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Fall 7: Altersgrenze für Kassenärzte - Tappe-online.de

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GrundR AG 15.12.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 1<br />

<strong>Fall</strong> 7: <strong>Altersgrenze</strong> für Kassenärzte<br />

Arbeitsgemeinschaft Staatsrecht I (Grundrechte)<br />

Wintersemester 2006/07<br />

Mit <strong>de</strong>m Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

(Gesundheitsstrukturgesetz), in Kraft getreten am 1. 1. 2003, hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber<br />

das SGB V geän<strong>de</strong>rt. Ab <strong>de</strong>m 1. 1. 2009 verlieren Ärzte nun ihre kassenärztliche Zulassung mit<br />

Vollendung <strong>de</strong>s 68. Lebensjahres. Sie büßen damit im Alter <strong>de</strong>n größten Teil ihrer Patienten<br />

ein, weil sie auf eine Behandlung von Personen beschränkt sind, die nicht gesetzlich krankenversichert<br />

sind. Ausgenommen von <strong>de</strong>r Regelung sind nur solche Ärzte, die bei Vollendung<br />

<strong>de</strong>s 68. Lebensjahres noch nicht 20 Jahre lang Kassenärzte sind.<br />

Der Gesetzgeber hat das Gesetz damit begrün<strong>de</strong>t, dass die Zahl <strong>de</strong>r Kassenärzte zur Kostendämpfung<br />

im Gesundheitswesen verringert wer<strong>de</strong>n soll, ohne zugleich jüngeren Ärzten <strong>de</strong>n<br />

Eintritt in das Berufsleben zu erschweren. Zu<strong>de</strong>m soll die Gefahr von Kunstfehlern verringert<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Zahl – einer aktuellen Studie zufolge – bei älteren Ärzten erheblich über <strong>de</strong>n<br />

Durchschnitt liege<br />

A, geboren am 30. 6. 1941, ist seit 1988 nie<strong>de</strong>rgelassener Arzt in M. Seine Patienten sind zu ca.<br />

85 % Kassenpatienten. A fühlt sich aber noch voll fit und leistungsfähig genug, um <strong>de</strong>n Arztberuf<br />

auszuüben. Kunstfehler seien ihm höchstens als junger, unerfahrener Arzt passiert. A<br />

kommt am 28.12.2003 zu Ihnen als Rechtsanwalt und bittet Sie um einen Rat.<br />

Was kann A tun?<br />

Anmerkung: In Abweichung zu <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> am 15.12.2006 besprochenen <strong>Fall</strong> soll hier<br />

<strong>de</strong>r <strong>Fall</strong> aus „anwaltlicher Perspektive“ gelöst wer<strong>de</strong>n. Zu prüfen ist, welches Vorgehen <strong>de</strong>m A<br />

geraten wer<strong>de</strong>n kann; insoweit ist hier die Zulässigkeit und Begrün<strong>de</strong>theit einer Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

zu prüfen.


GrundR AG 15.12.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 2<br />

Lösungsskizze zu <strong>Fall</strong> 5: <strong>Altersgrenze</strong> für Kassenärzte *<br />

A könnte eine Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> erheben. Eine solche Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> hat Erfolg,<br />

wenn sie zulässig und begrün<strong>de</strong>t ist.<br />

A. Zulässigkeit<br />

I. Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichtsweg (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG)<br />

Der Verfassungsrechtsweg richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a<br />

BVerfGG.<br />

II. Beteiligtenfähigkeit (§ 90 Abs. 1 BVerfGG)<br />

A ist beteiligtenfähig, wenn er „je<strong>de</strong>rmann“ i.S.d. § 90 Abs. 1 BVerfGG ist. „Je<strong>de</strong>rmann“<br />

ist je<strong>de</strong>r Grundrechtsträger und damit zumin<strong>de</strong>st je<strong>de</strong> natürliche Person. A ist eine natürliche<br />

Person.<br />

III. Beschwer<strong>de</strong>gegenstand (§ 90 Abs. 1 BVerfGG)<br />

A müsste durch einen Akt <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt beschwert wor<strong>de</strong>n sein. Ein Akt <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Gewalt ist je<strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r Exekutive, Legislative o<strong>de</strong>r Judikative (vgl. Art. 1<br />

Abs. 3 GG). A wen<strong>de</strong>t sich gegen ein formelles Bun<strong>de</strong>sgesetz. Das ist ein Akt <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Gewalt.<br />

IV. Beschwer<strong>de</strong>befugnis (§ 90 Abs. 1 BVerfGG)<br />

A müsste gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG behaupten können, dass er in seinen Grundrechten<br />

verletzt wor<strong>de</strong>n ist. Das setzt die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung, sowie<br />

eine unmittelbare, gegenwärtige und eigene Beschwer <strong>de</strong>s A voraus.<br />

1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung<br />

Es besteht die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung bei A, wenn es zumin<strong>de</strong>st<br />

nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass A in seinen Grundrechten verletzt<br />

ist. Das Gesetz bezieht sich auf <strong>de</strong>n Ärzteberuf und verbietet eine kassenärztliche<br />

