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SFT 9/84 - Science Fiction Times

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<strong>Science</strong><strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 9/19<strong>84</strong><br />

17<br />

darüber hinaus noch außergewöhnliche<br />

Geisteskräfte haben - fangen und töten.<br />

Hoppy und Bill, die beiden großen Kontrahenten,<br />

haben Kontakt zum Totenreich,<br />

so verschwommen Dick dies auch<br />

darstellt. Nun stehen sich also in wechselseitiger<br />

Beeinflussung und Existenz<br />

gegenüber: Die normalen Menschen, die<br />

mechanischen Apparaturen, die intelligenter<br />

gewordenen Tiere und die Körperlosen,<br />

Toten. Hoppy stellt das Verbindungsglied<br />

zwischen den mechanischen<br />

und den körperlosen Elementen<br />

dar (er hat die ihm fehlenden Organe<br />

durch Prothesen ersetzt), Bluthgeld das<br />

zwischen den Menschen und den übersinnlich<br />

begabten Tieren (er hat metaphysische<br />

Fähigkeiten). Eine sich konträr<br />

gegenüberstehende Synthese wird<br />

jeweils erreicht mit dem Astronauten<br />

Dangerfield (Mensch und Maschine)<br />

und dem Homunkulus Bill (übersinnliche<br />

Kräfte und fehlender Körper, also<br />

Totenreich). Und auch die vier so erzielten<br />

Hauptpersonen stehen wieder in<br />

Beziehung zueinander: Dangerfield bestreicht<br />

mit seinen Rundfunksendungen<br />

die Überlebenden; Bluthgeld hat theoretisches<br />

Wissen um die Katastrophe; Hoppy<br />

verftigt über praktische Fähigkeiten,<br />

die Welt zu verändern oder zu verbessern;<br />

die anderen sind einfach nur Empfcinger<br />

von Dangerfields Sendungen und<br />

verhältnismäßig unaktiv (vgl. hier: Fredric<br />

Jameson, "After Armageddon: Character<br />

Systems in Dr. Bloodmoney", in:<br />

<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> Studies, Gregg Press<br />

1976). Dick läßt die neue Welt , die er<br />

durch die Katastrophe geschaffen hat, in<br />

Gefahr geraten durch die Aktivitäten<br />

von Dr. Bluthgeld und Hoppy; indem<br />

diese beiden Charaktere sich gegenseitig<br />

ausschalten bzw. von einem aus der<br />

Gruppe der anscheinend Unbeteiligten<br />

(dem Homunkulus Bill) überwunden<br />

werden, bekommt die Allgemeinheit,<br />

der typische Durchschnittsmensch, der<br />

in allen Romanen von Dick die tragende<br />

positive Rolle innehat, erstmals die Gelegenheit,<br />

sich die Welt so zu schaffen,<br />

wie er sie haben will - eine Gelegenheit,<br />

die den Optimismus des Neuanfangs<br />

letztlich erst verwirklicht.<br />

Natürlich verzichtet Dick auch in diesem<br />

Roman nicht ganz auf ein Hinterfragen<br />

der Wirklichkeit. Sein stärkstes<br />

metaphorisches Element ist hier das Totenreich<br />

; vor der Katastrophe hat der<br />

Phokomelus Hoppy gewisse Visionen,<br />

durch die er Einblick in dieses ominöse<br />

Dasein erhält. Manche Menschen sieht er<br />

überhaupt nicht im Totenreich, manche<br />

in grausigen Handlungen: Stuart McConchie<br />

z. B. verzehrt in Hoppys Vision<br />

gerade getötete, ungekochte Ratten.<br />

Hoppys Vision erstreckt sich jedoch nur<br />

auf die Zeit nach dem Holocaust: die,<br />

die er in seinen Visionen nicht sieht,<br />

sind bei der Katastrophe umgekommen,<br />

und McConchie verzehrt, von Hunger<br />

gequält, wirklich eine Ratte. Den<br />

wirklichen Kontakt zum Totenreich<br />

scheint nur der Homunkulus Bill zu haben,<br />

aber auch nur solange, wie er körperlos<br />

ist; als er seinen Organklumpen<br />

aus dem Körper seiner Schwester gelöst<br />

und Hoppys Geist dorthinein verbannt<br />

hat (der mit dem Organklumpen<br />

stirbt), verschwindet dieser Kontakt,<br />

und Bill im Körper von Hoppy setzt<br />

sich ganz flir das Wohl der Überlebenden,<br />

also ftir den Neuanfang, ein.<br />

Festzuhalten ist, daß Dick bei der<br />

Niederschrift des Romans falsche Vor·<br />

aussagen getroffen hat; weder der von<br />

Bluthgeld verschuldete Atomtest noch<br />

der anschließende Atomkrieg haben<br />

stattgefunden (Dick prognostizierte das<br />

Jahr 1972), auch werden die Auswirkungen<br />

des Atomkriegs nicht so schwerwiegend<br />

geschildert, wie sie sich nach<br />

heutigem Ermessen vollziehen würde<br />

(was aber daran liegen mag, das mittlerweile<br />

zwei Jahrzehnte vergangen sind, in<br />

denen die Entwicklung nicht stillgestanden<br />

hat). Ziel der <strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> ist es<br />

jedoch nicht, exakte Voraussagen zu<br />

treffen; trotz dieser falschen Jahreszahlen<br />

ist der Roman heute noch genauso<br />

lesbar wie vor zwanzig Jahren.<br />

Die deutsche Übersetzung dieser Ausgabe<br />

(eine erste, unglaublich verstümmelte,<br />

gekürzte und ausdruckslose erschien<br />

1977 unter dem Titel NACH<br />

DEM WELTUNTERGANG im Goldmann-Verlag)<br />

trifft - abgesehen von einigen<br />

kleineren Schnitzern - das Flair<br />

des Originals mit seinen mitunter arg<br />

verschachtelten, prägnant gestellten Sät·<br />

zen hervorragend ; auch durch die Aufnahme<br />

des Nachworts der amerikanischen<br />

Ausgabe von 1980.<br />

Uwe Anton<br />

I

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