt, vom Schema abzuweichen.
Universität zu Köln <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>Grundrechte</strong> WS 2008/09<br />
Gutachten<br />
Aufgabe 1:<br />
(vgl. zur Problematik BVerfGE 11, 30ff.; 103, 172ff.)<br />
Obersatz: Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig<br />
und begründet ist.<br />
A. Zulässigkeit<br />
I. Antragsberechtigung § 90 I BVerfGG (+)<br />
→ S ist als natürliche Person grundrechtsfähig<br />
<strong>II</strong>. Beschwerdegegenstand Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BverfGG<br />
▪ jede Maßnahme der öffentlichen Gewalt<br />
→ Hier: versagender Verwaltungsakt und letztinstanzliches Urteil<br />
<strong>II</strong>I. Beschwerdebefugnis<br />
→ Hier: Art. 12 Abs. 1 GG (selbst, gegenwärtig und unmittelbar) (+)<br />
IV. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität (+)<br />
V. Form und Frist §§ 23 Abs.1 S.1, 93 Abs. 1 BVerfGG<br />
VI. Zwischenergebnis<br />
→ Beschwerde zulässig
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B. Begründetheit<br />
Obersatz: Die Beschwerde ist begründet, wenn S durch die Verweigerung<br />
der Zulassung in seinen <strong>Grundrechte</strong>n verletzt ist.<br />
Prüfungsmaßstab: Einhaltung von Verfassungsrecht, d.h. Überprüfung<br />
auf Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.<br />
Keine Überprüfung der Auslegung und Anwendung<br />
des einfachen Rechts, mit der Grenze der möglichen<br />
Missachtung von <strong>Grundrechte</strong>n und anderem Verfassungsrecht,<br />
etwa Mindestanforderungen des rechtsstaatlichen<br />
Verfahrens.<br />
I. Schutzbereich<br />
● Berufsfreiheit, 12 I GG.<br />
→ Beruf: auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung<br />
einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit, (die nicht<br />
schlechthin gemeinschädlich ist).<br />
→ Einheitliches Grundrecht, das sowohl Berufsausübung wie<br />
Berufswahl umfasst.<br />
→ Weite Auslegung: Kassenarzttätigkeit hiervon geschützt,<br />
daher Schutzbereich (+)<br />
<strong>II</strong>.<br />
Eingriff<br />
● Besonderheit bei Art. 12 GG: Erfordernis der berufsregelnden<br />
Tendenz des staatlichen Handelns<br />
→ Hier: zielgerichtete Beschränkung der Berufsfreiheit,<br />
daher Eingriff (+)<br />
Anm.: Es ist möglich, bereits hier i.S.d. Stufenlehre nach der Eingriffsart<br />
zu differenzieren: Einschränkung von Berufsausübung oder subjektive<br />
oder objektive Berufswahleinschränkung?, Aber nicht erforderlich, sofern<br />
Einheitlichkeit des Grundrechts betont, zur Differenzierung s.u.
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<strong>II</strong>I.<br />
Rechtfertigung<br />
● Konsequenz der Annahme des einheitlichen Grundrechts:<br />
→ Schrankenregelung gilt auch für Berufswahlfreiheit.<br />
→ Daher grds. sowohl bezgl. Berufswahl wie Berufsausübung<br />
möglich.<br />
● Gesetz muss formell und materiell verfassungsmäßig sein.<br />
→ Hier: keine Hinweise auf formelle Verfassungswidrigkeit.<br />
→ Im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeitsprüfung:<br />
→ untersuchen, ob Übermaßverbot<br />
(=Verhältnismäßigkeitsprinzip) eingehalten.<br />
Anm.: Auch an dieser Stelle kann bereits auf die Stufenlehre eingegangen<br />
werden – entweder direkt zu Beginn der Rechtsfertigungsprüfung<br />
oder i.R.d. Prüfung des legitimen Zwecks. Siehe auch den Exkurs unten.<br />
1. Legitimer Zweck der Regelung (+)<br />
→ Hier: Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens.<br />
2. Geeignetheit der Maßnahme?<br />
● Grds: Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers (resultierend<br />
aus Gewaltenteilungsprinzip), diese muss durch deutliche<br />
Hinweise widerlegt sein.<br />
→ Hier: keine solchen Hinweise; vielmehr davon auszugehen, dass<br />
Maßnahme zur Gewährleistung wirtschaftlich stabiler Verhältnisse<br />
tauglich. Daher Geeignetheit (+).<br />
3. Erforderlichkeit?<br />
● Milderes, gleich effektives Mittel gegeben?<br />
→ In diesem Rahmen erste Anwendung der sog. Drei-Stufen-<br />
Theorie des BVerfG (zuerst entwickelt im „Apothekenurteil“,<br />
BVerfGE 7, 377).