Betätigung für Ärzte ab 68 Jahre. A steht vor <strong>de</strong>m 68. Lebensjahr und seine berufliche<br />

Existenz hängt von <strong>de</strong>r kassenärztlichen Behandlungserlaubnis ab, da er<br />

85% Kassenpatienten behan<strong>de</strong>lt. Es erscheint zumin<strong>de</strong>st nicht ausgeschlossen,<br />

dass die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG)<br />

und <strong>de</strong>r allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt ist.<br />

2. Unmittelbare Beschwer<br />

Das Gesetz beschwert A unmittelbar, wenn kein weiterer Zwischenakt erfor<strong>de</strong>rlich<br />

ist. Als Zwischenakt käme höchstens ein Ordnungsgeld in Betracht, welches<br />

verhängt wür<strong>de</strong>, wenn A auch nach <strong>de</strong>m 68. Lebensjahr weiterhin als Kassenarzt<br />

praktiziert. Ein solches Ordnungsgeld, das gegenüber A verhängt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>,<br />

wäre aber auch Ausdruck eines Strafmakels. A ist es daher schlichtweg nicht zuzumuten,<br />

sich erst durch <strong>de</strong>n Staat bestrafen zu lassen. Es liegt eine unmittelbare<br />

Beschwer vor („self‐executing Norm“).<br />

* Dieser <strong>Fall</strong> wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Entscheidung BVerfG NJW 1998, 1776 nachgebil<strong>de</strong>t. Vgl. hierzu auch Wernsmann, NVwZ 2000,<br />

1360; BVerfGE 103, 172.


GrundR AG 15.12.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 3<br />

3. Eigene Beschwer<br />

Bei A liegt eine eigene Beschwer vor, wenn er selbst in seinen eigenen Grundrechten<br />

betroffen ist. Das ist <strong>de</strong>r <strong>Fall</strong>.<br />

4. Gegenwärtige Beschwer<br />

Eine gegenwärtige Beschwer liegt vor, wenn <strong>de</strong>r A schon beschwert ist o<strong>de</strong>r eine<br />

Beschwer unmittelbar bevor steht. Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Anhängigkeit <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

ist A erst 62 Jahre alt. Allerdings gehen erst 2009 Wirkungen<br />

vom GesStruktG aus. 2009 ist A 69 Jahre alt und als einer <strong>de</strong>r ersten unmittelbar<br />

von <strong>de</strong>m Gesetz betroffen. Zu beachten ist allerdings, dass das GesStruktG auch<br />

Wirkungen für die Zeiträume vor <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>r <strong>Altersgrenze</strong> entfaltet.<br />

Ärzte wie A müssen ihr Leben schon heute danach einrichten. Es ist daher berechtigt,<br />

auch bei einer Beschwer die rechtlich erst in 5 Jahren Eintritt, faktisch aber<br />

heute schon Wirkungen entfaltet, eine gegenwärtige Beschwer anzunehmen.<br />

V. Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 BVerfGG)<br />

Die Erschöpfung <strong>de</strong>s Rechtsweges setzt voraus, dass es überhaupt einen Rechtsweg<br />

gibt. Gegen Gesetze gibt es keinen Rechtsweg (arg. e § 93 Abs. 3 BVerfGG). Der Rechtsweg<br />

gilt als erschöpft.<br />

VI. Frist (§ 93 Abs. 3 BVerfGG)<br />

A hat die Frist gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG bei einer Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> eingehalten,<br />

wenn er sie binnen eines Jahres nach Inkrafttreten <strong>de</strong>s Gesetzes erhoben hat. Das<br />

Gesetz in am 1.1.2003 in Kraft getreten. Wenn A seine Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> noch<br />

bis zum 31.12.2003 einreicht, ist die Jahresfrist eingehalten.<br />

Zwischenergebnis: Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s A ist zulässig.


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Henning <strong>Tappe</strong> S. 4<br />

B. Begrün<strong>de</strong>theit<br />

Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> ist begrün<strong>de</strong>t, wenn das GesStruktG in Grundrechte o<strong>de</strong>r grundrechtsgleiche<br />

Rechte <strong>de</strong>s A eingreift und verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt wer<strong>de</strong>n<br />

kann. In Betracht kommt eine Verletzung <strong>de</strong>r Grundrechte <strong>de</strong>s A aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14<br />

Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG.<br />

I. Verletzung <strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 GG<br />

Das GesStruktG verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG, wenn es in <strong>de</strong>n Schutzbereich <strong>de</strong>s<br />

Art. 12 Abs. 1 GG eingreift, ohne dass dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt<br />

ist.<br />

1. Schutzbereich <strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 GG<br />

Das GesStruktG müsste eine Materie regeln, die in <strong>de</strong>n Schutzbereich <strong>de</strong>s Art. 12<br />

Abs. 1 GG fällt. Art 12 Abs. 1 GG wird als einheitliches Grundrecht verstan<strong>de</strong>n, das<br />

<strong>de</strong>n Beruf schützt. Beruf ist je<strong>de</strong> auf Dauer angelegte (erlaubte/nicht schlechthin<br />

gemeinschafts‐ o<strong>de</strong>r sozialschädliche 1 ) Tätigkeit, die <strong>de</strong>r Schaffung und Erhaltung<br />

einer Lebensgrundlage dient. A ist Arzt. Arzt ist ein Beruf. A kann sich als<br />

