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Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

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IV. Die Religionsfreiheit 147<br />

gebnis dieser Bemühung nicht notwendigerweise zur objektiven Wahrheitserkenntnis<br />

führen muß. Man muß sich <strong>de</strong>n Unterschied zwischen veritas<br />

speculativa (theoretica) und veritas practica in Erinnerung rufen. Das Gewissensurteil<br />

ist ein Urteil über die veritas practica, nicht speculativa. Der<br />

Mensch, <strong>de</strong>r trotz <strong>de</strong>s ehrlichen Bemühens um die theoretische Wahrheit<br />

nicht <strong>de</strong>n Weg zum Christentum gefun<strong>de</strong>n hat, wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Kirche nicht<br />

geächtet, obwohl sie seinen Glauben für objektiv unwahr hält. Von <strong>de</strong>r theoretischen<br />

Überzeugung aus kann die Kirche darum <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>rsgläubigen<br />

nicht approbieren, sie muß ihn aber tolerieren und ihm im zivilen zwischenmenschlichen<br />

Verkehr das gleiche Recht zuerkennen wie ihren Gläubigen.<br />

Es stimmt also nicht, was Böckenför<strong>de</strong> meint, das Zweite Vatikanische Konzil<br />

wür<strong>de</strong> nun gegen Pius XII. von <strong>de</strong>r Toleranzthese Abschied nehmen 9 ,<br />

gemäß <strong>de</strong>r vom theologischen Standpunkt aus die an<strong>de</strong>rn Bekenntnisse zwar<br />

toleriert, aber gemäß <strong>de</strong>m Wahrheitskriterium nicht als gleichberechtigt betrachtet<br />

wer<strong>de</strong>n können. Man kann zwei sich gegenseitig ausschließen<strong>de</strong><br />

theoretische Aussagen nicht als „gleich wahr" bezeichnen. Man kann sie aber<br />

als staatsrechtlich gleichberechtigt erklären, wenn <strong>de</strong>r Staat seinerseits das<br />

weltanschaulich o<strong>de</strong>r konfessionell orientierte Wahrheitskriterium nicht zu<br />

seinem Kriterium <strong>de</strong>r Staatszugehörigkeit macht. Im <strong>Mit</strong>telalter dagegen war<br />

dies <strong>de</strong>r Fall. Das war eine rein politische Situation, die sich in <strong>de</strong>r Neuzeit<br />

geän<strong>de</strong>rt hat. Sich dieser Verän<strong>de</strong>rung anzuschließen, erfor<strong>de</strong>rte von <strong>de</strong>r<br />

katholischen Kirche keine dogmatische, wohl aber eine politische Wendung.<br />

Diese ist nun im Zweiten Vatikanischen Konzil feierlich erklärt wor<strong>de</strong>n.<br />

Zum katholischen Dogma gehörte niemals die I<strong>de</strong>ntifizierung von Kirche und<br />

Staat. Das hat Augustinus in seinem „Gottesstaat" ein<strong>de</strong>utig dargestellt.<br />

Was hier von <strong>de</strong>r katholischen Kirche gesagt wur<strong>de</strong>, gilt allgemein von je<strong>de</strong>m<br />

weltanschaulich orientierten Verband, <strong>de</strong>r seine Weltanschauung nicht mit<br />

staatsrechtlichen Zwangsmitteln durchsetzen will. Ohne seine eigene Wahrheitserkenntnis<br />

zu verraten, kann ein solcher weltanschaulich orientierter<br />

Verband an<strong>de</strong>rn Verbän<strong>de</strong>n mit Toleranz begegnen und ihm auf <strong>de</strong>r staats-<br />

9<br />

In seiner Re<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Verband <strong>de</strong>r katholischen Juristen Italiens vom 6. Dezember 1953 sagt<br />

Pius XII. ausdrücklich, daß das, was nicht <strong>de</strong>r Wahrheit und <strong>de</strong>m Sittengesetz entspreche, objektiv<br />

kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion habe. Jedoch könne es trotz<strong>de</strong>m im Interesse<br />

eines höheren und umfassen<strong>de</strong>ren Gutes gerechtfertigt sein, nicht durch staatliche Gesetze und<br />

Zwangsmaßnahmen einzugreifen, mit an<strong>de</strong>ren Worten: Toleranz zu üben. Vgl. A.-F. Utz, - J. F.<br />

Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius'<br />

XII., Freiburg/Schweiz 1954-1961, Nr. 3978. Die Aussage Pius' XII. enthält noch nicht die<br />

Präzisierung auf das <strong>de</strong>mokratische Verständnis von Toleranz. Sie ist ganz theologisch geprägt,<br />

etwa in <strong>de</strong>m Satz: „Vom katholischen Glauben aus kann man <strong>de</strong>m Unglauben nicht dasselbe<br />

göttlich begrün<strong>de</strong>te Recht zuerkennen, wie einer mit <strong>de</strong>m Glauben übereinstimmen<strong>de</strong>n Aussage".<br />

Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich ganz auf <strong>de</strong>n staatsrechtlichen Bo<strong>de</strong>n gestellt, ohne<br />

aber damit die theologische Begriffsbestimmung zu verleugnen. Auf theologischer Ebene hat das<br />

Zweite Vaticanum nichts geän<strong>de</strong>rt.

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