SFT 9/84 - Science Fiction Times
SFT 9/84 - Science Fiction Times
SFT 9/84 - Science Fiction Times
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Science</strong><strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 9/19<strong>84</strong><br />
19<br />
Michael Weisser<br />
OFF-SHORE<br />
Meitingen 19<strong>84</strong><br />
Corian-Verlag Heinrich Wimmer<br />
Der Untertitel "Ein Bericht am Rande<br />
der Wirklichkeit" kommt dem Inhalt<br />
dieses Romans näher als die Einordnung<br />
in die Sparte SF. Dennoch und vielleicht<br />
gerade deshalb - ist das Buch<br />
spannender als mancher nur sogenannte<br />
SF -Roman. Die Lektüre setzt Französischkenntnisse<br />
oder die Bereithaltung<br />
eines Wörterbuches Französisch-Deutsch<br />
voraus.<br />
Die Erschließung eines der letzten<br />
ganz großen Ölfelder auf weit vorgeschobener<br />
Off-Shore-Position wenig unterhalb<br />
des nördlichen Polarkreises wird<br />
unter Aufsicht der UNO und der TV<br />
Augen der ganzen Welt zum mörderischen<br />
Wettbewerb zwischen 13 Gesellschaften;<br />
dem Sieger gehören 30 Prozent<br />
des Vorkommens. Zwei Handlungsstränge<br />
laufen, man muß wohl sagen,<br />
pfeilförmig aufeinander zu. Der eine<br />
Strang schildert den gnadenlosen Einsatz<br />
von Menschen und Material auf der<br />
Bohrplattform Nr. 13, die den Wettbewerb<br />
gewinnt, der andere (kursiv gedruckt)<br />
die zunächst wirren und sich<br />
nur langsam klärenden Gedankenfetzen<br />
des einzigen Überlebenden, eines leukotomisierten<br />
Vatermörders, der sich seiner<br />
Vergangenheit im Todeskampf zu<br />
erinnern sucht.<br />
Schon aus dem Prolog wird klar, daß<br />
die Handlung auf den Abschuß eines<br />
Pfeiles zusteuert, der den Schützen<br />
selbst treffen wird; die Frage ist nur:<br />
wie. Dies soll hier nicht ve~aten werden<br />
; angedwtet sei aber, daß die Lehren<br />
von Papa Freud, speziell die vom<br />
Ödipus-Komplex, eine bedeutende Rolle<br />
spielen. So wird der Boß der Plattform<br />
Nr. 13 als freudscher Übervater<br />
dargestellt, bei dem sich keiner sicher<br />
sein kann, ob gewisse, sabotageähnliche<br />
Unfälle nicht doch von ihm arrangiert<br />
sind, um die Männer bis zum letzten zu<br />
motivieren und dennoch kusch zu halten.<br />
Doch wie wölfisch auch immer sich<br />
alle geben mögen (homo homini Iupus),<br />
fällt jeder doch einem noch stärkeren<br />
Wolf zum Opfer; die Falle ist gestellt,<br />
und es gibt kein Entrinnen.<br />
Dieses Buch ist eines von jenen, die<br />
man in einem Zuge durchliest. Man<br />
sollte sich allerdings nicht verleiten lassen,<br />
angesiGhts der außerordentlich<br />
spannenden äußeren Handlung den inneren<br />
Handlungsteil zu schlabbern, um<br />
schneller ans Ziel zu kommen. Denn das<br />
Ziel steht von Anfang an fest; es bedeutet<br />
nichts, der Weg dahin ist alles.<br />
Allenfalls wäre anzumerken, daß die<br />
Behandlung des durchaus reißerischen<br />
Plots im nachhinein vielleicht eher<br />
künstlich als kunstvoll erscheint. Das<br />
Ödipusmotiv wirkt aufgesetzt, die Vaterfigur<br />
überzeichnet, die Heranziehung<br />
eines Mörders zu einem Job, der alle<br />
Aggressionstendenzen herausfordert, geradezu<br />
unwahrscheinlich. Dennoch<br />
scheint die Gratwanderung zwischen der<br />
Darstellung einer absurden und einer<br />
gerade noch wahrscheinlichen Ereigniskette<br />
geglückt, dies vor allem wohl deshalb,<br />
weil die Tatsachen, die den Handlungsverlauf<br />
als unwahrscheinlich erscheinen<br />
lassen, so versteckt und vorsichtig<br />
enthüllt werden, daß man es<br />
kaum merkt.<br />
Das Buch hat viel Ähnlichkeit mit<br />
einem Kriminalroman und ist wohl<br />
letztlich auch einer. Wenn es als Kriminalroman<br />
gedacht ist, weiß es aber auch<br />
