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Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

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II. DIE GEWISSENSFREIHEIT ALS GRUNDRECHT DES BÜRGERS 1<br />

Die Definition <strong>de</strong>r<br />

Gewissensfreiheit<br />

Das Grundrecht <strong>de</strong>r Gewissensfreiheit ist die rechtliche Anerkennung <strong>de</strong>s<br />

natürlichen psychischen Zustan<strong>de</strong>s, daß je<strong>de</strong>r Mensch von Natur seinem<br />

letzten praktischen Urteil folgen muß. Die Ton liegt auf <strong>de</strong>m „naturgemäß<br />

muß". An<strong>de</strong>rs kann <strong>de</strong>r Mensch gar nicht han<strong>de</strong>ln. Das letzte praktische Urteil<br />

führt <strong>de</strong>n Willen mit naturhafter Notwendigkeit zur Entscheidung und<br />

somit zur Handlung. Dieses letzte praktische Urteil wird im allgemeinen als<br />

Gewissensurteil bezeichnet. Streng genommen ist es kein Urteil, son<strong>de</strong>rn ein<br />

Befehl, wie dies allgemein für die praktische Vernunft gilt entsprechend <strong>de</strong>m<br />

obersten, absoluten Imperativ, <strong>de</strong>r die treiben<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>s gesamten Bereichs<br />

<strong>de</strong>r praktischen Vernunft ist. Nach<strong>de</strong>m vor einer moralischen Handlung dieses<br />

letzte „Urteil" gefällt ist, ist <strong>de</strong>r Mensch nicht mehr frei, da <strong>de</strong>r freie<br />

Wille sich in diesem praktischen Urteil selbst gebun<strong>de</strong>n hat. Der Mensch<br />

folgt automatisch seiner seelischen Disposition, aus <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r konkrete<br />

praktische Imperativ ergibt, genau wie <strong>de</strong>r Schwimmer, wenn er einmal in<br />

Freiheit vom Sprungbrett abgesprungen ist, zwangsläufig im Wasser lan<strong>de</strong>t.<br />

Der Mensch schafft mit seiner Willkür selbst die Disposition, aus <strong>de</strong>r das<br />

letzte praktische Urteil erfolgt. Bevor er <strong>de</strong>n letztgültigen Imperativ fällt,<br />

kann er <strong>de</strong>ssen Grundlagen immer noch über<strong>de</strong>nken und zu einem an<strong>de</strong>rn<br />

Ergebnis kommen.<br />

Da die praktische Vernunft von einem a priori gültigen Imperativ ausgeht<br />

(Das Gute ist zu tun, das Böse zu mei<strong>de</strong>n), also in einem moralischen Imperativ<br />

begrün<strong>de</strong>t ist, hat <strong>de</strong>r psychische Zwang <strong>de</strong>s letzten Imperativs zugleich<br />

<strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r Pflicht. Diese Ausdrucksweise scheint wi<strong>de</strong>rsprüchlich zu<br />

sein, da man von Pflicht nur sprechen kann, wenn man frei ist, zu han<strong>de</strong>ln<br />

o<strong>de</strong>r nicht zu han<strong>de</strong>ln. Doch ist dieser scheinbare Wi<strong>de</strong>rspruch bereits in <strong>de</strong>r<br />

Anlage <strong>de</strong>r praktischen Vernunft begrün<strong>de</strong>t, da je<strong>de</strong>r Mensch beim ersten<br />

Erwachen seiner Vernunft naturhaft <strong>de</strong>n obersten praktischen Imperativ ausspricht,<br />

parallel zur theoretischen Vernunft, die gemäß ihrer Natur <strong>de</strong>m Prinzip<br />

folgt: „Seien<strong>de</strong>s kann nicht zugleich ein Nicht-Seien<strong>de</strong>s sein". An<strong>de</strong>rs<br />

kann sich die theoretische Vernunft nicht betätigen. In gleicher Weise gilt für<br />

<strong>de</strong>n obersten praktischen Imperativ: Das (seinsgemäße) Gute ist zu wollen.<br />

' Vgl. hierzu auch: A.F. Utz, Gewissensfreiheit und gesellschaftlicher Nie<strong>de</strong>rgang. Gesellschaftspolitische<br />

Kommentare, Jg. 35, Bonn 1994, 256-259; abgedruckt in: A.F. Utz, Ethik <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls, Gesammelte Aufsätze 1983-1997, Pa<strong>de</strong>rborn 1998, 101-104.

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