Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

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88 2. Kap.: Grundsätzliches zur Strsukturierung des Staates schaftserwerb als auch die Herrschaftsausübung ausschließlich durch den Willen des Volkes legitimiert werden. Der Inhaber der Herrschaftsmacht kann also nur solche Gesetze erlassen, für die er mit dem Bürgergehorsam rechnen kann. Die Legitimität hat aber Grade. Welches Ausmaß muß die Neigung des Bürgers zum Gesetzesgehorsam haben, daß der Gesetzgeber es wagen kann, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen? Das ist die quälende Frage, die heute in der wissenschaftlichen Diskussion über den Begriff der Legitimität im Zentrum steht. An sich kommt im Begriff der Legitimität nur die Notwendigkeit des grundsätzlichen Vertrauens der Bürger in die existente staatliche Autorität zum Ausdruck. Davon hängt die staatliche Autorität ab, wenn sie nicht in die Despotie abirren will. Im Mittelalter war diese grundsätzliche Gehorsamsmotivation glaubensmäßig untermauert durch die Überzeugung, daß der Herrscher seine Gewalt von Gottes Gnaden ableitet. Doch diese Anschauung ist, wie erwähnt, bereits mit der französischen Revolution von 1789 unmodern geworden. Im Zug der Individualisierung der Menschenrechte und der Idee der pluralistischen Demokratie trat an die Stelle des Vertrauens in die Staatsmacht das Mißtrauen, geschürt durch die Motivation des Nutzens, den man vom Staat erwartet. Zu beachten ist die substantielle Veränderung der Motivation im Vergleich zur ursprünglichen. Das Problem des Mehrheitsprinzips wird im Zusammenhang mit der Legitimität noch gravierender. Die Legitimität eine staatspolitische Norm ? Während die politische Wissenschaft sich mit der Definition der Legitimität zu befassen hat, stellt sich in der praktischen Politik die Frage nach der gesunden Balance von Legitimität und Legalität. In der wissenschaftlichen Diskussion um die Legitimität geht es vor allem um die Frage, was die Gehorsamsmotivation in sich begreift, ob sie eine allgemeine, mehr formelle Zusage zur gegebenen Herrschaft betrifft oder ob sie auch die Zwecke miteinbezieht, die von der Regierung angestrebt werden. Im letzten Fall ist die Gehorsamsmotivation durch beinahe unzählige Wertvorstellungen variabel. Hier spielen die Interessen eine Rolle. Ist es die persönliche Verwirklichung, der materielle oder der geistige Wohlstand des Individuums oder die persönliche Überzeugung eines allen geltenden Gemeinwohls usw.? Demgemäß stellen sich in der politischen Praxis jeweils verschiedene konkret zu lösende Probleme. Die Legitimität läßt sich nicht definitorisch bestimmen, sondern muß je nach der Situation gelöst werden. Praktisch ist mit dem Thema „Legitimität" die einfache Frage nach der Regierbarkeit gestellt, d.h. nach den Bedingungen, unter denen die staatliche Autorität mit dem Gehorsam der

V. Die Legitimität 89 Bürger rechnen kann. 1 Der Ethiker hat die Frage zu lösen, welche Gehorsamsmotivation für die Erhaltung der staatlichen Einheit unabdingbar ist bei aller Verschiedenheit der politischen Einstellung der Bürger hinsichtlich konkreter Entscheidungen der Staatsmacht. Mit dieser Fragestellung ist man mit einem erkenntnistheoretischen Grundproblem konfrontiert: Läßt sich aus den konkret völlig verschiedenen Wertvorstellungen eine gemeinsame Formulierung der Gehorsamsmotivation bilden? Wenn man diese Frage absolut negiert, bleibt für die Legitimität als Norm der staatlichen Tätigkeit nichts mehr übrig, denn faktisch entzieht man damit dem Staat die Möglichkeit, die Volksmeinung zu berücksichtigen. Carl Schmitt 2 hat von seinem rein juristischen Gesichtspunkt aus erklärt, daß die Mehrheitsregel ihre legitimierende Kraft nur unter der Voraussetzung „substantieller Gleichartigkeit" oder Homogenität des ganzen Volkes entfalten kann. Wirtschaftliche Interessen, soziale, ideologische, konfessionelle oder ethnische Heterogenität entziehe dem Mehrheitsprinzip die Geltung, dies um so mehr, wenn es, wie es in der pluralistischen Demokratie der Fall ist, als ein gegen Wert und Wahrheit neutrales Entscheidungsverfahren aufgefaßt werde. Denn de facto betrachtet der einzelne Bürger seine Ansicht als absoluten, undiskutierbaren Wert. Dies trifft besonders dann zu, wenn es sich um konfessionell begründete Ansichten handelt. Diese lassen sich nicht synkretistisch mischen, um daraus zu einer allgemein gültigen Definition des Gemeinwohls zu kommen. Darum rückt C. Schmitt die dem Parlament zustehende Legalität in schroffen Gegensatz zur plebiszitär aufgefaßten Legitimität. Als logische Folge ergibt sich aus dieser Sicht der Dezisionismus, der noch übrig bleibt als Begründung staatshoheitlicher Machtbefugnis, ohne die Gehorsamsmotivation der Bürger zu berücksichtigen. C. Schmitt hat allerdings nicht erkannt, daß der Begriff des Gemeinwohls analog ist, d.h. Einheit in der Verschiedenheit besagt, daß darum auch die absolut betrachteten Werte als Elemente der Verschiedenheit im Gemeinwohlbegriff Platz haben. Daß die Legitimität allein nicht die Norm der obrigkeitlichen Entscheidung sein kann, daß vielmehr eine Autorität das echte, von privaten Interessen freie Gemeinwohl zu bestimmen hat, dürfte klar sein. Eine andere Frage ist dann, wie man das Gemeinwohl bestimmt, ohne die Legitimiät auszuschalten. Die schroffe Gegenüberstellung von Legitimität und Legalität, wie sie C. Schmitt vorschlägt, übersieht wohl die Komplexität der politischen Entscheidung. Andererseits ist C. Schmitts Ansicht, daß die endgültige Formulierung Dazu: Joachim Heidorn: Legitimität und Regierbarkeit (Sozialwissenschaftliche Schriften, Heft 4), Berlin 1982. Siehe hierzu meine Besprechung in Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 72 (1986) 523-530, abgedruckt in: Arthur F. Utz, Ethik des Gemeinwohls, Gesammelte Aufsätze 1983-1997, hrsg. von Wolfgang Ockenfels, Paderborn 1998, 557-565. 2 Legalität und Legitimität. Berlin 5 1993.