Deutscher auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen.<br />

2. Eingriff<br />

Das GesStruktG müsste weiterhin in <strong>de</strong>n Schutzbereich eingreifen. Das BVerfG hat<br />

für die Berufsfreiheit einen eigenständigen Eingriffsbegriff entwickelt: Ein Gesetz<br />

greift dann in die Berufsfreiheit ein, wenn es eine berufsregeln<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz hat.<br />

Das ist <strong>de</strong>r <strong>Fall</strong>, wenn <strong>de</strong>r Gesetzgeber subjektiv ein berufsregeln<strong>de</strong>s Gesetz schaffen<br />

wollte o<strong>de</strong>r wenn das Gesetz objektiv einen spezifischen Bezug auf einen Beruf<br />

bzw. auf Berufe hat.<br />

Das GesStruktG regelt eine <strong>Altersgrenze</strong> für Kassenärzte. Damit wird geregelt, dass<br />

Ärzte, die die <strong>Altersgrenze</strong> erreicht haben, nicht mehr als Kassenarzt tätig sein dürfen.<br />

Das ist eine berufsregeln<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz. Das GesStruktG greift in die Berufsfreiheit<br />

ein.<br />

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn das GesStruktG von <strong>de</strong>r<br />

Schranke in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG ge<strong>de</strong>ckt ist und das GesStruktG selbst verfassungsgemäß<br />

ist.<br />

a) Schranke Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG<br />

Das GesStruktG müsste ein Gesetz i.S.d. Schrankenvorbehalts <strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1<br />

S. 2 GG sein. Der Schrankenvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG ermächtigt dazu,<br />

die Berufsausübung durch Gesetz o<strong>de</strong>r aufgrund eines Gesetzes zu regeln. Dem<br />

Wortlaut nach han<strong>de</strong>lt es sich hierbei nicht um einen Eingriffsvorbehalt, son<strong>de</strong>rn<br />

um einen Regelungsvorbehalt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gesetzgeber lediglich ermächtigt,<br />

1 Streitig, für ein solches Erfor<strong>de</strong>rnis etwa BVerwGE 87, 37 [40 f.], dagegen etwa Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 7,<br />

mit <strong>de</strong>m – wohl überzeugen<strong>de</strong>n – Argument, dass dies bereits zu einer Beschränkung <strong>de</strong>s Schutzbereiches durch einfache<br />

Gesetze führen wür<strong>de</strong>. Vgl. zuletzt BVerfG v. 5. 12. 2006: „Einer […] die Merkmale <strong>de</strong>s Berufsbegriffs grundsätzlich erfüllen<strong>de</strong>n<br />

Tätigkeit ist <strong>de</strong>r Schutz durch das Grundrecht <strong>de</strong>r Berufsfreiheit nicht schon dann versagt, wenn das einfache<br />

Recht die gewerbliche Ausübung dieser Tätigkeit verbietet. Vielmehr kommt eine Begrenzung <strong>de</strong>s Schutzbereichs von<br />

Art. 12 Abs. 1 GG in <strong>de</strong>m Sinne, dass <strong>de</strong>ssen Gewährleistung von vornherein nur erlaubte Tätigkeiten umfasst, allenfalls<br />

hinsichtlich solcher Tätigkeiten in Betracht, die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie auf Grund<br />

ihrer Sozial‐ und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht <strong>de</strong>r Berufsfreiheit teilhaben<br />

können.“


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Henning <strong>Tappe</strong> S. 5<br />

dass Grundrecht näher auszugestalten. Durch das GesStruktG wird nicht nur <strong>de</strong>r<br />

Ärzteberuf ausgestaltet, son<strong>de</strong>rn die Ausübung <strong>de</strong>s Ärzteberufs im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Kassentätigkeit für ältere Ärzte untersagt. Nach <strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>s Art. 12<br />

Abs. 1 S. 2 GG fällt das GesStruktG nicht mehr unter <strong>de</strong>n Schrankenvorbehalt.<br />

Das BVerfG liest Art. 12 Abs. 1 GG allerdings an<strong>de</strong>rs: Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG ist<br />

ebenfalls ein Eingriffsvorbehalt, weil dieser aufgrund <strong>de</strong>s weiten Schutzbereiches<br />

zwecks Kollisionsvermeidung erfor<strong>de</strong>rlich ist. Zu<strong>de</strong>m fällt auch die Berufswahl<br />

unter Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, weil eine scharfe Trennung zwischen<br />

Ausübung und Wahl meist schwierig ist, da die Berufsausübung i.d.R. die wie<strong>de</strong>rholte<br />

Bestätigung <strong>de</strong>r Berufswahl ist. Das GesStruktG ist damit ein Gesetz<br />

i.S.d. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG.<br />

b) Schranken‐Schranken<br />

Der Eingriff in die Berufsfreiheit durch das GesStruktG ist nur gerechtfertigt,<br />

wenn das Gesetz formell und materiell mit <strong>de</strong>n GG übereinstimmt.<br />

