Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

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136 4. Kap.: Die Bürgerrechte Forderung, daß die friedliche Ordnung durch eine gute Individualmoral abgestützt sein muß, nicht entziehen. Da die demokratische Friedensordnung nur verlangt, daß die Freiheit des einen die Freiheit des andern nicht störe, wird die Individualmoral zur Intimsphäre gerechnet. Dieser gebührt aufgrund des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Vorzug gegenüber dem Recht auf Information (passive Meinungsfreiheit). Das praktische Problem besteht nun darin, diese beiden Rechte gegenseitig abzugrenzen. Das subjektivistisch formulierte Persönlichkeitsrecht gerät in Kollision mit dem demokratischen Recht auf Information. Die Journalisten bestehen ihrer Profession gemäß auf ihrem Recht, Informationen zu sammeln. Man kennt zur Genüge ihre auf Sensation eingestellte Neugierde. Solange nicht Gesetze für einzelne Tatbestände vorliegen, ist das Urteil dem Ermessen des Richters anheimgegeben. Der Richter kann sich in Streitigkeiten, in denen über die Rechtmäßigkeit einer Meinungsäußerung entschieden werden muß, nicht an absolut gültige, abstrakte moralische Normen halten. Er orientiert sich darum an dem de facto von der Mehrheit anerkannten Wertempfinden. Und die Mehrheit ist, wie man weiß, dann, wenn sie nicht selbst durch eine Entscheidung betroffen ist, ebenfalls von der Neugierde beherrscht, so daß sie den Medien folgt, d.h. dem demokratischen Prinzip den Vorzug gibt. Von diesem Prinzip aus wird auch auf die Verschiedenheit der Kulturbereiche verwiesen, in denen sich eine Meinungsäußerung vollzieht. So hat z.B. ein Gericht in Bern die Klage wegen einer religiös skandalösen Darstellung abgewiesen mit dem Hinweis, die Kunst übernehme in der allgemeinen Wertbildung eine gewisse Führungsrolle. An diesem Beispiel wird deutlich, wie leicht das Persönlichkeitsrecht, zu dem auch die moralische Überzeugung gehört, durch das demokratisch orientierte Recht auf Information unterbewertet wird. Dieses Beispiel zeigt auch, wie die Meinungsfreiheit undefinierbar werden kann, wenn man die Wertordnung des Naturrechts verlassen hat. Die Gerechtigkeit ist in Gefahr dem Ermessensurteil des Richters, vielleicht sogar dem Volk auf der Straße zu erliegen. In einfacher Weise rettet sich der Richter vor der Kritik, indem er sich möglichst an das rein formelle, gesetzlich formulierte Freiheitsrecht hält, das, weil wertfrei und individualistisch, ethisch nicht mehr zu kontrollieren ist. Damit wird aber auch das Persönlichkeitsrecht relativiert. Vom Gesichtspunkt der Praxis hat die deutsche Gesetzgebung sich zurecht auf den Standpunkt gestellt, daß auf dem Gebiet der Kommunikation das Recht auf Selbstbestimmung der Person, d.h. das Persönlichkeitsrecht, die entscheidende Norm ist, die vor dem demokratisch bestimmten Kommunikationsmechanismus steht. Insofern kommt die individualistisch orientierte Definition der Meinungsfreiheit mit der des Naturrechts überein. Nur gelingt

III. Die Meinungsfreiheit 137 es, wie gesagt, auf dem Boden des individualistischen Grundrechtsverständnisses nicht, das Gemeininteresse logisch einzubauen. Es wird stets ad hoc eine Lösung gesucht, nachdem in der bislang gültigen Rechtsordnung empfindliche Lücken festgestellt worden sind. Manche dieser Lücken wären voraussehbar gewesen, wenn man im vorhinein an die Gemeininteressen gedacht hätte. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Konzession der völligen Meinungsfreiheit an Asylanten. Wenn man das individualistisch verstandene Recht auf Meinungsfreiheit als allgemein gleiches Menschenrecht einschätzt, ist der Staat gezwungen, den Asylanten nicht anders zu behandeln als die eigenen Bürger. Dem Asylanten wird somit das Recht zu politischen Demonstrationen zugestanden, solange er die staatliche Rechtsordnung des Asyllandes nicht verletzt. Die Gleichgesinnten des Asylanten, die in ihrer Heimat verblieben sind, können auf geheimem Weg die politische Agitation der Asylanten finanziell unterstützen. Diese werden so als politische Agitatoren auf internationaler Ebene benutzt. Wer kann dagegen etwas unternehmen, wenn sie das unangefochtene individualistische Recht auf Meinungsfreiheit geltend machen können? Das Asylland, das den Kommunismus als undemokratische Bewegung verwirft, ist ohnmächtig gegenüber kommunistischen Asylanten, solange diese nur für die kommunistische Politik ihrer in der Heimat verbliebenen Brüder agitieren. Da liegt doch irgendwo ein Widerspruch vor. Die Meinungsfreiheit im Bereich der modernen Kommunikationstechnik In neuerer Zeit ist infolge der mikroelektronischen Technik die konkrete Bestimmung der Meinungsfreiheit enorm kompliziert worden. Das zeigt sich schon in der Flut der ständig sich ändernden gesetzlichen Vorschriften über Datenerhebung, Datenverarbeitung, Datenverwertung. Das deutsche Bundesdatenschutzgesetz vom 2.1.1977 definierte die Datei als „eine gleichartig aufgebaute Sammlung von Daten, die nach bestimmten Merkmalen erfaßt und geordnet, auch nach andern bestimmten Merkmalen umgeordnet und ausgewertet werden kann, ungeachtet der dabei angewendeten Verfahren; nicht hierzu gehören Akten und Aktensammlungen, es sei denn, daß sie durch automatisierte Verfahren umgeordnet und ausgewertet werden können". Die „Datenbank" ist ein zentral verwalteter Speicher, in dem wichtige Daten eines großen Arbeitsgebiets gesammelt und mit Hilfe einer Datenverarbeitungsanlage auf neuestem Stand gehalten werden. Die Datenverarbeitung erlaubt es, in einem unvorstellbaren Umfang Informationen verschiedener Art und Herkunft zu speichern, zu kombinieren und in kürzester Zeit verfügbar zu machen. Der einzelne weiß selbst nicht, in wieviel Dateien er steht und in welcher mißbräuchlichen Weise seine persönlichen Daten schon ausgewertet worden sind. Er hat freiwillig oder unfreiwillig zahlreiche perso-

