SFT 9/84 - Science Fiction Times
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<strong>Science</strong><strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 9/ 19<strong>84</strong><br />
T eenagerpostiUe<br />
Als anfangs des Jahres Herr Weigand im<br />
Februarheft der <strong>SFT</strong> dem deutschen<br />
F -Leser em Spatzenhirn attestierte,<br />
\hinderte es mich noch, daß seitens der<br />
Redakuon nich t wenigstens - wenn<br />
man den Mann schon seine Unverschämt·<br />
henen verbreiten ließ - der Versuch unternommen<br />
wurde, als Anwalt eben dieser<br />
Leser aufzutreten, indem man der<br />
Sclunährede einen Kommentar entgegens<br />
tel! te.<br />
Das Juli-Heft offenbart nun aber, daß<br />
man in der Redaktion der <strong>SFT</strong> diese<br />
Spatzenhirn-These teilt. Sonst würde<br />
man es wohl nicht wagen , dem Publikum<br />
die Artikel von Marcel Sieger über<br />
Rollen- und von Hans D. Baumann über<br />
Video-Spiele zu offerieren.<br />
Sieger stellt mit Teenagerpostillen·<br />
Enthusiasmus Spiele vor, bei denen<br />
mehr oder weniger erwachsene Menschen<br />
beisammensitzen und sich mit ungeheuer<br />
geistvollen magischen Sprüchen<br />
wie "Voodoo Nr. 9", "Hirnpocken"<br />
oder "Paralü-Paralein-Sei starr wie ein<br />
Stein" bewerfen. Siegers Distanz zum<br />
Besprochenen ist denkbar gering.<br />
Kein kritisches Wort dazu, daß die<br />
gruppendynamischen Prozesse, die ein<br />
solches Spiel in Gang setzt, oft genug<br />
aus dem Ruder laufen und schlimme<br />
Folgen zeitigen, vom - wie man hört <br />
Bruch langjähriger Freundschaften bis<br />
hin zu Bewußtseinsstörungen als Folge<br />
einer außer Kontrolle geratenen Verquickung<br />
vonRealität und Spiel-Fiktion.<br />
Kein kritisches Wort auch davon, daß<br />
die Rollenspiele im Grunde genommen<br />
ein Industrieprodukt sind, das wie kaum<br />
ein anderes im Bereich "Spiele" oder<br />
"SF" geeignet erscheint, dem Fan möglichst<br />
total das Geld aus der Tasche zu<br />
ziehen. Ist beim traditionellen Brett<br />
Würfelspiel die Sache mit der einmaligen<br />
Ausga!:Je 1 on dreißig, vierzig oder meinetwegen<br />
auch sechzig Mark abgeschlossen,<br />
animiert das Rollenspiel zur fortgesetzten<br />
Ergänzung des zuerst Angeschafften.<br />
Da gibt es Zusatzmodule,<br />
Solitärspiele, Erweiterungssets flir geho·<br />
bene Erfahrungsstufen und alle möglichen<br />
Spezialbücher fur den Game Master.<br />
Wie lange dauert es noch, bis man<br />
zum Rollenspiel in passender Kleidung<br />
antritt - die Herren in martialischer<br />
Rüstung, die Damen leicht oder gar<br />
nicht geschürzt - und vorher die passende<br />
D&D-Pflegeserie benutzt?<br />
Begleitet wird der Artikel von etlichen<br />
Anzeigen zum Thema, ja der<br />
scheint in seiner ganzen Arglosigkeit<br />
lediglich eine redaktionell aufbereitete<br />
Fortsetzung der eingestreuten Werbung<br />
zu sein. " Hirnpocken" entfuhr es mir,<br />
als ich in einer Annonce Jas, daß eine<br />
der Attraktionen des 1. Drachenfestes<br />
auf Burg Lichtenberg der gemeinschaftliche<br />
Verzehr eines am Langschwert gebratenen<br />
Monsterschweins sei, Schwein<br />
und Salate im Preis inbegriffen. Leider<br />
konnten mir selbst Daniel Düstentriebs<br />
Denkkappe und Sinniervögel nicht die<br />
Erkenntnis vermitteln, wer denn da<br />
wohl an den geHihrliehen Hirnpocken<br />
leidet, die Veranstalter oder die armen<br />
Menschen, die fur Seminare, Schwein<br />
und Salate funfzig oder sechzig Emmchen<br />
löhnen, dafür aber immerhin auch<br />
den Rollenspiel-Erfinder Gary Gygax<br />
kennenlernen dürfen. Tip an interessierte<br />
Unternehmer: Warum Kaffeefah.rten<br />
immer nur mit abgehalfterten En tertainern<br />