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Das GesStruktG ist formell verfassungsgemäß, wenn <strong>de</strong>r Bund die Gesetzgebungskompetenz<br />

hatte und nicht gegen die in Art. 76 ff. GG normierten Verfahrensvorschriften<br />

verstoßen wur<strong>de</strong>.<br />

(1) Kompetenz<br />

Der Bund müsste die Gesetzgebungskompetenz haben. Grundsätzlich haben<br />

die Län<strong>de</strong>r gemäß Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz,<br />

soweit das GG nichts an<strong>de</strong>res regelt, Art. 70 Abs. 2 GG.<br />

In Betracht kommt zunächst Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Demnach hat <strong>de</strong>r<br />

Bund die Kompetenz die Sozialversicherung zu regeln. Die Krankenkassen<br />

gehören zum Krankenversicherungs‐ und damit zum Sozialversicherungsrecht.<br />

Insoweit fällt das GesStruktG unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.<br />

Weiterhin gehört nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG auch das Recht <strong>de</strong>r Zulassung<br />

zu ärztlichen Berufen zur die konkurrieren<strong>de</strong> Gesetzgebung. Insoweit<br />

das GesStruktG diese Zulassung regelt, fällt es unter Art. 74 Abs. 1<br />

Nr. 19 GG. Art. 72 Abs. 2 GG steht nicht entgegen (Nrn. 12 und 19 sind<br />

nicht aufgeführt); <strong>de</strong>r Bund war zuständig.<br />

Es ist durchaus zulässig, dass <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber bei einer Regelung<br />

mehrere Kompetenztitel in Anspruch nimmt.<br />

(2) Verfahren<br />

Das Gesetz ist in einem verfassungsgemäßen Verfahren zustan<strong>de</strong> gekommen.<br />

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Das GesStruktG müsste materiell verfassungsgemäß sein.<br />

(1) Zitiergebot<br />

Das GesStruktG könnte gegen das Zitiergebot aus Art 19 Abs. 1 S. 2 GG<br />

verstoßen. Soweit durch Gesetz o<strong>de</strong>r aufgrund eines Gesetzes ein Grundrecht<br />

eingeschränkt wird, muss dieses Gesetz die Einschränkung <strong>de</strong>s Artikels<br />

nennen. Dem Wortlaut ermächtigt Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nicht dazu,


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die Berufsfreiheit einzuschränken, son<strong>de</strong>rn ermächtigt lediglich zur Ausgestaltung<br />

<strong>de</strong>rselben. Nach <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s BVerfG ermächtigt Art. 12<br />

Abs. 1 S. 2 GG jedoch auch zu Eingriffen in die Berufsfreiheit. Im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG ist das BVerfG allerdings großzügiger: Art. 12<br />

Abs. 1 S. 2 GG ist trotz an<strong>de</strong>rweitiger Auslegung kein Vorbehalt i. S. d.<br />

Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Der Einhaltung <strong>de</strong>s Zitiergebotes bedarf es nicht.<br />

(2) Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprüfung)<br />

Das GesStruktG müsste ein geeignetes, erfor<strong>de</strong>rliches und angemessenes<br />

Mittel zur Erreichung <strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>m GesStruktG befolgten Zwecks sein.<br />

(a) Zweck <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Der Zweck <strong>de</strong>s GesStruktG ist im Wege <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

zu ermitteln.<br />

Laut Gesetzesbegründung soll mit <strong>de</strong>m GesStruktG die Zahl <strong>de</strong>r zugelassenen<br />

Kassenärzte reduziert wer<strong>de</strong>n. Eine Reduzierung <strong>de</strong>r<br />

Kassenärzte soll bezwecken, dass die Kosten im Gesundheitswesen<br />

gedämpft wer<strong>de</strong>n. Zu<strong>de</strong>m sollen die Gefährdungen, die von älteren,<br />

nicht mehr voll leistungsfähigen Berufstätigen ausgehen, einzudämmen.<br />

Die Tätigkeit als Kassenarzt stellt hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an die<br />

volle körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Es entspricht <strong>de</strong>r<br />

Lebenserfahrung, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit<br />

auch heute noch im zunehmen<strong>de</strong>n Alter größer wird.<br />

Die gesetzlich Krankenversicherten haben an<strong>de</strong>rs als Privatversicherte<br />

aufgrund <strong>de</strong>s Sachleistungsprinzips nur Anspruch auf Behandlung<br />

durch einen Vertragsarzt. Das Gesetz bezweckt <strong>de</strong>mnach auch<br />

<strong>de</strong>n Gesundheitsschutz.<br />

Das GesStruktG verfolgt zum einen <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s Gesundheitsschutzes<br />

und zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>r Kostendämpfung.<br />