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→ Danach ist zu differenzieren nach der Art der geschützten Betätigung<br />
– Berufswahl oder Berufsausübung?<br />
→ Die Frage ist von Relevanz, weil das BVerfG grds. eine unterschiedliche<br />
Eingriffsintensität der Stufen annimmt; objektive<br />
Berufswahlbeschränkung schärfer als subjektive, diese strenger<br />
als bloße Beeinträchtigung der Berufsausübung.<br />
→ Daher ist ein Eingriff auf niedrigerer Stufe prinzipiell ein milderes<br />
Mittel.<br />
Problem: Ist Kassenarzttätigkeit ein eigenständiges Berufsbild oder<br />
bloße Modalität des Arztberufes?<br />
→ Damit ist ein allgemeines Problem i.R.d. Art. 12 GG angesprochen:<br />
Die Frage nach der Bestimmung typisierter Berufsbilder.<br />
Die Rspr. ist insoweit sehr uneinheitlich.<br />
→ Hier: Für die Eigenständigkeit (und damit eine Einschränkung<br />
der Berufswahl) spricht das wirtschaftliche Argument;<br />
eine rein privatärztliche Tätigkeit ist angesichts von über<br />
90% der Bevölkerung in gesetzlichen Krankenversicherungen<br />
wirtschaftlich riskant.<br />
Außerdem besteht eine Reihe von rechtlichen Vorschriften,<br />
die sich speziell an Kassenärzte richten.<br />
Dagegen spricht die prinzipielle Gleichartigkeit der Tätigkeit;<br />
die Abrechnungsformen erfassen den Kernbereich<br />
des ärztlichen Handelns nicht.<br />
→ Deshalb ist wohl eher eine bloße Modalität der Tätigkeit<br />
betroffen (BVerfG), insofern gibt es kein milderes Mittel<br />
auf niedrigerer Stufe (Berufsausübungsregelung<br />
steht ja bereits auf der untersten der drei Stufen).<br />
● Auch ansonsten keine milderen, gleich wirksamen Maßnahmen zur<br />
Erreichung des Zweckes ersichtlich (z.B. Wirtschaftlichkeitsprüfung<br />
im Einzelfall). Erforderlichkeit daher (+).<br />
4. Aber Verhältnismäßigkeit i.e.S.?<br />
● Zweck der Maßnahme und ihre Auswirkungen auf das Grundrecht in<br />
angemessenem Verhältnis?
