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Charles BARTHEL - Centre d'études et de recherches européennes ...

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<strong>Charles</strong> <strong>BARTHEL</strong><br />

STURM IM WASSERGLAS<br />

Das Streben <strong>de</strong>r Stahlkocher<br />

nach einer Gangbarmachung <strong>de</strong>s Schuman-Plans.<br />

Einige B<strong>et</strong>rachtungen aus <strong>de</strong>r Sicht Luxemburger Industriearchive<br />

(1950-1952)<br />

veröffentlicht IN:<br />

<strong>Centre</strong> <strong>d'étu<strong>de</strong>s</strong> <strong>et</strong> <strong>de</strong> <strong>recherches</strong> <strong>européennes</strong> Robert Schuman (Collectif), Le<br />

Luxembourg face à la construction européenne – Luxemburg und die europäische<br />

Einigung, Luxembourg, 1996, S.203-252<br />

Als <strong>de</strong>r «Sprung ins Unbekannte» nach <strong>de</strong>r Unterzeichnung <strong>de</strong>r Pariser Verträge am 18.<br />

April 1951 allmählich konkr<strong>et</strong>e Formen annahm, wuchs das Unbehagen im Kreise <strong>de</strong>r von<br />

<strong>de</strong>n Montanunionsplänen unmittelbar b<strong>et</strong>roffenen Hüttenherren. Die ohnehin seit <strong>de</strong>m<br />

Sommer <strong>de</strong>s Vorjahres bestehen<strong>de</strong> rege Besorgnis schlug nun in allgemeine Bestürzung<br />

um.<br />

Beson<strong>de</strong>rs an Rhein und Ruhr erhitzte das Schumansche Abenteuer die Gemüter, war man<br />

sich doch <strong>de</strong>utscherseits unlängst darüber im klaren, welche wahren Absichten die<br />

französische Regierung mit <strong>de</strong>m Zusammenschluß <strong>de</strong>r europäischen Kohle- und<br />

Stahlproduktion verfolgte. Bereits im Juni 1950 hatte die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und<br />

Stahlindustrie (WVESI) ein achtzehnseitiges, «sorgfältig redigiertes Exposé» 1 verfaßt,<br />

<strong>de</strong>ssen Inhalt – eine «kritische Untersuchung» <strong>de</strong>r Schuman-Deklaration vom 9. Mai – die<br />

Überzeugung vertrat, die geplante Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)<br />

sei l<strong>et</strong>ztlich nichts an<strong>de</strong>res als eine «große kartellähnliche Organisation» mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>n<br />

Wie<strong>de</strong>raufbau <strong>de</strong>r französischen Nachkriegsindustrie abzusichern:<br />

«Zweifellos sind die Monn<strong>et</strong>pläne zum Aufbau <strong>de</strong>r französischen Wirtschaft in ein<br />

kritisches Stadium gelangt. Es hat keinen Sinn, <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r Eisen- und<br />

Stahlkapazität <strong>de</strong>r französischen Werke auf 15 Mio to (Tonnen) vorzunehmen, wenn<br />

<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Absatzmarkt fehlt. Der Franzose ist immer auf Sicherheit bedacht.<br />

Er hat nicht mit <strong>de</strong>m schnellen Wie<strong>de</strong>raufbau unserer Stahlproduktion gerechn<strong>et</strong>. Eine<br />

Gegenüberstellung <strong>de</strong>r Kapazitäten auf bei<strong>de</strong>n Seiten zeigt, daß wir noch Reserven<br />

auf Erhöhung unserer Produktion haben, die in Frankreich z.Zt. noch fehlen dürften.<br />

Bei dieser Sachlage stehen die Franzosen vor <strong>de</strong>r Entscheidung, <strong>de</strong>n Ausbau ihrer<br />

Anlagen aufzustecken, o<strong>de</strong>r aber zu erreichen, daß wir uns - nun nicht mehr durch<br />

politisches Diktat, son<strong>de</strong>rn freiwillig in unserer Produktion einschränken». 2<br />

1<br />

2<br />

ARBED, P.60 [Prési<strong>de</strong>nce du conseil d'aministration], Vertrauliches Rundschreiben <strong>de</strong>r WVESI (gez. Karl<br />

Blankenagel und Wilhelm Ahrens), 05.06.1950.<br />

Ibid., Abschrift eines Berichts <strong>de</strong>r WVESI b<strong>et</strong>r. die Schuman<strong>de</strong>klaration, 05.06.1950.<br />

Vgl. W. Bührer, Ruhrstahl und Europa. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und die Anfänge<br />

<strong>de</strong>r europäischen Integration. 1945-1952, Ol<strong>de</strong>nbourg Verlag, München, 1986. Bezugnehmend auf die erste<br />

ausführliche Stellungnahme <strong>de</strong>r WVESI gibt Bührer (S.176) <strong>de</strong>n 5. Juli 1950 an. Daß es sich beim Datum <strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>n Arbed-Archiven aufbewahrten Kopie um einen Abschreibfehler han<strong>de</strong>ln könnte, muß aber


Sturm im Wasserglas 2<br />

Trotz prinzipieller Zusagen in Sachen gleicher Startbedingungen für alle b<strong>et</strong>eiligten<br />

Industrien glaubten die <strong>de</strong>utschen Stahlkocher, in Zukunft «nicht mehr selbst über [ihre]<br />

Produktion insgesamt und auf <strong>de</strong>n einzelnen Werken bestimmen [zu] können». In diesem<br />

Zusammenhang erschien die Eins<strong>et</strong>zung einer supranationalen Komp<strong>et</strong>enz wie ein<br />

Schreckgespenst. Die sich abzeichnen<strong>de</strong> «außeror<strong>de</strong>ntlich weitgehen<strong>de</strong><br />

Entscheidungsbefugnis» <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> so wie die nüchterne<br />

Feststellung, daß dieser wohl «kaum ein Deutscher» sein wer<strong>de</strong>, bestärkten die Angst vor<br />

<strong>de</strong>n «verhängnisvollen Folgen» einer von Frankreich beabsichtigten Politik, <strong>de</strong>ren einziger<br />

Zweck es sei, die dynamische Werksmo<strong>de</strong>rnisierung zu unterbin<strong>de</strong>n und die <strong>de</strong>utschen<br />

Hüttenbesitzer an die Leine zu legen. «Es ist daher von größter Be<strong>de</strong>utung, bei <strong>de</strong>m<br />

Abschluß <strong>de</strong>s Staatsvertrages Bedingungen herauszuholen, die uns erlauben, unsere Eisenund<br />

Stahlindustrie angemessen zu entwickeln». 3<br />

Im Bonner Kanzleramt war man allerdings mehr auf die politischen Vorteile <strong>de</strong>s Schuman-<br />

Plans bedacht. Die erstrebenswerte Neugestaltung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch-französischen Beziehungen<br />

und die Chance, durch Gleichberechtigung und Gleichbehandlung das internationale<br />

Renommee <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik aufzuwerten, überwog alle an<strong>de</strong>ren Überlegungen.<br />

A<strong>de</strong>nauers Anweisungen an <strong>de</strong>n Chef <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Unterhändler Walter Hallstein waren<br />

unmißverständlich: <strong>de</strong>r Ausgang <strong>de</strong>r Verhandlungen sollte auf keinen Fall durch<br />

Son<strong>de</strong>rwünsche <strong>de</strong>r Ruhrkapitäne gefährd<strong>et</strong> wer<strong>de</strong>n. Das war <strong>de</strong>n Leuten aus <strong>de</strong>r Rue <strong>de</strong><br />

Martignac 4 gera<strong>de</strong> recht. Durch <strong>de</strong>n Koreakrieg und die damit verknüpfte Frage <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Aufrüstung war Frankreich einem immer stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n amerikanischen<br />

Druck ausges<strong>et</strong>zt. Monn<strong>et</strong> stand unter Zugzwang. Ihm lag sehr daran, möglichst rasch ein<br />

unterschriftsreifes Vertragswerk abzuschließen ohne unnötigerweise Zeit und Energien<br />

durch endlose Diskussionen mit Experten aus <strong>de</strong>n Bereichen Kohle und Eisen zu verlieren.<br />

Die Lösung technischer Fragen sollte später erörtert wer<strong>de</strong>n. 5 Folglich spielten<br />

wirtschaftliche Belange in <strong>de</strong>r französischen Hauptstadt nur eine untergeordn<strong>et</strong>e Rolle. Die<br />

mit Nachdruck von <strong>de</strong>r Industrie verlangten Sicherheiten blieben aus. 6<br />

Eine Revision <strong>de</strong>r Pariser Verträge?<br />

Mit <strong>de</strong>m Bangen um die Zukunft ihrer Hütten stand <strong>de</strong>r Düsseldorfer Eisenverband nicht<br />

allein. Ganz im Gegenteil. In allen übrigen EGKS-Län<strong>de</strong>rn warf die Unternehmerschaft ihre<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n, da besagtes Dokument bereits am 20. Juni durch <strong>de</strong>n beigeordn<strong>et</strong>en Arbed-Direktor<br />

Guill Konsbruck an Albert Wehrer, <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r Luxemburger Verhandlungs<strong>de</strong>legation in Paris, weitergeleit<strong>et</strong><br />

wor<strong>de</strong>n war (vgl. AEL AE 11345).<br />

Ibid., Abschrift.<br />

In einem hôtel particulier <strong>de</strong>r Rue <strong>de</strong> Martignac war das französische Commissariat au plan <strong>de</strong> mo<strong>de</strong>rnisation<br />

<strong>et</strong> d'équipement untergebracht. Die seit 1946 von Jean Monn<strong>et</strong> geleit<strong>et</strong>e Dienststelle war nicht nur Tagungsort<br />

<strong>de</strong>r Schuman-Plan-Verhandlungen gewesen; ihre führen<strong>de</strong>n Mitarbeiter, wie Pierre Uri zum Beispiel, hatten<br />

eine nicht unwesentliche Rolle bei <strong>de</strong>r Redaktion <strong>de</strong>s EGKS-Vertrages gespielt.<br />

AEL AE 11384, <strong>Charles</strong> Reichling für Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 22.06.1950.<br />

Vgl. K. Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst" - die USA und die Anfänge <strong>de</strong>s Schuman-Plans, IN:<br />

Klaus Schwabe (Hrsg.), Die Anfänge <strong>de</strong>s Schuman-Plans. 1950/51, Beiträge <strong>de</strong>s Kolloquiums in Aachen, 28.-<br />

30. Mai 1986, Nomos-Giuffrè-LGDJ-Bruylant, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n-Milano-Paris-Bruxelles, 1988, S.211-239; H. J.<br />

Küsters, Die Verhandlungen über das institutionelle System zur Gründung <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft für<br />

Kohle und Stahl, IN: Ibid., S.73-102; und R. Poi<strong>de</strong>vin, Robert Schuman, Homme d'Etat. 1886-1963, Imp.<br />

nationale, Paris, 1986, S.273-296.


Sturm im Wasserglas 3<br />

anfänglich eher abwarten<strong>de</strong> Haltung über Bord und blies zum Generalangriff auf <strong>de</strong>n Plan. 7<br />

Auch wenn die politische Dimension <strong>de</strong>r Montanunion generell nicht in Frage gestellt wur<strong>de</strong><br />

– die Notwendigkeit einer europäischen Einigung wur<strong>de</strong> nicht angezweifelt –, so richt<strong>et</strong>e sich<br />

<strong>de</strong>r Ta<strong>de</strong>l hauptsächlich gegen die ökonomischen und institutionellen Bestimmungen, bei<br />

<strong>de</strong>ren Ausarbeitung man sich völlig übergangen fühlte. Dreh- und Angelpunkt <strong>de</strong>r Kritik<br />

wur<strong>de</strong> die Hohe Behör<strong>de</strong>. In schillern<strong>de</strong>n Farben wur<strong>de</strong>n allmögliche Exzesse eines<br />

«maßlosen Dirigismus» *8 ausgemalt, die oberste Unionsbehör<strong>de</strong> mit einer «Diktatur» *<br />

gleichgestellt o<strong>de</strong>r gar als Instrument einer verkappten, europaweiten Nationalisierung <strong>de</strong>r<br />

Schwerindustrie angeprangert. 9 Nicht daß man prinzipiell gegen je<strong>de</strong> Form staatlicher<br />

Kontrolle gewesen wäre, aber wozu gleich ein schwerfälliges «Verwaltungsmonster» *10 aus<br />

<strong>de</strong>r Taufe heben, <strong>de</strong>ssen vielseitige Eingriffe in das Wirtschaftsleben bei weitem alles<br />

übertrafen, was die nationalen Regierungen an Aufsichtsmöglichkeiten über die Industrie je<br />

zu for<strong>de</strong>rn gewagt hatten? Zuviel war zuviel, legte man doch auf Seiten <strong>de</strong>r Hersteller keinen<br />

Wert darauf, die Rolle <strong>de</strong>s Versuchskaninchens «soziologischer Experimente» *11 zu spielen.<br />

Die Haltung <strong>de</strong>s Industriepatronats stand somit ein<strong>de</strong>utig fest: die von <strong>de</strong>r Ministerkonferenz<br />

paraphierten Vertragsbestimmungen waren schlichtweg unannehmbar. Sie durften unter<br />

keinen Umstän<strong>de</strong>n in ihrer ursprünglichen Fassung in Kraft tr<strong>et</strong>en. Himmel und Hölle sollten<br />

in Bewegung ges<strong>et</strong>zt wer<strong>de</strong>n, sei es um eine Wie<strong>de</strong>raufnahme <strong>de</strong>r Verhandlungen zu<br />

erzwingen und zwar mit <strong>de</strong>m erklärten Ziel, wenigstens einige Artikel von größter<br />

ökonomischer Tragweite abzuän<strong>de</strong>rn, sei es um eine Ratifizierung nur unter bestimmten<br />

Vorbehalten o<strong>de</strong>r durch Einflechtung zusätzlicher Garantien vorzunehmen. Notfalls sollten<br />

die nationalen Parlamente aufgefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n gesamten Schuman-Plan durch eine<br />

negative Abstimmung zu Fall zu bringen. 12<br />

Wenngleich sich hierin alle b<strong>et</strong>roffenen Wirtschaftsverbän<strong>de</strong> restlos einig waren, so blieb<br />

doch bis auf weiteres eine gemeinsame, konzertierte Aktion aus. Während einer ersten<br />

Phase – von April bis zirka En<strong>de</strong> 1951 – bemühten sich die verschie<strong>de</strong>nen Gruppen im<br />

Alleingang, auf rein nationaler Ebene, ihre For<strong>de</strong>rungen über diverse Kanäle bei <strong>de</strong>n<br />

jeweiligen Regierungen durchzus<strong>et</strong>zen. Dies will nicht heißen, daß man keine Kontakte<br />

untereinan<strong>de</strong>r pflegte; eine echte, gemeinschaftlich abgesprochene Strategie <strong>de</strong>r<br />

Industriekapitäne ist aber, soweit die aktuelle Quellenlage es erlaubt, für diesen frühen<br />

Zeitabschnitt nicht erkennbar.<br />

Als beispielhaft für die mangelhafte Kooperation und die daraus resultieren<strong>de</strong><br />

Fehleinschätzung <strong>de</strong>r realen Lage darf das Verhalten <strong>de</strong>s französischen Patronats angeführt<br />

wer<strong>de</strong>n. Bis in <strong>de</strong>n Spätherbst 1951 hinein waren die Herren von <strong>de</strong>r Chambre Syndicale <strong>de</strong><br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

Vgl. Ph. Mioche, Le patronat <strong>de</strong> la sidérurgie française <strong>et</strong> le Plan Schuman en 1950-1952: les apparences<br />

d'un combat <strong>et</strong> la réalité d'une mutation, S.305-318; E. Krier, L'industrie lour<strong>de</strong> luxembourgeoise <strong>et</strong> le Plan<br />

Schuman, S.357-366; F. Roth, Les milieux sidérurgiques lorrains <strong>et</strong> l'annonce du Plan Schuman, S.367-380<br />

und A.S. Milward, The Belgian Coal and Steel Industries and the Schuman Plan, S.437-453, IN: K. Schwabe<br />

(Hrsg.), op.cit.<br />

Zitate die mit einem * versehen sind, wur<strong>de</strong>n vom Verfasser aus <strong>de</strong>m Französischen ins Deutsche<br />

übers<strong>et</strong>zt.<br />

GISL, Plan Schuman; Etu<strong>de</strong> du Traité <strong>et</strong> <strong>de</strong> la Convention relative à la pério<strong>de</strong> <strong>de</strong> transition, 29.10.1951.<br />

Ibid., Zitat von Nicolas Hommel während eines Vortrags in Luxemburg, 07.05.1951. Hommel war ständiger<br />

Vertr<strong>et</strong>er Luxemburgs bei <strong>de</strong>r Organization of European Economic Cooperation und Mitglied <strong>de</strong>r Luxemburger<br />

Verhandlungs<strong>de</strong>legation in Paris.<br />

GISL, Schreiben <strong>de</strong>s GISL (gez. Eric Conrot und Jean-Baptiste Henckes) an Clarence B. Randall, 03.10.1951.<br />

ARBED, P.61 - Plan Schuman, Schlußfolgerungen einer vom GISL verfaßten Studie über <strong>de</strong>n EGKS-Vertrag,<br />

29.10.1951.


Sturm im Wasserglas 4<br />

la Sidérurgie Française (CSSF) noch voller Zuversicht über ein Scheitern <strong>de</strong>s Kohle- und<br />

Stahlpools. Bezeichnen<strong>de</strong>rweise verließen sie sich in dieser Angelegenheit zunächst<br />

hauptsächlich auf ihre ausländischen Kollegen, vornehmlich die Deutschen, von <strong>de</strong>nen man<br />

annahm, sie seien in Bonn einflußreich genug, um die Kastanien aus <strong>de</strong>m Feuer zu holen.<br />

Als dann aber am 25. Oktober Jean-Baptiste Henckes und Eric Conrot vom Groupement <strong>de</strong>s<br />

Industries Sidérurgiques Luxembourgeoises (GISL) 13 ihnen mitteilten, ihren Informationen<br />

zufolge wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stag <strong>de</strong>n Schuman-Plan ohne jegliche Vorbehalte annehmen, fielen<br />

die Franzosen aus allen Wolken:<br />

«Die bruchstückhaften Informationen über die sie verfügten, ließen sie das Gegenteil<br />

annehmen, und sie hatten daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß es, seitens <strong>de</strong>r<br />

französischen Industriellen, nicht mehr nötig sei, entsprechend große Anstrengungen<br />

zu unternehmen»*! 14<br />

Als Konsequenz <strong>de</strong>s unerwart<strong>et</strong>en Rückschlags krempelte die CSSF ihre Taktik um: «…<br />

man wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Plan annehmen, aber sofort eine Revision <strong>de</strong>r wirklich wichtigen Punkte<br />

verlangen» * . In nahtloser Übereinstimmung mit <strong>de</strong>m Verband <strong>de</strong>r luxemburgischen<br />

Hüttenherren wur<strong>de</strong> also abgemacht, die Konvention zwar anzunehmen, aber eben nur unter<br />

<strong>de</strong>r Bedingung, sie alsbald einer gründlichen Nachbesserung zu unterziehen. Eile war<br />

geboten, da mit <strong>de</strong>m Zustan<strong>de</strong>kommen <strong>de</strong>r obersten Unionsbehör<strong>de</strong> die alte Internationale<br />

Ruhrbehör<strong>de</strong> höchstwahrscheinlich verschwin<strong>de</strong>n, und die lebenswichtige Frage <strong>de</strong>r<br />

Kohleverteilung sich <strong>de</strong>mnach von Anbeginn stellen wür<strong>de</strong>. Folglich mußte die Revision <strong>de</strong>r<br />

Texte stattfin<strong>de</strong>n, und zwar noch bevor die Hohe Behör<strong>de</strong> überhaupt zum Einsatz gelangte.<br />

«Ohne dies wäre man von Anfang an einem Dirigismus übelster Art ausgeliefert» * . Aus<br />

ähnlichen Motiven durfte die gründlich überarbeit<strong>et</strong>e Neuauflage nicht gleich zum Tragen<br />

kommen. Während einer bestimmten, zeitlich nicht weiter festgelegten Anlaufperio<strong>de</strong> sollte<br />

die Hohe Behör<strong>de</strong> sich konstituieren und ihre Arbeit vorläufig exklusiv in <strong>de</strong>n Bereichen<br />

Information, Zollverhandlungen, Studium <strong>de</strong>r Harmonisierungsmöglichkeiten in Sachen<br />

Produktion und Transport aufnehmen. Die ursprünglich binnen einer sechs- bis<br />

achtmonatigen Frist angekündigte Schaffung <strong>de</strong>s Gemeinsamen Marktes dagegen mußte<br />

unbedingt verschoben wer<strong>de</strong>n, bis die Regierungen aller sechs Mitgliedstaaten einhellig <strong>de</strong>r<br />

Auffassung waren, «… daß man dies auch wirklich ohne je<strong>de</strong> Gefahr tun kann» * . Die auf<br />

jene Art gewonnene Zeit, monierte die CSSF, könnte gegebenenfalls genutzt wer<strong>de</strong>n, um<br />

weitere Vertragsän<strong>de</strong>rungen einzubringen.<br />

«Zur Durchs<strong>et</strong>zung einer Revision <strong>de</strong>s Vertrages wür<strong>de</strong>n die Franzosen behaupten, die<br />

ganzen Umän<strong>de</strong>rungen verlange man eigentlich bloß, weil man eben wünsche, daß <strong>de</strong>r<br />

Schuman-Plan eine Realität wer<strong>de</strong>n soll» * . Die ins Feld geführte Argumentation <strong>de</strong>r<br />

13<br />

14<br />

Jean-Baptiste Henckes, beigeordn<strong>et</strong>er Geschäftsführer <strong>de</strong>r Arbed-Verkaufsorganisation Columéta; Eric<br />

Conrot, Generalsekr<strong>et</strong>är <strong>de</strong>s GISL.<br />

ARBED, P.61 - Plan Schuman, Bericht von Henckes über eine französisch-luxemburgische Unterredung im<br />

Lokal <strong>de</strong>s Conseil National du Patronat Français in Paris, 26.10.1951.<br />

(Auf <strong>de</strong>r französischen Seite nahmen Pierre Ricard, Pierre Giraudon, Bernière, Alexis Aron und Louis Charv<strong>et</strong><br />

an <strong>de</strong>r Gesprächsrun<strong>de</strong> teil).<br />

Nicht nachzuweisen ist, aber mit an Sicherheit grenzen<strong>de</strong>r Wahrscheinlichkeit darf angenommen wer<strong>de</strong>n, daß<br />

Henckes und Conrot über <strong>de</strong>n En<strong>de</strong> September 1951 eins<strong>et</strong>zen<strong>de</strong>n Schriftverkehr zwischen <strong>de</strong>m Arbed-<br />

Generaldirektor Félix Chomé und Walter Schwe<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r WVESI unterricht<strong>et</strong> waren. Aus dieser<br />

Korrespon<strong>de</strong>nz über <strong>de</strong>utsche Pläne zur praktischen Gestaltung <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> geht unmittelbar hervor,<br />

daß die bun<strong>de</strong>srepublikanischen Industriellen damals bereits alle Hoffnungen auf eine Nicht-Ratifizierung o<strong>de</strong>r<br />

Nachbesserung <strong>de</strong>s Vertrages begraben hatten. Von <strong>de</strong>n Absichten <strong>de</strong>r WVESI b<strong>et</strong>r. die Hohe Behör<strong>de</strong>,<br />

ließen die bei<strong>de</strong>n Unterhändler <strong>de</strong>s GISL in Paris allerdings kein Wort verlauten! (Siehe hierzu<br />

Ausführlicheres, weiter unten).


Sturm im Wasserglas 5<br />

Hersteller ist in vielerlei Hinsicht eindrucksvoll. Sie bedarf keines weiteren Kommentars. Mit<br />

<strong>de</strong>rselben Selbstsicherheit, wie die Chambre Syndicale die gestern noch angestrengte<br />

vollständige Verdammung <strong>de</strong>r EGKS nun kurzerhand in ein Plädoyer für die R<strong>et</strong>tung<br />

<strong>de</strong>rselben umdicht<strong>et</strong>e, hegte sie nun genausowenig Zweifel daran, daß das<br />

Revisionsvorhaben scheitern könnte. Zu diesem Zweck hatten Spitzenleute aus <strong>de</strong>m Conseil<br />

National du Patronat Français die Hebel bereits bei <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rkommission <strong>de</strong>s Conseil<br />

Economique, einer <strong>de</strong>r vier verfassungsmäßigen Versammlungen <strong>de</strong>r IV. Republik,<br />

anges<strong>et</strong>zt, und zwar mit Erfolg, wie es schien, <strong>de</strong>nn in besagter Untersuchungskommission<br />

ließ sich angeblich niemand fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r mit einer Ratifizierung ohne Wenn und Aber<br />

einverstan<strong>de</strong>n war. Sollte das kein gutes Vorzeichen sein? 15<br />

Überhaupt hielt das Patronat zum damaligen Zeitpunkt unbeirrbar an <strong>de</strong>m Glauben in sein<br />

Durchs<strong>et</strong>zungsvermögen gegenüber <strong>de</strong>r Politik fest. Angst hatte man <strong>de</strong>shalb weniger vor<br />

Querschüssen aus <strong>de</strong>n Reihen lan<strong>de</strong>seigener Volksvertr<strong>et</strong>er als vor <strong>de</strong>m Druck durch die<br />

USA. Die Vorstellung, Jean Monn<strong>et</strong> könne sich seiner freundschaftlichen Beziehungen zu<br />

Averell Harriman bedienen, um in Washington eine «mise en <strong>de</strong>meure» 16 an die Adresse <strong>de</strong>r<br />

französischen Regierung herbeizuführen, löste in <strong>de</strong>r Tat großes Unbehagen aus. Immerhin<br />

rechn<strong>et</strong>e die CSSF damit, daß <strong>de</strong>r Hauptinitiator <strong>de</strong>s Schuman-Plans mittels amerikanischer<br />

Schützenhilfe eine «vorgezogene Ratifizierung im Hauruckverfahren» 17 erzwingen wollte, um<br />

die Bemühungen <strong>de</strong>r Hüttenherren zu übergehen. Dem sollte entgegengewirkt wer<strong>de</strong>n,<br />

einerseits durch gezielte Aktionen während <strong>de</strong>r für En<strong>de</strong> November, Anfang Dezember<br />

anberaumten Wirtschaftsmission führen<strong>de</strong>r europäischer Industriebosse in <strong>de</strong>n Vereinigten<br />

Staaten, an<strong>de</strong>rerseits durch die Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>r engen Beziehungen zu <strong>de</strong>m<br />

Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Inland Steel und <strong>de</strong>m ehemaligen leiten<strong>de</strong>n Mitarbeiter <strong>de</strong>r Economic<br />

Cooperation Administration, Clarence B. Randall. In einem längeren, in <strong>de</strong>r Sommerausgabe<br />

1951 <strong>de</strong>r Zeitschrift Atlantic Monthly abgedruckten Artikel, hatte Randall die Montanunion<br />

<strong>de</strong>s «Super-Sozialismus» * bezichtigt. Die anstehen<strong>de</strong> parlamentarische Absegnung <strong>de</strong>r<br />

EGKS-Verträge hatte er mit einem Gang <strong>de</strong>r freien Markwirtschaft zum Schafott<br />

gleichgestellt. Kurz gesagt, <strong>de</strong>r Autor sprach seinen Kollegen <strong>de</strong>s Alten Kontinents förmlich<br />

aus <strong>de</strong>r Seele. 18 Demnach erwart<strong>et</strong>en l<strong>et</strong>ztere von Randall nicht nur ein engagiertes Werben<br />

um amerikanisches Verständnis für privatwirtschaftliche Grundrechte <strong>de</strong>r europäischen<br />

Eisenindustrie, son<strong>de</strong>rn vor allem die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rücken<strong>de</strong>ckung bei <strong>de</strong>r US-<br />

Verwaltung.<br />

Die am 25. Oktober gemeinsam mit <strong>de</strong>n Vertr<strong>et</strong>ern <strong>de</strong>r CSSF ausgeheckte Strategie zum<br />

Erlangen einer an Bedingungen geknüpften Ratifizierung stand, wie oben ange<strong>de</strong>ut<strong>et</strong>, in<br />

«perfektem» * Einklang mit <strong>de</strong>n diesbezüglichen Vorstellungen <strong>de</strong>s luxemburgischen<br />

Eisenhüttenverban<strong>de</strong>s. Knappe vier Tage nach <strong>de</strong>r Pariser Unterredung stellte das GISL die<br />

Endversion seiner ausführlichen Stellungnahme an die Han<strong>de</strong>lskammer <strong>de</strong>s<br />

Großherzogtums fertig. Der einundzwanzig Seiten umfassen<strong>de</strong> Bericht <strong>de</strong>r Schwerindustrie<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

Die französische Berichterstattung über Louis Charv<strong>et</strong>s Ausführungen vor <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rkommission schließt mit<br />

<strong>de</strong>r pikanten Bemerkung: «Hirsch <strong>et</strong> Uri ont été assez piteux» [Hirsch und Uri haben einen ziemlich<br />

erbärmlichen Eindruck hinterlassen].<br />

«Ultimative Auffor<strong>de</strong>rung».<br />

«Ratification hâtive ou par accroc».<br />

GISL, Glückwunschschreiben von Conrot und Henckes an Clarence B. Randall, 03.10.1951; beiliegend, eine<br />

Übers<strong>et</strong>zung <strong>de</strong>s besagten Artikels.<br />

Randalls I<strong>de</strong>en wur<strong>de</strong>n in europäischen Industriellenkreisen heftig applaudiert. Nur seine Äußerungen über<br />

Kartelle wiesen die Stahlkocher mit <strong>de</strong>m Hinweis auf die «völlig verschie<strong>de</strong>nen Marktbedingungen» in Europa<br />

und in <strong>de</strong>n USA entschie<strong>de</strong>n zurück.


