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Trug und Wahrheit - Leseprobe -

Historischer Roman

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ERSTES KAPITEL<br />

Wohl an, ich bin die Hinterlist <strong>und</strong><br />

Der Verrat, doch stets der Treuste.<br />

Ich bin der Hurenbock <strong>und</strong> doch<br />

Ganz reine Unschuld. Ich bin der Lug,<br />

Der stille Betrug <strong>und</strong> doch die <strong>Wahrheit</strong><br />

Ich bin der Letzt <strong>und</strong> doch<br />

Der Einzige inmitten unter Euch.


27<br />

VESPERI<br />

… mein Gott, dieser Schmerz… er brennt so heiß in meinem Hirn, mir ist, als verglühe ich…<br />

doch ist mir im Körper ganz kalt…<br />

Wie ist das passiert…? Eris trat zwischen uns, säte den Hader beim Kartenspiel. He, Ingram!<br />

Her damit! Zeig deine Karten! rief ich. Er legte die Karten auf den Tisch. Triumphierte. Mein<br />

Blatt sticht deins. Ich wusste, er betrog. Das kann nicht sein! schnaubte ich. Vor rasendem Zorn<br />

sprang ich auf, stürzte mich auf ihn. In seiner Hand urplötzlich ein Messer. Ich nahm es kaum<br />

wahr, am wenigsten ernst. Erst als es direkt auf meine Stirn zuraste...<br />

Dieser schimmernd weiße Mond. Aber es ist doch taghell…<br />

All die hektisch wirren Geräusche hier ringsum... Das Auge…. mein Auge… ich kann nichts<br />

mehr sehen… Horch…! Diese Stille mit einemmal.<br />

Totale Dunkelheit. Ich bin nicht mehr wirklich. Das wird der Tod sein… Ich bin tot..?!<br />

Oder geht einfach der Tag über zur Nacht. Aber derart flink? …als hätte jemand die Sonne wie<br />

eine Kerze ausgepustet. Zack dunkel. Ach, Tage sind wie des Menschen Leben. Am Morgen<br />

jung, frisch, voller Tatendrang. reifen <strong>und</strong> sprießen zum Mittag. Hiernach altern <strong>und</strong> überkommt<br />

sie langsam die Müdigkeit. Werden gebrechlich, schmutzig, abgenutzt. Erlischen allmählich im<br />

Ansturm der Nacht. Jetzt hat sich auch dieser Tag verzehrt <strong>und</strong> aufgebraucht.<br />

Milde war er angebrochen. Hat sich ahnungslos fortgesetzt <strong>und</strong> endet nun für mich lächerlich<br />

trivial im Gegensatz zu all seinen gunstbezeugenden Versprechen. Gegensatz… Gegensatz…<br />

das war ich immer, gegensätzlich.<br />

Nicht erst seit ich denken kann, empfinde ich den Gegensatz zwischen mir <strong>und</strong> der Welt. Er<br />

bestand von Anfang an. Eine naturgegebene Voraussetzung, der ich mich nie entziehen konnte.<br />

Frühzeitig war ich mir gewiß, auch darauf verzichten zu wollen. Video meliora proboque,<br />

deteriora sequor… O nein. Ich folgte dem Natürlichem, dem was in mir lebt, mein Ich ist.<br />

Schlecht bloß, wenn man der Feigheit halber abläßt, das (S)ich restlos auszuschöpfen.<br />

Verdammt, nicht mal jetzt geht mir dieser angelernte Schulmist aus dem Schädel. Lernen,<br />

studieren, welch vertane Zeit für all den Schwachsinn. Stupide Bücher, totes Latein, verbiesterte<br />

Lehrer…


28<br />

Lehrer. Greeskop, du alter Kämpe hast mir Latein eingebläut. Beiderseitig Mühsal ohne Zweck,<br />

bar eines Nutzens. Aber deinen alltäglich gepredigten Gr<strong>und</strong>satz, der fraß sich mir in Fleisch<br />

<strong>und</strong> Blut. Unvergessen. Ein kluger Rat. Felix qui potuit verum cognoscere causas! Das hab` ich<br />

mir eingeprägt. Tausendmal. Ich durchschaute, aber anders als du dachtest, schnell die<br />

Ursachen, all der lächerlichen, doch so lustvollen Weltendinge, der Menschen Torheiten. Den<br />

endlosen Betrug, ihre Spielchen ums Machterhaschen, Einflußnehmen, die Schleimerei, das<br />

