Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de
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II. Die Politische Theologie 49<br />
Erkenntnis, die zwischen <strong>de</strong>m konkreten Ding und <strong>de</strong>m darin verwirklichten<br />
Wesen zu unterschei<strong>de</strong>n vermag, dies entgegen <strong>de</strong>m Nominalismus. Gemäß<br />
<strong>de</strong>m Monotheismus partizipiert je<strong>de</strong>s Seien<strong>de</strong> am Sein Gottes, das vernunftbegabte<br />
Geschöpf sogar an <strong>de</strong>r Erkenntnis Gottes. Darum erklärt Thomas von<br />
Aquin (S. Th. I-II 91,2), daß die Vernunft wesentlich auf das Sein eingestellt<br />
ist, daß es ihr also von Natur aus nicht möglich ist, die Seinsprinzipien und<br />
die Prinzipien <strong>de</strong>r praktischen Vernunft zu leugnen. 48<br />
Hier liegt das Fundament<br />
<strong>de</strong>s Konsenses in moralischen Fragen.<br />
Die Einheit <strong>de</strong>s Naturgesetzes als göttliche Ordnung läßt die Trennung von<br />
rechtlich und moralisch nicht zu. Diese Unterscheidung wird nur auf <strong>de</strong>r<br />
Ebene <strong>de</strong>s positiven Rechts möglich, und zwar nur in Sachverhalten, die<br />
außerhalb <strong>de</strong>r Wesenserkenntnis liegen. In wesentlich begrün<strong>de</strong>ten Sachverhalten<br />
gibt es die Unterscheidung zwischen Recht und Moral nicht (z.B. Ehe,<br />
Recht <strong>de</strong>s Menschen auf Leben usw.). Der Begriff <strong>de</strong>r Gerechtigkeit ist darum<br />
nicht nur juristisch. Er ist vielmehr als moralischer zugleich juristisch.<br />
Einzig das gerechte Gesetz kann sich auf die Oberherrschaft Gottes berufen.<br />
Nur ihm kommt die Kraft einer Gehorsamsfor<strong>de</strong>rung zu. Dort, wo <strong>de</strong>r Staat<br />
in wesentlichen Sachverhalten abseits von <strong>de</strong>n moralischen Überlegungen<br />
eine juristisch kontrollierbare Regelung vornimmt (z.B. Abtreibung), schafft<br />
er eine Abart von Recht, die zum nicht mehr aufzuhalten<strong>de</strong>n Chaos führt. Die<br />
Juristen, die Moral und Recht säuberlich zu trennen bemüht waren, kamen<br />
erst nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>s Nationalsozialismus zur Erkenntnis, daß<br />
sein sogenanntes Recht ein Unrechtssystem war. 49<br />
Der Staat kann nur für<br />
solche Gesetze Gehorsam erwarten, die <strong>de</strong>m Naturrecht entsprechen.<br />
Zu II, 1: Homogenität <strong>de</strong>r Staatsgemeinschaft im Vergleich zur Einheit <strong>de</strong>r<br />
römischen Kirche - Der Konsens als wesentliche Bedingung je<strong>de</strong>r Staatsform<br />
Schmitt war an <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Homogenität <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>de</strong>swegen so<br />
sehr interessiert, weil seine zwischenstaatliche Freund-Feind-I<strong>de</strong>e eine durch<br />
Thomas von Aquin, S.Th. I-II 94,4. Thomas zählt zu <strong>de</strong>n obersten Prinzipien <strong>de</strong>r Vernunft<br />
nicht nur das Wi<strong>de</strong>rspruchs- und das I<strong>de</strong>ntitätsprinzip und das Prinzip <strong>de</strong>r praktischen Vernunft<br />
(Das Gute ist zu tun), son<strong>de</strong>rn auch jene Prinzipien, die ihrer Natur nach so allgemein sind, daß<br />
sie ohne Mühe unmittelbar einsichtig sind, z.B. die Sicherung <strong>de</strong>r eigenen Existenz, nieman<strong>de</strong>m<br />
Unrecht tun, vernünftig han<strong>de</strong>ln, wie auch alle Regeln menschlichen Verhaltens, ohne <strong>de</strong>ren<br />
Beachtung die Menschen miteinan<strong>de</strong>r nicht leben könnten. Vgl. hierzu meinen Kommentar in:<br />
Thomas von Aquin, Naturgesetz und Naturrecht, Bonn 1996, 205.<br />
49<br />
In seinen Tagebuchnotizen „Glossarium" bedachte Schmitt <strong>de</strong>n Juristen G. Radbruch wie<br />
auch an<strong>de</strong>re Juristen, die nach <strong>de</strong>m zweiten Weltkrieg eine plötzliche Umkehr vornahmen, mit<br />
giftigem Spott. Ganz Unrecht hatte er nicht. Die „Umkehr" glich mehr <strong>de</strong>m Opportunismus als<br />
einer Bekehrung, <strong>de</strong>nn sie hätten zugleich vom Rechtspositivismus Abschied nehmen und die<br />
Berechtigung <strong>de</strong>s Naturrechts insgesamt anerkennen müssen, was nicht geschah, noch geschehen<br />
konnte, da ihnen hierzu die erkenntnistheoretische Basis fehlte.