Sturm im Wasserglas 6<br />

wur<strong>de</strong> übrigens inhaltlich nahezu integral von <strong>de</strong>r besagten Berufskammer als motiviertes<br />

Gutachten an die Chambre <strong>de</strong>s députés weitergeleit<strong>et</strong>. 19 Neben <strong>de</strong>m «Verrat an Herrn<br />

Schumans I<strong>de</strong>al» * durch eine Clique übereifriger, «zentralistisch» * und «instinktiv<br />

bürokratisch <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r Funktionäre» * , w<strong>et</strong>terten die bei<strong>de</strong>n mutmaßlichen Verfasser<br />

Henckes und Conrot in bekannter Manier gegen allmögliche Gefahren und Exzesse einer<br />

hydraartig um sich greifen<strong>de</strong>n Planwirtschaft. Bei <strong>de</strong>r geschickt eingefä<strong>de</strong>lten D<strong>et</strong>ailanalyse<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Vertragsartikel wiesen sie immer wie<strong>de</strong>r auf die einmalige Son<strong>de</strong>rstellung<br />

Luxemburgs hin. In fortwähren<strong>de</strong>r Anlehnung an die vitale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Montangewerbes<br />

wur<strong>de</strong> die EGKS zur nationalen Existenzfrage hochstilisiert. Unterschwellig wur<strong>de</strong>n<br />

gleichzeitig Angstgefühle geschürt. Konnte ein Land, <strong>de</strong>ssen Eisenherstellung 80 bis 85%<br />

seiner gesamten Industrieproduktion ausmachten, be<strong>de</strong>nkenlos auf die Verfügungsgewalt<br />

über die Quelle seines einzigen Reichtums verzichten? Durften die Festlegung <strong>de</strong>r Preise,<br />

die Ausarbeitung <strong>de</strong>r Produktionsprogramme, die Orientierung <strong>de</strong>r Investitionspolitik, das<br />

Management in Krisenzeiten …, gemeinschaftlichen Institutionen anvertraut wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren<br />

internationale Bes<strong>et</strong>zung und komplizierte Entscheidungsmechanismen die kleinen<br />

Partnerstaaten unweigerlich in die Position <strong>de</strong>s Unterlegenen abdrängten? Sollte ein Volk –<br />

<strong>de</strong>ssen Arbeiterschaft zu 25% ihr Brot in <strong>de</strong>n Erzgruben o<strong>de</strong>r Schmelzen verdiente und<br />

darüber hinaus auch noch europaweit die höchsten Gehälter bezog – sich darauf verlassen,<br />

daß die gepriesene Angleichung <strong>de</strong>r Löhne und <strong>de</strong>r Sozialleistungen nicht in einer<br />

Herabs<strong>et</strong>zung seines Lebensstandards en<strong>de</strong>n könnte? Fazit: «Eine Ratifizierung ohne<br />

Vorbehalte wäre also […] äußerst gefährlich»*. 20<br />

Um <strong>de</strong>n drohen<strong>de</strong>n Untergang <strong>de</strong>r «praktisch gesamten Ökonomie» * abzuwen<strong>de</strong>n, gab das<br />

Groupement abschließend zwei Möglichkeiten an: eine Optimallösung und, ersatzweise, eine<br />

Minimallösung.<br />

Die Optimallösung bestand aus einem For<strong>de</strong>rungskatalog mit neun Punkten:<br />

1. Beseitigung <strong>de</strong>s Dirigismus, sowohl durch die Einschränkung <strong>de</strong>r Komp<strong>et</strong>enzen <strong>de</strong>s<br />

obersten Unionsorgans als auch durch die Einführung einer echten B<strong>et</strong>eiligung <strong>de</strong>r<br />

Unternehmer;<br />

2. Abän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kapitels über Kartelle;<br />

3. Abschwächung <strong>de</strong>r Bestimmungen über die Unternehmenskonzentration;<br />

4. Gewährleistung <strong>de</strong>r Investitionsfreiheit;<br />

5. Überarbeitung <strong>de</strong>s Rekursverfahrens sowie <strong>de</strong>s Systems <strong>de</strong>r Strafen und Bußgel<strong>de</strong>r;<br />

6. Einführung formaler, ges<strong>et</strong>zlich bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Zusagen über die progressive Anpassung<br />

<strong>de</strong>r Löhne;<br />

7. Harmonisierung <strong>de</strong>r Frachtsätze bei Eisenbahntransporten innerhalb <strong>de</strong>s<br />

Gemeinsamen Marktes; 21<br />

19<br />

20<br />

21<br />

GISL, Etu<strong>de</strong> du Traité <strong>et</strong> <strong>de</strong> la Convention relative à la pério<strong>de</strong> <strong>de</strong> transition, 29.10.1951; vgl. auch, Avis <strong>de</strong> la<br />

Chambre <strong>de</strong> Commerce, 20.11.1951, IN: Ministère d'Etat - Service Information <strong>et</strong> Presse, Le Grand-Duché <strong>de</strong><br />

Luxembourg <strong>et</strong> la Communauté Européenne du Charbon <strong>et</strong> <strong>de</strong> l'Acier. Plan Schuman, Imp. P. Lin<strong>de</strong>n,<br />

Luxembourg, 1953, S.18-22.<br />

Laut Verfassung <strong>de</strong>s Großherzogtums müssen die verschie<strong>de</strong>nen Berufskammern ein Gutachten über alle sie<br />

b<strong>et</strong>reffen<strong>de</strong>n Ges<strong>et</strong>zesvorlagen einreichen. Besagte Gutachten haben aber keinen bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Charakter.<br />

Vgl. hierzu auch diverse Artikel in <strong>de</strong>r Zeitschrift L'Echo <strong>de</strong> l'Industrie (Hrsg.: Fédération <strong>de</strong>s Industriels<br />

Luxembourgeois), u.a. Son<strong>de</strong>rbeilage zur N°10 vom 19.05.1951.<br />

Während die meisten For<strong>de</strong>rungen eher genereller Natur waren und <strong>de</strong>shalb von <strong>de</strong>n ausländischen<br />

Industrieverbän<strong>de</strong>n mitg<strong>et</strong>ragen wur<strong>de</strong>n, b<strong>et</strong>rafen die Punkte 6 und 7 spezifisch luxemburgische Anliegen.<br />

Zu Punkt 6: Weil die Harmonisierung <strong>de</strong>r Löhne und <strong>de</strong>r Sozialleistungen nur in Form einer Absichtserklärung<br />

im Vertrag erwähnt waren, befürcht<strong>et</strong>en die luxemburgischen Hüttenbesitzer, <strong>de</strong>r fromme Vorsatz sei nur<br />

leeres Gere<strong>de</strong>. Da kein verbindlicher Artikel die ausländische Konkurrenz zu einer Anpassung auf das


Sturm im Wasserglas 7<br />

8. Schaffung <strong>de</strong>r Möglichkeit eines Austritts vor Ablauf <strong>de</strong>r fünfzigjährigen Vertragsdauer,<br />

falls die Auswirkungen <strong>de</strong>s Schuman-Plans sich als nicht mehr tragbar für eines <strong>de</strong>r<br />

Mitgliedslän<strong>de</strong>r erweisen sollten;<br />

9. Neugestaltung <strong>de</strong>r Übergangsperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>ren Beendigung nur durch einen einstimmigen<br />

Ministerratsbeschluß <strong>de</strong>kr<strong>et</strong>iert wer<strong>de</strong>n kann, und das erst nach Beseitigung aller<br />

fundamentaler wirtschaftlichen Gleichgewichtsstörungen.<br />

Zur Durchs<strong>et</strong>zung seiner Wunschliste drängte <strong>de</strong>r Unternehmerverband die Luxemburger<br />

Regierung, sie solle auf diplomatischem Wege bei <strong>de</strong>n zukünftigen Partnern vorstellig<br />

wer<strong>de</strong>n und l<strong>et</strong>ztere davon überzeugen, gleiche o<strong>de</strong>r ähnliche Revisionsansprüche<br />

anzumel<strong>de</strong>n. Auffallend ist hier – genau wie bei <strong>de</strong>r französischen CSSF –, daß das GISL<br />

we<strong>de</strong>r ernsthaft daran dachte, die Regierung wolle ihrem Anliegen überhaupt nicht<br />

nachkommen, noch ins Auge faßte, ein <strong>de</strong>rartiger Vorstoß könnte von <strong>de</strong>n fünf übrigen<br />

Unterzeichnerstaaten abgewiesen wer<strong>de</strong>n. Im Spätsommer 1951 malten die Hüttenherren<br />

sich sogar recht gute Chancen für die Durchs<strong>et</strong>zung ihres Vorhabens aus. Damals hatte das<br />

GISL nämlich unerwart<strong>et</strong> Schützenhilfe vom sozialistischen Wirtschaftsminister Michel<br />

Rasquin bekommen. Wenngleich aus völlig an<strong>de</strong>rsgelagerten Motiven – ihm ging es nicht<br />

um die Belange <strong>de</strong>r Industrie, son<strong>de</strong>rn um <strong>de</strong>n Erhalt <strong>de</strong>s sozialen Besitzstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterschaft – so hatte <strong>de</strong>r Minister in einem Interview gegenüber <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Neue[n]<br />

Zeitung verschie<strong>de</strong>ne An<strong>de</strong>utungen über Revisionsansprüche durch die großherzogliche<br />

Regierung gemacht. Eine Woche später wur<strong>de</strong>n Rasquins Anspielungen vom <strong>de</strong>utschen<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten Kurt Schumacher in einer Radiosendung aufgegriffen und so hingestellt,<br />

als habe Luxemburg «die schwersten Be<strong>de</strong>nken gegen die Ratifizierung <strong>de</strong>s<br />

Schumanplans». Alles in allem wirbelte die Angelegenheit ziemlich viel Staub bei <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>sregierung und beim französischen Hochkommissar für Deutschland auf.<br />

Dementsprechend verschnupft reagierte dann auch <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>r Luxemburger<br />

Gesandtschaft in Bonn, Albert Wehrer. Er befürcht<strong>et</strong>e, daß durch Rasquins Abweichung von<br />

<strong>de</strong>r offiziellen Linie, Luxemburg seine guten Aussichten auf <strong>de</strong>n Sitz <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong><br />

verscherzen könnte. 22<br />

Wie <strong>de</strong>m auch sei, aller be<strong>de</strong>nklichen Vorzeichen zum Trotz schien das Patronat nach wie<br />

vor voller Zuversicht, das Blatt tatsächlich zu seinen Gunsten wen<strong>de</strong>n zu können.<br />

O<strong>de</strong>r regten sich doch allmählich Be<strong>de</strong>nken? Für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>s Falles – er wur<strong>de</strong> allerdings<br />

als «höchst unwahrscheinlich» * [!] eingestuft – war eine Minimallösung vorgesehen. Von <strong>de</strong>n<br />

neun oben erläuterten Punkten beinhalt<strong>et</strong>e sie lediglich die bei<strong>de</strong>n l<strong>et</strong>ztgenannten. Wenn<br />

also die fünf an<strong>de</strong>ren Partner ratifizierten, sollte das Großherzogtum seine Abstimmung<br />

<strong>de</strong>nnoch von <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Bedingungen abhängig machen. Das zu erwarten<strong>de</strong><br />

Gegenargument, Luxemburg dürfe sich unter <strong>de</strong>n gegebenen Umstän<strong>de</strong>n nicht durch einen<br />

22<br />

Höchstniveau <strong>de</strong>s Großherzogtums zwang, bestand die Gefahr, daß alles beim alten bleiben könnte. Mit<br />

an<strong>de</strong>ren Worten, die erdrücken<strong>de</strong>n Soziallasten wür<strong>de</strong>n sich wie ehe<strong>de</strong>m negativ auf die<br />

W<strong>et</strong>tbewerbsfähigkeit <strong>de</strong>r einheimischen Produktion auswirken.<br />

Zu Punkt 7: Wegen <strong>de</strong>r ausgesprochen schlechten Finanzlage <strong>de</strong>r Société Nationale <strong>de</strong>s Chemins <strong>de</strong> Fer<br />

Luxembourgeois hatten die luxemburgischen Unterhändler in Paris eine Ausnahmeregelung für die<br />

Übergangsperio<strong>de</strong> erreicht. Diese erlaubte <strong>de</strong>r Regierung, die alten diskriminieren<strong>de</strong>n Bahntarife<br />

beizubehalten, bzw. die direkten <strong>de</strong>gressiven Frachtsätze nicht sofort einführen zu müssen. Auch hier war die<br />

Schwerindustrie einmal mehr hart g<strong>et</strong>roffen, weil die Koks- und Erzzufuhr hauptsächlich auf <strong>de</strong>m Schienenweg<br />

erfolgte. (Vgl. hierzu ARBED, P.47A - Chemins <strong>de</strong> fer, 1947-1953).<br />

Vgl. AEL AE 11392; Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 30.08.1951 und ARBED, P.61, Alex <strong>de</strong><br />

Dees, Luxemburg: Schuman-Plan von vitaler Be<strong>de</strong>utung. Ein Interview mit Luxemburgs Wirtschaftsminister M.<br />

Michel Rasquin. IN: Neue Zeitung, 21.08.1951 (siehe auch Frankfurter Rundschau, 29.08.1951).


Sturm im Wasserglas 8<br />

Alleingang isolieren, wur<strong>de</strong> vorsorglich mit <strong>de</strong>m Hinweis auf die «kapitale Be<strong>de</strong>utung»* <strong>de</strong>r<br />

einheimischen Schwerindustrie abg<strong>et</strong>an.<br />

Am 13. Mai 1952 stimmte die Chambre <strong>de</strong>s députés mit einer Mehrheit von 47 gegen 4<br />

Stimmen für die vorbehaltlose Annahme <strong>de</strong>s Vertrages zur Einführung <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 23 Drei Monate später, nach Abschluß <strong>de</strong>r<br />

Ratifikationsprozedur in allen sechs Unionslän<strong>de</strong>rn, nahm die Hohe Behör<strong>de</strong> ihre Tätigkeit in<br />

Luxemburg auf.<br />

Rückblickend darf die «Schlacht um die Ratifizierung» *24 also eher mit einem völlig<br />

verz<strong>et</strong>telten Nachhutgefecht verglichen wer<strong>de</strong>n. Bleibt die Frage, weshalb die<br />

schwerindustriellen Anstrengungen so kläglich scheiterten?<br />

Ein erster überaus wichtiger Grund, ist unseres Erachtens in <strong>de</strong>r verspät<strong>et</strong>en Reaktion <strong>de</strong>s<br />

Patronats zu suchen. Die Einstellung <strong>de</strong>r Herstellerverbän<strong>de</strong> war ja allenthalben während<br />

<strong>de</strong>r ersten Verhandlungsrun<strong>de</strong>n von 1950 tatsächlich abwartend bis zurückhaltend. Bedingt<br />

wur<strong>de</strong> das zögerliche Verhalten zunächst durch eine grundsätzliche Infragestellung <strong>de</strong>r<br />

Ernsthaftigkeit <strong>de</strong>s Schumanschen Vorschlags zum einen, durch eine Fehlinterpr<strong>et</strong>ation <strong>de</strong>r<br />

wahren Tragweite <strong>de</strong>s französischen Plans zum an<strong>de</strong>ren. Die hierzu gemachten<br />

Äußerungen vom Generalsekr<strong>et</strong>är <strong>de</strong>s GISL sprechen eine <strong>de</strong>utliche Sprache. Eric Conrot,<br />

<strong>de</strong>r als Mitglied <strong>de</strong>r Luxemburger Delegation die Verhandlungen in Paris selbst aus nächster<br />

Nähe miterlebt und ebenfalls an allen wichtigen Besprechungen unter europäischen<br />

Stahlkochern teilgenommen hatte, räumte später während einer in Longwy veranstalt<strong>et</strong>en<br />

Konferenz ein, die Industrie habe zu lange geglaubt, <strong>de</strong>r Schuman-Plan sei halt nur ein<br />

Vertrag gewesen «wie viele an<strong>de</strong>re auch» * . Berücksichtigt man nun die Vielzahl <strong>de</strong>r damals<br />

zur Einigung Europas kursieren<strong>de</strong>n Projekte und <strong>de</strong>ren Ums<strong>et</strong>zung in die Praxis (lies: ihr<br />

Scheitern), dann wird eines verständlich: «Viele Industrielle glaubten nicht daran» * ! 25<br />

Wie wenig die Eisenhüttenleute ursprünglich an die EGKS glaubten, lassen auch folgen<strong>de</strong>,<br />

selbstre<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Zitate aus <strong>de</strong>r Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen Aloyse Meyer, <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s<br />

Arbed-Verwaltungsrates, und <strong>de</strong>m Unternehmensdirektor Félix Chomé – er befand sich im<br />

Mai/Juni 1950 auf einer Amerikareise – erkennen:<br />

«Sogar in Frankreich, weiß niemand Bescheid, we<strong>de</strong>r die Industriellen, noch Herr<br />

Aubrun, noch Herr Denis. Die Initiative kommt von Herrn Monn<strong>et</strong> und wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n<br />

Herren Bidault und Schuman akzeptiert. Dieser Vorschlag beruht sicherlich auf<br />

politischen Motiven, die man zur Zeit aber noch nicht klar erkennen kann. Im Grun<strong>de</strong><br />

han<strong>de</strong>lt es sich aber nur um einen Plan, eine I<strong>de</strong>e …» * [Daraufhin, Chomé (seufzend)]<br />

«Welch Zeichen unserer Zeit !» * [Sieben Tage später, Meyer (gelassen)] «Auf je<strong>de</strong>n<br />

Fall können Sie [Chomé] Ihre Reise beruhigt fortführen. Es gibt wirklich nicht <strong>de</strong>n<br />

geringsten Anlaß zur Besorgnis über diese Schuman-Plan-Angelegenheit» * . 26<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

Vote <strong>de</strong> la loi d'approbation du proj<strong>et</strong> <strong>de</strong> loi le 13 mai 1952, IN: Ministère d'Etat, op.cit., S.81-82.<br />

Nur die vier kommunistischen Volksvertr<strong>et</strong>er stimmten gegen <strong>de</strong>n Schuman-Plan.<br />

E. Devos, Le patronat belge face au Plan Schuman (9 mai 1950 - 5 février 1952), Ed. Ciaco, Bruxelles, 1989,<br />

S.77.<br />

GISL, Causerie faite à Longwy, 28.02.1953.<br />

ARBED, P.VII.A, Briefe vom 22.05.1950, 30.05.1950 und 06.06.1950.


Sturm im Wasserglas 9<br />

Nach<strong>de</strong>m im Zuge <strong>de</strong>r ersten Verhandlungsrun<strong>de</strong> dann doch <strong>et</strong>was Panik ausgebrochen<br />

war, glätt<strong>et</strong>en sich die Wogen trotz<strong>de</strong>m wie<strong>de</strong>r recht schnell. En<strong>de</strong> September schrieb Meyer<br />

erneut an Chomé:<br />

«Herr Henckes hat mir gestern abend telephoniert um mitzuteilen, daß die Entwicklung<br />

[in Paris] nun dahingeht, <strong>de</strong>n Industriellen die Festlegung <strong>de</strong>r Preise und <strong>de</strong>r<br />

Produktionsprogramme zu überlassen, ja daß man sich sogar nicht mehr scheut, <strong>de</strong>n<br />

Begriff Kartell offen auszusprechen. Man gewinnt also <strong>de</strong>n Eindruck, daß die Leute<br />

endlich anfangen, vernünftig zu wer<strong>de</strong>n» * . 27<br />

Zu <strong>de</strong>n Ungläubigen zählten nicht allein die Hüttenherren. Ihre Skepsis wur<strong>de</strong> vielfach durch<br />

die Zweifel aus <strong>de</strong>n Reihen namhafter Politiker untermauert. Mit einem unverkennbaren<br />

Schuß Ironie stellte Conrot im Verlauf seiner Longwy-Konferenz fest, daß mancher<br />

Regierung erst nach <strong>de</strong>m 18. April, ja sogar erst nach <strong>de</strong>m Inkrafttr<strong>et</strong>en <strong>de</strong>r EGKS<br />

dämmerte, worauf sie sich wirklich eingelassen hatte. In diesem Zusammenhang ist<br />

nachdrücklich auf die Hartnäckigkeit hinzuweisen, mit <strong>de</strong>r sich Überlegungen à la "die Suppe<br />

wird nicht so heiß gegessen wie sie gekocht wird", behaupt<strong>et</strong>en. Zu keinem späteren<br />

Zeitpunkt als Dezember 1951 [!] vertrat Belgiens ehemaliger Premier- und<br />

Wirtschaftsminister Gaston Eyskens immerhin die Überzeugung,<br />

«… daß <strong>de</strong>r Schuman-Plan, in seiner Originalfassung niemals in Kraft tr<strong>et</strong>en wird; daß<br />

die Reaktionen aus allen Lagern <strong>de</strong>r sechs b<strong>et</strong>eiligten Län<strong>de</strong>r zu ständigen<br />

Umän<strong>de</strong>rungen und Adaptationen führen, die <strong>de</strong>n eigentlichen Plan spätestens nach<br />

Abschluß <strong>de</strong>r Anlaufperio<strong>de</strong> von 5 Jahren […] nicht mehr wie<strong>de</strong>rerkennen lassen<br />

wer<strong>de</strong>n» * . 28<br />

War die – von je<strong>de</strong>rmann richtig eingeschätzte – vor<strong>de</strong>rgründig politische Ziels<strong>et</strong>zung <strong>de</strong>r<br />

Montanunion schuld am falschen Kalkül? Hatte eine Überbewertung <strong>de</strong>s ursprünglichen<br />

Hauptmotivs die Verantwortlichen dazu verleit<strong>et</strong>, die wirtschaftlichen Bestimmungen als nicht<br />

weiter ernstzunehmen<strong>de</strong> Ran<strong>de</strong>rscheinung abzutun? Die Langlebigkeit <strong>de</strong>rartiger Illusionen<br />

erklärt allemal die Blauäugigkeit, mit <strong>de</strong>r so gewiefte Staatsmänner wie Joseph Bech und<br />

Paul Van Zeeland ans Werk gingen. Nach einer ergiebigen Aussprache, u.a. auch mit<br />

mehreren nie<strong>de</strong>rländischen Ministerkollegen und «verschie<strong>de</strong>ne[n] französische[n]<br />

Persönlichkeiten»*, gaben sich bei<strong>de</strong> Minister höchst optimistisch, auf <strong>de</strong>r abschließen<strong>de</strong>n<br />

Außenministerkonferenz diverse Streitpunkte zwischen Jean Monn<strong>et</strong> und <strong>de</strong>r Industrie<br />

wie<strong>de</strong>r ausräumen zu können. Angeblich soll ihnen Robert Schuman höchstpersönlich<br />

zugesichert haben, einzelne Artikel wie beispielsweise die gesamte Kartellproblematik<br />

könnten neuverhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n! 29 Das Ergebnis <strong>de</strong>r belgisch-luxemburgischen Initiative<br />

dürfte bekannt sein. Nach Abschluß <strong>de</strong>r Konferenz draht<strong>et</strong>e Henckes nach Hause: «Unsere<br />

Hauptfor<strong>de</strong>rungen abgelehnt» * . 30<br />

Die aufrichtig gemeinten Absichten von Bech und Van Zeeland sind symptomatisch. Sie<br />

zeigen, wie stark das Durchs<strong>et</strong>zungsvermögen von Jean Monn<strong>et</strong> allgemein unterschätzt<br />

wur<strong>de</strong>. Sie ver<strong>de</strong>utlichen aber auch, wie schwer sich viele Zeitgenossen taten, um die<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

ARBED, P.120, Aloyse Meyer an Félix Chomé, 21.09.1950.<br />

AEL AE 11390, Robert Als, Leiter <strong>de</strong>r Luxemburger Gesandtschaft in Brüssel, an Außenminister Joseph Bech,<br />

21.12.1951.<br />

ARBED, P.61 - Plan Schuman, Schreiben <strong>de</strong>r Columéta (gez. Jean-Baptiste Henckes) an Félix Chomé über<br />

die Vorbereitungen <strong>de</strong>r Außenministerkonferenz, 10.04.1951.<br />

ARBED, P.61, Telegramm von Jean-Baptiste Henckes an Félix Chomé, 20.04.1951. Ibid., Ausführlicher<br />

Bericht von Henckes, 27.04.1951.


Sturm im Wasserglas 10<br />

festgefahrenen Bahnen <strong>de</strong>r herkömmlichen Diplomatie zu verlassen und sich mit <strong>de</strong>r<br />

ungewöhnlich kühnen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Unionsprojekts anzufreun<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> hierin ist, nach<br />

unserem Ermessen, die ausschlaggeben<strong>de</strong> Ursache für das Fehlen einer<br />

gemeinschaftlichen Aktion seitens <strong>de</strong>r Produzenten zu suchen: die Unfähigkeit mancher<br />

Spitzenpolitiker, sich auf die neue Wellenlänge einzustellen, bestärkte die<br />

Wirtschaftsverbän<strong>de</strong> in ihrem Glauben, sie könnten ihre eigenen Interessen durch das<br />

übliche Feilschen im Zuge klassischer Verhandlungen wahren. Solange auf <strong>de</strong>r Pariser<br />

Konferenz und während <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n Ratifizierungsprozedur Aussicht auf eine<br />

Abschwächung <strong>de</strong>r ökonomischen Vertragsartikel bestand, solange vertrauten sie auf das<br />

Verhandlungsgeschick <strong>de</strong>r politisch Verantwortlichen und das Vermögen <strong>de</strong>r nationalen<br />

Unterhändler, <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n doch noch in Grenzen zu halten. 31 Folglich ging die Kooperation<br />

unter <strong>de</strong>n Gewerbeorganisationen <strong>de</strong>r Unionslän<strong>de</strong>r kaum über einen gewissen<br />

Informationsaustausch hinaus. Als die Industrie dann im zweiten Semester 1951 schrittweise<br />

die Unwi<strong>de</strong>rrufbarkeit <strong>de</strong>r Unionsbestimmungen erkannte, waren die Dinge bereits so weit<br />

gediehen, daß es nur noch bestenfalls zum vereinten Protestchoral reichte. Bis dato war es<br />

<strong>de</strong>n Stahlkochern aber nicht in <strong>de</strong>n Sinn gekommen, als geschlossene, europäische Kraft<br />

aufzutr<strong>et</strong>en.<br />

An <strong>de</strong>r verspät<strong>et</strong> eins<strong>et</strong>zen<strong>de</strong>n Generalmobilmachung gegen die EGKS trug sicherlich<br />

auch das überb<strong>et</strong>ont nationale Denken und Tun <strong>de</strong>r Stahlkocher Schuld. Damit ist ein<br />

weiterer Grund für das Scheitern schwerindustrieller Bemühungen gegeben.<br />

Abgesehen von <strong>de</strong>r Feststellung, daß innerhalb <strong>de</strong>r einzelnen Wirtschaftsgruppen nicht<br />

unbedingt eine absolut einheitliche Haltung zum Schuman-Plan existierte, 32 so galt die<br />

Wahrung <strong>de</strong>r nationalen Interessen für je<strong>de</strong>n Verband als oberstes Gebot. Da die Struktur<br />

<strong>de</strong>r im Gemeinsamen Markt zu vereinen<strong>de</strong>n Industrien von Land zu Land meist stark<br />

unterschiedlich war, gestalt<strong>et</strong>en sich die jeweils in <strong>de</strong>n Vertrag ges<strong>et</strong>zten Erwartungen (und<br />

Befürchtungen) genauso verschie<strong>de</strong>nartig. Die Grun<strong>de</strong>instellung <strong>de</strong>r Deutschen kennen wir<br />

bereits aus <strong>de</strong>r Einleitung dieses Aufsatzes. Ihr Hauptziel, d.h. die Aufhebung <strong>de</strong>r alliierten<br />

Restriktionen und das Erlangen <strong>de</strong>r vollständigen Produktionsfreiheit, sahen sie durch <strong>de</strong>n<br />

französischen Plan in Frage gestellt. Umgekehrt warf das Patronat in Frankreich seiner<br />

Regierung vor, mit <strong>de</strong>r EGKS ein «Instrument zur Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Suprematie in Europa» *33 geschaffen zu haben. Wenngleich dieses «starke Argument» * mit<br />

Rücksicht auf <strong>de</strong>n Vorwurf chauvinistischer H<strong>et</strong>ze nicht in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit ausposaunt<br />

wur<strong>de</strong>, so war die CSSF doch recht ents<strong>et</strong>zt über die vermut<strong>et</strong>e Schwemme <strong>de</strong>utscher<br />

Stahlerzeugnisse auf <strong>de</strong>m Inlandsmarkt <strong>de</strong>s Hexagons. 34 In Anb<strong>et</strong>racht <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschfranzösischen<br />

Duells hätte man eine engere Kollaboration unter <strong>de</strong>n schwächeren<br />

Partnerstaaten Italien und <strong>de</strong>n Benelux-Län<strong>de</strong>rn vermuten können. 35 Ein solcher Block<br />

31<br />

32<br />

33<br />

34<br />

35<br />

ARBED, P.120, Félix Chomé an Aloyse Meyer, 19.03.1951.<br />

Vgl. W. Bührer, op.cit., S.179 und Ph. Mioche, op.cit., S.317-318.<br />

ARBED, P.61, Bericht von Jean-Baptiste Henckes, 26.10.1951, op.cit.<br />

ARBED, P.61, Travaux du Groupe IV (Production-Prix), anonymer Bericht, 16.08.1950.<br />

Die Stimmung unter <strong>de</strong>n Eisenhüttenleuten <strong>de</strong>r Beneluxstaaten war stark g<strong>et</strong>rübt, da am 3. Mai 1949 die<br />

Verhandlungen über die Einrichtung eines Produktionskartells geplatzt waren. Seit Oktober <strong>de</strong>s Vorjahres<br />

hatten Belgier und Luxemburger sich gemeinsam bemüht, <strong>de</strong>n Hollän<strong>de</strong>rn eine Einschränkung ihrer<br />

Stahlkapazitäten in Höhe von 50% <strong>de</strong>s nie<strong>de</strong>rländischen Inlandmarktes aufzuzwingen; die restlichen 50% <strong>de</strong>s<br />

Stahlbedarfs <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> sollten ausschließlich durch belgische o<strong>de</strong>r luxemburgische Werke geliefert<br />

wer<strong>de</strong>n. Das Scheitern <strong>de</strong>r Abmachung am zähen Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Hollän<strong>de</strong>r hatte zur Folge, daß es auch im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s Europäischen Wie<strong>de</strong>raufbau-Programms öfters heftige Auseinan<strong>de</strong>rs<strong>et</strong>zungen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Eisenindustrien <strong>de</strong>r drei Zollunionspartner gegeben hatte. (Vgl. ARBED, P.20.A und B - Benelux).