Buddeln von Fallgruben <strong>und</strong> den Auswurf von feingesponnenen Netzen, in denen sich alle<br />

gegenseitig miteinander verfangen. Entzaubert verloren im Hauen <strong>und</strong> Stechen. Geschmiedet<br />

an den Ketten des Schicksals. Unser aller Schicksal. Also warum sträuben. Das aufregendste<br />

war doch, daß ich mich - fröhlich - daran beteiligte. Sah obendrein unserem Treiben genüßlich<br />

zu. Ich erhob mich weit über euch… Irrsinn! Erhob? Ist es denn tatsächlich vorbei… Scher dich,<br />

Sensenschwinger. Über euch stehe ich. Euch alle, selbst im Straucheln, noch im Fallen über<br />

euch alle… beinah alle. Thomas, du gewiefter Doppelzüngler. Du entzogst dich selbst meinem<br />

Über-Blick. Betrachtete dein Tun nie von oben. Höchstens mal von Angesicht zu Angesicht.<br />

Glaubte ich wenigstens in meiner Selbstgewißheit. Doch jetzt weiß ich, du standest stets ein<br />

Stück höher. Schautest fortlaufend auf mich herab. Oder schweiften deine stummen Blicke<br />

schlicht über mich hinweg? Während ich dich ansah <strong>und</strong> mir einbildete, deine Augen meinten<br />

mich. Liebst du mich?<br />

POST MERIDIS<br />

“Liebst du mich?” sprudelte es leichtfertig über meine Lippen, unversehens gegen meinen<br />

Willen. Nicht durchdringbar dein Gesicht. Glatt, regungslos. Geübt im Verbergen jeder<br />

Innerlichkeit. Dergleichen zu vollbringen, gelang mir schlecht. Verlagerte mich stattdessen aufs<br />

Täuschen <strong>und</strong> Verstellen. Hingegen du. Beherrschung deiner Selbst, darin bist du ein Meister.<br />

“Das fragst du?” erwiderte er. Stimmt. Das einzige Mal in meinem Leben diese Frage <strong>und</strong> er der<br />

Einzige, dem ich sie je stellte. Warum passierte mir das gerade heute? Ich Dummkopf. Am<br />

Ende solch eine Schwachheit. Wie oft hatte ich diese komische Frage von anderen an mich<br />

gerichtet gehört. Liebst du mich? Kyd wollte es ständig wissen. Watson, Nash, Peel, Green <strong>und</strong><br />

auch noch dieser närrische Baines.<br />

Schweigend saßen wir uns gegenüber. Schließlich richtete er sich auf, mir seinen Rücken<br />

zugewandt. Eigenartigerweise schoß mir durch den Kopf: Was für eine makellose Haut er hat.<br />

Ich streckte meine Hand aus, um ihn zu berühren. Sein schnelles Aufstehen vereitelte es. Hatte<br />

das Nahen meiner Hand gespürt. Entzog sich der Berührung, indem er sich unserer Nähe,<br />

unserer einträchtigen Nähe, entzog. Stieg in das bläuliche Wams. Legte gar den Säbel an.


“Mach dich fertig, Christopher. Du mußt noch etwas essen, bevor sie dich abholen”, bot er mir in<br />

nüchtern betonungslosem Tone an.<br />

29<br />

Eigenartig, mit welcher Genauigkeit, Einzelheit für Einzelheit, meine Vorstellungskraft sich<br />

erinnert.<br />

“Danke, daß ich meinen Arrest bei dir verbringen durfte”, sagte ich beim Mahl. Wir am Tisch<br />

einander vis-a-vis. Kein fern uns trennender Tisch. Streckte ich meinen Arm aus <strong>und</strong> er seinen,<br />

unsere Hände hätten sich ergreifen können. “Ohne deine Fürsprache hockte ich zusammen mit<br />

Kyd im Kerker von Brideswell… Mein Schutzengel, fügte ich hinzu. Ein Achselzucken<br />

seinerseits. Nur dies. Unbedeutend abgetan. Thomas’ Unnahbarkeit beunruhigte….<br />

Beunruhigte? Worte verharmlosen, belüge mit ihnen mein Ich. Es kränkte mich in dieser<br />

St<strong>und</strong>e, die jener St<strong>und</strong>e folgte, in der wir uns geliebt. Ich konnte unmöglich still wortlos bleiben.<br />

