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SFT 9/84 - Science Fiction Times

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<strong>Science</strong> F iction Tim es 9/19<strong>84</strong><br />

BAR BA RA<br />

HOLLAND-CUNZ<br />

9<br />

Die Kritik war Lessings Romanzyklus<br />

"Canopus im Argos: Archive" nicht immer<br />

wohlgesonnen. Von der englischen<br />

Au torin wird ganz offensichtlich erwartet,<br />

auf der Ebene der kritikwürdigen<br />

Realität zu verharren; spekulative Prosa<br />

scheint einer solchen Erwartung zu widersprechen.<br />

Daß aber sowohl der erste<br />

Band "Shikasta" als auch Band 2 sich<br />

mit eben dieser schlechten Realität auseinandersetzen,<br />

ist einigen Rezensenten<br />

augenscheinlich entgangen. Nach dem<br />

schweren traurigen "Shikasta"-Spiegel<br />

menschlicher Geschichte und aktueller<br />

Weltlage - freilich in verschlüsselter<br />

Form, über die sich durchaus streiten<br />

ließe - liegt nun der neue Roman vor,<br />

als heiter gepriesen oder als seicht abgetan.<br />

Die Handlung: Al. lth. Königin der<br />

demokratischen, reichen und friedlichen<br />

Zone Drei und Ben Ata , Herrscher der<br />

kriegerischen, armen und streng hierarchisch<br />

strukturierten Zone Vier, erhalten<br />

den Befehl einer nicht näher bezeichneten<br />

höheren Macht (wir trafen<br />

sie bereits in "Shikasta"/später mehr<br />

dazu): sie müssen heiraten. Beide Länder<br />

trennen jedoch seit Generationen<br />

Fremdheit und Unwissenheit, ja: Feindschaft<br />

oder zumindest Ignoranz , und so<br />

löst der Befehl Skepsis und Unruhe aus,<br />

er erscheint unverständlich. Niemand<br />

wagt jedoch, sich ihm zu widersetzen.<br />

Die beiden völl ig unterschiedlichen Menschen<br />

, beide Verkörperungen ihrer Reiche,<br />

treffen sich in der rauhen Zone<br />

Vier, um den Sinn ihrer erzwungenen<br />

Zusammenkunft zu ergründen und die<br />

Hochzeit zu vollziehen. Sie ist ihm eine<br />

Hexe , er ihr - zu Recht - der brutale<br />

Barbar. Dennoch lernen sie sich lieben,<br />

da sie sich in ihrer Verantwortung flir<br />

ihre Länder respektieren können. Dies<br />

ermöglicht auch , das Ziel ihrer Eheschließung<br />

zu erkennen: beide Länder<br />

befinden sich seit geraumer Zeit und<br />

von den zweienunbeachtet in einer Phase<br />

der Stagnation, deren krassester Ausdruck<br />

Geburtenrückgang bei Mensch<br />

und Tier und allgemeine iedergeschlagenheit<br />

sind. Die Stagnation, so wird<br />

jetzt deutlich, war das Resultat der ge-<br />

Doris Lessing<br />

DIE EHEN ZWISCHEN DEN ZONEN<br />

DREI, VIER UND FÜNF<br />

(Nach Berichten der Chronisten der<br />

Zone Drei)<br />

Canopus im Argos: Archive II<br />

Frankfurt/Main 19<strong>84</strong>, S. Fischer Verlag<br />

Deutsch von Manfred Ohl und Hans Sartorius<br />

genseitigen Abgrenzung, der Weigerung,<br />

voneinander zu lernen, miteinander zu<br />

leben. Die an Zone Drei und Vier angrenzenden<br />

Länder werden im Verlauf<br />

der Handlung in den Prozeß der Öffnung<br />

und Toleranz, der Verständigungsbereitschaft,<br />

miteinbezogen (Ben Ata<br />

heiratet später die Königin der Zone<br />

Fünf). Für die Liebenden ist ihre Aufgabe<br />

ebenso schmerzhaft wie fur die<br />

Menschen aller Länder. Verändert durch<br />

den/die Partner/in, ihren eigenen Lebenszusammenhängen<br />

zum Teil entfremdet<br />

und unverständlich geworden,<br />

setzen sie den Veränderungsprozeß in<br />

Gang. Sie werden, wiederum auf Befehl,<br />

getrennt, als sie beginnen, sich wirklich<br />

als Gleiche zu lieben.<br />

Lessing erzählt uns die Geschichte<br />

aus der Sicht der Chronisten der Zone<br />

Drei, denen sie die Absicht gibt, die<br />

fremdgewordene ehemalige Königin zu<br />

rehabilitieren und den wahren Kern<br />

entstandener Bilder und Lieder ihrer<br />

Zone zu erläutern. Die Erzählform, die<br />

sich hieraus ergibt - wiederum quasi<br />

historische und kulturpolitische Aufarbeitung,<br />

der Tenor des gesamten Zyklus<br />

- erlaubt Doris Lessing, zu kommentieren,<br />

zu vergleichen, zu spekulieren, zu<br />

philosophieren . . . (leider trifft die<br />

Übersetzung nicht immer diesen spezifischen<br />

Ton, im Ganzen gesehen kann<br />

man sie jedoch als gelungen betrachten,<br />

da sie die Atmosphäre des englischen<br />

Originals wiederzugeben weiß). Dte<br />

Chronikform, ein äußerst reizvolles Stilmittel,<br />

verleiht der allegorischen Handlung<br />

den Anschein geschichtlicher Wahrheit;<br />

Lessing relativiert dies jedoch sogleich<br />

dadurch, daß sie keinen Zweifel<br />

am Blickpunkt des Erzählers läßt: der<br />

urteilt natürlich aus der Sicht der idyllischen<br />

Zone Drei, Vision einer nichtpatriarchalischen<br />

Gesellschaft, wenn<br />

auch im Bemühen, das neugewonnene<br />

Verständnis der unfreundlichen Zone<br />

Vier in seine Schilderung der Ereignisse<br />

miteinzu beziehen. Selbstverständlich ergreift<br />

die Autorio hier Partei flir die<br />

matriarchale und, trotz Königtum , demokratische<br />

Zone Drei ... nicht simpel<br />

verherrlichend allerdings, denn es zeigt<br />

sich ja, daß auch dort Fehler begangen<br />

worden sind.<br />

In einer fast idealtypischen Beschreibung<br />

stehen sich hier Matriarchat und<br />

Patriarchat gegenüber. In Zone Drei<br />

herrschen weder Not noch Krieg; geschlechtsspezifische<br />

Arbeitsteilung, Unterdrückung<br />

der Frauen, Rollenstereotypen<br />

etc. sind den Menschen dort unbekannte<br />

Phänomene - in Zone Vier dagegen<br />

gehören sie zum Alltag und bilden<br />

die Grundlage ftir das Funktionieren dieser<br />

Kriegergesellschaft. Die Basis der<br />

Zone Drei ist die von allen geteilte Verantwortung<br />

im öffentlichen und privaten<br />

Bereich, die Entfaltung der persönlichen<br />

Fähigkeiten in einer solidarischen<br />

Gemeinschaft freier und gleicher

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