Sturm im Wasserglas 11<br />

bild<strong>et</strong>e sich aber nie, weil die praktische Ausführung <strong>de</strong>r einzelnen Vertragsartikel für je<strong>de</strong><br />

nationale Wirtschaft an<strong>de</strong>re Konsequenzen erkennen ließ. Je<strong>de</strong>r Verband schätzte <strong>de</strong>shalb<br />

die vermeintlichen Auswirkungen <strong>de</strong>r Union auf seine Produktionsmöglichkeiten ab,<br />

mutmaßte über neue Absatzperspektiven, verglich Preise und Gestehungskosten, …,<br />

kalkulierte <strong>de</strong>n Einfluß auf die W<strong>et</strong>tbewerbsfähigkeit <strong>de</strong>r eigenen und <strong>de</strong>r benachbarten<br />

Werke. Der dominieren<strong>de</strong> Gedanke, die ausländische Konkurrenz könnte sich unerwart<strong>et</strong><br />

Vorteile verschaffen, gab Anlaß zu gegenseitigem Mißtrauen.<br />

Dank <strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r weniger regelmäßigen Aussprache mit <strong>de</strong>n Industriellenorganisationen<br />

und ihrer nach Paris gereisten Experten, spiegelte sich <strong>de</strong>r egozentrische Argwohn<br />

wenigstens teilweise in <strong>de</strong>n Stellungnahmen <strong>de</strong>r offiziellen Län<strong>de</strong>r<strong>de</strong>legationen wie<strong>de</strong>r. Die<br />

Verhandlungen – und das Gerangel hinter <strong>de</strong>n Kulissen – entwickelten sich zu einem<br />

verworrenen Spiel ständig wechseln<strong>de</strong>r Fronten, wobei eine Delegation die an<strong>de</strong>re in diesem<br />

o<strong>de</strong>r jenem Punkt mal unterstützte, mal gegen sie Position bezog: die von <strong>de</strong>n Belgiern und<br />

Luxemburgern gemeinsam ausgearbeit<strong>et</strong>e Regelung <strong>de</strong>r Produktionsfrage war durch einen<br />

überraschen<strong>de</strong>n Gegenvorschlag ihrer «holländischen Freun<strong>de</strong>» *36 torpediert wor<strong>de</strong>n; statt<br />

an <strong>de</strong>r Seite ihrer bei<strong>de</strong>n Benelux-Partner zu stehen, hielten die Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r meistens mit<br />

<strong>de</strong>n Deutschen, um dann, in <strong>de</strong>r Schlußphase <strong>de</strong>s Verhandlungszirkus, verdächtig oft Partei<br />

für die Franzosen zu ergreifen. 37 Hatte Jean Monn<strong>et</strong> ihnen <strong>et</strong>was versprochen, fragte Albert<br />

Wehrer mit trockenem Unterton? 38 Auch wenn Belgien und das Großherzogtum allein auf<br />

weiter Flur stan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Diskussion über Lohn- und Sozialprobleme, so verbünd<strong>et</strong>en sie<br />

sich doch mit Holland und <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik, um eine paritätische Festlegung <strong>de</strong>r Preise<br />

durchzuboxen; Frankreich und Italien hingegen beharrten auf Ab-Werk-Preisen. Allerdings<br />

waren Franzosen und Italiener ganz gehörig zerstritten über die Einbeziehung <strong>de</strong>r Märkte<br />

von französisch Nordafrika. 39 Zur Schwächung <strong>de</strong>r italienischen Position sah Frankreich sich<br />

veranlaßt, <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Benelux-Staaten mehr entgegenzukommen, zum Beispiel<br />

durch größeres Wohlwollen gegenüber <strong>de</strong>m belgischen Kohlenausgleich. Dies wie<strong>de</strong>rum<br />

paßte <strong>de</strong>n Deutschen nicht, weil <strong>de</strong>r Ausgleich für Belgien auf Kosten <strong>de</strong>r Ruhr vonstatten<br />

ging und automatisch eine allgemeine Verteuerung in <strong>de</strong>r BRD nach sich zog. Grund genug,<br />

sich mit <strong>de</strong>n Luxemburgern anzufreun<strong>de</strong>n, da l<strong>et</strong>ztere ganz beson<strong>de</strong>rs wegen <strong>de</strong>rselben<br />

Angelegenheit aufgebracht waren. 40<br />

Die Frage <strong>de</strong>s Lastenausgleichs für Kohle veranschaulicht in hervorragen<strong>de</strong>r Weise, wie die<br />

kleinliche Verteidigung nationaler Interessen einen handfesten Krach zwischen zwei Staaten<br />

entzünd<strong>et</strong>e, <strong>de</strong>ren seit 1922 in <strong>de</strong>r Union Economique Belgo-Luxembourgeoise<br />

zusammengefaßte Eisenindustrien eigentlich unter annähernd <strong>de</strong>nselben Bedingungen<br />

produzierten. Während <strong>de</strong>r Anfangsphase <strong>de</strong>r Schuman-Plan Verhandlungen war die<br />

Zusammenarbeit <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Zollunionslän<strong>de</strong>r dann auch recht konstruktiv 41 …, bis die<br />

Aushandlung einer konkr<strong>et</strong>en Ausnahmeregelung zum Schutz <strong>de</strong>r belgischen Zechen die<br />

36<br />

37<br />

38<br />

39<br />

40<br />

41<br />

GISL, persönliches Schreiben von Eric Conrot, 18.09.1950.<br />

AEL AE 11342, <strong>Charles</strong> Reichling an Außenminister Joseph Bech, 13.09.1950.<br />

AEL AE 11374, handschriftliche Notiz von Albert Wehrer, 22.02.1951.<br />

AEL AE 11384, geheimer Bericht von Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 08.09.1950: «Herr<br />

Clappier hat uns sogar mitg<strong>et</strong>eilt, die Italiener hätten diesbezüglich <strong>de</strong>r französischen Regierung zwei Noten<br />

überreicht, mit <strong>de</strong>nen sie drohten, die Konferenz von Paris zu verlassen, falls die französische Regierung nicht<br />

gewillt sei, ihrem Ansinnen Rechnung zu tragen. Daraufhin hätten die Franzosen ihnen geantwort<strong>et</strong>: Na geht<br />

doch nach Hause, wenn ihr wollt» * .<br />

AEL AE 11398, Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 23.05.1951.<br />

GISL, persönliches Schreiben von Conrot, op.cit.: «Unsere Beziehungen zu <strong>de</strong>n Belgiern sind exzellent» * .


Sturm im Wasserglas 12<br />

Beziehungen völlig erstarren ließ. 42 Dabei hatte die luxemburgische Industrie prinzipiell<br />

nichts gegen <strong>de</strong>n Kohlenausgleich einzuwen<strong>de</strong>n. Ihr ging es lediglich um seine indirekten<br />

Auswirkungen auf die Gestehungskosten <strong>de</strong>r Eisenherstellung. In <strong>de</strong>r Tat, weil Belgiens<br />

Schmelzen hauptsächlich Koks aus einheimischer Produktion verhütt<strong>et</strong>en, gereichte ihnen<br />

<strong>de</strong>r durch die Son<strong>de</strong>rhilfe künstlich gedrückte Inlandspreis zum Vorteil; Luxemburg dagegen<br />

beschickte seine Hochöfen nahezu ausschließlich mit Ruhrkohle, die nun wegen <strong>de</strong>r<br />

einzuführen<strong>de</strong>n Lastenverteilung teurer wur<strong>de</strong>. Die unterschiedlichen Rohstoffpreise drohten<br />

das seit Jahrzehnten bestehen<strong>de</strong> belgisch-luxemburgische Produktionsverhältnis und die<br />

ausgewogenen Absatzmöglichkeiten für Stahlprodukte bei<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Gleichgewicht<br />

zu bringen. 43<br />

Auf die Gefahr eines solchen Mißverhältnisses hingewiesen, hatte Brüssel seinem kleineren<br />

Nachbarn versichert, man wer<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Bereinigung <strong>de</strong>s Kohlenproblems Rücksicht auf die<br />

Stellung <strong>de</strong>r Luxemburger Hütten nehmen. 44 Die Aufrichtigkeit <strong>de</strong>r Zusage wur<strong>de</strong> we<strong>de</strong>r vom<br />

GISL noch von <strong>de</strong>r Regierung <strong>de</strong>s Großherzogtums angezweifelt. Albert Wehrers Delegation<br />

bekam strenge Anweisung, nichts in Paris zu unternehmen, was die belgische<br />

Verhandlungstaktik gefähr<strong>de</strong>n könnte. Nun stellte sich aber im Laufe <strong>de</strong>r Zeit heraus, daß<br />

Belgien in geheimen, bilateralen Abmachungen mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Unterhändlern seine<br />

Versprechen nicht eingehalten hatte. Am 24. Januar 1951 kam es zum Eklat. Gleich nach<br />

Eröffnung <strong>de</strong>r Vollversammlung drohte Wehrer, sein Land wer<strong>de</strong> die Unterzeichnung <strong>de</strong>s<br />

Schuman-Plans verweigern, falls es keine ausreichen<strong>de</strong>n Garantien für die Beibehaltung <strong>de</strong>s<br />

bestehen<strong>de</strong>n Gleichgewichts bekommen sollte! Allgemeiner Tumult war die Folge. Monn<strong>et</strong><br />

kam nicht umhin, die Sitzung zu unterbrechen, um alleine mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Kontrahenten<br />

weiterzuverhan<strong>de</strong>ln. Bei <strong>de</strong>m improvisierten Tête-à-tête ging es nicht weniger heftig zu.<br />

Wehrer hatte eine Textformel vorbereit<strong>et</strong>, die er als Abän<strong>de</strong>rungsvorschlag <strong>de</strong>r Konvention<br />

einbringen wollte. Das versuchte Max Su<strong>et</strong>ens mit allen Mitteln zu verhin<strong>de</strong>rn:<br />

«Herr Su<strong>et</strong>ens sagt, die Tatsache daß die Textformel sich expressis verbis auf die<br />

beson<strong>de</strong>re Lage zwischen Belgien und Luxemburg bezieht, wäre <strong>de</strong>r belgischen<br />

Regierung äußerst unangenehm. Er müsse sich <strong>de</strong>mnach radikal je<strong>de</strong>r<br />

B<strong>et</strong>rachtungsweise wi<strong>de</strong>rs<strong>et</strong>zen, die ein Fehlverhalten Belgiens gegenüber unserem<br />

Land [Großherzogtum] offen zu Tage trägt; an<strong>de</strong>rerseits sei er allerdings durchaus<br />

bereit eine Lösung auszuarbeiten, die uns vollauf zufrie<strong>de</strong>nstellen könnte, ohne daß<br />

dadurch <strong>de</strong>r belgisch-luxemburgische Konflikt im Text einer internationalen Konvention<br />

zur Schau gestellt wird» * . 45<br />

Obschon Belgien einlenkte, und obwohl Monn<strong>et</strong> gut zured<strong>et</strong>e, ließ Wehrer nicht locker. Die<br />

nach Wie<strong>de</strong>raufnahme <strong>de</strong>r offiziellen Verhandlungsrun<strong>de</strong> von allen übrigen Delegationen<br />

geäußerte Kritik, ob Luxemburg nicht doch vielleicht <strong>et</strong>was überspitzte Ängste hege,<br />

beeindruckte ihn ganz und gar nicht. Er war mehr <strong>de</strong>nn je zuversichtlich, seine Schutzklausel<br />

42<br />

43<br />

44<br />

45<br />

AEL AE 11385, Plan Schuman, cas <strong>de</strong> l'acier luxembourgeois, 02.04.1951: «… die guten Beziehungen<br />

zwischen bei<strong>de</strong>n Delegationen […] haben sich nahezu völlig aufgelöst, trotz <strong>de</strong>r von uns gemachten<br />

Anstrengungen um <strong>de</strong>n Kontakt zu wahren» * .<br />

Die Auswirkungen <strong>de</strong>s belgischen Kohleausgleichs auf die Luxemburger Stahlproduktion können in diesem<br />

Aufsatz nur oberflächlich und stark vereinfacht dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

AEL AE 11385, Plan Schuman, cas <strong>de</strong> l'acier …, op.cit.: «Im Verlaufe eines längeren Gesprächs mit Herrn<br />

Vinck [François Vinck, Generaldirektor für Brennstoffe und Energie, Mitglied <strong>de</strong>r belgischen<br />

Unterhändlergruppe], hat dieser ganz formell zugesichert, er wer<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Verhandlungen b<strong>et</strong>reffs <strong>de</strong>s<br />

belgischen Kohleausgleichs die Interessenlage <strong>de</strong>r luxemburgischen Eisenindustrie vollauf und ständig<br />

berücksichtigen» * .<br />

AEL AE 11384, Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 25.01.1951.


Sturm im Wasserglas 13<br />

(clause <strong>de</strong> sauvegar<strong>de</strong>) in <strong>de</strong>r Zusatzkonvention b<strong>et</strong>r. die Übergangsperio<strong>de</strong> unterbringen zu<br />

können: «Herr Su<strong>et</strong>ens hat in <strong>de</strong>r Vollversammlung erklärt: wenn Luxemburg nicht<br />

unterzeichn<strong>et</strong>, kann Belgien auch nicht unterzeichnen. Herr Monn<strong>et</strong> macht nicht <strong>de</strong>n<br />

Eindruck, als wolle er aus diplomatischen und allgemeinen politischen Erwägungen einen<br />

rein <strong>de</strong>utsch-französischen Pool ins Auge fassen» * . 46 Also … 47<br />

Inwiefern die luxemburgische Schwerindustrie bei Wehrers Poker die Fä<strong>de</strong>n gezogen hat,<br />

kann nicht restlos geklärt wer<strong>de</strong>n. Diverse Indizien lassen aber einen überaus starken Druck<br />

seitens <strong>de</strong>r Hüttenherren erkennen, die damals ohnehin in einem recht angespannten<br />

Verhältnis zu ihren belgischen Kollegen stan<strong>de</strong>n. 48 Sicher ist allemal, daß Henckes, Conrot<br />

und Arbed-Generaldirektor Félix Chomé, <strong>de</strong>r zu diesem Anlaß eigens in die französische<br />

Hauptstadt gereist war, maßgeblich an <strong>de</strong>m ganzen Wirbel b<strong>et</strong>eiligt gewesen sind. 49 Sicher<br />

ist ebenfalls, daß nach <strong>de</strong>m Intermezzo vom 24. Januar dunkle Wolken am UEBL-Himmel<br />

aufzogen. Nebst ausfälligen Bemerkungen 50 und kaum verhüllten gegenseitigen<br />

Anschuldigungen 51 manövrierten die Luxemburger, um Belgiens Aussichten auf ein zweites<br />

Mandat in <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> zu zerschlagen. 52 Im Gegenzug s<strong>et</strong>zten die Belgier alles<br />

daran, um die Bemühungen ihres Nachbarn für eine Nie<strong>de</strong>rlassung <strong>de</strong>r EGKS in Luxemburg<br />

zu vereiteln: «Die Aktion <strong>de</strong>r Belgier in dieser Angelegenheit war also eine rein antiluxemburgische<br />

Aktion. Das dürfen wir nie vergessen» * ! 53<br />

Wur<strong>de</strong> solch nationales Gezänk um wirtschaftspolitische Interessen durch die von Jean<br />

Monn<strong>et</strong> bei <strong>de</strong>n Besprechungen in Paris angewandte eigenwillige Verhandlungstaktik und<br />

die ungewohnten Arbeitsm<strong>et</strong>ho<strong>de</strong>n begünstigt o<strong>de</strong>r gar willentlich angeheizt?<br />

Dem französischen Hauptinitiator <strong>de</strong>r Montangemeinschaft war von vorneherein klar<br />

gewesen, daß unter allen 60 Delegierten je<strong>de</strong> offene Diskussion um die Lösung rein<br />

46<br />

47<br />

48<br />

49<br />

50<br />

51<br />

52<br />

53<br />

Ibid.<br />

Die endgültige Ausarbeitung einer für Luxemburg akzeptablen clause <strong>de</strong> sauvegar<strong>de</strong> erfolgte, nach vielem Hin<br />

und Her, erst nach<strong>de</strong>m Außenminister Bech am 31. Januar 1951 bei Robert Schuman vorstellig gewor<strong>de</strong>n war<br />

(AEL, Cas <strong>de</strong> l'acier, op.cit.).<br />

Vgl. Ch. Barthel, De l'entente belgo-luxembourgeoise à la Convention <strong>de</strong> Bruxelles. 1948-1954, IN: M.<br />

Dumoulin, R. Girault, G. Trausch, L'Europe du Patronat. De la guerre froi<strong>de</strong> aux années soixante. Actes du<br />

colloque <strong>de</strong> Louvain-la-Neuve <strong>de</strong>s 10 <strong>et</strong> 11 mai 1990, Euroclio, P<strong>et</strong>er Lang, Berne, 1993, S.29-62.<br />

GISL, Avis du Groupement <strong>de</strong>s Industries Sidérurgiques Luxembourgeoises sur le proj<strong>et</strong> <strong>de</strong> Plan Schuman tel<br />

qu'il a été paraphé par les délégations, 27.03.1951.<br />

Vgl. hierzu auch: GISL, Rapports du Comité Directeur, Procès-verbal <strong>de</strong> la réunion du 19.03.1951.<br />

AEL AE 11374, handschriftliche Notiz von Albert Wehrer, 22.02.1951.<br />

Über die Sitzung vom 20. Februar, bei <strong>de</strong>r vor<strong>de</strong>rgründig Luxemburger Probleme <strong>de</strong>battiert wur<strong>de</strong>n, notiert<br />

Wehrer: «Die Belgier sind zu viert, zwei von ihnen sind <strong>et</strong>was ang<strong>et</strong>runken. Die Belgier schweigen [statt die<br />

Luxemburger zu unterstützen]. Am Abend lesen wir in <strong>de</strong>r Zeitung, die Hohe Behör<strong>de</strong> wer<strong>de</strong> sich vermutlich in<br />

Lüttich nie<strong>de</strong>rlassen. Ist das <strong>de</strong>r Preis?» * .<br />

AEL AE 11379, Robert Als an Außenminister Joseph Bech, Bericht über ein Diner im Cercle Gaulois,<br />

19.04.1951: «... <strong>de</strong>r Ehrengast, Herr van Zeeland, hat während seiner Re<strong>de</strong> gesagt, daß Belgien […] bei <strong>de</strong>n<br />

Verhandlungen [zum Schuman-Plan] von nieman<strong>de</strong>m unterstützt wur<strong>de</strong>. Eine solche Aussage könnte <strong>de</strong>n<br />

Eindruck entstehen lassen, als habe Luxemburg je<strong>de</strong> Unterstützung verweigert. Ich erinnere mich dabei an die<br />

Beschwer<strong>de</strong>n unserer Delegation über die wenig ehrliche Haltung von Herrn Su<strong>et</strong>ens …» * .<br />

AEL AE 11385, Christian Calmes, Rapport secr<strong>et</strong> sur les questions institutionnelles réservées à la Conférence<br />

ministérielle, 24.03.1951: «Unserer Meinung nach, sollte man nicht versuchen, Belgien einen zweiten Sitz<br />

anzuvertrauen […]. Die rezente Entwicklung <strong>de</strong>r Verhandlungen hat zwischen Belgien und Luxemburg<br />

fundamentale Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten erkennen lassen, die je<strong>de</strong>rzeit wie<strong>de</strong>r aufflammen könnten, weil sie<br />

durch strukturelle Wirtschaftsfaktoren bedingt sind» * .<br />

AEL AE 11390, Luxemburger Gesandtschaft in Bonn (gez. Albert Wehrer) an Außenminister Joseph Bech,<br />

25.05.1951.


Sturm im Wasserglas 14<br />

technisch-ökonomischer Fragen wegen <strong>de</strong>r schroffen Gegensätze nie auf einen<br />

gemeinsamen Nenner zu bringen war. 54 Deshalb versuchte er einerseits, diese Probleme<br />

möglichst auszugrenzen und einer im nachhinein eins<strong>et</strong>zen<strong>de</strong>n Klärung durch die Hohe<br />

Behör<strong>de</strong> zu überlassen. An<strong>de</strong>rerseits verhängte er einen regelrechten «Ostrazismus» *55<br />

gegen die Industrie, <strong>de</strong>ren Vertr<strong>et</strong>er von <strong>de</strong>r Ausarbeitung <strong>de</strong>s EGKS-Vertrages<br />

weittestgehendst ferngehalten wer<strong>de</strong>n sollten. Gera<strong>de</strong> die französischen Stahlkocher hatten<br />

unter dieser Maßnahme am stärksten zu lei<strong>de</strong>n. In einem an <strong>de</strong>n Regierungspräsi<strong>de</strong>nten<br />

René Pleven gericht<strong>et</strong>en Schreiben vom 16. November 1950 verwahrte sich die Chambre<br />

Syndicale aufs schärfste gegen ihren völligen Ausschluß, <strong>de</strong>n sie als gänzlich ungerecht<br />

anprangerte, weil die ausländischen Verhandlungsleiter, auch bei Besprechungen im<br />

engsten Kreise, meist von Regierungsexperten, ja sogar von Fachleuten aus <strong>de</strong>r<br />

Privatindustrie begleit<strong>et</strong> wur<strong>de</strong>n. L<strong>et</strong>zteres paßte Monn<strong>et</strong> gewiß nicht, und er ließ keine<br />

Gelegenheit verstreichen, um seinem Ärger über die Anwesenheit von "Technikern" Luft zu<br />

machen. En<strong>de</strong> November 1950 ließ er es sogar auf einen «schwerwiegen<strong>de</strong>n diplomatischen<br />

Zwischenfall» * ankommen, als er <strong>de</strong>n luxemburgischen Unterhändler Jean-Baptiste Henckes<br />

nach Beginn einer Arbeitsrun<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Sitzungssaal verwies und das, obwohl <strong>de</strong>r<br />

Geschäftsführer <strong>de</strong>r Arbed-Verkaufsorganisation Columéta eigentlich als offizielles Mitglied<br />

<strong>de</strong>r großherzoglichen Delegation fungierte und daher nicht seinem Unternehmen, son<strong>de</strong>rn<br />

unmittelbar <strong>de</strong>m Außenministerium unterstand! 56 Da <strong>de</strong>r Fall Henckes sich knappe vierzehn<br />

Tage nach <strong>de</strong>m Protestschreiben <strong>de</strong>r CSSF ereign<strong>et</strong>e, darf angenommen wer<strong>de</strong>n, daß<br />

zwischen bei<strong>de</strong>n Ereignissen ein direkter Zusammenhang bestand, von <strong>de</strong>m Monn<strong>et</strong> sich<br />

vermutlich eine Signalwirkung erwart<strong>et</strong>e.<br />

Nichts<strong>de</strong>stotrotz war <strong>de</strong>m Orchesterchef <strong>de</strong>r Pariser Konferenz klar bewußt, daß er keinen<br />

uneingeschränkten Einfluß auf die Zusammenstellung <strong>de</strong>r einzelnen Län<strong>de</strong>r<strong>de</strong>legationen<br />

ausüben konnte. Wohl o<strong>de</strong>r übel mußte er sich mit <strong>de</strong>r Präsenz zahlreicher Experten<br />

abfin<strong>de</strong>n, auch wenn diese keineswegs mit <strong>de</strong>r «cote d'amour» behaft<strong>et</strong> waren, wie Eric<br />

Conrot sich lakonisch auszudrücken pflegte. 57 Genauso wenig dürfte Monn<strong>et</strong> sich Illusionen<br />

über <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r absoluten Geheimhaltung mancher Diskussionen gemacht haben.<br />

Ganz im Gegenteil. Er konnte g<strong>et</strong>rost davon ausgehen, daß wichtige Informationen an die<br />

nationalen Kohle- und Eisenverbän<strong>de</strong> weitergereicht wur<strong>de</strong>n, die sich, durch Rücksprache<br />

zwischen Industriellen und politisch Verantwortlichen, so in <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Verhandlungspositionen wi<strong>de</strong>rspiegeln wür<strong>de</strong>n. Dementsprechend vermied er tunlichst die<br />

offene Diskussion. Statt <strong>de</strong>r Einberufung von Vollversammlungen zog er Gesprächsrun<strong>de</strong>n in<br />

kleinen Arbeitsgruppen, in <strong>de</strong>n Comités restreints o<strong>de</strong>r im engen Kreise <strong>de</strong>r Delegationsleiter<br />

vor, … angeblich um <strong>de</strong>n Unterhändlern auf diese Art die neue, supranationale Denk- und<br />

Handlungsweise näherzubringen. 58 In Wirklichkeit hat er aber vermutlich eher an das<br />

klassische divi<strong>de</strong> <strong>et</strong> impera gedacht, eine Vorgehensweise, die viele Vorzüge bot.<br />

Erstens: Sollte es Indiskr<strong>et</strong>ionen geben (gewollte o<strong>de</strong>r ungewollte), dann waren diese<br />

bestenfalls bruchstückhaft. Zweitens: Da die einzelnen Arbeitsgruppen sich ausschließlich<br />

mit beschränkten, ganz spezifischen Fragekomplexen herumplagten, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m einzelnen<br />

Konferenzteilnehmer <strong>de</strong>r Gesamtdurchblick ungemein erschwert. Den Überblick über die<br />

eigentlichen Zusammenhänge hatte nur <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt, <strong>de</strong>r wegen seiner Funktion als<br />

zentrale Schaltstelle das Heft st<strong>et</strong>s fest in <strong>de</strong>r Hand behalten konnte. Das war von kapitaler<br />

54<br />

55<br />

56<br />

57<br />

58<br />

J. Monn<strong>et</strong>, Mémoires, Ausgabe Le livre <strong>de</strong> poche, Fayard, Paris, 1976, S.465-474.<br />

ARBED, P.VII.B, Paul Lancrenon an Aloyse Meyer, 16.11.1950.<br />

AEL AE 11384, Protestschreiben von Albert Wehrer an Jean Monn<strong>et</strong>, 28.11.1950.<br />

GISL, Persönliches Schreiben …, op.cit.<br />

J. Monn<strong>et</strong>, Mémoires, op.cit., S.466-467.


Sturm im Wasserglas 15<br />

Be<strong>de</strong>utung, vor allem bei <strong>de</strong>n wichtigen Gesprächen hinter <strong>de</strong>n Kulissen und während <strong>de</strong>r<br />

