Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de
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144 4. Kap.: Die Bürgerrechte<br />
einmal zum katholischen Glauben bekannten, aber nachher sich von ihm<br />
abwandten. Die katholische Kirche hat von jeher und zu allen Zeiten die<br />
Anwendung von Zwangsmitteln zur Bekehrung abgelehnt, wie immer <strong>de</strong><br />
facto da und dort, namentlich in <strong>de</strong>r Bekehrung germanischer Stämme, rechtlicher<br />
Druck angewandt wur<strong>de</strong>. Sie hat zu allen Zeiten betont, daß man nieman<strong>de</strong>n<br />
zur Annahme <strong>de</strong>s katholischen Glaubensbekenntnisses zwingen<br />
dürfe. Sonst wür<strong>de</strong> sie die grundlegen<strong>de</strong>, für alle moralischen Handlungen<br />
gelten<strong>de</strong> Pflicht, <strong>de</strong>m Gewissen zu folgen, abstreiten.<br />
Thomas von Aquin ist <strong>de</strong>r Kronzeuge dieser theologischen Position. Er sagt<br />
von <strong>de</strong>njenigen, die niemals <strong>de</strong>n Glauben angenommen haben, wie die Hei<strong>de</strong>n<br />
und Ju<strong>de</strong>n (gemeint sind die zeitgenössischen Ju<strong>de</strong>n, nicht die Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Alten Bun<strong>de</strong>s): „Sie sind auf keine Weise zum Glauben zu nötigen, sie sollen<br />
aus sich glauben, <strong>de</strong>nn Glauben ist Sache <strong>de</strong>s Willens." 4<br />
In <strong>de</strong>r im <strong>Mit</strong>telalter<br />
diskutierten Frage, ob man "ungläubige", vor allem jüdische Eltern zwingen<br />
dürfe, ihr Kind taufen zu lassen, verweist Thomas 5<br />
auf das auch in <strong>de</strong>r Erlösungsordnung<br />
nicht zerstörte Naturrecht. In je<strong>de</strong>m Fall gehöre das Kind <strong>de</strong>n<br />
Eltern, es dürfe darum von keiner, auch nicht <strong>de</strong>r in weltlichen Dingen regieren<strong>de</strong>n<br />
Kirche gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>r niemals gläubig gewesenen Eltern (auch<br />
<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n, die unter christlicher Regierung im bürgerlichen Leben nur beschränkte<br />
Rechte genossen) getauft wer<strong>de</strong>n, da die Eltern ein natürliches<br />
Recht hätten, die Religion <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s zu bestimmen und dieses Recht durch<br />
die Offenbarung nicht aufgehoben sei.<br />
An<strong>de</strong>rs urteilte die Theologie hinsichtlich <strong>de</strong>s Apostaten, d.h. <strong>de</strong>s Menschen,<br />
<strong>de</strong>r sich einmal zum katholischen Glauben bekannte, aber sich davon abwandte.<br />
Diese Wandlung, d.h. dieser Abfall, ist nach Ansicht <strong>de</strong>r katholischen<br />
Theologie nur möglich aufgrund einer moralischen Verfehlung (Sün<strong>de</strong>).<br />
Daß sich die kirchliche Behör<strong>de</strong> gegen einen solchen Abfall, wenn er<br />
sich äußerlich kundtat, durch die entsprechen<strong>de</strong> kirchliche Strafmaßnahme<br />
z.B. die Exkommunikation, wehrte, muß je<strong>de</strong>r Jurist anerkennen. Daß auch<br />
die Zivilgesellschaft entsprechend reagierte, war die Folge <strong>de</strong>r politischen<br />
Verquickung von Staat und Kirche. Kirchliche Unruhen gefähr<strong>de</strong>ten auch die<br />
staatliche Einheit. Da <strong>de</strong>r mittelalterliche Staat als Weltanschauungs-, d.h. als<br />
katholischer Staat begriffen wur<strong>de</strong>, galt <strong>de</strong>r öffentlich auftreten<strong>de</strong> Apostat<br />
nicht nur als Zerstörer <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>r Christenheit, son<strong>de</strong>rn zugleich auch als<br />
Zerstörer <strong>de</strong>r staatlichen Einheit.<br />
Im mo<strong>de</strong>rnen Staatsrecht ist, wie erwähnt, die Glaubensfreiheit mit <strong>de</strong>r Gewissensfreiheit<br />
i<strong>de</strong>ntisch, weil <strong>de</strong>r staatsrechtliche Begriff <strong>de</strong>r Glaubensfreiheit<br />
keinen Unterschied zwischen wahrem und falschem Glauben macht. Der<br />
4<br />
5<br />
S.Theol. II-II 10, 8.<br />
Vgl. S.Theol, II-II 10,12.