Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de
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Einführung 11<br />
die er selbst nicht produziert hat, die vielmehr eine natürliche Institution ist,<br />
für die man <strong>de</strong>n Institutor noch suchen muß. Aristoteles war von <strong>de</strong>r Existenz<br />
dieses Institutors überzeugt, obwohl er ihn nicht so ein<strong>de</strong>utig <strong>de</strong>finieren<br />
konnte, wie es die christliche Lehre von <strong>de</strong>r Schöpfung durch ein persönliches<br />
ewiges Wesen tun kann. Aber man versteht aufgrund dieses Zusammenhanges,<br />
daß für Thomas von Aquin nur das aristotelische Denken zur Erklärung<br />
<strong>de</strong>r Wirklichkeit in Frage kam.<br />
Das wesentliche Element <strong>de</strong>r Institution unserer Vernunft ist die Tatsache,<br />
daß wir unsere Begriffe aus <strong>de</strong>r Wirklichkeit holen müssen, doch nicht in<br />
<strong>de</strong>m Sinn, daß alles Begreifen nur Erfahrung ist, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>m Sinn, daß<br />
wir das Institutionelle in <strong>de</strong>n erfahrbaren Dingen suchen müssen zur Unterscheidung<br />
von Wesen und konkreter Daseinsweise. Das Institutionelle ist<br />
i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>m, was die Naturrechtslehre „natürliche Anlagen" nennt.<br />
Das ist <strong>de</strong>r Grund, warum ich in <strong>de</strong>r Ethik <strong>de</strong>s politischen Han<strong>de</strong>lns <strong>de</strong>r aristotelischen<br />
Erkenntnistheorie folge, wie sie durch Thomas von Aquin weiter<br />
ausgebaut wor<strong>de</strong>n ist. Das heißt aber nicht, daß ich Erfahrungstatsachen, die<br />
durch die politischen Wissenschaften festgestellt wor<strong>de</strong>n sind, ignoriere. Sie<br />
wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Maß in die Bewertung aufgenommen, als sie bei <strong>de</strong>r Konkretisierung<br />
<strong>de</strong>r Prinzipien hilfreich sind. Man darf die klassische Naturrechtslehre<br />
<strong>de</strong>s Thomas von Aquin nicht <strong>de</strong>m Naturrecht <strong>de</strong>r Neoscholastiker<br />
gleichsetzen. Die Neoscholastik mit ihrer subjektivistischen Orientierung<br />
steht Hugo Grotius (1583-1645), Christian Thomasius (1655-1728), vor<br />
allem Christian Wolff (1679-1754) näher als Thomas von Aquin. Für Thomas<br />
ist das Naturrecht ein Vernunftrecht. Der Prozeß, <strong>de</strong>n die Vernunft bis zur<br />
Formulierung eines konkret gültigen Rechts durchzugehen hat, verlangt beson<strong>de</strong>re<br />
Aufmerksamkeit. Dieser logische Prozeß beginnt mit <strong>de</strong>m durch<br />
metaphysische Abstraktion gewonnenen Begriff <strong>de</strong>r menschlichen Natur. Der<br />
Prozeß setzt sich fort in <strong>de</strong>r „recta ratio" 2 , d.h. in <strong>de</strong>r geordneten praktischen<br />
Vernunft, die mit <strong>de</strong>m konkreten Sachverhalt konfrontiert wird. Sie formuliert<br />
das konkret gültige Naturrecht. Die recta ratio ist nicht mit <strong>de</strong>r machiavellistischen<br />
Zweckethik zu verwechseln im Sinn <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>s<br />
Politischen mit <strong>de</strong>m praktisch Möglichen. Die Rückführung aller Rechte auf<br />
die universale Sozialnatur <strong>de</strong>s Menschen und damit auf das Gemeinwohl <strong>de</strong>r<br />
Menschheit hat Thomas von Aquin davor bewahrt, die Menschenrechte unvermittelt<br />
auf das einzelne Subjekt zu beziehen, wie es in <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Erklärung <strong>de</strong>r Menschenrechte von 1948 <strong>de</strong>r Fall war, so daß <strong>de</strong>m Politiker<br />
als moralische Alternative zu Machiavelli nur die Ausbalancierung gleicher<br />
subjektiver Rechte im Sinne Kants blieb. 3<br />
2<br />
Zum Begriff <strong>de</strong>r recta ratio vgl. S. 29.<br />
3<br />
Vgl. Heinz-Gerd Schmitz, Moral o<strong>de</strong>r Klugheit? Überlegungen zur Gestalt <strong>de</strong>r Autonomie <strong>de</strong>s<br />
Politischen im Denken Kants. In: Kant-Studien 81,4 (1990) 413-434.