Unterredungen mit Vertr<strong>et</strong>ern einer o<strong>de</strong>r mehrerer Län<strong>de</strong>r<strong>de</strong>legationen, bei <strong>de</strong>nen es um die<br />

Erörterung rein nationaler Probleme ging. Hier konnte Monn<strong>et</strong> voll auftrumpfen. Weil er als<br />

einziger die Standpunkte aller sechs kannte, vermochte er geschickt die Partikularinteressen<br />

<strong>de</strong>r einen gegen die an<strong>de</strong>ren auszuspielen. Je nach Belieben ließ er mal diesen, mal jenen<br />

einen kurzen Blick in sein Kartenspiel werfen; «vertrauliche» Informationen wur<strong>de</strong>n bewußt<br />

weitergeleit<strong>et</strong> o<strong>de</strong>r vorenthalten, je nach<strong>de</strong>m, ob eine Delegation zur Zurückhaltung o<strong>de</strong>r<br />

zum Vorpreschen bewegt wer<strong>de</strong>n sollte. Durch die hinter vorgehaltener Hand gemachten –<br />

manchmal leeren 59 – Versprechen über gewisse Vorteile gegen Konzessionen auf an<strong>de</strong>ren<br />

Gebi<strong>et</strong>en wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Argwohn förmlich geschürt. Ständig mußten die Unterhändler auf <strong>de</strong>r<br />

Hut sein, um nicht das Nachsehen zu haben; ihr nationaler Egoismus zwang sie, Monn<strong>et</strong>s<br />

Spiel mitzuspielen. Dies traf nicht nur zu für die offiziellen Län<strong>de</strong>rvertr<strong>et</strong>ungen, son<strong>de</strong>rn auch,<br />

in wesentlich stärkerem Maße, für die hinter ihnen stehen<strong>de</strong> Industrie. Ihr herkömmliches<br />

Konkurrenz<strong>de</strong>nken, gepaart mit <strong>de</strong>r lückenhaften Kenntnis über <strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r Dinge in<br />

Paris, 60 ließ das gegenseitige Mißtrauen unter Stahlherstellern <strong>de</strong>rart anschwellen, daß je<strong>de</strong><br />

schnelle und effiziente Reaktion nahezu unmöglich wur<strong>de</strong>. Monn<strong>et</strong> dagegen hatte sein Ziel<br />

erreicht. Hinter <strong>de</strong>m Vorwand <strong>de</strong>s neuen europäischen Win<strong>de</strong>s hatte er sich <strong>de</strong>s nationalen<br />

W<strong>et</strong>tstreits bedient, um <strong>de</strong>n «gefürcht<strong>et</strong>en Zement» * <strong>de</strong>r län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Solidarität<br />

unter Hüttenherren zu sprengen. 61<br />

Eine maßgeschnei<strong>de</strong>rte Hohe Behör<strong>de</strong>?<br />

Während Frankreichs, Belgiens 62 und Luxemburgs Industrielle sich noch mit allen Mitteln<br />

anstrengten, durch recht verz<strong>et</strong>telte Aktionen <strong>de</strong>n Schuman-Plan aus <strong>de</strong>n Angeln zu heben,<br />

hatten ihre Kollegen an Rhein und Ruhr bereits alle Hoffnung diesbezüglich aufgegeben. Mit<br />

Rücksicht auf die Son<strong>de</strong>rstellung Deutschlands und <strong>de</strong>n überragen<strong>de</strong>n internationalpolitischen<br />

Gewinn <strong>de</strong>n sich Kanzler A<strong>de</strong>nauer von einer Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

ausmalte, bestand ihrer Meinung nach wenig Aussicht auf eine Nicht-Ratifizierung o<strong>de</strong>r eine<br />

an Bedingungen geknüpfte Annahme <strong>de</strong>s Vertrages durch die Bun<strong>de</strong>stagsmehrheit. In<br />

weiser Einschätzung <strong>de</strong>r realen Lage verzicht<strong>et</strong>en die <strong>de</strong>utschen Hersteller <strong>de</strong>shalb auf<br />

utopisch anmuten<strong>de</strong> Revisionsansprüche. Statt <strong>de</strong>ssen suchten sie ihr Heil in <strong>de</strong>r Flucht<br />

nach vorn. Beflügelt von <strong>de</strong>m Hintergedanken, die Interessen <strong>de</strong>r Privatwirtschaft doch noch<br />

weitgehend, wenn auch auf indirektem Wege, r<strong>et</strong>ten zu können, erarbeit<strong>et</strong>en sie konstruktive<br />

Pläne zur Gestaltung <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> und ihrer Funktionsmechanismen.<br />

Etwa seit En<strong>de</strong> August, Anfang September 1951 legte die Düsseldorfer<br />

M<strong>et</strong>allindustriezentrale eine fieberhafte Tätigkeit an <strong>de</strong>n Tag. Eingehend wur<strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>ne Organisationsformen durchforscht und diverse Mo<strong>de</strong>lle zum Aufbau <strong>de</strong>r<br />

59<br />

60<br />

61<br />

62<br />

In seiner handschriftlichen Notiz über die Sitzung vom 22. Februar 1951 (op.cit.) schlußfolgert Albert Wehrer<br />

über eine Aussage von Monn<strong>et</strong>: «Il ment tellement» [Er lügt fürchterlich]!<br />

Bezugnehmend auf die wirklich wichtigen Artikel <strong>de</strong>s Vertrages hält Eric Conrot in seinem Bericht vom<br />

18.09.1950 (op.cit.) fest: «… man red<strong>et</strong> viel davon, glaube ich, aber halt nur hinter <strong>de</strong>n Kulissen, und die<br />

armen Experten <strong>de</strong>r Industrie wissen sehr wenig von all diesen Dingen …» * .<br />

GISL, Rapport Hayot sur la <strong>de</strong>uxième réunion <strong>de</strong> l'Union <strong>de</strong>s Industries <strong>de</strong>s six pays <strong>de</strong> la Communauté<br />

Européenne à Paris, 13.11.1952.<br />

Vgl. E. Devos, op.cit., S.85-97; A.-C. Marichal, Débuts <strong>et</strong> réalités <strong>de</strong> la CECA: Les réactions <strong>de</strong> la sidérurgie<br />

belge (10 août 1952 - 1 mai 1953), Mémoire <strong>de</strong> licence, Université <strong>de</strong> Liège, [unveröffentlicht], S.70-76.


Sturm im Wasserglas 16<br />

obersten Montanbehör<strong>de</strong> und ihres Verwaltungsstabes ausgeklügelt. Das Ganze geschah,<br />

allem Anschein nach, «mit Einverständnis <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>swirtschaftsministeriums»! 63<br />

Einige kaum verhüllte Anspielungen weisen tatsächlich darauf hin, daß das WVESI-Projekt<br />

nicht allein von <strong>de</strong>r Industrie g<strong>et</strong>ragen wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn in enger Zusammenarbeit mit<br />

Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und Vizekanzler und ERP-Minister Franz Blücher<br />

entstan<strong>de</strong>n war. Bei<strong>de</strong> Fachminister hatten während <strong>de</strong>r ganzen Verhandlungsdauer unter<br />

A<strong>de</strong>nauers autoritären Direktiven und seiner zum absoluten Primat <strong>de</strong>kr<strong>et</strong>ierten politischen<br />

Ziels<strong>et</strong>zung arg zu lei<strong>de</strong>n gehabt. In <strong>de</strong>m unter Fe<strong>de</strong>rführung vom Sekr<strong>et</strong>ariat für Fragen <strong>de</strong>s<br />

Schuman-Plans gebild<strong>et</strong>en interministeriellen Ausschuß war es ihnen nicht gelungen, sich<br />

ausreichend Gehör zu verschaffen. Ihre an marktwirtschaftlichen Kriterien orientierten<br />

Weisungen über einzelne Vertragsbestimmungen waren entwe<strong>de</strong>r nur ungenügend, o<strong>de</strong>r<br />

überhaupt nicht berücksichtigt wor<strong>de</strong>n. Dementsprechend angespannt gestalt<strong>et</strong>e sich ihre<br />

Beziehung zum <strong>de</strong>utschen Delegationsführer. Insbeson<strong>de</strong>re zwischen Walter Hallstein und<br />

Franz Blücher bestand «keine restlose Übereinstimmung»,<br />

«weil Herr Hallstein sich scheinbar <strong>et</strong>was zu eng an die Instruktionen hält, die ihm von<br />

Herrn A<strong>de</strong>nauer gegeben wer<strong>de</strong>n, wobei offen ist, wer die Dinge in Bonn l<strong>et</strong>zten En<strong>de</strong>s<br />

entscheid<strong>et</strong>, ob <strong>de</strong>r Kanzler o<strong>de</strong>r das Kabin<strong>et</strong>t». 64<br />

Die bei<strong>de</strong>n Ressortchefs hinterließen je<strong>de</strong>nfalls nicht <strong>de</strong>n Eindruck, als wollten sie ihre<br />

Abseitsposition wi<strong>de</strong>rstandslos hinnehmen. Da mit <strong>de</strong>r Paraphierung <strong>de</strong>s Vertrages und <strong>de</strong>m<br />

bevorstehen<strong>de</strong>n Inkrafttr<strong>et</strong>en <strong>de</strong>r Union Hallstein seine Komp<strong>et</strong>enzen sowieso <strong>de</strong>mnächst<br />

verlieren wür<strong>de</strong> – ein Umstand, über <strong>de</strong>n übrigens auch die Industrie nicht gera<strong>de</strong> traurig<br />

war 65 –, galt es j<strong>et</strong>zt schon die künftige, alleinige Zuständigkeit <strong>de</strong>s Wirtschaftsministeriums<br />

optimal vorzubereiten. Durch hausgemachte Eigeninitiative, ver<strong>de</strong>ckt hinter <strong>de</strong>m Mantel einer<br />

von <strong>de</strong>r Industrie angez<strong>et</strong>telten Aktion, beabsichtigten Erhard und Blücher <strong>de</strong>n in Paris<br />

angericht<strong>et</strong>en Scha<strong>de</strong>n, d.h. <strong>de</strong>n allzu starken Souveränitätsverlust und die erdrücken<strong>de</strong><br />

französische Kontrolle über die <strong>de</strong>utsche Schwerindustrie wenigstens teilweise wie<strong>de</strong>r<br />

w<strong>et</strong>tzumachen. In diesem Sinne gedachten sie ein weiteres Vorpreschen Frankreichs auf<br />

institutionellem Gebi<strong>et</strong> zu vereiteln. Monn<strong>et</strong> und seine Mitarbeiter durften am besten erst gar<br />

nicht zum Zug kommen. Mit Hilfe eines mehr o<strong>de</strong>r weniger fertigen Strukturmo<strong>de</strong>lls <strong>de</strong>r<br />

Hohen Behör<strong>de</strong>, zu <strong>de</strong>m sich auch die Mehrheit <strong>de</strong>r europäischen Hersteller bekennen<br />

könnte, sollte <strong>de</strong>n Planwirtschaftlern <strong>de</strong>r Rue <strong>de</strong> Martignac <strong>de</strong>r Wind aus <strong>de</strong>n Segeln<br />

genommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die von Bonn in Aussicht gestellte Mitwirkung <strong>de</strong>r Industrieverbän<strong>de</strong> weckte natürlich bei <strong>de</strong>n<br />

Ruhrkapitänen unverhohlenen Optimismus:<br />

«Verhandlungen dieser Art könnten unter <strong>de</strong>n B<strong>et</strong>eiligten in freierer Weise geführt<br />

wer<strong>de</strong>n, als wenn man die Erledigung dieser wichtigen Frage <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong><br />

selbst überließe. Ein solcher Weg wür<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Organisationen von Kohle<br />

und Eisen in <strong>de</strong>n sechs Län<strong>de</strong>rn eine stärkere Einflußnahme auf die Gestaltung dieses<br />

für uns so wichtigen Problems ermöglichen, als wenn die <strong>de</strong>mnächstige Hohe Behör<strong>de</strong><br />

63<br />

64<br />

65<br />

ARBED, P.61 - Dossier Blankenagel, Walter Schwe<strong>de</strong>, Liquidator <strong>de</strong>r Vereinigte Stahlwerke A.G., an Félix<br />

Chomé, 29.09.1951.<br />

ARBED, P.VII.B, Privates und vertrauliches Schreiben von Joseph Horatz, Generaldirektor <strong>de</strong>r Felten &<br />

Guillaume Carlswerk (Köln) an Aloyse Meyer, 03.01.1951.<br />

Vgl. hierzu ebenfalls: W. Bührer, op.cit., S.182-185.<br />

ARBED, P.61, Note sur les conversations entre sidérurgistes belges, luxembourgeois <strong>et</strong> allemands le 7 janvier<br />

1952 à Luxembourg, 11.01.1952.


Sturm im Wasserglas 17<br />

selbst zu entschei<strong>de</strong>n hätte, von <strong>de</strong>r wir noch nicht wissen, wie sie zusammenges<strong>et</strong>zt<br />

sein wird und welches ihre Stellung zu unseren Kohle- und Eisenorganisationen sein<br />

wird». 66<br />

Mit <strong>de</strong>m ausdrücklichen Wunsch, baldmöglichst eine Aussprache zu arrangieren, zu <strong>de</strong>r sich<br />

auch Wilhelm Ahrens und Karl Blankenagel 67 «gern zur Verfügung» stellten, wandte sich das<br />

Vorstandsmitglied <strong>de</strong>r Wirtschaftsvereinigung Walter Schwe<strong>de</strong> 68 am 29. September 1951 an<br />

die Generaldirektion <strong>de</strong>r Arbed, um <strong>de</strong>ren Bereitschaft zur B<strong>et</strong>eiligung am <strong>de</strong>utschen<br />

Vorhaben zu sondieren. Hier drängt sich die Frage auf, ob die WVESI gleichzeitig ähnliche<br />

Sondierungsgespräche in Holland und vielleicht auch in Belgien führte, o<strong>de</strong>r ob ihre<br />

Bemühungen anfangs exklusiv <strong>de</strong>m Luxemburger Patronat galten?<br />

Für l<strong>et</strong>ztere Annahme spricht <strong>de</strong>r Umstand – er ist <strong>de</strong>m Eisenverband bestimmt nicht<br />

entgangen –, daß die Bun<strong>de</strong>sregierung seit ihrem Bestehen eine auffällig wohlwollen<strong>de</strong><br />

Haltung gegenüber <strong>de</strong>m Großherzogtum und <strong>de</strong>n Problemen seiner Schwerindustrie<br />

eingenommen hatte. Kanzler A<strong>de</strong>nauer beispielsweise war die Verflechtung <strong>de</strong>r Arbed und<br />

ihrer Tochtergesellschaft Felten & Guillaume Carlswerk nicht nur «bestens bekannt», er<br />

wollte sie darüberhinaus «för<strong>de</strong>rn», weil «er beson<strong>de</strong>ren Wert auf ein freundschaftliches<br />

Verhältnis zu Luxemburg» legte. 69 Auch die bei<strong>de</strong>n Kabin<strong>et</strong>tsmitglie<strong>de</strong>r Ludwig Erhard und<br />

Franz Blücher suchten über die Chef<strong>et</strong>age <strong>de</strong>s Kölner Carlswerk Kontakte mit <strong>de</strong>m kleinen<br />

Nachbarn anzuknüpfen. 70 Erhard hatte gar selbst wenige Tage nach <strong>de</strong>r ersten<br />

Bun<strong>de</strong>stagswahl im August 1949 zum Ausdruck gebracht, «daß er gern […] mit mir<br />

[Generaldirektor Joseph Horatz] nach Luxemburg käme». 71 Besagtes offiziöses Treffen kam<br />

dann tatsächlich im Vorfeld <strong>de</strong>r zur Vorbereitung <strong>de</strong>s P<strong>et</strong>ersberger Abkommens für <strong>de</strong>n 9.<br />

und 10. November anberaumten Konferenz <strong>de</strong>r drei westlichen Besatzungsmächte<br />

zustan<strong>de</strong>. Auf seiner Reise in die französische Hauptstadt legte <strong>de</strong>r Wirtschaftsminister<br />

einen Zwischenstop im Großherzogtum ein. Über <strong>de</strong>n «anregen<strong>de</strong>n Abend» in <strong>de</strong>m für seine<br />

«außeror<strong>de</strong>ntliche gastronomische Reputation» *72 berühmten Arbed-Kasino, ist lei<strong>de</strong>r nichts<br />

bekannt. Die ergiebigen Gespräche im Beisein von Staatsminister Pierre Dupong und<br />

Außenminister Joseph Bech spiegeln sich aber vorzüglich in Horatz' Bemerkungen zum<br />

Pariser Alliiertentreffen nie<strong>de</strong>r:<br />

«Interessant war – ich unterstreiche dies in Auswirkung unseres Luxemburger Besuchs<br />

– die Auffassung von Erhard, in ein <strong>de</strong>utsch-französisches Wirtschaftsgespräch<br />

Luxemburg in <strong>de</strong>r einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Form einzuschalten. Es ist auch von einer<br />

Verständigung in <strong>de</strong>r europäischen Eisenwirtschaft gesprochen wor<strong>de</strong>n, und Erhard<br />

glaubte in seinem Optimismus, daß die Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>cartellization im Hinblick auf<br />

66<br />

67<br />

68<br />

69<br />

70<br />

71<br />

72<br />

Walter Schwe<strong>de</strong> an Félix Chomé, 29.11.1951, op.cit.<br />

Karl Blankenagel, Geschäftsführer <strong>de</strong>r WVESI und Mitglied <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Ministerausschuß <strong>de</strong>s Schuman-Plans<br />

untergeordn<strong>et</strong>en Sachverständigenkommission für wirtschaftlich-technische Fragen. Blankenagel spielte<br />

zweifelsfrei eine fe<strong>de</strong>rführen<strong>de</strong> Rolle bei <strong>de</strong>r Ausarbeitung <strong>de</strong>r WVESI-Pläne zur Gestaltung <strong>de</strong>r Hohen<br />

Behör<strong>de</strong>.<br />

Walter Schwe<strong>de</strong> war in Luxemburgs Industriellenmilieu nicht unbekannt. Während <strong>de</strong>r Zwischenkriegszeit<br />

hatte er regelmässig an Besprechungen im Rahmen <strong>de</strong>s Internationalen Stahlkartells teilgenommen.<br />

ARBED, P.68.D, An Félix Chomé adressierter Bericht von Joseph Horatz über eine «mehrstündige»<br />

Unterhaltung mit A<strong>de</strong>nauer am Montag nach <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stagswahl vom 14. August, 22.08.1949.<br />

ARBED, P.VII.B, Joseph Horatz über Ludwig Erhard: «<strong>de</strong>n ich persönlich gut kenne». Vgl., Schreiben von<br />

Horatz an Aloyse Meyer, 04.03.1948.<br />

Bericht von Joseph Horatz, 22.08.1949, op.cit.<br />

ARBED, P.61.D, Persönliches Schreiben von Albert Coppé, Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> an Félix<br />

Chomé, 16.11.1956.


Sturm im Wasserglas 18<br />

<strong>de</strong>n Gang <strong>de</strong>r Entwicklung zu überwin<strong>de</strong>n seien. Dabei ist mehr als einmal Luxemburg<br />

und auch ihr Name [Aloyse Meyer] gefallen, auch während <strong>de</strong>r Unterhaltung mit<br />

Harriman. […] Immerhin kam zum Ausdruck, daß Luxemburg wohl <strong>de</strong>r geeign<strong>et</strong>e<br />

Mittler wäre, um divergieren<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsch-französische Meinungen am besten<br />

auszugleichen». 73<br />

Zutreffen<strong>de</strong>r können die in Bonn gewünschten <strong>de</strong>utsch-luxemburgischen Beziehungen kaum<br />

noch umschrieben wer<strong>de</strong>n. Die Kontinuität mit <strong>de</strong>r Außenpolitik <strong>de</strong>r zwanziger und frühen<br />

dreißiger Jahre ist genauso unverkennbar wie die unmißverständliche Anspielung auf die<br />

IRG bzw. IREG 74 und die zentrale Rolle ihrer bei<strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten Emile Mayrisch und Aloyse<br />

Meyer in <strong>de</strong>n Bemühungen um <strong>de</strong>utsch-französische Aussöhnung nach <strong>de</strong>m Ersten<br />

Weltkrieg. Ähnlich wie damals eign<strong>et</strong>en sich <strong>de</strong>r neutrale Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Arbed und das<br />

internationale Gefüge <strong>de</strong>s Konzerns hervorragend, um <strong>de</strong>utsche Politik wie<strong>de</strong>r salonfähig zu<br />

machen und die abgerissene Verbindung zu Frankreichs Wirtschaftsführung<br />

wie<strong>de</strong>rzubeleben. Im Gegenzug war Deutschland bereit, nach <strong>de</strong>m gleichen Muster wie in<br />

<strong>de</strong>r Zwischenkriegszeit, <strong>de</strong>m Großherzogtum gewisse Zugeständnisse im Bereich <strong>de</strong>r<br />

Kokszufuhr und <strong>de</strong>r Eisenexporte einzuräumen. 75 So hatte ERP-Minister Blücher bei<br />

Gelegenheit einer Zusammenkunft mit Albert Wehrer in <strong>de</strong>r Privatwohnung von Horatz<br />

mehrmals insistiert, Luxemburg solle sich wegen seiner Kohleversorgung<br />

«nicht auf generelle regierungsseitige Abmachungen […] verlassen, son<strong>de</strong>rn […]<br />

versuchen, individuelle Vereinbarungen zu treffen, wobei Luxemburg als beson<strong>de</strong>rer<br />

Kun<strong>de</strong> Deutschlands auf eine entsprechend wohlwollen<strong>de</strong> Behandlung rechnen könne.<br />

Bei an<strong>de</strong>rer Gelegenheit hatte er [Blücher] mir [Horatz] schon einmal ange<strong>de</strong>ut<strong>et</strong>, daß<br />

man Luxemburg unbedingt ein Eisen-Kontingent einräumen müsse und auch auf<br />

Luxemburger Thomasmehl Wert lege». 76<br />

Für das Großherzogtum machte sich die Annäherungspolitik allemal kurzfristig bezahlt. Nicht<br />

zu Unrecht hatte Albert Wehrer erkannt, daß es keinen Sinn machte, die Deutschen unnötig<br />

zu «kränken» * , da sie im künftigen Europa schon recht bald eine dominieren<strong>de</strong> Stellung<br />

einnehmen wür<strong>de</strong>n. Der Chef <strong>de</strong>r Luxemburger Gesandtschaft konnte sich <strong>de</strong>mnach<br />

glücklich schätzen,<br />

«in Bonn eine gute <strong>de</strong>utsch-luxemburgische Atmosphäre entwickelt zu haben […], die<br />

uns die notwendigen Kontakte auf allen Ebenen verschafft. Beim Schuman-Plan hat<br />

die <strong>de</strong>utsche Delegation uns mehr als einmal geholfen, und sie ist heute unser bester<br />

Verbünd<strong>et</strong>er, um <strong>de</strong>n Sitz <strong>de</strong>s Plans nach Luxemburg zu holen»*.77<br />

Trotz <strong>de</strong>r offenkundig sehr günstigen Rahmenbedingungen prallte <strong>de</strong>r WVESI-Vorstoß<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> gleich auf unerwart<strong>et</strong>e Startschwierigkeiten. Während die<br />

<strong>de</strong>utsche Stahlindustrie darauf drängte, möglichst rasch konkr<strong>et</strong>e Ergebnisse zu erzielen –<br />

73<br />

74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

ARBED, P.VII.B, Joseph Horatz an Aloyse Meyer, 15.11.1949.<br />

Horatz hatte persönlich an einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Unterredungen zwischen Erhard und Harriman teilgenommen.<br />

Internationale Rohstahlgemeinschaft (1926), bzw. Internationale Rohstahlexportgemeinschaft (ab 1933).<br />

E. Krier, Manuskript einer Doktorarbeit zum Thema Luxemburger Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg.<br />

Joseph Horatz an Aloyse Meyer, 03.01.1951, op.cit.<br />

Vgl. hierzu auch: AEL AE 11379; Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 06.01.1951.<br />

AEL AE 11398, Albert Wehrer an Joseph Bech, 23.05.1951.<br />

Weitere, tiefgreifen<strong>de</strong> Nachforschungen auf <strong>de</strong>m Gebi<strong>et</strong> bilateraler Beziehungen zwischen Luxemburg und<br />

Deutschland könnten sich als höchst aufschlußreich erweisen.


Sturm im Wasserglas 19<br />

galt es doch die Strukturen <strong>de</strong>r wichtigen EGKS-Institution festzulegen noch bevor die Union<br />

überhaupt rechtskräftig wur<strong>de</strong> –, ließ die Antwort von Chomé mehr als zwei Wochen auf sich<br />

warten. Hatte <strong>de</strong>r für die verspät<strong>et</strong>e Reaktion aus <strong>de</strong>m Großherzogtum verantwortliche<br />

längere Auslandsaufenthalt <strong>de</strong>s Arbed-Direktors die Herren von <strong>de</strong>r Wirtschaftsvereinigung<br />

ungeduldig wer<strong>de</strong>n lassen? Hatten sie daraus <strong>et</strong>wa voreilige Schlüsse über ein mögliches<br />

Desinteresse <strong>de</strong>r Luxemburger gezogen und <strong>de</strong>shalb versucht, nun auch die Hollän<strong>de</strong>r (und<br />

Belgier) einzuschalten? 78 Im übrigen machte Chomé vorab grundlegen<strong>de</strong> Einwän<strong>de</strong> geltend.<br />

Sicher, mit <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s gesteckten Ziels erklärte er sich vollauf einverstan<strong>de</strong>n. Mit<br />

<strong>de</strong>r in Erwägung gezogenen Vorgehensweise dagegen konnte er sich nicht anfreun<strong>de</strong>n. Die<br />

WVESI hatte nämlich durchblicken lassen, die einzelnen Nationalverbän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Eisen- und<br />

Kohleproduzenten sollten, «je<strong>de</strong>r für sich», an ihre jeweiligen «amtlichen Stellen herantr<strong>et</strong>en,<br />

um diese zu veranlassen, im Rahmen <strong>de</strong>s Interims-Ausschußes Verhandlungen über <strong>de</strong>n<br />

Aufbau <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> so schnell wie möglich zu beginnen». Daß die Deutschen sich<br />

also damit begnügten, die Industrie nur mittelbar, über <strong>de</strong>n Kanal staatlicher Dienststellen,<br />

an einem Match zu b<strong>et</strong>eiligen, das im En<strong>de</strong>ffekt dann doch von Regierungsbeamten im<br />

Interims-Ausschuß ausg<strong>et</strong>ragen wür<strong>de</strong>, eracht<strong>et</strong>e Chomé als «augenblicklich nicht für<br />

angebracht». Seiner Ansicht nach machte es bei <strong>de</strong>r Verteidigung privater Interessen wenig<br />

Sinn, auf die ohnehin im Herbst 1951 sine die vertagte Kommission zu s<strong>et</strong>zen. Vielmehr<br />

schwebten ihm «offiziöse» 79 Gespräche vor, um «vorerst in unseren Produzentenkreisen zur<br />

Einigkeit zu kommen». 80 Dann erst sollten Mittel und Wege gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, um die<br />

Regierungen zum Einlenken auf ein von allen Herstellern unterbreit<strong>et</strong>es Organisationsmo<strong>de</strong>ll<br />

zu bewegen. War man <strong>et</strong>wa dabei, aus <strong>de</strong>n Fehlern vergangener Tage zu lernen?<br />

Chomés Politik vollend<strong>et</strong>er Tatsachen ver<strong>de</strong>utlicht die extreme Vorsicht mit <strong>de</strong>r das Arbed-<br />

Management die Vorschläge <strong>de</strong>r Wirtschaftsvereinigung in Angriff nahm. Da Jean Monn<strong>et</strong>s<br />

Empfindlichkeit bei privaten Unterfangen <strong>de</strong>s Großkapitals mittlerweile je<strong>de</strong>rmann bekannt<br />

sein durfte, wollte Chomé ihn und seine Gefolgschaft aus <strong>de</strong>r Rue <strong>de</strong> Martignac nicht unnötig<br />

brüskieren. Statt <strong>de</strong>n Initiator <strong>de</strong>s Schuman-Plans durch die Aufnahme einer offiziellen<br />

Gesprächsrun<strong>de</strong> frühzeitig zu alarmieren und zur Durchs<strong>et</strong>zung seiner eigenen<br />

Vorstellungen regelrecht herauszufor<strong>de</strong>rn, wollte <strong>de</strong>r Generaldirektor <strong>de</strong>s Luxemburger<br />

Stahlriesen sich nicht ein weiteres Mal überrumpeln lassen. Seine mißtrauische Haltung galt<br />

aber in Wirklichkeit keineswegs nur Monn<strong>et</strong> und Konsorten. Sie läßt sich gleichwohl auf die<br />

als Drahtzieher <strong>de</strong>r WVESI-Pläne erkannten bun<strong>de</strong>srepublikanischen Ministerien anwen<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Tat, weshalb versuchten die Deutschen, Frankreichs Industrielle bei ihrem Vorhaben<br />

vorläufig auszugrenzen? 81 Diese kapitale Frage war mit Sicherheit auch in <strong>de</strong>r Arbed-<br />

Führung aufgeworfen wor<strong>de</strong>n. Obschon über ihre Lösung heute wegen <strong>de</strong>r äußerst<br />

spärlichen Quellenlage höchstens spekuliert wer<strong>de</strong>n darf, so liegt in <strong>de</strong>r Antwort doch<br />

wahrscheinlich <strong>de</strong>r Schlüssel zu Chomés ursprünglicher Zurückhaltung.<br />

78<br />

79<br />

80<br />

81<br />

ARBED, P.61 - Dossier Blankenagel, Walter Schwe<strong>de</strong> an Félix Chomé, 11.10.1951.<br />

Noch vor Erhalt <strong>de</strong>s Antwortschreibens von Chomé hatte sich Schwe<strong>de</strong> erneut an die Arbed gewandt mit <strong>de</strong>m<br />

Hinweis, A.H. Ingen-Housz (Generaldirektor <strong>de</strong>r Koninklijke Ne<strong>de</strong>rlandsche Hoogovens en Staalfabrieken)<br />

habe sich bereit erklärt, an <strong>de</strong>n vorgeschlagenen Besprechungen teilzunehmen. Wann genau und von wem<br />

(WVESI o<strong>de</strong>r Arbed) das Groupement <strong>de</strong>s Hauts Fourneaux <strong>et</strong> Aciéries Belges (GHFAB) eingeschalt<strong>et</strong> wur<strong>de</strong>,<br />

entzieht sich unserer Kenntnis. Von Pierre Van <strong>de</strong>r Rest und Paul Boland geht zum ersten Mal die Re<strong>de</strong> in<br />

einem vom 30. November datierten Telegramm <strong>de</strong>r WVESI an Chomé.<br />

Ibid., Félix Chomé an Walter Schwe<strong>de</strong> 12.10.1951.<br />

Ibid., Félix Chomé an Walter Schwe<strong>de</strong> 17.10.1951.<br />

Tatsache ist, daß die Chambre Syndicale <strong>de</strong> la Sidérurgie Française erst Anfang März 1952 verständigt<br />

wur<strong>de</strong>, also volle zwei Monate nach <strong>de</strong>r ersten Übereinkunft zwischen Herstellern aller übrigen fünf EGKS-<br />

Län<strong>de</strong>r (cf.infra).