Das BVerfG hat im Originalurteil dahinstehen lassen, ob aus Grün<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Kostendämpfung ein solcher Grundrechtseingriff gerechtfertigt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Es hat lediglich <strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s Gesundheitsschutzes<br />

geprüft.<br />

(b) Geeignetheit<br />

(aa) Das GesStruktG ist geeignet, wenn es <strong>de</strong>n Gesundheitsschutz<br />

zumin<strong>de</strong>st för<strong>de</strong>rt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass <strong>de</strong>m Gesetzgeber<br />

insoweit eine Einschätzungsprärogative zugebilligt<br />

wird. Das GesStruktG ist nicht gänzlich ungeeignet, <strong>de</strong>n Gesundheitsschutz<br />

zu för<strong>de</strong>rn. Der Gesetzgeber darf insoweit auch auf<br />

wissenschaftliche Studien vertrauen. Das Gesetz ist zur Erreichung<br />

dieses Zwecks geeignet.<br />

<br />

Gegen die Geeignetheit <strong>de</strong>s GesStruktG könnte sprechen, dass auch<br />

jüngere Ärzte Kunstfehler machen. Zu<strong>de</strong>m könnte man noch erörtern,<br />

dass <strong>de</strong>r Zweck <strong>de</strong>r Gesundheitsschutzes nur dann gewährleistet ist,<br />

wenn alle Ärzte (also auch welche ohne Kassenzulassung) eine Gefahr<br />

für die Gesundheit sein können, wenn sie in ihrer Leistungsfähigkeit<br />

beschränkt sind. Im Ergebnis ist wohl <strong>de</strong>nnoch die Geeignetheit aufgrund<br />

<strong>de</strong>r Einschätzungsprärogative <strong>de</strong>s Gesetzgebers zu bejahen.


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(bb) Weiterhin könnte das GesStruktG auch dazu geeignet sein, die<br />

Kosten im Gesundheitswesen zu reduzieren, ohne das jüngere<br />

Ärzte belastet wer<strong>de</strong>n. Durch eine geringere Zahl an Kassenärzten<br />

wer<strong>de</strong>n die fixen Kosten <strong>de</strong>r Krankenkassen verringert. Im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Einschätzungsprärogative erscheint das Gesetz als<br />

geeignet.<br />

Allein das ist zumin<strong>de</strong>st für Laien zweifelhaft. Jedoch kann man<br />

hier auf die Einschätzungsprärogative <strong>de</strong>s Gesetzgebers abstellen.<br />

(c) Erfor<strong>de</strong>rlichkeit<br />

Das GesStruktG ist zum Zwecke <strong>de</strong>s Gesundheitsschutzes bzw. <strong>de</strong>r<br />

Kostendämpfung erfor<strong>de</strong>rlich, wenn es das mil<strong>de</strong>ste unter gleichwirksamen<br />

Mitteln ist. Zur Konkretisierung und Strukturierung <strong>de</strong>r<br />

Prüfung <strong>de</strong>s Übermaßverbotes hat das BVerfG die sog. Drei‐Stufen‐<br />

Theorie entwickelt. Der Maßstab <strong>de</strong>r Erfor<strong>de</strong>rlichkeit und <strong>de</strong>r Angemessenheit<br />

ist Abhängig davon, in welcher Stufe <strong>de</strong>r Eingriff in die<br />

Berufsfreiheit zu verorten ist.<br />

• Die erste Stufe umfasst die Berufsausübungsregeln. Dabei geht<br />

es um die Art und Weise, wie <strong>de</strong>r Beruf ausgeübt wird.<br />

• Die zweite Stufe umfasst subjektive Berufswahlregelungen.<br />

Dabei geht es um <strong>de</strong>n Zugang zu einem Beruf, wobei <strong>de</strong>r Anknüpfungspunkt<br />

in <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Bewerbers liegt.<br />

• Die dritte Stufe umfasst objektive Berufswahlregelungen. Gemeint<br />

ist ebenfalls <strong>de</strong>r Zugang zu einem Beruf, wobei Anknüpfungspunkt<br />

ein objektives Kriterium ist, auf das <strong>de</strong>r Bewerber<br />

keinen Einfluss hat.<br />

Für die Frage <strong>de</strong>r Erfor<strong>de</strong>rlichkeit ist grundsätzlich entschei<strong>de</strong>nd, in welcher<br />

Stufe <strong>de</strong>r Eingriff zu verorten ist. Ist eine mil<strong>de</strong>re Stufe möglich,<br />

spricht ein Indiz dafür, dass es sich bei <strong>de</strong>r Regelung nicht um das mil<strong>de</strong>ste<br />

Mittel han<strong>de</strong>lte.<br />

Einordnung <strong>de</strong>s GesStruktG im Rahmen <strong>de</strong>r Drei‐Stufen‐Theorie<br />

1 (Berufsuntersagung = Berufswahl?)<br />

Das GesStruktG regelt nicht die Berufswahl, son<strong>de</strong>rn untersagt die Ausübung<br />

ab einer <strong>Altersgrenze</strong>. Sieht man Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG allerdings<br />

als ein einheitliches Grundrecht an, entpuppt sich die Berufsausübung<br />

als die ständige wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong> Berufswahl. Eine Berufsuntersagung<br />

ist somit im Bereich <strong>de</strong>r Berufswahl zu verorten.<br />

2 (Kassenarzt = Beruf?) Der Berufstypus als Abgrenzungskriterium<br />

Ein Verbot weiterer kassenärztlicher Tätigkeit kann nur eine Berufswahlregelung<br />

sein, wenn <strong>de</strong>r Kassenarzt als solches ein eigenständi‐


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Henning <strong>Tappe</strong> S. 8<br />

ger Beruf ist. Kassenärzte unterschei<strong>de</strong>n sich von Nicht‐Kassenärzten<br />

dadurch, dass lediglich Kassenärzte mit <strong>de</strong>n Krankenversicherungen abrechnen<br />

können. Inhaltlich han<strong>de</strong>lt es sich um dieselbe Tätigkeit. Das<br />

