27.04.2015 Aufrufe

Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

II. Die Gewissensfreiheit als Grundrecht <strong>de</strong>s Bürgers 127<br />

entgehen, in<strong>de</strong>m er sich selbst umdisponiert, was meistens geschieht durch<br />

die Aktivierung einer an<strong>de</strong>ren Lei<strong>de</strong>nschaft (z.B. Furcht vor <strong>de</strong>n Folgen dieser<br />

Einstellung).<br />

Der Wille hat also in <strong>de</strong>m Augenblick <strong>de</strong>r Beeinflussung <strong>de</strong>s praktischen<br />

Urteils, wie bereits gesagt, sich selbst gebun<strong>de</strong>n. Man kann darum sagen, das<br />

Gewissen „verpflichte" in je<strong>de</strong>m Fall. Thomas von Aquin unterschei<strong>de</strong>t aber<br />

im Begriff <strong>de</strong>r Pflicht entsprechend <strong>de</strong>m lateinischen obligatio zwischen<br />

naturhafter Bindung und eigentlich moralischer Verpflichtung <strong>de</strong>r Freiheit.<br />

Beim schuldhaft irrigen Gewissen liegt selbstverantwortete Bindung vor.<br />

Thomas wen<strong>de</strong>t sich damit gegen Bonaventura, <strong>de</strong>r diese Unterscheidung<br />

nicht kannte und darum erklärte, das schuldhaft irrige Gewissen verpflichte<br />

nicht. 3<br />

Ein Richter kann an sich aufgrund seiner Lebenserfahrung <strong>de</strong>n selbstverschul<strong>de</strong>ten<br />

Irrtum eines Militärdienstverweigerers ent<strong>de</strong>cken und beurteilen.<br />

Vielleicht han<strong>de</strong>lt es sich um eine Angst vor <strong>de</strong>n Strapazen, um eine Anhänglichkeit<br />

an die Familie usw., mit an<strong>de</strong>ren Worten um eine sachlich nicht<br />

begründbare willentliche Disposition. Da das konkrete Gewissensurteil über<br />

die allgemeine natürliche Anlage hinausgeht, d.h. subjektiv formiert ist, unterliegt<br />

die Beurteilung vonseiten eines Außenstehen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ssen subjektivem<br />

Ermessen. Daraus ergeben sich zwei verschie<strong>de</strong>ne Ermessensurteile, das <strong>de</strong>s<br />

Kriegsdienstverweigerers und das <strong>de</strong>s Richters. Darum wird in manchen<br />

Rechtsordnungen auf die Prüfung <strong>de</strong>s Gewissensentschei<strong>de</strong>s verzichtet. Dieses<br />

lockere Vorgehen kann natürlich zu sozial schädlichen Mißbräuchen<br />

führen. Aber eine Rechtsordnung, die auf <strong>de</strong>r rein subjektiven Formulierung<br />

<strong>de</strong>s Rechts auf Gewissensfreiheit besteht, muß diese unheilvollen Folgen in<br />

Kauf nehmen. Gewissen ist heute mit Freiheit i<strong>de</strong>ntisch gewor<strong>de</strong>n. Wer in<br />

<strong>de</strong>r Volkszählung seine Wohnadresse nicht angeben will, beruft sich auf<br />

seine unantastbare Intimsphäre, die in seiner Gewissensfreiheit begrün<strong>de</strong>t ist.<br />

Die Juristen haben bei dieser Entleerung <strong>de</strong>s Begriffs Gewissen von allem<br />

Moralischen kräftig mitgeholfen. Dagegen ist <strong>de</strong>r Ursinn <strong>de</strong>s Gewissens<br />

Bindung <strong>de</strong>s Menschen an Wahrheitsgehalte, die nicht <strong>de</strong>r Freiheit entstammen,<br />

die vielmehr <strong>de</strong>r Vernunft und <strong>de</strong>m Willen naturhaft vorgegeben sind.<br />

Über das Gewissen eines an<strong>de</strong>rn kann heute niemand mehr urteilen, weil es<br />

kein natürliches Wissen um allgemein gültige Normen mehr gibt. Gewiß ist<br />

die Möglichkeit <strong>de</strong>r Gewissenskontrolle durch Dritte unter Umstän<strong>de</strong>n, vor<br />

allem in strafrechtlichen Prozessen, mit großen Risiken verbun<strong>de</strong>n. Gegenüber<br />

<strong>de</strong>r Justiz mittelalterlicher Gewohnheit war darum die Eingrenzung <strong>de</strong>r<br />

Thomas nennt Bonaventura nicht ausdrücklich. Vgl. hierzu auch das Responsum ad 8 im<br />

gleichen Artikel, ebenso S. Theol. I-II 6,8, Kommentar zu VII Eth., lect. 10. Es war im <strong>Mit</strong>telalter<br />

Sitte, leben<strong>de</strong> Autoren aus <strong>de</strong>n eigenen Diskussionskreisen nicht zu nennen, da man allgemein<br />

die Vertreter bestimmter Lehren kannte. Außer<strong>de</strong>m war Thomas gegenüber einem ihm<br />

befreun<strong>de</strong>ten Autor sehr vornehm.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!