Ich mußte reden.<br />

“Ob sie mich verurteilen?” sinnierte ich dahin. Vermied es, dich direkt anzusprechen.<br />

“Wahrscheinlich. Wer ketzerische Ideen verbreitet, Gott lästert, Unruhe stiftet, muß solche<br />

Konsequenzen mit bedenken.”<br />

“Ich spreche nur aus, was wir beim Hinsehen durchschauen können. Religion besteht, um die<br />

Menschen einzuschüchtern. Was ist daran unwahr?”<br />

„Ihr Dichter redet viel. Das endlos <strong>und</strong> vor allem zu laut. Übermäßig laut, so daß euch jeder<br />

hören kann.”<br />

“Gott schuf uns Dichter, damit wir dies tun. Und was Gott gewollt, kann doch nicht verkehrt sein.<br />

Vorausgesetzt es gibt diesen einen Gott. Existiert Gott? Hm, Thomas?”<br />

“Ist das eine philosophische oder theologische Frage?”<br />

“Besteht da ein großer Unterschied? Die einen suchen Gott, indem sie die Existenz Gottes<br />

logisch beweisen. Für die anderen beweist sich die Existenz Gottes logisch, indem sie nach<br />

Gott suchen.”<br />

“Die Existenz Gottes beweist sich allein darin, daß ich Ihn mir denken kann als vollkommenes<br />

Wesen. Zur Vollkommenheit gehört die Existenz, sonst wäre Er nicht Vollkommen. Ergo summa<br />

existiert Gott.”<br />

Amüsiert wanderte ein Schmunzeln um meine M<strong>und</strong>winkel. “Die Existenz deiner Liebe zu mir”,<br />

entgegnete ich leutselig, “beweist sich allein darin, daß ich mir deine vollkommene Liebe<br />

denken kann. Zur vollkommenen Liebe gehört ihre Existenz. Ergo summa liebst du mich. Diese<br />

konkrete logische Abfolge lernte ich zwar nicht, wie du deine in Cambridge, aber damals bereits


30<br />

warst du aufmerksamer, akribischer <strong>und</strong> lehrmeinungstreuer als ich.”<br />

Thomas verzog keine Mine. “Möglicherweise nur vorsichtiger. Du hast immer deine<br />

eigensinnigen Schlüsse gezogen. Aber, sind es auch die richtigen? Du denkst sehr schnell <strong>und</strong><br />

gleichzeitig in einem Zug über zu vieles nach, mein Fre<strong>und</strong>.”<br />

“Deshalb wohl bin ich dahin gelangt, wo ich jetzt bin”, ich hielt einen winzigen Moment inne,<br />

“…mein Geliebter.”<br />

“Ergib dich nicht dem Trübsinn. Es wird irgendwie gutgehen. Wie für gewöhnlich bislang bei dir.”<br />

“A ja, kann ich also sorglos sein <strong>und</strong> mich auf…, tja was verlassen? Das Glück? Eine helfende<br />

Hand? Auf Gott?”<br />

“Auf dich. Für gewöhnlich hast du niemals Furcht gezeigt <strong>und</strong> im passenden Moment, dich<br />

geschickt zu wenden gewußt. Dieses Mal geängstigt?”<br />

Wie du das aussprachst. Nahbar kalt. Zweideutig, als Wissender, der nichts zu wissen vorgibt,<br />

<strong>und</strong> umgekehrt, als Nicht-Wissender, der vorgaukelt, etwas zu wissen. Hast du mich verraten,<br />

Thomas? Ich fühle dich nicht mehr.<br />

“Sorgen bereitet mir Richard. Auf ihn stützt sich die Anklage. Er hat allerlei in die Welt gestreut,<br />

was ich getan oder gesagt haben soll.”<br />

“Baines? Baines ist ein Versager. Für alles zu haben <strong>und</strong> nichts zu gebrauchen, wie es treffend<br />

heißt.”<br />

“Anfangs, als ich ihn kennenlernte, dachte ich manchmal, inzwischen bin ich mir sicher,<br />

irgendjemand hat ihn auf mich angesetzt”, sagte ich <strong>und</strong> hing beiläufig an: “Ich überlege seit<br />

langem, wer?”<br />

“Mag sein, es ist so, wie du vermutest. Allerdings war es eine miserable Wahl. Und derjenige,<br />

welcher Baines zu dir schickte, wird sich hüten, daß der Mißgriff durch seine Zunge noch für ihn<br />

zur Peinlichkeit gerät.”<br />

Listenreicher. Autolykos, Sisyphos <strong>und</strong> Odysseus allesamt fänden in dir noch ihren Lehrmeister.<br />