BVerfG nimmt <strong>de</strong>shalb keinen eigenen Berufstypus Kassenarzt an.<br />

Folglich han<strong>de</strong>lt es sich lediglich um eine Berufsausübungsregelung<br />

(= erste Stufe).<br />

3 (Korrektur <strong>de</strong>r sog. Drei‐Stufen‐Theorie)<br />

Die Einordnung nach <strong>de</strong>r Drei‐Stufen‐Theorie wird allerdings dann nicht<br />

aufrechterhalten, wenn ein Eingriff in eine mil<strong>de</strong>re Stufe <strong>de</strong>n Bürger genauso<br />

hart belastet wie ein Eingriff in einer höheren Stufe.<br />

Die Auswirkungen kommen jedoch wegen <strong>de</strong>r Möglichkeit, ärztlich tätig<br />

zu sein, im Hinblick auf die hohe Zahl <strong>de</strong>r Kassenpatienten eine Beschränkung<br />

<strong>de</strong>r Berufswahlfreiheit gleich.<br />

<strong>Fall</strong>s es sich bei <strong>de</strong>m Kriterium <strong>de</strong>r <strong>Altersgrenze</strong> um ein subjektive Beschränkung<br />

<strong>de</strong>r Berufswahlfreiheit han<strong>de</strong>lt ist, ist das GesStruktG in <strong>de</strong>r<br />

2. Stufe zu verorten. <strong>Fall</strong>s es sich um eine objektive Beschränkung han<strong>de</strong>lt,<br />

in <strong>de</strong>r 3. Stufe. Für letzteres spricht, dass <strong>de</strong>r Bewerber auf sein Alter<br />

keinen Einfluss hat. Für erstes, dass das Alter ein <strong>de</strong>m Menschen persönliches<br />

Merkmal ist.<br />

Das BVerfG sieht <strong>Altersgrenze</strong>n als subjektive Berufswahlfreiheitsbeschränkungen<br />

an.<br />

Hier könnte man sich genauso gut an<strong>de</strong>rs entschei<strong>de</strong>n. Das hätte im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Erfor<strong>de</strong>rlichkeit allerdings keine weiteren Auswirkungen.<br />

Lediglich <strong>de</strong>r Maßstab für die Angemessenheit wäre ein an<strong>de</strong>rer (siehe<br />

unten). Des Weiteren zeigt <strong>de</strong>r <strong>Fall</strong>, dass das die Drei‐Stufen‐Theorie im<br />

Einzelfall Schwierigkeiten bereitet und korrigiert wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Mil<strong>de</strong>re Mittel lassen sich aus <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r Drei‐Stufen‐Theorie nicht<br />

ableiten.


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Henning <strong>Tappe</strong> S. 9<br />

(aa) Speziell Gesundheitsschutz<br />

Ein mil<strong>de</strong>res Mittel könnte darin liegen, dass die Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>r<br />

Ärzte im Einzelfall überprüft wird, wenn diese das 68. Lebensjahr erreicht<br />

haben. Der Gesetzgeber ist im Rahmen seines Gestaltungsermessens nicht<br />

darauf beschränkt, jeweils im Einzelfall ab Vollendung <strong>de</strong>s 68. Lebensjahres<br />

eine individuelle Prüfung <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit zur Sicherstellung<br />

dieses Zieles vorzunehmen. Er darf auch auf <strong>de</strong>r Grundlage von Erfahrungswerten<br />

eine generalisieren<strong>de</strong> Regelung erlassen. Die <strong>Altersgrenze</strong><br />

liegt höher als die Regelaltersgrenzen in vielen an<strong>de</strong>ren Berufen.<br />

(bb) Allgemein<br />

Die erst nach Inkrafttreten <strong>de</strong>s Gesetzes am 1.1.1993 zugelassenen Ärzte<br />

können die zeitliche Befristung berücksichtigen und ihre Lebens‐ und Berufsplanung<br />

darauf abstellen. Die am 1.1.1993 bereits zugelassenen Ärzte<br />

müssen hingegen ihre Planung umstellen, soweit sie im Vertrauen auf die<br />

bisherige Regelung ihre Lebens‐ und Berufsplanung eine zeitlich unbefristete<br />

Tätigkeit im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zugrun<strong>de</strong> gelegt haben.<br />

Ihnen wird jedoch die Möglichkeit eingeräumt, wenigstens 20 Jahre eine<br />

vertragsärztliche Praxis zu betreiben. Der Gesetzgeber durfte in generalisieren<strong>de</strong>r<br />