Sturm im Wasserglas 20<br />

Wie bereits dargestellt wur<strong>de</strong>, erkannten die Hüttenleute aus Düsseldorf in <strong>de</strong>n Aufsichtsund<br />

Entscheidungsbefugnissen <strong>de</strong>r EGKS hauptsächlich ein Instrument, das <strong>de</strong>r politischen<br />

und wirtschaftlichen Führung Frankreichs erlaubte, die Neubildung mächtiger Konzerne an<br />

<strong>de</strong>r Ruhr in Grenzen zu halten, <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>raufbau und die Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>utscher<br />

Schmelzen zu überwachen und <strong>de</strong>n eins<strong>et</strong>zen<strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r Stahlkapazitäten zu drosseln.<br />

Weil zu<strong>de</strong>m «die Kostenlage <strong>de</strong>r französischen Werke aus mehrfachen Grün<strong>de</strong>n nicht<br />

günstig erscheint», schlußfolgerte die WVESI, daß «hier ein Versuch unternommen wer<strong>de</strong>n<br />

soll, die Kosten-leistungs und preismäßig günstiger liegen<strong>de</strong>n Produktionen <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

unterlegenen französischen anzupassen». 82 Mit an<strong>de</strong>ren Worten, die Franzosen wur<strong>de</strong>n<br />

bezichtigt, die Montanunion zu mißbrauchen, um <strong>de</strong>r Konkurrenz die Flügel zu stutzen! Solch<br />

gravieren<strong>de</strong> Einschnitte in die kürzlich erst wie<strong>de</strong>rgewonnene Freiheit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Ökonomie und die Perspektive eines sicheren «Rückgangs» 83 statt <strong>de</strong>s ersehnten<br />

Fortschritts – darin waren die Industriebosse und Minister Erhard sich einig – durfte man<br />

nicht tatenlos hinnehmen. Je<strong>de</strong>r unlauteren Einmischung durch die Hohe Behör<strong>de</strong> mußte<br />

unter allen Umstän<strong>de</strong>n ein Riegel vorgeschoben wer<strong>de</strong>n. Verständlicherweise bestand nun<br />

aber wenig Hoffnung, gera<strong>de</strong> in Frankreichs Unternehmerkreisen rückhaltlose Verfechter für<br />

die Durchs<strong>et</strong>zung <strong>de</strong>s anvisierten Objektivs zu fin<strong>de</strong>n. Also suchte Deutschland Verbünd<strong>et</strong>e<br />

in jenen Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>ren Regierungen ebenfalls an einer Beschneidung <strong>de</strong>r Supranationalität<br />

Interesse hegten und <strong>de</strong>ren Schwerindustrie, gleichwohl wie die <strong>de</strong>utsche, befürcht<strong>et</strong>e, unter<br />

französischem Druck Abstriche bei ihrer günstigeren W<strong>et</strong>tbewerbslage in Kauf nehmen zu<br />

müssen. Bei<strong>de</strong> Vorauss<strong>et</strong>zungen waren in <strong>de</strong>n Benelux-Staaten erfüllt. 84 Folgerichtig schien<br />

die Bildung einer gemeinsamen Front gegen Frankreich durchaus realistisch.<br />

Soweit mochten die Überlegungen <strong>de</strong>r Deutschen tatsächlich zutreffen. Sie ließen allerdings<br />

zwei fundamentale Aspekte außer acht. Erstens: Belgiens und Luxemburgs exportorientierte<br />

Unternehmen fürcht<strong>et</strong>en nicht nur die Machenschaften <strong>de</strong>r Konkurrenz aus <strong>de</strong>m Hexagon;<br />

sie hüt<strong>et</strong>en sich min<strong>de</strong>stens genauso sehr vor einer mittelfristig zu erwarten<strong>de</strong>n Übermacht<br />

<strong>de</strong>r Ruhr. Zweitens: Wegen <strong>de</strong>s Angebots, die Verhandlung zur Gestaltung <strong>de</strong>r Hohen<br />

Behör<strong>de</strong> in enger Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen über die Bühne zu ziehen, war<br />

Chomé sich vollauf bewußt, daß ein Kleinstaat wie das Großherzogtum auf<br />

Regierungsebene wenig zu bestellen hätte. 85 Die durchsichtige Strategie <strong>de</strong>s<br />

Bun<strong>de</strong>sministeriums, an<strong>de</strong>re vor seinen Karren zu spannen, barg ein zu hohes Risiko für<br />

Luxemburg, das bei <strong>de</strong>r gesamten Operation leer auszugehen drohte. An<strong>de</strong>rs verhielt es<br />

sich dagegen mit Abmachungen auf rein privater Basis. Unter Hüttenherren gab die<br />

dominieren<strong>de</strong> Position <strong>de</strong>s größten europäischen Stahlproduzenten <strong>de</strong>n Vorstellungen <strong>de</strong>r<br />

Arbed zweifelsfrei eine völlig an<strong>de</strong>re Gewichtung. 86<br />

Obschon die Zeit drängte, kam die erste Tuchfühlung unter Industriekapitänen wegen<br />

anfänglicher Terminschwierigkeiten erst am 7. Januar 1952 im Arbed-Direktionsgebäu<strong>de</strong><br />

82<br />

83<br />

84<br />

85<br />

86<br />

WVESI-Bericht vom 05.06.1950, op.cit.<br />

Ibid.<br />

Ibid.<br />

In <strong>de</strong>n führen<strong>de</strong>n Kreisen <strong>de</strong>s Großherzogtums dürfte eine, im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Aushandlung <strong>de</strong>s<br />

Schuman-Plans gemachte Bemerkung von François Ponc<strong>et</strong> ziemlich bekannt gewesen sein: «Es will nicht in<br />

<strong>de</strong>n Kopf eines Deutschen, daß ein kleines Land wie Luxemburg dasselbe Stimmrecht hat wie Deutschland» * !<br />

Vgl. AEL AE 11379, Albert Wehrer an Außenminister Joseph Bech, 30.04.1951.<br />

ARBED, P.61.D, Importance relative <strong>de</strong>s producteurs d'acier <strong>de</strong> la CECA - Bull<strong>et</strong>in quotidien <strong>de</strong> la Columéta-<br />

Luxembourg, N°115, 20.05.1957.


Sturm im Wasserglas 21<br />

gegenüber vom Rosengarten in Luxemburg-Stadt zustan<strong>de</strong>. 87 Während Walter Schwe<strong>de</strong> und<br />

Karl Blankenagel die Wirtschaftsvereinigung repräsentierten, und <strong>de</strong>rweil das Groupement<br />

<strong>de</strong>s Hauts-Fourneaux <strong>et</strong> Aciéries Belges (GHFAB) mit seiner gesamten Führungsspitze<br />

anreiste, waren die drei Luxemburger Gesellschaften lediglich durch Leute von <strong>de</strong>r Arbed<br />

vertr<strong>et</strong>en. 88 Die holländische und die italienische Gruppe hatten wohl eine Einladung<br />

bekommen, sahen aber aus uns unbekannten Grün<strong>de</strong>n davon ab, eine Delegation zu<br />

entsen<strong>de</strong>n. Sie begnügten sich damit, schriftlich ihr Einverständnis zu einem <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

vorgelegten Organisationsentwürfe kundzutun.<br />

In Erwartung <strong>de</strong>r Luxemburger Zusammenkunft hatte die WVESI vorsorglich zwei Schemata<br />

ausg<strong>et</strong>üftelt, die als Diskussionsgrundlage an die ausländischen Dachorganisationen<br />

versandt wor<strong>de</strong>n waren. 89 Die Gesamtkonzeption <strong>de</strong>s ersten Mo<strong>de</strong>lls (siehe Entwurf I)<br />

beruhte auf <strong>de</strong>r Annahme – sie sollte sich im nachhinein bewahrheiten –, «daß<br />

voraussichtlich die 9 Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> weniger nach fachlichen als nach<br />

politischen und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ausgesucht sein wer<strong>de</strong>n». Von daher<br />

b<strong>et</strong>racht<strong>et</strong>, hielt Karl Blankenagel es für zweckmäßig, das höchste Unionsorgan von seinem<br />

Mitarbeiterstab weitgehendst abzuschotten. Von <strong>de</strong>n insgesamt 17 geplanten Abteilungen<br />

blieb <strong>de</strong>shalb nur eine einzige <strong>de</strong>r direkten Einflußnahme durch die Behör<strong>de</strong> ausges<strong>et</strong>zt: die<br />

unmittelbar <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten zugeordn<strong>et</strong>e Stelle für Pressearbeit und unionsinterne<br />

Personal- bzw. allgemeine Verwaltungsangelegenheiten. Alle übrigen 16 Abteilungen<br />

wur<strong>de</strong>n zu zweit o<strong>de</strong>r zu dritt gepaart, und in 6 Direktoraten zusammengefaßt. Dabei waren<br />

die bei<strong>de</strong>n Grundbereiche Kohle und Stahl durch jeweils zwei Direktorate abge<strong>de</strong>ckt, d.h. je<br />

ein Direktorat für Fragen b<strong>et</strong>reffs die Produktion (Produktion, Investitionen,<br />

Materialbeschaffung, Rohstoff- und Energieversorgung), und eines für jene Abteilungen, die<br />

sich mit Absatzfragen beschäftigten (Verteilung, Preise, Marktbeobachtung, Absatzmärkte).<br />

Zwei weitere Direktorate kümmerten sich um sogenannte «Querschnittsaufgaben». Sie<br />

umfaßten alle Arbeitsgebi<strong>et</strong>e, <strong>de</strong>ren Problemstellung allgemeinerer Natur war und sich<br />

gleichwohl auf die zwei in <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu vereinen<strong>de</strong>n Hauptgewerbezweige<br />

anwen<strong>de</strong>n ließ, so beispielsweise die Han<strong>de</strong>ls-, Verkehrs- und Sozialpolitik. Die<br />

Direktorenposten – das wäre je<strong>de</strong>nfalls die I<strong>de</strong>allösung gewesen – durften lediglich<br />

«Fachmännern» aus <strong>de</strong>r Privatwirtschaft anvertraut wer<strong>de</strong>n. Neben <strong>de</strong>r eigentlichen<br />

Verwaltungstätigkeit bestand ihre Hauptmission als Bin<strong>de</strong>glied zwischen <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong><br />

und <strong>de</strong>n diversen Sachbereichen darin, unkomp<strong>et</strong>ente Eingriffe durch die 9 Mandatsträger<br />

<strong>de</strong>r obersten Montaninstitution abzuwehren. Überhaupt war mit <strong>de</strong>m Einsatz <strong>de</strong>r Direktorate<br />

beabsichtigt, die Hohe Behör<strong>de</strong> aus einer «Vorstandsposition» in die Rolle einer Art<br />

«Aufsichtsrat» abzudrängen: je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r 6 Direktoren empfing seine Anweisungen auf<br />

direktem Weg von <strong>de</strong>m gemeinschaftlich agieren<strong>de</strong>n Spitzenkollegium. Aus <strong>de</strong>rselben<br />

87<br />

88<br />

89<br />

Der Zeitpunkt für das erste internationale Zusammentreffen war mehrfach verschoben wor<strong>de</strong>n, angeblich<br />

wegen Terminschwierigkeiten (vgl., ARBED, P.61 - Dossier Blankenagel, Telegramme vom 30.11., 01.12.,<br />

03.12., 10.12. und 14.12.1951). Inwiefern es sich bei <strong>de</strong>n besagten Terminschwierigkeiten aber<br />

möglicherweise nur um Ausflüchte han<strong>de</strong>lte, kann nicht beurteilt wer<strong>de</strong>n. In Anb<strong>et</strong>racht <strong>de</strong>r oben erwähnten<br />

Luxemburger Einwän<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r damals noch bestehen<strong>de</strong>n Hoffnung auf eine an Bedingungen geknüpfte<br />

Ratifizierung durch die Chambre <strong>de</strong>s députés besteht durchaus die Möglichkeit, daß Chomé <strong>de</strong>m WVESI-<br />

Vorhaben anfangs nicht unbedingt allererste Priorität einräumte.<br />

GISL, Sitzungsprotokoll <strong>de</strong>s Comité directeur, 12.01.1952.<br />

Erst fünf Tage nach <strong>de</strong>m internationalen Treffen vom 7. Januar stand die I<strong>de</strong>e zur Gestaltung <strong>de</strong>r Hohen<br />

Behör<strong>de</strong> zum ersten Mal auf <strong>de</strong>r Tagesordnung einer GISL-Vorstandssitzung. Hatte <strong>de</strong>r Arbed-<br />

Generaldirektor die bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Luxemburger Unternehmen, die Minières <strong>et</strong> Métallurgique Rodange<br />

(MMR) und die Hauts-Fourneaux <strong>et</strong> Aciéries <strong>de</strong> Differdange-Saint-Ingbert-Rumelange (HADIR), bis dato nicht<br />

über das ganze Vorhaben informiert? Wäre dies ein weiterer Beleg dafür, daß Félix Chomé <strong>de</strong>r praktischen<br />

Ums<strong>et</strong>zung <strong>de</strong>s WVESI-Plans anfangs keine echten Erfolgschancen beimaß?<br />

ARBED, P.61 - Dossier Blankenagel, Karl Blankenagel und Wilhelm Ahrens an Félix Chomé, 30.11.1951.


Sturm im Wasserglas 22<br />

Überlegung heraus, hatten die Düsseldorfer Experten auch die Bildung je<strong>de</strong>r zusätzlichen<br />

Zwischenstufe in Form eines Generaldirektorats o<strong>de</strong>r eines Generalsekr<strong>et</strong>ariats tunlichst<br />

vermie<strong>de</strong>n. 90<br />

Die insgesamt relativ ausgewogene Konzeption <strong>de</strong>s Organigramms I fand auf Anhieb recht<br />

breite Zustimmung in <strong>de</strong>n Unternehmerkreisen <strong>de</strong>r vier kleinen EGKS-Partnerstaaten, die<br />

sich wegen <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsch-französischen Hegemonie ganz entschie<strong>de</strong>n gegen eine<br />

übermächtige Behör<strong>de</strong> verwahrten. Im Gegensatz dazu stand das zweite WVESI-Mo<strong>de</strong>ll.<br />

Seine Ausrichtung hatte freilich laut Félix Chomé «sehr vieles für sich», 91 nicht zul<strong>et</strong>zt weil es<br />

die 17 Einzelabteilungen <strong>de</strong>s Entwurfs I in 9 Hauptabteilungen bün<strong>de</strong>lte, und dadurch eine<br />

bessere Aufglie<strong>de</strong>rung in spezifische Arbeitsgebi<strong>et</strong>e gestatt<strong>et</strong>e. Attraktiv am Mo<strong>de</strong>ll II wirkte<br />

ebenfalls die von sechs auf neun erhöhte Anzahl <strong>de</strong>r wichtigen Abteilungschefs, ein Faktum,<br />

das sich bei <strong>de</strong>m zu erwarten<strong>de</strong>n nationalen Gerangel um die Vergabe <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong>n Posten<br />

nur positiv für die kleinen Län<strong>de</strong>r auszahlen konnte. Gera<strong>de</strong> hier aber steckte <strong>de</strong>r Haken. Bei<br />

neun Hauptabteilungen und gleichzeitig neun Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> war kaum zu<br />

verhin<strong>de</strong>rn, daß l<strong>et</strong>ztere auf individueller Basis direkt in die verschie<strong>de</strong>nen Sachbereiche<br />

eingriffen. Je<strong>de</strong>s einzelne Mitglied <strong>de</strong>s zum regelrechten Direktionskomitee<br />

emporgehobenen Organs hätte also vermutlich das Sagen über je einen Verwaltungszweig<br />

an sich reißen können. 92 Solche finsteren Aussichten lehnten die Verbän<strong>de</strong> Italiens und <strong>de</strong>r<br />

Benelux-Staaten energisch ab. 93<br />

So schnell und unkompliziert man sich bei <strong>de</strong>r Unterredung im Arbed-Hauptsitz auf das<br />

Organisationsschema I geeinigt hatte, so ungemein schwierig gestalt<strong>et</strong>e sich dann die<br />

folgen<strong>de</strong> Etappe, nach<strong>de</strong>m die Franzosen mit von <strong>de</strong>r Partie waren.<br />

Eigentlich hätten Paul Boland vom GHFAB und Eric Conrot vom GISL unverzüglich<br />

Kontakt mit Frankreichs Herstellern aufnehmen sollen, um ihnen <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Fünfergruppe<br />

abgesegn<strong>et</strong>en Entwurf I zu unterbreiten. Dazu kam es aber zunächst nicht. Erst Anfang März<br />

wur<strong>de</strong> die CSSF durch Pierre Van <strong>de</strong>r Rest und Paul Boland, bzw., bei Gelegenheit eines<br />

zufälligen Parisaufenthalts, durch Félix Chomé in die Pläne ihrer europäischen Kollegen<br />

eingeweiht. 94 Zwei weitere wertvolle Monate waren unverricht<strong>et</strong>er Dinge verstrichen!<br />

Damit nicht genug. An<strong>de</strong>rs als erwart<strong>et</strong>, fiel die Reaktion <strong>de</strong>r Chambre Syndicale ziemlich<br />

negativ aus. Statt einzelne D<strong>et</strong>ailaspekte aufzugreifen, stellte sie das gesamte Konzept <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>utschen Organigramms grundsätzlich in Frage. Die Hauptkritik <strong>de</strong>r Chambre richt<strong>et</strong>e sich<br />

hierbei in erster Linie gegen die sechs Direktorate. Weil diese sowohl mit <strong>de</strong>r Vorbereitung<br />

als auch mit <strong>de</strong>r Ausführung <strong>de</strong>r Montanbeschlüsse b<strong>et</strong>raut waren, weil ferner aber<br />

keineswegs ausgeklammert wer<strong>de</strong>n konnte, daß einzelne Direktorenämter von «dirigistisch<br />

angehauchten, ehemaligen Funktionäre» *95 bekleid<strong>et</strong> wür<strong>de</strong>n, ging in Frankreich die Angst<br />

vor einer aus <strong>de</strong>n Direktoraten entspringen<strong>de</strong>n neuen, omnipotenten Befehlszentrale <strong>de</strong>r<br />

90<br />

91<br />

92<br />

93<br />

94<br />

95<br />

GISL-Protokoll vom 12.01.1952, op.cit.<br />

ARBED, P.61, Félix Chomé an Karl Blankenagel, 06.12.1951.<br />

Ibid.; Anhang einer von Jean-Baptiste Henckes verfaßten Note sur les observations alleman<strong>de</strong>s aux<br />

propositions <strong>de</strong> la Chambre Syndicale, 26.04.1952.<br />

ARBED, P.61 - Plan Schuman, Organisation administrative, Notiz von Michel Goe<strong>de</strong>rt (Direktor <strong>de</strong>r Columéta)<br />

über die <strong>de</strong>utsch-belgisch-luxemburgische Besprechung vom 7. Januar, 11.01.1952.<br />

ARBED, P.68.H, Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen Pierre Van <strong>de</strong>r Rest und Félix Chomé, 05.03. bzw. 10.03.1952.<br />

Des weiteren, ARBED, P.120, Félix Chomé an Aloyse Meyer, 06.03.1952.<br />

ARBED, P.60bis.A, Compte-rendu succinct d'une réunion d'industriels tenue à Paris le 29 mars 1952.


Sturm im Wasserglas 23<br />

europäischen Schwerindustrie um. Dem entgegenzusteuern war das erklärte Ziel eines<br />

französischen Schemas (siehe Entwurf III.a) das Louis Charv<strong>et</strong> beim Treffen <strong>de</strong>r sechs<br />

Nationalverbän<strong>de</strong> am 29. März in Paris vorstellte. In <strong>de</strong>r Folgezeit wur<strong>de</strong> das Mo<strong>de</strong>ll<br />

schließlich durch zwei weitere «Varianten» ergänzt und verfeinert (Entwürfe III.b und c).<br />

Die <strong>de</strong>utschen Schemata waren eher nach b<strong>et</strong>riebswirtschaftlichen Maßstäben ausgelegt,<br />

die Franzosen dagegen bevorzugten eine streng juristische Ausrichtung. In enger Anlehnung<br />

an <strong>de</strong>n Wortlaut <strong>de</strong>s EGKS-Vertrages und <strong>de</strong>r im Verlauf <strong>de</strong>r Schuman-Plan-Verhandlung<br />

gemachten Statements über die rechtliche Interpr<strong>et</strong>ation wichtiger Artikel fußten ihre<br />

Vorstellungen auf zwei Prämissen. Primo. Die Hohe Behör<strong>de</strong> ist nicht befähigt, ständig in die<br />

laufen<strong>de</strong>n Geschäfte <strong>de</strong>r Kohle- und Eisenindustrie einzugreifen, es sei <strong>de</strong>nn in<br />

Ausnahmefällen wie <strong>de</strong>r «offensichtlichen Krise» (Art.58). Folgerichtig besteht ihre ureigene<br />

Rolle nicht darin, «die Konkurrenz zu dirigieren, son<strong>de</strong>rn zu regulieren» * . 96 Secundo.<br />

Entscheidungen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> können nur auf kollegialer Grundlage g<strong>et</strong>roffen wer<strong>de</strong>n, wobei<br />

die Komp<strong>et</strong>enz <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten sich laut Artikel 16 lediglich darauf beschränkt, die<br />

Oberaufsicht über das Dienstpersonal und die Ausführung <strong>de</strong>r Unionsbeschlüsse zu<br />

gewährleisten. Ferner ist eine Entscheidung <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> gleichzustellen mit einem<br />

«administrativen Akt» * , <strong>de</strong>r als solches durchaus mit <strong>de</strong>n in Frankreich üblichen Dekr<strong>et</strong>en,<br />

Verfügungen o<strong>de</strong>r ministeriellen Erlassen vergleichbar ist. Ähnlich wie im Staatsgefüge <strong>de</strong>r<br />

IV. Republik kann ein Beschluß <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> also erst nach seiner Übermittlung o<strong>de</strong>r<br />

Veröffentlichung in Kraft tr<strong>et</strong>en. Die Möglichkeit, Rekurs vor <strong>de</strong>m Streitsachenausschuß <strong>de</strong>r<br />

Rechtsabteilung einzulegen, bleibt allemal bestehen.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Grundprinzipien dienten <strong>de</strong>n französischen Industriellen als Fundament für die<br />

Gestaltung ihrer Organisationsmo<strong>de</strong>lle, <strong>de</strong>ren drei Varianten sich durch eine klare Trennung<br />

zwischen <strong>de</strong>n technischen Informations- und Studienabteilungen einerseits, <strong>de</strong>n<br />

Exekutivstellen an<strong>de</strong>rerseits, kennzeichn<strong>et</strong>en. Im einzelnen sahen die Varianten vor, daß alle<br />

zum reibungslosen Funktionieren <strong>de</strong>r Union erfor<strong>de</strong>rlichen Informationen b<strong>et</strong>reffend die<br />

Unternehmen, die Verbraucher, die Arbeiterschaft, usw. von einer Sammelstelle für Statistik<br />

und allgemeine Dokumentation zusammeng<strong>et</strong>ragen und über die Person <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten an<br />

die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> übermittelt wur<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>rselben Sammelstelle bezogen<br />

auch die zwölf Referenten – je sechs für die zwei Branchen Kohle und Stahl (Schemata b<br />

und c) 97 – alles Dokumente- und Zahlenmaterial, das ihre Mitarbeiter benötigten, um Studien,<br />

Berichte o<strong>de</strong>r Handlungsvorschläge im Auftrag <strong>de</strong>s Spitzengremiums anzufertigen. Weil die<br />

Struktur <strong>de</strong>r Abteilungen exklusiv an Sachproblemen festgemacht war (Rohstoffversorgung,<br />

Erzeugung, Forschung, Investitionsprogramme, Marktbedarf, Preise), die Entscheidungen<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft aber meist mehrere Arbeitsgebi<strong>et</strong>e zugleich berührten, mußten alle<br />

Berichte und Vorschläge in einer Zentralisierungs- und Übermittlungsstelle<br />

zusammenfassend überarbeit<strong>et</strong> wer<strong>de</strong>n (Entwürfe a und b). Hier entstan<strong>de</strong>n dann jene<br />

Aktenstücke, die <strong>de</strong>m obersten EGKS-Organ zur Vorbereitung seiner Sitzungen und zur<br />

Beschlußnahme dienten. Was nun die Arbeitsweise <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> selbst anbelangt, so<br />

ließ <strong>de</strong>r CSSF-Plan <strong>de</strong>n neun Herren völlige Freiheit, allerdings mit einer einzigen Auflage,<br />

die allerdings von kapitaler Be<strong>de</strong>utung war: Entscheidungen durfte die Behör<strong>de</strong> nur bei voll<br />

versammelter Mannschaft einbringen! War dies <strong>de</strong>r Fall, so wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r angenommene<br />

Entschluß an die Kanzlei weitergereicht. Sie s<strong>et</strong>zte sich aus einem Gremium von sechs<br />

Experten zusammen, die vorzugsweise unter Spezialisten <strong>de</strong>s Verwaltungs- und<br />

96<br />

97<br />

ARBED, P.61, Begleitschreiben <strong>de</strong>r CSSF zu <strong>de</strong>n französischen Organisationsmo<strong>de</strong>llen, 31.03.1952.<br />

Schema III.a sah nur einen Kohle- und einen Stahlreferenten vor. Die je sechs Abteilungen wären von ihnen<br />

untergebenen Beigeordn<strong>et</strong>en Referenten geleit<strong>et</strong> wor<strong>de</strong>n. Diese strenge Hierarchie <strong>de</strong>s französischen<br />

Vorentwurfs war aber sofort auf heftigen Wi<strong>de</strong>rstand bei <strong>de</strong>n fünf an<strong>de</strong>ren Eisenindustrien gestoßen.