Ich lauschte in mir auf den Nachhall deiner Stimme gewordenen Verschlagenheit. Es tat so<br />

weh.<br />

Auch giftige Pilze duften. Ich war deinem Duft im Nu verfallen. Da kümmerte es mich den<br />

Teufel, daß ich ahnte, du bist Gift für mich. Ein süßes Gift. In mäßigen, sehr kleinen Mengen<br />

genossen, entfaltet es kaum schädliche Wirkung. An den Gr<strong>und</strong>satz hielt ich mich bei dir früher.<br />

Wir waren jeder lebensdurstig <strong>und</strong> heißhungrig jung. Siebzehn Jahre ich, zwanzig du. Was je<br />

alle munkeln mögen, du verführtest mich nicht. Du hast aber sicheren Instinkts meine<br />

schelmische Verwandlungslust erkannt. Ich erkannte deine Reife <strong>und</strong> Stärke des Wollens. Im


31<br />

Kennenlernen, da erkannten wir uns sofort. Nicht später. Bei flüchtigem Betrachten könnten<br />

Außenstehende glauben, du seiest ein Spieler in all deinem Handeln. Ich muß mir selbst<br />

eingestehen, dich im Erkennen doch verkannt zu haben. Weil es für mich immer ein Spiel war,<br />

dem ich keinerlei Ernsthaftigkeit beimaß, wähnte ich uns beide in diesem Geiste verwandt. Mein<br />

Irrtum. Du nämlich betriebst dein Werk mit straffer Ernsthaftigkeit, während du äußerlich den<br />

Anschein des Spielers wahrtest. Ich spielte meine ganz persönliche Komödie. Wir traten<br />

nebenher in verschiedenen Stücken auf. Bei deinem Großvetter, Sir Francis, der den Namen<br />

Walsingham ebenso mit Glanz zu schmücken wie zum Schreckensmenetekel aufzubauen<br />

verstand, wußte ich, jeder von uns beiden hat seinen völlig eigenen Part, weshalb wir uns<br />

begegneten, wie…, ja wie Schwarz <strong>und</strong> Weiß auf dem Schachbrett, mit Abstand, notfalls<br />

ausweichend. Ich mich derart vor ihm schützend, gelegentlich ihn naseweiß foppend. Er, um<br />

mich zu dirigieren, damit ich gemäß seinen vorausberechneten Zügen entweder harrte oder<br />

dahin fortbewegte, wo es ihm dienlich war. Bei dir möcht’ ich bis jetzt dergleichen nicht denken,<br />

ungeachtet ich es doch sehe. Im Stil des Läufers überquerst du dorthin, dahin das Spielfeld.<br />

Tauchst plötzlich auf, entziehst dich wieder. Versteckst dich, scheint es dir geboten, hinter der<br />

Königin. Ich verabreichte mir das Gift Thomas Walsingham allzu häufig. Besonders die<br />

vergangenen Monate. Doch Gift, das man über eine lange Dauer einnimmt, tötet. Sämtliche<br />

Figuren, ob Fre<strong>und</strong>, ob Feind, nutzt, ich behaupte nicht benutzt, du zu einem einzigen Zweck:<br />

Dem Dienst für Deine Königin. Sie erhalten, die euch erhält. Mir ist die Königin egal. Sie<br />

bedeutet nichts…<br />

“Sir, die Herren sind soeben eingetroffen”, meldete der Diener, als wir nach Tisch uns an einer<br />

Flasche Wein gütlich taten… Herrje, in welch verschrobenen, stelzigen Worten man doch<br />

manchmal denkt. Denke ich überhaupt noch oder träume ich? – Auf Mann! - Mir ist, ich<br />

schwebe mitten in meinen Bildern. - Fort von hier! - zwischen eindringenden tosenden<br />

Klängen… Raus zu den Pferden! - Ich steig hinauf. Wohin?… Thomas nickte. Eine lässigen<br />

Handbewegung bezeugte dem Überbringer die Erlaubnis, sie eintreten zu lassen. Der Maiwind<br />

fächelte in seichten Böen laue Luft zu den offenen Fenstern herein. Die Stiefel an ihren Füßen<br />

brachte die Bodendielen zum Knarren <strong>und</strong> im Reden von Lachen durchsetzt kamen die Drei ins<br />