Betrachtungsweise im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis<br />

davon ausgehen, dass die Zeitspanne ausreicht, getätigte Investitionen zu<br />

erwirtschaften und eine angemessene Alterssicherung aufzubauen. Zu<strong>de</strong>m<br />

wird <strong>de</strong>r Eingriff dadurch abgemil<strong>de</strong>rt, dass <strong>de</strong>r Vertragsarzt auch nach<br />

Vollendung <strong>de</strong>s 68. Lebensjahres durch eine privatärztliche Tätigkeit –<br />

wenn auch im begrenzten Umfang – Einkünfte erzielen kann.<br />

(d) Angemessenheit <strong>de</strong>s Gesetzes (VHMK i. e. S.)<br />

Der Zweck <strong>de</strong>s GesStruktG müsste weiterhin in Bezug auf die Beschränkung<br />

<strong>de</strong>r Berufsfreiheit in einem angemessenen Verhältnis stehen.<br />

Der Maßstab für die Angemessenheit richtet sich nach <strong>de</strong>r Schwere <strong>de</strong>s Eingriffs,<br />

<strong>de</strong>r sich wie<strong>de</strong>rum durch die Drei‐Stufen‐Theorie bestimmt. Es ist hier<br />

<strong>de</strong>r Maßstab <strong>de</strong>r zweiten Stufe heranzuziehen. Das GesStruktG wäre nur dann<br />

angemessen, wenn es zum Schutz eines beson<strong>de</strong>rs wichtigen Gemeingutes<br />

dient.<br />

Hätte man aufgrund <strong>de</strong>r Unbeeinflussbarkeit <strong>de</strong>s Alters <strong>de</strong>n Maßstab <strong>de</strong>r<br />

dritten Stufe angesetzt (s.o.), dann müsste <strong>de</strong>r Zweck zum Schutz überragend<br />

wichtiger Gemeinschaftsgüter vor schweren Gefahren dienen.<br />

Allein die Kostenersparnis ist noch kein beson<strong>de</strong>rs wichtiges Gemeingut.<br />

Der Gesundheitsschutz hingegen ist ein beson<strong>de</strong>rs wichtiges Gemeingut.<br />

Das GesStruktG verfolgt einen angemessenen Zweck und verstößt so<br />

nicht gegen das Übermaßverbot.<br />

4. Ergebnis: A ist nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.


GrundR AG 15.12.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 10<br />

II. Verletzung <strong>de</strong>s Art. 14 Abs. 1 GG<br />

Das GesStruktG verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 GG, wenn es in <strong>de</strong>n Schutzbereich <strong>de</strong>s<br />

Art. 14 Abs. 1 GG eingreift, ohne das dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt<br />

ist.<br />

(1. Schutzbereich)<br />

Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Eigentum. Eigentum meint je<strong>de</strong>s vermögenswerte<br />

Recht. Darunter fällt grundsätzlich auch <strong>de</strong>r eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb.<br />

Art. 14 Abs. 1 GG schützt allerdings nur das Erworbene, also <strong>de</strong>n<br />

Bestand. Fraglich ist also, in welchem Umfang die Praxis eines Arztes als das Erworbene<br />

eigentumsähnlichen Schutz genießt. Die Regelung im GesStruktG bezieht<br />

sich grundsätzlich auf die berufliche Tätigkeit als solche, nicht auf das Ergebnis <strong>de</strong>r<br />

beruflichen Tätigkeit. Durch das GesStruktG wird auch die Möglichkeit <strong>de</strong>s Verkaufs<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Übertragung <strong>de</strong>r Praxisräume und <strong>de</strong>s Stammes an Patienten, nicht berührt.<br />

Durch das GesStruktG wird allerdings die Möglichkeit eingeschränkt, die Praxis mit<br />

Ausstattung und Patientenstamm zu einem gewünschten Zeitpunkt nach<br />

Vollendung <strong>de</strong>s 68. Lebensjahres an einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen<br />

Arzt, gegebenenfalls auch an das eigene Kind, übergeben zu können.<br />

Fraglich erscheint aber, ob das ein vermögenswertes Recht ist. Art. 14 Abs. 1 GG ist<br />

ein normgeprägtes Grundrecht. Die Einschlägigkeit <strong>de</strong>s Schutzbereiches <strong>de</strong>s<br />

Art. 14 Abs. 1 GG setzt daher voraus, dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber bisher einfachgesetzlich<br />

einem Arzt erlaubt hat, seine Zulassung zum Kassenarzt an einem ausgewählten<br />

Nachfolger o<strong>de</strong>r sein Kind weiterzugeben. Die Zulassung als Vertragsarzt ist jedoch<br />

persönlicher Natur und nicht übertragbar. Eine an<strong>de</strong>re einfachgesetzliche Ausgestaltung<br />

gibt es nicht. Die Übertragung <strong>de</strong>r Zulassung als solches ist kein vermögenswertes<br />

Recht und fällt so nicht in <strong>de</strong>n Schutzbereich <strong>de</strong>s Art. 14 Abs. 1 GG.<br />