Sturm im Wasserglas 24<br />

Wirtschaftsrechts zu rekrutieren waren. Ihre Aufgabe bestand u.a. darin, die Entscheidungen<br />

in eine rechtliche Form zu b<strong>et</strong>ten, ihre Ausführung durch die Veröffentlichung <strong>de</strong>r Beschlüsse<br />

in die Wege zu leiten und die Anwendung <strong>de</strong>r g<strong>et</strong>roffenen Maßnahmen zu überwachen.<br />

Dazu konnte sie gegebenenfalls, über die ihr angeglie<strong>de</strong>rten Rechtsabteilungen, die<br />

nationalen Gerichte zur Schaffung <strong>de</strong>r notwendigen Zwangsmittel auffor<strong>de</strong>rn. Zusätzlich<br />

oblag <strong>de</strong>r Kanzlei die Verteidigung <strong>de</strong>r Montanbestimmungen vor <strong>de</strong>m Europäischen<br />

Gerichtshof, so wie die Prüfung von Anträgen und Beschwer<strong>de</strong>n an die Adresse <strong>de</strong>r Hohen<br />

Behör<strong>de</strong>. 98<br />

«Wahrhaft erfin<strong>de</strong>risch, aber lei<strong>de</strong>r zu kompliziert, um wirksam zu sein»! 99 Der bissige<br />

Kommentar belgischer Kohleproduzenten traf <strong>de</strong>n Nagel auf <strong>de</strong>n Kopf. Er stand<br />

repräsentativ für die übereinstimmen<strong>de</strong> Meinung <strong>de</strong>r Fünfergruppe. Im Anschluß an die<br />

Pariser Vollversammlung hagelte es in <strong>de</strong>r Tat harsche Kritik aus allen Reihen. Die<br />

mißbilligen<strong>de</strong> Wertung <strong>de</strong>r CSSF-Organigramme konzentrierte sich vor<strong>de</strong>rgründig auf die<br />

strikte Gewaltentrennung. Stellte sie wirklich eine sinnvolle Alternative dar? Bild<strong>et</strong>e sie<br />

tatsächlich einen realen Schutz vor einem potentiellen Dirigismus, <strong>de</strong>r laut Chambre<br />

Syndicale in <strong>de</strong>n Direktoraten <strong>de</strong>s WVESI-Mo<strong>de</strong>lls steckte? Den französischen Ta<strong>de</strong>l am<br />

Entwurf I ließen Belgier, Luxemburger und Deutsche nicht gelten. Ihrer Auffassung zufolge<br />

riskierte die Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>n vorbereiten<strong>de</strong>n Wirtschaftsdiensten und <strong>de</strong>n<br />

ausführen<strong>de</strong>n Abteilungen <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>n ganzen Unionsapparat über kurz o<strong>de</strong>r lang<br />

vollends zu lähmen. Die daraus resultieren<strong>de</strong> Ohnmacht <strong>de</strong>r Instanzen wür<strong>de</strong> sich dann<br />

unweigerlich zugunsten <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> auswirken. Sie könnte das entstan<strong>de</strong>ne<br />

Machtvakuum auffüllen und ungeniert nach eigenem Gutdünken schalten und walten.<br />

Riskierte das französische Mo<strong>de</strong>ll also nicht, <strong>de</strong>n Bock zum Gärtner zu machen? 100<br />

Je<strong>de</strong> Menge auszus<strong>et</strong>zen fan<strong>de</strong>n die Verbän<strong>de</strong> auch an <strong>de</strong>r überb<strong>et</strong>ont zentralistischen<br />

Ausrichtung <strong>de</strong>r drei französischen Varianten. Da war zum Beispiel die Stellung <strong>de</strong>s<br />

Präsi<strong>de</strong>nten als neuralgische Schaltstelle zwischen <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> und <strong>de</strong>m restlichen<br />

Apparat. Die Maßnahme rechtfertigte sich in <strong>de</strong>n Überlegungen <strong>de</strong>r CSSF durch die<br />

Möglichkeit, auf diese Weise eine breitere Abkapselung <strong>de</strong>r obersten Mandatsträger zu<br />

gewinnen. Sie mut<strong>et</strong>e <strong>de</strong>n Experten <strong>de</strong>r Fünf aber höchst verdächtig an, beson<strong>de</strong>rs im<br />

Hinblick auf die Tatsache, daß die ersten Präsi<strong>de</strong>ntenehren höchstwahrscheinlich einem<br />

Franzosen zukommen wür<strong>de</strong>n! Angeprangert wur<strong>de</strong> ebenfalls die Zentralisierungs- und<br />

Übermittlungsstelle. Ursprünglich hätte sie ja bloß eine Art «Übergangsbüro» bil<strong>de</strong>n sollen.<br />

Wer aber konnte voraussehen, was die Praxis bringen sollte? Je nach<strong>de</strong>m in wessen Hän<strong>de</strong><br />

diese augenscheinlich so beschei<strong>de</strong>ne Dienststelle geri<strong>et</strong>, war nicht auszu<strong>de</strong>nken, was<br />

passieren könnte, wenn ihr Chef sich eine Führungsposition auf Kosten <strong>de</strong>r 12 Referenten<br />

angeeign<strong>et</strong> hätte. Daraufhin tauschte die CSSF das Zentralisierungsbüro zwar durch eine<br />

Konferenz <strong>de</strong>r Referenten und Experten aus (Variante III.c), was trotz allem wenig am<br />

eigentlichen Problem än<strong>de</strong>rte: nach wie vor bargen die auf nur je sechs Arbeitsfel<strong>de</strong>r<br />

begrenzten Kohle- bzw. Stahldivisionen automatisch eine unverkennbare Ten<strong>de</strong>nz zum<br />

Zentralismus; zum an<strong>de</strong>ren, erschwerte die damit verknüpfte recht geringe Anzahl von<br />

98<br />

Begleitschreiben <strong>de</strong>r CSSF, op.cit.<br />

99<br />

ARBED, P.61, Protokoll zu einer gemeinsamen Sitzung belgischer Kohleproduzenten und belgischluxemburger<br />

Hüttenherren in Brüssel, 16.04.1952.<br />

100 Ibid.


Sturm im Wasserglas 25<br />

hohen und mittleren Führungspositionen die Verwirklichung eines annehmbaren Ausgleichs<br />

unter <strong>de</strong>n Nationen. 101<br />

Sichtlich entnervt reagierten die Stahlkocher schließlich auch auf Frankreichs übertrieben<br />

vorsichtige Zurückhaltung bei <strong>de</strong>r Aufstellung einer gemeinsamen Front mit <strong>de</strong>n<br />

Kohleproduzenten. Bereits am 23. Februar 1952 hatten nämlich erste Beratungen unter<br />

<strong>de</strong>utschen, holländischen und belgischen Unternehmervertr<strong>et</strong>ern <strong>de</strong>r privaten<br />

Kohlewirtschaft in Brüssel stattgefun<strong>de</strong>n. Ähnlich wie die Dachverbän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r M<strong>et</strong>allindustrie,<br />

wollten auch sie eine berufsständische Interessenvertr<strong>et</strong>ung auf die Beine stellen. Aus <strong>de</strong>n<br />

informellen Gesprächen, an <strong>de</strong>nen Pierre Van <strong>de</strong>r Rest vom GHFAB als stiller Beobachter<br />

teilgenommen hatte, war ziemlich rasch ersichtlich gewor<strong>de</strong>n, daß die Ziels<strong>et</strong>zungen <strong>de</strong>r<br />

Zechenbesitzer mehr o<strong>de</strong>r weniger mit <strong>de</strong>njenigen <strong>de</strong>r Hüttenherren übereinstimmten. Was<br />

lag also näher, als sich zusammenzutun und mit vereinten Kräften Druck auf die<br />

Regierungen auszuüben! 102 Die erfolgversprechen<strong>de</strong> Initiative stolperte allerdings gleich im<br />

ersten Anlauf über <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r CSSF. Sie sträubte sich mit Hän<strong>de</strong>n und mit Füßen<br />

gegen eine Einbeziehung <strong>de</strong>r verstaatlichten Kohlegruben <strong>de</strong>s Hexagons, aus Angst, die<br />

Funktionäre <strong>de</strong>r Rue <strong>de</strong> Martignac könnten so frühzeitig über die Pläne <strong>de</strong>r Industriellen<br />

informiert wer<strong>de</strong>n und ihnen «kartellistische Manöver» *103 vorwerfen. Solche Argumente<br />

hatten die Belgier, Deutschen und Hollän<strong>de</strong>r aber keineswegs beeindruckt, und schon gar<br />

nicht davon abgehalten, die als «wesentlich» eingestufte Fühlungnahme mit <strong>de</strong>r<br />

Kohlewirtschaft auf nationaler Ebene fortzus<strong>et</strong>zen. Die Chambre Syndicale verlor zusehends<br />

an Handlungsspielraum. Vor allem nach<strong>de</strong>m die nie<strong>de</strong>rländischen Staatsminen und die<br />

italienischen Kokereien ihre B<strong>et</strong>eiligung angekündigt hatten, geri<strong>et</strong> sie unter immer stärker<br />

wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zugzwang. Louis Charv<strong>et</strong> und Jules Ferry kamen schließlich nicht mehr umhin,<br />

sich <strong>de</strong>m Begehren <strong>de</strong>r Mehrheit zu beugen. 104<br />

Die verschleppte Gründung einer Allianz mit <strong>de</strong>n Kohleproduzenten und das st<strong>et</strong>e Hin und<br />

Her zwischen <strong>de</strong>n Verfechtern <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen und <strong>de</strong>s französischen Konzepts ließ die<br />

Stimmung auf <strong>de</strong>n Tiefpunkt sinken. Die Verhandlung steckte in <strong>de</strong>r Sackgasse, … und die<br />

Zeit lief davon. In manchen Län<strong>de</strong>rn hatten die Parlamente <strong>de</strong>n EGKS-Vertrag bereits<br />

angenommen; in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, war die Ratifikationsprozedur in vollem Gange. Bis zur<br />

Konstituierung <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> blieben also höchstens ein paar Wochen. Schlimmer<br />

noch, Jean Monn<strong>et</strong> begann, sich zu regen! En<strong>de</strong> März <strong>et</strong>wa war <strong>de</strong>n Industriellen ein Entwurf<br />

in die Hän<strong>de</strong> geraten, <strong>de</strong>n Monn<strong>et</strong>s Leute in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>utschen und<br />

nie<strong>de</strong>rländischen Staatsdienern ausgeheckt hatten (siehe Mo<strong>de</strong>ll IV). Er ließ nichts Gutes<br />

ahnen. Oberflächlich b<strong>et</strong>racht<strong>et</strong>, verri<strong>et</strong> das Organigramm wohl eine gewisse Ähnlichkeiten<br />

mit <strong>de</strong>m WVESI-Schema I – <strong>de</strong>r Teufel steckte aber, wie so oft, im D<strong>et</strong>ail. Bei genauerem<br />

101 ARBED, P.61 - Dossier Blankenagel, Karl Blankenagel an <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r CSSF, Jules Ferry (Abschrift),<br />

19.04.1952; WVESI-Bericht b<strong>et</strong>r. die französischen Organigramme (gez. Blankenagel), 15.04.1952; Anonyme<br />

Notiz <strong>de</strong>s GISL, ohne Datum.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>s Luxemburger Eisenverban<strong>de</strong>s fand Chomé als einziger <strong>de</strong>n französischen Plan «in mancherlei<br />

Hinsicht sehr verlockend» * . Er wur<strong>de</strong> jedoch von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren GISL-Vorstandsmitglie<strong>de</strong>rn überstimmt. Sie<br />

wollten alle zum Entwurf I zurückkehren, nicht zul<strong>et</strong>zt, weil ihrer Meinung nach das CSSF-Mo<strong>de</strong>ll nicht die<br />

geringste Chance hatte, von <strong>de</strong>n Belgiern und <strong>de</strong>n Deutschen akzeptiert zu wer<strong>de</strong>n. Vgl. hierzu GISL,<br />

Sitzungsprotokoll <strong>de</strong>s Comité directeur, 28.04.1952.<br />

102 ARBED, P.68.H, Félix Chomé an Dr. Linz, Direktor <strong>de</strong>r Vereinigte Stahlwerke, 10.03.1952.<br />

103 Ibid., Pierre Van <strong>de</strong>r Rest an Félix Chomé, 05.03.1952.<br />

104 ARBED, P.61 - Plan Schuman, Organisation administrative, Note succincte sur la réunion d'industriels <strong>de</strong> la<br />

sidérurgie tenue à Luxembourg le 3 mai 1952.


Sturm im Wasserglas 26<br />

Hinsehen wur<strong>de</strong> die Gefährlichkeit <strong>de</strong>r zwei Direktorate Wirtschaftspolitik und Sozialfragen<br />

<strong>de</strong>utlich. Wegen <strong>de</strong>r diffusen Definition ihrer auf vollkommen allgemeine Fragen festgelegten<br />

B<strong>et</strong>ätigungsfel<strong>de</strong>r, hätten sie sich fortwährend in die Angelegenheiten <strong>de</strong>r vier übrigen<br />

Direktorate einmischen und ihnen Vorschriften machen können. Sie drohten zu einer<br />

«wahrhaften Zentrale <strong>de</strong>s Dirigismus» 105 zu wer<strong>de</strong>n. Höchst befrem<strong>de</strong>nd mut<strong>et</strong>e auch die Art<br />

und Weise an, wie das Mo<strong>de</strong>ll überhaupt zustan<strong>de</strong> gekommen war. So war die Brüsseler<br />

Regierung angeblich ganz und gar nicht über diese verschleierten holländisch-<strong>de</strong>utschfranzösischen<br />

Verhandlungen informiert. Luxemburger Dienststellen hatten nur durch reinen<br />

Zufall <strong>et</strong>was darüber in Erfahrung gebracht, ohne sich aber genau bewußt zu wer<strong>de</strong>n, was<br />

hier eigentlich heimlich ausgehan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>.<br />

Bestand unter all diesen bösen Vorzeichen überhaupt noch eine reale Chance für die<br />

Industrie? O<strong>de</strong>r hatten die Unterhändler <strong>de</strong>r Koninklijke Staalfabrieken recht, wenn sie<br />

behaupt<strong>et</strong>en, daß man, beim aktuellen Stand <strong>de</strong>r Dinge, «bloß seine Zeit verliere» * ?<br />

Verzweifelt suchte Félix Chomé die abbröckeln<strong>de</strong> Front <strong>de</strong>r Unternehmer zu kitten.<br />

Zusammen mit <strong>de</strong>n Spitzenleuten vom belgischen Groupement <strong>de</strong>s Hauts-Fourneaux<br />

bemühte er sich im Rahmen <strong>de</strong>r neuerlichen Vollversammlung in <strong>de</strong>r Arbed am 3. Mai 1952,<br />

einen Ausweg aus <strong>de</strong>r verfahrenen Lage zu fin<strong>de</strong>n. 106 Um die verhärt<strong>et</strong>en Gegensätze<br />

zwischen <strong>de</strong>r Chambre Syndicale und <strong>de</strong>r Wirtschaftsvereinigung aufzuweichen, schlugen<br />

Luxemburger und Belgier daher die Rückbesinnung auf wenige, fundamentale Prinzipien vor.<br />

Eine Son<strong>de</strong>rkommission, bestehend aus nur einem Vertr<strong>et</strong>er pro Lan<strong>de</strong>sverband, 107 wur<strong>de</strong><br />

damit b<strong>et</strong>raut, die wichtigsten Gedankenzüge <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n rivalisieren<strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>lle I und III<br />

herauszuarbeiten und, nach Möglichkeit, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Anstatt<br />

ein neues, bis ins l<strong>et</strong>zte D<strong>et</strong>ail ausgereifte Gesamtorganigramm aufzutischen, bei <strong>de</strong>ssen<br />

Analyse man sich abermals in endlosen Diskussionen verstrickt hätte, wur<strong>de</strong>n die sechs<br />

Experten angewiesen, eine vereinfachte, skizzenhafte Struktur zu entfalten, auf die sich<br />

sowohl die Eisenhüttenleute als auch die Kohleproduzenten einigen konnten. 108<br />

Folgen<strong>de</strong> generelle Überlegungen behielten die Sachverständigen als wesentliche Aspekte<br />

eines in acht Direktoraten (départements) aufgeglie<strong>de</strong>rten EGKS-Apparates zurück (siehe<br />

Entwurf V): 109<br />

• die kollegiale Handlungsweise <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> ist Garant für eine maximale<br />

Autonomie <strong>de</strong>r technischen Abteilungen, weil l<strong>et</strong>ztere nicht individuell <strong>de</strong>n neun<br />

Mandatsträgern, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> als Kollektiv unterstellt sind;<br />

• die Selbständigkeit <strong>de</strong>r Abteilungen darf nicht durch die Schaffung eines<br />

Generaldirektorats o<strong>de</strong>r eines Generalsekr<strong>et</strong>ariats wie<strong>de</strong>r in Frage gestellt wer<strong>de</strong>n (aus<br />

<strong>de</strong>mselben Grund lehnte die Sechserkommission es ab, ein Direktorat für Streitsachen<br />

und Rechtsfragen zu formieren – es hätte viel zu leicht in eine regelrechte Kanzlei<br />

umfunktioniert wer<strong>de</strong>n können);<br />

• die Macht <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> ist unter an<strong>de</strong>rem durch einen<br />

regelmäßigen Personenwechsel in <strong>de</strong>r Spitzenfunktion <strong>de</strong>r Gemeinschaft einzudämmen;<br />

105 Compte-rendu succinct d'une réunion d'industriels tenue à Paris (März), op.cit.<br />

106 GISL, GISL an Pierre Van <strong>de</strong>r Rest, 22.04.1952. Einladung zu einer vorbereiten<strong>de</strong>n belgisch-luxemburgischen<br />

Gesprächsrun<strong>de</strong> am Freitag Nachmittag vor <strong>de</strong>r Vollversammlung <strong>de</strong>s 3. Mai.<br />

107 ARBED, P.61 - Plan Schuman, Organisation administrative, Proj<strong>et</strong> d'organisation <strong>de</strong>s Services <strong>de</strong> la Haute<br />

Autorité, Pierre Van <strong>de</strong>r Rest an Félix Chomé, 19. Mai 1952.<br />

Der Arbeitsgruppe gehörten an: Karl Blankenagel, Paul Boland, Louis Charv<strong>et</strong>, Justman Jakob, Eric Conrot<br />

und ein italienischer Delegierter. Die Sekr<strong>et</strong>ariatsarbeit übernahm das GHFAB.<br />

108 Note succincte sur la réunion d'industriels <strong>de</strong> la sidérurgie tenue à Luxembourg le 3 mai 1952, op.cit.<br />

109 GISL; Schéma d'organisation. Die Arbeitsgruppe <strong>de</strong>r 6 Experten tagte Mitte Mai in Paris.


Sturm im Wasserglas 27<br />

• die hauptsächlich auf Informations-, Überwachungs- und Orientierungsarbeit reduzierte<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r Union kann nur im Dienste <strong>de</strong>r europäischen Industrie stehen;<br />

• die acht Direktorenämter sind mit Fachkräften zu bes<strong>et</strong>zen;<br />

• die verschie<strong>de</strong>nartige Problemstellung <strong>de</strong>r Gewerbezweige Kohle und Eisen muß sich auf<br />

Verwaltungsebene in separaten Departements für die bei<strong>de</strong>n Branchen nie<strong>de</strong>rschlagen;<br />

• die B<strong>et</strong>ätigungsfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r technischen Abteilungen erfor<strong>de</strong>rn eine präzise Festlegung auf<br />

bestimmte, klar <strong>de</strong>finierbare Komp<strong>et</strong>enzen;<br />

• die Einrichtung von Divisionen, <strong>de</strong>ren Arbeitsgebi<strong>et</strong> allgemeine Themen umreißt (z.B.<br />

"Wirtschaft" o<strong>de</strong>r "Soziales") ist zu vermei<strong>de</strong>n, da sie eine ernste Gefahr für das<br />

eigenständige Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r übrigen Spezialabteilungen abgibt;<br />

• die Aufstellung von Statistiken soll nicht <strong>de</strong>n Direktoraten überlassen, son<strong>de</strong>rn einer<br />

eigens zur Sammlung von Zahlenmaterial ins Leben gerufenen Dienststelle anvertraut<br />

wer<strong>de</strong>n, die sonst we<strong>de</strong>r technische noch wirtschaftliche Befugnisse besitzt.<br />

Strenggenommen beinhalten die aufgelist<strong>et</strong>en Richtlinien keine revolutionären Neuheiten,<br />

und doch stellen sie einen klaren Bruch mit <strong>de</strong>n vorangegangenen Praktiken <strong>de</strong>r<br />

«Fertigmo<strong>de</strong>lle» <strong>de</strong>utscher o<strong>de</strong>r französischer Herkunft dar. Mit <strong>de</strong>r Einberufung einer<br />

Son<strong>de</strong>rkommission – dies erachten wir als außeror<strong>de</strong>ntlich wichtig – vollzogen die<br />

Hüttenherren einen zukunftsweisen<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Weg zu einer wahren<br />

Zusammenarbeit wenigstens ansatzweise ebn<strong>et</strong>e. Zum ersten Mal in <strong>de</strong>r<br />

Nachkriegsgeschichte steckten Vertr<strong>et</strong>er <strong>de</strong>r sechs europäischen Lan<strong>de</strong>sverbän<strong>de</strong> die Köpfe<br />

zusammen, um Lösungen vorzuzeichnen, die auf einem echten Konsens beruhten! 110<br />

Durch die gemeinschaftliche Diskussion <strong>de</strong>r Tagesordnung stießen die <strong>de</strong>legierten<br />

Sachverständigen auf eine Reihe beachtlicher Schwierigkeiten, die <strong>de</strong>r Unternehmerschaft<br />

bislang mehr o<strong>de</strong>r weniger entgangen waren, weil sie mit ihrer Planung meist rücksichtslos<br />

nach Eigennutz gehan<strong>de</strong>lt hatte. J<strong>et</strong>zt aber, auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>r notwendigen<br />

Kompromißformel, s<strong>et</strong>zte allmählich ein Um<strong>de</strong>nken ein. Die Industriellen begannen, die<br />

Überlegungen <strong>de</strong>r ausländischen Kollegen besser nachzuvollziehen und ihren jeweiligen<br />

Beanstandungen Rechnung zu tragen. Die rezente Bewußtseinsbildung rückte die gesamte<br />

Problematik in ein neues Licht. Die Komplexität <strong>de</strong>r vielschichtigen, oft gegensätzlichen<br />

Konsequenzen, die sich für einzelne nationale Industrien ergaben, je nach<strong>de</strong>m welches<br />

Mo<strong>de</strong>ll man zurückbehalten wür<strong>de</strong>, kam nun voll zum Tragen. Zu<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> mit aller<br />

Deutlichkeit klar, daß ein i<strong>de</strong>aler, von allen als optimal eingestufter EGKS-Apparat gar nicht<br />

zu fin<strong>de</strong>n war. Diese nüchterne Feststellung machten insbeson<strong>de</strong>re die kleinen Staaten. Ihre<br />

Hauptsorge – sie war beseelt vom Willen, nicht zum Spielball <strong>de</strong>utsch-französischer<br />

Dominierungsgelüste zu wer<strong>de</strong>n – ließ sich nur sehr bedingt mit <strong>de</strong>n allgemeinen Leitlinien<br />

einer akzeptablen Verwaltung unter einen Hut bringen. Ihr Ruf nach einer Administration mit<br />

möglichst vielen, gleichmächtigen Abteilungen (lies: einem Maximum an ebenbürtigen und<br />

redlich aufg<strong>et</strong>eilten Direktorenstellen) scheiterte zwangsläufig an <strong>de</strong>r Entschlossenheit,<br />

we<strong>de</strong>r ein Generaldirektorat noch ein Generalsekr<strong>et</strong>ariat einzus<strong>et</strong>zen. In einer horizontal<br />

angelegten Struktur, die gezielt auf je<strong>de</strong> weitere Verbindungsstelle zwischen <strong>de</strong>r Hohen<br />

Behör<strong>de</strong> und ihrem Mitarbeiterstab verzicht<strong>et</strong>e, erwies sich die uneingeschränkte<br />

Vermehrung <strong>de</strong>r Arbeitsgebi<strong>et</strong>e schlichtweg als undurchführbar; aus praktischen Grün<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Koordination hätte die Fülle <strong>de</strong>r Abteilungen notgedrungen eben jene hierarchische<br />

Glie<strong>de</strong>rung heraufbeschworen, die man ja eigentlich vermei<strong>de</strong>n wollte. Der gol<strong>de</strong>ne<br />

110 Trotz <strong>de</strong>r Abmachungen über <strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rkommission hatte die CSSF gleich im Anschluß an die<br />

Luxemburger Mai-Konferenz im Alleingang versucht, ein neues Mo<strong>de</strong>ll zu entwerfen. Es war jedoch nicht<br />

berücksichtigt wor<strong>de</strong>n. Vgl. ARBED, P.61 - Plan Schuman, Organisation administrative, Notiz von Eric Conrot<br />

über <strong>de</strong>n französischen Plan vom 9. Mai 1952.


Sturm im Wasserglas 28<br />

Mittelweg aus <strong>de</strong>m Teufelskreis führte schließlich zu acht Direktoraten. Die Zahl schien<br />

angemessen, einerseits, weil sie nicht mit <strong>de</strong>n neun Mandaten <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong><br />

übereinstimmte, an<strong>de</strong>rerseits, weil sie nicht zu hoch war und doch eine vernünftige<br />

Gewichtung bei <strong>de</strong>r Vergabe <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong>n Dienstgra<strong>de</strong> in Aussicht stellte (je zwei Posten für<br />

Frankreich und Deutschland, bzw. ein Posten für die vier kleineren Län<strong>de</strong>r).<br />

In gegenseitiger Übereinkunft entwirrte die Arbeitsgruppe auch die doppelte Kontroverse um<br />

die annährend gleichwertigen Befugnisse <strong>de</strong>r Departements und <strong>de</strong>n Schutz vor einem<br />

Machtmißbrauch durch die Direktoren. Ersteres Problem war eng verquickt mit <strong>de</strong>r peinlich<br />

genauen Festlegung <strong>de</strong>r Komp<strong>et</strong>enzen für bestimmte Arbeitsbereiche. An ihr führte kein<br />

Weg vorbei, wenn man die Bildung von überdimensionierten Wirtschafts- o<strong>de</strong>r<br />

Sozialdivisionen ausklammern wollte. Die rigorose Spezialisierung war aber nur durch eine<br />

ungleichmäßige Verteilung <strong>de</strong>r Zuständigkeiten zu lösen, ein Nachteil also, <strong>de</strong>r abermals die<br />

kleinen am härtesten traf, und <strong>de</strong>n sie, wohl o<strong>de</strong>r übel, in Kauf nehmen mußten. Was die<br />

Machtstellung <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong>n Abteilungschefs angeht, so berührte sie die <strong>de</strong>likate Frage <strong>de</strong>r<br />

Selbständigkeit <strong>de</strong>r Direktorate. Sollte man diese lebenswichtige Autonomie opfern, nur weil<br />

theor<strong>et</strong>isch die Möglichkeit bestand, ein Direktor könnte über die Stränge schlagen? Die<br />

Antwort <strong>de</strong>r Experten laut<strong>et</strong>e nein. Das einkalkulierte Risiko gedachten sie ohnedies mit<br />

einem Kunstgriff aus <strong>de</strong>n privatwirtschaftlichen Verwaltungsgepflogenheiten einzudämmen:<br />

ähnlich wie bei <strong>de</strong>r Geschäftsführung von Aktiengesellschaften sollten verordn<strong>et</strong>e<br />

Maßnahmen jeweils von zwei Direktoren unterzeichn<strong>et</strong> wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Einsatz <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rkommission hatte sich gelohnt. Dank echter Kooperation in<br />

kleinstem Kreise war es <strong>de</strong>m Expertenteam gelungen, die schroffen Gegensätze innerhalb<br />

kürzester Zeit zu überwin<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n ersehnten Durchbruch endlich herbeizuführen. Das<br />

monatelange Tauziehen war beend<strong>et</strong>. Ja, die Arbeiten waren so gut vorangeschritten, das<br />

vorgelegte Projekt so weit ausgereift, daß die Empfehlungen <strong>de</strong>r Sachverständigen ohne<br />

zusätzliche Beratung <strong>de</strong>r Verbandspräsi<strong>de</strong>nten direkt zur Begutachtung an die einzelnen<br />

Werke verschickt wur<strong>de</strong>n! 111 Damit trat das schwerindustrielle Unterfangen in seine<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Schlußphase. Wür<strong>de</strong> es <strong>de</strong>n Stahlkochern gelingen, die Regierungen auf ihr<br />

Mo<strong>de</strong>ll einzuschwören?<br />

Lei<strong>de</strong>r versiegen die Archivquellen zu <strong>de</strong>n politischen Schritten fast vollständig. Wegen<br />

<strong>de</strong>s brisanten Charakters <strong>de</strong>rartiger Unternehmungen war eigentlich bereits im Anschluß an<br />

die Luxemburger Mai-Versammlung vereinbart wor<strong>de</strong>n, keine offiziellen Protokolle mehr über<br />

die internationalen Industriellentreffen zu führen. 112 Über <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r weiteren<br />

Unterredungen sind <strong>de</strong>mnach bestenfalls nur sporadisch, stark resümieren<strong>de</strong> Notizen<br />

aufzustöbern. Das gleiche gilt ebenso für <strong>de</strong>n Vorstoß <strong>de</strong>s Groupement <strong>de</strong>s Industries<br />