den zu überzeugen, der sonst keine Krimis<br />
liest. Für anspruchsvolle Leser zu<br />
empfehlen.<br />
ßerthold Giese<br />
Jürgen Lodemann<br />
DERJAHRTAUSENDFLUG<br />
Stuttgart 1983, Thienemann, 295 S.<br />
Anfang des 21. Jahrhunderts ist es soweit:<br />
Der erste Flug zum Mars geht los,<br />
dabei ist neben drei amerikanischen<br />
Astronauten auch der Deutsche F elix<br />
Lehmann, dessen Sohn Henner die Ereignisse<br />
aus seiner Sicht schildert, mit<br />
der lockeren Sprache eines Jungen aus<br />
dem Ruhrgebiet, manchmal abschweifend,<br />
aber das sieht man einem Jungen<br />
wirklich gern nach. Der Flug zum Mars<br />
ist auch nicht der eigentliche Kern des<br />
Romans: nach der glücklichen Rückkehr<br />
(kurz nach der Landung unterbrach die<br />
NASA alle Fernsehberichte) verschwindet<br />
Felix Lehmann nämlich, ist angeblich<br />
zu den Russen übergelaufen, die<br />
kurz vor dem Start des Jahrtausendflugs<br />
einseitige Abrüstung nicht nur<br />
angeboten, sondern auch durchgejilhrt<br />
haben (natürlich nur ein Trick der Kommies,<br />
schreibt Deutschlands größte Tageszeitung,<br />
die sich zum allseitigen Bedauern<br />
auch ins 21. Jahrhundert hinübergerettet<br />
hat). Nur Henner weiß, wo<br />
sein Vater ist, erfährt auch als erster den<br />
"Großen Knall", auf den er schon auf<br />
den ersten Seiten hinweist.<br />
Die Russen sind nämlich kurz vor<br />
den Amis auf dem Mars gelandet. Und<br />
haben - wie die Amis kurz darauf -<br />
entdeckt, daß der Mars vor Millionen<br />
Jahren einmal eine weitentwickelte Zivilisation<br />
getragen hat, die sich dann in<br />
einem Atomkrieg selbst vernichtet hat.<br />
Und genau das - die Unmöglichkeit,<br />
daß nach einem Atomkrieg noch ein<br />
paar zähe Amis aus den Ruinen kriechen,<br />
die amerikanische Flagge hissen,<br />
die amerikanische Nationalhymne anstimmen<br />
und dann mit dem Wiederaufbau<br />
beginnen - versuchen die Amerikaner<br />
vor der Weltöffentlichkeit geheimzuhalten<br />
- vergeblich, dank des geschickten<br />
Taktierens von Felix Lehmann.<br />
An diesem Jugendbuch - auch Erwachsene<br />
können es, nicht zuletzt der<br />
schnoddrigen Sprache und des überzeugenden<br />
Bewußtseinsinhalts wegen genießen<br />
- stimmt einfach fast alles. Hier erzählen<br />
überzeugend herausgearbeitete<br />
Charaktere in lebensnaher, nie gekünstelter<br />
Sprache eine spannende Geschichte,<br />
die die SF nicht nur als Vehikel<br />
für eine aufgepfropfte Aussage benutzt,<br />
sondern aus einer echten SF-Situation<br />
heraus - hinter der allerdings<br />
unsere Wirklichkeit auf jeder Seite<br />
durchscheint - begründend und wirklich<br />
bewußtseinserweiternd Stellung<br />
nimmt zu einem der wichtigsten Themen<br />
unserer Zeit, der atomaren Hochrüstung.<br />
Autor Lodemann faselt nicht<br />
nur von einer Bedrohung, sondern erklärt<br />
sie, genau wie die Zusammenhänge<br />
zwischen wirtschaftlicher Krise und<br />
wirtschaftsankurbelndem Krieg. Er politisiert<br />
nicht haltlos, sondern begründet<br />
seine - stimmigen - Schlußfolgerungen<br />
aus einer sich logisch aufbauenden<br />
Handlung. Er überfordert seine jungen<br />
Leser nicht, sondern führt sie schrittweise<br />
zu der Erkenntnis, daß etwas gegen<br />
diese atomare Hochrustung getan<br />
werden muß; er läßt ideologische Gegensätze<br />
bestehen und kommt aus der<br />
Handlung heraus zu einem optimistischen<br />
Schluß. "Selbst die Rocker mit<br />
dem Nazi-Schwachsinn und sogar die<br />
finstersten Stan1mtischbrüder sagten:<br />
Rüstung? - nie wieder! So daß sich von<br />
da an keine Regierung mehr leisten<br />
konnte, Nuklearpest herzustellen oder<br />
bakteriellen oder chemischen Tod oder<br />
überhaupt Waffen zu fabrizieren. Die<br />
Stimmung auf der Welt war nicht mehr