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→ Zur Konkretisierung dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung: zweite<br />
Anwendung der Drei-Stufen-Theorie des BVerfG.<br />
→ Differenzierend nach Eingriffsart und korrelierendem angemessenem<br />
Eingriffszweck.<br />
Anm.: Die Stufen müssen im einzelnen nicht zwingend ausführlich in der<br />
Fallbearbeitung dargestellt werden, ausreichend bzw. sogar geboten ist<br />
insofern ein unmittelbares Zugehen auf die einschlägige Stufe und die<br />
jeweiligen Rechtfertigungsanforderungen:<br />
1. bei Beschränkung von Berufsausübung:<br />
→ ausreichend, dass „Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit“, d.h. vernünftige<br />
Erwägungen des Allgemeinwohls, sie verlangen;<br />
2. bei subjektiver Beschränkung der Berufswahl:<br />
→ erforderlich, dass ansonsten Ausübung des Berufs „unmöglich<br />
oder unsachgemäß wäre“ oder Gefahren oder Schäden für die<br />
Allgemeinheit mit sich brächte;<br />
3. bei objektiver Beschränkung der Berufswahl:<br />
→ nur gerechtfertigt, wenn sie zur „Abwehr nachweisbarer oder<br />
höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend<br />
wichtiges Gemeinschaftsgut“ notwendig sind.<br />
→ Hier: Grds. Einschränkung nur der Berufsausübung. Demnach<br />
genügen vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls, die<br />
gegeben sind.<br />
▪ Aber keine formale, sondern materielle Betrachtungsweise:<br />
→ Die Regelung ist hier ein besonders intensiver Eingriff,<br />
der aufgrund seiner wirtschaftlichen Folgen die Ausübung<br />
des Arztberufes insgesamt gefährdet. Daher ist<br />
sie einer Einschränkung der Berufswahl <strong>zum</strong>indest in<br />
den Konsequenzen gleichzusetzen.<br />
▪ Insofern objektive oder subjektive Beschränkung?<br />
→ Subjektiv dann, wenn an Voraussetzungen in Person<br />
des Grundrechtsträgers geknüpft.
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5. Ergebnis:<br />
→ Hier (-), Bedürfnisklausel,<br />
diese typischerweise objektiv.<br />
→ Eingriffe in objektive Berufswahlfreiheit nur dann gerechtfertigt,<br />
wenn ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut<br />
nachweisbar gefährdet ist.<br />
→ Hier: Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens.<br />
Dies ist ein solches Gut. Daher auch Angemessenheit<br />
(+) (a.A. vertretbar).<br />
→ Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit gerechtfertigt.<br />
Beschwerde damit unbegründet.<br />
C. Gesamtergebnis<br />
→ Beschwerde zulässig, aber unbegründet.<br />
Aufgabe 2:<br />
Verfassungskonformität des Gesetzes in Hinblick auf Art. 14 GG:<br />
A. Schutzbereich<br />
● Art. 14 GG ist ein normgeprägtes Grundrecht<br />
→ Schutz der Handlungsfreiheit im vermögensrechtlichen Bereich<br />
▪ Geschützt werden alle privatrechtlichen Vermögenswerte und<br />
Güter, nicht aber das Vermögen im Ganzen.<br />
▪ Erfasst ist auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten<br />
Gewerbebetrieb, soweit es um dessen Bestand geht.<br />
▪ Künftiger Erwerb ist hingegen durch Art. 12 GG geschützt.<br />
▪ Vermögenswerte subjektive öffentliche Leistungen sind erfasst,<br />
wenn auf Eigenleistung beruhend (daher Rente umfasst, Sozialhilfe<br />
nicht).
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→ Hier: Kassenarztzulassung ist an persönliche Voraussetzungen geknüpft,<br />
damit keine Übertragbarkeit.<br />
B. Ergebnis<br />
Daher nicht vom Schutzbereich des Art. 14 GG umfasst.<br />
Damit auch kein Schutz der Vererbbarkeit.<br />
→ Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in Hinblick auf Art. 14 GG (+)<br />
Exkurs: Alternativer Aufbau der Verhältnismäßigkeitsprüfung:<br />
(0. Einstieg: Erläuterung des weiteren Vorgehens, Drei-Stufen-Lehre<br />
als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – kann<br />
auch weggelassen werden)<br />
1. Legitimer Zweck<br />
An dieser Stelle Darstellung der verschiedenen Stufen mit Gegenüberstellung<br />
der korrespondierenden Eingriffszwecke. Festlegung der<br />
Eingriffsstufe.<br />
2. Geeignetheit<br />
Wie oben, aber unter Bezugnahme auf den konkreten Zweck.<br />
3. Erforderlichkeit<br />
Wie oben, aber natürlich keine erneute Prüfung der Eingriffsart erforderlich;<br />
Subsumtion unter die bereits erfolgte Prüfung.<br />
4. Angemessenheit<br />
Wie oben.