Sidérurgiques Luxembourgeoises bei Außenminister Joseph Bech.<br />

Unter <strong>de</strong>m Datum vom 24. Mai reichte Chomé in seiner Qualität als GISL-Präsi<strong>de</strong>nt ein<br />

Schreiben an <strong>de</strong>n Minister, mit <strong>de</strong>r Bitte, die lebenswichtigen Interessen <strong>de</strong>s heimischen<br />

Min<strong>et</strong>tebeckens bei <strong>de</strong>r bevorstehen<strong>de</strong>n Haager Konferenz (12.-14. Juni 1952) <strong>de</strong>s<br />

111 ARBED, P.68.H, Félix Chomé an Pierre Van <strong>de</strong>r Rest, 24.05.1952.<br />

Von allen europäischen Firmen erhob die Arbed als einziges Unternehmen eine recht unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

D<strong>et</strong>ailkritik an <strong>de</strong>r statistischen Abteilung.<br />

112 Note succincte sur la réunion d'industriels <strong>de</strong> la sidérurgie tenue à Luxembourg, op.cit.


Sturm im Wasserglas 29<br />

wie<strong>de</strong>rbelebten Interims-Ausschußes gebührend zu berücksichtigen. 113 Auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />

lief zunächst alles ziemlich glatt. Bech erklärte sich bereit, Eric Conrot als offizielles Mitglied<br />

<strong>de</strong>r großherzoglich-luxemburgischen Unterhändler nach Holland zu schicken. 114 Er bot <strong>de</strong>r<br />

Industrie sogar vorbereiten<strong>de</strong> Konsultationsgespräche mit <strong>Charles</strong> Reichling vom<br />

Wirtschaftsdienst <strong>de</strong>s Außenministeriums an. Das wohlwollen<strong>de</strong> Entgegenkommen täuschte<br />

trotz<strong>de</strong>m kaum darüber hinweg, wie weit die Ansichten <strong>de</strong>r Regierung mit <strong>de</strong>njenigen <strong>de</strong>s<br />

Patronats auseinan<strong>de</strong>r klafften.<br />

Reichling besaß offenbar Kenntnis von Bonner Plänen, die darauf abzielten, in Den Haag die<br />

Bildung einer Arbeitsgruppe für organisatorische Fragen b<strong>et</strong>reffs die Hohe Behör<strong>de</strong> zu<br />

erzwingen. Das wäre im Grun<strong>de</strong> genommen eine gute Sache gewesen, <strong>de</strong>nn immerhin war<br />

die bun<strong>de</strong>srepublikanische Strategie «inspiriert vom Vorsatz, sich nichts von Monn<strong>et</strong> und <strong>de</strong>r<br />

Rue <strong>de</strong> Martignac gefallen zu lassen»*. 115 Zu<strong>de</strong>m befand sich eine Kopie <strong>de</strong>s neuesten<br />

Organigramms <strong>de</strong>r Arbeitgeber in <strong>de</strong>n Akten <strong>de</strong>s Auswärtiges Amtes. Reichling wußte<br />

jedoch gleichzeitig zu berichten, daß Hallstein das Programm <strong>de</strong>r Eisenverbän<strong>de</strong> nur<br />

teilweise übernehmen wollte und sich in Wirklichkeit mit <strong>de</strong>m Gedanken trug, aus <strong>de</strong>r Hohen<br />

Behör<strong>de</strong> eine «Art Ministerkabin<strong>et</strong>t» zu machen, <strong>de</strong>ssen zehn Direktorate (zwei davon, mit<br />

generellen Befugnissen für Sozialfragen bzw. Han<strong>de</strong>lspolitik) unmittelbar unter die<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>r neun Mandatsträger <strong>de</strong>r oberen Montaninstitution gestellt wor<strong>de</strong>n wären!<br />

An diesem Punkt zerschellten die l<strong>et</strong>zten Hoffnungen <strong>de</strong>r Eisenindustriellen endgültig. Eric<br />

Conrot gab gewiß sein Bestes, als er Reichling beschwor, die Finger von solch gefährlichen<br />

Abenteuern zu lassen. Vergebens, <strong>de</strong>nn die Regierung hatte ihre Taktik schon festgelegt.<br />

Gequält vom ewigen Alptraum, Frankreich und Deutschland könnten sich unter <strong>de</strong>r Hand<br />

verständigen und alle wichtigen Verwaltungsstellen <strong>de</strong>r Union monopolisieren, erklärte sie<br />

sich bereit, die Verhandlungsposition <strong>de</strong>s Auswärtigen Amtes zu unterstützen. Die<br />

Begründung mut<strong>et</strong>e verhältnismäßig einfach an. Weil Jean Monn<strong>et</strong> je<strong>de</strong>s Feilschen um die<br />

Strukturen <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> kategorisch abgelehnte, kam ein Anbän<strong>de</strong>ln mit Paris von<br />

vorneherein nicht in Frage; Walter Hallstein dagegen verfolgte eine Politik, die, erstens, eine<br />

Vielzahl an hohen und mittleren Dienstgra<strong>de</strong>n vorsah, zweitens, eine auf Regierungsebene<br />

noch vor <strong>de</strong>m Inkrafttr<strong>et</strong>en <strong>de</strong>r EGKS abgemachte Verteilung <strong>de</strong>r Direktionsposten anstrebte.<br />

Beim sich abzeichnen<strong>de</strong>n Zusammenprall <strong>de</strong>r Monn<strong>et</strong>schen und Hallsteinschen<br />

Vorstellungen – so glaubten die politisch Verantwortlichen im Großherzogtum – wür<strong>de</strong> eine<br />

dritte Lösung ohnehin nicht die geringsten Chancen haben. Also mußte man sich, in<br />

Ermangelung von <strong>et</strong>was Besserem, so o<strong>de</strong>r so entschei<strong>de</strong>n: nicht für Deutschland, aber<br />

gegen Monn<strong>et</strong>! 116<br />

Allem Anschein nach schlugen die Regierungen in Belgien, Holland und Italien anläßlich <strong>de</strong>r<br />

Haager Konferenz eine ähnliche Richtung ein. 117 In Anb<strong>et</strong>racht <strong>de</strong>s weiteren Verlaufs <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung, war es <strong>de</strong>n Stahlherstellern in <strong>de</strong>n drei Län<strong>de</strong>rn offenbar nicht an<strong>de</strong>rs ergangen<br />

als <strong>de</strong>n Luxemburger Hüttenleuten: parallel zu <strong>de</strong>n politischen Entwicklungen schrumpfte ihr<br />

113 ARBED, P.68.H, Félix Chomé an Joseph Bech, 24.05.1952.<br />

114 Eric Conrot nahm in Den Haag als einziger Vertr<strong>et</strong>er <strong>de</strong>r europäischen Industrie direkt an <strong>de</strong>n Verhandlungen<br />

teil.<br />

115 ARBED, P.61 - Plan Schuman, Organisation administrative, Conversations avec M.Reichling, questions du<br />

Plan Schuman, (Vertraulich), 09.06.1952.<br />

116 Höchstwahrscheinlich wur<strong>de</strong> die Entscheidung <strong>de</strong>r Luxemburger Regierung ungemein beeinflußt durch<br />

Joseph Bechs Spekulationen, im Gegenzug einer Luxemburger Unterstützung für Hallstein, <strong>de</strong>utschen<br />

Beistand in <strong>de</strong>r Sitzfrage zu bekommen.<br />

117 ARBED, P.61 - Commission Intérimaire du Plan Schuman, Note sur les réunions tenues à La Haye les 12, 13<br />

<strong>et</strong> 14 juin 1952 (gez. Eric Conrot), 17.06.1952 und Réunions <strong>de</strong> Paris du 23 au 25 juin 1952, Groupe <strong>de</strong> travail<br />

(vertraulich), 28.06.1952.


Sturm im Wasserglas 30<br />

For<strong>de</strong>rungskatalog auf ein Min<strong>de</strong>stmaß. Bei Gelegenheit <strong>de</strong>r internationalen<br />

Unternehmerkonferenz in Brüssel (12. Juni) und Ijmui<strong>de</strong>n (7. Juli) gaben die<br />

Verbands<strong>de</strong>legierten sich bereits mit <strong>de</strong>r Wahrung <strong>de</strong>s Kollegialitätsprinzips, <strong>de</strong>r Ernennung<br />

qualifizierter Unionsbeamten und <strong>de</strong>m Nichtzustan<strong>de</strong>kommen eines Generalsekr<strong>et</strong>ariats<br />

zufrie<strong>de</strong>n. Manch einer begann sogar laut zu überlegen, ob die Gewerkschaften einer<br />

Gemeinschaft ohne Direktorat für die Belange <strong>de</strong>r Arbeiterklasse kampflos zugestimmt<br />

hätten, o<strong>de</strong>r ob die persönlichen Eingriffe <strong>de</strong>r neun Hohe Behör<strong>de</strong>-Mitglie<strong>de</strong>r in die Interna<br />

<strong>de</strong>r technischen Dienste nicht doch vielleicht in <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>r Dinge lag! 118<br />

Bemerken wir abschließend, <strong>de</strong>r Vollständigkeit halber, daß Hallstein und die<br />

Unterhändler <strong>de</strong>r kleinen Län<strong>de</strong>r während <strong>de</strong>r Haager Sitzungen <strong>de</strong>s Interims-Ausschußes<br />

mit ihrem Versuch, die Anerkennung elementarer Verwaltungsregeln zu erreichen,<br />

gescheitert waren. Jean Monn<strong>et</strong> hatte sich einmal mehr behaupten können. Als die Hohe<br />

Behör<strong>de</strong> am 10. August 1952 im Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r ehemaligen Eisenbahndirektion am Place <strong>de</strong><br />

M<strong>et</strong>z in Luxemburg einzog, behielt ihr Chef freie Hand, <strong>de</strong>r ersten europäischen<br />

Administration jenen Stempel aufzudrücken, <strong>de</strong>r seinen persönlichen I<strong>de</strong>en am besten<br />

entsprach. Unter Berufung auf eine recht eigenwillige Interpr<strong>et</strong>ation <strong>de</strong>s Artikels 16, Absatz 3<br />

(«le prési<strong>de</strong>nt est chargé <strong>de</strong> l'administration <strong>de</strong>s services»), 119 verpaßte <strong>de</strong>r französische<br />

Unionspräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>n Instanzen eine Form, <strong>de</strong>r so gut wie gar nichts mit <strong>de</strong>n Entwürfen <strong>de</strong>r<br />

Stahlbarone gemein gewesen ist. Vom sakrosankten Kollegialitätsprinzip zum Beispiel, auf<br />

das die Unternehmer immer wie<strong>de</strong>r mit Nachdruck gepocht hatten, blieb in <strong>de</strong>r tagtäglichen<br />

Praxis kaum <strong>et</strong>was übrig. Überall hatte Monn<strong>et</strong> die Finger im Spiel. Seine Präsenz war,<br />

genau gesagt, erdrückend. In Absprache mit Pierre Uri, <strong>de</strong>r grauen Eminenz, machte <strong>de</strong>r<br />

Präsi<strong>de</strong>nt sich zur Gewohnheit, die wichtigen Entscheidungen selber zu fällen und die<br />

an<strong>de</strong>ren acht Mandatsträger wie Schulbuben vor vollend<strong>et</strong>e Tatsachen zu stellen, …<br />

worüber, ganz nebenbei, nicht bloß die Hüttenleute verärgert reagierten! Viel Geschrei gab<br />

es auch um die 12 eingeführten Divisionen und Abteilungen, darunter ein Generalsekr<strong>et</strong>ariat!<br />

Die meisten Departements waren nämlich nicht nur mit ganz allgemein gefaßten<br />

Komp<strong>et</strong>enzen behaft<strong>et</strong>, son<strong>de</strong>rn trugen darüberhinaus <strong>de</strong>r angestrengten Trennung<br />

zwischen Kohle- und Stahlwirtschaft nicht im geringsten Rechnung. Zu allem Übel wur<strong>de</strong> das<br />

Dutzend Dienststellen dann auch noch wegen wachsen<strong>de</strong>r Koordinierungsschwierigkeiten in<br />

6 «Arbeitsgruppen» aufg<strong>et</strong>eilt (ab 1954); <strong>de</strong>n direkten Vorsitz übernahm jeweils ein Mitglied<br />

<strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong>, das eigens zu diesem Zweck, durch Delegation, vom<br />

Unionspräsi<strong>de</strong>nten die nötige Exekutivmacht bekam. 120 Ebenso wenig Glück war <strong>de</strong>r<br />

Privatwirtschaft mit Bezug auf die Ämtervergabe beschert. Nur in <strong>de</strong>n wenigsten Fällen<br />

wählte Monn<strong>et</strong> Kandidaten aus, die auf eine Karriere in <strong>de</strong>n B<strong>et</strong>rieben zurückschauten.<br />

Summa summarum also gestalt<strong>et</strong>e sich dieses neue Europa aus Kohle und Eisen in einer<br />

Art, welche die schlimmsten Befürchtungen <strong>de</strong>r Industriekapitäne bei weitem übertraf.<br />

118 ARBED, P.61 - Plan Schuman, Organisation administrative, Note sur une réunion d'industriels tenue à<br />

Bruxelles le 11 juin 1952 und Réunion d'industriels <strong>de</strong> la Sidérurgie tenue à Ijmui<strong>de</strong>n le 7 juill<strong>et</strong> 1952.<br />

119 Vgl. R. Morgan, Jean Monn<strong>et</strong> and the ECSC Administration: Challenges, Functions and the Inheritance of<br />

I<strong>de</strong>as, IN: Erk Volkmar Heyen (Hrsg.), Die Anfänge <strong>de</strong>r Verwaltung <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft, Jahrbuch<br />

für Europäische Verwaltungsgeschichte, Nomos, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n, 1992, Bd.4, 1992, S.1-9.<br />

120 Zu <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r EGKS-Verwaltung, vgl. R. Poi<strong>de</strong>vin und D. Spierenburg, Histoire <strong>de</strong> la Haute Autorité <strong>de</strong><br />

la Communauté Européenne du Charbon <strong>et</strong> <strong>de</strong> l'Acier, Bruylant, Bruxelles, 1993, S.55-101. Vgl. auch: E.V.<br />

Heyen (Hrsg.), op.cit., u.a. Artikel von P. Gerb<strong>et</strong>, La Haute Autorité <strong>de</strong> la Communauté Européenne du<br />

Charbon <strong>et</strong> <strong>de</strong> l'Acier, S.11-29; S. Macey, Conception and Evolution of the High Authority's Administrative<br />

Services (1952-1956): from Supranational Principles to Multinational Practices, S.32-47.


Sturm im Wasserglas 31<br />

Der «neunte Mann», ein Wunschkandidat?<br />

Neben <strong>de</strong>n Verwaltungsplänen hatten die Stahlkocher noch ein zweites Eisen im Feuer:<br />

die Bes<strong>et</strong>zung <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> mit Kandidaten aus ihren Reihen. Welch bessere Gewähr<br />

für die Einhaltung einer liberalen Wirtschaftspolitik hätten sie sich wahrlich vorstellen können,<br />

als eine <strong>de</strong>m Unternehmertum entstammen<strong>de</strong> Mannschaft an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Union?<br />

Schon wie<strong>de</strong>r waren es die Hüttenleute aus Düsseldorf, die als erste konkr<strong>et</strong>e Schritte in<br />

diese Richtung unternommen hatten. 121 Ihr hochgestecktes Anliegen bekam aber spätestens<br />

bei <strong>de</strong>r Januar-Zusammenkunft in <strong>de</strong>r Arbed einen ersten Dämpfer, weil die belgischluxemburgischen<br />

Verbands<strong>de</strong>legierten <strong>de</strong>r Möglichkeit einer mehrheitlich mit Industriellen<br />

bes<strong>et</strong>zten Behör<strong>de</strong> eher skeptisch entgegen sahen. Alleine die seinerzeit kursieren<strong>de</strong>n<br />

Namen <strong>et</strong>waiger Kandidaten verleit<strong>et</strong>en die bei<strong>de</strong>n Dachorganisationen zur nüchternen<br />

Erkenntnis, daß die praktische Ums<strong>et</strong>zung einer solchen I<strong>de</strong>e in Frankreich «unmöglich» *<br />

sei, und in Belgien, bzw. im Großherzogtum «nicht die geringste Chance» *122 hätte. Den<br />

Geschäftsführern <strong>de</strong>r WVESI blieb folglich kein an<strong>de</strong>rer Ausweg, als ihre Erwartungen<br />

zurückzuschrauben:<br />

«sollten die übrigen Län<strong>de</strong>r namhafte Politiker als Hohe Behör<strong>de</strong>-Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>signieren, dann könnte Deutschland nicht an<strong>de</strong>rs han<strong>de</strong>ln, obschon dieses Land<br />

[Deutschland] eigentlich vorhatte, eine berufsständische Persönlichkeit zu<br />

nominieren» * . 123<br />

Da nun acht <strong>de</strong>r neun Mandatsträger <strong>de</strong>s EGKS-Spitzengremiums direkt von <strong>de</strong>n jeweiligen<br />

nationalen Regierungen auserkoren wur<strong>de</strong>n – wobei mit an Sicherheit grenzen<strong>de</strong>r<br />

Wahrscheinlichkeit Persönlichkeiten aus <strong>de</strong>m Politikermilieu o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gewerkschaftsszene<br />

das Rennen machen wür<strong>de</strong>n –, dachten die Hüttenherren, es sei vernünftiger, wenn sie ihre<br />

Bemühungen in Zukunft einzig und allein auf das neunte, zu kooptieren<strong>de</strong> Mitglied <strong>de</strong>r<br />

Behör<strong>de</strong> konzentrierten. Die festgelegte Strategie gründ<strong>et</strong>e auf einer doppelten Spekulation.<br />

Zum einen wür<strong>de</strong> sich die Kooptation eines «Politikers» wegen <strong>de</strong>s Kräfteverhältnisses unter<br />

<strong>de</strong>n Montanlän<strong>de</strong>rn nur schwer durchs<strong>et</strong>zen lassen; zum an<strong>de</strong>ren sei bereits unter <strong>de</strong>n acht<br />

Direkt-Nominierungen min<strong>de</strong>stens ein Gewerkschafter. Sollte nun auch noch <strong>de</strong>r neunte Sitz<br />

– wie dies offenkundig mehr o<strong>de</strong>r weniger verbindlich im Abschluß <strong>de</strong>r Schuman-Plan-<br />

Verhandlungen versprochen wor<strong>de</strong>n war 124 – an die Arbeiterschaft gehen, dann wären die<br />

Syndikate überrepräsentiert. Das Patronat hingegen wäre leer ausgegangen.<br />

121 ARBED, P.VII-C und 68.G.<br />

Die Suche nach einem Kandidaten aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Industriellenmilieu ging bereits auf die Sommermonate<br />

1951 zurück. Damals dachte die WVESI offenbar an eine Bewerbung von Max Paul Meier, <strong>de</strong>m eine «reale<br />

Chance» * zugedacht wur<strong>de</strong> (Henri Roger, Generaldirektor <strong>de</strong>r Hadir an Aloyse Meyer, 29.06.1951). Wegen<br />

seiner umstrittenen Rolle als Liquidator <strong>de</strong>r Hadir während <strong>de</strong>r Nazi-Besatzung von Luxemburg, hatte Roger<br />

aber schwerste Be<strong>de</strong>nken gegen Meiers geäußert; er lehnte <strong>de</strong>shalb auch <strong>de</strong>n vorgeschlagenen<br />

Antrittsbesuch <strong>de</strong>s ehemaligen Liquidators im Differdinger Werk kategorisch ab (Max Paul Meiers an Félix<br />

Chomé, 18.07.1951 und an Henri Roger, 25.07.1951).<br />

122 Luxemburger Besprechung vom 7. Januar, op.cit.<br />

In Belgiens Herstellerkreisen wur<strong>de</strong>n Persönlichkeiten wie Jean Duvieusart o<strong>de</strong>r Gaston Eyskens gehan<strong>de</strong>lt;<br />

im Großherzogtum war zwar noch kein Name bekannt, aber die Hersteller schienen nicht ernsthaft an die<br />

Kandidatur eines Hüttenherren zu glauben.<br />

123 Ibid.<br />

124 Longwykonferenz von Eric Conrot, op.cit.


Sturm im Wasserglas 32<br />

Konsequenterweise versteiften die Stahlkocher sich darauf, das l<strong>et</strong>zte Mandat für die<br />

Privatwirtschaft zu beanspruchen.<br />

Die zu Jahresbeginn bei <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch-belgisch-luxemburgischen Zusammenkunft im<br />

Großherzogtum g<strong>et</strong>roffene Vereinbarung nahm während <strong>de</strong>r Wintermonate 1952 allmählich<br />

Gestalt an. Belgiens Zechenbesitzer hatten die Vorstellungen <strong>de</strong>r Eisenwirtschaft<br />

aufgegriffen und wart<strong>et</strong>en auch gleich mit einem Namen für <strong>de</strong>n neunten Mann auf: Guill<br />

Konsbruck, beigeordn<strong>et</strong>er Generaldirektor <strong>de</strong>r Arbed. Der Vorstoß kam völlig überraschend.<br />

We<strong>de</strong>r die Konzernsleitung in Luxemburg, noch Konsbruck selbst wußten Bescheid. Chomé<br />

erfuhr die Nachricht erst auf Umwegen von Walter Schwe<strong>de</strong> und <strong>de</strong>ssen Kollegen Wolfgang<br />

Linz von <strong>de</strong>n Vereinigten Stahlwerken. 125 Über die Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r belgischen Initiative ist<br />

bedauerlicherweise nicht ein einziges Dokument aufzutreiben. Es darf aber vermut<strong>et</strong> wer<strong>de</strong>n,<br />

daß die Kohleminenbesitzer bei ihrem Brüsseler Treffen vom 23. Februar nach einem<br />

geeign<strong>et</strong>en Vertr<strong>et</strong>er <strong>de</strong>r Schwerindustrie Ausschau hielten und dabei an eine Persönlichkeit<br />

von internationalem Rang dachten, <strong>de</strong>ren Kandidatur sowohl von <strong>de</strong>n Kohle- als auch <strong>de</strong>n<br />

Eisenproduzenten g<strong>et</strong>ragen wer<strong>de</strong>n konnte. Guill Konsbrucks Profil entsprach <strong>de</strong>n gestellten<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen vollauf. Als Adjutant S.M. <strong>de</strong>s Prinzen Félix war er bei Ausbruch <strong>de</strong>s Zweiten<br />

Weltkrieges <strong>de</strong>r großherzoglichen Familie und <strong>de</strong>r Luxemburger Regierung ins Exil nach<br />

London gefolgt. Dort kümmerte er sich vornehmlich um Versorgungsfragen, eine Aufgabe,<br />

die ihm enge Kontakte zu <strong>de</strong>n Alliierten bescherte. Nach <strong>de</strong>m Krieg wur<strong>de</strong> Konsbruck<br />

Minister für Nachschub im Kabin<strong>et</strong>t Pierre Dupong, bis er dann im Oktober 1946 zur Arbed<br />

stieß. 126 Dort leit<strong>et</strong>e er die Abteilung für Auslandsb<strong>et</strong>eiligungen und vertrat die Interessen <strong>de</strong>r<br />

Luxemburger Muttergesellschaft u.a. in <strong>de</strong>n Verwaltungsräten <strong>de</strong>s Eschweiler<br />

Bergwerksverein im Aachener Revier und <strong>de</strong>r Charbonnages <strong>de</strong> Helchteren <strong>et</strong> Zol<strong>de</strong>r im<br />

belgischen Limburg, zwei Grubenunternehmen <strong>de</strong>ren Aktienkapital sich mehrheitlich im<br />

Besitz <strong>de</strong>r Arbed befand. 127<br />

Der Vorschlag <strong>de</strong>r belgischen Kohleunternehmer stand dann auch im Mittelpunkt <strong>de</strong>r<br />

internationalen Konferenz aller sechs Eisenverbän<strong>de</strong> in Paris (29. März). Hier trat <strong>de</strong>r<br />

Mangel an Konzertierung unter Industriellen einmal mehr offen zu Tage. Bis dato war die<br />

Führung <strong>de</strong>r CSSF zum einen davon ausgegangen, die großherzogliche Regierung habe<br />

Guill Kunsbruck offiziell für das Luxemburger Direkt-Mandat nominiert; zum an<strong>de</strong>ren hatte<br />

sie genauso irrtümlich gedacht, <strong>de</strong>r neunte, noch zur Verfügung stehen<strong>de</strong> Posten könnte<br />

beispielsweise an Pierre Van <strong>de</strong>r Rest vergeben wer<strong>de</strong>n! Da daraus nun aber nichts wur<strong>de</strong>,<br />

drängten Deutsche, Belgier, Luxemburger, Italiener und Hollän<strong>de</strong>r auf die Verwirklichung <strong>de</strong>r<br />

Konsbruck-Lösung. In Folge <strong>de</strong>s spürbar stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Drucks <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

beabsichtigten sie möglichst rasch zu han<strong>de</strong>ln, damit die Arbeitnehmervertr<strong>et</strong>ungen ihnen<br />

das neunte Mandat nicht vor <strong>de</strong>r Nase wegschnappten. Die Chambre Syndicale hingegen<br />

wollte «die Dinge nicht überstürzen» * . Die ihrer Auffassung nach berechtigte Hoffnung, daß<br />

eines <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n französischen Hohe-Behör<strong>de</strong>-Mitglie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>s Patronats<br />

hervorgehen könnte, wollten sie nicht durch einen verfrühten Ansturm auf <strong>de</strong>n neunten Sitz<br />

gefähr<strong>de</strong>n. 128<br />

Der Pariser Kompromiß – Guill Konsbruck war einhellig zum Kandidaten <strong>de</strong>r Privatwirtschaft<br />

gekürt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>s Arbed-Direktors durfte aber bis auf weiteres nicht<br />

125 ARBED, P.68.H., Walter Schwe<strong>de</strong> an Félix Chomé, 07.03.1952; Antwortschreiben von Chomé, 10.03.1952<br />

und Wolfgang Linz an Félix Chomé, 14.03.1952.<br />

126 Vgl. F. Chomé, ARBED. Un <strong>de</strong>mi-siècle d'histoire industrielle, 1911-1964, sans éditeur, Luxembourg, 1964.<br />

127 ARBED, P.VIII, ARBED Luxembourg. Nomenclature d'entreprises filiales <strong>et</strong> apparentées, Novembre 1949.<br />

128 Compte-rendu succinct d'une réunion d'industriels tenue à Paris (März), op.cit.


Sturm im Wasserglas 33<br />

preisgegeben wer<strong>de</strong>n – gab Anlaß zu großem Unmut in <strong>de</strong>r Fünfergruppe. Der ganze<br />

Aktionsplan war dahin, o<strong>de</strong>r besser gesagt, er konnte vorläufig nur noch auf Sparflamme<br />

weiterg<strong>et</strong>rieben wer<strong>de</strong>n bis in <strong>de</strong>r IV. Republik endlich Klarheit über die tatsächlichen<br />

Nominationen herrschte. Beson<strong>de</strong>rs im belgisch-luxemburgischen Lager sorgte <strong>de</strong>r<br />

neuerliche Aufschub für viel Aufregung. Die Vorstellung <strong>de</strong>r CSSF, einen <strong>de</strong>r ihrigen ins<br />

Spitzenorgan <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu beför<strong>de</strong>rn, löste bei Pierre Van <strong>de</strong>r Rest nur ungläubiges<br />

Kopfschütteln aus. Auch Belgiens Zechenbesitzer wollten nicht so recht an <strong>de</strong>n<br />

französischen Alleingang glauben. Statt <strong>de</strong>r Taube auf <strong>de</strong>m Dach nachzujagen, hätten sie<br />

sich lieber mit <strong>de</strong>m Spatzen in <strong>de</strong>r Tasche zufrie<strong>de</strong>ngegeben. 129 Dennoch hielt Chomé sich<br />

peinlich an die vereinbarte Abmachung. Im offiziellen Bittschreiben <strong>de</strong>s GISL an<br />

Außenminister Bech begnügte er sich je<strong>de</strong>nfalls mit allgemeinen Phrasen. Unter <strong>de</strong>m<br />

Hinweis, daß «es bedauerlich, ja sogar ungerecht sei, wenn die Industriellen völlig von <strong>de</strong>r<br />

Geschäftsführung eines Organismus ausgeschlossen wären, <strong>de</strong>ssen Hauptmission ja<br />

eigentlich darin besteht, die Grundinteressen <strong>de</strong>r Hersteller, <strong>de</strong>r Arbeiter und <strong>de</strong>r<br />

Konsumenten in Einklang zu bringen», beharrte er auf <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung,<br />

«nicht unserer selbst willen, aber <strong>de</strong>s Prinzips wegen, das Recht <strong>de</strong>r Industriellen auf<br />

eine B<strong>et</strong>eiligung an <strong>de</strong>r obersten Direktion <strong>de</strong>s Pools einklagen zu dürfen, sei es in<br />

Form eines <strong>de</strong>r 8 Mitglie<strong>de</strong>r, die von <strong>de</strong>n Regierungen ernannt wer<strong>de</strong>n, sei es in Form<br />

<strong>de</strong>s 9. Mitglieds, das kooptiert wer<strong>de</strong>n soll» * . 130<br />

Einen Namen ließ <strong>de</strong>r GISL-Präsi<strong>de</strong>nt in seinem Brief nicht verlauten, … o<strong>de</strong>r hatte er<br />

Joseph Bech an an<strong>de</strong>rer Stelle doch <strong>et</strong>was über Konsbruck verlauten lassen? Wie <strong>de</strong>m auch<br />

sein mag, <strong>de</strong>n Hür<strong>de</strong>nlauf um das l<strong>et</strong>zte Mandat verlor die Privatwirtschaft ohnehin in <strong>de</strong>r<br />

l<strong>et</strong>zten Zielgera<strong>de</strong>.<br />

Ironie <strong>de</strong>r Geschichte: ausgerechn<strong>et</strong> Frankreich leist<strong>et</strong>e sich <strong>de</strong>n Luxus, neben Jean<br />

Monn<strong>et</strong> auch <strong>de</strong>n lothringischen Hüttenherren Léon Daum zur Hohen Behör<strong>de</strong> zu<br />

entsen<strong>de</strong>n. Gleich nach Bekanntgabe <strong>de</strong>r Nachricht streckten die Unterhändler <strong>de</strong>r<br />

Eisenverbän<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Kohleorganisationen die Köpfe abermals zusammen, um, in<br />

Kenntnis <strong>de</strong>r neuen Sachlage, über weitere Schritte zu <strong>de</strong>battieren. Auch wenn <strong>de</strong>r<br />

glimpfliche Ausgang <strong>de</strong>r Ernennungen im Hexagon eigentlich eher ermutigend wirkte, so war<br />

die Stimmung im holländischen Noordwyck trotz<strong>de</strong>m nicht die allerbeste. Ganz im Gegenteil.<br />

Die kürzlich erst entstan<strong>de</strong>ne gemeinsame Front <strong>de</strong>r Unternehmerbranchen Kohle und<br />

Stahl 131 drohte auseinan<strong>de</strong>rzubrechen, weil die Zechenbesitzer ihre spezifischen Interessen<br />

nicht ausreichend durch Léon Daum vertr<strong>et</strong>en sahen. Da j<strong>et</strong>zt mehr o<strong>de</strong>r weniger sicher war,<br />

daß die Eisenhersteller und die Gewerkschaften (Heinz Potthoff) je ein Mitglied <strong>de</strong>r obersten<br />

Unionsbehör<strong>de</strong> stellten, beanspruchte die Kohlewirtschaft das kooptierte Mandat kurzerhand<br />

für sich. Statt Konsbruck hieß ihr Kandidat fortan Jean Janssens, <strong>de</strong>r ehemalige Brüsseler<br />

Abgesandte beim Coal Control Group und bei <strong>de</strong>r Internationalen Ruhrbehör<strong>de</strong>. 132<br />

Mittlerweile hatte Konsbruck seine Bewerbung sowieso zurückgezogen. Der Rückzieher<br />

stand wahrscheinlich in direkter Verbindung zu <strong>de</strong>r Veröffentlichung eines Presseartikels <strong>de</strong>r<br />

Tribune <strong>de</strong>s Nations. In seiner Freitagsausgabe vom 27. Juni 1952 wußte das Blatt eine<br />

129 Protokoll einer belgisch-luxemburgischen Sitzung vom 16.April, op.cit.<br />

130 Schreiben vom 24 Mai, op.cit.<br />

131 ARBED, P.61, Résolution [<strong>de</strong>s charbonniers] prise lors <strong>de</strong> la réunion tenue à Bruxelles, le 6 juin 1952,<br />

Abschrift.<br />

132 ARBED, P.61, Plan Schuman. Réunion <strong>de</strong> Noordwyck (Hollan<strong>de</strong>) entre représentants <strong>de</strong>s industries<br />

sidérurgiques <strong>et</strong> charbonnières <strong>de</strong>s pays du Plan Schuman le 7 juill<strong>et</strong> 1952.


