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Sozialethik. Mit internationaler Bibliographie, V. Teil - stiftung-utz.de

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102 3. Kap.: Die Demokratie<br />

tik in Wirklichkeit aber in nichts an<strong>de</strong>rem besteht als in <strong>de</strong>n dauernd wechseln<strong>de</strong>n<br />

Kompromissen von Interessenverbän<strong>de</strong>n? Eine an <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen orientierte Politik kann bei aller Bereitschaft zu Kompromissen<br />

auf bestimmte Wertgrundsätze nicht verzichten. Obwohl diese Wertgrundsätze<br />

teilweise in <strong>de</strong>n Staatsverfassungen festgehalten sind (z.B. das Recht auf<br />

Leben), so wer<strong>de</strong>n sie doch unkenntlich durch die Dominanz <strong>de</strong>r persönlichen,<br />

formal gefaßten Freiheit. Über allen Werten steht <strong>de</strong>r Pluralismus, <strong>de</strong>r<br />

Grundlage <strong>de</strong>r Demokratie gewor<strong>de</strong>n ist. Daran konnten die Klassiker <strong>de</strong>r<br />

Antike und <strong>de</strong>s <strong>Mit</strong>telalters noch nicht <strong>de</strong>nken, da man <strong>de</strong>n wertneutralen<br />

Staat noch nicht kannte. Ihr oberstes Anliegen in <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>n Staatsformen<br />

war, wie gesagt, jene Staatsform zu fin<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m Staatsziel, d.h.<br />

<strong>de</strong>m Wohl aller, am besten dient. Und da sie die Ethik als Lehre <strong>de</strong>s guten<br />

und glücklichen Lebens verstan<strong>de</strong>n, war die Politik für sie, wie bei Aristoteles,<br />

die höchste Stufe <strong>de</strong>r Ethik.<br />

Von dieser Grundlage aus muß <strong>de</strong>r Ethiker heute darüber Rechenschaft geben<br />

können, mit welchen Argumenten er die mo<strong>de</strong>rn verstan<strong>de</strong>ne Demokratie<br />

rechtfertigen kann. Das Augenmerk richtet sich dabei vordringlich nicht auf<br />

die ethische Wertung <strong>de</strong>r menschlichen Handlung in <strong>de</strong>r Politik, son<strong>de</strong>rn auf<br />

das System, in welchem sich das Han<strong>de</strong>ln befin<strong>de</strong>t. Dieser Gedanke ist zu<br />

beachten, weil er sich durch alle Demokratietheorien hindurchzieht bis in die<br />

eigenwillige Systemtheorie von N. Luhmann'. Nicht von Selbstverwirklichung<br />

ist mehr die Re<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn einzig von Systemwerten, d.h. von systemerhalten<strong>de</strong>m<br />

Verhalten.<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>r Demokratie<br />

Geschichtlich betrachtet, hat sich <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Demokratie entsprechend<br />

<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Mißbrauch <strong>de</strong>r Herrschaftsgewalt gemachten Erfahrungen gebil<strong>de</strong>t.<br />

Der in <strong>de</strong>r klassischen Politik vorherrschen<strong>de</strong> Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

war nicht mehr ein philosophischer Begriff, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen erwächst, son<strong>de</strong>rn das Gemeinwohl, welches das Volk für sich als<br />

sein Wohl begreift, wie es bei Lincoln (1863) zum Ausdruck kommt: Die<br />

Demokratie ist „Herrschaft <strong>de</strong>s Volkes, durch das Volk und für das Volk"<br />

(government of the people, by the people, for the people). Lincoln knüpft<br />

damit an J.J. Rousseaus (1712-1778) zentralen Gedanken von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität<br />

von Herrscher und Beherrschtem an. Grundlegend ist in allen Vorstellungen<br />

von Demokratie die liberale individuelle Freiheit. Eine rein liberale Definition<br />

hätte von allen sozialen Anliegen abgesehen und die Unterschie<strong>de</strong> von<br />

arm und reich in Kauf genommen. Doch die französische Revolution hat mit<br />

ihrer Losung „Freiheit, Gleichheit und Brü<strong>de</strong>rlichkeit" die Tore selbst für<br />

1<br />

N. Luhmann, Komplexität und Demokratie. In: Politische Vierteljahresschrift 19 (1969) 314 ff.

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