Universität zu Köln <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>Grundrechte</strong> WS 2008/09<br />
Zur Vertiefung und Widerholung<br />
Lesen:<br />
- BVerfGE 7, 377 ff.<br />
- Beaucamp, Vertragsärztliche Zulassung und Berufsfreiheit, JA 2003<br />
51 ff.<br />
Fragen zu Fall 2 und 3:<br />
Was ist eine Versammlung unter freiem Himmel im Sinne von Art. 8 <strong>II</strong> GG?<br />
1. Eine Versammlung, die ohne bestimmten Zugang nach allen Seiten<br />
offen ist.<br />
2. Eine Versammlung, die ohne Überdachung auskommt.<br />
3. Nur eine Versammlung, die als Umzug stattfindet (Demonstrationen).<br />
Bei welchen der folgenden Versammlungen ist umstritten, ob sie unter den<br />
Schutzbereich des Art. 8 I GG fallen?<br />
1. Demonstrationen von bewaffneten Neonazis, auf denen es zu kriminellen<br />
Handlungen (Volksverhetzung u.ä.) kommt, weil zwar einerseits<br />
ein gemeinsamer Versammlungszweck vorliegt, dieser aber andererseits<br />
illegal ist.<br />
2. Unterhaltende Veranstaltungen (Volksfeste, Musikparaden), weil es<br />
ihnen am qualifizierten Versammlungszweck fehlt.<br />
3. Spontanversammlungen, weil insofern umstritten ist, ob der Gesetzgeber<br />
an dem Anmeldeerfordernis festhalten kann.<br />
Wie definiert man den Beruf im Sinne von Art. 12 I, <strong>II</strong> GG?<br />
1. Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung oder<br />
Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.<br />
2. Beruf ist jede Tätigkeit, die dauerhaft dem Lebensunterhalt dient.<br />
3. Beruf ist gewerbliches Handeln, das nicht nur als Teilzeitbeschäftigung<br />
ausgeübt wird und der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage<br />
dient.<br />
Ist die Erlaubtheit der beruflichen Tätigkeit ein notwendiger Bestandteil des<br />
verfassungsrechtlichen Berufsbegriffs?<br />
1. Nein, sonst könnte durch einfaches Gesetz der Schutzbereich eingeschränkt<br />
werden.<br />
2. Ja, jedenfalls offensichtlich gemeinschädliche bzw. verfassungsrechtlichen<br />
Prinzipien widersprechende Tätigkeiten genießen keinen<br />
grundrechtlichen Schutz.<br />
3. Nein, grundsätzlich ist der Schutzbereich weit zu ziehen und erfasst<br />
auch Grenzbereiche; moralische Kriterien sind zur Einschränkung<br />
ebenso wenig geeignet wie einfachgesetzliche Bestimmungen.
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An welcher Stelle wird i.R.d. Grundrechtsprüfung die Dreistufenlehre relevant?<br />
1. Bei allen <strong>Grundrechte</strong>n; zunächst ist die Geeignetheit, dann die Erforderlichkeit<br />
und schließlich die Angemessenheit zu prüfen.<br />
2. Bei der Berufsfreiheit im Rahmen des Schutzbereichs.<br />
3. Bei der Berufsfreiheit im Rahmen der Erforderlichkeit und Angemessenheit.<br />
Was versteht man unter der Junktimklausel?<br />
1. Eingriffe in das Eigentum sind nur zulässig, wenn eine angemessene<br />
Entschädigung erfolgt.<br />
2. Enteignungen sind nur zulässig, wenn in der gesetzlichen Grundlage<br />
bereits die Entschädigung geregelt ist.<br />
3. Enteignungen sind nur gegen angemessene Entschädigung zulässig.