Sturm im Wasserglas 34<br />

vermeintliche Sensationsmeldung zu berichten: wäre <strong>de</strong>r Arbed-Präsi<strong>de</strong>nt Aloyse Meyer<br />

nicht kürzlich verschie<strong>de</strong>n, dann sei er son<strong>de</strong>r Zweifel die geeign<strong>et</strong>ste Figur gewesen, um die<br />

Präsi<strong>de</strong>ntschaft <strong>de</strong>r Montangemeinschaft zu übernehmen! 133 Abgesehen von <strong>de</strong>r<br />

Geschmacklosigkeit <strong>de</strong>s Artikels, hätte man im Großherzogtum wohl höchstens über die<br />

Zeitungsente gelacht …, wenn das europäische Umfeld im Sommer 1952 nicht extrem<br />

angespannt gewesen wäre und die Affäre schwersten Scha<strong>de</strong>n für die Luxemburger<br />

Schmelzen anzurichten drohte. In <strong>de</strong>r Tat war Jean Monn<strong>et</strong> damals im Rahmen einer<br />

großangelegten Pressekampagne bestrebt, Werbung zugunsten seiner eigenen Kandidatur<br />

für <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>ntenstuhl zu b<strong>et</strong>reiben. Die anbie<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Reklame hatte ihm aber mehr<br />

geschad<strong>et</strong> als genutzt. Beson<strong>de</strong>rs in politischen Kreisen <strong>de</strong>r Unionslän<strong>de</strong>r hatte sich eine<br />

«gewisse Animosität […] gegen Herrn Monn<strong>et</strong> und seine Mitstreiter <strong>de</strong>r Rue <strong>de</strong> Martignac» *<br />

ausgebreit<strong>et</strong>. Die aufkommen<strong>de</strong> Feindseligkeit gegenüber <strong>de</strong>m Schuman-Plan-Initiator hatte<br />

Albert Wehrer hellhörig gemacht. Wie die meisten seiner Kollegen auf <strong>de</strong>m internationalen<br />

Park<strong>et</strong>t war ihm klar, inwieweit Monn<strong>et</strong> sein <strong>de</strong>rzeit recht schlechtes Image in <strong>de</strong>n Medien<br />

größtenteils selber verschuld<strong>et</strong> hatte. Den Luxemburger Diplomaten aber verärgerte die<br />

öffentliche Meinung. Was wür<strong>de</strong> passieren, wenn irgend jemand auf <strong>de</strong>n böswilligen<br />

Gedanken käme, die «Sensationsnachricht» <strong>de</strong>r Tribune so hinzustellen, als sei sie im<br />

Auftrag <strong>de</strong>r Arbed abgedruckt wor<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n französischen Präsi<strong>de</strong>ntenanwärter zu<br />

provozieren? Die völlig aus <strong>de</strong>r Luft gegriffene Unterstellung, daß das Luxemburger<br />

Unternehmen <strong>de</strong>r eigentliche Drahtzieher <strong>de</strong>s «Pressefeldzuges» * gegen Monn<strong>et</strong> gewesen<br />

wäre, hätte für das Großherzogtum katastrophale Konsequenzen nach sich gezogen. 134 Der<br />

bloße Gedanke an einen solchen Skandal vers<strong>et</strong>zte auch die Konzernleitung in Angst und<br />

Schrecken. Um potentiellen Fehlinterpr<strong>et</strong>ationen nicht unnötigerweise Vorschub zu leisten,<br />

hielt sie es daher für sinnvoller, nicht noch einmal unfreiwillig in die negativen Schlagzeilen<br />

zu geraten, wenn die europäischen Unternehmerverbän<strong>de</strong> Guill Konsbrucks Namen <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit preisgegeben hätten.<br />

Zur Einigung über die Nachfolge <strong>de</strong>s Arbed-Direktors sollte die Zeit nicht mehr reichen. Jean<br />

Janssens' Bewerbung hatten die Stahlkocher als «wenig aussichtsreich» * abgelehnt. Statt<br />

<strong>de</strong>ssen schwebte ihnen nun mehr eine «neutrale Persönlichkeit mit europäischem<br />

Renommee» *135 vor, wie <strong>et</strong>wa <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländische Außenminister Dirk Stikker. Der späte<br />

Sinneswan<strong>de</strong>l erklärt sich vor<strong>de</strong>rgründig durch die neuen Prioritäten, die sich zwangsläufig<br />

nach Léon Daums Wahl ergeben hatten. Während <strong>de</strong>r Schlußphase <strong>de</strong>s Ringens um <strong>de</strong>n<br />

kooptierten Sitz ging es <strong>de</strong>n Eisenhüttenleuten nämlich nicht mehr so sehr um ein zweites<br />

Mandat zugunsten <strong>de</strong>r Unternehmer, son<strong>de</strong>rn vielmehr darum, zu verhin<strong>de</strong>rn, daß die<br />

Gewerkschaften <strong>de</strong>n «neunten Mann» stellen könnten. Die For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />

Kohleproduzenten mußten bei diesem l<strong>et</strong>zten Poker <strong>de</strong>n allgemeinen Interessen <strong>de</strong>r<br />

Arbeitgeber weichen. Vergebens, <strong>de</strong>nn noch bevor <strong>de</strong>r Streit im Lager <strong>de</strong>s Patronats<br />

beigelegt war, hatte sich <strong>de</strong>r Wunschkandidat <strong>de</strong>s zukünftigen EGKS-Präsi<strong>de</strong>nten – Paul<br />

Fin<strong>et</strong>, <strong>de</strong>r Generalsekr<strong>et</strong>är <strong>de</strong>r Fédération Générale <strong>de</strong>s Travailleurs Belges – durchs<strong>et</strong>zen<br />

können. 136<br />

133 ARBED, P.68.H, Dommage qu'Aloyse Meyer soit mort, dit-on à Luxembourg IN: Tribune <strong>de</strong>s Nations,<br />

27.06.1952.<br />

134 ARBED, P.68.H, Albert Wehrer an Félix Chomé, 26.06.1952 und Félix Chomé an Albert Wehrer, 30.06.1952.<br />

135 Réunion <strong>de</strong> Noordwyck, op.cit.<br />

136 Vgl. R. Poi<strong>de</strong>vin und D. Spierenburg, op.cit., S.68.


Sturm im Wasserglas 35<br />

Schlußb<strong>et</strong>rachtung<br />

Die lauthals von <strong>de</strong>n Stahlkochern verlangten Sicherheiten zur Wahrung ihrer<br />

berufsständischen Interessen waren unter <strong>de</strong>m Druck politischer Zwänge wie eine peau <strong>de</strong><br />

chagrin zusammengeschrumpft. Auch die l<strong>et</strong>zte Trumpfkarte <strong>de</strong>r Wirtschaftsbosse, Léon<br />

Daums Zugehörigkeit zur Hohen Behör<strong>de</strong>, sollte sich schon bald als wenig hilfreich<br />

erweisen. 137 Nichts<strong>de</strong>stomin<strong>de</strong>r glätt<strong>et</strong>en sich die Wogen mit <strong>de</strong>m Inkrafttr<strong>et</strong>en <strong>de</strong>r Union.<br />

Der schwerindustrielle Ansturm auf das vereinte Europa aus Kohle und Stahl flaute<br />

augenscheinlich im Laufe <strong>de</strong>s zweiten Semesters 1952 nach und nach ab.<br />

Darf <strong>de</strong>r Rummel um die Konstituierung <strong>de</strong>r EGKS also abg<strong>et</strong>an wer<strong>de</strong>n als schlichter Reflex<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidigung vor einer Gemeinschaft, <strong>de</strong>ren unkonventionelle Objektive und<br />

komplizierte Ausführungsbestimmungen offenkundig nichts mit <strong>de</strong>n gewohnten Kartellen <strong>de</strong>r<br />

Zwischenkriegszeit gemein hatten? Freilich, die instinktive Abneigung gegen ein Abkommen,<br />

das die Hütten zum Spielball internationaler Politik machte, gleichwohl wie die Verbannung<br />

<strong>de</strong>r Industrievertr<strong>et</strong>er vom Verhandlungstisch und <strong>de</strong>r somit verursachte Groll, mögen ihren<br />

Teil dazu beig<strong>et</strong>ragen haben. Eine <strong>de</strong>rart simple Interpr<strong>et</strong>ation <strong>de</strong>s Geschehens ist allerdings<br />

wenig zufrie<strong>de</strong>nstellend, <strong>de</strong>nn in Wahrheit ging die Opposition auch nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassung<br />

<strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> am Place <strong>de</strong> M<strong>et</strong>z unterschwellig weiter. Die Aktivitäten <strong>de</strong>s Patronats<br />

waren zwar unbestreitbar nicht mehr so spektakulär wie die Revisionsansprüche o<strong>de</strong>r die<br />

Durchs<strong>et</strong>zung einer EGKS-Verwaltung nach ihrem Geschmack; auch hatte <strong>de</strong>r fortan eher<br />

praxisbezogene Wi<strong>de</strong>rstand gegen ein ordnungsgemäßes Funktionieren <strong>de</strong>r<br />

Montangemeinschaft wegen seines technisch hochkomplexen Charakters je<strong>de</strong><br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Medien verloren. Trotz<strong>de</strong>m waren Absprachen über die veröffentlichten<br />

Preislisten, okkulte Rabatte, private Abkommen zur Belieferung mit Schrott o<strong>de</strong>r die<br />

Brüsseler Konvention b<strong>et</strong>reffs Eisenexporte außerhalb <strong>de</strong>s Gemeinsamen Marktes 138 – um<br />

nur einige Beispiele zu nennen – dazu ang<strong>et</strong>an, die Ges<strong>et</strong>zgebung <strong>de</strong>r Union mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger erfolgreich zu unterwan<strong>de</strong>rn. Und die Hohe Behör<strong>de</strong> sah tatenlos zu!<br />

«Aus dieser Sitzung [<strong>de</strong>s Ministerrats] ergibt sich <strong>de</strong>r Eindruck, daß die Hohe Behör<strong>de</strong><br />

augenblicklich nicht imstan<strong>de</strong> und auch nicht willens ist, sich voll zu engagieren und<br />

ihre generelle Politik zu <strong>de</strong>finieren, wogegen die 6 Regierungen, die mit dringen<strong>de</strong>n<br />

und schwierigen Problemen konfrontiert sind, endlich Klarheit schaffen wollen. Bei <strong>de</strong>r<br />

Erörterung technischer Fragen ist die Hohe Behör<strong>de</strong> bewußt je<strong>de</strong>r Debatte<br />

ausgewichen, und sie hat sich schließlich hinter Erklärungen von ganz allgemeiner<br />

Tragweite […] verschanzt» * . 139<br />

Die verblüffen<strong>de</strong> Zurückhaltung <strong>de</strong>s Spitzengremiums gibt in <strong>de</strong>r Tat manches Rätsel auf,<br />

das beim <strong>de</strong>rzeitigen Stand <strong>de</strong>r historischen Forschung noch keine verläßlichen<br />

Schlußfolgerungen zuläßt. Hierüber können erst weitere Recherchen zum strittigen Thema<br />

<strong>de</strong>r tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen <strong>de</strong>r Gemeinschaft während ihrer<br />

Anfangsphase Klarheit verschaffen. Die folgen<strong>de</strong>n Hinweise dürfen also lediglich als<br />

zaghafte Ansätze einer Problemstellung gewert<strong>et</strong> wer<strong>de</strong>n; sie beanspruchen we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Charakter einer vollständigen, noch einer <strong>de</strong>finitiven Klärung <strong>de</strong>s Sachverhalts.<br />

137 Ph. Mioche, Jacques Ferry <strong>et</strong> la sidérurgie française <strong>de</strong>puis la Secon<strong>de</strong> Guerre Mondiale, Publications <strong>de</strong><br />

l'Université <strong>de</strong> Provence, Aix-en-Provence, 1993, S.129-130.<br />

138 Diverse Akten aus <strong>de</strong>r Arbed-Zentralverwaltung und <strong>de</strong>n Archiven <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntschaft <strong>de</strong>s Verwaltungsrates.<br />

139 ARBED, P.61.C, Réunion du Conseil <strong>de</strong>s Ministres à Luxembourg (12-13 octobre 1953), Bericht von Eric<br />

Conrot an die GISL-Vorstandsmitglie<strong>de</strong>r, 14.10.1953.


Sturm im Wasserglas 36<br />

Im Hinblick auf die Kartellproblematik und die Unternehmenskonzentrationen beispielsweise<br />

fällt auf, daß die Behör<strong>de</strong> bestens über Verstöße <strong>de</strong>r Industrie informiert war und <strong>de</strong>nnoch oft<br />

ein Auge, o<strong>de</strong>r gar bei<strong>de</strong>, verschloß. 140 Bild<strong>et</strong>en die strengen Vorschriften <strong>de</strong>s Vertrages also<br />

bloß eine Art Vorhängeschild, um die Amerikaner zu beschwichtigen und ein günstiges Klima<br />

für die millionenschwere Dollaranleihe in <strong>de</strong>n USA herbeizuführen? Läßt sich aus diesem,<br />

sowie aus an<strong>de</strong>ren, ähnlich gelagerten Hinweisen <strong>et</strong>wa ableiten, daß die ökonomischen<br />

Vertragsartikel, alles in allem, doch eigentlich nur ein zweitrangiges Ziel <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

abgaben? Einen min<strong>de</strong>stens ebenso verwirren<strong>de</strong>n Eindruck hinterläßt das merkwürdig<br />

beschei<strong>de</strong>ne Einschreiten <strong>de</strong>r EGKS-Instanzen bei <strong>de</strong>r Bereinigung <strong>de</strong>r chaotischen<br />

Verhältnisse auf <strong>de</strong>n Stahlmärkten. Der dramatische Rückgang <strong>de</strong>r Nachfrage im Bereich<br />

bestimmter Produkte und <strong>de</strong>r galoppieren<strong>de</strong> Preisverfall nach <strong>de</strong>m Koreaboom stürzte viele<br />

Hütten in arge Bedrängnis. Die wegen <strong>de</strong>r Eröffnung <strong>de</strong>s Gemeinsamen Markes<br />

entstan<strong>de</strong>ne allgemeine Verunsicherung und die eher abwarten<strong>de</strong> Zurückhaltung <strong>de</strong>r Käufer<br />

taten ein übriges. Die leeren Auftragsbücher <strong>de</strong>r Schmelzen an <strong>de</strong>r Saar, in Frankreich,<br />

Belgien und in Luxemburg zwangen mehrere Werke, einen Teil ihrer Hochöfen stillzulegen.<br />

Vielerorts nahm die Lage dramatische Ausmaße an. Kurzarbeit war angesagt. In einigen<br />

B<strong>et</strong>rieben dachte man sogar an Schließung! 141 Die Union aber machte keine Anstalten, <strong>de</strong>n<br />

«völlig ungeordn<strong>et</strong>e[n] W<strong>et</strong>tbewerb» 142 dank einer resoluten Anwendung <strong>de</strong>s verfügbaren<br />

Machtinstrumentariums zu regeln und dadurch die drohen<strong>de</strong> Arbeitslosigkeit abzuwen<strong>de</strong>n.<br />

War das passive Verhalten <strong>de</strong>r Hohen Behör<strong>de</strong> Ausdruck ihrer Hilflosigkeit? Hatte die Angst<br />

vor <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong>n Krise und ihrer negativen Konsequenzen für das Image <strong>de</strong>s<br />

frischgebackenen Europas sie dazu verleit<strong>et</strong>, lieber auf das traditionelle Management <strong>de</strong>r<br />

Fachleute zu s<strong>et</strong>zen? Ob die EGKS nun wirklich <strong>de</strong>n in sie gesteckten Erwartungen auf <strong>de</strong>m<br />

Gebi<strong>et</strong> <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Fortschritts gerecht wur<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r ob sie im Leerlauf drehte und<br />

<strong>de</strong>r Privatinitiative das Feld weitgehend überlassen hatte – das bleibt die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Frage. Sie kann augenblicklich nicht beantwort<strong>et</strong> wer<strong>de</strong>n.<br />

Wesentlich einfacher dahingegen gestalt<strong>et</strong> sich eine Beurteilung <strong>de</strong>r althergebrachten<br />

I<strong>de</strong>e vom omnipotenten Einfluß <strong>de</strong>r Industrie auf die Politik. Der vorliegen<strong>de</strong> Aufsatz hat<br />

ein<strong>de</strong>utig aufgezeigt, daß Behauptungen nach <strong>de</strong>nen die Regierungen sich <strong>de</strong>m Diktat <strong>de</strong>r<br />

Eisenlobby unterworfen hätten, keiner tiefgreifen<strong>de</strong>n Analyse standhalten. Gewiß, sofern ihr<br />

Nutzen an <strong>de</strong>r Sache mit <strong>de</strong>mjenigen <strong>de</strong>s Unternehmertums übereinstimmte, waren<br />

öffentliche Dienststellen gern bereit, wohlwollen<strong>de</strong>s Entgegenkommen an <strong>de</strong>n Tag zu legen<br />

und die gestellten For<strong>de</strong>rungen nachhaltig zu unterstützen. Ja, in verschie<strong>de</strong>nen Fällen<br />

bedienten sie sich sogar dieser zeitweiligen «Allianz», um im Windschatten<br />

schwerindustriellen Vorpreschens lan<strong>de</strong>seigene Vorteile herauszuschlagen. Ansonsten<br />

hielten die politisch Verantwortlichen beharrlich an ihrem durch die Staatsräson<br />

vorgezeichn<strong>et</strong>en Kurs fest. Nicht einmal im kleinen Großherzogtum – wo die zahlenmäßig<br />

stark reduzierte Elite aus Wirtschaft und Politik engste Kontakte zueinan<strong>de</strong>r pflegte, wo<br />

140 In <strong>de</strong>m für die Hohe Behör<strong>de</strong> bestimmten Dokument 4986 vom 23.06.1953 hatte Richard Hamburger (Leiter<br />

<strong>de</strong>r EGKS-Abteilung für Unternehmenskonzentrationen) in einem ziemlich scharfen Ton je<strong>de</strong> Menge<br />

unlauterer Preisabsprachen unter <strong>de</strong>n Hütten angeprangert. Hamburgers Notiz kommentierte A. Robert<br />

(juristischer Berater <strong>de</strong>s GISL) wie folgt: «Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Hohe Behör<strong>de</strong> [die] Notiz<br />

nicht zur Kenntnis genommen hat» * .<br />

GISL, A. Robert an Félix Chomé, 02.07.1953.<br />

141 ARBED, AC [Administration Centrale] 39/30.I, Note pour la Haute Autorité. Situation du marché <strong>de</strong> l'acier,<br />

08.10.1953. Wegen seiner «Offenheit» * hatte <strong>de</strong>r von Tony Rollman (Leiter <strong>de</strong>r EGKS-Abteilung für Märkte)<br />

verfaßte Lagebericht einen «streng vertraulich[en]» * Charakter.<br />

142 ARBED, AC.6311.I, Kritik <strong>de</strong>r Preisvorschriften im Gemeinsamen Markt; W. Burckhardt (Generaldirektor <strong>de</strong>s<br />

Eschweiler Bergwerks Verein, Mitglied im Beraten<strong>de</strong>n Ausschuß) an Félix Chomé, 04.11.1953.


Sturm im Wasserglas 37<br />

Werksdirektoren, Abgeordn<strong>et</strong>e und Minister sich regelmäßig im Jagdrevier o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m<br />

Golfplatz trafen – war es <strong>de</strong>n Hüttenherren gegönnt, ausreichen<strong>de</strong> Garantien zu ergattern.<br />

Höhere Erwägungen wie u.a. Luxemburgs Stellung auf <strong>de</strong>r diplomatischen Weltbühne o<strong>de</strong>r<br />

die Sorge um <strong>de</strong>n Sitz <strong>de</strong>r EGKS hatten Joseph Bech und Albert Wehrer bewegt, ihren<br />

Freun<strong>de</strong>n so manche Bitte abzuschlagen.<br />

Der Mythologie gehören auch die seinerzeit weitverbreit<strong>et</strong>en Gerüchte über die Solidarität<br />

<strong>de</strong>s Großkapitals an. Die nach <strong>de</strong>m Krieg durch das amerikanische Anti-Trust-Fieber<br />

aufgebauschte, und auf <strong>de</strong>m Alten Kontinent vornehmlich von linksgericht<strong>et</strong>en Kreisen<br />

propagierte Vorstellung einer internationalen Verfilzung <strong>de</strong>s Industriellenmilieus, darf heute<br />

ohne Zögern als phantasievoll ausgeschmückte Legen<strong>de</strong> verworfen wer<strong>de</strong>n. Von einer<br />

grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Interessengemeinschaft kann je<strong>de</strong>nfalls nur sehr bedingt und unter<br />

größtem Vorbehalt die Re<strong>de</strong> sein. Nicht ultrageheime Gentlemen Agreements, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Kampf mit harten Bandagen beherrschte die Beziehungen unter <strong>de</strong>n Konzernen. Obwohl<br />

gera<strong>de</strong> während <strong>de</strong>r für die Zukunft aller B<strong>et</strong>riebe richtunggeben<strong>de</strong>n Jahre 1950 bis 1952 ein<br />

konzertiertes Han<strong>de</strong>ln mehr <strong>de</strong>nn je vonnöten gewesen wäre, hatte nationaler Egoismus,<br />

gepaart mit klassischem Konkurrenz<strong>de</strong>nken, die Hüttenherren daran gehin<strong>de</strong>rt, rechtzeitig<br />

eine geschlossene Front aufzubauen. Jean Monn<strong>et</strong> sollte es ihnen danken, <strong>de</strong>nn das ewige<br />

Gezänk unter <strong>de</strong>n sechs Dachverbän<strong>de</strong>n hatte ihm geholfen, seine schärfsten Kontrahenten<br />

zu überrumpeln und sie vor das fait accompli zu stellen.<br />

Selbst im Lager <strong>de</strong>r Eisenorganisation war man ziemlich bestürzt über das eigene, wenig<br />

rühmliche Gehabe. Auch wenn am Schuman-Plan an und für sich nichts mehr zu än<strong>de</strong>rn<br />

war, so machte sich doch allenthalben <strong>de</strong>r Wille breit, die notwendigen Lehren aus <strong>de</strong>m<br />

angericht<strong>et</strong>en Scha<strong>de</strong>n zu ziehen:<br />

«Eine enge Fühlungnahme unter unseren Verbän<strong>de</strong>n bleibt auch weiterhin<br />

unumgänglich, und wir müssen uns aufrichtig bemühen, trotz <strong>de</strong>r partikularen<br />

Ausgangsbedingungen in je<strong>de</strong>m Land, um uns in Zukunft nicht mehr gegenseitig zu<br />

behin<strong>de</strong>rn durch die Annahme unilateraler und überhast<strong>et</strong>er Lösungsvorschläge, die<br />

sich zu<strong>de</strong>m für die an<strong>de</strong>ren Gruppen als gefährlich herausstellen können» * . 143<br />

Pierre Van <strong>de</strong>r Rests weise Worte stan<strong>de</strong>n am Anfang einer Entwicklung, die am 17. Februar<br />

1953 in <strong>de</strong>r statutarischen Gründung <strong>de</strong>s Klubs <strong>de</strong>r Eisenhüttenleute gipfelte. 144 Die guten<br />

Vorsätze aber hielten nicht allzu lange an; sie sollten die schwere Absatzkrise nach <strong>de</strong>m<br />

Einbruch auf <strong>de</strong>n internationalen Stahlmärkten nicht überdauern. Die damals zur<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Rezession auf rein privater Basis im Rahmen <strong>de</strong>r Brüsseler<br />

Exportkonvention ausgehan<strong>de</strong>lten Minimalpreise und freiwillig auferlegten<br />

Produktionseinschränkungen wur<strong>de</strong>n im rücksichtslosen W<strong>et</strong>tstreit um Aufträge massiv<br />

hintergangen. Mit <strong>de</strong>n zahllosen Defraudationen – se kurbelten <strong>de</strong>n Preisverfall zusätzlich an<br />

– höhlten die Konzerne allerdings ihr eigenhändig aufgestelltes Krisenprogramm aus, was<br />

lediglich zu weiteren Einbußen für die einzelnen Werke führte. 145 In Zeiten <strong>de</strong>r Not saß das<br />

Hemd doch ganz entschie<strong>de</strong>n näher als <strong>de</strong>r Rock. Auch im Unternehmertum ließ sich eine<br />

seit Jahrzehnten festgefahrene Mentalität halt nicht von heute auf morgen durch großartige<br />

europäische Gedanken ers<strong>et</strong>zen.<br />

143 ARBED, P.61, Réunion d'une commission d'industriels tenue à Paris le 11 juill<strong>et</strong> 1952 pour l'examen <strong>de</strong>s<br />

questions ayant trait au statut <strong>de</strong>s associations <strong>de</strong> producteurs.<br />

144 Ch. Funck, Une Europe ... Un quart <strong>de</strong> siècle ... Une sidérurgie ... Un Club (1952-1977), manuscript, archives<br />

GISL, S.6.<br />

145 Vgl. Ch. Barthel, op.cit.

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