(2.) Art. 14 Abs. 1 GG ist damit nicht verletzt<br />

III. Verletzung <strong>de</strong>s Art. 3 Abs. 1 GG<br />

I. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem<br />

Das GesStruktG müsste wesentlich Gleiches ungleich o<strong>de</strong>r wesentlich ungleiches<br />

gleich behan<strong>de</strong>lt.<br />

a) Problem: Gilt Art. 3 Abs. 1 GG auch für Gesetze? Wortlaut: (‐), aber BVerfG (+),<br />

System: Art. 1 Abs. 3 GG; Historie; Sinn und Zweck<br />

b) Wesentlich Gleiches<br />

Wesentliches Gleiches liegt vor, wenn zwischen zwei Gruppen bzw. Sachverhalten<br />

die Bildung eines gemeinsamen Oberbegriffes möglich ist und dieser Eigenschaften<br />

hat, die wesentlich übereinstimmen (tertium comparationis). Es kommt<br />

ein Ungleichbehandlung von Kassenärzten und Nicht‐Kassenärzten in Betracht.<br />

Gemeinsamer Oberbegriff ist Arzt. Die Eigenschaft Arzt hat wesentlich<br />

übereinstimmen<strong>de</strong> Merkmale. Die Differenzierung zwischen Kassenarzt und<br />

Nicht‐Kassenarzt bezieht sich lediglich auf die Abrechnung <strong>de</strong>r Tätigkeit, nicht<br />

auf die Tätigkeit als solches.<br />

Zu<strong>de</strong>m könnte man hier auf Ärzte, die älter als 68 Jahre sind, und auf jüngere<br />

Ärzte abstellen. Allerdings setzt je<strong>de</strong> <strong>Altersgrenze</strong> eine solche Typisierung voraus,<br />

die grundsätzlich zulässig ist (dazu schon oben).


GrundR AG 15.12.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 11<br />

c) Ungleichbehandlung<br />

Das GesStruktG verbietet eine berufliche Tätigkeit lediglich für Kassenärzte,<br />

nicht für Nicht‐Kassenärzte. Eine Ungleichbehandlung liegt vor.<br />

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

Das BVerfG überprüft Gleichheitsverstöße mit zweierlei Maß (vgl. die Übersicht zu<br />

<strong>de</strong>n Gleichheitsrechten und das „Kurzskript“). Grundsätzlich prüft es bei sach‐ und<br />

verhaltensbezogenen Differenzierungsmerkmalen nach <strong>de</strong>m Willkürverbot, wobei<br />

aufgrund <strong>de</strong>r Einschätzungsprärogative <strong>de</strong>s Gesetzgebers je<strong>de</strong>r sachliche Grund eine<br />

Differenzierung rechtfertigt.<br />

Bei personenbezogenen Merkmalen prüft das BVerfG grundsätzlich nach <strong>de</strong>r sog.<br />

neuen Formel und macht eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung. Zu<strong>de</strong>m<br />

weist das BVerfG darauf hin, dass <strong>de</strong>r strengere Maßstab auf je<strong>de</strong>m <strong>Fall</strong> dann anzuwen<strong>de</strong>n<br />

sei, wenn in ein spezielles Freiheitsrecht eingegriffen wur<strong>de</strong>. Das GesStruktG<br />

greift in Art. 12 Abs. 1 GG ein. Folglich ist nach <strong>de</strong>r sog. neuen Formel zu prüfen.<br />

BVerfG: Hält eine zwischen zwei Berufsgruppen differenzieren<strong>de</strong> Regelung <strong>de</strong>m Maßstab<br />

<strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 GG stand, liegt hierin regelmäßig zugleich eine ausreichen<strong>de</strong><br />

Rechtfertigung für die vorgenommene Ungleichbehandlung.<br />

Hinweis:<br />

m.E. kann das BVerfG hier nicht überzeugen. Gera<strong>de</strong> hier liegt ein Ausnahmefall vor.<br />

Die Differenzierung zwischen Kassenärzten und Nichtkassenärzten müsste dazu geeignet<br />

sein, dass Ziel <strong>de</strong>s Gesundheitsschutzes zu för<strong>de</strong>rn. Zum Zwecke <strong>de</strong>s Gesundheitsschutzes<br />

kann es keinen Unterschied machen, ob jemand Kassenarzt o<strong>de</strong>r Nicht‐<br />

Kassenarzt ist. Folgt man hingegen <strong>de</strong>m BVerfG muss man anerkennen, dass <strong>de</strong>r Gesundheitsschutz<br />

schließlich schon dadurch geför<strong>de</strong>rt wird, wenn für das Gros <strong>de</strong>r Ärzte<br />

Behandlungen nach <strong>de</strong>m 68. Lebensjahr verboten wer<strong>de</strong>n.<br />

Ergebnis: Art. 3 Abs. 1 GG wird durch das GesStruktG nicht verletzt.<br />

Dem A ist folglich nicht zu raten, eine Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> gegen das Gesetz einzureichen.<br />

Diese wäre zwar (wenn sie fristgemäß erhoben wird) zulässig, aber – legt man die Rspr. <strong>de</strong>s<br />

BVerfG zu Grun<strong>de</strong> – nicht begrün<strong>de</strong>t und hätte somit keine Aussicht auf Erfolg.

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