bestreiten, warum nicht mal den<br />
Erfinder des ölfreien Salatöls oder die<br />
Zwiebelwürfel in der Tube präsentieren?<br />
" Im Rollenspiel manifestiert sich<br />
eine gewisse Oase der Ent-Technisie·<br />
rung, eine Ebene, auf der sich der<br />
Mensch als solcher beweisen muß ... "<br />
(Zitat Sieger, S. 10). Gut gebrüllt, Löwe!<br />
Aber meinen Sie nicht, Herr Bieger,<br />
daß es entschieden wichtigere Gelegenheiten<br />
und Situationen gibt, bei denen<br />
der Mensch sich als solcher beweisen<br />
kann und soll. Muß es beim Paralü-Paralein<br />
sein?<br />
Mag schon Siegers Aufsatz das eine<br />
oder andere Kopfschütteln ausgelöst haben,<br />
so läuft der Schädel bei Hans D.<br />
Baumanns Artikel über Video-Spiele<br />
vollends Gefahr, zum Metronom zu werden.<br />
Ist der historische Abriß noch recht<br />
informativ, kommt es im wertenden Teil<br />
gleich knüppeldick. Ich greife nur einen<br />
Satz heraus, der eigentlich schon flir sich<br />
selber spricht. "Wenn aggressive Spiele<br />
einem vorhandenen Bedürfnis spielender<br />
Jugendlicher nachkommen, so ist es sicherlich<br />
besser, die simulierten Auseinandersetzungen<br />
auf ferne Planeten zu<br />
verlegen, als böse irdische Gegner mit<br />
knatterndem Geheul abzuschießen."<br />
(Zitat Baumann S. 14)<br />
Muß man eine solch schlimme Entgleisung<br />
(oder bestenfalls: einen derart<br />
gefährlichen Fatalismus) wirklich abdrucken?<br />
Man münze das doch mal auf<br />
Literatur um: Besser Romane mit Blaster-Orgien<br />
im Weltraum als Landser<br />
Hefte! Also das ist doch nun wirklich<br />
keine Alternative. Aber was soll's. Die<br />
Tage der Literaturkritik in der <strong>SFT</strong><br />
scheinen mir ohnehin gezählt zu sein.<br />
Denn wenn erst einmal jedermann sein<br />
Geld und seine Zeit in Rollen-Spiele<br />
und Video-Games investiert, wie und<br />
wann soll er dann 'noch Bücher kaufen<br />
und lesen. Also braucht's auch keine Rezensionen<br />
mehr, es sei denn, man präsentiert<br />
sie in Form von Roman-Kurzfassungen,<br />
die die eigentliche Lektüre<br />
zeit-und kostensparend ersetzen.<br />
" Flim-Flam-Funkel - bring Licht ins<br />
Dunkel" (magischer Spruch). In der<br />
Tat, in das Dunkel einiger Gehirne gehört<br />
ganz dringend eine Portion Licht.<br />
Und dabei handelt es sich nicht unbedingt<br />
um die Gehirne von SF-Lesern,<br />
sondern um die Synapsen derer, die versuchen,<br />
den Käufern eines renommierten<br />
Faclunagazins aus dem Corian-Verlag<br />
einen vom Pferd zu erzählen.<br />
Mit freundlichem Piep-Piep<br />
(wegen des Spatzenhirns)<br />
Jürgen Meiser<br />
Solidarität?<br />
Liebe <strong>SFT</strong>-Redaktion!<br />
Sollte das Ironie sein, das mit den<br />
Schwerpunktstreiks der IG Druck? Oder<br />
wolltet Ihr Euren Lesern weismachen,<br />
daß die IG Druck Monatszeitschriften<br />
wie die <strong>SFT</strong> bestreikt und nicht etwa<br />
Druckereien der Unterneluner?<br />
Solidarität hättte ich erwartet, aber<br />
diese Sätze des Editorials paßteil doch<br />
eher zu rechts-konservativ-oberflächlichen<br />
Zeitschriften wie OMNI.<br />
Sollte die Redaktion indessen zu ande<br />
. ren Einsichten gelangt sein? fragt bang<br />
Wolfgang Schwarz<br />
Ironie war es in der Tat - entstanden<br />
aus einer gewissen Verärgerung. Wir<br />
fühlten uns schon mit den Streikenden<br />
solidarisch und haben es deshalb auch<br />
ohne Lamento akzeptiert, ebenfalls vom .<br />
Streik betroffen zu sein.<br />
Geärgert hat uns erst der Abschluß. Für<br />
dieses blamable Ergebnis hätte man gar<br />
nicht erst streiken müssen. Und wenn<br />
die IG Druck klein beigjbt, warum<br />
sollen wir uns dann nicht darüber lustig<br />
machen?