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Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

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124 4. Kap.: Die Bürgerrechte<br />

Bei Kant, bzw. im Neokantianismus, ist <strong>de</strong>r kategorische Imperativ rein formal.<br />

Er impliziert nicht das Sein, da dieses als zur Erfahrung gehörig betrachtet<br />

wird.<br />

Thomas von Aquin hat dieses Rätsel <strong>de</strong>r inneren Verquickung von Zwang<br />

und Pflicht im kategorischen Imperativ durch <strong>de</strong>n Hinweis aufgelöst, daß <strong>de</strong>r<br />

oberste Imperativ eine „<strong>Teil</strong>habe" am praktischen Imperativ <strong>de</strong>s Schöpfers,<br />

d.h. vom „Ewigen Gesetz" ist, die natürlich erst mit <strong>de</strong>r ersten Erkenntnis <strong>de</strong>s<br />

Seins im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Erfahrung aktuiert wird. Eine an<strong>de</strong>re Erklärung<br />

gibt es nicht. Dann muß man schon mit Kant und vielen an<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Ethik auf eine Auflösung <strong>de</strong>s Rätsels verzichten und bei <strong>de</strong>r einfachen<br />

Feststellung bleiben, daß <strong>de</strong>r Mensch ein moralisches Wesen ist. Damit<br />

aber wür<strong>de</strong> man sich mit Absicht für blind erklären, <strong>de</strong>nn an sich verlangt die<br />

Vernunft, wie schon Aristoteles sagte, nach einer Erklärung aus <strong>de</strong>r ersten<br />

Ursache. 2<br />

Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit kann nicht mehr sein als die Anerkennung<br />

<strong>de</strong>s Naturzustan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r praktischen Vernunft, d.h. <strong>de</strong>r Tatsache, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch immer und überall seinem Gewissen folgen muß, und zwar „muß"<br />

aus rein psychischer Anlage. Unter diesem Betracht kann man eigentlich<br />

nicht von Gewissensfreiheit sprechen. Wer <strong>de</strong>m Gewissen nicht folgen darf,<br />

lebt in einer psychischen Spannungssituation, d.h. in einer, wie man sagt,<br />

„existentiellen I<strong>de</strong>ntitätskrise". Das Wort Gewissensfreiheit bezieht sich auf<br />

die gesellschaftliche Umwelt, die <strong>de</strong>n natürlichen psychischen Sachverhalt<br />

<strong>de</strong>ssen, was man Gewissen nennt, als Grundlage <strong>de</strong>r rechtlichen Regelung<br />

zwischenmenschlicher Beziehungen anerkennt.<br />

Wenn man nun annimmt, daß niemand <strong>de</strong>n psychischen Hergang eines konkreten<br />

praktischen Imperativs <strong>de</strong>s <strong>Mit</strong>menschen beurteilen kann, dann ergibt<br />

sich <strong>de</strong>r Schluß, daß <strong>de</strong>r konkrete praktische Imperativ, wie immer er auch<br />

lauten mag, durch das Grundrecht abge<strong>de</strong>ckt sein muß. Die Behauptung eines<br />

einzelnen, er habe in einem bestimmten konkreten Fall aus Gewissen gehan<strong>de</strong>lt,<br />

wäre damit grundgesetzlich sch<strong>utz</strong>würdig. Wenn z.B. ein Militärdienstverweigerer<br />

sich auf sein Gewissensurteil beruft, kann unter dieser Voraussetzung<br />

nicht geprüft wer<strong>de</strong>n, ob eventuell gesellschaftlich nicht akzeptierbare<br />

Motive vorliegen. In <strong>de</strong>r Zeit, als die Behör<strong>de</strong> diesbezüglich noch eine<br />

2<br />

Der Wille ist nicht mit Freiheit zu i<strong>de</strong>ntifizieren. Dieses Mißverständnis stammt von Wilhelm<br />

Ockham, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n freien Willen von allen ontischen Bindungen löste. Der Existentialismus hat<br />

diese von allem losgelöste Freiheitsi<strong>de</strong>ologie zum Grundstein <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Ethik gemacht. Der<br />

Mensch wird nicht glücklich dadurch, daß er in freiem Entschluß sowohl das real Gute wie das<br />

real Schlechte erwählen konnte, son<strong>de</strong>rn dadurch, daß er im Bewußtsein seiner Naturanlage<br />

gehan<strong>de</strong>lt hat. Darum kommt es nicht darauf an, daß <strong>de</strong>r Mensch bei je<strong>de</strong>r Handlung alle möglichen<br />

und unmöglichen Alternativen überlegt, son<strong>de</strong>rn daß er auf <strong>de</strong>m sichersten und kürzesten<br />

Weg das erwählt, was zutiefst seiner Menschennatur entspricht. Darum hat Aristosteles die<br />

Erwerbung <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n zum zentralen Thema seiner Ethik gemacht.

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