Zimmer. Robert Poly, Nicholas Skeres, im Nachzug Ingram Frizer. Thomas stand auf <strong>und</strong><br />

begrüßte Poly <strong>und</strong> Skeres mit Handschlag. Zwei unbedeutende Gestalten. Ihre Erscheinung<br />

tumb. Die M<strong>und</strong>partien anbiedernd verzogen von einem Grinsen bei dem Willkommenheißen,<br />

weshalb die in ihren Fressen im unverzerrten Zustand untergründig angedeutete Blödheit<br />

grotesk anschaulich wurde. Wie nebenher verrieten jene zwei, drei verstreut eingravierten,


32<br />

herben Gesichtsfalten das in ihnen schlummernde Potenzial brutale Rohheit. Als hätte ein<br />

Meister bewußt Hand angelegt, um ihr charakteristisches Dezent zu offenbaren. Einiger<br />

Begegnungen mit ihnen zuvor erinnerte ich mich höchst ungern. Ingram Frizer hielt Thomas<br />

einer herzlichen Umarmung für würdig. Gewürzt mit einem hauchkurzen zärtlichen M<strong>und</strong>kuß.<br />

Das rief mir ihre enge Verb<strong>und</strong>enheit ins Gedächtnis. Der Stich in meinem Herzen wollte kein<br />

Ende nehmen. Der blonde Hübschling, dessen schmal längliches Gesicht jedermann zum<br />

Ansehen lockt, denen der Blick auf gutaussehende junge Männer Freude bereitet, richtete sein<br />

Augenmerk über die Schulter des noch vor ihm stehenden Thomas auf mich. “Guten Tag,<br />

Christopher. Wie geht es dir?” fragte er. Aber er besann sich unversehens des Anlasses ihres<br />

Kommens. “Wir werden dich heil hin <strong>und</strong>…”, Thomas drehte an dieser Stelle seinen Kopf zu<br />

Ingram <strong>und</strong> sah ihn von der Seite an, “sicherlich auch zurückbringen”, sagte Frizer. Ich blieb<br />

stumm. “Setzt euch zu uns”, lud Thomas sie ein. Er holte Gläser. Öffnete eine neue Flasche<br />

Wein. Wir stießen an. Wir plauderten belangloses Zeug. Ich übertünchte meine Bedrücktheit mit<br />

Späßen. Jeder von ihnen, wenn sie je sich zu etwas verschworen, verstand es dann eloquent,<br />

dies zu verbergen. Ward ihr im B<strong>und</strong>e Verschworene? Robert <strong>und</strong> Nicholas? Undenkbar, nein<br />

ihr seid zu dumm fürs Schweigenkönnen. Im Schweigen geübt sein, erfordert sich selbst zu<br />

beherrschen. Ihr aber herrscht nicht über euch. Dummheit redet unbedacht Wahres aus. Zu<br />

keiner Zeit ließ ich einem Dummen mein Geheimstes wissen. Aber vor den Klugen behütete ich<br />

mein Geheimstes am meisten. Bist du klug, Ingram? - “Ich hörte, du hast ein neues Stück<br />

geschrieben”, sprach mich Ingram an, der schräg rechts von mir am Tisch saß, unterdessen<br />

Thomas die zwei Trottel zur Tür führte, von wo aus es in den Garten ging, den er ihnen, aus mir<br />

unerfindlichen Gründen, zeigen wollte. Man sah ihnen die Betretenheit an. Doch abzulehnen<br />

verbot ihnen die verinnerlichte Unterwürfigkeit aus niederer Stellung mehr, als daß sie einer<br />

Höflichkeit gehorchten. Mit dem einfachsten, klarsten Wort der Bejahung erteilte ich Ingram<br />

Antwort. “Wie lautet der Titel?” setzte er zu fragen fort. “Edward der Zweite”, meine<br />

Entgegnung. Als sei es belanglos, streckte ich mich gähnend <strong>und</strong> sah hochwärts. ”Unser<br />

Edward der Zweite!?” kam aus seinem M<strong>und</strong> mit zwischen Begreifen <strong>und</strong> Fragen besonnen<br />

austarierter Stimme. O ja Ingram, du bist klug. Schönheit, gar Anmutigkeit in der Ausstrahlung,<br />