136 4. Kap.: Die Bürgerrechte<br />

For<strong>de</strong>rung, daß die friedliche Ordnung durch eine gute Individualmoral abgestützt<br />

sein muß, nicht entziehen.<br />

Da die <strong>de</strong>mokratische Frie<strong>de</strong>nsordnung nur verlangt, daß die Freiheit <strong>de</strong>s<br />

einen die Freiheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn nicht störe, wird die Individualmoral zur Intimsphäre<br />

gerechnet. Dieser gebührt aufgrund <strong>de</strong>s Allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

<strong>de</strong>r Vorzug gegenüber <strong>de</strong>m Recht auf Information (passive Meinungsfreiheit).<br />

Das praktische Problem besteht nun darin, diese bei<strong>de</strong>n<br />

Rechte gegenseitig abzugrenzen. Das subjektivistisch formulierte Persönlichkeitsrecht<br />

gerät in Kollision mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Recht auf Information.<br />

Die Journalisten bestehen ihrer Profession gemäß auf ihrem Recht, Informationen<br />

zu sammeln. Man kennt zur Genüge ihre auf Sensation eingestellte<br />

Neugier<strong>de</strong>. Solange nicht Gesetze für einzelne Tatbestän<strong>de</strong> vorliegen, ist das<br />

Urteil <strong>de</strong>m Ermessen <strong>de</strong>s Richters anheimgegeben. Der Richter kann sich in<br />

Streitigkeiten, in <strong>de</strong>nen über die Rechtmäßigkeit einer Meinungsäußerung<br />

entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n muß, nicht an absolut gültige, abstrakte moralische Normen<br />

halten. Er orientiert sich darum an <strong>de</strong>m <strong>de</strong> facto von <strong>de</strong>r Mehrheit anerkannten<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n. Und die Mehrheit ist, wie man weiß, dann, wenn sie<br />

nicht selbst durch eine Entscheidung betroffen ist, ebenfalls von <strong>de</strong>r Neugier<strong>de</strong><br />

beherrscht, so daß sie <strong>de</strong>n Medien folgt, d.h. <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Prinzip<br />

<strong>de</strong>n Vorzug gibt. Von diesem Prinzip aus wird auch auf die Verschie<strong>de</strong>nheit<br />

<strong>de</strong>r Kulturbereiche verwiesen, in <strong>de</strong>nen sich eine Meinungsäußerung vollzieht.<br />

So hat z.B. ein Gericht in Bern die Klage wegen einer religiös skandalösen<br />

Darstellung abgewiesen mit <strong>de</strong>m Hinweis, die Kunst übernehme in <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Wertbildung eine gewisse Führungsrolle. An diesem Beispiel<br />

wird <strong>de</strong>utlich, wie leicht das Persönlichkeitsrecht, zu <strong>de</strong>m auch die moralische<br />

Überzeugung gehört, durch das <strong>de</strong>mokratisch orientierte Recht auf Information<br />

unterbewertet wird.<br />

Dieses Beispiel zeigt auch, wie die Meinungsfreiheit un<strong>de</strong>finierbar wer<strong>de</strong>n<br />

kann, wenn man die Wertordnung <strong>de</strong>s Naturrechts verlassen hat. Die Gerechtigkeit<br />

ist in Gefahr <strong>de</strong>m Ermessensurteil <strong>de</strong>s Richters, vielleicht sogar<br />

<strong>de</strong>m Volk auf <strong>de</strong>r Straße zu erliegen. In einfacher Weise rettet sich <strong>de</strong>r Richter<br />

vor <strong>de</strong>r Kritik, in<strong>de</strong>m er sich möglichst an das rein formelle, gesetzlich<br />

formulierte Freiheitsrecht hält, das, weil wertfrei und individualistisch,<br />

ethisch nicht mehr zu kontrollieren ist. Damit wird aber auch das Persönlichkeitsrecht<br />

relativiert.<br />

Vom Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Praxis hat die <strong>de</strong>utsche Gesetzgebung sich zurecht<br />

auf <strong>de</strong>n Standpunkt gestellt, daß auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Kommunikation das<br />

Recht auf Selbstbestimmung <strong>de</strong>r Person, d.h. das Persönlichkeitsrecht, die<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Norm ist, die vor <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratisch bestimmten Kommunikationsmechanismus<br />

steht. Insofern kommt die individualistisch orientierte<br />

Definition <strong>de</strong>r Meinungsfreiheit mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Naturrechts überein. Nur gelingt

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