V. Die Legitimität 89<br />

Bürger rechnen kann. 1<br />

Der Ethiker hat die Frage zu lösen, welche Gehorsamsmotivation<br />

für die Erhaltung <strong>de</strong>r staatlichen Einheit unabdingbar ist bei<br />

aller Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r politischen Einstellung <strong>de</strong>r Bürger hinsichtlich<br />

konkreter Entscheidungen <strong>de</strong>r Staatsmacht.<br />

<strong>Mit</strong> dieser Fragestellung ist man mit einem erkenntnistheoretischen Grundproblem<br />

konfrontiert: Läßt sich aus <strong>de</strong>n konkret völlig verschie<strong>de</strong>nen Wertvorstellungen<br />

eine gemeinsame Formulierung <strong>de</strong>r Gehorsamsmotivation<br />

bil<strong>de</strong>n? Wenn man diese Frage absolut negiert, bleibt für die Legitimität als<br />

Norm <strong>de</strong>r staatlichen Tätigkeit nichts mehr übrig, <strong>de</strong>nn faktisch entzieht man<br />

damit <strong>de</strong>m Staat die Möglichkeit, die Volksmeinung zu berücksichtigen.<br />

Carl Schmitt 2<br />

hat von seinem rein juristischen Gesichtspunkt aus erklärt, daß<br />

die Mehrheitsregel ihre legitimieren<strong>de</strong> Kraft nur unter <strong>de</strong>r Voraussetzung<br />

„substantieller Gleichartigkeit" o<strong>de</strong>r Homogenität <strong>de</strong>s ganzen Volkes entfalten<br />

kann. Wirtschaftliche Interessen, soziale, i<strong>de</strong>ologische, konfessionelle<br />

o<strong>de</strong>r ethnische Heterogenität entziehe <strong>de</strong>m Mehrheitsprinzip die Geltung,<br />

dies um so mehr, wenn es, wie es in <strong>de</strong>r pluralistischen Demokratie <strong>de</strong>r Fall<br />

ist, als ein gegen Wert und Wahrheit neutrales Entscheidungsverfahren aufgefaßt<br />

wer<strong>de</strong>. Denn <strong>de</strong> facto betrachtet <strong>de</strong>r einzelne Bürger seine Ansicht als<br />

absoluten, undiskutierbaren Wert. Dies trifft beson<strong>de</strong>rs dann zu, wenn es sich<br />

um konfessionell begrün<strong>de</strong>te Ansichten han<strong>de</strong>lt. Diese lassen sich nicht synkretistisch<br />

mischen, um daraus zu einer allgemein gültigen Definition <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls zu kommen. Darum rückt C. Schmitt die <strong>de</strong>m Parlament zustehen<strong>de</strong><br />

Legalität in schroffen Gegensatz zur plebiszitär aufgefaßten Legitimität.<br />

Als logische Folge ergibt sich aus dieser Sicht <strong>de</strong>r Dezisionismus, <strong>de</strong>r<br />

noch übrig bleibt als Begründung staatshoheitlicher Machtbefugnis, ohne die<br />

Gehorsamsmotivation <strong>de</strong>r Bürger zu berücksichtigen. C. Schmitt hat allerdings<br />

nicht erkannt, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls analog ist, d.h. Einheit<br />

in <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit besagt, daß darum auch die absolut betrachteten<br />

Werte als Elemente <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit im Gemeinwohlbegriff Platz haben.<br />

Daß die Legitimität allein nicht die Norm <strong>de</strong>r obrigkeitlichen Entscheidung<br />

sein kann, daß vielmehr eine Autorität das echte, von privaten Interessen<br />

freie Gemeinwohl zu bestimmen hat, dürfte klar sein. Eine an<strong>de</strong>re Frage ist<br />

dann, wie man das Gemeinwohl bestimmt, ohne die Legitimiät auszuschalten.<br />

Die schroffe Gegenüberstellung von Legitimität und Legalität, wie sie C.<br />

Schmitt vorschlägt, übersieht wohl die Komplexität <strong>de</strong>r politischen Entscheidung.<br />

An<strong>de</strong>rerseits ist C. Schmitts Ansicht, daß die endgültige Formulierung<br />

Dazu: Joachim Heidorn: Legitimität und Regierbarkeit (Sozialwissenschaftliche Schriften, Heft<br />

4), Berlin 1982. Siehe hierzu meine Besprechung in Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 72<br />

(1986) 523-530, abgedruckt in: Arthur F. Utz, Ethik <strong>de</strong>s Gemeinwohls, Gesammelte Aufsätze<br />

1983-1997, hrsg. von Wolfgang Ockenfels, Pa<strong>de</strong>rborn 1998, 557-565.<br />

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Legalität und Legitimität. Berlin 5 1993.

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