<strong>und</strong> Klugheit vereint bei einem Menschen zeugt von dem seltenen Geschick, seine Zeit<br />

nutzbringend anwenden zu können. Denn nur dem Häßlichen verbleibt hinlänglich Zeit, sich zu<br />

bilden. “Möglicherweise wird es im Herbst von den Stranges Man aufgeführt”, überging ich seine<br />

Anspielung. Ingram erwies sich einsichtig genug, auf mein Übergehen nicht mit Penetranz zu<br />

reagieren. Statt dem fuhr er fort: “Worum geht es in dem Stück?” Ich nippte an meinem<br />

Weinglas <strong>und</strong> erforschte aus den Augenwinkeln seine Mine. “Es handelt von der Liebe…,


33<br />

hauptsächlich doch geht’s um den Verrat der dem König am nächsten Stehenden <strong>und</strong> jener,<br />

denen dieser aus ganzem Herzen fre<strong>und</strong>schaftlich zugetan, im Glauben sie sind aus Zuneigung<br />

auch ihm Fre<strong>und</strong>. Seine Sehnsucht nach Liebe kostet ihm das Leben”, erzählte ich den Inhalt<br />

knapp auf den Punkt bringend. Tatsächlich entsprach die Schilderung treulich dem Vorsatz, den<br />

ich schon beim Ausarbeiten im Kopf gefaßt hatte. Meine Stücke sind immer zuvorderst im Geist<br />

vollbracht, ehe ich sie niederschreibe. Ingram zeigte keinerlei Anzeichen irgendeiner<br />

Verstörung. Warum sollte er das? Er hob die Augenbrauen.<br />

“Hört sich tragisch an. Warum bloß obsiegt in deinen Stücken dauernd der Tod? Im Tamburlan,<br />

Faustus, dem Juden <strong>und</strong> jetzt bei diesem wieder.”<br />

“Vielleicht weil Edward im wirklichen Leben den Tod fand?” witzelte ich ungerührt, derweil in mir<br />

die beklemmende Besorgnis mit jeder vorrückenden St<strong>und</strong>e stieg.<br />

“Stimmt, jegliches findet sein Ende im Tod”, meinte Ingram trocken. “Aber wichtiger ist wie der<br />

Tod kommt. Es gibt unzählige Arten <strong>und</strong> ein Sterben ist nicht wie das andere.” Ich hörte ihn,<br />

ohne zu verstehen.<br />

ANTE MERIDIS<br />

Nicht wahr, dir haftete bei deinem Reden <strong>und</strong> bestimmt am Morgen die Tat des Abends fest im<br />

Sinn. Dieser Morgen, welch ein Anbeginn in Lust, so ganz verschieden dem Jetzt, da ich verletzt<br />

bin, niedergestreckt hier liege, tot bin. Tot, trotz mein Gehirn rege fabuliert? Aber denk ich<br />

überhaupt, da ich all jegliches einzig fühle. Demnach ist es wahr, daß unser Sterben ein<br />

Wandern ist zu einem erhabeneren Leben, wo es nur selig ist. Unsinn, ich lebe <strong>und</strong> will es<br />

kosten, will es schmecken, wie zuletzt in dieser morgenkühlen Frühe. Zaghaft fiel das<br />

verhaltene Dämmerlicht in meine Schlafstube. Aus den verträumten Augen noch lugte ich<br />

hinaus zum Himmel, der von den abziehenden nächtlich dunkelgrauen Wolkenfetzen <strong>und</strong> dem<br />

im ersten Feuerlicht bestrahlten Blau geteilt sich zeigte. Lauter Vogelsingsang durchwob die<br />

Luft. Neben dem Abschiedslied der Nachtigall ertönte das Jubilieren der Lerche zum Gruße der<br />

sich ankündigenden Sonne. Der Bequemlichkeit des warmen Bettes entrang ich mich mit einem<br />

beherzten Ruck. Einmal aufgerafft schlüpfte ich in meine Sachen. Um der Schlafenden Ruhe<br />

nicht zu stören, schlich ich aus dem Haus. Desto befreiter rannte ich durch den Garten zu den<br />

Wiesen, deren taudurchtränkte Frische bei jedem Luftsog meine Sinne kitzelte. Das ist Leben.<br />

Laufen ohne Ziel. Keinem Willen Untertan, springen, sich im Grase wälzen, auf einem grünen<br />

Hügel rücklings liegen, Augen schließen, lauschen, träumen. Wie ich es einst am Fuße der<br />

Pyrenäen getan, dort, wo ich die Schönheit gesehen. Sei jener Anblick der Herrlichkeit das<br />

Einzige, was zählt, so hat es sich doch gelohnt zu leben. Und ich tagträumte h<strong>und</strong>ertfältig, eines


34<br />

streifend, im Nächsten innig tief versunken. Die Gedanken frei, richtungslos dem Treibenlassen<br />

auszuliefern, labt des Menschen, doch besonders eines Dichters Geist <strong>und</strong> Seele. Irgendwann<br />

beim Sichverströmen hemmte des Laufes Fluß, gestaut von der Erinnerung an eine St<strong>und</strong>e<br />

unschuldiger Sündhaftigkeit, die in mir wollüstige Schauer auslöste.<br />

Damals in Saint-Cloud, als der Franzosen König mir seine Huld erwies. Mein Antlitz, wie die in<br />

buntlockrer Tracht verhüllte Gestalt verlockte den König, nach mir wieder <strong>und</strong> wieder zu<br />

schauen, was sein Entzücken sichtlich vermehrt erregte. Ein Wink gebot mich zu ihm, vor dem<br />

ich mein Knie mit keuschem Lächeln beugte. Er neigte sich zu mir <strong>und</strong> küßte mich, wonach er,<br />

sein Gesicht meinem anhaltend dicht, fragte, worin denn meine Fähigkeit bestünde, da ich dem<br />

Reigen der Schausteller abseits bliebe, obwohl ich ihrer Schar augenscheinlich zugehöre.<br />

Seiltänzer?<br />

Verneinend schüttelte ich das Haupt. Akrobat? Ich wiederholte meine abschlägige<br />

Kopfbewegung. Zauberer? Ich bedeutete ihm, daß meine Kunst eine der geheimnisvollen<br />

mystischen Art ist, die des Sehens umfaßt <strong>und</strong> sie nur im vertrauten Aug in Auge zu den<br />

Menschen spricht. Neugierig fragte er, was ich denn sehen würde. Wahr sehe ich, gab ich ihm<br />

Bescheid, was in der Seele schlummert, aus dem das Ist <strong>und</strong> Zukünftige erwächst. Eine<br />

spaßige Maskerade, gewiß, köstlich nach meinem Sinn, aber ohne Falsch. Ehrlich, durch<br />

Freimut geschärfter Zunge sprach ich Wahres, was ich ablas aus seiner Erscheinung, den<br />

trüben Augen, den Zeichnungen der Vergangenheit an Gesicht <strong>und</strong> Händen. – Euer<br />

Geleitschreiben. – Voraus sagte ich das Schicksal dieses Königs Frankreichs… - Wohin? –<br />

Vernimm… ist mir ein uralt geläufiger Tonfall… - Frankreich. Und dort wartet ihr ab, bis auf<br />

weiteres. - Dieses Timbre kenn’ ich... woher? Wohin? Frankreich!… Mein Gott, dieser<br />

Schmerz… er brennt so heiß mein Körper, ich verglühe… Der Hauch des Todes packt meine<br />

Sinne. Ich spüre dessen Atem. Etwas Vorwurfsvolles träufelt er mir in die Brust. Giert nach<br />

meinem Herzen, um sich daran zu krallen. Vergeblich sein Fordern, Abbitte zu erflehen… Hohn<br />

auf das Gewissen. Pack zu! Vergeblich, wenn du wartest…, könnte ich doch lauthals dir ein<br />

Lachen entgegenschleudern… Reue beschäme niemals mein Gefühl…, aber ich bringe es nicht<br />

fertig, jetzt zu lachen…<br />

Drei Männer versetzten ihren Pferden die Sporen <strong>und</strong> galoppierten nach Süden, des Nachts.<br />

Bei glutrotem Horizont schiffte sich das Trio ein. Segelten stürmisch gen die Normannische<br />

Küste. Hoch zur See verschnürten sie den Leichnam in einem Sack, beschwert von beigelegten<br />

Steinen. Schleppten die Fracht aus dem Schiffsbauch, steile Treppen aufwärts, an Bord. Von


35<br />

den bedrängenden Wellen durchnässt <strong>und</strong> sich den peitschenden Winden entgegenstemmend<br />

zogen sie die Fracht über die Planken. Hievten das Menschengut mit vereinter Anstrengung auf<br />

die Reling. Stießen den leibhaftigen Beweis ihrer noch so jungen Bluttat in das Meer.

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